Was macht heute Elternschaft aus und was unterscheidet sich vom alten Modell?
Eltern wurden lange Zeit nur heterosexuelle Paare. Auf sie war das System eingestellt und ausgelegt. Dies hat sich mit der Legalisierung homosexueller Partnerschaften und der Liberalisierung der Gesetzgebung zur künstlichen Befruchtung geändert.
Die klassische Familie war blutsverwandt, bestand aus Vater, Mutter und einer unterschiedlichen Anzahl von Kindern. Sie zeugten ihre Kinder meist natürlich. Infolge war die Mutter sicher. Väter dagegen immer unsicher, warum strenge moralische Regeln für Frauen die Illusion von Sicherheit erzeugen sollten, woraus ein ganzes System sexueller Moral und kodifizierter Unlust entstand. Auf diesem durch das Christentum geprägten System, das in seiner patrilinearen Form primär der Diskriminierung der Frauen diente, um die natürliche männliche Unsicherheit und geringerte Potenz zu tarnen, basiert unser Moralsystem, was wir lange für gut und angemessen hielten. Dies überkommene System, das die Psychoanalyse noch ein Jahrhundert verstetigte und die transzendierende Seele sinngleich durch das Unterbewusstsein ersetzte, wird durch die Kenntnis von künstlicher Befruchtung, die Legalisierung der homosexuellen Ehe und die neurologische Forschung zum Nervus Pudendus infrage gestellt.
Auch homosexuelle Paare dürfen nun legal Kinder bekommen, indem sie sich als Frauen künstlich befruchten oder bei Männern eine mit ihrem Spermium befruchtete Eizelle austragen lassen oder bald auch künstlich heranwachsen lassen. Damit ist das alte Denken der Sexualität zum Zwecke der Fortpflanzung überholt und das Elternmodell der heterosexuellen Beziehung auch. Vielmehr dient die Sexualität der Befriedigung und Elternschaft kann unabhängig von einer vorigen sexuellen Beziehung entstehen über die Adoption hinaus, wie Christina von Braun in ihrem Buch Blutsbande klug und detailliert ausführt.
Dabei stellen sich neue Fragen der Verwandtschaft. Wenn ein homosexuelles Paar ein Kind bekommt, fragt sich, wer dabei welche Rolle übernimmt. Ist bei einem lesbischen Paar die natürliche Mutter auch in der Beziehung die soziale Mutter oder kann das variieren, wird umgekehrt bei einem schwulen Paar der Spender des Spermiums auch natürlicher Vater im sozialen Bereich oder ordnet sich die Beziehung zum Kind unabhängig von der genetischen Beteiligung, wird sich mancher fragen oder ob die alten Rollen in diesen neuen Beziehungen ausgedient haben. Dagegen spricht, dass homosexuelle Paare meist auch intern gewisse Rollen übernehmen, wie sie klassischen Musterne entsprechen.
Die früher Zweifel, ob das Aufwachsen in einer homosexuellen Familie den Kindern schadet, kann nach bisherigem Wissen wohl verneint werden, Im Gegenteil, gelten diese als überdurchschnittlich gute, soziale und gebildete Eltern und entsprechend gut geht es den meisten Kindern aus solchen Beziehungen, wie erste Studien zum Thema belegen.
Um die Mutterrolle zu teilen, wollte ein lesbisches Paar, der einen von ihnen die künstlich befruchtete Eizelle der anderen einsetzen lassen. Dies wurde von einem französischen Gericht für unzulässig erklärt, weil die für eine künstliche Befruchtung mit fremder Eizelle nötige eigene teilweise Unfruchtbarkeit nicht gegeben war, eine künstliche Befruchtung also nicht medizinisch indiziert war. Dabei hätte diese Möglichkeit den lesbischen Paaren eine stärkere Chance zur gemeinsamen Beteiligung und Identifikation geboten, was dem Bestand der Familien sicher gut getan hätte. Hier wäre es spannend, wie langfristig der EuGH oder das Bundesverfassungsgericht entscheidet und ob im Rahmen einer vollständigen rechtlichen Egalität eine solche Diskriminierung zulässig sein kann oder der natürliche Schutz der Gesundheit Vorrang hat, wofür relativ wenig spricht.
Teilweise kann der andere Elternteil bei homosexuellen Paaren auch an der künstlichen Befruchtung im Labor direkt teilnehmen und so quasi mit zeugen, was sich wohl ziemlich großer Beliebtheit inzwischen erfreut, weil der mechanische natürliche Vorgang der Produktion, wohl noch eine stärkere Identifikation ermöglichen soll, als die Übernahme der sozialen Rolle in der Partnerschaft. Dann war derjenige auch tatsächlich an der Entstehung des Kindes beteiligt und hat so auch realen Einfluss auf das werdende gemeinsame Kind genommen.
