Mittwoch, 14. August 2024

Schickselig


 

Schickselig


Was schickt sich heute noch und spielt das eine Rolle, fragte ich mich beim Blick auf unsere

aufgewühlte Gesellschaft. 


Wie sich etwas schickt, klingt erstmal altertümlich und unpassend und doch haben wir zahlreiche Begriffe und Verhaltensweisen, die sich nicht mehr schicken, auch wenn all das früher ganz normal war. Bestimmte Worte zeigen dich als einen Rassisten die früher noch normaler Sprachgebrauch waren. Die richtigen Worte können so kriegsentscheidend sein.


Auch das Verhalten den Damen gegenüber gehorcht einem eigenen, teils ganz neuen Kodex, in dem, was früher vornehm war, heute eher altbacken oder diskriminierend empfunden wird. Wobei gerade zwischen den Geschlechtern viele Grenzen ständig fließen. Natürlich gebe ich einer Dame den Vortritt - nur wo überall auf keinen Fall, was davon gilt noch für wen. In welchen Kreisen wird welches Verhalten als korrekt höflich und welches als tumb, gar verletzend empfunden. Wie entgegengesetzt korrekt ist das Verhalten je nachdem korrekt, ob ich mich in Adelskreisen oder unter Sozialdemokratinnen bewege, um nur ein Beispiel zu nennen.


Das gleiche Tun und die selben Worte können von einer als sexuelle Belästigung schwer verletzend empfunden werden, während es eine andere amüsiert und die dritte sogar reizt, also der Annäherung dient. Eine Belästigung schickt sich sicher nie, amüsant zu sein oder gut zu flirten ist dagegen sehr schön. Die Abgründe dazwischen werden schnell tief, wie das Unverständnis füreinander wächst.


Nie käme ich auf die Idee mir von einer Frau einfach sexuell zu nehmen, was ich will, auch wenn verschiedene schon genau das von mir forderten. Fände es unschicklich, so etwas gegen oder ohne ihren erklärten Willen zu tun. Einige wünschen sich genau das sehnlichst. Gibt es etwas, was sich dabei immer schickt?


Schaue ich auf Diskussionen im Netz und beteiligte Emotionen, könnte die Frage, ob was sich schickt, inzwischen mehr unsere Gefühle und Gedanken bestimmen als alles sonst, so zum reaktionären Motor werden, der lieber ausbremst als beschleunigt, dies allerding mit zunehmend rasendem Tempo dabei für eine Menge. die sich am Durchschnitt orientiert, statt eigenes zu entwickeln.


Was schickt sich für wen und was nicht. Ist diese Zuordnung bindend oder zufällig relativ und nach wessen Moral?


 Worauf stellen wir unsere sicheren Urteile und wer gab diese angeblichen Werte als den de facto verbindlichen Kodex?


Verwendung eines bestimmten Vokabulars ordnet dich heute einer Gruppe zu. Jede Minderheit und politische Überzeugung hat ihre Sprache, mit der sie versucht, was sich für sie schickt auszudrücken.


Impfgegner oder Querdenker haben ihr Vokabular, mit dem sie sich von der Mehrheit abgrenzen wollen, wie zugleich ihre Gruppenzugehörigkeit feiern. Gleiches gilt für Linke, die Genderformen verwenden, so berechtigt dieser sprachkulturelle Aufschrei zu seiner Zeit war, empfinden viele es als lästige Provokation, während sich die Mitglieder dieser Gemeinschaft damit als zugehörig und emanzipiert zeigen.


Wie du dich ausdrückst, zeigt, wo du stehst und wo du hingehörst, wie zugleich auch, durch Wortwahl und Klang, deine Herkunft und Bildung. Willst du zu bestimmten Kreisen gehören, wirst du deren Vokabular annehmen oder dich schnell als Außenseiter zeigen, der sogar als Gegner dann bekämpft werden kann.


