Donnerstag, 11. August 2016

Kulturgeschichten 0319

Schlachtenmythen

Manche Mythen wachsen aus der Luft
Begründen mit dem Tod das Heldentum
Als ob was wäre wenn nichts mehr ist
So war es mit Königin Luise in Preußen

Sie wurde vom trauernden König noch
Befeuert zum Kriegsmotor der später
Befreiungskriege ohne je etwas von
Bedeutung zu tun als Mutter zu sein

Letzteres wäre der deutschen Mutter
Zwar grundsätzlich genug und ist sonst
Eine Leistung schon an und für sich
Immerhin bekam sie zwei später Könige

Doch abgesehen vom nationalen Mythos
Den Preußen noch mit dem Luisenorden
Wie dem silbernen Rand ums Eiserne Kreuz
Zelebrierte blieb von der Mecklenburgerin nichts

Dieser Mythos trieb dann später zur Rache
An Frankreich und zur Beschwörung der
Erbfeindschaft die in schreckliche Kriege
Gegeneinander beide Länder zu lange führte

Dabei sind die beiden Erbreste des Reiches
Von Karl dem Großen einmal eins gewesen
Hätte nicht fränkisches Hausrecht die Teilung
Verlangt wären sie es besser auch geblieben

Es bräuchte keine Abgrenzung oder gar Hass
Der Nachbarn die Brüder und Freunde eher
Sein sollten als beschworene Gegner je noch
Doch Königin Luise diente diesem Gefühl

Auch darum ist mir der Kult um die Tote
Wie er hier in Berlin noch getrieben so
Zuwider da aus ihm der Hass wurde der
Aus nichts als Mythos Kriege begründete

Auch einer meiner Urgroßväter zog 1914
Mit wehenden Fahnen als Offizier ins Feld
Der damals jüngste preußische Schuldirektor
Am Mädchengymnasium zu Hannover

Dieser alte Max blieb vor Verdun dann liegen
Wie so viele nach vor und neben ihm woran
Zu erinnern nichts am Mythos des Todes ändert
Der die Feindschaft immer wieder erfrischte

Einer der anderen Urgoßväter dagegen von der
Mütterlichen Linie stammte schon familiär aus
Hannover und flog im Kriege mit Richthofen oder
War Ingenieur zumindest in dessen Staffel wohl

Dem Familienmythos der Großmutter nach
Deren Vater es war kannte er Richthofen noch
Über seinen Nachbarn Hindenburg auch wenn
Das womöglich nur eines ihrer Märchen war

So rechtfertigte diese Nähe zu Hindenburg
Der Oberkommando und damit den Staat führte
Die auch später klare kaisertreue Linie der doch
Deutschnational gesinnten Großmutter in Bremen

Sie wies immer von sich ein Nazi zu sein
Mit denen hatte sie nichts zu tun diese Bande
Steckte ihren Vater in Gefängnis als er noch
Seinen jüdischen Bankier freundlich grüßte

Auch darum was ihn rettete ranken sich weitere
Mythen in der Familie von seiner Belegschaft
Die brüllend vor dem Gefängnis erschien oder
Seine einflussreichen Freunde aus dem Club

Immerhin waren sie stolz keine Nazis zu sein
Unter dem Regime relativ angepasst zumindest
Auch gelitten zu haben wie die Großmutter noch
Im London unter peinlichem Botschafter Ribbentrop

Anders mein Großvater der noch Kadett wurde
Von Thüringen bis Lichterfelde der sich gegen
Den Hass entschied und als Student nach Paris
In den wilden 20ern zog um zu genießen

Nach dem Krieg kehrte er dann wieder zurück
Als Diplomat und Rechnungsprüfer der NATO
Solange sie dort noch residierte hatte zuvor
Wohl mit der Résistance kooperiert im Krieg

Aber auch um den angeblich Widerstand
Vieler Deutscher den sie nach dem Untergang
Erst entdeckten ranken sich manche Mythen
Zumindest verschwieg er es seinen Söhnen

Der Vater für Preußen zu jung gefallen er in der
Auch unmenschlichen Kadettenanstalt als Mensch
Mit kritischem wie künstlerischem Geist leidend
Hielt er dennoch den Mythos weiter hoch

Erst kurz vor Ende seines Lebens erzählte er
Noch manche Geschichten mir aus der Zeit
Eines Lebens zwischen 1904 und 1991 ein
Jahrhundert mit vielem umfassend wohl

