Kommt der Mensch, mit dem was er wird, auf die Erde oder werden wir es erst durch Prägung?
Diese Fragen stellen viele und jeder beantwortet sie für seinen Bereich anders. Biologen, Genetiker und manche Mediziner sind überzeugt, dass, was uns ausmacht, schon in den Genen angelegt ist. Erziehung und Prägung würde nur noch formen, was bereits angelegt ist. Geisteswissenschaftler, Lehrer, Erzieher, Psychologen und Philosophen meinen dagegen, was wir sind, werden wir erst durch einen lebenslangen Prozess des Lernens, wir kämen quasi als unbeschriebenes Blatt auf die Welt und erst gute oder schlechte Prägung, mache uns zu dem, was wir später sind.
Gegen beide Seiten in ihrer Absolutheit gibt es gute Argumente. Wenn die Erziehung allein entschiede, würden Menschen, die unter ähnlichen Bedingungen aufwachsen, einen ähnlichen Weg einschlagen, was sie offensichtlich nicht tun, dagegen würde ausschließliche genetische oder sonstige Veranlagung aus dem Erbgut, jede Erziehung überflüssig machen und in letzter Konsequenz wohl auch den Strafvollzug, da Maßnahmen zur Erziehung und Besserung ohnehin ins Leere liefen.
Absolut betrachtet führte wohl jede der beiden Sichtweisen zu absurden Ergebnissen. Dagegen ist ein relativer Einfluss beider Bereiche auf die Persönlichkeit eines Menschen wahrscheinlich, was zwar beiden irgendwie gerecht würde aber vermutlich keinen von beiden zufrieden stellte, die eine Entscheidung für oder gegen ihre Sicht wünschen, um entweder in Opposition zu gehen oder ihren Sieg zu feiern. Ein weicher Kompromiss, der keinem ganz recht gibt, aber beider Einfluss berücksichtigt, würde vermutlich noch mehr Gegner haben als die Entscheidung für eine der beiden Seiten, weil keiner ganz glücklich wäre und sich zumindest teilweise verkannt fühlte.
So wird seit vielen Generationen immer wieder auf andere Art über dieses Thema gestritten. Daraus entstanden auf der einen Seite so absurde Theorien wie die des Verbrechertypus im 19. Jahrhundert, bei der Menschen vermessen wurden und ernsthafte Wissenschaftler davon ausgingen, ein bestimmter Phänotyp würde ein Verhalten infolge auslösen. Manche seien zum Verbrecher oder zum Engel geboren. Die sich daraus später ableitenden rassistischen Lehren, die sich, wie so häufig schon in der Geschichte des Christentums auch gegen die Juden richteten, zeigen welche Gefahr in der Vernaturwissenschaftlichung des menschlichen Wesens liegen kann.
Die absurden antisemitischen Lehren aus dem Gedankengut Hitlers wurden so in ein scheinbar wissenschaftliches Gewand gesteckt, was Teilen der Bevölkerung sehr einleuchtend erschien und ohne wirkliche Ahnung von Genetik und Erbgut zu haben, wurden Zuchtanstalten für die guten Menschen und industrielle Vernichtungslager für die vermeintlich schlechten Wesen gebaut, die danach keine menschliche Behandlung verdienten, weil sie zufällig einer anderen Religion anhingen. So konnte eine unmenschliche industrielle Vernichtung von Millionen Menschen organisiert werden, ohne den Beteiligten ein moralisch schlechtes Gewissen zu machen. Sie taten ja nur, was zum Überleben der Guten notwendig war, auch wenn es hart erschien.
Zwar wurde später mit Hilfe der Radbruchschen Formel und zuvor Siegerrecht das offensichtlich rassistische Unrecht bestraft, doch brauchte der Rechtsstaat dazu einige Verrenkungen, weil die Beteiligten im System davon ausgehen konnten, rechtmäßig zu handeln, die rassistischen Theorien vermeintlich naturwissenschaftlich begründet wurden und es musste daher für jeden offensichtlich sein, dass, was dort mit Menschen gemacht wurde, Unrecht war, um es bestrafen zu können, weil Täter, die nur Befehlen folgten, an das System glaubten, sonst auch als Massenmörder freigesprochen werden müssten, was wiederum jedem Gerechtigkeitsempfinden zuwiderlief aber damit juristisch sehr dünnes Eis betritt, mit Gerechtigkeitsempfinden argumentieren musste, um Täter bestrafen zu können, weil nicht Recht sein durfte, was offensichtlich Unrecht war.
Diese Lehre baute auf einer vermeintlich naturwissenschaftlichen Sicht auf Menschen und Rassen auf, wie sie viele auch ernsthafte Forscher lange vertraten. Auch die Behandlung der Sklaven in den darüber lange gespaltenen USA, die darum sogar einen Krieg führten, wurde naturwissenschaftlich teilweise begründet, weil diese Rasse Mensch eben jene Behandlung bräuchte, um der Gemeinschaft von Nutzen zu sein.
Wenn wir heute daran erinnert werden, dass auch schwarzes Leben zählt, nach vorhergehenden rassistischen Vorfällen bei der US-Polizei, fragt sich, ob nicht schon diese Unterscheidung, die eine bestehende Ungerechtigkeit aufgreift, nicht nur eine Festschreibung des Rassismus ist, auf den sie aufmerksam machen möchte. Natürlich unterstütze ich diese Bewegung als ein Streben nach mehr Gerechtigkeit auch für die dunkelhäutige Bevölkerung auch wenn es mir absurd erscheint, dass um solche Themen heute noch gerungen werden muss und mit welchen eigentlich rassistischen Begriffen wir es tun.
