Ist oder war Berlin Zentrum der internationalen Kultur?
In den 20er Jahren war Berlin eines der wichtigsten Zentren der internationalen Kulturszene. Hier wirkten innovative Künstler, probierten sich an der Moderne, das Theater beschritt neue Wege und es wurde viel über die Kultur aus dieser Stadt berichtet und gestritten.
Die Rechten beschwerten sich über den Verlust aller Kultur, fürchteten den Untergang des Abendlandes von Berlin aus und die Antisemiten unter ihnen, witterten gleich eine Verschwörung der Juden gegen die alte deutsche Kultur, die es zwar so wie behauptet nie gegeben hatte, aber wollten doch zumindest ihren Kaiser Wilhelm zurück, der sie leichtsinnig in den letzten großen Krieg geführt hatte. Die Kulturszene gab sich eher links, sympathisierte mit der neuen UDSSR nach der russischen Revolution, auch wenn die kulturell unter der Diktatur der Partei auch keine großen Innovationen mehr hervorbrachte, weil totalitäre Regime eben keinen freien Geist brauchen können, der für Kreative so wichtig ist.
Im Deutschland der Weimarer Republik stritten sich Rechte und Linke mit radikalen Parolen um die Vorherrschaft und es gab noch keine Geschichte, die sie eines besseren hätte belehren können, die Mitte wandte sich angesichts der Radikalisierung teilweise angewidert ab. Immer wieder lieferten sich die Radikalen Straßenschlachten untereinander oder mit dem Staat und Berlin als Mittelpunkt von Wachstum der Wirtschaft und Politik war immer vorn dabei.
Manchmal sprachen konservative Richter noch seltsame Urteile gegen die Kunst, deren Freiheit noch nicht im Grundgesetz als Grundrecht garantiert war. Die auch in Berlin beginnende Dada-Bewegung war eines der Opfer dieser Rechtsprechung im Geist des Kaiserreichs. Ein teilweise konservatives Publikum pfiff die Modernen aus im Theater am Gendarmenmarkt oder in der Krolloper an der Spree im Tiergarten. Es wurde viel gestritten und rezensiert. Die Feuilletons waren lebendig und Teil der täglichen Diskussionen, es passierte etwas in Berlin, immer wieder entstand neues und Bewegungen nahmen hier ihren Ausgang, die längst in die Kunst- oder Kulturgeschichte eingegangen sind.
In vielen Kellern entstanden Clubs, in denen Jazzer spielten und Berlin tanzte wie wild gege Armut und Verzweiflung nach dem Krieg an. Arm aber sexy, was Klaus Wowereit 80 Jahre später als typisch für Berlin prägte galt in den verrückten 20ern noch viel mehr in allen Bereichen der Kunst war Berlin damals wie im Nachtleben weltweit führend und auch wenn die Berliner Clubszene, bis Corona sie stoppte, sich zumindest einen weiten Ruf gemacht hat, stellt sich die Frage, wo wir heute kulturell im übrigen stehen, ob Berlin noch innovativ ist, weil arm aber sexy oder nur noch seine Geschichte verwaltet, auch der Sex zwar frei aber museal wird.
Die Tendenz zur Glorifizierung der eigenen Geschichte gehört zu den immer noch Leidenschaften der Berliner, auch wenn sie sich inzwischen Erinnerungsorte des Schreckens und der Schande an prominenter Stelle schufen, gilt, was Fontane über die Berliner und die Märker schrieb, die sich gerne überschätzen und Kleinigkeiten für großartig halten, besonders, wenn sie diese anbieten. Darum redet sich Berlin immer noch gerne groß und hält sich für den Mittelpunkt der Welt, was genauso typisch deutsch die anderen Bundesländer und ihre mehr oder weniger provinziellen Nester gern infrage stellen und keinesfalls gönnen.
So redet Berlin gerne über sich, wenn auch nicht ganz so wie Hamburg, was sich für eine Perle hält, um über die meist feucht neblige Lage hinwegzutäuschen und Bedeutung zu gerieren, die seit dem Untergang der Hanse auch nur noch aus Erinnerung besteht, die ein wenig schnieke gehalten wird, warum sie Berlin gern mit gerümpfter Nase schmuddelig nennen, was daran liegen könnte, dass es hier für gewöhnlich weniger regnet aber dafür mehr märkischer Sand durch die Straßen weht, auf dem hier alles mehr oder weniger stabil gebaut wurde. Aber wen interessiert schon Hamburg, wenn von Berlin und seiner Kultur die Rede ist, außer den genannten Hamburgern natürlich mit gewohnheitsmäßiger horizontaler Beschränkung.
Doch wissen die Berliner, wenn sie ausnahmsweise ehrlich sind, dass ihre Stadt eigentlich ein Haufen Dörfer ist, die wenig oder nichts miteinander zu tun haben und die an den Rändern auch nicht mehr Kultur aufweisen als sonstige Provinz. Doch im Zentrum und um dieses herum ballt sich einiges, was sich auf dem Gebiet der Kunst zu profilieren sucht und irgendwie überleben die Galerien und sonstigen Kulturstätten auch, lassen wir mal Corona beiseite, wo noch offen ist, wer am Ende überlebt, wie das eben bei lebensgefährlichen Krankheiten so ist, denn der Kultur der Hauptstadt raubt dieser Virus schon die Luft zum Atmen und es droht, wenn nicht noch weiter beatmet wird, vielen Kulturprojekten mangels Publikum und Möglichkeiten der Erstickungstod.
