Donnerstag, 25. Juni 2020

Geschlechterverkehr

Geschlecht und Geschlecht
Sind das gleiche Wort bei uns
Das eine meint ein Organ
Was wir zur Fortpflanzung
Wie zur Bestimmung nutzen
Welches Geschlecht jemand hat
Was nicht notwendig das gleiche
Aber doch bestimmend sein kann
Auch wenn niemand des Geschlechts
Wegen diskriminiert werden darf
Ist die Behandlung unterschiedlich
Zeigt die Praxis oft ein anderes
Zugleich meint ein Geschlecht
Auch eine Familie wie ihre ganze
Abstammung und Historie noch
Mit dem Geschlechtsorgan
Verkehren wir gelegentlich gern
Miteinander nicht immer nur
Zum Zwecke der Fortpflanzung
Gerne auch aus reiner Lust
Folgen dabei den Trieben die
Am Geschlechtsorgan gerne
Zum Höhepunkt finden der
In der Familie eher kein Thema
Wobei die Familie als Reihe von
Ahnen auf vorigem Sex aufbaut
Also aus dem Geschlechtsorgan
Gezeugt wurde dessen Verkehr
Im Zentrum wieder der Lust steht
Damit sich Geschlechter weiter
Fortpflanzen können muss die
Paarung wunschgemäß erfolgen
Was früher bestimmt wurde noch
Wird heute mit viel Gefühl gewählt
Was der Vermehrung nur bedingt
Noch zuträglich ist wie auch der
Haltbarkeit der Familien weil das
Bloße Gefühl auch wenn für ewig
Einander geschworen häufig nur
Begrenzt haltbar in Wirklichkeit ist
So vermischen sich Geschlechter
Auf der Suche der Beteiligten nach
Größerer Lust häufiger neu da
Die Geschlechtsorgane heute eine
Wichtigere Rolle spielen als die
Früher Familienplanung noch 
Die auch zwei nun verbinden soll
Während Frauen früher einheirateten
Ihre Familie wie den Namen also
Ihr Geschlecht völlig aufgaben
Finden sich heute zwei frei
Um eine Familie zu gründen
Unter welchem Namen auch immer
Klappt der Geschlechtsverkehr nicht
Wird dafür die Familie aufgegeben
Nicht immer aber nicht selten mehr
Weil persönliche Befriedigung heute
Wichtiger ist als das Geschlecht
Dem einer entstammt das er als
Aufgabe noch fortsetzen wollte
Jenseits jeder Wertung ob mehr
Gefühl besser für die Liebe ist
Oder sie auf Dauer eher gefährdet
Scheint Abwechslung wichtiger
Als Kontinuität geworden zu sein
Was immer das auf Dauer bedeutet
Könnte die romantische Liebe so
Zur größten Gefahr der Liebe werden
Irgend noch Bestand zu haben
Was zeigt mit dem Geschlecht ist
Manches wohl rätselhaft immer
So zumindest ähnelt es der Liebe

jens tuengerthal 25.6.20

Mittwoch, 24. Juni 2020

Liebesarbeit

Braucht Liebe stets Arbeit
Damit sie auch schön bleibt
Oder ist die Liebe vorbei
Sobald sie Arbeit wird
Weil Liebe einfach ist
Was sie ist und sich
Dabei völlig selbst genügt
Manche verwechseln Liebe
Mit Beziehung die immer
Arbeit ist dem Wesen nach
Weil zwei aneinander ziehen
Kompromisse braucht um
Auf Dauer zu funktionieren
Liebe kommt wie sie will
Geht wann sie möchte
Kann nichts versprechen
Schließlich ist sie nur ein
Gefühl - sonst nichts
Verstehe nichts davon
Kenne es aber gut
Weiß nicht wie ich je
Dori hingekommen bin
Noch wie ich sie loswerde
Wenn irgenwann unpassend
Liebe ist schwerste Arbeit
Weil keiner helfen kann
Nur jeder Bescheid weiß
Vielleicht wäre Leben leichter
Wäre ich diesbezüglich bloß
Arbeitslos aber leider macht
Die Liebe stets was sie will
Versuche es zu genießen
Manchmal übe ich noch
Nur ohne Liebe bliebe
Nichts mehr

jens tuengerthal 24.6.20

Blutreinheit

Gibt es reineres Blut und woher kommt diese Idee, die manche Menschen bis heute umtreibt?

Die Abgrenzung von anderen zur Verhinderung der Durchmischung kam über die Religionen auf und wurde zuerst in einem religiösen Zusammenhang verstanden. Das Christentum mit seiner Unterscheidung von gutem und bösem Blut, also dem der Opfer und Heiligen, gegenüber dem natürlichen Blut oder dem Regelblut, was mit der als unrein verstandenen weiblichen Sexualität in Verbindung gebracht wurde, legte die Basis für das, was im 19. Jahrhundert dann zu einem vermeintlich biologischen Rassismus wurde, der meinte Menschen nach dem Blut ihrer Abstammung unterscheiden zu können und dabei noch Aberglaube und Natur leichtfertig mischte, um so bestimmte Gruppen aus der Gemeinschaft der Guten zu verbannen, wie zugleich auch Rassismus zu begründen, der dann die Sklaverei rechtfertigte, weil bestimmte Gruppen minderwertig wären. Seinen Gipfel fand diese wirre Lehre ohne jede vernünftige wissenschaftliche Basis, auch wenn sie sich gern den ideologischen Anschein gab, in der Zeit des Nationalsozialismus. Es gibt keine menschlichen Rassen und die unterstellten Unterscheidungen im Wesen und Charakter danach sind ideologischer Aberglaube. Ob wir dabei als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommen, wie viel im Charakter Prägung und was Veranlagung ist, wäre eine andere Frage, die hier zu stellen, zu weit führte, bei der Suche nach den Gründen der Idee vom reinen Blut nicht weiterführt.

Die erste Unterscheidung kam schon im Laterankonzil von 1215 auf, das die Juden zur Kennzeichnung durch eine Kleiderordnung verpflichtete, um so die Vermischung zu verhindern. Es gab Judenviertel in den Städten und Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden auf unterschiedliche Weise aufgefordert, sich öffentlich zu kennzeichnen. Dazu dienten Judenhüte, Sterne und andere Zeichen. Mit Blut wurde es erst nach der sogenannten Befreiung Spaniens, der Reconquista, welche nach dem Sieg über die Muslime und deren Vertreibung aus Spanien 1492, auch die Vertreibung der dortigen Juden brachte.

Die jüdischen Bewohner Spaniens, die schon mit den Römern nach Spanien gekommen waren und länger dort lebten als die sich auf die Goten oder andere Vorfahren berufenden vorgeblich reinen Spanier, wurden nach dem Sieg von Grenada im Januar 1492, vor die Wahl gestellt, ob sie zum Christentum konvertieren oder das Land verlassen wollten und über 100.000 Juden verließen damals Spanien. Gegen die Konvertiten aber entwickelte sich ein großes Mißtrauen in Spanien, was schließlich zum Erlass der Statuten über die Reinheit des Blutes führte, nach denen, wer keine über mehrere Generationen reichende christliche Abstammung aufweisen konnte, von allen öffentlichen Ämtern und Privilegien ausgeschlossen war.

Infolge emigrierten auch die Vorfahren von Michel de Montaigne nach Frankreich und konnten sich dort ohne weitere Verfolgung erfolgreich etablieren, mit Michels Großvater so reich werden, dass sie ein Rittergut erwerben konnten wie einen Titel, der zur Steuerfreiheit führte. Aus dieser Familie wurden Teile Hugenotten und andere blieben wie Montaigne katholisch. Montaigne konnte in Frankreich Ämter bekleiden etwa als Bürgermeister von Bordeaux - auffällig aber ist die große Toleranz des Michel de Montaigne nicht nur gegenüber Andersgläubigen sondern auch bei Eingeborenen aus den Kolonien, die er als Menschen behandelt wissen wollte. So empfahl er mehr von ihnen zu lernen, als sich irgend überlegen zu dünken. Ob sich hier der Geist des toleranteren maurischen Spaniens seiner Vorfahren noch zeigte oder die Vernunft eines Menschen der im Geist der Renaissance erzogen wurde, der viele Texte römischer und griechischer Dichter las, mag ich nicht entscheiden, vermutlich spielt beides eine Rolle. Es war zumindest ungewöhnlich für die Zeit der Glaubenskriege und so gab Michel als Berater der Könige auch ein wenig den Nathan, dem es eher auf das ankam, was Menschen, egal welchen Glaubens, taten, als welchen Ring sie trugen aber dieser Ausflug in die Renaissance führt ein wenig weg vom Thema, soll nur zeigen, wie ein großer Geist, der nur ein Jahrhundert nach der Reconquista seine großen Werke schrieb, schon erkannte, worauf es im Miteinander der Menschen ankam und wie absurd diese staatliche Intoleranz in Spanien war, auch schon zu ihrer Zeit für alle kritisch denkenden Menschen, was von Glaubenskämpfern selten behauptet werden kann.

Mit den Statuten über die Reinheit des Blutes wurde im Rahmen der Bildung einer neuen Nation auch die einheitliche Sprache zum Merkmal der Identifikation. Spanien erhob das kastilische zur nationalen Sprache und setzte dies, gegen Widerstand von Basken und Katalanen bis heute, durch. In Deutschland wurde diese Sprachbildung und Vereinheitlichung durch die Reformation und die Lutherbibel vorangetrieben also zu ähnlicher Zeit. Aber auch Herder setzte sich für die Reinheit der deutschen Sprache ein und Arndt definierte das deutsche Vaterland als den Ort, an dem die deutsche Zunge erklingt. Dies fand sich später in der deutschen Nationalhymne wieder, die Hoffmann von Fallersleben einst  auf Helgoland dichtete, getrieben von dem Wunsch das nach der Niederlage gegen Napoleon zerschlagene alte Reich zu reanimieren und richtete sich gegen die Kleinstaaterei auf deutschem Boden.

Der Nachweis einer reinen Blutlinie wurde in Spanien, das lange von Mauren dominiert wurde, für viele schwierig, stattdessen wurde mit vielen Generationen von Steuerfreiheit, der ein Privileg des Adels war, argumentiert oder auf die Abstammung von den Westgoten verwiesen, wie sagenhaft diese auch immer war, galten die Westgoten, nachdem sie sich vom arianischen Christentum losgesagt hatten, doch als gut katholisch, waren damit reinen Blutes. 

Gemeinsam mit dem Familiennamen, der auch über die väterliche Linie weitergegeben wurde, konnte durch das Blut, die bis dato nur geglaubte Vaterschaft, zu einem Kriterium der Reinheit werden und schuf eine Gesellschaft, in der Frauen als Gebärmaschinen dienten und zufrieden sein konnten, wenn sie diesen Job überlebten, wobei wenn nicht, dies auch kein Drama war, sofern sie ihre Bestimmung erfüllt hatten, wie manche Prediger es noch es noch bis ins letzte Jahrhundert verkündeten. Luther war da, im Gegensatz zu seiner Sicht auf die Juden oder die sich erhebenden Bauern, relativ verständnisvoll gegenüber den Frauen, was auch an der Persönlichkeit seiner starken Frau, Katharina von Bora, liegen könnte die Zisterzienserin war, bis sie zu Luther ging und die Frau an seiner Seite wurde, die oftmals auch die Lutherin genannt wurde.

Über die Generationen übergreifende Blutlinie, hatte sich die vorher nur geglaubte väterliche Linie als Basis von Erbe und Tradition durchgesetzt. Diese Tradition verändert sich in den letzten Jahren infolge der Emanzipation und entsprechende Änderungen des Namensrechts. Wie stark solche neueren Bewegungen eine Tradition prägen werden und wo diese hingeht, ist noch unklar, doch zeigt sich wieder, wie Francoise Zonabend so treffend formulierte, dass in europäischen Gesellschaften Unordnungen und Veränderungen immer von Frauen ausgehen, dahingestellt, ob es daran liegen könnte, dass Europa der Sage nach eine Frau war. Wer nun eine neue Ordnung schafft, in der sich alle gemeinsam zurechtfinden, ist noch unklar, diesen Weg weiter zu verfolgen, bleibt spannend, weil es mit dem Namen auch um den Kern einer schriftlichen Kultur und ihres Selbstverständnisses geht.

