Montag, 17. August 2020

Absolutismusmist

Kann die Liebe absolut sein?

Der kluge Einstein lehrte uns für die Physik, dass alles relativ ist und diese Weisheit wurde gern auf das Leben übertragen. Ob etwas fest und unvergänglich ist oder nur eine Form von Energie, hängt auch von der Beschleunigung der Masse ab, kurz gesagt, E=mc².

War immer auf der Suche nach der großen Liebe und dachte schon das eine oder andere mal, ich hätte sie gefunden, die ewige Suche und der stete Wechsel hätte ein Ende, ich wäre angekommen und alles könnte bleiben, wie es ist. Wiederholt versprachen wir uns das auch, wie Verliebte es so gerne tun und ich war trotz der Wiederholung eigentlich immer davon überzeugt, es könne nun für immer so bleiben.

Trotz tiefster emotionaler Überzeugung, die mich sogar mein Leben für die Liebe hätte geben lassen, weil dem Absolutismus eben jede Relativierung fehlt, hielt es nie für immer sondern nur eine relativ lange oder kurze Zeit.

Wäre ich klug, lernte ich daraus, nicht mehr auf die absolute Liebe zu hoffen, weil sie nur enttäuschen kann und dafür die relative mehr zu genießen, wie ich es gerade tue. Dennoch bleibt im Hinterkopf, das aller menschlichen Erfahrung widersprechende Ideal der absoluten Liebe, wie ich es schon gelegentlich empfand und wie ich es gern den Rest meines Lebens leben würde, obwohl ich weiß, eigentlich ist aller Absolutismus Mist, entspricht nicht den vielen Schattierungen des Lebens, in denen nichts immer gut ist und das Absolute sich meist als absolute Katastrophe erweist, die alles erfasst und das Denken lähmt.

Vernünftig wäre, einen guten Kompromiss zu suchen, damit zufrieden zu sein, statt auf ein Ideal zu hoffen, was es nicht gibt, weil nichts absolut ist, sondern immer von vielen Umständen abhängt, die wir nie alle überblicken können. Was funktioniert, ist gut und allem mangelt es an irgendwas, weil nichts vollkommen ist, außer unserer Phantasie, die jene Hoffnung und Erwartung erfand, die ewig weitersuchen lässt aber eigentlich nur unglücklich macht, weil nichts ewig ist und wir nur Glück haben können, wenn das Leben unter Fortdauer der Liebe endet, was aber für den, der übrig bleibt, meist eher ein noch größeres Unglück ist.

Frage mich also, woher resultiert diese Sehnsucht nach dem Paradies der Liebe, die für immer hält und in der alles gut ist?

Mit dem Bild vom Paradies, habe ich eigentlich schon die Antwort angedeutet, fällt mir dabei gerade auf. Es ist das religiöse Ideal vom Paradies, in dem alles vollkommen und glücklich ist, was uns danach streben lässt. Jene Sage, welche die Juden im babylonischen Exil erfanden, um in ihrer erstmals aufgeschriebenen Religion einen Gegenentwurf zum Gilgamesch-Epos zu bringen, der ihre Leute bei der Stange hielt und besser schien, weil es ja als vollkommene Harmonie beschrieben wird.

Während im Gilgamesch Epos Herikat durch Rasur seines Pelzes und Wochen bei einer Hure, die ihn in der Kunst von Liebe und Lust unterrichten soll, welche die Babylonier fein unterschieden, zum Menschen wird, also einen vernünftigen Weg zur Zivilisation durch Bildung und Kultivierung geht, wird der vom allmächtigen jüdischen Gott in eine vollkommene Welt gesetzte Mensch im jüdischen Mythos, der auch die christliche wie die islamische Welt entscheidend prägte, aus dem Paradies vertrieben, weil er vom Baum der Erkenntnis aß, sich also das ethisch nötige Bewusstsein von gut und böse verschaffte.

Wen wundert es da noch, dass wir Kinder dieser vom alten jüdischen Mythos, so schlecht und unsinnig er auch ist, geprägten Kultur noch vom Paradies träumen und es uns jenseits aller Vernunft lieber erhoffen, statt uns bewusst die Welt so schön wie möglich zu machen?