Das betrifft die Kulturbereiche Theater, Oper, Kabarett, Musikszene und alles, was nur in Mengen und meist in geschlossenen Räumen stattfindet. Die Galerien in Mitte werden wohl überleben können, ihr Besuch mit Maske ist zumindest möglich, sie können wieder handeln und viel des Kunsthandels findet ohnehin längst im Netz statt. Wie Schauspieler, Sänger und Musiker, soweit sie nicht staatlich bezahlt werden, die Krise überleben, wird sich zeigen, ob unsere Ämter sie mit Arbeitsverteilung beschäftigen und von ihrer Kunst wegbringen oder Geduld und Nachsicht zeigen, könnte hier entscheidend sein.
Fragt sich nur, ob dieser Tod der Kultur schon die Geburt einer neuen ist?
Doch das geistige Berlin und die kreative Szene murren zwar, aber sie brodeln weiter und das vielleicht sogar mehr als je. So könnte diese Krise einen innovativen Schub bringen, mit dem keiner gerechnet hat und der das kreative Potenzial dieser Stadt, die nun monatelang und wer weiß wie bald wieder und wie lange noch, auf sich gestellt war, enorm befeuert. Es fehlen einige Formen des öffentlichen Ausdrucks, weil auch Off-Theater nichts aufführen können, nahezu keine Konzerte stattfinden, Massenpublikum noch nicht erwünscht ist, aber die teilweise schon schläfrige und sonst gut gepolsterte Kulturszene der Stadt könnte in dieser existenziellen Krise einen enormen Innovativsschub erfahren.
Die Besinnung zwingt zur Auseinandersetzung mit sich und seinem Schaffen, was guter Kunst und Kreativität selten schadet. Mit der nun beginnenden zweiten Wellen und den erwartbaren Reaktion nach Rückkehr der Urlauber, die ein neues Risiko bringen, wird diese Phase der Besinnung nochmal bis vermutlich mindestens zum Frühjahr verlängern, was der Hauptstadtkultur, so laut sie jammert, weil alle Darsteller betroffen sind und ihre Häuser, soweit nicht staatlich getragen, vor dem Konkurs stehen, erstaunlich gut tun könnte.
Bin kein Anhänger der notwendigen Dialektik und der Katharsis des Leidens als Voraussetzung großer Kunst - diese braucht zuallererst Freiraum, in dem Könner sich entfalten können und Gönner, die dies tragen wollen, den nachhaltigen Wert erkennen. Doch könnte diese Krise und das mit ihr verbundene Ende vieler Ablenkungen im kreativen Bereich potenzierend wirken, etwas neues freisetzen, was an Innovativkraft dem Geist der 20er gleicht. Die AfD tut mir ihrer Empörung und ihrer gutdeutschen Spießigkeit in allen Verlautbarungen, der Szene damit den größtmöglichen Gefallen. Zum einen kann sich diese als oppositionell definieren, auch wenn das antifaschistische Vokabular, was noch aus DDR-Zeiten stammt, dabei so lächerlich ist, wie diese piefig und staubig war, gleicht eher dem antifaschistischen Schutzwall, sperrt also Gedanken in schlichte Muster ein, was noch niemanden gut tat, zum anderen ist Aufregung und Diskussion das beste, was Kultur passieren kann, um zu gestalten und im Mittelpunkt des Diskurses zu stehen, nachdem sich die rituelle Skandalisierung langsam festgelaufen hatte.
Ob die Berliner Kulturszene sich in der Zeit der Besinnung aus dem Würgegriff mit gnädiger Gießkanne der SED-Nachfolgeorganisation, die sich innovativ Linke nennt, befreien kann und wieder unabhängiger kreativ wird, werden wir bemerken. Es könnte zumindest spannender werden als gut verwaltete rituelle Linksspießigkeit, der alles kreative völlig fehlt und was die Hauptstadtkultur teilweise in eine träge Masse verwandelte und nicht umsonst ist das ZK, der sich Linke nennenden Partei nun direkt neben der Volksbühne, die diesen Kurs mit wenig Innovation trägt, viel erwartbares ablieferte, bis zu den berechenbaren Skandalen der Übernahme. Es ist etwas wie der linke Schrebergarten von Mitte und der Bergbewohner, die gerne nackt und laut im Theater in ihrer schon vorhandenen Ideologie bestätigt werden.
Was würde eine bürgerliche Opposition gegen diese kulturelle Macht der ehemaligen Staatspartei der DDR kreativ auf die Beine stellen, wohin sollte die Bühne der Zukunft weisen, was sind die spannenden Themen jenseits bekannter linker Korrektheit und der so erwartbaren Tabubrüche, die längst gähnen ließen?