Unvorstellbar schien mir als junger Mann, den Namen meiner Frau anzunehmen, wenn ich heiraten sollte, wovon ich fest ausging. Dann habe ich bisher doch nicht geheiratet und meine Tochter trägt meinen Namen nur, weil ich gerade nicht darauf bestand, sondern es freiwillig und nachgiebig der Mutter überließ, die meinen wählte, vielleicht auch, weil sie noch den Namen ihres Ex-Mannes trug, den sie nicht unbedingt noch weitergeben wollte. Aber ich wusste, hätte ich darum gekämpft, trüge meine Tochter nicht meinen Namen und was sie mit diesem Namen eines Tages machen wird, ist ihre Entscheidung. So gaben meine Schwestern ihren Namen noch bei der Hochzeit selbstverständlich auf, wollten auch keinen Doppelnamen, was bei kurzen Namen manchmal auch das Leben einfacher machen kann.

Endlose Ketten von Doppelnamen würden sicher anstrengend, andererseits dokumentierten sie auch eine Abstammung, die immer zwei Seiten hat, warum es gut sein kann, dies auch im Namen auszudrücken. Sind wir also viel traditionsbewusster, wenn wir mit langen Namen, die neu kombiniert werden, unsere Wurzeln bei uns tragen oder muss jede Ordnung, so einfach wie möglich sein, um auf Dauer zu funktionieren und wer darf das für andere entscheiden?

Habe da keine sichere Antwort und betrachte den Prozess gerade gespannt, weil es weniger um feste Definitionen geht, als um ein Verständnis von Identität, die viele Wurzeln hat und die auch neue Wege sucht, wo sich verschiedene Kulturen begegnen. Als ich eine zeitlang mit einer Frau verlobt war, deren Eltern aus dem Ausland stammten, und die den entsprechenden väterlichen Namen trug, war es für sie selbstverständlicher als für mich, dass sie bald heiraten und meinen Namen wollte, um den ihren los zu werden, nicht mehr wie eine Ausländerin zu heißen, in eine neue Identität also nominell einzutauchen, die sie dem Pass nach wie ihre Eltern auch ohnehin hatte. Habe das damals nicht viel hinterfragt, dachte, wenn es ihr Wunsch ist, warum nicht,  fand es schön und traditionell, sehe es inzwischen aber völlig anders und frage mich eher, ob so etwas je gut gehen kann, wie sehr Identität auch mit einem Namen verbunden ist und was wir mit ihm aufgeben, ob es je gut sein kann, die eigenen Wurzeln zu kappen, es nicht ein besseres Zeichen gegen Rassismus gewesen wäre, ihren Namen anzunehmen, auch wenn das für mich wiederum schwer vorstellbar wäre aus meienr kulturellen Prägung, die damit auch zu hinterfragen ist. Dabei dahingestellt, ob die Ehe je ein gutes Mittel sein kann, einer Partnerschaft Dauer zu verleihen oder eher im Gegenteil und auch egal, vor was wer flieht, der seine Identität gegen eine andere tauschen möchte.

Die neue patrilineare Blutlinie führte auch dazu, dass im 18. Jahrhundert die Juden Familiennamen bekamen, um in den Melderegistern für die Steuerpflicht registriert zu werden, damit alles seine klare Ordnung hat. Spannend daran ist, wie eine sich in Abgrenzung zum Christentum matrilinear reformierende Kultur plötzlich in eine patrilineare Struktur gezwungen wird und damit auch den Prozeß der eigenen Emanzipation beginnt, an der auch so große Köpfe wie der Berliner Moses Mendelssohn entscheidend beteiligt waren.

Für eine Reinheit des Blutes gibt es keinen biologischen Nachweis, für Kontinuitäten der Verwandtschaft sehr wohl. Die an den väterlichen Namen geknüpfte Verwandtschaft realisierte eine männliche Erbfolge, die durch die Gewohnheiten des männlichen Ehenamens noch verstetigt wurde. Diese ist nicht an den konkreten Nachweis der Vaterschaft gebunden - sie wird in der Ehe bis heute grundsätzlich vermutet. Insofern treffen sich Glaube und Natur im deutschen Recht nach der Anscheinsvermutung, die Erben schaffen kann und damit eine vermeintliche Blutlinie auf der Grundlage von bloßen Vermutungen, die so unsolide ist wie die Behauptung reinen Blutes, allerdings vermutlich viel dazu beiträgt, den sozialen Frieden zu wahren.

Fraglich bliebe noch, was die Alternative liebender Väter etwa ist, ob sich jede Vaterschaft heute genetisch bestätigen lassen sollte, was leicht möglich ist, welchen Sinn die inzwischen modischen Gentests zur Untersuchung der erblichen Anteile haben sollen, als eine neue Rassenlehre zu etablieren, die wir gerade erst überwanden. Wissen ist gut, nur sollte die Frage erlaubt sein, wem dient welches Wissen und wer wird damit ausgegrenzt. Wann ist es gut, bestimmte Fragen mit halbem Wissen nicht zu stellen, um genau solchem Rassismus künftig vorzubeugen, da solch genetische Abstammung Prägungen vortäuscht, die nicht zu beweisen sind, solange wir nicht wissen, ob wir als unbeschriebenes Blatt oder wie weit geprägt auf die Welt kommen, ist es immer besser im Sinne der Freiheit zu vermuten, es habe keine Auswirkungen.

So hatte etwa frühere Freundin von mir, von ihrer Mutter einmal einen solchen Gentest geschenkt bekommen, um nach ihren genetischen Wurzeln forschen zu können, die sie für sich gerne im Norden oder im französischen Königshaus sah aufgrund gefühlter Verwandtschaft zu Marie-Antoinette, was mir völlig abstrus schien. Nie käme ich, auch mit Blick auf die deutsche Geschichte, auf die Idee einen solchen Test zu machen, halte dabei Nichtwissen für besser und der Freiheit zuträglicher, auch wenn ich der Überzeugung bin, es ändert eine zufällige genetische Abstammung nichts an der Neukombination der Gene durch die Zeugung mit je halbem Chromosomensatz und dieser menschlichen Freiheit, besonders in Ansehung der Gleichheit aller Menschen, möchte ich keine zufälligen biologischen Grenzen setzen, die Fanatikern eine Sortierung erleichterten, um nicht dem Aberglauben an reines Blut und Abstammung zu viel Raum einzuräumen, aber vielleicht bin ich da auch übervorsichtig und ignoriere bestimmte Faktoren für die es aber auch keinen Nachweis bis dato gibt, die mich nun ob verwirrt rassenbiologisch oder modern mit Genetik sehr an eine unangenehme Auslese erinnern, von der ich mich lieber bewusst abwende.

Freiheit ist auch eine Entscheidung, frei sein zu wollen und sich nicht der Sklaverei der Vorurteile zu unterwerfen. So wenig ich Horoskope oder Handlinien und Tarotkarten noch lese, auch wenn ich es könnte, so wenig muss ich jeder Mode folgen, sondern prüfe bevor ich etwas tue, mein Handeln lieber streng am kategorischen Imperativ und wie sehr es der Aufklärung dient, also aus selbstverschuldeter Unmündigkeit befreit und bin nach freiem Gewissen zu der Überzeugung gelangt, dass diese historische Genetik nichts anderes als eine moderne Rassenlehre ist, die indirekt auch auf das Blut abstellt und mit der ich bewusst nichts zu tun haben möchte, aber Freiheit und Mündigkeit ist eine Entscheidung, die jeder für sich treffen muss.

jens tuengerthal 24.6.20

Dienstag, 23. Juni 2020

Lockdowneu

Wieder wurde ein Lockdown
Nötig aufgrund Corona weil
Der lokale massive Ausbruch
Zeigt es ist noch nicht vorbei
Die Krankheit kann jederzeit
Wieder ausbrechen ist damit
Bis zur Impfung ständige Gefahr
Mit gravierenden Auswirkungen
Ob ein Betrieb Fehler machte
Es klare Schuldige wirklich gibt
Oder die Verhältnisse so waren
Wird die Aufklärung uns zeigen
Die nötige Reaktion könnte nun
Allen Zweiflern zeigen wie nötig
Radikales Durchgreifen war doch
Vermutlich finden diese eine neue
Theorie der Verschwörung für ihren
Wahn dem sie treu bleiben wollen
Hier ist alle Vernunft wohl müßig
Alle anderen aber könnten statt
Wieder einen Schuldigen zu suchen
Darüber nachdenken ob nicht
Langfristiger Erfolg durch eine
Konsequente Entschleunigung
Viel eher noch möglich wäre
Was hieße vieles neu denken
Alles gewohnte infragestellen
Um die Ursache zu beseitigen
Produktion eher dezentral
Weniger Reisen mehr bleiben
Weil die internationalen Kontakte
Solange sie nicht virtuell nur sind
Alles um die Welt verteilen was
Sonst lokal begrenzbar noch ist
Hoffe die Maßnahme hat Erfolg
Zumindest kurzfristig für viele
Langfristig sollten wir lernen
Unser Leben zu ändern damit
Es keine Rückkehr zur vorher
Kranken Normalität mehr gibt
Es wird Zeit brauchen besser
Sie sich jetzt zu nehmen

jens tuengerthal 23.6.20

Sonntag, 21. Juni 2020

Barmusik

Vor der Böse Buben Bar
Spielt heute einer Gitarre
Die Damen bei ihm am Tisch
Singen und summen mit
Die Sonne scheint dazu
Fete de la musique hier
Im kleinen zulässigen Format
Es ist wieder Leben da
Berlin feiert ganz dezent
Wie ein Hauskonzert ohne
Risiko in Zeiten von Corona
Zwischendurch etwas trinken
Oder eine draußen rauchen
Manchmal hält ein Passant
Für einen Moment an
Lauscht und freut sich
Wie schön kann Leben
Im Sommer in Berlin sein

jens tuengerthal 21.6.20

Wiegern

Wie gerne hätte ich dich
Wach geküsst wieder um
Nach einsamer Nacht den
Morgen lieber mit dir auch
Lustvoll ganz wie überall
Glücklich dann gemeinsam
Eindringlich zu teilen dich
Danach beben zu fühlen
So schreib ich es dir nur
Hoffend es möge dich so
Erregen wie allein schon
Der Gedanke an dich mich
Weil es ist wie es ist doch
Manchmal mehr noch wiegt
Was sein könnte als was ist
Hoffe doch zumindest die
Träume voller Sehnsucht
Auch so zu teilen um all
Deine Lippen in Gedanken
Ganz nah zu küssen
Stattdessen schreibe ich
Verse in mein Telefon bloß
Bleibt alle Sehnsucht virtuell
Ist echte Nähe nur ein Traum
Wie alle verlorenen Träume
Von denen nichts blieb als
Erinnerung an Einsamkeit

jens tuengerthal 21.6.20

Liebesunsinn

Zu lieben ist Unsinn
Es verwirrt völlig
Nimmt alle Vernunft
Macht unendlich traurig
Regt unnötig auf
Raubt unendlich Zeit
Zerstört ganze Leben
Sorgt für Unordnung
Lässt verrückt werden
Bringt vom Weg ab
Tut weher als alles
Verursacht Herzrasen
Kostet viel Energie
Beschränkt den Blick
Verursacht Schweißausbrüche
Stört beim Nachdenken
Behindert beim Lesen
Findet kein Ende
Wird schlimmster Schmerz
Weiß ich alles genau
Aus langer Erfahrung
Fast ganz verblödet
Unsinniger wäre nur
Nicht mehr zu lieben
Was bliebe auch
Ohne

jens tuengerthal 21.6.20

Samstag, 20. Juni 2020

Fleischwirtschaft

Über die Zustände in der
Fleischwirtschaft sind alle
Unter Corona sehr empört
Als ob es je anders wäre
Nicht überall Schnäppchen
Das Ziel der Einkäufer sind
Mit erwartbarem Ergebnis
Wir wirtschaften und leben
Überall auf diese Art damit
Es möglichst billig wird als
Wäre preiswert ein Wert
Im Sinne kultivierter Ethik
So kam Corona vermutlich
Aus der Lebensmittelindustrie
Während die Urlaubsindustrie
Das Klima munter zerstört mit
Kreuzfahrten und Fliegern nur
Zum Vergnügen möglichst billig
Damit jeder mal mit kann
Tönnes wirtschaftet wie alle
Das Ergebnis war erwartbar
Wir müssen unser Leben ändern
Wenn wir langfristig wirken wollen
Nur wer sagt all den Leuten
Die sich nun laut empören
Ihr seid auch nicht besser
Wenn ihr in Urlaub fliegt
Egal was gern billig kauft
Weil der Markt es erlaubt
Wir sind alle Teil des Systems
Was logisch die Frage stellt
Was ändern wir im Denken
Dies künftig zu vermeiden
Wo fangen wir selbst damit an
Dekonstruktion einer globalen
Wirtschaft ist relativ irreal
Fraglich was noch möglich
Mit Denken anzufangen ist
Der erste Schritt dabei auch
Konsequent zu bleiben logisch
Der zweite und dazwischen
Findet sich künftige Realität
Luxus heißt Langsamkeit
Weniger oder nichts tun
Das Gleichgewicht zu retten
Kann mehr sein als Geschrei
Wo alle gerade schreien
Fangen wir lieber bei uns an
Jeder hat genug zu tun
Will Tönnies nicht verteidigen
Nur sagen er ist Teil des Systems
Sündenböcke bestrafen ändert
Nie etwas für die Zukunft

