Montag, 31. August 2020

Vaterbildwandel

Gibt es noch ein Vaterbild oder viele?

Das Vaterbild, mit dem ich noch in den siebzigern aufwuchs, hat sich völlig gewandelt. Während es in meiner Kindheit noch normal war, dass der Vater berufstätig war und die Mutter den Haushalt führte, sich meist um die Kinder kümmerte, die Väter diese Aufgabe wenn überhaupt am Abend oder am Wochenende übernahmen, auch wenn die Ausnahmen schon in meiner Kindheit begannen, wurden sie doch noch bestaunt, ist das heute ganz anders geworden.

Erinnere mich etwa, dass die Mutter meines damals besten Freundes, sich von ihrem Mann, auch einem Arzt, trennte, weil sie Medizin studieren wollte und ihm das nicht gefiel, was sicherlich eine verkürzte Wiedergabe ist, aber so ähnlich wurde es uns damals kommuniziert. Sie zog dann in eine WG, finanzierte sich ihr Studium selbst und in der Villa mit vielen Leuten, kam es mir immer etwas chaotisch vor. Es war ein ganz anderes Modell als das, was ich gewohnt war aber ihre Kinder sind alle sehr erfolgreich geworden nach gesellschaftlichen Maßstäben, was ich von mir nicht unbedingt behaupten kann aber das ist ein sehr weites Feld.

Bei mir war der Vater von morgens bis abends in der Klinik und arbeitete nach dem Dienst noch wissenschaftlich, um in seiner Karriere vorwärts zu kommen, irgendwann die Professur und den begehrten Chefarztposten zu bekommen. Unsere Mutter kümmerte sich um Haushalt, Kinder und alles übrige, hielt ihrem Mann den Rücken frei. Nebenbei organisierte sie irgendwann noch Frauengruppen, es waren eben die siebziger, engagierte sich immer sozial und bildete sich, soweit Zeit neben drei kleinen Kindern blieb, noch weiter.

Am Wochenende fuhr ich häufiger mit meinem Vater in den Wald zu langen Wanderungen, zum Hüttenbau oder um Fossilien zu suchen. Er übernahm allen schweren Aufgaben und war sich für nichts zu schade, schleppte bei Umzügen sogar mal die Waschmaschine alleine, worauf er mächtig stolz war und was zur Familiensaga wurde. Später kümmerte er sich um den Garten, auch dies mir geradezu Herkules-Kräften, die Bewunderung abrangen, mir aber auch irgendwie fremd waren. Warum jemand nach Stunden in der Klinik noch am Wochenende wie ein Berserker im Garten rackerte, hat sich mir nie erschlossen, wie mir die Freude an der Gartenarbeit immer eher fremd blieb, was daran gelegen haben könnte, dass ich ab meinem 11. Lebensjahr auch immer wieder mal im Garten helfen musste, bis mich genug Allergien davon irgendwann verschonten. 

Doch war das Bild klar, der Vater war der starke Mann, der alles konnte und diese Rolle auch mit Leidenschaft ausfüllte. Lange habe ich danach gestrebt auch so zu wirken, bis mir klar wurde, dass mich das nicht erfüllte und meine Begabung eher auf anderem Gebiet lag. Natürlich habe ich, wie mein Vater in seiner Jugend, einsame Wanderungen mit minimaler Ausrüstung auch im Winter gemacht, um mich zu beweisen und es meiner Familie zu zeigen. Das war ganz nett und nicht schlecht, es mal erlebt zu haben, genau wie meine kurze Pfadfinderzeit, die ich später als einsamer Waldläufer fortsetzte, doch fand ich es immer schon wesentlich reizvoller im Sessel beim Tee ein gutes Buch zu lesen, schöne Bilder anzuschauen oder mich an schönen Frauen in einem Café zu erfreuen, als in der wilden Natur zu leben, das tat ich nur, weil es ja von mir als Mann erwartet wurde.

Auch als ich Vater wurde, ging ich noch mit meiner Tochter und ihrer Mutter campen und hielt den erfahrenen Abenteurer hoch, der ich irgendwie war und als der ich vor meiner Tochter glänzen wollte, war aber andererseits in dieser Rolle eigentlich falsch. Glücklich war ich über die vielen Stunden, die ich ihr vorlas oder Geschichten erzählte. Es dauerte noch einige Jahre, bis ich mir eingestehen konnte, dass ich all dies Abenteurertum völlig albern fand und mich viel lieber geistigen Dinge widmete, am glücklichsten in meiner kleinen, langsam wachsenden Bibliothek war und nicht viel mehr brauchte.

