Samstag, 18. Oktober 2014

Bürgerlust I

Warum ist es eine Lust, ein Bürger zu sein, und was heißt überhaupt Bürger sein?
Warum und ob es eine Lust ist, wird kaum mit einem Satz zu beantworten sein und soll darum Gegenstand der folgenden Reihe von Essays sein, die sich mit dem Wesen, wie der Geschichte der Bürgerlichkeit auseinandersetzen, ohne aus den Augen zu verlieren, dass es dabei vorrangig um die Lust an der Bürgerlichkeit geht, wenn es sie denn gibt und nicht schon die Verbindung von Lust und Bürger eine contra dictio ist.
Bürger sind heute alle im Sinne des Gesetzes, da es keine Unterschiede nach Ständen oder Klassen mehr gibt - das bekannte, gebetsmühlenartig vorgetragene Mantra der Egalität im Rahmen politischer Korrektheit, die selbiges schon nahezu egal macht - wir sind alle vor dem Gesetz gleich, Unterschiede nacht Herkunft, Vermögen oder Bildung sind dabei ohne Belang für uns und so bekennen sich alle und keiner zum Bundesbürgertum, das weniger eine Identitätsgemeinschaft als eine eben vorgesetzte ist. Ausnahmen bilden die großen Fußballfeste und andere nationale Ereignisse, die kollektiv gröhlend oder schweigend an anderer Stelle, begangen werden, fraglich nur, ob die dabei anwesenden Bundesbürger ihre Identität als Gemeinschaft auch bundesbürgerlich nennen würden.
Sind wir auf der Spur der neuen Bürgerlichkeit, wenn wir auf die Nation als Ganzes schauen, oder bildet das Bürgertum immer eine Elite aus der Mitte des Staates?
Gibt es eine Elite der Mitte überhaupt oder wird da schon die eigentlich nicht Identität der Gruppe zwischen früher Adel, was immer dieser heute nur noch Name Gegenwärtigen auch ist, und Bauern oder Arbeitern?
Bevor ich mich in diese schwierigeren Detailfragen vertiefe, das ganze also gut bürgerlich und ordentlich untersuche, beginne ich in mindestens ebenso bürgerlicher Art, wenn nicht sogar par excellence bürgerlich, mit der Frage nach dem Ursprung, der Historie der Bürgerlichkeit, einer kleinen Geschichte der Bürgerlichkeit.
Die erste moderne Definition zu rechtlichen Bestimmungen des Bürgerstandes stammt aus dem Jahre 1794 und findet sich im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) Zweyter Theil. Achter Titel. Erster Abschnitt.
Vom Bürgerstande überhaupt:
§ 1. Der Bürgerstand begreift alle Einwohner des Staats unter sich, welche, ihrer Geburt nach, weder zum Adel, noch zum Bauernstande gerechnet werden können, und auch nachher keinem dieser Stände einverleibt sind.
§ 2. Ein Bürger im eigentlichen Verstande wird derjenige genannt, welcher in einer Stadt seinen Wohnsitz aufgeschlagen, und daselbst das Bürgerrecht gewonnen hat.
§ 3. Personen des Bürgerstandes in und außer den Städten, welche durch ihre Ämter, Würden, oder besondere Privilegien, von der Gerichtsbarkeit ihres Wohnortes befreyt sind, werden Eximierte genannt. […]
§ 5. Einwohner der Städte, welche weder eigentliche Bürger, noch Eximierte sind, heißen Schutzverwandte.
§ 6. Bürger und Schutzverwandte der Stadt werden nach den Statuten ihres Wohnorts, Eximierte hingegen nach den Provinzialgesetzen, und in deren Ermangelung, nach dem allgemeinen Gesetzbuche beurtheilt.
Das weder noch sein, ist ein interessanter Ansatz zum überhaupt sein, dieser Wesen auf der Suche zwischen Tradition und Moderne, die bewahren und zugleich erneuern. Das Bürgertum als erste nicht adlige aber dennoch gebildete Schicht, war das Ziel der Aufklärung, an sie richtete sich deren Philosophie.