jens tuengerthal 20.6.20

Liebesende

Komm tanz mit mir
Bis zum Ende der Liebe
Welcher auch immer
Vielleicht der verlorenen
Einer der vielem um die
Wir immer trauern werden
Weil wir nicht vergessen
Können oder wollen
Wie schön wir träumten
Bis wir wieder tanzen
Voller Lust eine Nacht
Die alles vergessen lässt
Zu den alten Liedern
Betrunken vom Leben
Als gäbe es kein morgen
Komm lass uns tanzen
Bis wir alle Träume
Während wir uns drehen
Vergessen können um
Wieder glücklich zu sein
Für einen Moment ohne
Alle Zeit miteinander
Als wäre alles gut
Lass uns tanzen
Bis zum Ende

jens tuengerthal 20.6.20

Freitag, 19. Juni 2020

Teefein

Tee ist stets feiner
Nimmt die Umgebung mit auf
Dominiert niemals

jens tuengerthal 19.6.20

Blutglaube

Blut spielt eine große Rolle im Glauben - auf der ganzen Welt und seit vielen Jahrtausenden, soweit wir davon wissen. Vom Blutopfer bis zum geheiligten und verwandelten Blut, dem guten und dem bösen Blut - immer wieder taucht es auf und spielt seine eigene Rolle, scheint den Gläubigen viel mehr als der Energie transportierende Lebenssaft, der er biologisch ist. Wir sprechen vom Blutbad, wenn wir ein besonders grausames Gemetzel beschreiben wollen oder heute auch von einer sehr expressiven Theateraufführung sprechen, weil da eben Blut floß. Wer mir blutsverwandt ist, gehört zu meinen Angehörigen, ob ich mit diesen nun mehr oder weniger zu tun habe, sprachlich gehen wir von einer besonderen Nähe aus und so hat sich der Glaube an das irgendwie besondere im Blut, bis in die Gegenwart gehalten, in der wir längst Blut auch chemisch reinigen, spenden und genau auf seine Bestandteile untersuchen, es in Gruppen mit Eigenschaften unterteilen können, auch wenn wir aus guten Gründen nicht mehr von Rassen sprechen, die sich darin auch nicht unterscheiden. Wenn eine Liebe tragisch scheitert, kostet es uns viel Herzblut, sagen wir, auch wenn wir äußerlich unverwundet bleiben, können wir am gebrochenen Herz sterben, womit die Blutpumpe auch im Mittelpunkt unseres emotionalen Vokabulars steht. Die Lektüre in dem hervorragenden Band Blutsbande von Christina von Braun wecken manche Gedanken und regen zum weiterdenken an, was dies Blut ausmacht, wo der Glaube anfängt, wohin er uns verführt und was davon noch unserer Natur entspricht, nach der wir uns Gutes tun wollen.

Die Christen wie auch andere Religionen unterscheiden gutes und böses Blut. Das eine dient dem Glauben, das andere ist Zeichen niedriger Körperlichkeit, die der geistige Glaube gern überwinden möchte. 

Gut ist jenes der Märtyrer, das im Kampf um den Glauben fließt, als Folge der Selbstgeißelung oder unverdienter Strafen, sowie das Blut Jesu, das im Abendmahl mit mehr oder weniger symbolisch, je nach Ausrichtung der Konfession, verwandelten Rotwein gereicht wird. Ob dieser eigentlich kannibalische Akt, den Religionsstifter zu sich zu nehmen, der, zur Erinnerung an sein Leiden, in jeder Kirche am Kreuz hängt, noch vernünftig verstanden werden kann, als Zeichen besonderer Gemeinschaft, das verbindet, mag dahinstehen - wie er in Zeiten von Corona wieder realisiert werden soll, ist genauso unklar. Hier jedenfalls wird die christliche Religion, die nicht mehr schächtet wie Juden und Muslime und deren Tierschützer diesen das religiöse Schlachten am liebsten verbieten würde, wie die Kinderschützer das Vorhautbeschneiden stoppen wollen, selbst ganz blutig und hält das auch für gut und moralisch hochwertig, weil es sie ihrem Gott näher bringt, dessen Lebenssaft sie ja durch den des Sohnes zu sich nehmen, der ohnehin nach christlicher Überzeugung Teil heiliger Dreieinigkeit ist, die das Blut gut und wertvoll macht, in das der durch Weihe gesegnete Rotwein sich verwandelte.

Den Juden oder Muslimen liegt dieser Bluttrank eher fern, aber auch sie unterscheiden gutes und böses Blut. Während das Regelblut den Juden als rein gilt, auch wenn sich der Sex in dieser Zeit zumindest nach orthodoxer Überzeugung verbietet, sondern viele Muslime ihre Frauen in dieser Phase als unrein aus, wie es auch Hindus tun. Auch die Christen haben eher ein Problem mit dem Regelblut, insofern es auf Körperlichkeit und Sexualität, also natürliche Fortpflanzung und also Sünde verweist und haben die Frauen entsprechend behandelt, sich unrein fühlen lassen, was in vielen so geprägten Kulturen bis in die Gegenwart fortdauert. 

Es ist wieder die alte Geschichte von der Erbsünde und der Vertreibung aus dem Paradies, die sich die Juden als revolutionären Akt der Propaganda in früher Exilliteratur Babyloniens                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    erdachten, der die Fortpflanzung und die mit ihr verbundene Lust als unrein verstehen lässt,  die Geburt so schmerzhaft macht, auch wenn es der Natur nach schmerzhaft sein muss, wenn ein Kopf sich durch den Scheideneingang pressen will, weil dieser um ein vielfaches größer ist als etwa das Glied, was dort relativ schmerzfrei meist hineingleiten kann, sofern die vorige Erregung genügte, warum das zumindest geistige Vorspiel von so großer Bedeutung ist, gut  ineinander zu finden. Sie taucht immer wieder an den unpassendsten Stellen auf und so natürlich auch bei allem was mit der Zeugung verbunden ist, weil diese am Anfang steht, wenn wir nicht irgendwelche Geschichten von Lehmklumpen oder Rippen glauben schenken wollen, wogegen alle Natur seit ihrem Bestehen erfolgreich zeugt und damit verschiedene halbe Chromosomensätze sich zu einem neuen vereinen lässt.

Böse ist alles, was auf die natürliche Körperlichkeit verweist und nicht durch einen spirituellen Akt geheiligt wurde, sei es als Märtyrer, die nach vorgeschriebenen Regeln erst so genannt werden dürfen oder durch die Weihe des Weins im Abendmahl, was den gleichen Stoff plötzlich gut macht, weil die christliche Religion mit ihrem Traum von geistiger Erlösung im himmlischen Paradies den irdisch unreinen und sterblichen Körper für die geaberglaubte Unsterblichkeit der dazu erfundenen Seele gerne überwinden möchte. Was früher noch stärker ausgeprägt war, wurde mit der Zeit den natürlichen Bedürfnissen der Praxis einer sich durch Aufklärung und Vernunft emanzipierenden Gesellschaft angepasst und längst dürfen sich auch Christen mit Freude fortpflanzen, statt das höchste Ideal nur in der Entsagung zu sehen.

Wichtig an diesem Ideal von Reinheit und Entsagung aber war, es hinderte viele Witwen an der Wiederheirat und bescherte der Kirche so manches Erbe, wodurch sie etwa im Mittelalter bereits ein Drittel aller französischen Länder durch Erbe an sich gebracht hatte und neben der mit ihr verbündeten königlichen Familie zum mächtigsten Grundbesitzer wurde, der sich jedoch nach Regeln, die erst mit dem Trientiner Konzil um 1200 verbindlich wurden, nicht selbst fortpflanzen durfte, sondern seine wohldotierten Pöstchen im Bündnis mit dem Adel verteilte, mit dem er lange um die Vormacht dabei kämpfte - etwa im sogenannten Investiturstreit, wo es darum ging ob auch Laien für Kirchenämter eingesetzt werden dürfen, die sogenannte Laieninvestitur oder die Kirche dort ein Monopol hatte.

So spielte das Blut beim Besitz keine Rolle sondern der Glaube, wie überhaupt der Glaube an die Vaterschaft, denn Wissen hatte ja keiner davon, wichtiger für die patriarchalen Linien war als die tatsächliche und nachweisbare mütterliche Verbindung, was die Kirche auch in zuvor matriarchal geprägten Regionen zur Not mit dem Schwert durchzusetzen wusste, womit wir wieder beim Blut wären, dass für die gute Sache des Glaubens auch fließen durfte.

Die Rituale der Hinrichtung nach dem Koran, wie sie auch der IS eine zeitlang sehr erfolgreich zumindest in der Medienwirksamkeit praktizierte, sind auch blutig, wie der Heilige Krieg ruhig blutig sein durfte, da den dort geopferten größtes Heil bevorstand, wenn sie für ihren Propheten in den Tod gingen, den realen Wert von Jungfrauen einmaldahingestellt.

Dass alle Menschen nur ein Leben haben, nicht wiederkehren, es keinen Nachweis für Seelenwanderung gibt, noch diese Erfindung überhaupt naturwissenschaftlich überprüfbar existieren würde, ist ein für Gläubige immer noch unfassbarer Teil der Natur, weil sie meinen durch ihren Aberglauben auch die Grausamkeit des Todes etwa ihres Messias überwunden zu haben. Auch wenn sich die großen Kirchen mit viel Realitätssinn und Interesse an ihrem Fortbestand mittlerweile mit den Naturwissenschaften ausgesöhnt haben und nur noch kleine Gruppen orthodoxer Fanatiker die Bibel wörtlich nehmen, ist der Fortbestand des seelischen Lebens für sie eine conditio sine qua non, also eine Bedingung ohne welche nicht. Dabei ist diese Grundlage der Einmaligkeit längst normaler Teil unseres Alltages, an den nur als Verzierung der Aberglaube der Fortexistenz angehängt wird, auch und gerade um den grausamen Tod des Stifters zu rechtfertigen, der ja ein Teil des geglaubten Gottes einerseits ist, andererseits aber auch ein Mensch war, also sterblich und blutend.

Generationen von Rittern zogen im Mittelalter und mehr noch in den spätmittelalterlichen Romanen von König Artus und seinem Gefolge durch die Welt, um den heiligen Gral zu retten, mit dem das Blut Jesu aufgefangen wurde, der dadurch ewiges Leben oder doch zumindest alles nur erdenkliche irdische Glück, am Ende jedenfalls seelische Erlösung dem Finder liefern sollte. So bewegt der Glaube Menschen zu vielem, auch zu grausam blutigen Kreuzzügen, die manchmal auch nur der Schwächung der östlich orthodoxen Konkurrenz galten aber zumindest war, wer dort sein Blut vergoß und sein Leben verlor ein Guter und wie er auch für die Eroberung der heiligen Stätten für die Christenheit blutig mordete, welchen Antisemitismus er auch entzündete, stand dies nicht seiner Heiligsprechung im Wege.

Wie wenig die inzwischen der Realität angepasste Form des Glaubens noch zu dem passt, was in den alten geistigen Idealen der frühen Sekte verkündet wurde, ist eine andere Frage. Spannend ist aber für die Unterscheidung von gut und böse auch in der Blutlinie, wie das Christentum mit aller Macht die patriarchale Erblinie durchsetzte, die nur auf Glaube beruht, während sich das rabbinische Judentum in der Diaspora in eine matriarchale Ordnung verwandelt wurde, die den Frauen aber auch strenge Grenzen setzte. Während die keusche, heilige Jungfrau Maria angebetet wurde, die ihr uneheliches Balg als von Gott empfangen verkaufen durfte, galt weibliche Sexualität als unrein und wurde ein großer Kult um die weibliche Jungfräulichkeit entwickelt, wie er in südlichen Regionen und unter dem Einfluss des Koran immer noch teilweise üblich ist, um so die Sicherheit des Erben als Sohn des Vaters zu sichern.