Auch bei heterosexuellen Eltern finden sich inzwischen Freunde in Partnerschaften als Co-Eltern zusammen, die aber sonst keine Liebesbeziehung verbindet und tun dies mit dem Argument, dass ein so wichtiger Vorgang wie die Zeugung und gemeinsame Erziehung eines Kindes, besser nicht auf einer relativ unsicheren emotionalen Basis, als die sich Liebe ja immer wieder, allen vorigen Versprechen zum Trotz, erweist, zu beginnen sei. Eine gute Freundschaft oder eine vertraglich geregelte Partnerschaft, was ein wenig an alte Ehemodelle erinnert, sei dafür besser geeignet und täte den Kindern besser, weil die durch emotionale Beziehungen immer wieder sicheren Auseinandersetzungen um Gefühle verhindert werden könnten. Wie weit das langfristig wirklich besser funktioniert, was passiert, wenn sich einer der Erziehungspartner in einen Dritten verliebt, der andere aber nicht, ist noch relativ unklar und es werden sich vermutlich, wie immer in menschlichen Beziehungen die üblichen Probleme einstellen. Bestätigen würde ich aber aus eigener Erfahrung, dass Beziehungen, die mehr auf Vernunft als auf große Gefühle setzen, eine höhere Stabilität garantieren und große Liebe kein Faktor für große Dauer ist, sondern wie alle Gefühle eben schwanken kann.
Insofern die Sexualität von der Fortpflanzung durch künstliche Befruchtung getrennt wird, die auch in der Früherkennung Vorteile bietet und die emotionale Belastung senken kann, könnte diese unabhängig etwa in offenen Beziehungen genossen werden, dient sie primär der Befriedigung, was immer mehr Paare probieren, um nicht an den üblichen ersten Klippen der Eifersucht zu scheitern, wobei nicht garantiert ist, dass eine solche vernünftige Konstellation diesbezüglich anfällige Personen wirklich schützen kann vor den zerstörerischen Gefühlen der Besitzergreifung. Zumindest kann ich immer mehr Paare hier in Berlin beobachten, die eine solche Konstellation leben und damit nicht unbedingt unglücklicher werden, sondern dies auch als eine Phase ihres gemeinsamen Lebens betrachten, in dem sie eben auch anderen Menschen begegnen und nichts notwendig ausschließlich wäre.
Was zählt, ist, wie Kinder am besten leben und aufwachsen. Dabei zeigt sich, dass es wichtiger ist, dass die Eltern glücklich sind, als in welcher Konstellation oder Beziehung sie leben, weil glückliche und also entspannte Eltern verständnisvoller und gefühlvoller mit ihren Kindern umgehen können. Die Elternbeziehung ergibt sich aus dem sozialen Kontext und dem jeweiligen Rollenverhalten. Längst leben auch viele heterosexuelle Paare nicht mehr nach klassischem Modell. War selbst einige Jahre Hausmann und als Vater vielfach in der klassischen Mutterrolle, was mir weder geschadet noch meiner Männlichkeit Abbruch getan hat, auch wenn ich anfänglich etwas brauchte, mich in diese Konstellation hereinzufinden, weil ich mit dem klassischen Modell aufgewachsen bin.
So wenig adoptierte Kinder durch die Adoption Schaden nehmen, so wenig leidet die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern daran notwendig, ob von einem die Eizelle oder das Spermium kommt und vom anderen nicht, was schon aus früheren Fällen der künstlichen Befruchtung bekannt ist. Die Ausgestaltung der sozialen Beziehung kann von der sogenannten natürlichen Verwandtschaft sich völlig unabhängig entwickeln und es kommt vor, das Kinder zu dem genetisch nicht verwandten Elternteil eine innigere Beziehung entwickeln, weil diese ihm wesensmäßig näher sind, was auch immer an inneren oder äußeren Faktoren diese Entwicklung beeinflusst. Noch wissen wir zu wenig über die Prägung und ihre Auswirkungen, wie über den Einfluss der Erbanlagen auf die Entwicklung des Charakters, hier eine sichere Aussage zu machen.
Zumindest hat sich infolge der künstlichen Befruchtung das Verständnis von Elternschaft und die Akzeptanz Homosexualität wie der gesellschaftliche Umgang damit stark zum positiven verändert. Dem entspricht auch die Gesetzgebung, die 2017 endlich den Weg für die Ehe für alle koalitionsübergreifend frei machte und damit auch eine neue Form der Legalität und Verwandtschaft schuf, die für Kinder aus diesen Beziehungen auch viele etwa erbrechtliche Vorteile mit sich bringt und es den Eltern erleichtert, die Kinder als gemeinsame anzunehmen.
Während es bei heterosexuellen Paaren eine Tendenz zur Auflockerung der alten Konstellationen durch neue offenere Varianten gibt, um auch verkrustete sexuelle Strukturen aufzubrechen und jeder auf seine Art, glücklich zu werden, neues zu probieren, was auch die alte Beziehung bereichern kann, aber über Jahrhunderte tabuisiert wurde, ist unter homosexuellen Paaren die Neigung zur traditionellen Ehe größer, die ihnen nun endlich geöffnet wurde.