Real unterscheiden sich die angeblichen Menschenrassen im biologischen Bereich so minimal, dass ein Festhalten an diesen Äußerlichkeiten lächerlich erscheint. Dennoch hatten die Bücher von Thilo Sarrazin großen Erfolg, auch wenn sie mit schlichten, naturwissenschaftlich falschen, rassistischen Schemen arbeitet, weil sie eine Seite in den Menschen anschlug, die auf Unterscheidung drängt und mit Angst spielt. Vor allem der Angst vor Fremden und anderen Kulturen, die einer, der naturwissenschaftlich auf diesem Gebiet keinerlei vertiefte Kenntnisse vorweisen kann, mit schlichten Vorurteilen fütterte und damit gutes Geld verdiente, weil es dem Geist der Zeit bediente.
Seltsamerweise waren seine Urteile über Kopftuchmädchen und Vergewaltiger vor allem aus einer durch Unkenntnis gespeisten Furcht vor dem Islam gefüttert, bezogen sich also nur auf eine Religion, nicht eine Rasse, was vom Niveau her der Argumentation des Stürmer entsprach, heute jedoch nur noch lächerlich klingt, aber dabei mit scheinbaren Fakten untermauert, die den Gegnern die Widerlegung schwer machte, wenn sie sich denn auf die Diskussion einließen, die gänzlich überflüssig war, weil es nicht um den Austausch sachlicher Argumente ging sondern um die nur scheinbar logischen Fakten, die mit Vorurteilen spielten.
Leicht wäre es, die groben Sätze im Detail zu widerlegen, die eine höhere Kriminalität und Gewaltneigung oder ähnliches behaupten. Doch hat die detaillierte und präzise Antwort den Nachteil, sich keiner Schlagworte zu bedienen, sondern ein Nachdenken und Zuhören zu erfordern, an dem viele Leser und Anhänger kein Interesse hatten, was durch einen noch Sozialdemokraten und ehemaligen Berliner Finanzsenator ausgelöst, also eine vermeintlich seriöse Persönlichkeit, eine Bewegung in Gang setzte, die den latent vorhandenen Rassismus normalisierte.
Inwieweit das den Mitgliedern islamischer Kulturen durch Sarrazin unterstellte Verhalten eine menschliche Rasse betrifft oder nur eine Religionsgruppe ist dabei irrelevant, es diskriminiert eine Gruppe von Menschen und gibt der Fremdenfeindlichkeit Raum, in dem dann die AfD auftauchte und den sie mit ihren schlichten Sprüchen auf ähnlichem Niveau füllte, ist also rassistisch, wenn auch wohl noch nicht in einem juristisch relevanten Bereich und ich frage mich, ob das Teil des Problems ist oder die Bestrafung von Meinung nichts an ihrer Existenz ändert. Verletzt nicht jedes Verhalten, was rassistisches Denken unterstützt, die Menschenwürde und sollte darum bestraft werden, ist der Schutz vor Rassismus oder die Meinungsfreiheit wichtiger, fragt sich, wer es beobachtet und wohin führt es, wenn der Staat auch Meinungen schützt, die seine Grundlagen gefährden, könnte hier gefragt werden und es wird wichtig sein, künftig darüber auch nachzudenken, für die Frage von Anlage oder Erziehung spielt es keine Rolle, da jede Religion erst mit dem von ihr gelehrten Glauben angenommen werden kann.
Aus Sicht der Vertreter der Anlagetheorie, die von einer Festlegung unseres Verhaltens bereits durch die Gene ausgehen, können diese auf eine Religion, also einen anerzogenen Aberglauben, bezogenen Verhaltensweisen keinerlei Rolle spielen, sie sind nur, sollten sie überhaupt existieren, was schon zweifelhaft erscheint, Produkt der sozialen Prägung einer Kultur, also Produkt von Erziehung. Wer sich aber fürchtet, dass seine Kultur, unter Einfluss einer teilweise rückständigen, religiösen Kultur verschwinden könnte, hat wenig Vertrauen in die eigenen Werte und ihre Zukunft, was solche Menschen nicht zu Meinungsmachern prädestinieren sollte, eher im Gegenteil.
Nach Betrachtung vieler Argumente der einen wie der anderen Seite, bin ich immer mehr zu dem Schluss gekommen, dass keiner von beiden richtig liegt, sondern beides auf seine Art unterschiedlich eine Rolle spielt. Wenn du keinem recht gibst, hast du alle zum Feind, wenn du allen ein wenig aber keinem ganz zustimmst, sind alle unzufrieden, keiner fühlt sich als Sieger aber alle können damit irgendwie leben, was vermutlich der entscheidende Punkt ist. Miteinander leben können und sich sein lassen, könnte langfristig wichtiger sein, als sich durchzusetzen oder wer recht hatte. Nach meiner Überzeugung hat keiner ganz aber alle ein wenig recht und so könnte es auch bei dem Streit um Erziehung oder Anlage wichtiger sein, einen guten Kompromiss zu finden, um Gegensätze zu vereinen, als eine alternative Entscheidung und vermutlich leben damit langfristig alle am besten, wenn sie nur wagten, zufrieden zu sein, könnten viele glücklicher sein, dahingestellt ob das ein deutsches Erbe ist oder Produkt unserer Erziehung.
jens tuengerthal 6.7.20
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