Dienstag, 14. Juli 2020

Erbgut

Was macht das Erbgut aus und woher kommt es?

Bis ins 19. Jahrhundert war Erbgut das materielle Gut, was der Erblasser seinen Erben, also meist der Familie, hinterlässt. Heute denke ich bei Erbgut auch an die Anlagen, die durch Vererbung, also biologisch weitergegeben werden. So hat die Naturwissenschaft eine Begrifflichkeit übernommen und besetzt, die statt mit Tod plötzlich mit Zeugung und Weitergabe dessen, was uns organisch prägt, zusammenhängt.

Die Erkenntnis, wie ein Mensch entsteht, indem das winzige Spermium in die wesentlich größere Eizelle eindringt, ihre Kerne verschmelzen, der halbe Chromosomensatz zu einem ganzen wird, ist erst Mitte des 19. Jahrhunderts gewonnen worden. Bis dahin grassierten viele, teils auch religiöse Vorstellungen zur Zeugung, bei der auch die Philosophie des Aristoteles lange eine Rolle spielte, gemischt mit der christlichen Anschauung, nach der die Frau nur das Behältnis war, die Frucht des Mannes auszutragen. Diese Sicht wurde noch lange vertreten, obwohl Züchter im Tierreich längst ein anderes wussten, aber die menschliche Sonderrolle eben ein Glaubenssatz war.

Die Idee einer Schöpfung und eines Schöpfers, der den ganzen Prozess steuert, der schlicht biologisch unter bestimmten Bedingungen abläuft, hielt sich noch lange in vielen Köpfen, auch wenn den Beteiligten dabei schon klar gewesen sein wird, was sie tun und der Erfolg dabei auch gegen eine völlige Ahnungslosigkeit spricht. In der Antike hatten die Menschen da wohl einen direkteren Zugang zur Natur und haben die Beteiligung höherer Wesen nur dazu gedacht, aus welchen Gründen auch immer, doch hat dieser Erfindergeist, der unsere Existenz nicht mit dem Tod enden lassen will, eine lange Tradition in der menschlichen Geschichte, fraglich nur, ob der Aberglaube in unserer Natur liegt oder immer wieder kulturell erworben wird.

Den Ablauf der Vererbung wie die dabei geltenden Regeln entdeckte der mährisch österreichische Priester Georg Mendel im 19, Jahrhundert, nach ihm wurden sie auch benannt, vermutlich ohne die Absicht, damit die göttliche Beteiligung an der Zeugung und der Entstehung der Arten überflüssig zu machen. Die weitgehenden Konsequenzen dieser Entdeckung wurden erst langsam deutlich, bis heute zweifeln noch manche Gläubige an der Selbständigkeit der Natur und suchen nach neuen Punkten, an denen sie ihren Schöpfergott glaubwürdig platzieren können, nennen sich dann Kreationisten und vertreten manch absurde Ansichten, die bis zum Urknall reichen, vor dem außer Gott nichts gewesen sein soll, auch wenn wir natürlich wissen und beweisen können, dass Energie nie verloren geht, der Urknall also durch andere Energie verursacht worden sein muss, die durch vorhergehende Ereignisse konzentriert werden musste, weil Natur schlicht zyklisch funktioniert.

Spannend ist wie gleich wir nominell das Ende des Lebens, also das, was an Gütern hinterlassen wird, mit dessen Anfang und Entstehung setzen. Die Vererbung bestimmter Merkmale bei der Zeugung neuen Lebens als ein Fortleben betrachten. Viel des Vokabulars der Entdecker von Humboldt bis Darwin und Mendel, ist noch vom vorherigen Geist der patrilinearen Strukturen geprägt, denen die Natur aber zeigte, wie es tatsächlich ablief, als die Menschen lernten hinzuschauen und zu beobachten, auch wenn sie es noch mit dem gewohnten Vokabular benannten, weil sie eben auch Kinder ihrer Zeit waren.

Nicht der große starke Mann ist der Erzeuger, sondern die Verschmelzung des winzigen männlichen Spermiums mit der im Vergleich riesigen Eizelle kann Leben natürlich entstehen lassen und das Erbgut kommt von beiden zu gleichen Teilen, wobei sich verschiedene Merkmale unterschiedlich stark oder ganz neu kombiniert fortsetzen. Dies brachte manche althergebrachte Überzeugungen, die das patrilineare Weltbild trugen, in Wanken. Erstaunlich schnell änderte sich infolge auch das Erbrecht und Frauen wurden formell zumindest teilweise relativ gleichberechtigt, der vorherige Ausschluss war nicht mehr zu rechtfertigen.

Warum Menschen aus den Erkenntnissen Darwins, die sie noch mit der Philosophie Nietzsches nach Belieben munter mischten, eine Rassenlehre ableiteten, lässt sich logisch nicht erklären, sondern vermutlich nur aus dem ideologischen Zusammenhang verstehen, der auch die USA lange verleitete Menschen mit dunkler Hautfarbe als Sachen zu behandeln, die anderen gehören konnten, also Sklaverei für legitim zu halten, auch wenn sie über diese Frage noch einen Bürgerkrieg führten, der allerdings nichts an der realen Diskriminierung nach Hautfarbe bis heute geändert hat, wie gerade wieder deutlich wird.

Die schlimmste Variante dieses Rassismus, der auf Vernichtung zielte, wurde vom Hitler-Regime im Namen Deutschlands aus einer Pervertierung der Erblehre entwickelt. Während die Sklaverei auf Ausbeutung und Nutzung aus ökonomischen Gründen zielte, wollte diese Ideologie einer Gruppe Menschen nach Religion oder Herkunft aussortieren und vernichten, weil sie sich für besser hielten und meinten so ihr Überleben nach der Natur sichern zu müssen. Es gibt für eine solche rassische Unterscheidung nach Glaube oder Herkunft keinen Grund, der sich aus dem Erbgut oder der Abstammung begründen ließe. Durch willkürliche Ausgrenzung sollte der Zusammenhalt der Mehrheit gestärkt und eine völkisch genannte Gruppe geschmiedet werden, wie es einige verwirrte Zeitgenossen heute noch versuchen.

Die Kenntnis vom Erbgut hat so einerseits die Gleichberechtigung der Frauen ein wenig, zumindest beim Erbe vorangebracht, auch wenn es bis zur vollständigen Gleichberechtigung in großen Teilen der Welt noch ein weiter Weg ist, andererseits im missverstandenen Darwin eine Ideologie begründet, die Menschen nach Rassen unterscheiden wollte und aus der bloßen Herkunft oder Religion Unterschieden im Wesen ableiten wollte für die es biologisch keinerlei Begründung gab oder gibt. Im Gegenteil können wir angesichts der genetischen Ähnlichkeit jede Unterscheidung nach Rassen unter Menschen heute für historisch erklären.

Ob, was unser Wesen ausmacht, dabei stärker das Produkt unserer Erziehung oder tatsächlich durch Erbanlagen bedingt ist, kann insoweit dahinstehen. Die Leere vom weißen oder beschriebenen Blatt wäre ein anderes Kapitel, was beim Thema Erbgut wohl auf zu weite Abwege führte. Die Anlage völlig auszuschließen, ist vermutlich so falsch wie anzunehmen der Mensch würde nur durch Prägung geformt. Beide Elemente spielen auf ihre Art eine Rolle und den einen oder anderen zu übersehen, gäbe nur ein unscharfes Bild, machte sozusagen kurzsichtig.

Traue mir dies betreffend kein sicheres Urteil zu und denke aber auch die Spezialisten der jeweiligen Bereiche neigen gern zur horizontalen Beschränkung, indem sie ihren Bereich überbetonen. Der Mensch und was ihn ausmacht, ist zu komplex, um ihn auf eine Theorie oder Richtung reduzieren zu wollen. Es spielen dabei verschiedene Aspekte eine Rolle und dazu gehören vermutlich auch noch einige von denen wir bisher noch nichts oder wenig verstehen. Je tiefer unsere Kenntnis im einen oder anderen Bereich wird, desto mehr halten wir ihn für ausschließlich und übersehen dabei gerne, was noch möglich wäre, weil der konzentrierte Blick aufs Detail auch gern den Überblick verliert.

Zumindest mir geht es so, wenn ich mich mit etwas besonders stark beschäftige und alles darüber wissen will, ist die Gefahr den Überblick für die Zusammenhänge zu verlieren besonders groß. Will damit nicht sagen, dass die Generalisten, die von allem nur ein bisschen wissen, den besseren Überblick hätten, dazu fehlt es meist an Sachkenntnis, wie ich zumindest von mir sagen kann, der ich weder Naturwissenschaftler noch Geisteswissenschaftler oder Erzieher bin, keiner Überzeugung ganz anhänge, sondern eher der Meinung bin, dass viel mehr Einfluss auf mich hat, als ich begreifen kann und auch wenn ich mir viel Mühe gebe, mit meinen naturgegeben eben beschränkten geistigen Mitteln immer nur einen Bruchteil am Rand streifen kann. Würde ich mich mehr mit den Details beschäftigen, um zumindest von etwas eine genaue Ahnung zu haben, würde ich mich vermutlich darin verlieren und den Zusammenhang weniger sehen können, der mir wichtiger scheint.

So habe ich von nichts wirklich Ahnung, denke nur, er spielt alles und noch mehr eine irgendwie Rolle bei dem, was unser Wesen ausmacht. Anmaßend und beschränkt scheinen mir jene, die behaupten eine sichere Wahrheit zu besitzen, die allein selig machend sei, sagen, sie wüssten, wie es sei. Weder wird die genaue Kenntnis unseres genetischen Codes je ausreichen, unser Wesen zu verstehen, noch wird den Menschen ganz verstehen, wer sein Erbgut ignoriert.

Vielleicht ist das Gegeneinander der jeweiligen Theorien auch mehr der Grund für die Probleme beim Verständnis unseres Verhaltens. Versuche ich an einem Beispiel, was ganz natürlich uns scheint, wie etwa der Liebe, herauszufinden, was alles meine Entscheidungen beeinflusst, merke ich schnell, wie komplex die Dinge eigentlich sind.

Was ist bei unserer Wahl genetisch determiniert, wen können wir gut riechen und wer stinkt uns, was zieht uns an und was stößt uns ab, welche Rolle spielen unsere Erfahrungen mit Liebe und Sexualität dabei, was ist unsere Natur, wo passen wir uns nur an Konventionen an, gibt es reines und natürliches Gefühl oder ist das eine Illusion, sind die Triebe stärker als der Wille, wo spielen wir konventionelle Spiele, um zu gefallen, was tun wir unserer Natur gemäß beim Balzen, wo sind wir echt und wo Opfer unserer gesellschaftlichen Rolle, habe ich je genug Abstand, wenn Gefühl im Spiel ist, all diese Fragen vernünftig und objektiv zu betrachten und wie richtig kann eine nur vernünftige Betrachtung der Liebe je sein, sind nur einige Fragen, die sich mir dabei stellen und die mir zeigen, dass mein Horizont sicher zu beschränkt ist, sich alle Gründe für die Liebe, warum sie auftritt oder verschwindet, klar zu machen.

Wenn es aber bei der Liebe schon so komplex und kompliziert ist, die doch ein ganz natürliches Gefühl ist, was wir meist einfach hinnehmen, wenn es auftaucht oder verschwindet, wie sollte ich dann annehmen, eine Theorie oder eine Betrachtungsweise, bezogen auf das Genom oder die Prägung würde genügen, das menschliche Wesen und alles, was ausmacht, zu beschreiben?

Mögen klügere als ich, sich diese Frage für sich beantworten, mir reicht es an dieser Stelle schon, begriffen zu haben, es dürfte beides eine Rolle spielen und es geht weniger darum, wer von beiden recht hat, als vielmehr, wie ich in der ungeheuren Komplexität der Gründe, die einen Menschen zu seinem Handeln bestimmen, einen Weg finde, der zu mir passt und mit dem ich mich wohl fühle, der also meine Lust am Leben mehrt.

Das Wort Erbgut enthält für mich entsprechend auch mehr als die reduzierte Sicht unserer genetischen Anlagen oder das materielle Gut derer, die vor uns waren. Viel spannender finde ich etwa die Frage, inwieweit die Kultur, in der ich aufwuchs, von der Familie bis zum postmodernen aufgeklärt abendländischen Denken mein Wesen prägen, was ich davon erkennen und benennen kann als Teil meines Erbes.

Denke ich etwa an Tischsitten, mit denen ich in der Familie aufgewachsen bin, die mich als Kind manchmal genervt haben, die aber für mich so selbstverständlich wurden, dass ich auch im Schnellimbiß nie auf die Idee käme, die Ellbogen auf den Tisch zu legen, auch wenn das essen eines Hamburgers schwer mit anständigen Manieren und ohne zumindest gelegentlich zu stopfen, zu bewältigen ist, wäre es mir sogar dort wichtig, sich vor dem Essen, falls ich nicht alleine bin, die Hände zu reichen und das ganze mit der möglichen Würde zu handhaben, die diesem Kulturvorgang gebührt.

Dies ist sicherlich anerzogen und Teil der Kultur meiner Familie, die gerade bei großen Essen, wo alle eng gedrängt sitzen, darauf wert legt, dass alle Teilnehmer die Spielregeln beherrschen, um so an einer schön gedeckten Tafel mit der dieser entsprechenden Würde zu essen, zumindest anfänglich, da die Toleranz den Sitten gegenüber mit zunehmendem Alkoholgenuss größer wird. Aber es ist auch Teil einer ererbten Tradition, die schon die Großväter so praktizierten, wie sie es von ihren Eltern und Großeltern lernten, die mit einer feinen Tafel und dem entsprechenden Benehmen dort zeigen, dass sie Kultur haben und die Familie mit dieser zu feiern wissen.

Während in meiner Kindheit noch sich meine Onkel wie mein Vater aus kleinen Übertretungen der Regeln unter dem strengen Blick ihres Vaters einen Spaß machten, wurden sie, zumindest teilweise, spätestens mit dem Verschwinden der vorigen Generation zu Sittenwächtern, die mehr oder weniger streng die Einhaltung der gewohnten Form anmahnen und ich fürchte, sollten wir die Tradition weiterhin pflegen, in die selbe Rolle hineinzuwachsen, wie ich schon bei meiner Tochter bemerke, dass sie zwar spielerisch die Regeln mit ihren jüngeren Cousins oder Cousinen übertreten kann aber doch als älteste auch genau darauf achtet, was nun geboten ist, weil sie die Tradition als Teil ihres Erbes aus verinnerlicht hat.

Zu einem großen mehrgängigen Essen gehören bestimmte Sitten und Regeln, um dieses zu würdigen und schön zu machen. Erst sie machen es auch zu einer Zeremonie, die in Erinnerung bleibt und so weitergetragen werden kann. Damit werden sie Teil unseres Erbes.

Kommt es wirklich auf die Sitten und Manieren an oder sind sie nur der formelle Rahmen, der längst überholt ist und nur einer untergegangenen Kultur entspricht, die wir unzeitgemäß traditionell zelebrieren?