Dies obwohl uns klar sein könnte, es gäbe kein gutes Leben, ohne die Erkenntnis von gut und böse, wir dämmerten nur blöde im Paradies dahin, von der Gnade des gern ungnädigen und strafenden Gottes abhängig. Es kann also in der Welt keine Erfüllung ergeben, entweder wir geben unser Bewusstsein auf, um paradiesisch zu empfinden, was uns dann nicht mal gut erschiene, weil wir ja gut und böse nicht unterscheiden könnten oder wir finden uns damit ab, auf ewig Vertriebene zu sein und auf ein imaginäres Jenseits zu hoffen. Keine wirklich erfüllende Lebensaussicht für meinen Geschmack.

Warum es die monotheistischen Religionen mit ihren absurden Heilsversprechen dennoch geschafft haben, die Welt zu dominieren, habe ich bis heute nicht verstanden, auch wenn ich die politischen Zusammenhänge kenne, verstehe, warum diese Sekte den römischen Herrschern gut in den Kram passte, Mohamed als Sektengründer die Sage auch für sich nutzte und mit dem jenseitigen Heilsversprechen vielen Hoffnung schenkte, beides den lokalen Herrschern gut passte, viele Menschen Sehnsucht nach einer höheren Antwort oder einem Grund für ihr Sein haben, was einfach ist und erfüllt genannt werden kann, wenn wir es schaffen, es zu genießen.

Aber dies warum des Glaubens ist gerade nicht mein Thema, es war nur der kleine Ausflug, der zu erklären versuchte, warum wir dazu neigen, einem ungesunden Ideal der Liebe zu folgen, das nur unglücklich machen und schief gehen kann, weil nichts absolut und paradiesisch ist und wenn es das wäre, auch nach der alten Sage nur unter der Bedingung der Ahnungslosigkeit von gut und böse sein könnte.

Was will ich im Paradies, wenn ich dort gar nicht mehr wüsste, wie gut es mir geht?

Dann könnte ich das vermeintliche Glück nicht genießen, weil es bloß der Normalzustand wäre. Frage ich mich wie Sex im Paradies wäre, der nach der Natur auch immer aus der Spannung der Gegensätze besteht, bliebe auch ein enttäuschendes Ergebnis und so genieße ich lieber das mögliche hier, statt auf anderes jenseitiges zu hoffen oder mir Götter zu erfinden und dabei könnte es mir eigentlich gut gehen, wäre da nicht dieser idiotische Traum von der großen Liebe, die nie endet und für immer bleibt.

Als Staatsform hat der Absolutismus ausgedient und Politiker unserer Zeit, mit einer Neigung in diese Richtung von Trump über Putin bis Kim offenbaren meist über kurz oder lang ihr Scheitern, wie Deutschland es unter Hitler zuletzt erleben durfte. Am effektivsten und flexibelsten reagiert dauerhaft die offene Gesellschaft, die Mehrheiten demokratisch sucht, statt deren Prinzipien mit Tricks aushebeln zu wollen, die nur einen Schein wahren. Erfolgreich ist, wer Kompromisse und Verständigung sucht, sich vernünftig beraten lässt, statt seine Meinung für absolut zu halten, auch wenn sie, wie unter Corona in den USA gerade sichtbar, hunderttausende Menschenleben kostet.

Die Wirtschaft ist zu vernetzt und reagiert zu schnell auf unklare Situationen als das sich Staaten, die am Markt erfolgreich sein wollen, den Absolutismus noch auf Dauer leisten können, auch wenn China gerade einen anderen Eindruck macht, ist dies nur als ein Übergangsphänomen zu bewerten, was die Zeit korrigieren wird und im übrigen aber auch nicht Thema dieses Essays.

Die Sehnsucht nach absoluter Liebe, die völlig glücklich macht, ist dennoch tief in mir, auch wenn mir alle Argumente klar machen, es ist Unsinn und die Erfahrung bestätigt hat, umso absoluter eine Liebe gelebt wurde, desto unglücklicher machte sie im Ergebnis. Nie habe ich so lange gebraucht, das Leben wieder genießen zu können, wie nach der letzten großen Liebe, die alles versprach und vom Paradies der gegenseitigen Liebe schwärmte, die für sie alles und für immer wäre, für die sie ihr Leben geben wollte, was mich jede Relativierung, die alle Vernunft diktierte, aufgeben ließ und im Ergebnis logisch todunglücklich nur machen konnte.

