Ein Versuch über die Liebe als Lebensmittel
Ist die Liebe überhaupt ein Lebensmittel, etwas, was wir zum Überleben brauchen oder gönnten wir uns diesen Luxus nur satt, verlieren sich die großen Gefühle beim Kampf ums Überleben wieder, überlegte ich und hatte wie auf so vieles bei diesem Thema keine rasche Antwort.
Bei Facebook gibt es den Beziehungsstatus “es ist kompliziert” und das ist vielleicht eine der besten und kürzesten Beschreibungen der Liebe überhaupt, wo sie von großen Emotionen getragen wird. Zwei können nicht ohne einander sein, halten es aber auch mit kaum aus und das sie sich nicht täglich den Schädel einschlagen oder wüst beschimpfen, liegt weniger am großen Gefühl als einem Mindestmaß an Anstand, den es noch zu wahren gilt, auch wenn er der Größe der Gefühle am ehesten entgegenwirkt. Für manche Lieben ist das große Drama Alltag und Normalität, kannte mehr als eine Drama-Queen mit hohem Betreuungsaufwand in meinem Leben, für andere scheint eine solche Gewichtung undenkbar,
Manchmal sind Paare zu beobachten, die diese Grenze fallen lassen, sich auf offener Straße anschreien, Szenen veranstalten, übergriffig werden und ähnliches mehr und die Beobachtung solcher Fälle hat mich immer so sehr abgeschreckt, dass ich alles tat, öffentliche Szenen noch zu vermeiden, zumindest ein wenig Contenance im brodelnden Kessel zu wahren, was vermutlich auch nicht immer gelang, es ist ja auch nie nur die Entscheidung von einem, ob es explodiert oder nicht und meine Fähigkeite zur Selbstbeherrschung ist in emotionalen Dingen nur bedingt gut ausgeprägt, wie es dem kantschen Anspruch genügen würde, aber zumindest bin ich mir sicher, dass es immer mein Bedürfnis war, so etwas möglichst in Ruhe und unter vier Augen zu klären.
Mehr oder weniger große Dramen habe ich aus den längeren Beziehungen teils noch in sehr lebendiger Erinnerung. Sofern so etwas alle paar Monate mal vorkam, war es zwar anstrengend aber verkraftbar, da die vollständige Infragestellung der großen Liebe das Leben für mich immer im Grundsatz erschütterte und mich auch geistig tagelang lahm legen konnte, in einem Fall sogar noch viel länger völlig lähmte, auch wenn es mir immer unerklärlicher erscheint, vernünftig und mit Abstand betrachtet.
Erinnere mich auch an Streitigkeiten zwischen meinen Eltern und wie mich dann die Furcht umtrieb, sie könnten sich trennen und wie sehr ich diesen Zusammenbruch meiner Welt fürchtete. Dieses Damoklesschwert des Endes der Familie, die doch alles war, was wir hochhielten, schwebte über manchem meiner kindlichen Alpträume und schien mir unvorstellbar schrecklich, warum ich den Wechsel oder das Ende, wenn ich es nicht selbst wollte, was zum Glück häufiger vorkam, sehr schlecht vertrug und ewig nach einer vernünftigen Erklärung dafür suchte, die es natürlich nie gab, weil Liebe eben da ist oder verschwindet und dann ist es Zeit zu gehen, wie ich es ja von mir selbst auch kannte, der dann sehr entspannt und locker gehen konnte, auch alle vernünftig zu begründen verstand. Natürlich war jede dieser Begründungen wohl durchdacht und dennoch nichts als eine floskelreiche Umschreibung dafür, dass eben das Gefühl verloren gegangen war.
Bei meinen Eltern hielt es, überstand einige Höhen und Tiefen, hat im Alter eine neue liebevolle Form gefunden, die manchen langjährigen Beobachter eines gelegentlich rauheren Tones angenehm erstaunte. Es ist also Bewegung und Veränderung in Beziehungen möglich und kann der Traum von der Liebe für ein Leben gelebt werden, auch wenn es zwischendurch drammatisch zuging. Dieser Traum ist für mich immer das wichtigste in der Liebe gewesen. Natürlich ist toller Sex auch was schönes aber er wird blass gegen das Gewicht der Kontnuität und Zuverlässigkeit die eine alte Liebe in einer Familie bedeutet und die für mich das entscheidende Ideal war, was ich auch immer leben wollte und so habe ich auch viele Versuche dazu begonnen, mal mit schnellerer mal langsamerer Einsicht, warum genau dieser Versuch natürlich nicht gut gehen konnte, was am leichtesten war, wenn er erfolgreich durch den nächsten ersetzt wurde. Kein Raum für Leere in mir blieb.