Warum Menschen freiwillig in schaukelnde Segelboote steigen, wenn sie nicht müssen, wilde Fahrradtouren unternehmen, die ich natürlich auch einst gemacht habe, um dem Vorbild der Väter und Onkel zu genügen, wozu ich sogar meinen schwulen besten Freund noch nötigte, weil es angeblich so toll wäre, im Wald zu leben - wobei diese Tour zumindest kulinarisch sicher die beste aller Waldfahrten wurde, weil dieser eben auch ein begnadeter Koch und Genießer war, während ich noch die rauh männliche Fahrtenküche vertrat, wie sie dem alten Vorbild der Abenteurer entsprach, mit dem ich groß wurde, obwohl mein Vater durchaus exquisit zu kochen verstand, was mir in Jugendzeiten noch unmännlich vorkam.

Von all diesem Unsinn habe ich mich glücklicherweise befreit. Koche wenn nötig gerne und nicht ganz schlecht. Muss nicht auf irgendwelche kältesten Berge klettern oder abenteuerliche Touren mehr erleben, nicht weil ich selbst genug machte, sondern weil ich mir eingestand, was mir wichtig ist und was ich für verzichtbar halte, warum ich nicht unmännlich sein muss, wenn ich ein Stubenhocker, Leser und Dichter bin, sondern einfach ein anderes Bild vom Mann lebe, als es in meiner Kindheit anerkannt war.

Der Prozess der Wandlung verbunden mit Erkenntnis begann bei mir als ich Vater und Hausmann wurde, die gewohnt mütterliche Rolle in vielem übernehmen musste. Dies führte bei mir zunächst zu Abwehrreflexen etwa gegen das Putzen, was ich nur, wenn absolut notwendig mit großem Widerwillen durchführte, wenn auch wesentlich exzessiver als ich es je getan hätte, um den Anforderungen meiner Partnerin zu genügen, die eher jungfräulich streng waren. Fühlte mich beim Putzen schlecht und als Mann erniedrigt, was natürlich völlig albern ist, ich aber bis heute noch nicht völlig überwinden konnte, warum ich diese Tätigkeit nach Möglichkeit vermeide und lieber den vielen Bücherstaub großzügig übersehe.

Dies obwohl ich es gerne ordentlich und schön habe aber die gesellschaftliche Prägung war anscheinend stärker als Vernunft und das Bedürfnis, es schön und ordentlich zu haben. Um so mehr genoss ich es, wenn ich mit Frauen zusammen war, die dies gerne und mit Liebe taten. Konnte das auch voller Liebe bewundern und mich dankbar zeigen aber ich fühlte mich dennoch schlecht dabei.

Über die Rolle als Vater und Hausmann auf dem Spielplatz habe ich schon berichtet. Es war anfangs seltsam aber ich gewöhnte mich mit der Zeit daran und da ich die Gesellschaft von Frauen schon immer gerne mochte, wusste ich es auch zu genießen, wenn auch mit einem leicht schlechten Gewissen, weil es doch meine Aufgabe als Mann gewesen wäre, für den Unterhalt der Familie zu sorgen, was meine Partnerin aber besser konnte.

Es prallen momentan immer noch das traditionelle und das neue Vaterbild zusammen und versuchen nebeneinander zu existieren. Unter der Regierung Merkel hat sich sehr viel gewandelt im Selbstverständnis und es ist inzwischen auch in konservativen Familien normal Elternzeit als Mann zu nehmen, wie schon an anderer Stelle erzählt oder Hausmann zu werden, wie es mein Schwager für sich entschieden hat und womit beide wohl sehr gut leben. Auf der anderen Seite stehen reaktionäre Kräfte, die sich im Umfeld der AfD und in sehr konservativen Kreisen der CDU und CSU noch finden, die teilweise versuchen, das tradierte Bild, wieder hochzuhalten und alle Probleme der Gesellschaft auf die veränderten Rollen zurückzuführen.

Die Konflikte zwischen diesen verschiedenen Bildern vom Vater und seiner Rolle in der Familie haben teilweise ein durchaus aggressives Potenzial. Hier stehen sich konservative Migranten und deutsche Reaktionäre in vielem näher als sie ahnen. Dies gilt auch in deren Abneigung gegen andere etwa homosexuelle Lebensformen und sonstige Formen der Sexualität, die nicht dem gewohnten Durchschnitt entsprechen.

