Samstag, 15. August 2020

Sexgefühl

Sex braucht keine Liebe, funktioniert auch ohne gut, manchmal sogar besser, weil dieses große und komplexe Gefühl, was so oft mit Erwartungen verbunden ist, im Zweifel vieles mit sich bringt, was beim Sex stören kann und den nötigen Egoismus eher behindert. Darüber schrieb ich schon in einem Essay und dazu möchte ich gar nicht viel sagen an dieser Stelle. Hatte schon ganz hervorragenden Sex ohne große Liebe, wenn auch den besten meist mit, weil Sex eben auf Dauer immer besser wird, Übung den Meister macht und dabei es langfristig miteinander zu tun und auszuhalten, hilft eben die Liebe. Allerdings ist die Gewohnheit auch der größte Feind der Erotik und die schleicht sich in Partnerschaften zu gerne ein, wobei dann Lust durch Liebe ersetzt wird und keiner mehr zufrieden ist. Warum beim egoistischen Streben nach Befriedigung die altruistische Liebe, die dem Partner sich schenken möchte, im Weg stehen kann, kennt wer jemals liebte und damit an seine körperlichen Grenzen stieß. Habe diese Erfahrung mit proportional zur Größe der Empfindung gegenläufig abnehmenden Potenz kennengelernt und habe lange gebraucht, es zu verstehen und dagegen wirken zu können. Es ist vermutlich völlig normal und leichter lässt sich damit umgehen, würde ich nach meiner geringen Erfahrung vermuten, wenn die Partner offen darüber reden.

Wie wichtig beim Sex die Kenntnis der Anatomie ist, besonders der wesentlich komplexeren weiblichen, habe ich auch bereits an anderer Stelle zum nervus pudendus, dem innen liegenden Schlüssel zur weiblichen Sexualität, dessen Schwellkörper und dessen Potenz jeden Mann blass aussehen lässt, ausführlich beschrieben, auch dazu an dieser Stelle kein weiteres Wort. Wobei ich die Beschäftigung mit diesem genialen Nerv, seinem Verlauf und seinen Fähigkeiten für enorm wichtig zum technischen Verständnis des Sex halte, wie er funktioniert und warum manches anatomisch wichtig ist, was Männer fälschlich mit ihrer schlichten anatomischen Konstruktion für emotionalen Kitsch halten, um dieses geniale Nervenbündel seine volle Lust und Fähigkeit entfalten zu lassen.

Doch mit diesem letzten Satz bin ich ganz unauffällig beim Thema dieses Essays gelandet, dem richtigen Gefühl beim Sex, was den guten Liebhaber vom schlichten Mechaniker unterscheidet, der Knöpfchen drückt und auf das entsprechende Ergebnis hofft, was sich dann aber selten so einstellt, weil beziehungslose sexuelle Akte eben gefühllose Mechanik sind, ihnen das Moment der Zugewandtheit fehlt, die das Vertrauen bringt, was eine Öffnung ermöglicht, die im Beben ihre höchste Erfüllung am Ende zeigt.

Könnte auch, nachdem ich mit mehr als einer Frau Sex in den letzten 40 Jahren hatte, nicht sicher sagen, was der entscheidende Punkt ist, auf den es ankommt, eine Frau sexuell zu erregen. Würde eher sagen, es ist nahezu bei jeder anders und dazu noch reagieren alle unterschiedlich nach Zeitpunkt der Berührung. Eine Klitoris zu rubbeln, wie es beim männlichen Glied relativ schlicht funktionieren kann, funktioniert nie einfach so und wenn sind mechanisch stärkere Berührungen nur im Zustand hoher Erregung angemessen.

Die Berührung und was als gut und schön empfunden wird, verändert sich im Laufe des Sex - wenn Mann sich nur merkt mit welcher Bewegung er sie das letzte mal zum Höhepunkt gebracht hat, wird er damit sicher keinen Erfolg haben, wenn er, sogar beim gleichen Gegenüber, versucht die Erregung zu wecken, was eben mechanisch völlig andere Berührungen erfordert. 

