Montag, 6. Juli 2020

Über die Liebe

Kann ich über die Liebe, die mich schon so lange treibt, wie ich denken kann, philosophisch nachdenken oder schließt sie das schon ihrem Wesen nach aus?

Liebe ist ein Gefühl. Wohl das stärkste, was wir kennen und ihr Gegenteil, der Hass, ist nur ein Spiegelbild ihrer Größe. Doch kann ich ein Gefühl vernünftig fassen und logisch darüber nachdenken oder bin ich dann sowohl als auch nie ganz beim Thema, fragte ich mich am Anfang. Dann las ich in Alain Badious Lob der Liebe, das einen Dialog wiedergibt, den er auf dem Festival von Aix mit Nicolas Truong führte zum Thema Liebe auch in virtuellen Zeiten, die gerne nie endendes Glück versprechen, ein Zitat von Platon, der sagte, wer nicht mit der Liebe anfängt, wird nie wissen, was Philosophie ist.

Auch wenn ich Platons Vorstellungen vom Staat eher abschreckend finde, ist dieses Zitat einer echten Autorität doch beruhigend. Zumindest schließt philosophisches Denken nicht die Beschäftigung mit der Liebe aus. Ob damit aber die Liebe der Logik zugänglich wird, ist eine andere Frage.

Aber auch die Theologie arbeitet korrekt wissenschaftlich obwohl ihre Grundannahme reiner Aberglaube ist, der nur aus Respekt nicht so genannt wird. So schlimm ist es mit der Liebe nicht, auch wenn sie Bereiche tangiert, die im Chaos der Gefühle und ihrer natürlichen Hitze einer kühlen philosophischen Betrachtung fern zu liegen scheinen.

Insofern die Philosophie über das Sein nachdenkt, manche ihm sogar Sinn geben wollen, auch wenn mir das eher zweifelhaft scheint und nach Theologie klingt, weil Leben ist und damit auch ohne jeden Sinn sich selbst genügt, ähnelt sie doch in diesem Punkt der Liebe, die, wie Fried so treffend dichtete, ist, was sie ist.

Ist, was die Liebe ausmacht, mit philosophischen Mitteln und Worten fassbar oder nie ganz, weil das Gefühl eine Blackbox bleibt, in die wir nicht hinein sehen können?

Manche verorten die Liebe im Herz und die Sprache der Liebe tut das mit vielen Metaphern besonders gern. Als Dichter mache ich das auch, um zu beschreiben, wie das Herz schmerzt oder höher schlägt im Glück. Wenn ich die Liebe aber vernünftig betrachte, weiß ich, das Herz zeigt nur Auswirkungen dessen, was im Kopf geschieht, so ist das klopfende Herz das Gegenstück zum erregierten Glied oder zum geschwollenen nervus pudendus, um nicht die überholte Höhlen Terminologie weiter zu missbrauchen.

Doch "passiert" Liebe wirklich im Kopf oder ist was da passiert nicht Auswirkung einer riesigen Summe physischer Vorgänge im ganzen Körper?

Wir sagen, wir können jemanden gut riechen oder eben nicht, dabei spielen wohl auch die Hormone eine Rolle, wie unabhängig auch immer, ist beim verlieben auch die Biochemie wichtig. Bei der Lust ist es der Geschmack auf der vielfältig eingesetzten Zunge, die den Grad der Zuneigung mitbestimmt. Wer mir vollkommen schmeckt nach seiner Natur, scheint mir auch sonst eher völlig passend, was zugegeben relativ selten ist und oft dominiert der Geschmack von Seife oder Lotion alle Natur, was eine natürliche Reaktion aufeinander schwer macht und zusätzlich unterscheidet sich zumindest bei Frau der Geschmack noch deutlich je nach Zeitpunkt im Zyklus. Dabei hängt nach meiner zugegeben geringen Erfahrung die Bereitschaft zur Paarung nicht unbedingt mit dem natürlichen Eisprung zusammen, eher im Gegenteil, was den unabhängigen Charakter des entscheidenden Nervs bestätigen könnte aber hier geht es ja mehr um Liebe als um Sex, der nur eine Ausdrucksform sein kann.

Was die Liebe auslöst, passiert, gefühlt, im ganzen Körper und auch wenn der Großrechner Gehirn alles koordiniert, sind doch spürbar verschiedenste Stellen an der beginnenden Aufregung beteiligt. So viele sogar, dass ich mir nicht zutrauen würde, sie alle zu benennen oder zu erkennen. Es ist ein komplexes Chaos was dort wirkt, von verschiedenen Stellen befeuert, die Glut zarter erster Liebe zum Flächenbrand werden lässt.

Sind wir erstmal entflammt, ist mit Vernunft, nur noch schwer eine Lösung zu finden - vernünftigen Argumenten ist nur die gelöschte Liebe zugänglich. Was das Nachdenken über die Liebe in eine seltsame Position bringt. Es beschäftigt sich mit einem Gegenstand, der, so er vorhanden ist, dem Argument nicht zugänglich sein darf, um sein Wesen zu beweisen, der so sich mit ihm philosophisch beschäftigt werden kann, nur noch tote Erinnerung vorheriger Gefühle ist.

Solange ich liebe, also hoffentlich solange ich lebe, habe ich nur teilweise Zugang zum Thema. Vergangene Liebe betreffend schon aber die ist ja auch eher Geschichte und für das Begreifen des Großen eher irrelevant. Somit schreibe ich in diesem kleinen Essay noch mehr als sonst über etwas, wofür ich vielleicht viel Gefühl aber wovon ich sachlich wenig Ahnung habe, weil ich immer noch liebe und das solange ich lebe auch hoffentlich nicht endet.

Womit ich am Ende die Frage, ob ich über die Liebe philosophisch nachdenken kann sowohl bejahen wie verneinen muss - natürlich kann ich darüber philosophisch nachdenken, aber ein ernstzunehmendes Urteil nach den Prinzipien des kategorischen Imperativs, also eines, was für jedermann an jedem Ort zu jeder Zeit Gültigkeit hätte, kann ich als Beteiligter des Liebeslebens nicht fällen und als echter Epikuräer verzichte ich auch lieber auf diese neutrale Fähigkeit zum Urteil, wenn ich dafür noch lieben darf, weil dieses doch die Lust am Leben um ein vielfaches erhöht, gegenüber des Seins ohne Liebe. Damit gestehe ich mir in Sachen Liebe ein gewisses Maß an unaufgeklärter Unmündigkeit zu, die dafür die Lust am Leben deutlich erhöhen kann, wenn sie auch, dies hier zugegeben, das Gegenteil mindestens genauso bewirken kann, würde ich doch in Summa der Liebe immer wieder diese unvernünftige Freiheit zugestehen, es könnte ja einmal gut gehen.

jens tuengerthal 5.7.20

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