Wie meine Familie ihre Feste zelebriert, hat etwas vom vergangenen Jahrhundert und noch älter. Wir feiern damit unsere Tradition. Etwa beim Tischgebet, das ich radikaler Atheist selbstverständlich und aus voller Überzeugung mitspreche, weil es dazugehört oder beim sich die Hände reichen, bevor mit dem Essen begonnen wird. Vieles an unseren Zeremonien auch an Weihnachten, erinnert mich an die Buddenbrooks, bis zu den Witzen und Dialogen nach dem Essen in lockerer Runde, wie ich es bestimmt schon mehrfach erwähnte aber mit zunehmendem Alter neigen wir Menschen eben auch zur Wiederholung und so ist dies doch ein irgendwie Ausweis meiner Menschlichkeit denke ich, um die eigenen Mängel schön zu reden und die stete Wiederholung zu legitimieren.

Damit an einer großen Tafel mit Großen und Kleinen ein mehrgängiges Menü mit der entsprechenden Würde zelebriert werden kann, bedarf es gewisser Spielregeln, die den Ablauf sichern und auch das Vertrauen darauf, dass jeder diese irgendwann verinnerlicht hat. Wo diese nur als Gehorsam gegenüber autoritärer Strenge befolgt werden, um im System zu funktionieren, haben sie keinen eigenen Wert sondern wären reine Formalie, wie es einem Beobachter scheinen könnte, der nicht mit den bürgerlichen Sitten so vertraut ist, die jede Nahrungsaufnahme zu einer kleinen Zeremonie machen, die auch ihren Stand und ihre Würde feiern wollen.

Wäre dies nun wieder nur eine bloß klassenkämpferische Distanzierung gegenüber den Proleten, die sich nicht zu benehmen wissen, wäre es ein bloß eitles Überbleibsel, was zwar traditionell vom Wesen her wäre aber ansonsten wertlos bliebe außer zur Pflege der eigenen Eitelkeit. Denke aber gerade das Erbe der Tischsitten und ihre höchstens mal nonchalante spielerische Übertretung, ist viel mehr als nur eine gemeinsame Nahrungsaufnahme. Es ist eine Art postreligiöses, trotz Tischgebet, Ritual, welches die Gemeinschaft feiert, in der die Verwandten zusammenkommen.

Rituale fördern den Zusammenhalt und schaffen es durch die Tradition, mit der sie gepflegt werden, ein Erbe wach zu halten, das unsere Kultur durch das Bürgertum geprägt hat, was sich in der Zeremonie selbst feiert. Dies könnte wiederum als eitler Popanz abgetan werden oder als ein kleines Imitat höfischer Sitten, nach denen die Bürger spätestens seit Knigge strebten, um mithalten zu können.

Doch wir feiern uns gerne und freiwillig so, weil wir es schön finden und genießen in der Strenge der Form, die wir gelegentlich belächeln, wie ihrer allmählichen Auflösung gegen Ende hin. Es ist ein Ritual, dem wir uns freiwillig unterwerfen, weil uns ohne etwas fehlte, auch wenn wir uns nur ein bis zweimal im Jahr überhaupt sehen, um je rituell zu feiern. Wir hätten, die Freiheit die Formen wegzulassen, es völlig regellos und nach Laune ablaufen zu lassen. Der strenge Grotepater genannte Großvater ist im nächsten Jahr 30 Jahre tot. Doch wir feiern noch genauso und halten uns an die alten Sitten, die unser Erbe sind und die wir an die folgende Generation weitergeben werden, wie er es schon um die Jahrhundertwende gelernt hat, weil sie eben Erbgut und damit Schatz unserer Familie sind.

Viel mehr als Siegelring, Fahne oder Kunstschätze, Möbel der Vorfahren, das Meißen oder Silber von dem wir essen, sind es die Rituale, die wir pflegen, die viel vom Zusammenhalt der Familie ausmachen, ihr eigentliches Erbe sind. In postideologischen Zeiten, in denen sich nur ein arroganter Reaktionär wie Helmut Kohl über Angela Merkel ihrer fehlenden Tischsitten meinte lustig machen zu müssen, könnten solche Rituale verfehlt oder hohl wirken. Merkel hat es längst gelernt und glänzt durch preußische Zurückhaltung in der Größe, von der manch männlicher Politiker viel lernen könnte, um nicht in peinlicher Erinnerung zu bleiben wie Gasgert oder Kohl selbst, dennoch traf der Kanzler der Einheit einen Punkt, der nicht falsch war.

Der Bruch der DDR mit jeder bürgerlichen Tradition im Arbeiter und Bauern Staat, in dem die Kinder, auch der Berufstätigkeit der Mütter wegen, sehr jung in die Kita kamen, ging bis zum Kern der Rituale, die dafür durch ideologische ersetzt wurden, die nur rot gefärbt, den totalitären des NS-Staates glichen, weil die DDR eben ein totalitärer Staat war - die Menschen wurden ideologisch eingebunden und entsprechend erzogen. Die Trennung zwischen privater bürgerlicher Kultur und öffentlicher staatlicher Kultur war nicht vorgesehen, auch wenn viele dennoch um so mehr eine private Kultur zelebrierten, gehörten Tischsitten nicht zum Kernprogramm der Betreuung in der Kita sondern waren als Bourgeoise verschrien, weil bürgerliche Kultur in diesem Regime ein Schimpfwort war, was es dem Nationalsozialismus nicht unähnlich machte, der auch eine Parteidiktatur war, die den ganzen Menschen erfassen sollte und mit allen Traditionen brach.

Wo die Sitten von außen aufgedrängt und nicht gelebt werden, sind sie bloß hohle Form. Ihren Wert erhalten sie durch die Tradition, die sie tragen. Sie sind gelebtes Erbe und damit ein wichtiges Erbgut der bürgerlichen Kultur, bis heute ein nicht unbedeutendes Unterscheidungsmerkmal, was nicht der Erhebung über weniger kultivierte Menschen dient, als vielmehr dem Zusammenhalt und der Erhaltung einer Tischkultur, die zum Zweck eigener Art wurde, so Gemeinschaft bildet und dieser Würde gibt, sie zu etwas kostbarem für die Beteiligten macht.

Vermutlich ist es schwer das Glück dieser Gemeinschaft, die ihr Erbe auch durch die Form des Essens kultiviert, als Außenstehender zu verstehen. Ob die Pflege von Tischsitten genetisch bedingt sein könnte, scheint mir eine relativ müßige Frage - es haben sich auch immer wieder Außenstehende gut in die Gemeinschaft eingefügt, wenn sie sich überhaupt irgendwo einfügen und wohl fühlen konnten. Familie lebt und wächst auch durch das, was sie in sich aufnehmen und integrieren kann. Damit pflegt sie ihr Erbe. Indem wir die Tradition leben, halten wir das Erbgut kostbar. Unterwerfe mich freiwillig den Regeln der Familie, deren Teil ich bin, mache ihre Tradition zu meiner und fühle mich damit, so heimatlos wie ich durch viele Umzüge logisch bin, geborgen, auch wenn ich mir nicht sicher bin ob es noch jemand in der Familie außer mir so sieht oder auf diese Art über das nachdenkt, was wir Jahr für Jahr veranstalten aber vermutlich hat jeder seine Gründe, sich damit wohl zu fühlen, um es weiter so wie jedes Jahr irgendwie zu machen an der traditionell langen Tafel in meinem Elternhaus, die vom Esszimmer bis ins Kaminzimmer stets reicht.

 Eines der kostbarsten Dinge aus dem Erbe meiner Familie sind für mich also deren immaterielle Traditionen, weil sie der Kitt des Zusammenhalts sind. Ob es ein Gen in unserer Familie gibt, das eine bestimmte Art zu feiern festschreibt, scheint mir eher zweifelhaft. Dass wir nur einfach weitermachen, was wir schon immer so machen, fände ich etwas wenig für einen stark kulturellen Vorgang. 

Es ist unser inneres Erbe, mit dem wir uns identifizieren und das wir zu pflegen gelernt haben, wie es schon die Generationen vor uns taten. Daraus wird ein Teil der Identität geschöpft, sicher nicht ausschließlich und wer wüsste schon, genau zu sagen, was Identität alles ausmacht aber die Familie und ihre Sitten ist sicher ein nicht unwichtiger Teil meiner Identität, der Halt und Perspektive gab in unsicheren Situationen, zumindest hätte geben können, hätte ich ihn mir bewusst gemacht, sage ich mir inzwischen - aber zeitweise Blindheit für entscheidende Werte ist wohl auch ein Teil des Weges zur Identifikation und nur wer wirklich am Rand stand, kann auch, von da aus zurückgekehrt, wirklich schätzen, was ihn ausmacht.

So ist das Erbe der Familie ein wichtiger Teil meines Wesens, darum auch schreibe ich immer wieder darüber, versuche dieser Daseinsform, eine neue literarische Form zu geben auf der Suche nach den eigenen Wurzeln und ihrem größeren Zusammenhang, weil jede Familie auch Teil der Gesellschaft ist, die sie mit prägt und von der sie auch geformt wird. So gesehen ist das Erbgut der Familie ein Teil von mir und macht mich auch zu dem, der ich bin. Ob dies an der Blutsverwandtschaft in der Familie zuerst liegt oder mehr an der Prägung durch regelmäßigen Kontakt, spielt für mich dabei kaum eine Rolle. Wichtiger ist mir, zu ergründen, was es ausmacht, wo es gut tut, in welchen Bereichen es mir eher fern liegt und wie ich dadurch der wurde, der ich bin und dies eben im Bewusstsein des familiären Erbes, wo immer dies seine Gründe findet. 

jens tuengerthal 13.7.20

Sonntag, 12. Juli 2020

Liebeswunder

Wie verwunderlich kann doch
Die Liebe immer wieder sein
Die ich weiß nicht wie ganz
Unverhofft auftaucht so tut
Als müsste es nun so sein
Das vorher noch Unbekannte
Nichts zum Mittelpunkt einer
Neuen Welt macht in der
Die Sonne die vorher tiefe
Nacht vertreibt mit nichts
Als einem schönen Gefühl
Was alles anders beleuchtet
Höre dabei Bachs Sonaten
Für Cello und staune wie
Eine Idee alles verändert
Die so wenig greifbar ist
Wie die Töne die kaum
Gehört schon verhallen
Frage mich was wohl wird
Aus schönstem Liebestraum
Wenn er im Alltag erwacht
Genieße jeden Ton noch
Der Sonaten dabei hier
Wunder mich und staune
Wie wirklich Träume werden
Ohne zu wissen noch wie
Wirklich die Wirklichkeit ist
Lausche und genieße nur
Was immer nun kommt
Könnte ein Wunder werden
Und wundere mich

Itldzdw 11.7.20

Samstag, 11. Juli 2020

Geldverwandtschaft

Gehen Unternehmen besser in der Familie oder hat Geld diese ersetzt?

Gerade viel über Geld in großen Familien gelesen, was sie unterscheidet und warum die einen erfolgreicher als die anderen waren, die einen im Finanzkapitalismus scheiterten, während die anderen als Dynastie erfolgreich blieben. Dies genauer für die beiden Familien Familien Barings aus Bremen und Rothschild aus Frankfurt am Main betrachtet und im folgenden darüber nachgedacht, inwieweit der Glaube an das Geld eine eigene Mystik ist oder besonders für das Papiergeld eine neue Form von Verwandtschaft begründet, die auf Vertrauen basiert, wie Christina von Braun argumentiert, wenn auch dabei etwas kurzsichtig Familien wie die Medici oder die Fugger nicht erwähnte, was ihrer sonst relativ stichhaltigen Argumentation etwas den Boden entzieht, die auch in einer teilweise Anklage des Finanzkapitalismus mündet ohne dabei die Frage nach den Alternativen zu stellen, was zwar zulässig sein kann als Wissenschaftler, um eine Hypothese zu bilden, aber als Ergebnis fragwürdig macht.

Die Unterscheidung zwischen den ursprünglich bremischen Familie Baring und den Frankfurter Rothschilds, die beide ihren Erfolg im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in England zuerst machten, wo die Textilhändler Baring und die auch Tee und Gewürze handelnden Rothschilds ins Bankgeschäft gingen, weil es größere Aussichten auf Gewinne bot, ist spannend und wirft einen neuen Blick auf alte Dynastien.

Der Krieg gegen Napoleon und das Engagement in den Kolonien machte Barings reich und zur eigenen Macht in Europa, die über den Erfolg von Staaten entscheiden konnten. Während der Finanzierung der Kriege gegen Napoleon tat die noch von Mitgliedern der Familie geleitete Barings Bank in London alles ihr mögliche, den Konkurrenten Rothschild mit auch antisemitischen Argumenten zu verdrängen, was ihnen aber nie gelang, aber dafür bauten sie ihre Macht weiter aus. Dennoch wäre gegen Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts Barings beinahe bereits pleite gegangen, nachdem sich ein Baring in Argentinien verspekuliert hatte, waren aber damals noch so bedeutend und systemrelevant, dass die Bank of England für ihre Rettung sorgte, was ihnen weitere hundert Jahre schenkte. Eine Zeit, in der sich immer mehr Mitglieder der Familie aus dem Firmengeschäft zurückzogen, um das Leben des ländlichen Adels zu führen, der nach dem Vorbild des britischen Gentleman nicht arbeitete sondern höchstens noch der Krone diente im Kampf oder wo auch immer erforderlich.

Bei Barings kamen teilweise auch Schwiegersöhne oder nicht verwandte Bankiers in führende Positionen. Dies kam im Hause Rothschild nicht vor. Sie blieben ein Familienbetrieb, der sich auch lange streng an die Vorgaben des Gründers hielt, der noch in der Frankfurter Judengasse groß wurde. Danach wurden Teilhaber nur Söhne der vorigen Teilhaber und das auch nur sofern sie Juden blieben und den jüdischen Gesetzen genügende Kinder zeugten. Insofern dies die Auswahl der tauglichen Ehepartner auf vergleichbarem sozialen Niveau sehr beschränkte, wurde die Hochzeit unter Vettern und Basen, der in Europa weit verteilten Familie Rothschild, schon im ersten Grad lange Zeit üblich und machten weit über die Hälfte der Hochzeiten im Clan aus, der so sein Geld beisammen hielt und ein System des Vertrauens schuf. Christina von Braun argumentiert hier mit der Bedeutung der matrilinearität in jüdischen Familie nach der rabbinischen Auslegung.

Hat etwas für sich, insofern als Sohn nach jüdischer Sitte nur anerkannt wurde, wer Sohn einer jüdischen Mutter war, was zur matrilinearen Beweisführung führt. Dennoch war diese interne Struktur, die Frauen lange von jeder Teilhabe ausschloß, trotz matrilinearer Beweisführung der Herkunft und Berechtigung, eine klar patriarchale. Aber sie hielt den Familienverband relativ eng geschlossen, verringerte die Zahl der möglichen Erben und verhinderte destabilisierende Aufteilung im Erbfall.