Dies muss vorsichtig ertastet werden, kann je nach Verlauf des Zyklus, emotionaler Stimmung, Wetter, voriger Erregung und vieler anderer mir ohnehin nicht ersichtlicher Gründe, wer wäre ich, zu glauben, ich könnte eine Frau wirklich verstehen, wo ich sie bewundern und lieben kann, wäre es genug, anders sein. Manche mögen keine direkte Berührung ihrer Klitoris, andere nur hoch erregt, einige genau dann nicht, aber dafür die indirekte Stimulation und auch da unterscheidet sich die gewünschte Intensität von Moment zu Moment und es gibt kein Schema, was Männer sich so gerne wünschen, um es einfach zu haben, wie es richtig wäre. Es ist ein lebendiger Prozess an dem sehr viel hängt auch an Gefühl, Angst, gesellschaftlichen Erwartung, Zweifeln, Sehnsüchten, dem Drang gefallen zu wollen und manches anderes mehr, was meinen schlichten Horizont vermutlich weit übersteigt.

Auch darum würde ich nie von mir sagen, ich wüsste, wie eine Frau zu befriedigen oder anzufassen ist. Das weiß keiner, vermutlich nicht mal sie selber immer, sondern das hängt an einer ganz komplexen Gemengelage auf die wir uns vorsichtig und eben mit Gefühl einlassen können, um gemeinsam Lust zu entwickeln. Frage gerne beim Sex, ob meine Partnerin dieses oder jenes besonders mag, es so schöner ist, wenn es nicht schon ihre Reaktion in Atmung und muskulärer Anspannung offenbart, was zumindest die Chance erhöht, nicht völlig falsch zu liegen.

Es gibt da nichts, was immer gilt oder immer funktioniert. Aber immer braucht es dafür viel Gefühl und die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen, um genießen zu können, was sein kann. Genau darum braucht guter Sex viel Gefühl und Offenheit für den anderen in seiner Situation.

Es führt nicht weiter, wenn Mann etwa seine Finger in die noch kaum erregte Scheide der Frau steckt, um auf den angeblichen G-Punkt zu drücken, den es ohnehin nicht gibt, weil der nervus pudendus eben nur im erregten Zustand und bei einem ganz geringen Anteil von Frauen überhaupt vaginal stimulierbar ist. Aber wer mit Gefühl und im richtigen Tempo, was auch je nach Situation anders sein kann, die genügende Erregung beim Gegenüber erreicht hat, kann auch an Stellen erregen, von denen der andere vorher nichts ahnte.

Ein Beispiel wäre die Stelle, an der bei Frauen der nervus pudendus in die Wirbelsäule übergeht, was auch nicht überall gleich ist, sondern vorsichtig dort gesucht werden kann, wo das Gesäß sich zu teilen beginnt am Ende der Wirbelsäule und wo eine indirekte vorsichtige Massage die gleiche Wirkung haben kann wie ein feinfühliges Lecken der Klitoris, sich nach Auskunft der Frauen nur durch die indirekte Stimulation sensationell überraschend schön anfühlen soll, was wiederum zeigt, es gibt beim Sex viele Umwege und indirekte Wege, die neue schöne Arten der Erregung wecken können, für die es aber eben viel Gefühl braucht.

Auch dieser Punkt am Ende der Wirbelsäule führt, wie die vordere Perle selbst, bei falscher, zu grober oder zu sanfter Berührung je nach Zeitpunkt, zu keinerlei Erregung. Dafür ein Gefühl zu entwickeln, nie zu meinen, sicher zu wissen, wie Frau funktionierte oder welche Knöpfe gedrückt werden müssten, ist, aus meiner geringen Erfahrung, die hohe Kunst beim Sex, der sich auf das Gegenüber einlässt, es wahrnimmt und sich eben feinfühlig um dessen Erregung bemüht. Dabei heißt feinfühlig immer auch, im entscheidenden Moment auch mal kräftiger oder grober sein sollen aber eben genau dann, nicht davor und nicht danach.