Insofern die patriarchale Linie nur auf dem Glauben an die Vaterschaft fußt, musste sie in der Realität diesen durch die erzwungene Keuschheit der Frauen sichern. Ein relativ schlichtes System, das die Konstanz der Blutlinie garantieren sollten und das Frauen bis heute weltweit noch mitspielen und dafür ihre natürliche Sexualität dem schlichten Bedürfnis nach Zeugung unterordneten. An diesem Punkt wird auch verständlich warum der für Frauen sexuell natürlich bessere Analverkehr, der dem Verlauf des nervus pudendus eher entsprach, ohne die Lust gleich mit der Gefahr der Zeugung zu verbinden, so erfolgreich tabuisiert wurde. Hier haben sich Generationen von Paaren und viele Frauen bis in die Gegenwart ihrer Freude an der Lust beraubt und fanden dies seltsame Verhalten völlig natürlich wie keusch, obwohl es in völligem Widerspruch zu ihrer Natur und dem eben Verlauf der Nerven steht. Aber dies hätte Frauen in ihrer Sexualität auch unabhängig von der Regelblutung gemacht und damit den Glauben eines wichtigen Faktors der Macht beraubt. So durfte nicht sein, was Natur wollte, die weibliche Lust wurde ein ewiges Tabu und ist es in vielem bis heute.

Sofern wir Tacitus und seinem Bericht über die Germanen Glauben schenken, wogegen in manchen sicher die agitatorischen Zwecke des Buches sprechen, aber doch zumindest in den Grundfragen von einer realen Beschreibung ausgehen, war das Blut und Bodenrecht der Germanen noch ein völlig anderes als es die sich auf diese Kultur mit rassistischen Phantasien berufenden Nazis meinten. Danach hatten die Frauen das Hausrecht und trugen die Schlüssel während die Männer, der Gerechtigkeit wegen, im Erntezyklus alle paar Jahre den Hof wechseln mussten. Sicher als Blutlinie war damit nur die mütterliche, die das Erbe weitergeben musste, von wem welche überlebenden Erben dann waren, spielte wohl eine geringere Rolle als die Mutterschaft und der Ort der Geburt. Damit konnte nur in mütterlicher Linie logisch geerbt werden, war die Verfügungsmacht über Grund und Boden an das Geschlecht gebunden, nur waren Männer dabei nichts als mobile Dienstleister der besitzenden Frauen.

Wie sich diese möglichen Strukturen auf das Verhältnis der Geschlechter auswirkten, wissen wir nicht, zumindest scheint es auch andere Konstruktionen gegeben zu haben als die ursprünglich patriarchale, möglicherweise waren ihrer Natur entsprechend Jäger und Sammler Kulturen viel stärker von Frauen geprägt, als wir es uns in klassischen Mustern denkend und Funde betrachtend vorstellen können. 

Wie war eine Gesellschaft sozial organisiert, in der Frauen das Schlüssel- und Erbrecht hatte, während Männer die Waffen führten oder spiegelt sich in dem Bild des Tacitus nur der Blickwinkel des römischen Chauvis, der seine Gewohnheit umdreht, um die Römer zu erziehen, es nicht anders als durch seine Augen sehen konnte.

Sehen wir uns dagegen heutige Gender Diskussionen an, die immer mehr betonen, dass Geschlecht auch eine Entscheidung sei, fragt sich, ob dies eine natürliche Entwicklung in Folge fortschreitender Emanzipation an, die eben unserer Zeit entsprechen, in der wir das Geschlecht mithilfe von Hormonen und Operationen auch wandeln können, es also etwas künstliches hat oder doch eine Rückkehr zur natürlichen Egalität ist, in der jeder seinen Begabungen entsprechend wirkt und nicht seinem Geschlecht folgend, was formal zwar längst gesetzlich realisiert wurde, de facto aber durch rosa und himmelblaue Traumwelten der Geschlechter mit jeder Generation wieder unterlaufen wird, bei der es nur einige Ausreißer gibt, welche gerne Grenzen überschreiten, um jenseits ihrer Natur, andere Teile ihres Wesens zu realisieren. 

Unklar ist dabei nur, ob es ein natürliche Verhalten geben kann und dieses ohne die Prägung durch Gesellschaft sich entwickeln würde, was dem Menschen gut tut und ob nicht mehr ohne eine klare Prägung sich verloren fühlten, als die wenigen Ausnahmen, die es in Offenheit leichter haben. Es ist ein Prozess der Emanzipation mit noch unklarem Ausgang, bei dem das Pendel auch wieder in die Gegenrichtung ausschlagen kann, wenn eine Studie das gerade verkündet.

Klar ist jedenfalls, dass sich durch die Relativierung der Geschlechterrollen auch die Rolle des Blutes verändert und es neue Definitionen von Verwandtschaft braucht oder wir schlicht alte reanimieren müssen. So hatten die Römer eine weit über die Blutsverwandtschaft hinausreichende soziale Verwandtschaft in der Adoptivkinder eine wichtige Rolle spielten, die jener der Blutsverwandten der eigenen Familie überlegen war. Diese wurden damit Teile eines Geschlechts, etwa der Julianer. So konnten Erben mehr nach Eignung als nach biologischem Zufall bestimmt werden. Allerdings spielen damit die Frauen als Blutzeuginnen des Nachwuchs sozial keine wichtige Rolle mehr, es wuchs eine patriarchale Kultur heran, wie auch in Griechenland, welche die Gründung der Kirche prägte oder der sich die Kirche anpasste.

Bei diesem Prozess der Anpassung aber spielte das Blut plötzlich wieder eine große Rolle und die Durchsetzung der patriarchalen Erblinie erforderte notwendig weibliche Treue, um den Glauben an die Vaterschaft zu sichern. Die reale Unsicherheit wurde durch vermeintliche männliche Allmacht und Herrschaft, die mit dem Schwert über die Schöße der Frauen wachte, kompensiert. Auch wenn diese sachlich keinen nachweisbaren Wert hatte, war der Glaube oder die Macht hinter ihm, scheinbar lange stark genug, ihn tausende Jahre dominant werden zu lassen und eine nur geglaubte Blutlinie zu kultivieren.

Mit Abstand betrachtet und jenseits der Sagen um rostende Keuschheitsgürtel, hat dies den Frauen aber trotz aller christlichen Unterdrückung und Entrechtung eine enorme Macht gegeben bei der Entscheidung über den Erben und damit die folgende Generation. Nach Aufweichung der alten Grenzen der Blutlinien sortiert sich nun alles neu. Sind Hausmänner nun die in germanischer Tradition mächtigeren Teile der Gemeinschaft oder bleibt die Doppelbelastung der Frauen, wie sie auch in der DDR realer existierend war als der Sozialismus je, natürlich, weil für viele die Verbindung nach der gefühlten Natur schon enger ist. In ihnen wuchs dies Wesen heran, zu dem Mann nur in einem Akt der Wollust sein Sperma absonderte. Andererseits gibt es Männer, die sich in der Rolle des Hausmannes viel wohler fühlen als in jeder anderen, während es Frauen gibt, denen der berufliche Erfolg näher liegt als die Pflege der Brut, habe ich als junger Vater mich mehr um meine Tochter gekümmert alses die Mutter konnte, weil es mir lag, ohne dabei eine Begabung zum weiblichen behaupten zu wollen. 

So könnten die Genderdiskussionen, um Feminismus und Rollenverständnis eine neue Freiheit entwickeln, in der wir jenseits gewohnter Muster lernen können, zu unserer Natur zu finden. Fraglich nur, ob wir diese Elemente dann noch weiblich oder männlich wie nach Yin und Yang nennen müssen oder diese Grenze im Wesen überwinden sollten, um zu unserer Natur wieder zu finden. Was unsere Natur ist, ob uns also das Geschlecht schon im Blut liegt oder anerzogen ist, werden wir erst wissen können, wenn wir ohne Prägung aufwachsen können, was relativ unvernünftig und künstlich wiederum scheint, weil wir auch in unserem sozialen Kontext funktionieren müssen und die menschliche Entwicklung eben eine fortschreitende im Sinne der Aufklärung ist, warum niemand zurück zur Natur muss, von der wir nicht wissen, wie sie ist oder war, sondern nur in Mutmaßungen erkunden können.

Die Genderdiskussion weitet dabei den Horizont und ermöglicht es uns jenseits von Mustern zu denken. Sie ist damit ein Stück Zivilisation und Fortschritt und auch wenn Gegner wie Befürworter nun gerne die Natur für sich in Anspruch nehmen, im Blut hat das keiner liegen und es wäre so unnatürlich, eine Welt ohne Disposition zu simulieren, wie es falsch wäre, nicht den Versuch zu wagen, sich eine Gesellschaft zu denken, die ohne Prädisposition des Genus auskommt und was daraus würde, dahingestellt ob dies schon Menschenversuche sind, was den Befürwortern des status quo aber genauso nachgesagt werden könnte, auch wenn deren Versuch der Gewohnheit der Mehrheit entsprechen.

Ob uns all dies uns im Blut schon liegt, bleibt eine Glaubensfrage, wie die nach der Bedeutung des Blutes, mit all der aus ihr logisch resultierenden Unfreiheit. Ob sich in den virtuellen Paarungsgewohnheiten der Großstädter wie der Landevölkerung der Gegenwart eine gänzlich neue Entwicklung offenbart, in der Frauen zwar nach altem Muster stets und gerne betonen, keine One Night Stands zu wollen, um sich als anständig und beständig zu präsentieren, was sie sich von Männern zur Sicherheit gern wünschen, sofern sie technisch erfahren genug sind, de facto aber viel wählerischer als die meisten Männer sind und sich äußerst ungern überhaupt binden wollen, weil sie es nicht müssen, spannend wird, was aus einer so geprägten Gesellschaft werden kann, in der Frauen in Kenntnis ihrer höheren Potenz und sexuellen Natur entsprechend der Forschungen über den nervus pudendus und der Studien zu ihrem Wesen nach neuesten Gendertheorien, immer stärker die Führung übernehmen, weil des zufriedenen und erschöpften Männern langsam natürlich jeglicher Ehrgeiz dazu abhanden kommt, weil sie sich nicht mehr beweisen müssen, um geliebt oder begehrt zu werden und Frau sich nimmt, was ihr gefällt.

Was mich zum Thema Herzblut bringt, bei dem es weniger um den tatsächlich gepumpten Saft zur Sauerstoffanreicherung der Zellen geht, als, das, was wir mit echtem Gefühl verfolgen - wohin es die große Liebe zieht, ob es diese wirklich gibt oder das ganze Gerede von Liebe nur ein austauschbarer Terminus im konditionierten Paarungsverhalten ist?

Betrachte ich nur die Natur, neige ich dazu, sie für dominant und auch den Bindungswillen in der Liebe als Teil unseres Paarungsverhaltens zu sehen, der nur der optimale Aufzucht dient. Andererseits, weiß ich aus leidvoller Erfahrung auch, wie sehr die Liebe dich auch an deine Grenzen führt, dir jeglichen Lebenswillen dauerhaft rauben kann und nach dem Herzbruch und damit massivem Herzblutverlust nur noch funktioniert und überlebt wird ohne echte Leidenschaft, weil der Schmerz immer wieder größer wird, dahingestellt, ob so starke Gefühle von Liebe nun ihrerseits schon wieder als pathologisch zu bewerten sind, weil Liebe nach der Natur eben austauschbar ist und der Wechsel der Partner auch gut und gesund für die Gattung ist - dies mag nach der Natur so vernünftig erscheinen und leuchtet auch mir ein, dennoch weiß ich, wieviel stärker das Gefühl des gebrochenen Herzens über Jahre hinweg sein kann, wie es einen leer bluten lässt, im nur noch funktional ohne Überzeugung erledigten Leben, ohne zu wissen, ob dies das Ende war, als was es immer wieder in dunklen Momenten erscheinen kann oder doch nur ein Schatten von all dem Schönen, was folgende wechselnde Lieben immer wieder erfahren lassen, die der Sonnenschein der Zukunft sind, genügen doch die Gedanken daran schon ein blutendes Herz unruhig zu machen, denke ich und bin froh über gerade zumindest theoretischen Abstand zum Thema und fortbestehende Begeisterungsfähigkeit, die immer noch auf das Große hofft, was oder wer immer es dabei noch sein soll.