Zumindest hat das Bankhaus Rothschild, neben anderen Unternehmungen der Familie, wie Weinbau oder Film bis heute als vertrauenswürdige, exklusive Bank überlebt, während Barings Ende der 90er Konkurs ging. Dies zwar durch das kriminelle Verhalten eines Investmentbankers aber auch schon länger ohne Kontrolle oder Beteiligung der Familie, die lieber das Leben der Landlords erstrebte, während Rothschild lange durch die internen Heiraten stabil blieb und das Vermögen beieinander hielt, seinen Einfluss im Unternehmen nie verlor. Das Bankhaus Rothschild wurde nie so eine große mächtige Bank wie Barings von den Pastorensöhnen aus Bremen, die den Konkurrenten so scharf antisemitisch bekämpften, stieg nie so weit ins Investmentbanking ein, riskierte damit weniger aber behielt Einfluss über das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und sichere familiäre Struktur auch, lebt immer noch und ist in verschiedenen Geschäftsfeldern - von Wein bis Film - weiter aktiv, gilt als Bank des Vertrauens mancher wohlhabender Familie. Dennoch kursieren bis heute seltsame antisemitische Verschwörungstheorien über die Familie Rothschild und ihre Weltmacht, statt zu würdigen wie sozial und integer sich eine ganze Familie aus Tradition verhielt.

Die klare Familienpolitik noch dazu an jüdischer matrilinearer Linie orientiert, war also erfolgreicher als die sagenhafte Expansion, dahingestellt,  was den Barings noch in der Familie nach dem Zusammenbruch des Mutterhauses in einer Zeit blieb, in der Kaufleute nicht mehr privat für ihre Investitionen haften mussten. Weniger streng jüdisch und doch auf die Familie bedacht waren die Mendelssohns, die auch kulturell eine bedeutende Rolle in der deutschen Geschichte auf vielfältige Art spielten, mit ihrem Stammvater Moses Mendelssohn einen der führenden Köpfe der deutschen Aufklärung hervorbrachte, der immer noch lesenswert ist und in manch intoleranten Debatten einen aufgeklärten Beitrag leisten könnte.

Mit der Verwandlung der Unternehmen in Aktiengesellschaften nahm zwar die persönliche Haftung der Unternehmer ab, dafür aber gewann das Geld an Einfluss, was eine imaginäre Größe in vieler Hinsicht ist. Nach Christina von Braun ist das Kapital, sobald sich das Papiergeld entwickelte und noch mehr, seit dem das Geld nicht mehr durch Gold gesichert wird, eine eigene Größe geworden, die der Familie nicht unähnlich ist, insofern sie auf Vertrauen basiert und in seinem Kreislauf mit dem des Blutes verglichen wurde.

Im Glaube an das Versprechen des Geldwertes und dem Handel mit ihm, der durch komplexe Komponenten beeinflusst wird, kann eine familienähnliche Struktur gesehen werden. Es wird an ein bloßes Versprechen des Wertes geglaubt, das reale Werte wie etwa Gold ersetzt und im eigenen Handel sogar viel höhere Werte erzielen kann. So werden im Handel mit Geld höhere Beträge teilweise umgesetzt als in dem mit Waren, auch wenn es ursprünglich nur einer Erleichterung des Handels diente.

Fraglich scheint jedoch, ob diese Sicht nicht die realen Verhältnisse mit einem verkehrten Bild verklärt. Zwar bringt der Geldhandel einen höheren Ertrag als der mit Waren und hat sich damit teilweise bereits von seinem Ursprung als Mittel des einfacheren Warenaustausch entfernt, eine eigene Welt geschaffen, jedoch gehorcht auch diese meist den Gesetzen des Handels, allen gelegentlichen Blasen gerade in der neuen Ökonomie zum Trotz.

Auch scheint die ausschließliche Betrachtung des Handels mit Papiergeld und dessen Einführung als Wende im 17. Jahrhundert viele entscheidende Dinge außer acht zu lassen, die schon lange davor stattfanden und in der Natur des Marktes liegen, der eben nur den vorher Warenaustausch abstrahiert fortsetzt aber doch ein Tausch mit der Suche nach maximalem Gewinn bleibt, wie er in der Natur des Menschen liegt.

Denke ich etwa an die Fugger oder die Medici zeigte sich schon in Renaissance und Mittelalter wie die Vergabe von Krediten den realen politischen Einfluss veränderten und die weitere Entwicklung auch ohne Papiergeld beeinflussen konnte. Denken wir etwa an Königinnen von Frankreich Maria oder Katharina und ihren enormen Einfluss etwa in der Hochzeitsnacht des späteren König Henri IV., der Bartholomäusnacht, in der sich Frankreichs Katholiken blutig gegen die Protestanten erhoben, gut katholisch Massaker veranstalteten oder auch die kirchlichen Würdenträger aus dem Hause Medici und zeitweise Herzöge der Toskana.

Geld ist ein natürliches Mittel zur Organisation von Märkten, bei dem der Staat den Warenaustausch mit dessen Ausgabe sichert und erleichtert, eine weitere Arbeitsteilung ermöglicht, welche der Mehrung des allgemeinen Wohlstandes dient. Auch die vielfach verfluchte Liberalisierung der Märkte im Rahmen der Globalisierung und die expansive Entwicklung der Kapitalmärkte mit Beginn der New Economy hat weltweit mehr zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes geleistet, als Globalisierungsgegner gerne zugeben.

Ob die Praxis im derzeitigen Handel darum gerecht ist oder nur Monopole stabilisiert, ist eine andere Frage, die im Einzelfall betrachtet werden sollte, um geeignete Lösungen zu finden, statt pauschal ein System zu verurteilen, was der Natur des Menschen entspricht und dessen Wirkung der Mehrheit der Menschen bessere Lebensbedingunge brachte.

Nicht Kapitalismus oder der Handel mit Geld als solcher ist problematisch, sondern der ethische Rahmen in dem dieses geschieht und die persönliche Moral der Beteiligten. Das System, was für weltweiten Wohlstand, optimale Versorgung der größten Menge mit Gütern und Mehrung des Wohlstandes wie der medizinischen Versorgung sorgt, ist nicht darum moralisch schlecht, weil sich einige der Beteiligten ethisch fragwürdig verhalten. Hinterfragen könnten wir eher ein politisches System, das immer wieder partikulare Interessen stärker berücksichtigt und dabei die Ordnung an sich aus den Augen verliert, weil manches nicht käuflich sein sollte.

In der das jüdische Leben prägenden rabbinischen Kultur gibt es dazu eine klare Sozialethik, die auch Ausgleich und Gerechtigkeit in der Verteilung vorsieht ohne darum das als natürlich empfundene System infrage zu stellen. Würden sich mehr um politische Reformen im System bemühen, statt wie gegen Windmühlen fechtend, den Kapitalismus für fragwürdig zu erklären, um damit dem marxschen Aberglauben zu folgen, der keinesfalls logisches Produkt einer nüchternen Analyse ist, sondern ein bloßer Glaube, könnte real vermutlich wesentlich mehr erreicht werden an Ausgleich und Gerechtigkeit.

Die Frage, ob der Kreislauf des Geldes, dem des Blutes gleicht, könnte interessant sein, sofern sie von moralischen Urteilen gereinigt wird, die nur Verwirrung stiften und Vorurteile bestätigen wollen, statt für Aufklärung und mehr Vernunft zu sorgen. Der Vergleich könnte gut und treffend sein, da das Geld nur ein abstrahiertes Abbild der Natur des Tausches ist, der allem Handel zugrunde liegt. Es liegt in der Natur des Menschen nach Wohlstand und also Sicherheit zu streben, wie in seinem Handeln erfolgreich zu sein. Wie wir gerne das Beste für uns aus allem herausholen wollen, was wir tun, weil es eben in unserer Natur liegt, es uns so gut wie möglich gehen zu lassen, ist der Handel in seinen verschiedenen Formen nur das Produkt dieser Natur. Diese Eigenschaft wird nicht dadurch an sich schlecht oder unmoralisch, weil einzelne sie mißbrauchen, sondern ist so natürlich wie Atmen, Herzschlag oder Verdauung.

Wie ein Staat organisiert sein sollte, dieser natürlichen Eigenschaft die besten Bedingungen für die größte Menge zu geben, kann auch ohne Systemfrage diskutiert werden, um vernünftige Ergebnisse zu erzielen. Wer dabei ein System über das andere stellt und meint die Bekämpfung der Natur oder ihre Überwindung könne vernünftige Ergebnisse dauerhaft bringen, ist meist weit von der Realität entfernt und damit demokratisch nicht diskursfähig, was sich seit vielen Jahren immer wieder bestätigt. Vielleicht wäre eine Anerkennung der Natur statt ihre vermeintlich moralische Bekämpfung zielführender als die bisherigen Versuche mehr Gerechtigkeit zu erreichen. Doch bedeutete dies, die Aufgabe traditioneller schlichter Glaubenssätze, was wohl für viele ergo unfrei denkende, eine zu große Aufgabe sein könnte, doch stirbt die Hoffnung auf mehr Vernunft zuletzt.

Insofern Christina von Braun in ihrem sonst hervorragenden Buch dabei ein wenig den Pfad der Freiheit verlässt und die Systemfrage zumindest andeutet, sehe ich ihre Schlußfolgerungen diesmal eher kritisch. Der Vergleich von Geld und Blutkreislauf scheint mir dagegen naheliegend, insofern er auf die natürliche Bedeutung dieses Zahlungsmittels hindeutet. Geld ist, mehr nicht, wir können es benutzen. Es ist weder an sich moralisch noch unmoralisch. Diese Betrachtung ist so falsch, als wollte ich Atem, Verdauung oder Sexualität einem moralischen Urteil unterwerfen, die doch nur Teil unserer Natur sind, was zeigt wie falsch der autoritäre Ansatz der meisten Sekten ist.

Unter Anerkennung der Natur und ihrer Tatsachen, könnten Formen gefunden werden, die einen Diskurs über die beste Zukunft vernünftiger gestalten würde und Marx mit seinen totalitären Theorien ins Museum der Geschichte schickte, wo er mit anderen Gläubigen eine Schreckenskammer der Geschichte menschlicher Anmaßung bilden könnte

Blutkreislauf des Geldes ist kein schlechter Vergleich, insofern er auf die Natur verweist, mit der wir leben und aus der wir das beste ihr entsprechend machen können, statt sie autoritär oder totalitär mit beschränktem Horizont bekämpfen zu wollen. Zumindest wäre eine solche Betrachtung vernünftiger und aufgeklärter als viele Diskussionen zum Thema Kapitalismus, die häufiger von beiden Seiten vom Glauben geprägt sind.

Bliebe noch die Frage, ob konsequent familiär eher geführte Unternehmen bis heute erfolgreicher sind als etwa Aktiengesellschaften. Bei der AG wird die Verantwortung delegiert und damit meist eher deantwortet, während Familienunternehmen von persönlich verantwortlichen Unternehmern geführt werden, die auch im Sinne einer Tradition und Verantwortung für die folgenden Generation handeln.

In der Geschichte gibt es zahlreiche Unternehmen, die den größeren Erfolg solch traditioneller Unternehmen bestätigen können, auch wenn immer wieder aufflammende Diskussionen über dabei gescheiterte Unternehmer und die Krise etwa des Mittelstandes dagegen zu sprechen scheinen, sprechen die Zahlen eine klare Sprache, die durch Ausnahmen nur bestätigt wird.

Ein interessantes Beispiel in der aktuellen Diskussion ist der große Software-Konzern SAP, der sich an seine Traditionen hält, lokal zu bleiben und wichtige Führungspositionen, möglicherweise auch bald im Aufsichtsrat intern mit Kräften aus der Region besetzt und dafür die zeitweise dominanten Manager amerikanischer Kultur verabschiedet, nachdem sie erkannten, was zu ihnen passt. Gerade die Diskussion über den möglicherweise verzögerten Rückzug von Hasso Plattner als Vorsitzenden, der noch einer der Gründer ist und seinen diskutierten internen Nachfolger, der eher als lokale Größe gilt, aber der Tradition verpflichtet ist, zeigt dies. Sie wird von manchen Führungskräften und Journalisten mit Blick auf Amerika und seinen wichtigen Markt kritisiert. Wer hier besser die Zeichen der Zeit zu lesen vermag, wird sich noch zeigen.

Traue mir hier kein inhaltlich kompetentes Urteil zu, weiß zu wenig vom Unternehmen noch verstünde ich den Weltmarkt, beobachte aber erstaunt und mit gewisser Sympathie, wie ein Hasso Plattner langsam seinen Abschied altersgemäß organisiert, aber sich dabei überraschend auf alte Traditionen besinnt, statt eine weitere Anpassung eines erfolgreichen Unternehmens an den seltsamen Nachbarn im Westen zu fördern und damit auf Pferde zu setzen, die ihren Zenit möglicherweise bereits überschritten haben, sich also lieber an die eigene Geschichte hält und sich damit relativ treu bleibt, den erfolgreichsten DAX-Konzern so weiterführen möchte, wie er anfing, was vielleicht dem ähnelt, was Familienunternehmen erfolgreich hält und so scheint mir die momentane Entwicklung dort eher beruhigend, aber zum Glück muss ich nichts davon verstehe, beurteile es nach dem Gefühl und denke, das Familie wohl in manchem ein gutes Vorbild sein kann, um die Zukunft im Bewusstsein der Tradition zu gestalten.

Vielleicht erledigen sich so manche exzessive Ausflüge auch im Bankgewerbe und wir kehren zu einer Tradition zurück, mit der die Hanse länger und zuverlässig gute Geschäfte machte, nämlich, wie es Thomas Mann so treffend im Wahlspruch der Buddenbrooks beschreibt, nur des Tags solche Geschäfte zu machen, das wir des Nachts gut schlafen können und also auch sozial verantwortlich zu handeln, statt zu hoffen mit riskanten Wetten, exorbitante Gewinne zu erhaschen, sein gutes Auskommen zu finden, um glücklich zu leben. Dann liegen Handel und Markt wieder in der Natur des Menschen und die Aufgabe des Staates ist es nur für gerechten Ausgleich zu sorgen mit weniger autoritären Regeln oder weltfremden Phantasiemodellen, wie dem des Sozialismus, als ein Beispiel für autoritäre durch Glauben geprägte Ordnung, sondern Freiheit und Gleichheit, was eine bessere Zukunft verspricht als ständige Zweifel und sich dem fügt, was eben in der Natur liegt, statt sie zu bekämpfen. Das Geld ist dann nur ein Mittel zum Zweck und kein böser Teufel, sich bei allem an der Familie zu orientieren, also auch mit Liebe und Verantwortung zu handeln, könnte ein guter Anfang sein.

jens tuengerthal 11.7.20

Freitag, 10. Juli 2020

Kusskommen

Kommen wir allein schon
Vom Küssen können wir zu
Kaum anderen mehr kommen
Als immer wieder uns küssen
Um zusammen zu kommen
Im Kuss verschlungen dann
Gekommen zungig innig
Käme wer immer kommt
Beim ersten Kuss selten nur
Dazu eindringlich zu werden
Ineinander wie überhaupt
Was doch schade wäre
Warum wir hoffentlich genug zu
Nie endenden Küssen kommen
Wenn wir endlich beieinander
Ankommen um da zu bleiben
Sind wir Helden dann wohl
Gekommen um zu bleiben
Nicht nur virtuell theoretisch
Was angekommen genug ist
Es dabei zu belassen

jens tuengerthal 10.7.20

Donnerstag, 9. Juli 2020

Inzüchtig

Welche Rolle spielt Inzucht noch in Familien und wann kam sie auf, fragte ich mich, bei der Lektüre des entsprechenden Kapitels in Christina von Brauns Buch Blutsbande und habe es genutzt, mich auch ein wenig über das allgemein schon bekannte hinaus zu belesen, erinnerte mich an den Skandal, als vor einigen Jahren ein Geschwisterpaar bekannt wurde, das mit gemeinsamen Kindern eine glückliche Familie bildete, was es nach deutschem Recht nicht durfte, wofür, wenn ich mich richtig erinnere, der Mann auch als Straftäter verurteilt wurde, was ich schon damals etwas seltsam fand, auch wenn die Empörung groß war und viele von der früher üblichen Inzucht auf den Dörfern raunten, bei der häufig Idioten rausgekommen wären, unklar blieb dabei nur, ob die raunenden zu den Opfern eher zählten.

