Freitag, 14. August 2020

Erbgutkapital

Ist unser Erbgut ein kapitaler Wert?

Die Isländer haben ein Buch der Isländer online verfasst, indem alle Inselbewohner mit ihren Vorfahren und ihren genetischen Belastungen und Verwandtschaften erfasst sind. Auf dieses Buch hat jeder Zugriff, der einen isländischen Pass hat und kann sich mit dessen Nummer dort einloggen. Betrieben wird es von einer Firma, die mit den Daten Geld verdient. Wie Isländer sich davor schützen können durch die dort hinterlegten Daten je benachteiligt zu werden, weiß ich nicht, könnte aber spannend werden etwa im Bereich Krankenversicherung, womit wir schon im Bereich Kapital und Kosten sind.

Mit der Entschlüsselung unseres Erbguts tauchten viele neue Firmen auf, die auf dem riesigen Markt der Gentechnik schnelles Geld witterten und verdienten. In Europa obliegen sie teilweise, wie in Deutschland wesentlich strengeren Beschränkungen als etwa in den USA, auch Großbritannien ist in der Gentechnik liberaler als Zentraleuropa bisher.

Das Kapital für die Forschung am Genom muss aufgebracht werden und wer der Industrie schneller interessantere Ergebnisse liefern kann, bekommt mehr Drittmittel und die Höhe dieser Mittel wiederum entscheidet auch über die Höhe der staatlichen Förderung, womit die für den Markt interessanteste Forschung am leichtesten die höchsten Mittel akquirieren kann. Dahingestellt, ob das im Interesse der Wissenschaft oder der dies fördernden Gesellschaften ist, die sich von der Förderung die bessere Heilung von Krankheiten oder erblicher Schäden erhofft, von der sonstigen Grünen-Gentechnik hier einmal ganz abgesehen.

Manche fürchten, wir öffneten mit der Gentechnik die Büchse der Pandora oder nutzten als Zauberlehrlinge, den Besen, den wir nicht beherrschen. Es wird in der neuesten Forschung natürlich Neuland erkundet, dessen Folgen wir noch nicht ganz absehen können. Damit könnten wir ein hohes Risiko eingehen, falls kleine Veränderungen etwa am Erbgut, größere und gravierendere Folgen haben, als wir bisher absehen oder kalkulieren können, weil unser Horizont diesbezüglich noch nicht weit genug sein kann, weil wir noch nicht das ganze Zusammenspiel der verschiedenen biochemischen und neuronalen Verbindungen dort überblicken können, nur kleine Ausschnitte zu verstehen beginnen, mit denen wir aber am ganzen Körper arbeiten, ohne die Folgen vollständig kalkulieren zu können.

Damit werden Experimente an Menschen durchgeführt, die für die ganze Menschheit folgen haben könnten, von denen wir noch nichts ahnen, was klar gegen eine Anwendung am Menschen nach bisherigen Status des Wissens spräche.

Andererseits bietet die Gentechnik und die Arbeit mit dem Erbgut die Chance viele unheilbare und tödliche Krankheiten endlich behandeln, Patienten heilen zu können. Wie könnte nicht alles unternommen werden, um tausende Menschenleben zu retten, sei es bei der Behandlung von Krebs, AIDS oder aktuell Covid19 und seinen Varianten, über die wir auch noch wenig wissen, wäre die andere Frage, beginge nicht unterlassene Hilfeleistung, wer da die Forschung auch mit halbem Wissen unterließe, die so große Chancen uns bietet?

Auf dieser ethisch problematischen Basis, die keine sicheren Antworten geben kann, sondern eine Abwägung verschiedener suboptimaler Lösungen immer sein muss, die den besten und menschlichsten Kompromiss suchen, agieren nun am Kapitalmarkt notierte und erfolgreiche Unternehmen, die den möglichst größten Gewinn versprechen sollen, um so Anleger zur Investition zu locken. Sie verdienen Geld mit dem Wissen über das Erbgut und den Möglichkeiten dieses zu verändern, wofür Firmen Medikamente entwickeln oder Methoden des direkten Zugriffs geben.