Doch hat sich das Bewusstsein in der Mehrheit der Bevölkerung hier wohl deutlich gewandelt. Nach jüngsten Umfragen im Rahmen der Gesetzesänderung befürworten über 85% der Deutschen die homosexuelle Ehe und deren Gleichberechtigung auch bei Adoption und künstlicher Befruchtung. Es ist wohl nur eine sehr kleine, leider laute Minderheit, die sich noch dagegen äußert.

Wie das Beispiel Russland und USA zeigen, ist es jedoch möglich, dass solche Randgruppen, wenn sie genug Lärm machen, eine Mehrheit erlangen können. Diese Menschen suchen die Konfrontation und Provokation wie das Beispiel Trump zeigt und wie auch der Umgang mit Homosexuellen in Russland immer wieder vorführt. Auch darum ist es wichtig, darüber offen zu reden und sich diesen abwegigen Positionen laut entgegenzustellen. Das Bild vom Vater hat sich seit meiner Kindheit gewandelt und gibt mehr Menschen die Chance, ihrer Art entsprechend zu leben und glücklich zu werden.

Fühle mich viel wohler damit, nicht mehr den Abenteurer zu spielen, nach dem Vorbild meines Vaters und meines Patenonkels, dem ich schon abwegigerweise in meinem Studienwunsch gefolgt bin. Aber ich habe über vierzig Jahre gebraucht, um mich aus der alten Rolle zu befreien und meinen Weg zu finden, auch weil von Männern ja erwartet wird, dass sie entschieden sind, tun, was nötig ist und ihrer Rolle entsprechen. Das bin ich weder noch und es ist gerade als Künstler ein lebenslanger Weg und ein ewiges Ringen, was es nicht einfacher macht aber zumindest wurde mir so zumindest irgendwann die Richtung klar und ich kann auch als Vater der Mann sein, der ich bin, was viele absurde Wege entbehrlich macht, die vorher schon gegangen wurden. Nur wo ich mich auf das konzentriere, was ich kann, werde ich in dem, was ich tue, gut sein und alles andere wird müßig. Wo ich das lebe, kann ich auch als Vater meinen Talenten entsprechend präsent sein und wirken, statt überall glänzen und der größte sein zu wollen, wie ich es noch von meinem Vater in Erinnerung hatte, was ihn vermutlich viel Kraft für seine sanften Seiten gekostet hat, von der Dichtung bis zur Malerei.

Denke, es ist gut, alte Bilder über Bord zu werfen und zu leben, was einem liegt. Klar weiß ich, wie ich im Wald ein Feuer machen und darauf kochen kann - aber ich muss es nicht mehr tun, um es mir oder anderen zu beweisen. Anzuerkennen, dass wir in einer Kultur und Zivilisation leben und es ein Verdienst sein kann, sich mit geistigen Dingen und Fragen mehr zu beschäftigen, als wie ein Steinzeitmensch in der Natur überleben zu spielen, war für mich ein wichtiger Schritt, um meine Rolle zu finden, mit der ich natürlich auch mal hadere und ringe, was mir ziemlich menschlich erscheint. Die verbleibende Zeit zu nutzen, das zu leben, was mir liegt und was ich kann, scheint mir auch für meine Rolle als Vater das wichtigste, weil wir nur das weitergeben können und in dem gut sind, was uns entspricht und wenn ich als Literat und Dichter in Erinnerung meiner Tochter bleibe, wäre mir das wichtiger als ein Abenteurer, Jäger oder Bauer zu sein.

Vielleicht könnten wir viele der gerade gesellschaftlichen Konflikte durch die lauten Randgruppen besser befrieden, wenn sich jeder mehr um das kümmerte, was ihm liegt und Freude macht, denn was wir mit Liebe tun, machen wir gut und damit tun wir uns und anderen besser aber das ist natürlich nur meine persönliche Ansicht, der nach einigen vorigen Versuchen als Abenteurer und Waldläufer festgestellt hat, wie glücklich ich mit Büchern und Geschichten bin und das ich am besten in dem bin, was mich glücklich macht und ich nicht mehr wie ein Ritter Turniere fechten muss, sondern mich auf die Rolle als Minnesänger bescheiden kann, die mir mehr liegt. Auch als solcher ein guter Vater sein zu können und weg von Erwartungen zu kommen, könnte das beste Vaterbild bringen.

jens tuengerthal 31.8.20

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