Wann und wo hat die Inzucht begonnen und sind die Auswirkungen wirklich so einfach und offensichtlich, war die naheliegende Frage, die sich mir nun stellte und es scheint, dass dabei, wie so oft bei moralischen Verboten, vieles anders und weniger dramatisch ist, als angenommen, manches nur Meinung und Aberglaube ist, der von ganz anderen Interessen geleitet wird, wie so oft, wenn die Kirche ihre Finger im Spiel hat.

Im Hochadel gab es, schon mangels gleichwertiger Auswahl, bereits seit langem Inzucht und besonders das Haus Habsburg mit seiner österreichischen und spanischen Linie tat sich dabei, auch phänotypisch sichtbar, seit dem 16. Jahrhundert besonders hervor, wobei das Problem sich mit dem Erbe Frankreichs und dem für Frankreich siegreichen Erbfolgekrieg ja erledigte. Ansonsten hat der Hochadel über Jahrhunderte immer wieder untereinander geheiratet und ist damit in vielen Fällen relativ eng noch verwandt. Auch dort waren Geschwisterehen, anders als etwa bei den alten Ägyptern verpönt. Überhaupt hatte das Christentum ein relativ rigides Inzuchtverbot über Europa und die christliche Welt gelegt, wodurch diese Praxis, außer im personell beschränkten Hochadel, der die Güter beisammenhalten wollte, nicht sehr verbreitet war, es zumindest für die katholische Welt dafür eines päpstlichen Dispenses bedurft hätte, der für gewöhnlich schwer zu erreichen war.

Die anfänglich noch wenigen regierenden protestantischen oder reformierten Häuser heirateten untereinander, was auch die Auswahl ein wenig einschränkte aber keine größere Nähe brachte, als sie das Haus Österreich seit Karl V. praktiziert hatte, dem Sohn von Isabella der Wahnsinnigen, dahingestellt ob der ihr unterstellte Wahnsinn nach dem Tod ihres Mannes, des schönen Philipp von Austria durch Inzucht also Erbkrankheit, die dominant auftrat, ausgelöst wurde oder Produkt ihrer großen Trauer und damit Zeichen wirklich großer Liebe war, die bei den königlichen Hochzeiten zwar selten blieb aber dennoch nicht notwendig mit Wahnsinn gleichgesetzt werden muss. Die Ehe ihrer Eltern, Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon hatte Spanien erst begründet und mit der Vertreibung der Mauren und Juden sich auch die heute Spanien genannten Gebiete erobert auf Kosten der Toleranz.

Aber jenseits der damals regierenden Häuser kann das Gerücht dörflicher Inzucht so nicht bestätigt werden. Die Kirche hatte strenge Regeln aufgestellt, die erst viel später aufgeweicht wurden und zwar primär aus finanziellen Interessen im aufstrebenden Bürgertum und das auch erst nachdem die Kirche ihre regierende Macht in Deutschland mit dem Reichsdeputationshauptschluss, der infolge der Niederlage gegen Napoleon zur Säkularisierung der Kirchengüter und der anschließenden Auflösung des alten Reichs führte, also ab 1806.

Die vermögenden Familien hatten ein Interesse, das Geld in der Familie zu halten, warum die sonst verpönten Heiraten zwischen Cousins und Cousinen teilweise auch schon im ersten Grad üblich wurden, also diejenigen, die ein gemeinsames Großelternpaar hatten und deren Eltern noch Geschwister waren. Diese Personen dürfen auch heute noch heiraten, sofern sie keine nachweislichen schweren Erbkrankheiten haben, die bei Kindern dominant auftreten könnten. Allerdings liegt die Wahrscheinlichkeit dafür nur bei etwa 6,25% gegenüber 2-4% bei nicht blutsverwandten Paaren. Dagegen läge die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Erbkrankheiten, deren Anlage wir alle zu bestimmten Teilen in uns tragen, bei Geschwistern oder Eltern-Kinder Fortpflanzung bei 25%, während er bei Vettern 2. Grades nur bei 1,5% läge, also niedriger als unter nicht blutsverwandten Menschen, was den von keiner tieferen Kenntnis getrübten Betrachter dieser wissenschaftlich belegten Statistik doch erstaunte.

Erstaunlicherweise hat sich bei Ehen unter Vettern des 2. bis 3. Grades in Island gezeigt, dass diese Ehen über Jahrhunderte die meisten gesunden Kinder hervorbrachten und überdurchschnittlich stabil waren. Dieser Faktor könnte in den eher aussterbenden europäischen Nationen, die durchschnittlich deutlich unter 2 Kinder haben, zu interessanten Schlussfolgerungen führen, die aber bisher noch nicht diskutiert wurden. Vielleicht werden auch neue Formen künstlicher Fortpflanzung manche Debatte entbehrlich machen, wenn bereits jetzt manche Frauen sich Samen vermeintlich besonders begabter Menschen zur künstlichen Befruchtung ihrer Eizellen erwerben können, was immer diese zufällige Neukombination an potenziellem Genie schaffen kann, was nach allem, was wir wissen, relativ unwahrscheinlich ist, aber manchen einiges wert wäre.

Sofern wir künftig mehr künstlich befruchten, vielleicht auch weil die Impotenz der verbleibenden Männer durch den hohen Anteil von Pillenrückständen im Trinkwasser noch weiter zunimmt, könnten wir auftretende Erbkrankheiten und ähnliche Probleme wohl bald ausschließen, womit der Geschwisterehe gesundheitlich nichts mehr im Wege stehen müsste, dahingestellt, ob das sozial erstrebenswert wäre, bräuchte zumindest die Pönalisierung eine neue Begründung, da die alte nicht mehr haltbar wäre und die moralischen Gebote einer bloßen Glaubensgemeinschaft können in einer aufgeklärten, säkularen Gemeinschaft nicht genügen, einen Straftatbestand zu begründen, der ohnehin fragwürdig ist, wie der bekannt gewordene Fall gezeigt hat, in dem, unter großer Anteilnahme einer sich mit Schaum vor dem Mund empörenden Öffentlichkeit, eine heile und gesunde Familie mit den Mitteln des Strafrechts zerschlagen wurde, nur weil es so üblich ist und die Kirche aus Gründen ihres Machtzuwachses so betimmt hatte.

Das strenge Inzuchtverbot hängt auch mit der Hoffnung der Kirche zusammen, dadurch die Fortpflanzung zumindest teilweise verhindern zu können und so zur legitimen Erbin zu werden, was die Kirche etwa in Frankreich und Italien teilweise zur größten Grundbesitzerin gemacht hatte, die aber, des Zölibats wegen, ihre Güter immer neu verteilen konnte, was sie zu einem enormen auch politischen Machtfaktor machte, um den insbesondere im Mittelalter noch mit deutschen Kaisern viel gestritten wurde, vom immer wieder abgesetzten Barbarossa, dem Staufer Friedrich, bis zu Heinrich IV., dem Salier, der für den päpstlichen Segen barfuss um Canossa ging.

Dies ist alles keine Frage der Inzucht aber zeigt, was passiert, wenn ein mächtiges Vermögen, das ohne Bluterben weitergegeben wird, in Konfrontation mit einer Macht steht, die sich noch um legitime Erben selbst bemühen muss, denen die Kirche wiederum strenge Auflagen für die Partnerwahl und die Legitimität ihrer Kinder machte, die einmal erben dürfen. Die Kirche hatte als designierte Erbin, ein Interesse daran, die legitime Nachfolge zur erschweren, um sich am verbleibenden Vermögen bereichern zu können. Betrachten wir die rigiden Regeln zur Inzucht der katholischen Kirche, die bis zum 6. oder 9. Grad teilweise reichten, liegt es wohl nicht völlig fern, hier eine Interessenkollision anzunehmen, die den moralischen Wert dieser Regelungen sehr infrage stellt. Abgesehen davon, welchen moralischen Wert Regeln überhaupt haben können, die sich statt auf individuelle Haltung auf Anweisung erdachter höherer Wesen beziehen, ist es erstaunlich, wie gut das moralische Diktat der Kirche bis heute funktioniert hat und wie klar die moralische Verurteilung gegenüber der Inzucht immer noch ist.

Sind diejenigen, die dort urteilen, nicht fähig, sich selbst ein kritisches Urteil zu bilden, plappern sie einfach nur nach, was ihnen vorgekaut wird, oder ist es, wie so oft bei moralischen Verurteilungen der Leben anderer Menschen, mehr die Furcht vor dem Fremden, die viele so extrem reagieren lassen?

Vielleicht ginge es besser und friedlicher auch bei der Betrachtung dieser Fälle zu, wenn wir statt alte bigotte Vorurteile zu pflegen, uns lieber an Tatsachen hielten, die etwa besagen, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Erbkrankheiten unter Vettern 2. Grades geringer ist als unter nicht blutsverwandten Personen und wir seit Jahrhunderten in unserem moralischen Urteil einer geschickten Politik der Kirche aufgesessen sind, die eigene pekuniäre Ziele dabei  verfolgte. 

Ist die Inzucht oder die Geschwisterliebe moralisch schlecht oder zu verurteilen?

Sehe dafür keinen Grund, wie ich überhaupt keinen Grund erkennen kann, je über die Liebe zu urteilen, wohin sie eben fällt. Die Liebe ist, was sie ist, freuen wir uns, für diejenigen, die sie finden, statt ihr moralisch falsche Grenzen zu ziehen, die nur der Bereicherung einer Institution des Aberglaubens diente, der moralisch ohnehin längst fragwürdig geworden, eher ein zu überwindender sein sollte, statt noch immer in den Köpfen vieler Menschen der Liebe Schranken zu setzen.

Hatte nie vor meine Schwestern zu heiraten, es war schon der Gedanke an Sexualität ihnen gegenüber für mich ein absolutes Tabu, wie es in unserer Gesellschaft relativ normal ist - aber alle Tabus gelegentlich nach Sinn und Zweck zu hinterfragen, scheint mir wichtiger als einen mutmaßlichen Erbschaden sicher auszuschließen. Die Griechen hatten weniger Probleme mit Inzucht, auch wenn die Geschichte des Ödipus aus ihrer Tradition stammt, waren ihre moralischen Urteile flexibler und vernünftiger als einige alte christliche Zöpfe hier, die zu hinterfragen dem freien Denken gut tun könnte. Was die Freiheit fördert, kann nicht schlecht sein, auch wenn ich sicher kein Fürsprecher der intrafamiliären Fortpflanzung bin, Neukombination des Genpools ist vermutlich gesünder, auch wenn die Statistik etwas anderes vermuten lassen könnte, scheint mir zumindest, die im pekuniären Interesse der Kirche entstandene moralische Verurteilung immer fragwürdiger und fragwürdiges zu hinterfragen, finde ich immer besser.

jens tuengerthal 9.7.20

Regenlauschen

Lausche dem Regen
In tropfender Harmonie
Ist alles Natur

jens tuengerthal 9.7.20

Mittwoch, 8. Juli 2020

Männersterben

“Viele Thiere werden ganz aussterben; so auch das Geschlecht der Männer,”
Friedrich Schlegel

Sterben die Männer aus oder nur eine Sorte von ihnen?
 
Der Eduard der Wahlverwandtschaften stirbt über den Tod seiner Liebe, ein für Männer weniger ungewöhnlicher Tod als für Frauen, wie uns die Statistiken bis heute bestätigen, in denen die Zahl der männlichen Suizide weit über denen der Frauen liegt, was nicht mehr nur eine Frage der Ehre ist. Nicht die wenigsten seit der Romantik auch aus verzweifelter Liebe. Während Frauen immer besser auch mit der Situation als Alleinerziehende klarkommen, denn der größere Teil unter diesen sind immer noch Mütter, fallen Männer häufiger in ein Loch, aus dem manche nie wieder herausfinden, gefangen zwischen gesellschaftlichen Erwartungen, Selbstzweifeln und zu großen Gefühlen.

In einer Zeit zwischen den Zeiten, in der auf der einen Seite das Ideal des rücksichtslosen Chauvis durch politische Führer wie Trump, Putin, Bolsonaro oder Erdogan, die dem Populismus huldigen, wieder Konjunktur hat, finden viele Männer schwer ihre Position. Einerseits werden solche alten vorgestrigen Typen von den meisten vernünftigen Frauen verachtet. Andererseits ist das Eingeständnis von Schwäche nicht unbedingt dem Erfolg förderlich, finden die schlichten Sprüche wieder so großen Zulauf, als hätte es weder eine Aufklärung noch die Befreiung nach 1968 wie die Hippies danach gegeben, suchen Menschen in Krisenzeiten gerne starke Führer.

Kein Schwächling sein und dennoch nicht auf die schlichten Sprüche der Populisten hereinfallen, seine Männlichkeit auch bei Hausarbeit nicht zu verlieren, ein nachdenklicher Kümmerer sein, aber seine Liebste mit einem Zigarre rauchenden Chauvi abziehen sehen, macht den Drahtseilakt der neuen Männlichkeit nicht immer einfach, lässt manchen verzweifeln.

Als auch jahrelang Hausmann, weil die Mutter der Tochter einfach mehr verdiente, beruflich erfolgreicher war, kenne ich die schrägen Blicke mancher Frauen, wenn du sagst, du machst den Haushalt, kümmerst dich ums Kind und versuchst nebenbei noch deinen Roman zu schreiben, womit meist nichts vollständig erledigt oder zumindest zur eigenen Zufriedenheit geschafft wurde.