Ob dies zu einer größeren Stabilität der Ehen beiträgt oder die traditionelle Familie gefährdet, kann noch nicht sicher gesagt werden. Zwar ist es seit Menschengedenken üblich, dass sich Partner auch außerhalb ihrer ehelichen Verbindung sexuell vergnügen, wobei es aufgrund der patrilinearen Strukturen und der davon geprägten Sexualität mehr Männer waren, die davon sprachen, weil Frau, auch der pater incerta Problematik wegen, sich da lieber bedeckt hielt und Männer im klassischen Rollenverständnis ihrer Gattin noch lange nicht gestatteten, was sie sich selbst erlaubten. Warum die Logik der Gleichverteilung von Männern und Frauen den Herren so lange nicht erschloss, dass wenn sie Geliebte haben, ihre Gatinnen es genauso tun, erschließt sich der kritischen Vernunft nicht, hängt aber vermutlich mit der christlichen Tabuisierung zusammen, die über lange Zeit das vernünftige Denken sehr in Mitleidenschaft zog, wie es der Islam in den entsprechenden Regionen bis heute tut. Doch ein offener Umgang damit, ist, sehen wir von der Tradition im Hochadel ab, der sich Mätressen hielt oder auf dem Land das ius prima noctis wahrnahm, seit der Zeit der römischen Republik oder spätestens seit der Christianisierung nicht mehr unbedingt üblich und könnte ein neues Verständnis von Partnerschaft herbeiführen, was sehr positive Effekte haben, zumindest mehr sexuelle Befriedigung erreichen könnte.
Spannend ist beim Blick in die Geschichte, das germanische Modell, von dem Tacitus berichtet, wie glaubwürdig dieses römische Ertüchtigungsbuch auch immer sein mag, der Haus- und Schlüsselherrschaft der Frauen, die mit ihren Kindern auf dem Hof lebten, den die Männer im Rahmen der 3 Felderwirtschaft alle drei Jahre wechseln mussten, womit sich die Vaterfrage nur teilweise und bedingt stellte und auch die der sexuellen Abwechslung durch Partnerwechsel, der formal angeordnet war, erledigt wurde. Fraglich bliebe bei einem solchen Modell natürlich, wie mit dem auch unabhängig vom gesellschaftlich gewünschten Verhalten entstehenden Gefühlen umzugehen, welche Rolle die Liebe dabei noch spielte und wer welche Aufgabe im Elternverhältnis wahrnahm. Zwar werden sie dreiviertel des Jahres mit Ackerbau und Jagd genug beschäftigt gewesen sein, doch gab es auch lange dunkle Wintermonate, in denen sich viel miteinander beschäftigt werden musste und es ist anzunehmen, dass die Hüterinnen der Häuser hierbei die Tendenz bestimmt haben werden, woran sich, wären die Männer ehrlich, nie wirklich etwas geändert hat, denn vermutlich hat sich im Verhältnis der Menschen untereinander nie grundlegendes verändert und dürfte das Sozialverhalten von der Sexualität bis zur Kindererziehung nur in Nuancen variiert haben bis in die Gegenwart. Was uns über Gefühle und Leidenschaften aus frühesten schriftlichen Quellen berichtet wird, unterscheidet sich in nichts von dem, was wir bis heute tun und empfinden.
Auch wenn wir gerne meinen in der absoluten Neuzeit zu leben, mit dem Computer gleichsam das Rad neu erfunden zu haben, was auch nicht völlig falsch ist, weil wir über das Netz auch immobil überall sein können, Reisen sich erledigt hat, manche nur noch etwas brauchen, es zu merken, hat sich das Wesen des Menschen, seine sozialen und sexuellen Neigungen seit der Steinzeit nicht wirklich verändert, allein die Formen des Zusammenlebens haben sich immer wieder graduell verändert. Möglicherweise kommt nach knapp zweitausend Jahren christlicher Prägung im patriarchalen und patrilinearen System nur eine Rückkehr zu Modellen, wie sie unsere Vorfahren vor der römischen Kultivierung schon lebten und die vielleicht für weniger dauernde Unzufriedenheit sorgten. Es zeigt sich aber auch an diesem Modell, das Elternschaft unterschiedlich gedacht werden und Familie verschiedene Zusammensetzungen haben kann aber dennoch funktioniert, nicht nur ein Modell den Weg zum Glück bietet.
Die künstliche Befruchtung hat so die Familien für die Homosexuellen geöffnet, dem folgte der Gesetzgeber mit der endlich vollständigen Gleichstellung und gleichzeitig beginnt mit der Auflösung der klassischen Strukturen von Familie ein neues Verständnis auch der heterosexuellen Ehe zu wachsen, weil nicht einfach eine Form richtig und seligmachend ist. Es wird spannend, wie lange wir noch brauchen werden, um auf eine Art miteinander zu leben, die alle Beteiligten in der Familie glücklich machen kann und was an neueren oder älteren Modellen dabei übrig bleibt in einer noch ungewissen Zukunft der Familie und der Elternschaft.
jens tuengerthal 6.8.20
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