Dienstag, 8. September 2020

Muttertechnik

Wird die Mutter technisch ersetzbar?

Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit durch künstliche Befruchtung und der künstlichen Herstellung von Keimzellen, wird die Mutter technisch ersetzbar, sobald es gelingt, Kinder außerhalb der Fruchtblase, im Labor heranwachsen zu lassen, was wir bei Tieren längst schaffen. Dann können auch homosexuelle Paare ohne Einschaltung Dritter eigene Kinder bekommen, indem aus den Zellen des einen eine Samen- oder Eizelle hergestellt, je nachdem, was fehlt und Befruchtung, wie heute schon möglich, wie Reifung, was noch nicht gewagt wurde, im Labor durchzuführen.

Damit könnten Frauen langfristig von der Lebensgefahr der Schwangerschaft befreit werden und das Geschlechtsleben würde überflüssig oder diente nur noch dem Vergnügen, wie es in Zeiten des Online-Dating langsam Gestalt annimmt, wo der sexuelle Austausch und die jeweilige Verfügbarkeit immer möglich ist, nicht mehr durch zyklische Abläufe der Natur behindert werden müsste. Viele Frauen, die ihre Regel als Belastung empfinden oder die in einer Schwangerschaft sehr litten, würden diese Möglichkeit als Erleichterung empfinden.

Dann könnten junge Menschen eine bestimmte Menge Eizellen oder Spermien einfrieren lassen, um die Erzeugung von Kindern auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, wie es die Unternehmen Facebook und Apple schon ihren Mitarbeiterinnen angeboten und finanziert haben, um nicht durch die lästige Unterbrechung einer Schwangerschaft oder die Aufzucht von Kindern in ihrer Karriere gestört zu werden, was sicher einen Beitrag zur Gleichberechtigung leisten würde und die Chance der Frauen erhöhte, schneller in Führungspositionen ihrer Qualifikation entsprechend zu gelangen.

Inwieweit dies psychisch schadete, wäre eine andere Frage, doch auch bei schon im Labor erzeugten Kindern sind dadurch keine auffälligen psychischen Schäden bekannt geworden und die Aufzucht im Labor böte gewiss größere Sicherheit und die optimalen Bedingungen für Kinder.

Längst ist der Handel mit Ei- oder Samenzellen von Leistungsträgern wie Frauen mit Abschlüssen einer der Ivy-League Universitäten in den USA zu einem guten Geschäft geworden, so können diese jungen meist weißen Frauen, bis zu 50.000 Dollar für eine ihrer Eizellen erhalten und damit auch gut ihr Studium finanzieren. Männliche Spermien sind dagegen deutlich weniger wert, was den Bedingungen des Marktes entspricht, da diese jederzeit leicht produzierbar sind, während eine Frau für gewöhnlich nur eine Eizelle im Monat bildet. So sorgt der Markt der künstlichen Befruchtung zwar für eine faktische Ungleichheit und eine bevorzugte Stellung der Frauen, die jedoch, im Sinne ausgleichender Gerechtigkeit nach Jahrhunderten der Benachteiligung, als verschmerzbar angesehen werden kann. Als Eizellenspenderinnen sind auch Frauen geeignet, die noch nie sexuellen Verkehr hatten. Es ist mir bisher nicht bekannt, ob deren Zellen im Sinne der Exklusivität noch höhere Preise am Markt erzielen, Frauen also bewusst mit ihrer Jungfräulichkeit, diesem atavistischen überholten Gut und Gerücht, Handel betreiben könnten. Auch das scheint im Sinne einer ausgleichenden Gerechtigkeit ethisch verantwortbar.

Seit auch die Transplantation einer Placenta mit anschließender Schwangerschaft möglich ist, der erste Fall glückte vor Jahren in Schweden, könnten sich Frauen, so lange sie es wollen, von den lästigen Bedingungen ihres Zyklus befreien, also auf die Abstoßung der Gebärmutterschleimhaut so lange verzichten, bis sie eine eigene Gebärmutter brauchen und sich diese dann passend einsetzen lassen oder aus eigenem Zellgewebe züchten lassen, was bei Tierversuchen bereits gelungen ist.

Ob diese technische Zukunftsvision, die Mütter im natürlichen Sinne überflüssig machte bei der Erzeugung von Kindern ein Horror wäre oder ein großer Schritt auf dem Weg zur Emanzipation und Gleichberechtigung, wird sicher noch lange gestritten werden, wobei beide Seiten Argumente für sich haben. Schlagend bleibt aber, dass im Sinne der Gleichberechtigung nicht mehr verlangt werden kann, dass Frauen ihr Leben für Kinder gefährden und jede Schwangerschaft ist eine Lebensgefährdung, wie einen großen Teil ihres Lebens durch hormonelle Beeinträchtigung benachteiligen lassen müssten.