Männlichkeit wird heute sehr stark durch beruflichen, also pekuniären Erfolg definiert, der sich dann zu gerne in entsprechenden, die Schwanzlänge demonstrierenden Karossen demonstriert. Natürlich lacht jede vernünftige Frau über solche Typen nur, sagt dir die aufgeklärte Vernunft, wenn du dann aber mühsam mit Kind und Fahrrad beim Eisholen balancierst und die Schönen in den Porschen steigen, kann, das, so schlicht und unsinnig es natürlich ist, schon am Ego des Hausmanns kratzen und es braucht lange Übung, sich vom Wahn des Konsums innerlich so zu befreien, dass du weißt, wer sich für diese Typen interessiert, ist ohnehin uninteressant, wäre nicht einmal eines Blickes wert, wobei es natürlich auch die sympathischen Porschefahrer gibt, um hier nicht eine neue Kiste Vorurteile zu öffnen.

Aber Potenz hängt eben gesellschaftlich auch am Einkommen und am Erfolg für viele, während der Verzicht darauf eher als Impotenz und Unfähigkeit gesehen wird, denn als klare Konsequenz aus einem ungesunden System und wer wollte nicht erfolgreich und stolz sein, mit dem glänzen können, was alle haben?

Während sich reiche Russen mit Symbolen ihrer Potenz wie jungen Damen gerne umgeben, alles am Geldwert und Gewinn gemessen wird, kann sich ein schlichter Feingeist und Literat, der nichts als dichten und Geschichten erzählen kann, schon manchmal sehr klein fühlen und muss dann die Isolation oder anderweitige Kompensation suchen, nicht unterzugehen und übersehen zu werden, dahingestellt ob es in solchen Zeiten ein Verlust wäre.

Einerseits beteuern die meisten Frauen, sich genau so einen zärtlichen und einfühlsamen Mann zu wünschen und diese Chauvis mit ihren Statussymbolen nicht ausstehen zu können, fluchen, wenn sie wieder auf einen hereinfielen mit dem erwartungsgemäßen Ergebnis, andererseits suchen sie sich auch immer wieder genau diese Typen aus, funktioniert das Laute besser als die feinen, leiseren Töne. Dann wird dir zwar versichert, diese Typen seien alle grauenhaft im Bett, Schnellspritzer, die sich nur um sich kümmern, kein Gefühl für weibliche Bedürfnisse und doch frage ich mich dabei immer wieder, warum dann so viele Frauen ihre Erfahrungen mit genau diesen Typen sammeln wollen, auf was sie dabei hoffen.

Glaube nicht, eine Antwort auf diese komplexe Frage zur weiblichen Psyche mit meinem schlichten männlichen Verstand finden zu können, gebe die Suche danach lieber vorab auf und fragte lieber entsprechend, ohne durch die Antworten klüger geworden zu sein. Häufigste Antwort war, das fragten sie sich auch, danach kam die Hoffnung auf den guten Kern, der sich doch nur hinter diesen Symbolen tarne, ihnen das übrigens völlig egal wäre, sie nicht beeindrucken würde, es nicht auf die in PS dargestellte Schwanzlänge ankäme sondern allein auf Gefühl und Verlässlichkeit.

Ob der letztere Punkt vielleicht der entscheidende ist, weil allein der Unterhalt eines PS starken dicken Wagens schon ein stets gut gefülltes Portemonnaie braucht, also so einer in der Tradition der Sammler und Jäger zumindest Aussicht auf Mahlzeiten, Unterhalt und gelegentliche Geschenke bietet, konnte ich nicht letztlich verifizieren. Zwar streiten nahezu alle Frauen ab, dass ihnen das bei der Partnersuche wichtig wäre, aber völlig wirkungslos scheint es in der Praxis doch nicht zu sein, dahingestellt, ob es einen der Beteiligten glücklich macht, du je kaufen kannst, was angeblich alle suchen, nämlich Vertrauen und Liebe.

Habe seit vielen Jahren keine Schwanzverlängerung in Blechform mehr und muss mich darum voll auf meine Natur verlassen, die auch manches unter dem schwankend seltsamen Männerbild gelitten hat, auch wenn ich nicht undankbar erscheinen möchte. Die größten Gegnerinnen der Chauvis der Rede nach, sind nicht unbedingt die ersten, die weglaufen, wenn ein solcher sie einlädt. Darüber fluchen manche Männer, die das Lästern über die Porsche Fahrer kennen aber seltener jemand auf ihrem Gepäckträger mit nach Hause bringen. Kann mich in dieser Hinsicht nicht beklagen über die letzten zehn Jahre, vielleicht war der Konsum an geschlechtlichen Kontakten sogar nicht unterdurchschnittlich, dennoch kenne ich das Nagen des Egos, was sich bei vielen der so entmannten Typen dann in um so aggresiveren Reden gegen die Autolobby und die Schlichtheit der Frauen äußert, die allerdings, so weit ich es beobachten konnte, selten sehr zielführend hinsichtlich ihrer Sehnsucht war.

Jede Zeit hat ihre Statussymbole und wenn Fürst Pückler-Muskau im 19. Jahrhundert mit weißen Hirschen Unter den Linden spazieren fuhr, ist das vergleichbar denen, die im offenen Tesla mit Sonderlackierung beim hiesigen Eissalon in Prenzlauer Berg vorfahren - darüber können wir lächeln und uns sagen - wenn sie es tun und nötig haben, scheinen ihre Zweifel an der eigenen Männlichkeit noch viel größer zu sein als die eigenen, dass sie so etwas nötig haben - was aber nur solange hilft, wie die Ironie größer als der Zweifel ist. 

Konsumgüter die Neid wecken, Männlichkeit demonstrieren sind vermutlich so alt wie die Menschheitsgeschichte und reichen vom Hinkelstein über die Pyramide bis zum idealen Faustkeil. Vermutlich schlagen sich Männer auch seit ebensoviel Generationen mit diesem Problem und den entsprechenden Zweifeln an ihrer Männlichkeit herum, die zu widerlegen, je nach persönlicher Situation unterschiedlich schwer fällt. Sich ganz auf sich zu besinnen und damit zufrieden zu sein, kann vermutlich helfen, mit sich glücklich zu werden, ist aber bei der Partnersuche nicht unbedingt das Erfolgsmittel Nr. 1.

Schlegel mutmaßte über das Aussterben der Männer zur Zeit der Romantik vor ungefähr 200 Jahren. Eingetreten ist es immer noch nicht. Stattdessen wählt eine Minderheit der Amerikaner einen Bilderbuch-Chauvi mit einer zu jungen operierten Frau ohne jede politische Erfahrung oder Ahnung ins Amt, der enormen Schaden für das Land und die Welt verursacht hat, so ungebildet wie einfältig ist, aber gerne mit seiner Potenz protzt. Ob dieses völlig überholte Männerbild, das uns nachdenkliche gefühlvolle Männer vor immer wieder unangenehme Situationen stellt, nun aussterben wird, wie es Christina von Braun in ihren Blutsbanden für wahrscheinlich hält, scheint mir bis heute eine schnöde Hoffnung, zumal es genug Frauen gibt, die solche Typen toll finden oder sich von ihrer Männlichkeit anziehen lassen, ohne darum gleich blöd zu sein.

Während für eine intelligente, emanzipierte Frau solche Typen nur ein Brechmittel sein sollten, ist der Erfolg dieser Populisten - ob in Russland, Brasilien, auf den Philippinen oder in den USA noch immer groß und Erfolg macht bekanntlich anziehender als die ewigen Selbstzweifel, die jeden nachdenklichen Intellektuellen zumindest von Zeit zu Zeit beschleichen müssen und sei es nur die Verzweiflung darüber, dass solche Typen Erfolg haben.

Frauen bekunden gerne auch öffentlich ihre Verachtung für solche Typen und lästern über die Lächerlichkeit der Schwanzverlängerungen, bis sie die Wahl haben, ob sie sich auf den Gepäckträger oder in die gepolsterten Ledersessel setzen, was ja natürlich und verständlich ist, würde es auch nicht immer anders machen. Hatte auch schon mehr als eine hochmotorisierte Liebhaberin und würde lügen, behauptete ich, dieser Sex-Appeal ließe mich völlig kalt.

Vielleicht liegt ein Schlüssel aus diesem Dilemma beschnittener Männlichkeit darin, dass sich Dichter und Intellektuelle künftig am besten zu den Damen mit Cabrio, Geländewagen oder Porsche setzen, um so herauszufinden, auf was es den selbständigen und erfolgreichen Frauen wirklich ankommt. Ob damit ein bestimmter Typ von Mann ausstirbt, die Tage der Casanovas gezählt sind oder ein echter Casanova ohnehin immer nur mit seiner Liebe zu den Frauen und nicht mit seinem Vermögen überzeugen konnte, könnte eine spannende Frage der Zukunft werden und vielleicht sollten sich Männer weniger Sorgen, um ihr Aussterben oder das eines Teils ihrer Gattung machen, als darum, wie sie erfolgreicheren Frauen gefallen könnten und auf was es dafür ankommt. Vermute Christina von Braun hoffte heimlich auf das baldige Ende der Trump-Typen, aber was weiß ich schon, was Frauen wirklich wollen.

Zumindest wäre es spannend, das Spiel zu verändern, den Damen mit dicken Autos die Wahl zwischen den besseren Liebhabern zu lassen - aber vielleicht ist das auch nur eine typisch chauvinistische Betrachtung des ewigen Spiels, an dem sich nie etwas geändert hat als Mittel und Technik der Triumphe, die eigenen Erfolg darstellen sollen - dabei wollen wir doch eigentlich alle nur geliebt werden, was weder käuflich erworben noch durch hohe PS-Zahlen erreichbar ist, manchmal vergessen wir es nur im Eifer des Gefechts. Ob meine Entscheidung, ohne Auto zu leben, klug und erfolgreich war, mögen die Nachfolger entscheiden, zumindest ist sie relativ unschädlicher und weniger anstrengend als dieses Quartettspiel um sexuelle Gunst - sicher kann ich mir natürlich nicht sein und über Zahlen wird zu meinen Lebzeiten nicht mehr gesprochen. 

Manche behaupten sogar, es käme weder auf Länge noch Größe ab, sondern allein auf den emotionalen Inhalt, was mir weder noch nun Sorge machte und doch wird zweifellos wohl nur immer sein können, wer zu schlicht ist, mehr als sich zu sehen, was mich nicht erfolgreicher macht aber im Zweifelsfall zufriedener - die Richtige wird merken, worauf es wirklich ankommt und was übrig bleibt, war es vielleicht wert, was nichts an den Zweifeln an der Männlichkeit ändert aber den dafür mehr vorm Spiegel zweifelnden Damen die Wahl überlässt - vermutlich bildeten sich auch nur ahnungslose Männer ein, es sei je anders gewesen, warum wir tun oder lassen können, was wir wollen, da wir die Grundlagen weiblicher Entscheidung in all ihrer Komplexität nie begreifen können, ist es wohl das beste, sie so zu genießen, wie sie fallen.

jens tuengerthal 8.7.20

Dienstag, 7. Juli 2020

Wahlverwandtschaften

Wählen wir uns Verwandtschaft oder werden wir unrettbar in sie hineingeboren?


Bedarf es da wirklich einer Etnscheidung, frage ich mich eher, gilt nicht vielmehr sowohl als auch, bei Begründung der Familie durch die Partnerwahl einerseits und das in sie hineingeboren sein andererseits. Beim einen spielen Wahl und heute auch Gefühl eine große Rolle, beim anderen hat es etwas natürlich unausweichliches, was wir nicht wählen sondern dessen Produkt wir einfach sind. Am wertvollsten scheint mir, was von Gefühl getragen ist, am nächsten lasse ich, was ich dazu erwählte. Fraglich könnte aber sein, wieviel Wahl uns das Gefühl noch lässt, wenn es wirklich groß ist, ob wir wählen oder uns bestimmt füreinander fühlen.


Im besten Fall ist die Familie von Gefühl und Zuneigung getragen, auch wenn dies immer von vielem anderen überschattet wird. Durch das Inzestverbot ist die Partnerwahl in der Familie ein wenig eingeschränkt, auch wenn heute ab dem ersten Grad unter Vettern und Basen geheiratet werden darf, sofern es keine nachweisbaren Erbkrankheiten gibt, wie weit unser Wissen da auch immer reicht, ist die Ehe unter Geschwistern wie eine dort körperliche Anziehung nicht ein Tabu sondern eine Straftat, was auch biologisch vernünftige Gründe haben kann, sich aber auch nicht negativ auswirken muss. Warum eine absolute Strafe einer relativen Gefahr gegenübersteht, die Freiheit einschränkt und auch darum natürlich fragwürdig sein müsste, wagten wir über Tabus zu reden. Ob das gut so ist, sei, jenseits aller moralischen Wertung, die meist andere Ursachen hat, einmal dahingestellt, es ist eine Straftat und so darf keiner die nächste Verwandtschaft als auch körperliche Liebe wählen, unter Geschwistern Sex haben, wobei es nicht um Gefühl sondern um formelle Normen geht, egal was die Beteiligten dabei empfinden, was immer wieder auch zu tragischen Entwicklungen führte.


Thomas Mann schrieb darüber in Wälsungenblut und persiflierte dabei typisch ironisch noch die wagnersche Walküre in der inzestuösen Liebe von Siegmund und Sieglinde als jüdischem Geschwisterpaar, kannte diese gefühlte Nähe, wenn nicht auch selbst, da ist nichts näheres bekannt, das Verhältnis zu Heinrich war nicht immer  einfach, so doch zumindest von seinen Kindern Erika und Klaus, die sich lange mehr als nahe waren und damit auch spielten.


In Goethes Wahlverwandtschaften dagegen geht es um den Konflikt zwischen Leidenschaft und Vernunft, als spiegelte er den zwischen Romantik und Aufklärung. Das zurückgezogen glücklich auf den, ein unbesorgtes Lebens ermöglichenden, Gütern lebende Paar, Charlotte und Eduard, das sich nach dem Tod ihrer ersten Ehepartner endlich finden kann, nachdem sie zuvor ihre schon Jugendliebe nicht leben durften. Sie beschäftigen sich mit der Ausgestaltung ihres Guts als idealem Landschaftspark und ihr Miteinander ist eher von tiefer Vertrautheit als von erotischer Anziehung oder Leidenschaft geprägt. Gegen Charlottes anfänglichen Widerstand, werden zwei Personen als Gäste auf das Gut aufgenommen, Otto und Ottilie, womit das Schicksal seinen Lauf nimmt. Eduard verliebt sich leidenschaftlich in die spirituell romantische Ottilie und die vernünftige Charlotte kommt dem tatkräftig diesseitigen Otto näher, als fänden beide ihr ideales Gegenstück und die romantische Zweisamkeit, die sehr vernünftig eigentlich war, im Park endet.