Es schickt sich in verschiedenen Gruppen völlig unterschiedliches, kann ein Verhalten auch als das Gegenteil des gemeinten ausgelegt werden, wenn es mal dumm läuft, wird eine bloß zufällige Wortwahl zum politischen Beinbruch der Karrieren zerstören kann.


Wäre es besser sich davon freier zu machen, um seinen eigenen Ausdruck zu finden oder sind wir immer Teil von irgendwas, ist die Hoffnung auf echten Individualismus vergebens, überlege ich angesichts dieser Entwicklung, die noch kein Ende nahm. Die Vereinigten Staaten waren in der Bewertung der Sprache noch schneller als wir, aber haben auch mehr, die sich um keinen Konsens mehr kümmern, einer will sogar wieder Präsident werden.


Es schickt sich nicht bestimmte Worte noch zu verwenden sogar Kinderbücher werden auch ohne die verstorbenen Autorinnen zu fragen korrigiert, was manche einen Tabubruch finden der ein Werk verändert, für zufällige politische Meinung, halten andere für den notwendigen Schritt, endlich gegen den normalen Rassismus vorzugehen, den viele noch von ihren Großeltern mitbekamen.


Beschäftigen wir uns in diesen Fragen mit den Werten an sich oder führen wir nur Stellvertreterkriege, die sich um die Entscheidung zur Sache drücken?


Wie wir etwas ausdrücken, zeigt auch, wie es in uns ist, weil es ja unser Ausdruck ist, der ein teils erbärmliches Vokabular oder Denken offenbaren kann. Doch wäre es gefährlich über die Frage, was sich noch schickt, das warum dieser Entwicklung zu vergessen, denn ohne weitere Begründung ist jede Norm nur eine Freiheitsberaubung.


Vielleicht wäre es wichtiger, sich mehr zu fragen, was sich warum schickt oder nicht, als über jene zu urteilen, die sich anders verhalten, die Lagermentalität mit Vernunft zu begrenzen. Es scheint mir eine Schicksalsfrage unserer Zukunft zu sein, wenn wir nicht zu einer moralischen Diktatur auf egal welcher Seite kommen wollen, sollte, was sich noch schickt, strenger geprüft werden als alles andere, bevor wir ein Urteil wagen, was eine Diktatur einer moralischen Mehrheit im Ergebnis bedeutete. Vielleicht holten wir mehr aus ihrer radikalen Opposition ab, wenn wir die Schicksalsfrage, was sich noch schickt, weniger wichtig nehmen, als was, egal wer erreichen möchte. Haben wir den Mut, uns von mehr Normen zu befreien, könnte es das Zusammenleben deutlich erleichtern, auch wenn viele sich ihres jeweiligen Gehorsams in der Gruppe nicht bewusst sind.