Dabei ist der Ersatz völliger Unsinn, weil jede Beziehung anders und keiner ersetzbar ist. Doch genügt die Ablenkung durch den nächsten mehr oder weniger glücklichen Versuch vollkommen vom unerträglichen Unglück über den Verlust der einen Liebe abzulenken, den ich immer nur dann vernünftig vertragen konnte, wenn ich meine Liebe schon vorher verloren hatte, während es mir bis zum tauglichen Ersatz unterschiedlich stark unvorstellbar schien, ohne die gewohnte Konstellation zu leben.
Mag Veränderungen nicht besonders und lasse am liebsten alles beim alten, weil es so gut passt, auch wenn es vielleicht gar nicht so gut passte, wann passen Männer und Frauen schon wirklich zusammen, es doch besser ist, es dabei zu belassen, weil Veränderung nur von wesentlichen Dingen ablenkt, neue aufwendige Suche bedeutet, was eine der wichtigsten Freizeitbeschäftigungen der Singles in den Großstädten wurde, zumindest, wenn du alle Dates in den Cafés beobachtest oder seit Corona auch auf den Bänken im Park.
Welche Veränderung sich gelohnt hat und welche ich lieber unterlassen hätte, wäre eine eigene Geschichte, die hier aber nur am Rande eine Rolle spielt, zumindest fällt mir als nach scheinbarer Objektivität strebender Beobachter meiner selbst doch auf, wie sehr das Streben nach Kontinuität den Drang nach neuem immer mehr überwog, warum mir die Furcht der einen, ich könnte sie verlassen oder betrügen so absurd schien und mit zunehmenden Alter hat das Bedürfnis nach Kontinuität das nach Abwechslung weit hinter sich gelassen, auch wenn ich es, seltsam genug, in den letzten zehn Jahren auch ungewollt immer wieder anders gelebt habe auf der Suche nach großer Liebe, kleinem Glück oder zumindest einem tragfähigen Kompromiss.
Kann für mich sagen, dass Bestand und Kontinuität in der Liebe bei nebenbei irgendwie vorhandener Sexualität, die Ansprüche sinken ja wie die eigene Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter ein wenig, mir am wichtigsten waren, um ein gutes Leben zu führen und leistungsfähig zu sein, während der Mangel an dieser Kontinuität, mich immer wieder umtrieb und aus der Bahn warf, weil ich doch das Ideal der Familie leben, selbst eine gründen wollte. Die Versuche dabei und Versprechungen dazu summieren sich inzwischen und mehr als einmal war ich mir sicher, es nun ein Leben lang zu wollen, was als Anspruch schon manch vermeintlich große Liebe erschlagen hat und klein werden ließ, was nüchtern betrachtet eigentlich ziemlich schade ist.
Dennoch tauchten immer wieder Fälle auf, die vom irgendwie gleichen Traum besessen waren, es vielleicht auch aus ihrer Kindheit kannten und darum sich mit ähnlicher Begeisterung hinein stürzten wie ich, selten ohne baldige Enttäuschung, weil nichts so schön wird wie gehofft und wir uns nur gelegentlich dabei noch übertreffen, während die erwartungslos begonnenen Kompromisse eher dazu neigten, die nicht vorhandene Erwartung noch angenehm zu übertreffen.
Wann aber hat mich die Liebe am glücklichsten gemacht und welche hatte den größten Erfolg, fragte ich mich, um eine Maßstab dessen, was gut sein könnte im Gegensatz zu dem, was mich quälte zu finden und schon bei der Fragestellung fiel mir auf, wie schwer die Antwort werden würde. In unserer alles quantifizierenden und vermessenden Zeit, die schon an sich angezählt immer vom Wesen her ist, wird Wertigkeit numerisch meist bestimmt. Doch scheint reine Dauer eher ungeeignet als Maßstab des Glücks.
Auch unglückliche Beziehungen können besonders lange dauern, weil beide darin gefangen sind, was inzwischen die Erfahrung bestätigt und auch ein tragisches unverstandenes Ende, kann vor neuem Glück zu nichts werden, sogar, wenn es wie das Ende des Lebens zuvor noch schien. Was zumindest die physikalische Weisheit, dass eben alles relativ ist, im emotionalen Bereich erneut bestätigt. Zumindest weist es darauf hin, dass alleine die zeitliche Dauer nichts über die Qualität und Intensität der Nähe sagt, die sich manchmal sogar umgekehrt proportional verhält.
Dachte lange, weil es auch so von mir erwartet wurde, die letzte große Liebe sei die bedeutendste gewesen, weil sie am intensivsten war und die größten emotionalen Extreme hervorbrachte, immer wieder in Todesnähe shakespearesk schwankte, doch relativiert sie sich mit der Zeit immer mehr und die Realität des täglichen Leidens an Launen, das mich lange deformierte, hebt das scheinbare Ideal völlig auf, da bleibt sehr wenig übrig. Dennoch ist es naheliegend, dass immer die letzte große Liebe als die bis dato größte erscheint, weil sie eben auch zeitlich am nächsten liegt und was gäbe es schon für Gründe den ganzen Unsinn noch einmal zu wagen, wenn nicht jeder neue Versuch der allerbeste endlich werden sollte.