Neuerdings wird immer mehr Geld heute von Unternehmen verdient, die uns vorgaukeln, sie könnten uns genaue Informationen über unsere genetische Herkunft geben, aus welchen Teilen also unser Erbgut zusammengesetzt und für welche angeblichen Rassen oder Regionen das spezifisch sein soll. Warum eine solche rassistische Praxis legal ist, die noch dazu bei zu geringer Tatsachengrundlage falsche Informationen vortäuscht, dafür aber Unmengen an Informationen über Erbgut von dafür noch bereitwillig zahlenden Kunden erhält, ist mir nicht ersichtlich. Diese neue genetische Familienforschung steht in bester Tradition der Nürnberger Gesetze und gehört, auch wenn sie nichts als saubere Gentechnik anwendet, dringend sanktioniert, da sie Rassismus und genetische Separierung unter dem vorgetäuschten Mantel der Aufklärung fördert.

Fragwürdig aber könnte auch sein, dass Firmen mit der Entschlüsselung des Erbguts Geld verdienen wollen und damit dem, was unser ureigenstes Erbmaterial ist, aus dem jede Zelle entsteht. Im Zeitalter des Internets ist Information und die Fähigkeit sie zur Verfügung zu stellen, das größte Kapital, wie wir an einem Unternehmen wie Google sehen können. 

Wem aber gehört das Erbgut, wenn nicht jedem einzelnen Menschen selbst?

Ist die Fähigkeit darin lesen zu können, mehr als eine Kulturtechnik, die jeder nutzen dürfen sollte wie Lesen und Schreiben?

Kann, wie es bisher schon in der Grünen-Gentechnik geschieht, an einem entdeckten Genom ein Patent angemeldet werden, damit dessen Nutzung und der daraus gezogene Gewinn einem Unternehmen zusteht oder gehört dies den einzelnen Menschen als lebenden Eigentümern?

Sofern damit dem Unternehmertum und der Forschung vorrangig Schutz vor dem Recht der Einzelnen an ihrem Genom gegeben würde, verlören diese damit das Eigentum und also auch das Recht, damit Gewinn zu erzielen an ihren eigenen Körper, damit gehörte die Kenntnis über die Zusammensetzung als Wissensschatz einem anderen und wir hätten dann, seit Abschaffung der Sklaverei erstmals wieder, eine neue Form fremden Eigentums am eigenen Körper, was sich scheinbar viele in den Auswirkungen noch nicht klar gemacht haben.

Schon die Grüne-Gentechnik hat vorgemacht, was passiert, wenn Unternehmen plötzlich Eigentum an von Ureinwohnern seit Generationen genutzten Pflanzen haben, welche Macht sie damit erwerben und wie sehr sie damit gegen den Gleichheitsgrundsatz und das selbstbestimmte Leben verstoßen hinsichtlich der Nahrungsmittel, die genutzt werden, des Saatguts, seiner Zusammensetzung und vieler anderer Bereiche.

Dies hat in der Landwirtschaft andererseits große Vorteile, macht die Verwendung von Giften unnötig und bietet größere Sicherheit bei den Ernten, die nicht mehr so schnell Schädlingen oder Veränderungen des Klimas zum Opfer fallen. Insofern die Erforschung teuer und aufwendig ist und eben zu einem nicht geringen Teil auch von Firmen bezahlt wird, ist es systemimmanent logisch, dass diese versuchen, den maximalen Gewinn dabei zu realisieren, um auf ihre Kosten zu kommen.

Fraglich jedoch sollte hier, wie noch viel mehr beim menschlichen Genom sein, wie die Gewinne zu verteilen sind und wie hoch der Anteil derjenigen sein müsste, deren Genom erforscht wird, ob die für sonstiges Eigentum geltenden Rechte hier noch anwendbar sind. Auch bei der Grünen-Gentechnik und ihren Folgen merken wir schon, dass die Arbeit am Erbgut unser ethisches System an seine Grenzen bringt und die Regeln des bürgerlichen Rechts nicht einfach übertragbar sein können auf die Natur.  