All das weiß ich, habe ich oft genug durchdacht, kritisch abgewogen und verstanden. Weiß, wie gut es mir ohne den tödlichen Absolutismus geht und wie schön das relative Glück ist, was ich nach Möglichkeit genieße. Habe so gesehen alles und könnte zufrieden sein, wäre da nicht diese Sehnsucht, die nie Erfüllung finden kann und welche die von mir in so vielem verachtete Romantik erst so groß schrieb, von der ich mich als Aufklärer mit dem Verstand distanziere, die aber die Herrschaft über mein Gefühl noch nicht ganz aufgegeben hat.

Als Kantianer ist mir klar, wie unaufgeklärt und also unmündig dies absolute Gefühl ist, was nicht glücklich machen kann, sondern nur eine ewig ungestillte Sehnsucht wach hält, die logisch unfrei macht und wie habe ich mich unter dem Diktat der Launen dabei versklavt gehabt, im vermeintlichen Paradies friedlich leben zu können, um schließlich beim Einsatz der Vernunft daran zu scheitern, weil es kein realistisches Paradies geben kann, das vernünftige Kompromisse sucht, um so relativ glücklich wie möglich zu sein, sondern sogenannte große Liebe immer dramatisch und absolutistisch herrschen will, was zu einem freien Geist nie passt.

Kant hat nie geheiratet, hatte wohl ein Verhältnis mit seiner Haushälterin, doch darüber wird dezent geschwiegen, es spielt keine Rolle und er lebte seine Überzeugung in Freiheit konsequent. Denke er war dabei relativ glücklicher in Summa als diejenigen, die auf der steten Achterbahn großer Gefühle unterwegs sind, auf die ich auch für einen guten Kompromiss lieber verzichten würde, vernünftig betrachtet.

Frage mich nun, inwieweit die dennoch Sehnsucht Teil meiner Natur ist oder Resultat der Kultivierung mit der elenden Adam und Eva Geschichte, die inzwischen noch um Varianten von Romeo und Julia bereichert wurde, die aber ähnlich absolutistisch wie tödlich war, wird das Eis relativ dünn auf dem der Verstand noch steht.

Spüre mein Herz schmerzhaft schlagen bei dem Gedanken den Traum von großer Liebe endgültig zu beerdigen, um mit dem möglichen glücklich zu leben, aber höre zugleich den Verstand laut applaudieren und erleichtert seufzen. Ob das nun ganz natürlich ist, ich ein großer Liebender aus meinem Wesen heraus bin und bleiben möchte oder das nur ein Produkt meiner Prägungen und dem sozialen Traum von Familie ist, weiß ich nicht so genau zu sagen.

Vermutlich spielt beides eine Rolle. Betrachte ich mein ideales Bild von der Liebe, die eine gewollte Hingabe aneinander ist, sich gegenseitig gut will, erfordert dies absolute Freiheit und alles, was dem entgegenwirkt, kann nur schaden und sollte nicht weiter ernst genommen werden, ist eine Sklaverei des Aberglaubens, die wir endlich überwinden sollten, ich zumindest, wenn ich frei sein und glücklich leben und lieben will. Dann kann die Liebe zwar absolut sein aber ist, wenn sie es ist, im Ergebnis so ungesund wie jeder Absolutismus und sollte vergessen und überwunden werden, um frei zu sein. Sage es mir, lese es noch dreimal und vielleicht wirkt es irgendwann auf Dauer und der ungesunde Herzschlag der großen Sehnsucht hört auf, weil er nie gut tun kann, egal mit wem.

Nur so ein wenig Vorfreude und kleine Sehnsucht, im vernünftigen Ausmaß scheint mir langfristig tolerabel und ich bin gespannt, ob mein Herz so vernünftig ist, wie ich gerne wäre, um dauerhaft, glücklich zu leben. Der Absolutismus in der Liebe ist eine Krankheit, die zu häufig tödlich endet, als das er harmlos abgetan werden sollte. Es gibt nicht nur die eine, in Berlin gibt es viele wunderbare Frauen und wenn es mit einer zeitweise relativ schön und befriedigend für beide ist, wäre schon das Optimum erreicht und alles übrige fließt eben immer.

jens tuengerthal 17.8.20

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