jens tuengerthal 14.8.24






Lektürentagebuch 14/8/24


 Lektürentagebuch 14/8/24


Lektüre die verzaubert ist groß

Bruno Schulz ist ein Genie der

Phantastischen Perspektivwechsel

Hinter denen sich Realitäten auflösen


Wie er mit den tristen Farben des

Immer unvollständigen Winters ein

Bild malt ist ein großartiger Beginn

Doch übertrifft er diesen noch leicht


Wohin auch immer sich der Vater

Des Erzählers flüchtet wird es bis

Zum Exzess durchdekliniert um so

Neue Erzählwelten zu erkunden


Nun hat dieser schon alte Vater

Eine Vogelschwäche die ihn auch

Fremdeste Eier noch ausbrüten ließ

Wie die Brut danach großzuziehen


Die Vögel ist eine der wunderbaren

Geschichten in denen Bruno Schulz

Sein Talent als Dramatiker offenbart

Der unerträgliche Situationen kreiert


Von der Sinnlichkeit des Vögelns

Zum Begattungsakt unter Vögeln

Finden sich einige Anspielungen

Die auf eine erotische Welt weisen


Sie sind unverstellt direkt aber auch

Wieder so absurd fernliegend dass

Der Leser dazwischen verwirrt eher

Bleibt als sinnlich erregt zu werden


Wenn du denkst es geht nicht mehr

Weiter setzt Schulz noch eine weitere

Verwandlung des Vaters zum Vogel

Drauf führt in unlösbare Situationen


Kurz vorm Zusammenbruch im dann

Völligen Chaos des zu seinen Vögeln

Gezogenen Vaters löst wieder Adela

Die Situation putzend reinlich auf


Die Vögel entfliehen der Vater ist

Am Boden zerstört Adela erschöpft

Doch alles findet seine Ordnung

Die wichtiger als vieles bleibt


Ein sich wiederholendes Muster mit

Deutlich sexuellen Motiven was dann

Statt eine Geschichte bis zum Ende

Seines Wahnsinns zu erzählen diese


Reinlich und ordentlich wegputzt um

Gute Ordnung herzustellen jene Adela

Das Hausmädchen und die gute Seele

Des Hauses wird dabei zur Göttin


Sie hat alle Macht über den Vater der

Im übrigen alles tut was er will wie

Dieses bis zum Exzess durchexerziert

Außer Adela erscheint putzend


Verzaubernde Reinlichkeit gemischt mit

Der Allmacht der Liebe ziehen die Leser

So in den Bann wie den Vater der doch

Immer den letzten und größten aller


Zusammenbrüche nach dem neuesten

Scheitern erlebt wie keine Hoffnung auf

Erholung mehr hat um dann wieder

Eine neue Wendung nebenbei zu finden


Diese verrückten polnischen Autoren

Welche ihre Leser in frei erdachte

Reiche der Phantasie mit viel Witz

Dabei entführen sind großartig


Denke es und greife wieder zu dem

Gestern lange gelesenen Bobkowski

Der nun über Lourdes und seinen

Eigenen Katholizismus schreibt


Was mit der Religion also in ähnlich

Phantastisch verrückte Reiche wie

Die von Schulz Vater führen nur mit

Dem Unterschied kollektiven Wahns


Wie Franz Werfel der als Flüchtling

Vor den Nazis schon 1938 nach

Frankreich kam und schließlich in

Lourdes zum Katholizismus konvertierte


Sogar ein Buch über die Heilige dort

Versprach sollte er gerettet werden

Was ja mit Heinrich und Golo Mann

Ihm und seiner Frau Alma Mahler-Werfel


Überraschend doch gelang bis nach

Portugal von wo aus sie ein Schiff

Nach Amerika fanden wo sich die

Flüchtlinge in Kalifornien niederließen


Über den dann entstandenen Film

Philosophiert Bobkowski mit seiner

Frau wie über Bernadette als dort

Heilige die Wunder bewirken soll


Sichtbar an Krücken und Danksagungen

Welche die Wunderkraft der Heiligen an

Diesem mehr als seltsamen Ort für alle

Besucher und überhaupt belegen sollen


Denke an meinen Besuch in Lourdes

Was ich Atheist eher komisch fand wie

Als katholischen Hokuspokus absurd

Welchen erstaunlich viele ernst nehmen


Kannte sogar Brüder des Grand Orient

Die ernsthaft fragten ob es mir auch