Der Vollzug dieser Liebe geschieht vorerst nur im Traum, was aber für beide genügt, davon überzeugt zu sein, sich ihren Partner gewählt und damit gesündigt zu haben. Ein daraus geborenes Kind von Eduard und Charlotte trägt Ottos Züge und so wird die Wahlverwandtschaft, die als Begriff aus der Chemie kommt, auch nach außen sichtbar. Wahlverwandtschaft in der Chemie meint eine Form der Abstoßung und Anziehung, bei der die stärkere die schwächere Säure aus ihren Salzen verdrängt. Goethe überträgt diese wissenschaftliche Begrifflichkeit auf die Beziehungen der Paare und vermischt in diesem, zu seinen Spätwerken zählenden Roman, Elemente der Aufklärung mit denen der Romantik. Dies auch in der Tragik der Entsagung, die Ottilie wählt, die magersüchtig wird und sich zu Tode hungert oder Eduards, der seiner jungen Geliebten schließlich in den Tod folgt. So gilt der Roman als Goethes bester und zugleich rätselhaftester.


Die Wahlverwandtschaft geht nicht gut und Eduard, der noch für die zeitlich begrenzte Liebe und neue Partnerwahl plädierte, stirbt am Tod seiner großen Liebe, die er nie leben durfte, folgt ihr, weil er ohne sie nicht mehr sein kann und will, der sich Ottilie durch das tragisch romantische Element der Entsagung entzog, was das Verhalten ganzer Generationen von Frauen infolge beschrieb, die sich für die Liebe oder auf der Suche nach ihr zu Tode hungerten, gleiches immer noch tun. Ottilie gab sich die Schuld am Tod des Kindes, das sie tragisch ins Wasser fallen ließ, Charlotte sucht die Schuld eher bei sich, lässt nachdem sie Eduards Drängen auf eine Scheidung nachgegeben hat, Otto mit unbestimmter Antwort zurück. Die beiden bleiben nach dem Tod von Eduard und der sich wortlos zu Tode hungernden Ottilie übrig, aber es gibt kein glückliches Ende und keinen einfachen Sieg der Vernunft gegen das tragisch tödliche Gefühl der Romantik, was auch zu nichts glücklichem führte. Immerhin haben die vernünftig, aufgeklärt handelnden Personen überlebt, während die großen Romantiker mit aller Tragik starben.


Lehrt uns dieses große Stück Weltliteratur etwas über die romantische Liebe und ihr notwendig tragisches Ende, weist es auf die Grenzen auch der vernünftigen Wahl hin, die gegen die Übermacht des Gefühls wehrlos ist, was wäre der richtige Lebensstil, um bis ans Ende seiner Tage im nahezu paradiesischen Garten, glücklich zu leben?


Eine Jugendliebe, die ohne zu große Leidenschaft, glücklich endlich miteinander lebt, alles nötige hat, glücklich damit ungestört leben könnte, zurückgezogen von der Welt, scheitert im selbst geschaffenen Paradies am Dazukommen Dritter, mit denen das Element großer Gefühle hinzutritt, was seinen eigenen Gang geht, der scheinbar nicht mehr vernünftig kontrollierbar ist, bis in die Träume hineinwirkt, die plötzlich das ganze Leben verändern und zu bestimmen scheinen.


Im Geist der Aufklärung betrachtet, für den Schiller lauter plädierte als Goethe, der zumindest das romantische auch zuließ und nicht nur in Kur noch manch romantischen Flirt als älterer Mann begann, ist die romantische Liebe gescheitert und endete tödlich, wie es auch konsequent Goethes Werther erlitt, von dem sich der Geheimrat distanzierte, weil ihm die vielen romantischen Nachfolger zumindest darin so suspekt waren, wie der Tod überhaupt. Die aufgeklärte Lehre wäre ein glückliches Leben von Otto und Charlotte nach den Grundsätzen der Vernunft im wunderbaren Garten gewesen. Dazu kommt es im Roman aber nicht.


Dem Geist der Romantik entspricht das tragisch, tödliche Ende der Liebe und wie die größere romantische Kraft ein wunderbar geordnetes Leben verwüsten konnte, weil die Liebe stärker als alles ist und so auch alle Pläne umwirft, jede Ordnung beseitigen kann, sie urwüchsige Kraft unserer Natur ist. Wie sehr gescheiterte Liebe ein Leben verwüsten kann, bis die Beteiligten es völlig aufgeben, kennt, wer je wirklich und tragisch geliebt hat, was nie vernünftig und ruhig enden kann, weil Gefühle eben selten gelassen bleiben, sondern ihrem Wesen nach eben impulsiv sind, dahingestellt, ob das gut so ist.


Nehme ich den Landschaftsgarten von Charlotte und Eduard als Garten des Epikur, indem sich freie Geister, beider Geschlechter trafen, um zu philosophieren und dies frei zu genießen, entsprach, was die beiden hatten nach Epikur schon einem Idealzustand. Ein Brot, ein Wein, ein Käse und Freunde im Garten, war, was Epikur als Traum vom Leben beschrieb. Ist ein plötzliches Gefühl, was uns daran hindert, diesen Zustand auf Dauer und friedlich zu genießen, je etwas Gutes oder immer der Anfang allen Unglücks, quasi die Büchse der Pandorra, weil es uns auch die Freiheit raubt?


Folge ich Epikur und betrachte das Ganze mit Kant kritisch vernünftig, würde ich es klar so sehen. Hätte ich eine Frau, mit der ich dieses Glück teilen könnte, wobei mir die Bibliothek wichtiger als der Garten wäre, die Cicero noch für gleichgewichtig für das menschliche Glück und die Erfüllung aller Bedürfnisse hielt, wüsste ich nicht, was mich davon abhalten sollte, dies so lange nur irgend möglich zu genießen. Warum sollte ich mich auf eine Leidenschaft einlassen, die dies friedliche Glück im relativen Wohlstand gefährdete, denke ich, der eigentlich weiß, wie beschränkt die Dauer allen Glücks ist.


Dennoch habe ich mich immer wieder und teilweise, vernünftig betrachtet, völlig unsinnig, der romantischen Liebe ganz hingegeben, hätte mein Leben dafür gegeben, weil mir die so gewählte Verwandtschaft und Nähe, größer als alles im Leben schien, auch wenn diese Sicht keiner vernünftigen Überprüfung standhielte, ich es auch aus schlechter Erfahrung eigentlich besser wissen könnte und, folgte ich konsequent den Grundsätzen der Aufklärung, nie auf eine solche Idee käme. Verhalte ich mich also meiner Natur gemäß wie Eduard und muss mit dieser immer wieder Tragik so lange leben, wie es eben geht oder warte ich nur noch auf die genauso vernünftige Charlotte, den paradiesischen Garten, respektive die weit mehr umfassende Bibliothek zu teilen?


Hoffe letzteres, weil es dann zumindest ein Ziel und einen Ausweg gäbe, ich den Garten zu würdigen wüsste, habe aber wenig praxistaugliche Belege für diese Auffassung bisher bringen können, sicher auch weil die Umstände meist waren, wie sie waren, eine Beziehung immer zwei Menschen mit je eigener Tragödie bilden und die Hoffnung zuletzt sterben sollte, vielleicht sogar mich überleben könnte, wobei es dann für mich auch völlig egal wäre.


So hoffe ich auf die auch naturwissenschaftlich ideale Konstellation, in der beide glücklich, ohne Missgunst oder sonstige psychische Auffälligkeiten, die häufiger vorkommen, als sich ein eher durchschnittlich verrückter Typ wie ich, vorstellen konnte, Leben Lust und Liebe teilen, um sich damit zu bereichern und das Leben in ihrem Garten und sei er auch gerne eine Bibliothek anstatt, genießen können, weil alles gut so ist, wir uns die beste aller Welten im Sinne das Candide immer selbst einrichten und bin überzeugt, dann vollkommen glücklich und unanfechtbar zu sein, nicht wie dieser Eduard, der einen Traum von Leben für eine hysterische Magersüchtige aufgibt, mit der es nie Erfüllung geben konnte, nur weil Träume und Triebe gelegentlich verwirrten und ich ermahne mich dabei nicht an die einer oder andere Verflossene zu denken.


Doch schrieb ich, ich hoffe es und will mich mit aller Kraft meines Verstandes darum bemühen, wüsste auch nichts, was mich daran hindern könnte, aber ob ich dessen gewiss sein kann, weiß ich natürlich nicht, weil es die Natur der Liebe eben auch ist, uns gelegentlich gegen alle Vernunft, bessere Erfahrung und Einsicht zu packen und durchzuschütteln, bis im so verwirrten Hirn sich kein vernünftiger Gedanke mehr zum anderen findet. Daran zu arbeiten, Glück zu halten und es zu stabilisieren, wäre ein erster Schritt, gedanklich eher Charlotte und Otto zu gleichen, ein weiteres Mittel, den romantischen Unsinn als solchen zu betrachten, zumindest eine zusätzliche Sicherung vor dem Absturz aber letzte Sicherheit gibt es auf dem Drahtseil der Liebe wohl nie und wer nicht, wie die Nibelungen einst, um des Goldes wegen, der Liebe ganz abschwört, wird, wo es um echte und geteilte Gefühle geht, auch balancieren müssen, um nicht ins Nichts zu fallen.


Die Verwandtschaft, in die wir hineingeboren wurden, weil zwei vor uns sich wählten, führt zwar auch gelegentlich zu mehr oder weniger großer Aufregung aber mit ihr können wir uns noch eher auch vernünftig arrangieren, weil die Umstände es erfordern, zumindest ist die Vernunft sicherer greifbar als im Falle der Wahlverwandtschaft, die alle folgende begründen soll. So steht aber auch die Blutsverwandtschaft immer auf emotional unsicherer Basis, die wir nur durch Institutionalisierung und stete Pflege stabilisieren können, warum das eigentlich unsinnige Institut der Ehe, die eine Liebe formalisieren will, also etwas an sich paradoxes tut, auch seinen guten Zweck hat, weil es schnelle Flucht verhindert und damit anderen Kräften entgegenwirken kann, die unsere Natur, ob im Traum oder wach, gelegentlich verwirren können.


So ist die Wahlverwandtschaft, die heute meist auf bloßem Gefühl basieren soll, eine stets unsichere Kandidatin aus eben diesen Gründen und zugleich die natürliche Basis jeder Familie und ihres Fortbestands, also Bestandteil des größten Kontinuums der Geschichte, ihre Anziehung entscheidet über Bestand und Entwicklung der folgenden Generationen mit. Was klug wäre, wissen wohl alle längst, zumindest wenn wir im Garten bleiben wollen, auch wenn das Wissen es nicht notwendig leichter macht, ob ich es irgendwann werde, möge die Nachwelt entscheiden - zumindest will ich mich darum bemühen, auch wenn der Garten gerne eine geteilte Bibliothek sein darf.


jens tuengerthal 7.7.20


Montag, 6. Juli 2020

Erziehungsanlage

Kommt der Mensch, mit dem was er wird, auf die Erde oder werden wir es erst durch Prägung?

Diese Fragen stellen viele und jeder beantwortet sie für seinen Bereich anders. Biologen, Genetiker und manche Mediziner sind überzeugt, dass, was uns ausmacht, schon in den Genen angelegt ist. Erziehung und Prägung würde nur noch formen, was bereits angelegt ist. Geisteswissenschaftler, Lehrer, Erzieher, Psychologen und Philosophen meinen dagegen, was wir sind, werden wir erst durch einen lebenslangen Prozess des Lernens, wir kämen quasi als unbeschriebenes Blatt auf die Welt und erst gute oder schlechte Prägung, mache uns zu dem, was wir später sind.

Gegen beide Seiten in ihrer Absolutheit gibt es gute Argumente. Wenn die Erziehung allein entschiede, würden Menschen, die unter ähnlichen Bedingungen aufwachsen, einen ähnlichen Weg einschlagen, was sie offensichtlich nicht tun, dagegen würde ausschließliche genetische oder sonstige Veranlagung aus dem Erbgut, jede Erziehung überflüssig machen und in letzter Konsequenz wohl auch den Strafvollzug, da Maßnahmen zur Erziehung und Besserung ohnehin ins Leere liefen.

Absolut betrachtet führte wohl jede der beiden Sichtweisen zu absurden Ergebnissen. Dagegen ist ein relativer Einfluss beider Bereiche auf die Persönlichkeit eines Menschen wahrscheinlich, was zwar beiden irgendwie gerecht würde aber vermutlich keinen von beiden zufrieden stellte, die eine Entscheidung für oder gegen ihre Sicht wünschen, um entweder in Opposition zu gehen oder ihren Sieg zu feiern. Ein weicher Kompromiss, der keinem ganz recht gibt, aber beider Einfluss berücksichtigt, würde vermutlich noch mehr Gegner haben als die Entscheidung für eine der beiden Seiten, weil keiner ganz glücklich wäre und sich zumindest teilweise verkannt fühlte.

So wird seit vielen Generationen immer wieder auf andere Art über dieses Thema gestritten. Daraus entstanden auf der einen Seite so absurde Theorien wie die des Verbrechertypus im 19. Jahrhundert, bei der Menschen vermessen wurden und ernsthafte Wissenschaftler davon ausgingen, ein bestimmter Phänotyp würde ein Verhalten infolge auslösen. Manche seien zum Verbrecher oder zum Engel geboren. Die sich daraus später ableitenden rassistischen Lehren, die sich, wie so häufig schon in der Geschichte des Christentums auch gegen die Juden richteten, zeigen welche Gefahr in der Vernaturwissenschaftlichung des menschlichen Wesens liegen kann.

Die absurden antisemitischen Lehren aus dem Gedankengut Hitlers wurden so in ein scheinbar wissenschaftliches Gewand gesteckt, was Teilen der Bevölkerung sehr einleuchtend erschien und ohne wirkliche Ahnung von Genetik und Erbgut zu haben, wurden Zuchtanstalten für die guten Menschen und industrielle Vernichtungslager für die vermeintlich schlechten Wesen gebaut, die danach keine menschliche Behandlung verdienten, weil sie zufällig einer anderen Religion anhingen. So konnte eine unmenschliche industrielle Vernichtung von Millionen Menschen organisiert werden, ohne den Beteiligten ein moralisch schlechtes Gewissen zu machen. Sie taten ja nur, was zum Überleben der Guten notwendig war, auch wenn es hart erschien.

Zwar wurde später mit Hilfe der Radbruchschen Formel und zuvor Siegerrecht das offensichtlich rassistische Unrecht bestraft, doch brauchte der Rechtsstaat dazu einige Verrenkungen, weil die Beteiligten im System davon ausgehen konnten, rechtmäßig zu handeln, die rassistischen Theorien vermeintlich naturwissenschaftlich begründet wurden und es musste daher für jeden offensichtlich sein, dass, was dort mit Menschen gemacht wurde, Unrecht war, um es bestrafen zu können, weil Täter, die nur Befehlen folgten, an das System glaubten, sonst auch als Massenmörder freigesprochen werden müssten, was wiederum jedem Gerechtigkeitsempfinden zuwiderlief aber damit juristisch sehr dünnes Eis betritt, mit Gerechtigkeitsempfinden argumentieren musste, um Täter bestrafen zu können, weil nicht Recht sein durfte, was offensichtlich Unrecht war.