Das Herzblut ist jedenfalls ein komplexes Thema, auf das ich noch keine vernünftige und abschließende Antwort geben kann, es vermutlich nicht mal will, weil die Fähigkeit sich bedingungslos zu verlieben und vollkommen glücklich mit irgendwem zu sein, schon einen gewissen Grad an Schwachsinn voraussetzt, der sich jeder logischen Betrachtung dauerhaft entzieht und da ich diesen Ausnahmezustand ungern um der Vernunft willen dauerhaft ausschließen möchte, nehme ich die Unfähigkeit hier dauerhaft gültige Antworten zu finden, für das vielleicht Glück einer zeitweisen Illusion zumindest billigend in kauf. Im Wissen aus Erfahrung wie mörderisch die Liebe sich auf die psychische Stabilität und Gesundheit auswirken kann, würde der BGH vermutlich, wäre ich ein Autofahrer, einen mörderischen Vorsatz gegenüber sich selbst erkennen können, da ich aber auch dies für zweifelhaft halte, bleibe ich dabei in bezug auf das Herzblut zu sagen, die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wann ich näher bei meiner Natur bin, wenn ich sie wie Kant vernünftig kritisch betrachte oder sobald ich mit vollem Gefühl brenne und mich am besten dabei gleich mit verbrenne, weiß ich nicht zu sagen, zumindest lassen letzte verbliebene Reste von Vernunft mich beides jenseits der wachsenden Summe betrachten und als Teil meines Wesens sehen - so sehr ich mich auch wehre, beides scheint ein Teil von mir - das ruhige kühle Blut der Vernunft wie das leidenschaftlich pulsierende, das dem verachteten Werther eher ähnelt und ich muss sehen, wie ich die Waage zwischen den beiden in meinem gelegentlich schwankenden Wesen halte und es nebenbei noch irgendwie überlebe.

Ist am Ende die große Freiheit, mit allen Teilen seines selbst leben zu können, weil Blut kühl und heiß sein kann und beides mich ausmacht, nicht als ewiges Schwanken zwischen den Extremen aber als einer, der von Pol zu Pol im Leben wanderte, um den Planet des eigenen Blutes gehörig zu vermessen. Kann mir kaum vorstellen, was nach dieser Summe vieler Extreme, wunderbarster Frauen, größter Erfüllung und manchmal, wenn auch zugegegeben selten, klarster Gedanken, noch kommen, lasse ich mich noch ein wenig überraschen - enden kann es von allein, bis dahin bleibt noch Zeit, sich ein wenig zu amüsieren, in die eine oder andere Richtung.

jens tuengerthal 18.6.20

Donnerstag, 18. Juni 2020

Raserkultur

Der BGH hat entschieden
Raser können Mörder sein
Was im deutschen Autoland
Einem Skandal gleich kommt
Finden viele plötzlich gerecht
Ohne zu bedenken was es heißt
Wenn das oberste Gericht nun
Bevor die Politik dabei handelte
Des Volkes liebstes Spielzeug
Zur gefährlichen Waffe erklärt
Den idiotischen Leichtsinn zum
Vorsatz für Mord genügen lässt
Ein Raser bei tödlichem Ausgang
Lebenslänglich zu bestrafen ist
Während der bloße Teilnehmer
Am Rennen keinen Vorsatz habe
Was nach dem Ergebnis urteilt
Den mutmaßlichen Vorsatz so
Zum Ergebnis von Zufall macht
Aber eine Rechtsprechung fortsetzt
Die mit der Beweislastumkehr begann
Das verwerfliche des Mordes damit
Im Leichtsinn verschwimmen lässt
Was die Frage stellt warum es noch
Totschläger sonst geben sollte
Zwar das Leben besser schützt
Aber viele Fragen damit aufwirft
Ein lebenslanger Entzug des
Führerscheins wäre angemessen
Auch eine lange Haftstrafe noch
Aber wie unterscheide ich dann
Den brutalen Massenmörder vom
Leichtsinnigen Raser im Unwert
Kann diese Beurteilung nach den
Strengen Kriterien für den Mord
Vorm Bundesverfassungsgericht
Wirklich Bestand haben oder
Machen Richter hier Politik was
Nie ihre Aufgabe sein sollte im
Rechtsstaat mit Gewaltenteilung
Leichtsinn und Dummheit gehören
Bestraft in angemessener Weise
Zur gefährlichen Waffe aber
Kann das Auto nur machen wer
Vom Gesetzgeber vorgewarnt
So gesehen verstößt die zwar
Konsequente Rechtsprechung
Des BGH gegen nulla poena
Mehr Zurückhaltung täte gut
Wenn dies politisch gewollt ist
Muss es vorher im Gesetz stehen
Moralische Urteile verbieten sich
Auch wenn die Täter vermutlich
Leichtsinnige Idioten waren

jens tuengerthal 18.6.20

Bibliotheksheimat

Bibliotheken geben mir ein Gefühl
Von Heimat als Ort schöner Bücher
Fühle ich mich dort gleich zuhause
Vielleicht weil ich so aufwuchs
Zwischen Bücherregalen die alles
Wissen der Welt für mich enthielten
War etwas unklar befragten wir stets
Den Brockhaus als Ratgeber in allein
Fragen des Lebens und daneben stand
Für mich als Kind eine riesige Menge
An Büchern die ich alle lesen wollte
Inzwischen sind es noch viel mehr
Gelesen hab ich sie nicht alle
Wichtiger ist dass sie da sind
Leben wie in einer Bibliothek
Wo der Geist der Bücher inspiriert
Auch wenn ich nur in einigen lese
Oder einem anderen der Stapel nehm
Die um meinen Diwan überall stehen
Um die Gedanken schweifen zu lassen
Genügt es ungefähr zu wissen wo
Steht was mich gerade interessiert
So greife ich nach Laune stets zu
Auf die Bücher die mir gefallen
Wechsel nach Stimmung wieder
Um neue Gedankenwelten zu erobern
Früher war es mir wichtig Bücher auch
Zu Ende zu lesen heute dagegen
Dauert das manchmal Monate lang
Wenn ich überhaupt eine Ende finde
Weil es nicht darum geht zu erledigen
Sondern sich anregen zu lassen
Gefällt mir eines besonders gut
Lasse ich mir gerne viel Zeit
Wissend ich habe noch etwas
Schönes in Zukunft vor mir
Was die Bibliothek zur Heimat macht
Wer eine solche sein eigen nennt
Hat die Welt in seinem Haus
Muss nirgendwo mehr hin
Ist glücklich mit Zeit zu lesen
Würde nicht manchmal noch
Die Illusion von Liebe mich
Im Paradies ablenken könnte ich
Vollkommen zufrieden dort sein
Wäre ich klug wüsste ich längst
So glücklich wie Lesen macht keine
Fraglich ob es mehr Lektüre braucht
Oder Ablenkung zur Bestätigung
Dass die Welt zwischen Buchdeckeln
Das schönste Paradies mir birgt
Manchmal weiß ich es schon
Vergesse alle Sehnsucht um
Dort glücklich zu leben bis
Alle Natur ein Ende findet
Wo sie den Büchern gleicht
Bis dahin lese ich weiter
Aus irgendeiner Bibliothek

jens tuengerthal 17.6.20

Mittwoch, 17. Juni 2020

Corona-App

Nun haben wir sie
Die Corona-App
Soll uns warnen
Vor riskanten Kontakten
Macht die Infektion damit
Leichter verfolgbar was
Nachhaltig helfen kann
Verbreitung zu vermeiden
Sie wurde mit offener Software
Gebaut und gilt als sicher
Die Daten werden kontrolliert
Wenn ich dagegen bedenke
Wer meine Daten sonst nutzt
Etwa in sozialen Netzwerken
Ist was hier geschieht harmlos
Habe sie und lass sie laufen
Vertraue der Gemeinschaft
Deren Teil ich auch bin
Ohne bisher riskante Kontakte
Leiste ich was ich kann damit
Künftige Ausbrüche zu verfolgen
Sehe keinen Grund zur Angst
Auch wenn ich nicht weiß was
Sie wirklich bringt sollte sie
So normal sein wie es heute
Der Mundschutz schon wurde
Freiwilligkeit ist dabei gut weil
Es den Gegnern Argumente nimmt
Verpflichtet sollte sich jeder fühlen
Der Verantwortungsgefühl hat für
Die Gemeinschaft in der er lebt
Hier zeigt sich wer sozial ist
Was gesagt werden sollte weil
Zusammenleben auch Pflichten bringt
Gemeinsam helfen tut gut
Asozial ist wer Leben gefährdet

jens tuengerthal 17.6.20

Dienstag, 16. Juni 2020

Heimatlitertouren

Über Schöne Literatur mit Martin Mosebach in dessen gleichnamiger Sammlung von Essays nachgedacht, was, wie bei diesem Autor nicht anders zu erwarten, schon sprachlich wunderschön war, ist auch geistig immer wieder anregend, sich daran zu reiben, auf höchstem Niveau geschrieben, lässt der bekennende konservative Bürger, der schon so gut über seine Heimat Frankfurt schrieb, den Geist in dieser Sammlung durch die Sprache schweifen.

Zunächst über Schriftstellers Deutsch, was eine real kaum existente Sprache ist, da die gesprochene sich doch sehr von der geschriebenen unterscheidet, jede Region ihre eigenen Dialekte hat, die Anfang oder Ende der Wörter schleift, Grammatik gerne auch umstellt, mit dem vielfach missbrauchten Dativ, den Genitiv ersetzt und andere in der Hochsprache seltsam klingende Wendungen im Alltag gebraucht. Dabei hat lokale Sprache auch etwas von Heimat und immer wieder gibt und gab es auch Versuche die Mundarten zu Dichtung und Literatur werden zu lassen, tauchen sie auch in der großen Literatur, wie etwa den Buddenbrooks gesprochen als deutliche Unterschiede, wie als Ausdruck des Wesens immer wieder auf, die unsere unterschiedlichen Regionen besser beschreiben oft als die genaueste Skizzierung der Landschaft, weil sie auch den Klang, die Musik von Bergen, Meer oder hügeliger Mitte mit sich bringt.

Als in Bremen geborener, der in Frankfurt aufwuchs, wie Mosebach, der dort aber blieb, in Heidelberg Abitur machte und studierte, um schließlich 2000 in Berlin zu landen und weniger aus Leidenschaft zunächst als den Umständen geschuldet, auch wenn diese von Leidenschaft ausgelöst worden waren, blieb ich bis heute dort und habe mir diese vielen Dörfer inzwischen erlaufen, in denen auch teilweise noch ein sehr derber Dialekt gesprochen wird, ohne sie Heimat nennen zu wollen.

Was ist überhaupt die Heimat des Dichters?

Mit dieser Frage über das äußere und innere Exil von Nabokov über Thomas Mann bis zu Goethe in Rom, denkt Mosebach gewohnt klug über die Heimat in der Sprache nach. Kann der Dichter, wie etwa Thomas Mann im Doktor Faustus, den er in Kalifornien schrieb, erst im Exil zu höchster Form finden, wie auch Goethe die Verse für die in Prosa längst vollendete Iphigenie erst in Rom wieder dichten konnte. Dass Goethe dann für den zweiten Teil des Faust das innere Exil wählte, ihn in seinem Schreibtisch einschloss und zu Lebzeiten nicht mehr veröffentlichte, weil er keinem mehr zutraute, diese Höhen mit zu besteigen, ist ein wunderbares Beispiel für die Verlorenheit mancher Dichter auch vor Ort.

Würde Mosebach hier schon widersprechen, weil Mann im Zauberberg zu höchster Form fand und alles danach eher Versuche in der Kunst sind aber das ist ein weites Feld und wohl eine Frage des Geschmacks, wie einige, wie Mann auch selbst, meinen, er hätte im Josephs-Roman die höchste Form erreicht, was zwar insofern stimmt als er hoch künstlerisch und konsequent hier die Sprache der Bibel imitiert und variiert aber dafür, was ihn groß machte, die ironische Distanz mit der er spielerisch betrachtete, verloren gibt. Darüber kann sich trefflich gestritten werden, doch fehlt mir der Zugang zu dieser Sprachwelt ein wenig, finde ich das prophetische darin häufig eher bemüht als gelungen. Mann imitiert großartig und schafft damit einen großen Roman in biblischer Sprache, was künstlerisch sicher ein Meisterstück ist, auf das er zu recht stolz war, was aber literarisch wenig lohnend mir erscheint, weil sich die Mann groß machende Sprache des norddeutschen Bürgers hier hinter der, die wir aus der Übersetzung Luthers kennen, der an das, was er übersetzte auch noch glaubte, versteckt, was beiden weniger gut steht als der eigene Ausdruck.