Es ist ein Weg der Befreiung vom ständischen Denken und hin zum aufgeklärten Bewusstsein, das sich von vorherigen Schranken des Aberglauben immer mehr befreit, geprägt auch vom Ideal des freien römischen Bürgers, der weder einen Adel fürchtete über sich, noch Götter neben sich, aber bis dahin ist es noch immer ein weiter Weg und gerade die Gruppe, die unter dem Begriff neue Bürgerlichkeit gefasst wird, füllt eher am Sonntag die Kirchen auch hier in Prenzlauer Berg wieder und bestimmt sich tendenziell konservativ, was amüsiert, denken wir daran, dass es doch eine nahezu revolutionäre Bewegung der Befreiung war, denn gehen wir von der Aufklärung ein wenig weiter zuück, sehen wir, dass Bürger all diejenigen waren, die Bürgerrechte hatten, also in einer geschlossenen Stadt leben durften, im Gegensatz zu den abhängigen Bauern, die einem Gutsherr gehörten oder doch zumindest unterstanden, waren sie relativ frei in ihrem engen ständischen Wesen und seiner genauen Ordnung. In einigen Städten von besonderer Bedeutung im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation etwa, galt sogar die Reichsunmittelbarkeit dieser Städte, wie etwa Frankfurt am Main, Nürnberg, Augsburg, Bremen, Lübeck und auch später Hamburg. Das heißt sie waren nur dem Kaiser gegenüber verpflichtet, bestimmten ihre Geschicke weitgehend autonom und konnten auch ihre Märkt und Messen regeln, wie es ihren Interessen entsprach.
Aus dem lateinischen Civis, was auch zur Wurzel des Wortes Zivilisation wurde stammt das deutsche Bürger. Nur etymologisch ist der Ursprung hier ein anderer, der verwirren könnte, denn die Verwandtschaft mit Burg und also dem Adelssitz scheint irgendwie nahezuliegen, wird aber bestritten, da im althochdeutschen diejenigen, die in Städten wohnten burga genannt wurden, was näher auf die Wurzel verweist als die, die eben in Mauern der Stadt, Schutz suchen, um ihrem Handwerk oder ihrem Handel nachzugehen.
Zwischen Schutz und Freiheit liegt das Spannungsfeld, auf dem die Bürgerlichkeit agiert. Ob es noch eine konstruktive Identität gibt, wird zu ergründen sein, genau wie die Frage, warum es eine Lust sein kann, sich dazu zu bekennen, im Geiste der Salons des 19. Jahrhunderts, die bürgerlich waren gerade in Berlin, auch wenn hoher Adel dort verkehrte. Was davon heute noch wichtig ist für die Identität, ob es eher der Bildungsbürger ist, mit heimischer Bibliothek und sonntäglichem Museumsbesuch, oder der Begriff von Freiheit jenseits der Klassen und wie daraus eine Identität wird, nachdem sie in Verruf geriet.
Dies zu ergründen sowohl persönlich, denn der Autor begreift sich als zutiefst bürgerlich, als auch philosophisch, da die Demokratie einen Rahmen braucht, aus dem auch künftig ihre Werte gezogen werden, ist Ziel der nächsten Essays, wie weit dies gelingt, wird sich im Prozess zeigen, ob es Lust macht auch und es wen zu lesen reizt, erst recht, denn bürgerlich ist einerseits verpönt, andererseits, gerade von den Lesern eines Thomas Mann, idealisiert und es fragt sich also, was daraus werden kann.
Das Ergebnis ist noch offen, auch wenn sich der stolze Bürger wünscht, es möge zu einer Vereinigung von bürgerlich und frei kommen, erzwungen werden, kann es nur bedingt und die auch Selbstbeobachtung, wird um das Thema weiter kreisen.
jt 18.10.14

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