Diese Lehre baute auf einer vermeintlich naturwissenschaftlichen Sicht auf Menschen und Rassen auf, wie sie viele auch ernsthafte Forscher lange vertraten. Auch die Behandlung der Sklaven in den darüber lange gespaltenen USA, die darum sogar einen Krieg führten, wurde naturwissenschaftlich teilweise begründet, weil diese Rasse Mensch eben jene Behandlung bräuchte, um der Gemeinschaft von Nutzen zu sein.

Wenn wir heute daran erinnert werden, dass auch schwarzes Leben zählt, nach vorhergehenden rassistischen Vorfällen bei der US-Polizei, fragt sich, ob nicht schon diese Unterscheidung, die eine bestehende Ungerechtigkeit aufgreift, nicht nur eine Festschreibung des Rassismus ist, auf den sie aufmerksam machen möchte. Natürlich unterstütze ich diese Bewegung als ein Streben nach mehr Gerechtigkeit auch für die dunkelhäutige Bevölkerung auch wenn es mir absurd erscheint, dass um solche Themen heute noch gerungen werden muss und mit welchen eigentlich rassistischen Begriffen wir es tun.

Real unterscheiden sich die angeblichen Menschenrassen im biologischen Bereich so minimal, dass ein Festhalten an diesen Äußerlichkeiten lächerlich erscheint. Dennoch hatten die Bücher von Thilo Sarrazin großen Erfolg, auch wenn sie mit schlichten, naturwissenschaftlich falschen, rassistischen Schemen arbeitet, weil sie eine Seite in den Menschen anschlug, die auf Unterscheidung drängt und mit Angst spielt. Vor allem der Angst vor Fremden und anderen Kulturen, die einer, der naturwissenschaftlich auf diesem Gebiet keinerlei vertiefte Kenntnisse vorweisen kann, mit schlichten Vorurteilen fütterte und damit gutes Geld verdiente, weil es dem Geist der Zeit bediente.

Seltsamerweise waren seine Urteile über Kopftuchmädchen und Vergewaltiger vor allem aus einer durch Unkenntnis gespeisten Furcht vor dem Islam gefüttert, bezogen sich also nur auf eine Religion, nicht eine Rasse, was vom Niveau her der Argumentation des Stürmer entsprach, heute jedoch nur noch lächerlich klingt, aber dabei mit scheinbaren Fakten untermauert, die den Gegnern die Widerlegung schwer machte, wenn sie sich denn auf die Diskussion einließen, die gänzlich überflüssig war, weil es nicht um den Austausch sachlicher Argumente ging sondern um die nur scheinbar logischen Fakten, die mit Vorurteilen spielten.

Leicht wäre es, die groben Sätze im Detail zu widerlegen, die eine höhere Kriminalität und Gewaltneigung oder ähnliches behaupten. Doch hat die detaillierte und präzise Antwort den Nachteil, sich keiner Schlagworte zu bedienen, sondern ein Nachdenken und Zuhören zu erfordern, an dem viele Leser und Anhänger kein Interesse hatten, was durch einen noch Sozialdemokraten und ehemaligen Berliner Finanzsenator ausgelöst, also eine vermeintlich seriöse Persönlichkeit, eine Bewegung in Gang setzte, die den latent vorhandenen Rassismus normalisierte.

Inwieweit das den Mitgliedern islamischer Kulturen durch Sarrazin unterstellte Verhalten eine menschliche Rasse betrifft oder nur eine Religionsgruppe ist dabei irrelevant, es diskriminiert eine Gruppe von Menschen und gibt der Fremdenfeindlichkeit Raum, in dem dann die AfD auftauchte und den sie mit ihren schlichten Sprüchen auf ähnlichem Niveau füllte, ist also rassistisch, wenn auch wohl noch nicht in einem juristisch relevanten Bereich und ich frage mich, ob das Teil des Problems ist oder die Bestrafung von Meinung nichts an ihrer Existenz ändert. Verletzt nicht jedes Verhalten, was rassistisches Denken unterstützt, die Menschenwürde und sollte darum bestraft werden, ist der Schutz vor Rassismus oder die Meinungsfreiheit wichtiger, fragt sich, wer es beobachtet und wohin führt es, wenn der Staat auch Meinungen schützt, die seine Grundlagen gefährden, könnte hier gefragt werden und es wird wichtig sein, künftig darüber auch nachzudenken, für die Frage von Anlage oder Erziehung spielt es keine Rolle, da jede Religion erst mit dem von ihr gelehrten Glauben angenommen werden kann.

Aus Sicht der Vertreter der Anlagetheorie, die von einer Festlegung unseres Verhaltens bereits durch die Gene ausgehen, können diese auf eine Religion, also einen anerzogenen Aberglauben, bezogenen Verhaltensweisen keinerlei Rolle spielen, sie sind nur, sollten sie überhaupt existieren, was schon zweifelhaft erscheint, Produkt der sozialen Prägung einer Kultur, also Produkt von Erziehung. Wer sich aber fürchtet, dass seine Kultur, unter Einfluss einer teilweise rückständigen, religiösen Kultur verschwinden könnte, hat wenig Vertrauen in die eigenen Werte und ihre Zukunft, was solche Menschen nicht zu Meinungsmachern prädestinieren sollte, eher im Gegenteil.

Nach Betrachtung vieler Argumente der einen wie der anderen Seite, bin ich immer mehr zu dem Schluss gekommen, dass keiner von beiden richtig liegt, sondern beides auf seine Art unterschiedlich eine Rolle spielt. Wenn du keinem recht gibst, hast du alle zum Feind, wenn du allen ein wenig aber keinem ganz zustimmst, sind alle unzufrieden, keiner fühlt sich als Sieger aber alle können damit irgendwie leben, was vermutlich der entscheidende Punkt ist. Miteinander leben können und sich sein lassen, könnte langfristig wichtiger sein, als sich durchzusetzen oder wer recht hatte. Nach meiner Überzeugung hat keiner ganz aber alle ein wenig recht und so könnte es auch bei dem Streit um Erziehung oder Anlage wichtiger sein, einen guten Kompromiss zu finden, um Gegensätze zu vereinen, als eine alternative Entscheidung und vermutlich leben damit langfristig alle am besten, wenn sie nur wagten, zufrieden zu sein, könnten viele glücklicher sein, dahingestellt ob das ein deutsches Erbe ist oder Produkt unserer Erziehung.

jens tuengerthal 6.7.20

Über die Liebe

Kann ich über die Liebe, die mich schon so lange treibt, wie ich denken kann, philosophisch nachdenken oder schließt sie das schon ihrem Wesen nach aus?

Liebe ist ein Gefühl. Wohl das stärkste, was wir kennen und ihr Gegenteil, der Hass, ist nur ein Spiegelbild ihrer Größe. Doch kann ich ein Gefühl vernünftig fassen und logisch darüber nachdenken oder bin ich dann sowohl als auch nie ganz beim Thema, fragte ich mich am Anfang. Dann las ich in Alain Badious Lob der Liebe, das einen Dialog wiedergibt, den er auf dem Festival von Aix mit Nicolas Truong führte zum Thema Liebe auch in virtuellen Zeiten, die gerne nie endendes Glück versprechen, ein Zitat von Platon, der sagte, wer nicht mit der Liebe anfängt, wird nie wissen, was Philosophie ist.

Auch wenn ich Platons Vorstellungen vom Staat eher abschreckend finde, ist dieses Zitat einer echten Autorität doch beruhigend. Zumindest schließt philosophisches Denken nicht die Beschäftigung mit der Liebe aus. Ob damit aber die Liebe der Logik zugänglich wird, ist eine andere Frage.

Aber auch die Theologie arbeitet korrekt wissenschaftlich obwohl ihre Grundannahme reiner Aberglaube ist, der nur aus Respekt nicht so genannt wird. So schlimm ist es mit der Liebe nicht, auch wenn sie Bereiche tangiert, die im Chaos der Gefühle und ihrer natürlichen Hitze einer kühlen philosophischen Betrachtung fern zu liegen scheinen.

Insofern die Philosophie über das Sein nachdenkt, manche ihm sogar Sinn geben wollen, auch wenn mir das eher zweifelhaft scheint und nach Theologie klingt, weil Leben ist und damit auch ohne jeden Sinn sich selbst genügt, ähnelt sie doch in diesem Punkt der Liebe, die, wie Fried so treffend dichtete, ist, was sie ist.

Ist, was die Liebe ausmacht, mit philosophischen Mitteln und Worten fassbar oder nie ganz, weil das Gefühl eine Blackbox bleibt, in die wir nicht hinein sehen können?

Manche verorten die Liebe im Herz und die Sprache der Liebe tut das mit vielen Metaphern besonders gern. Als Dichter mache ich das auch, um zu beschreiben, wie das Herz schmerzt oder höher schlägt im Glück. Wenn ich die Liebe aber vernünftig betrachte, weiß ich, das Herz zeigt nur Auswirkungen dessen, was im Kopf geschieht, so ist das klopfende Herz das Gegenstück zum erregierten Glied oder zum geschwollenen nervus pudendus, um nicht die überholte Höhlen Terminologie weiter zu missbrauchen.

Doch "passiert" Liebe wirklich im Kopf oder ist was da passiert nicht Auswirkung einer riesigen Summe physischer Vorgänge im ganzen Körper?

Wir sagen, wir können jemanden gut riechen oder eben nicht, dabei spielen wohl auch die Hormone eine Rolle, wie unabhängig auch immer, ist beim verlieben auch die Biochemie wichtig. Bei der Lust ist es der Geschmack auf der vielfältig eingesetzten Zunge, die den Grad der Zuneigung mitbestimmt. Wer mir vollkommen schmeckt nach seiner Natur, scheint mir auch sonst eher völlig passend, was zugegeben relativ selten ist und oft dominiert der Geschmack von Seife oder Lotion alle Natur, was eine natürliche Reaktion aufeinander schwer macht und zusätzlich unterscheidet sich zumindest bei Frau der Geschmack noch deutlich je nach Zeitpunkt im Zyklus. Dabei hängt nach meiner zugegeben geringen Erfahrung die Bereitschaft zur Paarung nicht unbedingt mit dem natürlichen Eisprung zusammen, eher im Gegenteil, was den unabhängigen Charakter des entscheidenden Nervs bestätigen könnte aber hier geht es ja mehr um Liebe als um Sex, der nur eine Ausdrucksform sein kann.

Was die Liebe auslöst, passiert, gefühlt, im ganzen Körper und auch wenn der Großrechner Gehirn alles koordiniert, sind doch spürbar verschiedenste Stellen an der beginnenden Aufregung beteiligt. So viele sogar, dass ich mir nicht zutrauen würde, sie alle zu benennen oder zu erkennen. Es ist ein komplexes Chaos was dort wirkt, von verschiedenen Stellen befeuert, die Glut zarter erster Liebe zum Flächenbrand werden lässt.

Sind wir erstmal entflammt, ist mit Vernunft, nur noch schwer eine Lösung zu finden - vernünftigen Argumenten ist nur die gelöschte Liebe zugänglich. Was das Nachdenken über die Liebe in eine seltsame Position bringt. Es beschäftigt sich mit einem Gegenstand, der, so er vorhanden ist, dem Argument nicht zugänglich sein darf, um sein Wesen zu beweisen, der so sich mit ihm philosophisch beschäftigt werden kann, nur noch tote Erinnerung vorheriger Gefühle ist.

Solange ich liebe, also hoffentlich solange ich lebe, habe ich nur teilweise Zugang zum Thema. Vergangene Liebe betreffend schon aber die ist ja auch eher Geschichte und für das Begreifen des Großen eher irrelevant. Somit schreibe ich in diesem kleinen Essay noch mehr als sonst über etwas, wofür ich vielleicht viel Gefühl aber wovon ich sachlich wenig Ahnung habe, weil ich immer noch liebe und das solange ich lebe auch hoffentlich nicht endet.

Womit ich am Ende die Frage, ob ich über die Liebe philosophisch nachdenken kann sowohl bejahen wie verneinen muss - natürlich kann ich darüber philosophisch nachdenken, aber ein ernstzunehmendes Urteil nach den Prinzipien des kategorischen Imperativs, also eines, was für jedermann an jedem Ort zu jeder Zeit Gültigkeit hätte, kann ich als Beteiligter des Liebeslebens nicht fällen und als echter Epikuräer verzichte ich auch lieber auf diese neutrale Fähigkeit zum Urteil, wenn ich dafür noch lieben darf, weil dieses doch die Lust am Leben um ein vielfaches erhöht, gegenüber des Seins ohne Liebe. Damit gestehe ich mir in Sachen Liebe ein gewisses Maß an unaufgeklärter Unmündigkeit zu, die dafür die Lust am Leben deutlich erhöhen kann, wenn sie auch, dies hier zugegeben, das Gegenteil mindestens genauso bewirken kann, würde ich doch in Summa der Liebe immer wieder diese unvernünftige Freiheit zugestehen, es könnte ja einmal gut gehen.

jens tuengerthal 5.7.20

Sonntag, 5. Juli 2020

Liebeswahrheit

Gibt es die wahre Liebe
Oder ist jede ein Stück nur
Von der großen Wahrheit
Was aber wenn diese wie
Meist nur die Erfindung eines
Lügners ist der Glauben
Verkündet der genau diesen
Auch gegen alle Vernunft
Bräuchte die wahre Liebe
Also Illusion wäre wie die
Vermeintlich große Liebe
Die nur mehr weh tut wenn
Sie endet wie alles irgendwann
Der Natur nach sein Ende findet
Weil nichts ewig hält außer dem
Glauben an die Illusionen wie
Die Liebe sicher eine ist denn
Vernünftig betrachtet bliebe
Vom Traum von Liebe meist
Wenig übrig aber wer ist schon
Verliebt noch vernünftig warum
Alles übrige entbehrlich ist
Sie kommt und geht einfach
Wie es ihr gerade gefällt
Dass die Liebe weiblich ist
Mag grammatischer Zufall sein
Nehme es zur Kenntnis denn
Was weiß ich schon je
Von weiblichen Wesen wie
Von der Liebe im übrigen
Alle Erfahrung lehrt mich
Sie sicherheitshalber künftig
Zu ignorieren was aber so
Unsinnig wäre als wollte ich
Der schlechten Luft wegen
Das Atmen künftig einstellen
Was vermutlich die einzige
Wahrheit zur Liebe ist bis wir
Irgendwann daran ersticken
Weil sie verloren blieb aber
Dann atmen wir nicht mehr
Und es hat sich erledigt
Ist letztlich also egal wie
Die wahre Liebe 

jens tuengerthal 5.7.20

Samstag, 4. Juli 2020

Familiengefühl

Worauf baut die Familie außer der Blutsverwandtschaft und was hält sie zusammen?

Entscheidende Komponente der Verbindung ist das Gefühl füreinander, was eine Familie trägt. Aufbauend auf gemeinsamen Erinnerungen, gehalten lange von Abhängigkeit ist es doch zuerst eine kaum messbare Größe, die teilweise bedeutende auch materielle Verbände zusammenhält, die sich unter dem gleichen Namen finden.

