Mit Martin Mosebach über die Aufklärung und ihre führenden Köpfe zu lesen, ist ein wenig wie mit dem abgedankten Papst über erotische Literatur zu debattieren. Da schreibt ein hochgebildeter Mann aus bestem bürgerlichem Haus, der genau darauf auch wert legt aber zugleich eben auch ein erzkatholischer Anhänger der lateinischen Messe und der Rückkehr hinter die Reformen des II. Vatikanum ist, der Antiaufklärer schechthin, der noch Nicolaz Goméz Davila traf und den konservativen kolumbianischen Aphoristiker sehr verehrt, der die Aufklärung als geistiges Grauen behandelt für seine Werte, als leichtfertige Bewegung, die nichts als Unruhe in die von Gott für ihn festgefügte Welt brachte.
Nun ein sprachlich so brillantes wie teuflisches Essay in dem Band Schöne Literatur gelesen über die Herausgabe der Briefe von Madame du Châtelet, der Geliebten Voltaires, die bei der Geburt des Kindes schließlich starb, dass ihr ein wesentlich jüngerer Liebhaber machte, den sie, wie Mosebach genüsslich zitiert, bis zum Wahnsinn liebte, ohne dass es diesen größer tangierte, da dieser, die von ihr auch im Titel dieser Ausgabe propagierte Kunst, etwas weniger zu lieben, wohl beherrschte, die den Liebenden die Kontrolle und die Macht lässt, die ansonsten so gerne völlig verloren geht.
Da ist die Châtelet ganz Dame ihrer Zeit und Kind der Aufklärung, verficht die Grundsätze ihres lange Geliebten Voltaire, der sie doch eines Tages verließ, die Übersetzerin Newtons, kluge Mathematikerin und Mitarbeiterin unter anderem d’Alemberts und Diderots an der Encyklopädie, auch wenn sie wie in ihren Briefen lesbar Mensch und an der Liebe leidend ist, hält sie noch prinzipiell die Grundsätze der Vernunft hoch und erkennt wie wenig Rettung die Liebe und der Wahnsinn bieten, auch wenn sie, allzumenschlich in ihren Briefen, diesem gelegentlich verfällt als hoch emotionaler Mensch.
Eine großartige vielfältige Frau der Zeit der Aufklärung, die jung unglücklich verheiratet, dennoch ihren eigenen Weg ging, nicht nur Geliebte Voltaires war, sondern dessen Denken entscheidend mit ihrer klaren naturwissenschaftlichen Weltsicht prägte, großen Geistern wie Holbach und Grimm nahe stand, mit der ganzen aufgeklärten Welt korrespondierte und dennoch nüchtern und gut rechnen konnte, Naturwissenschaftlerin war, die in ihren späten Liebesbriefen, der unglücklichen Verehrung des jungen Gigolo, sich aber als ganzer vielseitiger Mensch auch voller Gefühl und Leidenschaft jenseits aller Berechnung entpuppt, was Mosebach ihr etwas bösartig, aber für ihn vermutlich erwartungsgemäß, als einzig menschlich auslegt.
Mosebach ist klug und gebildet genug zu wissen, wo er in diesem 1999 in der FAZ erschienen Artikel, der eine Herausgabe der Briefe kommentiert, den Dolch ansetzt, die Aufklärung als absurd und unmenschlich, weltfern darzustellen und die Protagonistin in die leidende Frauenrolle zu drängen nach katholischem Muster, die eben ihrer Natur entspräche, nur weil sie zufällig bei der Geburt starb, auch wenn sie der Tod nicht interessierte, wie sie Lukrez und Epikur zitierend, also klar antikatholisch geschrieben hatte. Das scheint Mosebach unvorstellbar und da ist er ein schlichter Gefangener seiner beschränkten Glaubenswelt, der alles außer ihr nur lächerlich herabwürdigen kann, statt sich mit dem ganzen Menschen Madame du Châtelet auseinanderzusetzen, die so vielfältig wie klug war, bügelt er hier, eine große Aufklärerin nach katholischer Manier billig ab und nennt es nur menschlich, wo sie der Vernunft fern im Liebeswahn dem Geliebten schrieb, was ein so gerinschätziges Frauenbild offenbart, wie den Reaktionär und Feingeist in sehr ungünstigem Licht erscheinen lässt.
So sehr Mosebach für seinen feinen kritischen Blick auf die Literatur zu loben ist, etwa in dem Essay über Flaubert, den er fein beschreibt und schildert, so platt und durchsichtig agitatorisch wird er beim Bericht über eine große Aufklärerin, wollte ich dem klugen Frankfurter freundlich, würde ich sagen, war eben nicht sein Thema und es gibt keinen Grund, anders als freundlich zu sein, in der besten aller Welten - aber dieses Essay kann doch nur als Mahnung, wie es nicht gemacht werden sollte, empfohlen werden und wie ein reaktionärer Horizont versucht ein Frauenbild zu zementieren, wenn auch auf elegante Art, was nicht mehr in die Zeit passt und gegen das jeder emanzipierte Mensch protestieren muss.
jens tuengerthal 12.8.20
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