Sonntag, 6. September 2020

Sexkultur

Ist Sex Ausdruck von Natur oder Zeichen der Kultur?

Der Vollzug der Ehe geschieht durch den Beischlaf, regelte das bürgerliche Gesetzbuch, nach dem früher auf Vollzug geklagt werden konnte, aber keine Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher durchsetzbar war, die fortgesetzte Verweigerung war jedoch ein Scheidungsgrund. Auch aufgrund dieser alten Rechtssicht, wehrten sich manche gegen die Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand, weil dies der Natur der Ehe, als auf Fortpflanzung gerichtete Gemeinschaft, widersprechen würde.

Dies hat sich glücklicherweise inzwischen geändert. Die Vergewaltigung in der Ehe, deren Opfer meist Frauen waren, ist strafbar. Auf Vollzug der Ehe kann nicht mehr geklagt werden und die Scheidung braucht keine Gründe mehr.

Nicht geändert hat sich der Streit über die Natur, auch wenn er sich deutlich gewandelt hat, das Bewusstsein für Recht und Unrecht ein anderes wurde. Während Ende der siebziger noch viele Menschen meinten, Homosexualität sei eine Frage der Erziehung, warum deren Einfluss zurückgedrängt werden müsse, gehen die allermeisten Menschen heute davon aus, dass es eben ein Teil der Natur dieser Menschen ist und nichts abartiges oder krankes wäre, wie lange im konservativen und religiösen Bereich geäußert wurde. Einzig im sehr konservativen, religiösen Bereich fällt noch gelegentlich die Äußerung, Homosexualität sei unnatürlich, was sich schon an der Art des Geschlechtsverkehrs zeige, von dem die wenigsten wirklich Ahnung haben.

Diese Sichtweise fand lange auch im Strafrecht über § 175 StGB seinen Niederschlag, der inzwischen aufgehoben wurde. Nach wie vor wird in religiös geprägten oder autoritären Staaten Homosexualität verfolgt und Menschen dafür diskriminiert. Dies geschieht meist mit dem Argument, es sei unnatürlich oder krank, müsse behandelt und bestraft werden. Besonders islamische Länder tun sich dabei mit Sanktionen bis zur Todesstrafe hervor. In den westlich geprägten Gesellschaften gilt Homosexualität heute mehrheitlich als eine schlichte Neigung nach der jeweiligen Natur, die nicht gegen die guten Sitten verstieße.

Berlin war hier, schon mit einer relativ toleranten Politik im Kaiserreich, auch wenn die Harden-Eulenburg-Affäre vom Gegenteil und alten Vorurteilen zeugte, ein Vorreiter und wurde es in der Weimarer Republik noch mehr. Dazu trugen auch die Forschungen eines Magnus Hirschfeld bei, der als Arzt und Sexualwissenschaftler auf diesem Gebiet forschte und Mitbegründer der ersten Homosexuellen Bewegung wurde. Sein Motto, per scientiam ad iustitiam, durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit, könnte bis heute große Bedeutung haben und sollte den vernünftigen Umgang mit den jeweiligen sexuellen Neigungen prägen. Er lebte in der Zeit des Nationalsozialismus im Schweizer und französischen Exil, die Bücher aus der Bibliothek seines Berliner Instituts wurden von den Nationalsozialisten verbrannt und er geschmäht. Er war schon nach einer Vortragsreise in die USA 1931 nach ausdrücklichen Warnungen, er war bereits 1921 von völkischen Rowdys angegriffen und schwer verletzt worden, nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt und lebte im Exil mit seinen beiden Geliebten in einer Ménages à trois und verstarb 1935 in Nizza. Ob er selbst Transvestit war, weil er im einschlägigen Berliner Eldorado verkehrte und dort Tante Magnesia genannt wurde, bleibt unklar - es könnte auch ein typischer Fehlschluss seiner Gegner aufgrund einer seiner Publikationen zum Thema sein.

In den immer noch teilweise evangelikal und konservativ religiös geprägten USA hat diese totalitäre Weltsicht in einigen Staaten auch Einfluss auf die Gesetzgebung. So ist in einigen Bundesstaaten der Analverkehr eine Straftat, egal ob unter homosexuellen oder heterosexuellen Paaren, weil er gegen die Gebote der Schrift verstieße und unnatürlich wäre. Wie sich solche sektenartigen Anschauungen mit einer freiheitlichen Demokratie vereinbaren lassen, bleibt unklar. Allerdings wurde die homosexuelle Ehe bereits im Jahr 2015 in den USA per Bundesgesetz zugelassen. Vorreiter für die Rechte der Schwulen waren immer Kalifornien und New York, wo auch der große Umzug für deren Rechte nach dem Aufstand in der Christopher Street seinen Anfang nahm, der inzwischen weltweit verbreitet ist und als CSD abgekürzt auch in Deutschland zahlreiche Ableger vor allem in Berlin und Köln gefunden hat.