Wie dieses Gefühl entsteht und was es ausmacht, ist schwierig unter einem Begriff zu fassen. Galt früher, dass geschwisterlich verbunden war, wer aus der gleichen Brust getrunken und damit genährt wurde, aus dem gleichen Schoß geboren ward, verdrängte die Bedeutung des Namens und der zugleich Einsatz von Ammen in wohlhabenden Familien dieses natürliche Verbindungsglied, was den Frauen eine klare Priorität bei der Begründung von Familie gegeben hatte. Es wurde durch den gemeinsamen Namen ersetzt, der wiederum patrilinear weitergegeben wurde, da Frauen für gewöhnlich den Namen ihres Gatten annahmen und damit nominell als Teil ihrer Geburtsfamilie aufhörten zu existieren, die dafür mit der Aussteuer ihren Obolus geleistet hatte, der die künftigen Mütter von allen weiteren Ansprüchen lange ausschloss.

Der Bund der Männer, der den Namen weiter trug und die Familie zusammenhielt, brauchte noch einen weiteren Faktor, der die Familie zusammenhielt und das Vertrauen für teilweise großen Kapitaleinsatz rechtfertigte. So wurden Kredite und Geschäfte vielfach in der Familie abgewickelt, zwischen Vätern und Söhnen oder auf der Onkel-Ebene, manchmal auch noch mit der großväterlichen Seite. Solche Kredite brauchten Vertrauen und Sicherheit. 

Wie wurde Vertrauen gesichert oder wurde es aus der Natur der Familie vorausgesetzt?

Zum einen gab es sicher einen gewissen Vertrauensvorschuss in der Familie, doch genügte dieser nicht zur Sicherung von Krediten und wäre ohne eine zusätzliche Bindung von geringer Wirksamkeit gewesen. Ein Kernpunkt des Vertrauens war eine Gefühlsfrage - wem traue ich wirklich, genügt es,  dass jemand mein Bruder oder Sohn ist oder muss diese emotionale Ebene zusätzlich stabilisiert werden?

Hier kamen sehr früh wieder die Frauen ins Spiel, gerade auch in den aufsteigenden bürgerlichen Familien der Renaissance, in denen teilweise erhebliche Kapitalbeträge übertragen wurden, gesichert durch das Vertrauen in die guten Verhältnisse, die eine gute Ehefrau garantierte. Die Frauen standen schon ab der Renaissance, als sich auch mit dem Buchdruck die Fähigkeit des Lesens und Schreibens immer weiter verbreitete, in ständigem brieflichen Kontakt, wussten untereinander über die jeweiligen Verhältnisse bescheid und schufen so eine zusätzliche Basis des Vertrauens, das Investitionen und Kredite zu sichern half, weil so bekannt war, wie es bei dem Betreffenden auch privat lief, ob die Ehe in Ordnung war, er geregelt seiner Arbeit nachging, für Ordnung und Sicherheit stand.

Zwar wissen wir nicht genau, welche Absprachen zwischen Ehegatten diese Korrespondenz begleiteten, um sich möglichst gut darzustellen, den erhofften Kredit zu bekommen oder inwieweit das Vertrauen unter den Frauen das der Ehegatten überstieg, aber es kann als gesichert gelten, dass diese Korrespondenz dazu beitrug das Vertrauen, als Basis von Krediten und Investitionen abzusichern und so wurde die auch emotionale Verbindung der Frauen eine wichtige Basis für die Kreditwürdigkeit einer Familie und der Geschäfte untereinander. Das Netzwerk der Frauen wurde so zu einer neuen Kreditsicherheit, welche stark auch auf emotionalen Komponenten beruhte.

So schufen die Frauen, indem sie sich in die Familie integrierten und das Familiengefühl stärkten, eine Welt von Vertrauen und Sicherheit, die damit zu einem materiellen Gegenwert werden konnte, auch wenn sie an diesem nicht direkt beteiligt wurden, sorgten sie doch für seine Sicherheit. Sie waren damit die Verantwortlichen für das richtige Gefühl in der Familie, ohne dass dieses als Mehrwert angerechnet wurde. 

Sicher waren auch die Männer an diesem Gefühl und dem Vertrauen in die Familie durch ihr Verhalten beteiligt, doch wurde als Gradmesser das weibliche Gefühl aus der Art des Umgangs miteinander gewählt. Spannend wäre nun, zu fragen, ob dies am Mangel männlichen Gefühls oder an dem geringen Vertrauen in dieses lag.

Bis heute sind Frauen häufig für die weichen Themen verantwortlich, während Männer untereinander das Geschäftliche regeln, weil sie sich diesen nüchternen Bereich eher zutrauen. Auch wenn natürlich gesetzliche Gleichberechtigung besteht und in vielen Ehen die Partner als solche entscheiden und sich in allen Fragen abstimmen oder sogar die Frauen aufgrund größerer sachlicher Kompetenz die finanziellen Dinge regeln, wie es bei meinen Eltern ist, wird Männern häufiger weniger emotionale Kompetenz zugetraut, um die weichen Themen gut zu regeln.

Kenne es aus meiner Großfamilie, dass die Männer bei Tischreden oder feierlichen Angelegenheiten zu Ausbrüchen von Rührung mit feuchten Augen neigen, wie ich es selbst schon des öfteren erfahren durfte. Die Frauen sind dabei häufig eher liebevoll amüsiert, während die Männer sogar ob der eigenen Rührung, oder der über die schönen eigenen Worte, ein Element der Eitelkeit kann dabei sicher nie völlig ausgeschlossen werden, ins Stottern geraten.

Wie immer ich dieses Verhalten nun bewerte, als gelegentlich auch Beteiligter fiele ein neutrales Urteil naturbedingt schwer, kann ich zumindest sagen, dass die Männer von starken Gefühlen gerührt sind, auch wenn sich manche Cousine schon am Tränenfluss auch beteiligte, kann ich das von den Ehefrauen der Anwesenden nicht so berichten, die in diesen emotionalen Überfluss eingeheiratet haben, wobei Ausnahmen die Regel nur bestätigen.

Zugleich wird viel wert auf Traditionen und Rituale gelegt, die gemeinsame Essen umrahmen, vom Gebet und anschließendem Händereichen bis zum feierlichen Gesang bestimmter Lieder, die bei den Beteiligten ähnliche Rührung auslösen können, etwa Kein schöner Land oder Der Mai ist gekommen, von Stille Nacht zu Weihnachten ganz zu schweigen. Viele der Ehefrauen waren zumindest teilweise auch Hausfrauen und die Männer halfen nur auch, je nach interner Vereinbarung unterschiedlich, im Haushalt mit. Zwar wurden bestimmte Aufgaben traditionell von den Herren übernommen, wie das Bratenschneiden etwa, aber es galt lange noch eine traditionelle Arbeitsteilung auch beim Hausputz und ähnlichem, dahingestellt, ob dies an der jeweiligen Begabung auf diesem Gebiet lag, was mir zwar möglich aber auch zweifelhaft erscheint, wenn ich sehe, wie es in meiner Generation teilweise völlig umgekehrt wurde.

Ob die starke Neigung zur emotionalen Rührung, die von den Brüdern und ihrem Vater ausging und sich in der nächsten Generation fortsetzte, nun typisch männlich oder weiblich ist, kann ich nicht beurteilen. Sie ist jedenfalls sehr gefühlvoll und ein typischer Teil unserer Familienfeste, die zeigen, wie nah und vertraut wir uns doch immer noch sind, was sich auch bei Hochzeiten immer wieder zeigte aber auch sonst bei jedem geeigneten Zusammentreffen auftreten kann und was ich nicht ausschließlich auf den genossenen Alkohol zurückführen würde.

Zeigt sich in der Art, wie in meiner Familie häufig Männer die Beteiligten zu Tränen rühren können, die immer wieder gern erinnert und zitiert werden, eine besondere emotionale Kompetenz der Männer meiner Familie oder ist sie eher Ausdruck typisch männlicher Eitelkeit, die sich mit dem rührenden Lob der Familie auch selber lobt, was eine für Männer nicht untypische Qualität bis heute ist, die gerne bescheiden tun, um das ihnen gebührende Lob noch stärker zu betonen und damit erfolgreich sind, so sie es mit einer Prise Humor zu würzen wissen. Dies ähnelt der Betrachtung im Spiegel, während Mann gewöhnlich relativ unkritisch einen Adonis vor sich sieht, findet Frau häufiger Mängel an sich und es wäre vermutlich spannend, ob schon in dieser schlichten Neigung zur verzerrten Selbstwahrnehmung, auf welcher Seite auch immer, der Grund liegt, warum eine ganze Industrie von Schminkwaren entstehen konnte, die bis heute stärker von Frauen getragen wird, aber ist nicht Thema dieses Essays, das sich doch primär dem Gefühl in der Familie widmen sollte und dies im Stile Montaignes gerne ganz ungeschminkt tun möchte.

Lasse an dieser Stelle mal offen, ob es primär Eitelkeit sein könnte, zumindest empfand ich es als Beteiligter nie so, sondern war eher aufgewühlt und gerührt von der emotionalen Nähe der Familie, empfand stark für die Familie und möchte den anderen männlichen Verwandten nichts anderes dabei unterstellen. Wie es in anderen Familien ist, kann ich nur bedingt beurteilen, solches wurde mir aber seltener berichtet.

Ob daraus nun eine besonders hohe emotionale Kompetenz der Männer meiner Familie rühren könnte, bin mir der gefährlichen Eitelkeitsfalle wohl bewusst, die in dieser Familie gerne bestückt wird, um hervorzustechen, kann dahinstehen, weil spannender für mich an dieser Stelle ist, dass auch diese gelegentlich zeremonielle Rührung den Männern als Gegensatz zu ihrem sonstigen männlichen Verhalten, dass sie auch gern öffentlich zur Schau tragen, angerechnet wird.

Die Rührung und das starke gezeigte Gefühl gilt als Gegensatz zu dem, was die Männer der Familie sonst ausmachen soll und wird darum besonders beachtet, während die Rührung der Frauen eher als erwartungsgemäß gelten würde, feuchte Augen von den Vätern der Familien nicht erwartet werden, die sich sonst im Kampf des Lebens ohne zuviel Gefühl erfolgreich zeigen sollen, womit ich die Schublade der Konvention bereits voll geöffnet habe.

Bin so groß geworden und kannte zugleich noch die Sprüche der Großeltern, eine Junge kennt keinen Schmerz, bei der Elterngeneration hieß es dann eher ein Indianer, um das militärische darin zu überwinden, was eher mit überwundenen Idealen verbunden wurde. Sollte also hart und männlich sein, um zugleich bei Festen die besondere Rührung als eben besonders zu zelebrieren und dem Kult der Familie damit einen höheren Wert zu geben. Weichheit von Jungen wurde zwar in meiner Generation schon eher toleriert, war aber doch immer etwas anrüchig. Nur die Rührung und die feuchten Augen über die Familie, waren gestattet, sie kannten wir schon vom Großvater, der sie auch bei großen Festen zeigte.

Inwiefern damit in meiner Familie eine besonders hohe emotionale Kompetenz unter Männern vorhanden ist, kann ich nicht beurteilen, bezweifle es eher und denke, dass die beschriebene Rührung damit am Ende eher Bestandteil des besonderen Kultes um die Familie ist, der sogar Männer zu Tränen rühren kann. Das Familiengefühl ist also so groß, dass es als besonderer Gegensatz sogar sonst harte Männer zu Tränen rühren kann und ich denke, dass dieses Element dabei immer auch mitschwingt, auch wenn es in meiner Familie unter den Männern durchaus gelegentlich die Neigung zu emotionale Extremen geben kann, betonen sie diese gerne nur im Rahmen der Familie und werden sonstige Ausraster lieber höflich beschwiegen, der Familie und ihres Zusammenhaltes wegen, was ich mir an dieser Stelle auch zugestehe.

Welcher Seite ich die höhere emotionale Kompetenz heute zutrauen würde, weiß ich nicht genau, da alle auch immer in Gewohnheiten und Mustern reagieren. Die stärkere Neigung zu manchmal emotionalen Ausbrüchen würde ich keiner Seite allein zusprechen, sondern müsste es je nach Anlass im Einzelfall beurteilen. Klar werden Männer auch in meiner Familie, wie im Alltag eher zu weniger emotionalem Verhalten erzogen. Was sie wann mehr zeigen, ist eine Frage des Charakters und der Neigungen. 

Aus eigener Erfahrung auf dem großen Markt der Paarung kann ich nur berichten, dass Frauen, zumindest am Ende oder danach, häufig kühler und besonnener reagierten, außer ich habe das ganze innerlich schon vorher aus sonstigen Gründen beendet gehabt. Überhaupt scheinen mir Frauen bei der Paarung mir mehr Erwartung und Berechnung vorzugehen als Männer oder zumindest als ich, wie es mir schien, legen allerding größten Wert auf die rein emotionale und damit unberechenbaren Gründe ihrer Entscheidung, die ich mit zunehmendem Alter nicht mehr zu verstehen versuchte, weil es keinen mir zugänglichen Schlüssel gab.

Kann zumindest sagen, wenn ich mich in eine Beziehung stürze, tue ich es immer mit ganz viel Gefühl, was mich natürlich angreifbar und verletzlich macht, zu seltsamen Reaktionen auch in mir führen kann, der ich mit Mustern der Erwartung an mein Verhalten groß wurde, andererseits die Gestattung der emotionalen Rührung beim Thema Familie sehr hoch achte und darum, wenn ich Nähe suche und nicht nur Sex, schnell in familiären Kategorien denke, die wiederum empfindsam und verletzlich machen, was zugleich die im Werben erforderliche Männlichkeit ein wenig beschneidet aber nach glaubwürdigen Berichten anderer Männer und im Rückblick auf die bisher gemachten Erfahrungen, kann ich zumindest sagen, ich stehe mit diesem Problem nicht ganz alleine und bin über die Jahre trotz unmännlich emotionaler Neigungen, die auch im Alltag getarnt wurden, nicht immer völlig vereinsamt.

Ob sich daraus ein Schluss für die Rolle des Gefühls in der Familie im allgemeinen schließen lässt, vermag ich nicht zu sagen. Zumindest in meiner Familie spielen starke männliche Gefühle der Rührung eine besondere Rolle für den Zusammenhalt, auch als Gegensatz zur sonst erwarteten Rolle. Der Alltag zeigt mir zwar immer wieder wie Frauen zu Äußerungen der Rührung neigen, wie süß und ähnliches, aber tatsächlich eine relativ nüchternere Betrachtung des Beziehungslebens haben als Männer und auch die Fähigkeit das Hemd oder die Bluse bei bedarf schneller zu wechseln als ich, außer ich wollte den Wechsel zuvor schon und war emotional längst weniger beteiligt, was aber alle Konturen verschwimmen lässt und eine allgemeine Aussage eher unmöglich macht. Gefühl ist wichtig in der Familie, die Basis aller Liebe aber manchmal bei der Entstehung ein sicheres Hindernis in seltsamer Welt, die häufig dabei anderes noch sagt, als sie meint, außer mir hier natürlich, aber, was weiß ich schon als Mann vom Gefühl?

jens tuengerthal 4.7.20