Wie könnte eine neue kreative Gruppe sich jenseits des linken Mainstream etablieren, könnten Jünger oder Davila hier neu gelesen werden oder wächst etwas ganz neues jenseits aller Erwartungen aus der Zeit der Isolation heran?
Das Schreiben und das Denken verändert sich in dieser Zeit, in der wir auf uns geworfen sind und vielleicht wird manchen, die bisher nur Kultur konsumierten, plötzlich klar, wie rituell öde das ganze wurde und das es etwas neues braucht, um wieder im Mittelpunkt des Interesses zu stehen.
Wurde in den 20ern erstmals das Bühnenbild auch bei Klassikern abstrahiert, könnten wir uns heute fragen, was die wirklichen Fragen der Zeit sind. Wie wichtig die zunehmende Impotenz aus Übersättigung für die Mitte der Gesellschaft wird, bringt das Thema der Sexualität in den Blickpunkt, was zusammen mit einem sich völlig verändernden Bild der Rollen von Männern und Frauen eine entscheidende Rolle spielen könnte.
Wo bleibt das Gefühl nach der freien Verfügbarkeit im Online-Dating?
Wie echt muss die Sexualität sein, nicht zur Bühnenpornographie zu verkommen?
Was macht die bildende Kunst aus dem eingesperrt sein?
Wie veränderte sich der Ausfluss der Dichter und Autoren?
Zunächst, kann ich von mir berichten, lähmte die Krise und die Ruhe fast, bis sie zur neuen Normalität wurde, total auf sich zurück warf, manche Krisen sogar potenzieren konnte, dann aber wurde langsam deutlich, in welch besonderer Zeit wir gerade leben, Wie berichtens- und bedichtenswert diese auch ist.
Die Berliner Kultur war schläfrig und relativ museal, von seltenen Ausnahmen abgesehen, doch die Krise bietet eine ungeheure Chance wieder ganz vorne mitzuschreiben und mit zu gestalten, aus dieser besonderen Stadt mit ihrem eigenen Tempo, entsprechend der Berliner Langsamkeit, die alle gerne leugnen, indem sie nie Zeit haben. Eine sich traditionell links gebende Kulturszene hatte sich in einer Art Vetternwirtschaft eingerichtet und brachte anständiges und sehenswertes aber nichts neues, was den Schwung der Zeit nutzte.
Nun ist eine andere Zeit angebrochen und es ist möglich, dass Berlin gerade aufgrund der krisenhaften Situation und dem Scheitern vieler etablierter Etablissements aufgrund der Schließung, eine neue freie Energie entfaltet, die kreativ jenseits der Fördermittelanträge ist, weil wir alle auf uns geworfen sind und sehen müssen, wie wir mit dieser Situation der anderen Welt geistig umgehen. Wie wird mit der sozialen Verantwortung umgegangen, wer gibt sich trotzig und uneinsichtig, wo wächst kreatives Potenzial gerade aus der Krise und den Veränderungen, die sie bringt.
Berlin war schläfrig und gut verwaltet geworden, eine ehemalige Staatspartei, die sich gern oppositionell gibt, um zu verdecken, dass sie das Vermögen der SED als Basis hatten, verwaltete die Kultur nach alter Gewohnheit. Unklar nur, warum sich früher oppositionelle Theater kaufen ließen, aber es lebt sich eben gut und sicherer so und es galt ja als Hochkultur, was da abgeliefert wurde, nur innovativ war es nicht, griff nicht den Geist der Zeit auf, der eine AfD entstehen ließ, außer in gewohnten antifaschistischen Mustern, die dem Treiben der DDR eher glichen als modernem Theater in einer Demokratie, also linksspießig nur waren.
Sehen wir Corona als Chance wieder ganz vorne in der Kultur eine Rolle zu spielen, innovativ zu gestalten, statt sich gut verwalten zu lassen, was der Kultur noch nie gut tat. Natürlich ist es etwas gewagt, fast selbstmörderisch sich gegen die traditionellen Muster in der Krise aufzulehnen, neues zu beginnen, um am Puls der Zeit zu sein, aber was wäre Kultur wert, wenn sie nicht aufs Ganze geht, alles riskierte?
So war Berlin lange eine gut verwaltete Stadt, in der die Erben der SED gern kulturell die erste Pfeife bliesen und die Kultur nicht merkte, wem sie da auf den Leim ging - nun könnte sich manches ändern und es beschäftigen sich alle genug mit sich und haben Sex, statt zu tanzen, dass es gute Chancen gibt, hier etwas neues entstehen zu lassen, was die Zeit prägt und mitgestaltet, wie es das Berlin der 20er in großer Freiheit tat, bis der nationalsozialistische Stumpfsinn mit dem beschränkten Österreicher alle Kreativität und Freiheit erstickte. Ein wenig Polarisierung durch fragwürdige vegane Köche und ähnliche Halblichtgestalten kann trotz deren Unterbelichtung dabei nicht schaden, im Gegenteil, es ist der Nährboden der kommenden kreativen Entwicklung, die hoffentlich endlich wieder Wege weist, statt sie erwartungsgemäß vorzubeten.
jens tuengerthal 27.6.20
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