Wie weit diese Zukunftsvision zu einer Überwindung der geschlechtlichen Unterschiede auch in Kleidung und Leben führen wird, ist eine soziologisch spannende Frage, die teilweise schon ihren Ausdruck im einheitlichen Look vieler junger Menschen in den Großstädten findet. Zwar gibt es dabei immer noch Ausbruchsmöglichkeiten je nach Neigung, aber es ist davon auszugehen, dass wir uns weiter von der klassischen Unterscheidung nach dem Geschlecht entfernen werden. Unklar ist dabei noch, inwieweit uns diese Entwicklung stärker zu unserer Natur führt oder von ihr entfernt. 

Vermutlich muss auch dabei im Einzelfall stärker unterschieden werden. Ob sich ein junger Mensch lieber als Mann oder als Frau kleidet und zeigt, wird dann eine Frage des Geschmacks und der persönlichen Neigung sein, die sich auch wieder beliebig ändern kann, was zumindest die Freiheit der Einzelnen erhöhte und die Gefahr der Diskriminierung verhinderte, wenn der Wechsel der Identität, die früher geschlechtlich war, duch bloßen Geschmack und Laune ersetzt würde.

Zwar blieben nach der Natur die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale erhalten, doch auch daran ließe sich wohl hormonell einiges ausgleichen. Unklar nur, ob diese Vision mehr Menschen glücklich machte oder zunehmende Verwirrung hinsichtlich der eigenen Identität stiftete.

Spannend wird, wie die klassische Mutterrolle dann von wem unter welchen Bedingungen wahrgenommen wird. Nach allem, was bisher durch Studien bekannt ist, fehlt Kindern, die in homosexuellen Familien aufwachsen nichts und sie leiden nicht mehr an psychischen Mangelerscheinungen als Kinder aus heterosexuellen Familien. Im Gegenteil findet sich dort eher ein höherer Anteil an gut ausgebildeten und sozial starken Familien.

Sofern die künstliche Erzeugung auch dabei helfen kann, genetische Defekte auszugleichen und Krankheiten zu verhindern, hätte sie auch einen gesundheitspolitischen Vorteil, der auf lange Sicht der Gesellschaft hohe Kosten ersparte. Inwiefern die Aufzucht unter optimalen Bedingungen im Labor nicht entscheidende Vorteile gegenüber dem immer riskanten natürlichen Weg hätte, um den Kindern optimale Chancen für den bestmöglichen Start ins Leben zu geben, wird eine für die weitere Entwicklung wichtige Frage.

Eltern wollen das bestmögliche für ihre Kinder, was eine natürliche Neigung zu sein scheint und insofern dies unter Laborbedingungen viel eher möglich wäre als im bloß realen Leben, spräche viel dafür die natürliche Schwangerschaft bald aufzugeben, den Frauen die damit verbundenen Beeinträchtigungen zu ersparen, allen Beteiligten damit ein besseres Leben zu ermögliche.

Ob es dann irgendwann ein staatliches Interesse gibt auch die weitere Aufzucht der Staatsbürger unter optimalen technischen Bedingungen zu ermöglichen, also auch die sozialen Eltern langfristig technisch zu ersetzen, ist eine andere Frage, über die wir noch zu wenig wissen, sie ernsthaft zu erwägen, doch insofern im Bereich der künstlichen Fortpflanzung die Realität immer wieder die gesellschaftliche Entwicklung überholte, sollte hier nichts ausgeschlossen werden, was zu einer Elitenaufzucht im Elfenbeinturm führen könnte, die aber die Gefahr von Ausreißern, wie etwa im Fall Trump, der hauptsächlich mit seiner Selbstüberschätzung auftrumpfen könnte, deutlich verringerte und auch die Zahl derer, die auf solche Populisten hereinfallen, durch verbesserte Bildung und Intelligenz verringerte, warum es im Sinne der Demokratie wünschenswert sein könnte, viele künftige Konflikte verhinderte.

Klingt das nach einer Horrorvision einer technisierten Zukunft, die den Menschen von seiner Natur entfernt oder ist es eine riesige Chance für viele Menschen, die ohne körperliche Risiken ihrer Neigung entsprechend leben könnten?

Wollen wir in einer so optimierten Gesellschaft leben oder tun wir es längst und wagen es nur selten, die Konsequenzen unseres Handelns zu Ende zu denken?

Habe keine sichere Antwort, beobachte nur interessiert, wie sich nach der klassischen Vaterrolle auch die Aufgabe der Mutter bald technisch erledigen könnte und frage mich, ob diese Chance denjenigen Menschen genommen werden darf, die es sich wünschen, nur um eine Natur hochzuhalten, die eben manchmal auch nur suboptimal funktioniert, woraus die Frage resultiert, ob irgendwer Menschen zwingen kann unter schlechteren Bedingungen zu leben, als es möglich wäre, nur weil uns das Neue noch ungewohnt und seltsam erscheint, nicht das Risiko schwerer Krankheiten, unter denen Menschen leiden, zu verringern, wenn wir es können und ob es überhaupt eine Grenze des möglichen geben muss oder Grenzen immer nur dazu da sind, überwunden zu werden auch bei der klassischen Mutterrolle.

jens tuengerthal 8.9.20

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