Die Bestrafung des Analverkehrs zeugt von der durch christliche Dogmatik geprägten patrilinearen Anschauung der Sexualität, die auch die Mehrheit der Frauen mitbestraft und ihnen, vergleichbar der im afrikanisch-arabischen Raum verbreiteten Klitorektomie, die Chance zur Freude am Sex nimmt. Wie die Forschung der Neurologie vor einigen Jahren bestätigte, ist der weibliche Nervus Pudendus, bei über 95% der Frauen nur anal stimulierbar, warum diese Art des Geschlechtsverkehrs eigentlich die natürliche wäre, ginge es darum im Bereich der Sexualität Befriedigung zu finden.

Die auch aus den USA stammende Erfindung de G-Punktes trug dazu bei, dass sich viele Frauen, die durch den Verlauf des Nervs intravaginal nicht stimulierbar waren, schlecht fühlten, ihre sexuelle Befriedigung sich auf klitorale Stimulation beschränkte, ein Höhepunkt beim Geschlechtsverkehr für sie die große Ausnahme war und die sexuelle Revolution nichts zu ihrer Befreiung tat, sondern sie nur weiter verunsicherte. Dabei ist die Forschung dazu schon bald 300 Jahre alt, als Madame Pompadour, die Geliebte Ludwigs XVI. und große Aufklärerin eine Studie in Auftrag gab, die erforschen sollte, ob die Fähigkeit der Frauen zum vaginalen Orgasmus mit dem Abstand von Klitoris und Scheideneingang zusammenhinge. Sie kannte dies aus eigener Erfahrung und wollte wissen, wie vielen Frauen es so ginge und ihre Studie ergab schon, dass es ein sehr großer Teil war.

Zwar lag sie mit ihrer Annahme falsch, dass es am Abstand von Klitoris und Scheideneingang lag, entscheidend ist vielmehr der Verlauf des Nervs hinter der Klitoris, der eben bei einigen wenigen Frauen natürlich die obere Scheidenwand berührt, an jener Stelle, die für den G-Punkt lange gehalten wurde, den es nicht gibt, bei den meisten aber höher verläuft und nur durch den anus innerlich stimulierbar ist was aber durch jahrhundertelange christliche Sexualmoral verpönt war und als schmutzig galt. Sexualität für Frauen sollte nicht der Lust dienen, sondern der Zeugung von Nachkommen. Frauen die natürlich Lust empfanden, galten als verdächtig und schon in frühen biblischen Texten, die später unterschlagen wurde ist das Gegenbeispiel der Lilith, Adams erster Frau genannt, die dann durch das mehrheitliche Eva-Modell verdrängt wurde, mit der sich viele Frauen identifizieren konnten, weil die natürliche Stimulation, die den Männern ihre überlegene Potenz demonstrieren könnte, in den patriarchal strukturierten Gesellschaften verpönt war.

Frauen können, bei der ihrer natürlichen Sexualität entsprechenden Stimulation häufiger  als Männer und haben den wesentlich größeren Schwellkörper als Männer mit ihrem Glied, nur verläuft dieses Sexualorgan um den nervus pudendus eben innerlich und konnte darum die letzten 2000 Jahre erfolgreich geleugnet werden, um allein der männlichen Sexualität, die zur Fortpflanzung nötig war, eine Priorität einzuräumen, die weibliche aber, die deren körperliche Überlegenheit auf sexuellem Gebiet offenbart hätte, vollständig zu ignorieren und negieren und nur ein kleiner Prozentsatz von Frauen konnten so Befriedigung beim Sex erlangen, während der Rest schauspielerte, ertrug oder andere Prioritäten setzte. Der Satz, ich genieße es, begehrt zu werden oder Nähe ist ist mir wichtiger, ist dafür typisch.

So hat die christliche Kultur über Jahrhunderte die Sexualität aus männlich schlichter Sicht dominiert und dem größeren Teil der Menschen die Chance zum gemeinsamen Genuss geraubt, nach dem die Natur uns streben ließe, wäre sie nicht dogmatisch mit Tabus kulturell überformt. Dies hatte für viele ein unbefriedigendes Ergebnis, was auch an einer mangelnden Kommunikation liegt.

Viel mehr Frauen könnten auch vaginal Befriedigung erlangen, hätten zumindest die Chance dazu, sofern der Nerv vor dem Sex infolge ausreichender Stimulation, die geistig oder körperlich erfolgen kann, je nach Neigung und Situation, bereits angeschwollen wäre. Darum ist das Vorspiel so wichtig, zumindest einem Teil eine höhere Chance auf Lustempfinden beim Verkehr zu geben. 

Natürlich und erfolgreicher wäre der vorsichtige und sorgsame Analverkehr, der auch ein sicheres Verhütungsmittel für die fruchtbaren Tage wäre, was die schädliche Hormongabe durch die Pille und andere Eingriffe entbehrlich machte. Dabei könnte jede Frau stimuliert werden, sogar solche, die noch den grausamen atavistischen Brauch der Klitorektomie erlitten, wie Wissenschaft und Erfahrung bestätigen können.