War Mann dann am besten, wenn er über Menschen aus seiner Heimat schrieb, auch wenn es diese in die ihnen eigentlich fremden Berge verschlug?

Die Buddenbrooks und der Zauberberg sprechen deutlich dafür. Doch ist die Frage auch jenseits von Mann sehr spannend, wie Mosebach am Beispiel Nabokovs erläutert, dessen frühe Berliner Romane, noch in russisch geschrieben, eine ganz andere Welt noch im Mittelpunkt hatten als die späteren, unterscheiden sich die amerikanischen noch weit mehr von den frühen russischen Werken. 

Hatte da einer seine Heimat auch innerlich verloren und wer war er noch hinter den Figuren, die sich von einer Lolita oder Ada verführen ließen?

Kam Nabokov vielleicht wirklich in der neuen Welt an, in der Sex immer ein Thema ist, auch wenn tabuisiert oder vielleicht gerade darum, die sich um andere Wesen dreht als die russische Welt und steht die Berliner Zeit irgendwo dazwischen - halb schon Osten mit großer russischer Gemeinschaft dort, selbst schon weit im Osten gelegen, umgeben vom weiten Nichts der Mark, die vielfach an die große russische Ebene erinnert?

Frage mich manchmal, wo meine Heimat eigentlich am ehesten ist. Warum ich mich Norddeutschland im allgemeinen und Bremen inniger verbunden fühlte, obwohl ich nur ein Jahr dort lebte, als allen anderen Regionen des Landes, so schön sie sein mögen, so gut der Wein von dort auch ist, dennoch nicht dort leben aber sehr gerne darüber schreiben möchte - vielleicht auch nur darüber schreiben kann, weil ich nicht dort bin und es nur von Ferne betrachten in Berlin Prenzlauer Berg, diesem nirgendwo voll Zugezogener, die noch von der alten Heimat erzählen, die ich nie hatte.

Habe ein Elternhaus und hatte die Häuser der Großeltern, die mit Festen und Erinnerungen verbunden sind, mit Ritualen, die mich prägten und zu dem werden ließen, was ich bin, fest in der bürgerlichen Kultur verankert, fern dem Arbeitermillieu und das Landleben auch eher belächelnd, zwischen Büchern aufgewachsen, von ihnen geprägt, in ihnen, wie etwa den Buddenbrooks, dem Zauberberg, den Essays von Montaigne aber auch in denen Mosebachs, wie ich gerade wieder merkte, am ehesten Zuhause. So ist Heimat für mich gedruckt, sind Bücher mein Leben, egal wo die kleine Bibliothek nun zufällig stände, auch wenn ich bisher keine Neigung mehr verspüre unnötig den Ort zu wechseln, da ich genug im Leben umgezogen bin, lieber in meiner Heimat bleibe, um die Geschichten zu finden, die es zu erzählen gilt.

Wohne nun zwanzig Jahre in Berlin, der Ort, an dem ich am längsten lebe, in dem meine Tochter erwachsen wurde, ich großen Lieben und manch wunderbaren Frauen begegnen durfte, durch den ich mittlerweile viele tausend Kilometer gelaufen bin, aber Heimat ist mir diese Stadt nicht. Werde nie den hiesigen Dialekt sprechen und wie warm wird es mir immer ums Herz, wenn ich den bremischen Klang höre, Menschen wie meine Mutter sagen höre, es rechnet, wenn es regnet. Sie ist ein guter Ort zu leben, der sich schnell verändert, in dem die Menschen wechseln, es manches zu beobachten gibt aber eben eine große Stadt, die zusammengewürfelt wurde, aus vielen Dörfern besteht, in deren einen ich eben wohne, auch wenn ich mich mit Charlottenburg genauso verbunden fühlen könnte oder Mitte oder der Stralau, völlig gleich eigentlich.

Dachte immer in meiner Familie würde reines Hochdeutsch gesprochen von beiden Seiten, bis mir irgendwann auffiel, dass die Großmutter väterlicherseits klar den Dialekt ihrer Bochumer Heimat sprach, wenn sie etwa ihren Mann Vadder nannte und ähnliche Redewendungen. Die mütterliche Linie dagegen, sprachlich mehr von meiner Großmutter geprägt, die auch am meisten redete und in Hannover sprechen lernte, ist ziemlich hochdeutsch, hat aber auch einige bremische und so typisch norddeutsche Klangfärbungen angenommen, warum mir vielleicht der Bremer Ton immer so vertraut und sympathisch ist, ohne weitere Prüfung ob dies eine reale Grundlage hätte. Vom Gefühl her mag ich diese Bremer einfach, auch wenn es vermutlich genug praktische Gegenbeispiele gäbe, schaute ich nur genau hin, geht mein Herz bei diesem Ton ganz schnell auf, während süddeutsche Dialekte manche Hürde nehmen müssen, ich aber seltsam vertraut wiederum auf bestimmte bayerische Töne oder schwäbisch reagiere, ohne dort je gelebt zu haben oder leben zu wollen.

So haben Martin Mosebachs exzellente Essays, die seinen feinen, klugen Geist zeigen, auch wenn er sich einen Reaktionär nennt, was mich mit zunehmenden Alter immer weniger stört und vielleicht auch aus dessen Bewunderung für Nicola Gomez Davila verständlich ist, mich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Begriff Heimat gebracht und was es für mich ausmacht. Es ist wohl der Ort, an dem ich geboren wurde, aber am kürzesten lebte, an das ich keine aktive Erinnerung habe, außer von späteren Besuchen bei den Großeltern, dessen Geschichten mir aber vertraut sind wie die eigene, warum ich in den Buddenbrooks vermutlich gleich so ein seltsames Gefühl von Heimat hatte, auch wenn ich bis heute das Buddenbrookhaus noch nicht besucht habe, obwohl ich mehrfach in Lübeck war und mich dort sehr wohl fühlte.

Heimat scheint ein seltsamer Ort zu sein, kein fester, an dem ich lebe, keiner zu dem ich ständig hin muss, sondern es ist ein Gefühl und eine Lebenshaltung und ich denke dabei etwa an den Club zu Bremen, in dem mein Großvater regelmäßig seine runden Geburtstage feierte, unter dem Schütting, gegenüber dem Rathaus vor dem der Roland steht, den ich immer begrüßen muss, wenn ich mal dort bin. Es ist diese gediegene Atmosphäre einer anderen Zeit, die ich eher aus den Erzählungen meiner Großmutter kenne, als sie je erlebt zu haben und es mag auch in Berlin, etwa in Charlottenburg teilweise noch eine solche Welt geben, aber es lebt sich auch ganz gut als Beobachter fern dieser Welt, von der ich nicht mal weiß, ob sie noch existiert oder die Tradition ausstarb, um das zu beschreiben, was ich Heimat nenne, wie Thomas Mann die Buddenbrooks in München und Rom schrieb,

Heimat habe ich nur im Kopf, auch wenn die kleine Bibliothek mein Zuhause ist, was sie ausmacht, ist eine Welt in Gedanken, in die ich nicht mal mehr reisen muss, um da zu sein und vielleicht ist das der für mich spannendste Schluss aus der Lektüre von Mosebach, endlich weiß ich wo Heimat ist - in meinem Kopf, wenn ich anfange, davon zu erzählen.

jens tuengerthal 16.6.20

Montag, 15. Juni 2020

Zeitliteratouren

Durch die Jahrhunderte heute lesend kulturgeschichtlich wie literarisch gereist. Von der Lutherzeit bis in die später Aufklärung ging es, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge und etwas hin und her, da der Leser die Freiheit hat, die Zeit nach Laune zu wählen.

Länger schon nicht mehr hatte ich von Monsieur Göthe gelesen, dem wunderbaren Band über Goethes Großvater von Boehnke, Sarkowicz, Seng aus der Anderen Bibliothek, in dem erzählt wird wie Goethes Großvater, noch Göthe genannt, sich als Schneider aus Thüringen, ganz in der Nähe, dies nur nebenbei, wo meine Familie über Jahrhunderte wurzelte, aufmachte, sein Handwerk in Frankreich, besonders in Lyon, wo die Seidenwerker saßen, zu perfektionieren und sich schließlich als erfolgreicher Gewandschneider in Frankfurt niederzulassen. 

Von seinem Großvater, der ein sehr erfolgreicher Handwerker war, heute las ich, wie sowohl der Darmstädter Hof als auch schlesische Adelige bei ihm Kostüme bestellten, die er ihnen in Rechnung stellte und er einem Rechtsstreit über eine unbezahlte Rechnung mit der Familie Textor hatte, einer alten Frankfurter Patrizierfamilie, der Goethes Mutter entstammte, schweigt Goethe, der später in Weimar als Freund und Berater des Herzogs von Goethe wurde. Dafür erzählt er in Dichtung und Wahrheit, was immer daran nun Dichtung und was Wahrheit wirklich ist, um so mehr von seinem mütterlichen Großvater Textor, der einmal Bürgermeister war, über den Goethe anlässlich der Kaiserkrönung mit in den Römer durfte. Darüber plaudert er gern, weil dieser städtische Adel etwas galt in seiner Heimatstadt, während der neureiche Handwerker, der es mit guter Arbeit, großem Talent und viel Fleiß zu einem Vermögen brachte, lieber verschwiegen wird.

Dass Goethes Vater Jura studierte, als Privatier lebte und sich das schöne Haus bauen konnte, in die bekannte Familie Textor einheiraten konnte und seinen Kindern, ohne je selbst einer geregelten Arbeit noch nachgehen zu müssen, eine gute Ausbildung finanzieren konnte - Goethe studierte in Leipzig und Straßburg oder dichtete vermutlich mehr, worauf ihn sein Vater nach Hause beorderte, wie den Protagonisten im Weltpuff Berlin allerdings mit deutlich weniger sexueller Erfahrung bis dahin und im Leben wohl überhaupt aber dafür reichlich emotionalen Abenteuern.

Der Gewandschneider stand sich gut in Frankfurt und Umgebung, wie es Thomas Mann von dem Vorfahren der Buddenbrooks in Rostock berichtet und so nimmt manch große Familie im Handwerk ihren Anfang, worüber in meiner Familie nichts bekannt ist - waren wohl mehrheitlich Pastoren, Lehrer oder Bauern aber auch da ist wenig gewiß, habe weniger Ahnung als Phantasie, zumindest ging auch mein Großvater nach Frankreich, was seinem späteren erfolgreichen Weg in Frankfurt wohl nicht geschadet hat, wohin die Familie nach dem Krieg aus dem mecklenburgischen geflüchtet war, auch wenn sie wie die Göthes thüringisch war oder damals aus Sachsen-Gotha stammte.

Während Goethes Großvater, der gewandte Monsieur Göthe noch Anschluss an die besseren Kreise als Handwerker suchte aber sogar bei Hofe geschätzt wurde, brachte es mein Großvater noch am Bundesrechnungshof zum Ministerialrat, was dem Geheimen Rat des Enkels dieses Schneiders zumindest am Ende ähnelt und ließ seine vier Söhne studieren deren einer mein Vater wurde aber das ist eine ganz andere Geschichte - zumindest waren meinem Großvater die Familie, der gute Name und die Kontakte zu den alten Familien wichtig, der er doch wie einst Monsieur Göthe mit nahezu nichts in der großen Stadt am Main ankam, nachdem er sich zuvor noch einige Jahre als Holzfuhrmann verdingt hatte, was zwar kein Handwerk war, aber doch die gute Kenntnis von Pferd und Wagen erforderte, was nur sein jüngster Sohn mit Leidenschaft übernahm, aber hier geht es ja um Goethes und nicht um meine Familie - wir sind auch meines Wissens nicht verwandt oder verschwägert bisher - wo auch immer es Goethe noch in den ersten Jahren mit dem Herzog in thüringischen, damals sachsen-weimarschen Wäldern und Auen trieb.