Heute, ein wenig neben mir stehend, um die Illusion der Objektivität wach zu halten, scheinen mir die großen leidenschaftlichen Lieben eher als erschöpfend und anstrengend, während die kleinen zarten, die zuverlässig blieben, mir in vielem idealer erscheinen als manche Göttin um die ich ewig meinte trauern zu müssen, was ich etwas ermüdet nur noch belächeln kann. Wo ich unbedingt wollte, voller Begeisterung und Gier war, habe ich auch den Sex zwar irgendwie aufregend in Erinnerung aber letztlich nicht so befriedigend, wie in den ruhigeren Fahrwassern, die ohne große Stromschnellen zum Ziel führten, auf denen nicht ständig neues Kentern drohte.
Wo sich Dramen abspielen, ist viel Gefühl dabei, wird der Sex meist großartig, echtes Theater eben, aber weniger der Sache als der Aufregung drumherum wegen. Auf Dauer ist guter Sex eben auch ein feinmechanisches Handwerk, was Erfahrung und Kontinuität braucht, um sich gut aufeinander einzuspielen, was manche nie ganz schaffen aber noch seltener darüber reden, zumindest miteinander, seltsamerweise. Aber warum und wie der Sex funktioniert oder die Lust sich verliert, ist eine andere Geschichte, die bei diesem Versuch über die Liebe weniger verloren hat, bei der Sex ja nur eine der Ausdrucksformen der Zuneigung und des Vertrauens ist aber eben nicht die einzige und meinem Gefühl nach auch nicht die entscheidende.
Ohne ein Verfechter arrangierter Ehen zu sein, wie gut dass dieser Zwang überwunden wurde, Gefühl entscheiden kann, wer sich bindet, scheint mir doch heute das Element der ruhigen Vernunft viel wichtiger als alle übrigen. Es sollte eben auch vernünftigerweise irgendwie passen. Wo geistige Welten passen, zwei miteinander reden können, sich ohne zu große Dramen verstehen, vieles auch ungesagt klar erscheint, die Umstände passen, sie nicht nur miteinander sondern vor allem auch beieinander schlafen können und sich dabei Kraft geben, ist schon die beste aller möglichen Konstellationen gefunden und klug ist, wer nicht mehr erwartet sondern damit glücklich leben kann und es zu würdigen weiß.
So schön der Traum von großer Leidenschaft, ewig wildem Sex und dem lodernden Feuer der Liebe ist, schöner noch lebt sich mit Zuverlässigkeit, Vertrauen, ruhiger Liebe und dabei natürlich schönem Sex, der sich aus der Harmonie von alleine ergben sollte, hier immer noch nicht Thema wird, das Produkt einer gelungenen Beziehung ist, nicht ihr Inhalt. Die Liebe als Lebensmittel taugt nichts, wo sie nur leidenschaftlich brennt, uns täglich verrückt macht, statt für ruhige sichere Versorgung der emotionalen Grundbedürfnisse zu sorgen, ein sicherer Leuchtturm zu sein, der Orientierung gibt.
Es ist schön sich gelegentlich feine Delikatessen zu gönnen, aber täglich möchte ich mein Roggenbrot mit Butter haben. Natürlich möchte ich meine Liebste nie einem Roggenbrot zu vergleichen, so sehr ich dieses liebe, doch eine vernünftige Basis, die als festes Fundament Grundlage auch emotionaler oder erotischer Höhenflüge sein kann, gefällt mir heute und mit Blick auf alle Erfahrung viel besser als jede verrückte Leidenschaft. Es ist vieles gut und leichter zu ertragen, wenn die Basis voller Vertrauen stimmt. Wo an ihr immer wieder gezweifelt wird, bleibt nicht viel übrig.
Das Roggengraubrot mit Butter oder nach Laune belegt, ist die Basis eines guten Lebens für mich. Schwarzbrot und Toast dazu sind netter kleiner Luxus. Dazu ein guter Tee, Wasser oder ein zuverlässiger Wein ohne Aromastoffe, manchmal noch ein Käse, genügen zum guten Leben, wie es Epikur als Ideal beschrieb. Dies im Bewusstsein, scheinen mir viele Ausflüge im wilden Wald von Liebe und Lust heute eher überflüssig. Wie ich eine gute Brotzeit als wichtigste Mahlzeit über alles schätze, möchte ich auch meine Liebe so leben. Klar und offen in der Basis, im Wissen um den verbindenden Kern, der einander gut tut und das auch nach seiner Natur kann. Dann wäre alles bestens und ich völlig erwartungslos glücklich und irgendwann findet sich genau das, denke ich, die Dinge sind ja nicht so kompliziert, lassen wir mal weg dass neben Roggenbrot auch Bücher zu meinen Grundnahrungsmitteln gehören uns es natürlich schön ist, auch gelegentlich gemeinsam zu essen.
jens tuengerthal 18.7.20
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