Auch hier deckte sich womöglich auch
In seiner Erinnerung mancher Mythos noch
Mit der Realität verwob sich im Erzählen wurde
Ununterscheidbar was immer nun wirklich war

So entstanden Familienmythen denen manche
Als ehrliche Historiker nachforschten um sie
Auf ihren Wahrheitsgehalt noch zu überprüfen
Dabei ging es bei diesen Sagen nie darum

Was war ist das eine womit wir täglich leben
Eine oft völlig andere Geschichte mit dabei
Nicht weniger Berechtigung und Realität
Für unser Verhalten im später Alltag

Fand im Studium Freunde deren Großväter
Dem Widerstand nahe standen oder sogar
Namentlich als deren Köpfe mutig agierten
Lernte noch alte Résistance Kämpfer kennen

Die vielleicht zumindest dezent widerständige
Tätigkeit meines Großvaters wurde mir wichtig
Der ich ihn nie als autoritär preußischen Vater
Hatte kennenlernen müssen in seinem Jähzorn

Lächelnd im Wissen wieviel auch an Cholerik
Über die Söhne an den Enkel weiter wanderte
Sich in der Familie immer wieder noch zeigte
Lebe ich bewusster nun mit meinem Erbe

Wir sind auch was die vor uns waren und so
Kehrt Geschichte wieder und dreht sich weiter
Erkennen was wir bekamen ist wichtig um sich
Überhaupt selbständig verändern zu könnnen

Weiß nicht was Dichtung und was Wahrheit
An der Gestalt meines Großvaters den wir
Enkel Grotepater nannten noch ist aber es ist
Für meine Haltung dazu mir völlig egal

Wie Pipi Langstrumpf einst sang sie mache sich
Die Welt wie sie ihr gefällt tun wir es doch alle
Uns mehr oder weniger erfolgreich belügend
Mit der Behauptung unser Wissen sei seriös

Wissen ist mehr Ohnmacht vor etwas was
Außer mir als Wirklichkeit sein soll dem ich
Dies anerkennend nur folge denn eigentlich
Gilt was Montaigne sagte was weiß ich schon

Ob mein Grotepater im Dritten Reich ein mutiger
Held des Widerstand war oder nur über Bekannte
Auf die Listen von Gördeler kam ohne etwas dafür
Zu tun als nicht zu widersprechen bleibt unklar

Sein Bruder war ein Nazi und schlüpfte nach dem Krieg
Wieder bei der Kirche unter die ihn dafür noch zum
Jugendbetreuer machte den ehemaligen Gauleiter
Der vorher noch Pastor im Nordwesten gewesen

Mit diesem verstand er sich nicht mochte dessen
Großmäulige Art sowenig wie er verriet ob darin
Mehr lag aus der Geschichte im Dritten Reich das
Sagte er lieber nicht laut nur später noch leise mir

Er verachtete den Bruder für seine Anpassung
In der Nazi-Zeit wie hinterher doch war es der
Kleine Bruder und darum schwieg er damit die
Söhne noch Respekt vor der Familie lernten

Wie viele schwiegen um der Ehre oder der Schuld
Des Stolzes oder der Achtung wegen die sie als
Kriegsverlierer auch vor sich nicht verlieren wollten
Was Schweigen und Funktionieren zum Ziel machte

Der Großvater selbst ein Großmaul immer wieder
Besonders wenn er trank was ihm wohl auch
Den Verbindungsnamen Klap einbrachte nicht
Die zusammengeschlagenen Hacken wie behauptet

So findet sich zwischen Selbstbild und Fremdbild
Das einen formt wie das Denken bestimmt wohl
Mancher Mythos noch bei dem es weniger um
Die Wirklichkeit als unsere Haltung zu ihr geht

Auch die alten Griechen lebten mit solchen Mythen
Die sie über Generationen weitergaben die sogar
Als Sagen weitererzählt bis in unsere Zeit reichen
Wie der Mythos um die Schlacht bei den Thermopylen

Am vermutlich 11. August 480 vor Christus unterlagen
Zu Beginn der Perserkriege die zehnfach unterlegenen
Griechen unter König Leonidas von Sparta den Persern
Die Xerxes in die berühmte Schlacht siegreich führte

Leonidas starb und um ihn hunderte oder tausende seiner
Spartaner die jene Niederlage später zum Heldenmythos
Des ehrenvollen Todes umdeuteten auch wenn ihr Vedienst
Dabei wenig war als zu sterben und danach tot zu bleiben