Auf den verschwiegenen Großvater, der dem gern großbürgerlichen Goethe vermutlich als Handwerker nicht der Rede wert war, um das eitle peinlich hier zu sparen, folgte der spätaufklärerische Roman Hermann und Ulrike von Johann Karl Wezel, den Goethe nicht besonders lobte, ob aus Neid oder Unverständnis einmal dahingestellt, denn dieser Band 411 der Anderen Bibliothek ist ein echter Schatz. Ein früher Bildungsroman, der erzählt, wie Held Hermann als Kind einfacher Handwerker am bizarr spöttisch beschriebenen Fürstenhof erzogen wird, sich in die unkonventionelle Baronesse Ulrike verliebt und wie beide voller Irrungen und Wirrungen schließlich der adeligen Welt entfliehen.

Im reichhaltigen und oft auch überbordenden Personal des in 2 Bänden in der Anderen Bibliothek erschienen Romans spiegelt sich ein wunderbares Bild der deutschen Gesellschaft des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts wieder. Der Geist des Romans ist geprägt vom Freiheitsstreben der Aufklärung und trägt doch den unkonventionellen Ausbruch für die Liebe, die alle Standesgrenzen überschreitet, schon in sich, der fast nach Sturm und Drang klingen könnte. Es bleibt das spöttisch distanzierte in den Beschreibungen Wezels, was an Voltaire oder Diderot erinnert, auch wenn Wezel rund 40 Jahre später lebte. Er schreibt unterhaltsam, mit einem Lächeln auf den Lippen und doch immer wieder von aufklärerischem Geist getrieben, der das Wahre, Schöne, Gute will. 

Eine lohnende Lektüre, mit der ich heute für einige Seiten in die höfische Welt eintauchte, in der die Konventionen noch viel stärker als alle Gefühle waren und bestimmte Beziehungen als unmöglich galten, um jeden Preis zu verhindern waren, was die Liebe aber, wie alle Erfahrung eher potenziert, denn die Unmöglichkeit einer Beziehung - ob nach Konvention, Stand oder Alter macht ja gerade ihren Reiz aus und wer sich allen Widerständen zum Trotz dennoch findet, kann damit wohl sehr glücklich werden, sagen die Gerüchte und einzelne bekannte reale Beispiele, wie etwa meine Großeltern, die sich auch gegen die Konventionen ihrer Zeit fanden und verliebten und eine wunderbare Liebesgeschichte lebten, lassen wir mal die späteren Affären meines Großvaters als im offiziellen unwichtig beiseite.

Spannend wäre dabei die Frage, ob die Liebe am Widerstand der Umgebung noch wächst oder wie häufig ein bloßer Trotz ist, was sie nicht am glücklichen Erfolg hindern muss. Wächst die Liebe, wie von Romeo und Julia bekannt, am Widerstand bis zur völligen Verzweiflung, macht blind für alles andere oder ist diese Prüfung der Ablehnung der Kitt aus dem die großen Lieben wachsen können, weil, wenn alles stimmt, es ganz leicht zu gehen scheint, sich wohl manches auch in zu schneller Gewohnheit abnutzen kann, nicht mehr als kostbarer Schatz wertgeschätzt wird.

Habe darauf noch keine sichere Antwort gefunden nur Erfahrung sowohl als auch gesammelt aber für dauerhafteren Bestand als drei mal drei Jahre noch keine praktischen Beispiele mit mir in einer der Rollen finden können. Die passende Verbindung macht vieles viel leichter, während die unpassende manches viel aufregender macht und die Liebe mehr fordert, die, wo sie besteht, vermutlich auch daran gewachsen ist.

Hermann und Ulrike wollen sich auf den ersten 130 Seiten, die ich las, schon sehr, werden daran aber nach Möglichkeit von ihrer Umgebung gehindert, weil die Baronesse doch unmöglich den einfachen Knaben wollen kann. Sie werden beide von ihrer je Umgebung abgelenkt und in Arbeit gestürzt, doch die Liebe zeigt sich als ein widerständiger Infekt, der immer wieder auftaucht und sie zueinander zieht, bis sie es wagen ihr, gegen alle Konvention, einfach zu folgen, was doch wunderbar ist, wenn die Liebe, wo sie wirklich ist, stärker als alle Umgebung sein kann und auch das Unmögliche erreicht.

Spannend wäre dabei noch die Frage, was die Liebe wirklich ist, wann sie so groß wird, dass sie alle Zweifel besiegt und auch die unmögliche Beziehung möglich macht. Ist es dieser Wahnsinn, des einander verfallen seins, der es unmöglich macht, ohne einander noch je weiter leben zu wollen, was Liebende nicht nur gerüchteweise fühlen und meinen und ich spreche auch bei diesem Wahn aus Erfahrung, der jede andere Existenz ohne einander völlig unmöglich erscheinen lässt, sogar wenn alle Vernunft längst sagt, es kann nicht gehen, konnte nie gut gehen, musste logisch scheitern, würde nur weh tun und viele der vernünftigen Argumente mehr, die aber alle gering erscheinen gegen die Größe des Gefühls, das den Liebenden umtreibt.

Es versteht kein Außenstehender, die immer wieder liebevoll, beschwichtigend oder irgendwann genervt auf die Liebenden einreden - mit Einsicht in die Umstände ist bei keiner Seite zu rechnen. Die Außenstehenden können die Größe des Gefühl nicht erfassen, während die Beteiligten sich unmöglich vorstellen können, je ohne einander zu sein, bis sie es dann sind und damit irgendwie leben müssen oder auch nicht, wie das Beispiel Romeo und Julia zeigte.

Hier prallt die emotionale Welt der Romantik oder des Sturm und Drang auf den Geist der Aufklärung, der die Welt gerechter und besser machen will, gegen Standesschranken kämpft und trotz aller aufgeklärten Erziehung der beiden Liebenden wird bei ihnen am Ende die Liebe stärker sein, was sie ausbrechen und ein gefährliches, abenteuerliches und konventionell unmögliches Leben wagen lässt, weil die Liebe über allem steht. Dies ist Ausdruck von Freiheit und Gleichheit der Menschen wie von der Größe romantischer Gefühle, die auch die verrückteste Entscheidung noch völlig logisch und folgerichtig erscheinen lässt.

Betrachte es und denke, wie gerne würde ich ausbrechen, es wagen, ergäbe sich je die Gelegenheit nochmal oder wirklich und weiß doch, glücklich werde ich damit sicher nicht. Betrachte es also lieber mit Abstand und vernünftig, füge mich den Umständen, die eben sind, wie sie sind und versuche ordnungsgemäß zu leben, statt dem großen Gefühl wohin immer es sich neigen sollte, zu folgen - dahingestellt, ob ich damit dauerhaft glücklicher bin, lässt es zumindest vernünftig leben und das mögliche genießen, statt das Unmögliche noch oder wieder zu wollen, was eben unmöglich und das ist auch gut so, solange es nicht stärker wird als alle Vernunft, was ja gelegentlich vorkommen soll.

Diese Dialektik zwischen hoher Emotionalität, die alle Welt aus den Angeln heben kann und dem Wunsch nach Befreiung durch Aufklärung in einer so geordneten Welt ist die Feuerprobe der Aufklärung in der Praxis. Wie lebensfähig sind Kants Grundsätze, wenn uns das Gefühl voll ergreift, sind wir dann noch frei oder des Denkens fähig, frage ich mich, sind alle Liebenden also unfreie Sklaven ihrer Gefühle bloß, die vom schmerzenden oder jubelnden Herz getrieben werden, weil sie unmündig bleiben oder ist es umgekehrt erst die wirkliche Befreiung jenseits aller Fesseln dem wirklichen Gefühl, was immer das dann sein soll, zu folgen.

Habe noch keine allgemeingültige Antwort darauf gefunden, nicht mal eine, die für mich immer gelten würde, sondern betrachte es immer noch verwundert staunend und weiß noch nicht genau, wohin es am Ende führt - aber so ist das Leben eben auch, was weiß ich schon davon oder kann ich je wissen - wunderbar aber beschreibt Wezel in seinem großen Roman die Irrungen Wirrungen der Liebe gegen alle Konvention zwischen den Idealen der Aufklärung - bin gespannt, ob ich hinterher irgend klüger bin.

Als dritten Band, diesmal von Galiani, bin ich mit Bruno Preisendörfer in die Lutherzeit gereist, als unser Deutsch erfunden wurde, wie es im Untertitel heißt und habe dort das Kapitel über die Ehe im Zeitalter der Reformation gelesen. Worauf kommt es dabei an und welche Regeln galten nun in dieser Zeit des Umbruchs, in der sich die Menschen auch wenn die Konfession mal wechselte dennoch paaren und fortpflanzen wollten, weil es in unserer Natur eben liegt.

Preisendörfer beschreibt schön die Konventionen der Zeit, wie plötzlich Pastoren ihre Liebsten heiraten sollten in evangelischen Gebieten oder die Kirche sie weiter als Haushälterinnen tolerierte in den katholischen Regionen. Es geht um mögliche und unmögliche Ehen, über die von den Eltern noch ausgesuchten Partner, weil es um eine Verbindung von Familien ging, was von Frau und Mann zu erwarten war, wie evangelische Fürsten den Kosten der Heirat, die manche in den Bankrott fast stürzte, Einhalt gebieten wollten durch genaue Vorschriften was gegessen und wieviel Bier getrunken werden durfte - Wein war nur ausnahmsweise zu genehmigen. Auch damals schon war trotz geplanter und ausgesuchter Ehe noch das Ideal die Ehe voller Liebe, die glücklich mit dem wurde, was gesollt war.

Heute zelebriert hauptsächlich der Adel die Hochzeiten hier noch in so konventioneller Form, was aber nicht gegen deren Haltbarkeit spricht und auch nicht für die der freier geschlossenen Lebensabschnittsbünde mit Partnern wechselnden Geschlechts gelegentlich auch. 

Luther schrieb noch klar, dass des Weibes Wille dem Manne unterworfen sei, womit heute wohl keine erfolgreiche Eheanbahnung mehr möglich wäre, doch auch zu dieser Zeit gab es schon Prozesse, gegen gewalttätige Ehemänner und Frauen, denen von Richtern strenge Schranken gewiesen wurden und die Opfer erwarben Freiheit oder den Anspruch auf Schadensersatz. Im Gerechtigkeitsdenken hat sich also trotz markiger Sprüche der Reformatoren nicht viel geändert. Im Traum von großer Liebe bei manchen etwas Verrückten, den Autor eingeschlossen, auch nicht wirklich - bis dahin leben wir mit der aufgeklärten Realität gut.

jens tuengerthal 15.6.20

Sonntag, 14. Juni 2020

Salonliteratouren

Am heutigen Sonntag im Juni die Reise von Adam Smith nach Frankreich zu Ende gelesen. Der Band der Anderen Bibliothek von Reinhard Blomert über die Entstehung der Nationalökonomie war wesentlich unterhaltsamer und spannender als der Untertitel vermuten ließ.

Wie schön war es den berühmten Philosophen und den jungen Herzog auf ihrer Grand Tour durch Frankreich mit einem Abstecher an den Genfer See zu Voltaire zu begleiten. Sehr gut waren dabei auch immer wieder Blomerts Ausflüge in die Geschichte, bei denen er den größeren Kontext der Ereignisse und die lokale Historie mit gutem Weitblick erläuterte - ein richtiges Bildungsbuch aus dessen Lektüre du bereichert und dabei noch gut unterhalten am Ende zufrieden hervorgehst - zumindest mir ging es so.

So regte das Buch immer wieder zur vertiefenden Lektüre ein, der ich gerne mit Wiki, dem Brockhaus und weiteren auch historischen Bänden folgte, über die ich teilweise bereits schrieb, weil sie wunderbar neue alte Welten erschlossen.

Nun aber kam das lange letzte Kapitel über Paris, die dortigen Salons und ihren entscheidenden Einfluss auf Smith und sein Werk. Diese Epoche kannte ich bereits ein wenig durch die beiden hervorragenden Bücher von Philipp Blom. Zum einen die Bösen Philosophen über den Salon von Baron Holberg und das vergessene Erbe der Aufklärung. Wie aus diesem Kreis radikaler Atheisten, zu denen auch Diderot, Galiani und Rousseau zählten, ein ganz neuer mutiger Geist, der alles gewohnte infrage stellte, in die Welt kam. Daneben noch das vernünftige Ungeheuer, das sich mit der Entstehung der Enzyklopädie besonders beschäftigt und dabei auch diesen und andere der Pariser Salons der Aufklärung streift.