Es wird für die großen Krankheiten, mit denen sich die Menschheit in unseren Tagen quält, vermutlich keine Lösung ohne Gentechnik geben. Fraglich ob solche Hilfe oder heilende Medikamente, wie es längst der Fall ist, Eigentum von Firmen sein darf, die den Zugriff im eigenen Interesse nach den Gesetzen des Kapitalmarkts organisieren müssen, um ihren Gewinn im Interesse ihrer Anleger zu optimieren. Die dabei widerstreitenden Interessen ähneln denen bei der Kollision von Grundrechten. Das Eigentum des Investors, der sein Kapital möglichst optimal nutzen muss, stößt mit dem Eigentum am eigenen Körper zusammen, was, wäre es nicht so absurd, weil es ja um die menschliche Existenz geht, die es ohne Körper nicht gibt, noch zur Not auf einer Ebene diskutiert werden könnte.

Ob dabei das vorrangige Eigentum des Inhabers der Genome seines Körpers, Vorrang vor dem Wert des Wissens haben muss, das ihn retten soll, könnte juristisch sogar strittig sein. Unstrittig aber sollte sein, dass der Schutz des Lebens Vorrang vor dem des Eigentums hat, was die anderen Diskussionen überflüssig machte, sofern es hier einschlägig wäre. Vielleicht bietet der Schutz des Lebens und die Anerkennung des Eigentums am eigenen Körper, den Schlüssel zur Klärung der Verhältnisse auf lange Sicht und auch der manchmal erstaunlichen Verquickung von Medizin und Industrie, die eigentlich gegenläufige Interessen verfolgen müssten, folgte der Arzt noch den Prinzipien des Hippokrates.

Wir tragen alle unser Erbgut in uns und sollten uns des Wertes dieses Kapitals so bewusst sein, dass dieser auch einen Anspruch auf Beteiligung und Vergütung geben müsste, sofern wir die Regeln des Marktes im Bereich der Gesundheit für gut und zulässig halten, was jedoch mangels tauglicher Alternativen gerade keine weiterführende Diskussion wäre, also dahinstehen kann, sie gelten, auch wenn wir sie fragwürdig finden und es braucht also eine entsprechende Lösung statt absurder antikapitalistischer Rhetorik. Eine Lösung könnte es sein, die Bürger am Gewinn zu beteiligen oder die kostenlose Nutzung der aus dem Genom und seiner Kenntnis gewonnenen Produkte zu garantieren, was zwar den Gewinn der beteiligten Firmen verringerte aber dafür das Gesundheitssystem entlastete, ohne den Markt gleich völlig infrage zu stellen - vor allem auf Grundlage eines eigenen Rechts, die Position der Bürger gegenüber Staat und Industrie stärkte, was endlich wieder liberale Freiheitsrechte ohne den Schrei nach dem Sozialstaat stärkte.

Es gibt den Kapitalmarkt und er gibt auch viele Chancen, Dinge zu realisieren. Dagegen zu argumentieren, dass Unternehmen Gewinne machen wollen, weil wir es ethisch fragwürdig finden, führt selten langfristig weiter. Die Gewinne und den Markt zu nutzen, um die Beteiligung zu verbessern, böte der Gesellschaft dagegen eine Chance, die nachhaltiger gerecht sein könnte, als die vielen schief gegangenen Versuche in den Fußstapfen von Marx & Co in den letzten 100 Jahren. So betrachtet liegt in der unternehmerischen Nutzung des menschlichen Genoms vielleicht eine Chance für eine Stabilisierung der Demokratie und der Gesellschaft, die höher sein könnte als das momentane ethische Risiko des Umgangs damit bei unklarer Tatsachengrundlage, sofern wir es wagen den Gedanken des Eigentums am Genom zu Ende zu denken, liegt es nahe, die damit erzielten Gewinne gerecht zu verteilen, ohne dafür den Markt infrage stellen zu müssen.

jens tuengerthal 14.8.20

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