Es ging bei dieser Schlacht um einen Engpass zwischen
Kallidromos Gebirge und Golf von Malia bei dem die Perser
Den Durchgang an der schmalsten Stelle sich erzwangen
Womit der Weg auf den Pelepones und nach Athen frei war

Der Durchgang der heute mindestens 15m breit ist
Maß in der Antike stellenweise nur einen Meter doch
Die Versandung tat ein übriges und dennoch konnten
Sonst heldenhafte Spartaner nicht erfolgreich verteidigen

Es wurde ein Gemetzel auf beiden Seiten doch weiß
Wohl keiner welchen Zahlen hier zu trauen ist so ist
Selbst der sonst zuverlässige Chronist Herodot hier
Widersprüchlich was vielleicht seine Ironie dazu war

Der Mythos der Schlacht bei den Thermopylen
Bei dem heute Männer an Bamarkt eher denken
Aber lebte weiter ihnen nutzten so verschiedene
Ideologen wie Thomas Mann und Goebbels

Nach Herodot rückten die Perser unter Xerxes
Mit über 5 Millionen Mann zu Land und zur See an
Heutige Historiker streichen davon eher zwei Nullen
Wenn es 50.000 waren so ware es noch viele

Die Helenen boten dagegen nur etwa 10% auf
Was die Niederlage nicht verwunderlich machte
Auch sollte solches den Mut der Perser wohl
Im öffentlichen Bilde schmälern die es ja wagten

Bei Sicht auf die Karte zeigt sich dass Xerxes hier
Mut bewies und Männer wohl reichlich opferte um
Zugang zu erhalten den er dafür mutig erkämpfte
Während spartanisches Versagen unklar bleibt

Nichts als Gutes über die Toten zu reden ist so
Alte Tradition dass schon die Römer es als eine
Uralte Weisheit zitierten warum sollten da nicht
Die Griechen es auch so gehalten haben

Zumal die Spartaner als mutigste Helden galten
Wie wäre das Volk zu weiterem Widerstand noch
Zu motivieren gewesen wären Sparta schon so
Elendig einfach untergegangen oder weggelaufen

Gleichzeitig lieferten sich Athener mit Persern eher
Erfolgreich eine Seeschlacht bei der zumindest keiner
Als klarer Sieger vom Platz ging wie am Thermopylen
Später waren sie bei Marathon bekanntlich siegreich

Weil es von Marathon nach Athen dann etwas über 42km
Waren und sind laufen die Langläufer bis heute diese Distanz
Die der heldenhafte Bote in Rüstung rannte um vor dem König
Tot zusammenzubrechen mit der Siegesmeldung in Athen

Was die Mythen aber tatsächlich kritisch geprüft taugen ist
Eher ungewiss andererseits waren sie ideologisch wichtig
Motivierten im Kampf und brachten Siege hervor die dann
Auf ewig mit ihnen verbunden wurden als Heldenmythos

Thomas Mann nutzte den Heldenmythos damals schon
In Kalifornien lebend 1941 als Propaganda gegen die
Deutsche Besetzung Griechenlands indem er die Soldaten
An den Mut der Spartaner bei Thermopylen noch erinnerte

Umgekehrt nutzte Goebbels die Sage für Durchhalteparolen
An die eingeschlossenen Truppen in Stalingrad die sich auch
Der zahlenmäßig überlegenen Roten Armee gegenüber sahen
Diese möglichst lange dort sinnlos aber wirkungsvoll binden sollten

So zeigt sich wieder beim Blick in die Geschichte wie dem
Noch näheren in die Familie es ist manchmal weniger wichtig
Was die Wirklichkeit ist oder war als wie wir mit ihr leben
Um sich die Welt so zu machen wie sie uns gefällt

Wer dies für verlogen oder unehrlich hält sollte sich lieber
Genauer mit der relativen Wirklichkeit beschäftigen die doch
Viele Sichten zulässt und um was als Glück geht es noch
Im Leben überhaupt bevor es endet fragt sich

An den wenigsten Mythen ist in Wirklichkeit viel dran
Wenn sie helfen eine Situation zu bewältigen sind sie was
Es dann braucht um mit dem was ist glücklich zu sein
Von mehr weiß ich nichts und was weiß ich schon
jens tuengerthal 11.8.2016

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