Guter Sex ist für mich darum immer ein Balanceakt auf dem Hochseil, bei dem du nie weißt, was als nächstes nötig oder richtig ist und dabei hilft auch alle Erfahrung nichts, weil jede Frau in jedem Moment anders reagiert, auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten aufgrund der anatomischen Nähe schon gibt, verbietet sich jedes Schema, sondern die Kunst besteht genau darin, die richtigen mechanischen Bewegungen im richtigen Moment zu machen, was keiner vorausberechnen oder wissen kann, sondern worauf du dich eben mit Sexgefühl einstellen musst. Es gibt keinen situativen Ratgeber, dieses Buch wäre zu dick und zu komplex, da müssen wir uns auf unser Gefühl verlassen.

Vermute, das Gefühl am wichtigsten für das gute Zusammenspiel ist, auch wenn es manchmal nach der Natur einfach so funktioniert, weil es passt, beide in einem ähnlichen Erregungszustand sind oder warum auch immer, ist die Voraussetzung der Harmonie ein Gefühl füreinander, wie ein sich einlassen aufeinander. Dies verbunden mit guter Kenntnis der Anatomie, die Männern zumindest das Gefühl theoretischer Sicherheit gibt, was viele an Betriebsanleitungen so lieben und warum sich mancher Mann schon eine Betriebsanleitung für die weibliche Sexualität gewünscht hat.

Die meisten von uns wollen es ja gerne gut machen und ihre Partnerin befriedigen, ihr das Gefühl größten Glücks schenken und hätten darum gerne eine Art Schaltplan. Als ich anfing mich mit dem nervus pudendus und seinen neurologischen Funktionen zu beschäftigen, war ich zuerst auch völlig euphorisch und dachte nun den Punkt gefunden zu haben, mit dem weibliche Sexualität auf Knopfdruck funktioniert. Hielt die Funktion des Nervs typisch männlich für einen Schaltplan.

Den gibt es aber nicht, Auch wenn du anatomisch alles richtig machst und eine genaue Kenntnis der komplexen weiblichen Anatomie ist sicher eine Hilfe, es zu verstehen, kann ohne das richtige Gefühl für die richtige Situation alles schief gehen, dann passiert nichts. Es gibt nichts, was immer funktioniert und immer richtig wäre. In jeder Situation kann je nach Zeitpunkt, Bedingungen und vielem mehr, alles anders sein. Darum ist es so wichtig, nach meiner Erfahrung, die zugegeben überschaubar ist und weit unter 500 Beispielen liegt, sich auf die Situation einzulassen, nichts zu erwarten, sondern sich vorsichtig voran zu tasten, im wahrsten Sinne des Wortes, um ein Gefühl füreinander zu entwickeln, was beim one night stand selten nur gelingen kann.

Es braucht nicht viel Erfahrung für guten Sex, schadet zwar vermutlich nicht aber kann auch abstumpfen und mechanisch werden lassen, sondern ein Gefühl füreinander und Offenheit für die Empfindungen des Gegenübers. Sich darauf fragend und neugierig jedesmal wieder einzulassen, um mit jeder Begegnung Neuland zu erobern, weil zumindest jede Frau anders als die andere ist, scheint mir die Basis für guten Sex, der eben viel Gefühl dabei braucht. Das muss keine Liebe sein, was aber auch nicht schaden muss, es manchen sogar leichter macht, sich insoweit auch gegen moralische Skrupel zu öffnen, um einander gut zu tun. Wichtig ist nur mit viel Gefühl bei der Sache zu sein, um einander erspüren zu können, sich nicht nur ineinander irgendwie zu befriedigen, sondern wirklich Sex miteinander zu haben, was eine der schönsten Erfahrungen überhaupt sein kann. Liebe ist kein Muss beim Sex, Gefühl schon und alles andere ergibt sich aus der Bereitschaft aufmerksam aufeinander zu sein.

jens tuengerthal 15.7.20

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