Geholfen hätte dort zu sein der ich

Ganz sicher keine Kerze entzündete


Der in Prag in eine jüdische Familie

Geborene Werfel jedenfalls fand als

Er 1940 aus Sanary-sur-Mer nach

Lourdes floh dort seinen Glauben


Auch Bobkowski den bisher so klugen

Kritischen Polen übekommt dort noch

Mit seiner Frau die religiöse Sehnsucht

Welche in mir eher Mitleid noch weckt


Denke an die polnische Flugente die

Vereinsvorsitzender in Rom einst war

Wie deren unheilvolles Wirken ganz

Besonders zur Prävention bei AIDS


Wie schön aber ist es sich in Büchern

Die Brücken schlagen an viele noch zu

Erinnern die nebenbei auch da waren

Wie Alma Mahler und Golo Mann


Ob es nun Almas Marketing Talent

Erst zu verdanken war dass sich der

Franzel von der brotlosen Dichtung

Den viel einträglicheren Geschichten


Zuwandte oder der Natur seines Volkes

Die alles berührte zu Gold machen soll

Wie Bobkowski als Pole hier spekuliert

Wozu ich als Deutscher lieber schweige


Wissen wir nicht genau zu sagen doch

Fand das Ergebnis in Hollywood wohl

Zuspruch wie Sponsoren womit auch

Die Geschichte der Bernadette als


Viehhiertin aus Lourde verfilmt wie

Damit zum Kassenschlager wurde

Über den Bobkowski mit seiner Frau

Beim Besuch in Lourdes sprach


Womit wir am Ende eines kleinen

Kulturgeschichtlichen Ausfluges in

Die Literatur auch des Exils wie

Seinen Orten wieder in Lourdes sind


Würde keinem empfehlen diese

Lächerliche Stätte des christlichen

Aberglaubens aufzusuchen auch

Wenn die Umgebung ganz nett ist


Gleiches findet sich an vielen Orten

Die Heilkraft ist nicht mal spekulativ

Gesünder ist darüber nur zu lesen

Was aber bei Bobkowski sicher lohnt


jens tuengerthal 14.8.24






Hitzetage


 Hitzetage


Hitzetage verbringt

Schwitzender Mensch besser im

Schatten gelassen


jens tuengerthal 14.8.24




Liebesrelativ


Liebesrelativ


Liebe bleibt stets das

Größte aller Gefühle

Manchmal zeitweise


jens tuengerthal 14.8.24




Morgenrealität


Morgenrealität


Erholt erwachen

Wird ferne Illusion ab

Fünfzig spätestens


jens tuengerthal 14.8.24





Liebesvollkommen


 Liebesvollkommen


Keine ist vollkommen je

Auch wenn manche Liebste

Lange mir mehr als das schien

Wenn ich sie geblendet anhimmelte


Es gibt keine vollkommene Liebe

Im Ergebnis landen wir meist nur

In Beziehungen die missgünstig

Sich um ihren Vorteil noch sorgen


Gelegentlich kämpfen wir noch für

Die Liebsten um Gerechtigkeit wie

Die Verteidigung unserer Liebe doch

Vollkommener wird dadurch keine


Noch dazu sind sie alle Menschen

Wesen von beschränkter Haltbarkeit

Wie allzumenschlichen Fehlern noch

Was natürlich unvollkommen macht


Doch ist mir wenn ich liebe egal

Wie wirklich die Wirklichkeit ist

Was das Gefühl weiter trägt ist

Damit gut so und Wunder genug


Vollkommen ist was ich fühle

Zweifellose Liebe begründet

Der Rest ist nicht der Rede wert

Bloß zeitweise Platzhalter dann


Alle Frauen die ich liebe sind also

Vollkommen weil ich sie liebe was

Schlüssig und logisch genug ist

Bräuchte die Liebe so etwas je


Zweifelhafte Lieben dagegen sind

Der Mühe nicht länger wert außer

Wir wollen anderes von ihnen das

Zeitweise Sicherheit verspräche


Warum meine Liebsten auch alle

Ohne jeden Zweifel vollkommen

Waren durch meine Liebe was

Uns zusammen kongenial macht


Ob mehr das nie merkten kann

Hier dahinstehen weil es nicht

Darauf ankam was einmal war

Sondern wie es mit Liebe wird


Auch spricht mehr Bescheidenheit

Eher für Vollkommenheit als gegen sie

Was die Vollkommenheit bestätigte

Bis Beziehungen Fehler uns zeigen


jens tuengerthal 13.8.24