Jedoch ist es der Kultur gelungen, diesen Bereich zu tabuisieren und sorgloser und wenig feinfühliger Umgang damit, hat dies anerzogene Abneigung bei vielen Frauen verstärkt. So kommt ein großer Teil der Paare um die Chance jemals eine erfüllende Sexualität gemeinsam kennenzulernen und Millionen von Frauen ertragen das seit Jahrtausenden, weil die Sexualität schon lange von der Kultur destruktiv dominiert wurde.

Das natürliche Streben nach Befriedigung ist bei allen Menschen vorhanden. Allerdings wird es durch Erziehung, Religion und Gesetze teilweise in Grenzen gestellt, die dies für den größeren Teil der Frauen relativ unmöglich macht, ihnen die gemeinsame Befriedigung verwehrt und sie über Generationen lernten, dass ihre Befriedigung keine Rolle spielt beim Sex.

Kenne auch weibliche Mitglieder der für ihre freie Sexualität berühmten Kommune 1, die mir im Gespräch gestanden, der tolle freie Sex, wäre gar nicht so toll gewesen, sondern eine Sache der Typen und um ihre Befriedigung als Frau, sei es dabei nur theoretisch gegangen, sie wären noch nie beim Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt gekommen. Diese Erzählung habe ich inzwischen von so zahlreichen Frauen gehört, das sie das Zahlenverhältnis der Neurologe, von 95 zu 5 bestätigen können. Dennoch spielen viele Frauen beim Sex großartige Höhepunkte vor, die sie real nie erleben konnten, um auch in heutiger Zeit noch als gut und sexy zu gelten, was in unserer Kultur eine neue Anforderung an die Frauen ist, die mit der vorgeblichen Entdeckung des G-Punktes und seltsamen Büchern wie, jede Frau kann kommen, zum Dogma wurden.

Fragte ich nach, warum sie denn stöhnten oder Sex mit solch großer Anspannung betrieben, wenn sie doch keine Befriedigung dabei fanden, hörte ich immer wieder, dass die Typen das doch erwarteten, es schneller vorbei sei, wenn sie ein wenig stöhnten und spielten und das gehöre dazu und sei eben der Preis der Liebe wie der Sehnsucht nach Liebe. Auch hier zeigt sich wieder ein kulturelles Verhalten, was den natürlichen Bereich der Sexualität dominiert.

Noch komplexer wird es beim Blick auf die verschiedenen Neigungen dabei, ob es nun SM oder BDSM oder sonstige Varianten von Verkleidung und Spiel sind, zeigt sich bei diesen Bedürfnissen ein enger Zusammenhang von kultureller Prägung und natürlicher Neigung, bei dem die genauen Wurzeln kaum mehr unterscheidbar sind. Manche Frau sagte mir schon, sie möge es gern natürlich und keine abstruse Sachen, auch wenn sie bei dem sogenannten vermeintlich natürlichen Sex noch nie Befriedigung gefunden haben. Sie waren sich aber sicher alles andere als das sie nicht befriedigende bekannte Programm unnatürlich zu finden und nicht zu wollen, ohne sich sicher zu sein, was zu ihrer Befriedigung beitragen würde oder wie diese gemeinsam erlangt werden könnte, was ja das Ziel aller Sexualität sein sollte, da wir uns ansonsten auch auf Onanie beschränken könnten. Doch das Dogma der Zeugung und die mit ihm verbundenen kulturellen Tabus sind vielfach stärker als die eigene natürliche sexuellen Neigungen.

So hatte ich einmal eine Geliebte, die dem Analverkehr gegennüber aversiv war, aus möglicherweise auch religiöser Prägung oder schlechter voriger Erfahrung, die ich aber mehrfach streichelnd anal befriedigt hatte, während ich dabei ihre Klitoris küsste, was zusammen besonders stark wirkte und sie reagierte anal mit heftigen Kontraktionen beim Höhepunkt, während vaginal nichts passierte. Dies legte ich ihr dar, sie blieb aber bei ihrer von Tabus geprägten Überzeugung und lehnte es weiterhin ab, so dass wir nie gemeinsame Lust fanden und sich das Thema irgendwann erledigte, weil es irgendwie unbefriedigend blieb.

Diese Verschränkung von Kultur und Natur zeigt sich gerade in dem, was wir unnatürlich finden oder für natürlich halten, auch wenn es nur das Produkt kultureller Dogmatik ist und nichts mit unserer Natur zu tun hat, zu der uns der offene Diskurs zum Thema aber wieder führen könnte, womit ein typisch kulturelles Produkt zu einem besseren Verständnis der eigenen Natur und dem lustvollen Umgang mit ihr führen könnte, was zeigt guter und schöner Sex kann aus unserr Natur kommen, wenn wir lernen dazu kultiviert und offen miteinander umzugehen.

jens tuengerthal 5.9.20#

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