Auch diese Bände seien jeder Leserin wie auch jedem Leser besonders ans Herz gelegt, auch weil Blom mit großem Fachwissen und immer wieder klarem Urteil mitnimmt und begeistert, wenn er etwa das öffentliche Bild des vermeintlich großen Rousseau ins rechte Licht rückt - nicht umsonst heißt die Aufklärung auch Zelt der Illumination im englischen. Es geht um Befreiung der Menschen von der Sklaverei von Vorurteilen und Aberglaube, wofür diese Männer und Frauen mutig lebten und immer wieder auch die Haft in der Bastille riskierten oder sogar erleben mussten wie Diderot und Voltaire.

Auch diese Gruppe, die sich im Salon von Holbachs Pariser Haus traf, besucht Smith und diskutiert mit großer Begeisterung, ist angetan von ihrem freien Geist, der die Welt und moralisches Handeln völlig ohne Gott erklärt. Dies macht den Philosophen, der als Ökonom berühmt wurde auch mutiger und freier in seinem Denken, nachdem er im bigott christlichen Schottland und England schon manchen Ärger infolge der Interventionen der dortigen Kirche hatte.

Natürlich besucht Smith auch die anderen Salons und findet wohl einige Verehrerinnen unter den Damen, schwärmt selbst wohl auch für eine, wobei wir, vermutlich mangels Quellen, nicht erfahren, wie weit er dabei kam. Eingeführt werden Smith und teilweise auch der Herzog durch David Hume, den lebenslang engem Freund des englischen Philosophen. Hume war zu dieser Zeit Sekretär beziehungsweise später Stellvertreter des englischen Botschafters in Paris, der dann etwa zeitgleich zum Gouverneur von Irland berufen wird, woraufhin der Freund leider bald nach London zurückkehrt. Vorher aber führt er Smith, der immer noch relativ wenig französisch sprach in die Salons ein und stellt mit schwärmerischen Briefen die wichtigsten Kontakte her.

Der Herzog beschäftigt sich in dieser Zeit wohl mehr mit den üblichen Besuchen beim Adel und am Hof in Versailles, warum von ihm relativ wenig die Rede ist in diesem spannendsten Kapitel, auch wenn Smith den Kontakt zur am Hof einflussreichsten Gruppe von Ökonomen sucht und findet, die gerade mit mutigen Reformen versuchen, die angeschlagene französische Wirtschaft zu retten.

Es ist wohl übertrieben, wie es einige Franzosen später schrieben, dass Smith nur deren Ideen weiterentwickelte, aber Einfluss auf sein ökonomisches Denken hatte diese Erfahrung sicher, manches lernte er neu kennen. Er traf auch den später unglücklich berühmten Necker, der als Minister scheitern musste im Salon seiner Frau und viele andere wichtige Köpfe, Künstler und Literaten aus dem Paris der Aufklärung, was für ihn in vieler Hinsicht eine Erleuchtung wurde.

Die Rückkehr nach England, der Rückzug ins Haus der Mutter, um den Wohlstand der Nationen zu schreiben wie sein späteres Leben, werden auf wenigen Seiten abgehandelt und spielen hier keine entscheidende Rolle mehr. Den Einfluss der französischen Reise und des Denkens Philosophen in Paris, wie insbesondere der Kreis um Holbach genannt wurde, hat Blomert in seinem Band klar aufgezeigt und damit einen Smith vorgestellt, den die manchmal etwas schlichte Dogmatik der Schule von Manchester, die in vielem bis heute leider herrschend blieb, völlig unter den Teppich kehrt. Es ist dies auch ein sozialer Denker, dessen Hauptwerk die Theorie der ethischen Gefühle war. Dieser neue Blick auf einen meist auf den freien Markt reduzierten Denker allein, lohnte die Lektüre schon, zum großen Genuss wurde sie durch die Reise nebenher und vor allem die kenntnisreiche und kluge Schilderung der Pariser Salons. Eine unbedingte Empfehlung und ich freue mich sehr über die Lektüre des Buches, was mir eine damals noch Finanzwissenschaftlerin schenkte, die damit einen Volltreffer landete und so in besserer Erinnerung bleibt.

jens tuengerthal 14.6.20

Samstag, 13. Juni 2020

Weltpuffliteratouren

“Ja ja mein Sohn und nun denke wieviele es heimlich für Geld thun, wieviele du einfach ansprechen und mitnehmen kannst, wieviele es aus bloßer Liebe und Geilheit thun, dann haste ne Ahnung von Berlin, wie es weint und lacht. Rede mal mit Ausländern. Für die ist Berlin der Weltpuff, na Deutschland überhaupt. Paris nischt mehr dagegen, ganz abgekommen,”
(aus Rudolf Borchardt, Weltpuff Berlin, S. 725)

Ein Titel,der schon aufmerksam macht, weil Sex immer geht und tatsächlich geht es auch immer wieder darum in Rudolf Borchardts Weltpuff Berlin, in dem ich nach längerer Pause heute mal wieder mit der ihm entsprechenden Leichtigkeit lachend las. Als drittes, nachdem ich zuerst wieder mit Adam Smith in Paris war und über die Entwicklung seiner ökonomischen Theorien reichlich theoretisch las, was für Ökonomen vermutlich viel interessanter als für Literaten ist, wie danach noch ein Kapitel von Joseph und seinen Brüdern über den erfolgreichen Betrug bei dem Jakob, also Josephs Vater, seinen Bruder Esau hinterging, der sich bei der Geburt schon unfein vordrängte und der kräftigere von beiden wurde, aber eben auch der weniger feine und bei der Mutter weniger beliebte, die das ganze inzenierte und Jakob zur zwischenzeitlichen Reise ins Zweistromland rät zur babylonischen Verwandtschaft, um dem jähen Zorn des Bruders zu entgehen, der sich, wie sie richtig vermutete, schon wieder beruhigen würde, wenn die ins Auge gefasste Hochzeit Esaus käme.

Es wurde natürlich wieder gevögelt im Weltpuff Berlin, das wird es ständig, auf jede nur denkbare Art und mit teilweise sportlichem Ehrgeiz des Ich-Erzählers, eines vierundzwanzigjährigen jungen Mannes aus guter bürgerlicher Berliner Familie, der vom Vater nach einem Skandal im Studium in Göttingen nach Hause beordert wurde und dort mit einer kleinen Kammer, die sonst als Telefonzimmer im Entré nur dient, als Quartier vorlieb nehmen muss, was ihn nicht hindert, nahezu jede Gelegenheit im Haus oder zu Studienzwecken unterwegs zum Vögeln zu nutzen und doch unterscheidet sich Borchardts Weltpuff, dessen Veröffentlichung der Sohn des Dichters nach dessen Wiederentdeckung 2012 im Marbacher Literaturarchiv noch verhindern wollte, sehr stark von sonstiger pornographischer Literatur auch der mit Anspruch eines Henry Miller, weil er ganz nebenbei ein feines Gesellschaftsbild seiner Zeit, ihrer Sitten und der eigentlichen Gefühle des Protagonisten liefert. Es geht viel um Sex und es lässt bewundern, wie viele Gelegenheiten der Erzähler mit seiner scheinbar unerschöpflichen Potenz zu nutzen weiß, auch wenn er sehr wohl fein unterscheidet, wo er seinen Samen fallen lässt und wo er es sich lieber spart, nur dem Wunsch der Damen nach Sex folgt, zu dem er scheinbar auch körperlich sehr gut ausgestattet eine besondere Begabung besitzt.

Das tausendseitige Manuskript war erst spät im Nachlass entdeckt worden, stammt wohl aus dem Jahr 1937 und weist einige so auch veröffentlichte Unvollständigkeiten auf, zeigt seine Brüche und ist doch ein großartige Bild des Berlins der Kaiserzeit. Ob es, wie Helmuth Kiesel vermutetete, als reaktionärer Schlag gegen den Feminismus zu sehen ist, mit dem der lange gute Freund und Bewunderer von Hugo von Hofmannsthal, sich gegen die leichten und käuflichen Frauen wendet, scheint eher fraglich, zu viel Sachkenntnis und stille Bewunderung für das Wunder Frau und das Glück ihrer Lust ist, aller fast nüchternen Sachlichlichkeit zum Trotz spürbar - da schreibt einer, der die Freude an der Lust kennt und weiß, was gemeinsame Freude daran heißt, der Frauen nicht einfach gebraucht, wie es zur Zeit der Handlung des Romans wie seiner Entstehung, fast vierzig Jahre vor der sexuellen Revolution, noch üblich war, sondern ein Genießer, der sich ein wenig über die Austauschbarkeit der Lust amüsiert aber ohne sich über die Frauen zu erheben, sondern auch dem Dienstmädchen im Elternhaus in ihrem Bereich Bewunderung entgegenbringt.

Vor allem aber ist Weltpuff, neben all dem austauschbaren und mal mehr mal weniger aufregenden Sex, der erledigt wird, eine ganz feine Liebesgeschichte,  die es mit Tucholskys Rheinsberg oder Gripsholm aufnehmen kann. Am deutlichsten wird dies in den Szenen mit seiner wohl großen Liebe, die ein wenig älter leider keine passende Partie für den noch Studenten sein kann, weil beide in den Umständen leben, in denen sie eben leben. Die Beschreibung dieser Sehnsucht und auch wie diese beiden Liebenden ihre Lust leben, die auch voller Leidenschaft en Detail natürlich geschildert wird, aber doch ganz anders als jene ist, die er irgendwo bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit mit älteren oder jüngeren Damen oder Mädchen findet.

Borchardt, der in seiner Lyrik sehr sphärisch teilweise war und eine ungeheure klassische Bildung zeigte, ein eigene Welt entwarf, war, in Italien lange lebend, ein früher Bewunderer Mussolinis, dem er eine Ausgabe seines Werks über Dante bei einem Zusammentreffen 1933 verehrte. Der zeitweise Anhänger des Faschismus, der sehr mit George sympathisierte, wie übrigens Stauffenberg auch, der früh NSDAP-Mitglied war und den Kurs der Faschisten auch zuerst bewunderte, bevor er sich dem Widerstand anschloss, sein Leben riskierte und verlor für das gute Deutschland, wie seine letzten Worte lauteten, was auch an die Hermetik eines George erinnert, schrieb sein pornographischstes Werk bereits unter der Herrschaft der Nazis als Sohn einer jüdischen Familie. Rudolf Borchardt und seine Frau wurden im August 1944 von der SS in Italien verhaftet und nach Innsbruck transportiert, versteckten sich nach ihrer Freilassung noch in Tirol, wo er am 10. Januar 1945 verstarb.

Frauenfeindlich ist der Weltpuff Berlin nie, soweit ich ihn bisher las, auch wenn mancher Sex fast maschinell erledigt wird, um den Damen die gewünschte Befriedigung zu schenken, werden diese doch im Rahmen des möglichen und der Verhältnisse ihrer Zeit als selbständige Wesen beschrieben, die sich ihre Befriedigung suchen und der er, mit Freude an der Sache und einem gewissen natürlichen Talent dabei, gerne dient. Es gibt Damen, die er bewundert und verehrt, eine, die er wirklich liebt und viele mit denen er eben vögelt, weil es sich anbietet und beide Seiten ihren Spaß daran haben und das ist anders als ein Henry Miller, der im Opus Pistorum den Sex mit einem geilen Kind oder einer Hure danach, die er angewidert vom pädophilen Vater nach der Orgie mit dem Kind auf einem Bretterstapel hinter einen Bauzaun fickt, dass sie noch Wochen brauchen wird, bis sie sich alle Splitter aus ihrem Hintern gepult haben wird. Ob das hohe Kunst oder Pornographie bei Miller eher ist, mögen andere entscheiden und wie viel Verachtung dort aus manchen Zeilen tropft, wenn es mit Detailfreude an die Schilderung von Orgien auch der SM-Szene geht, auch die pädophile Erotik einer Lolita des genialen Nabokov, die nicht ohne Grund das Kultbuch der Pädo-Szene schon lange ist, scheint mir auch wenn weit weniger explizit pornographischer und gefährlicher als der Weltpuff, in dem der Sex häufig sportlich bis an die Grenzen des eben möglichen betrieben wird.

Es handeln dort Menschen, die ihrer Natur folgen und sich dabei an keine Schranken gebunden sehen aber immer mit Respekt und Achtung füreinander und das auch, wenn der Protagonist klare Klassenunterschiede auch beim Sex macht und eigentlich ohnehin nur die eine will, die er nicht haben kann, weil er als Student noch zu jung ist, sie eine andere Partie machen muss, auch wenn es so perfekt zu passen scheint, wie bei ihrem verliebt erotischen Ausflug im Cabrio nach Rheinsberg, eine kleine Hommage an Tucholsky aber auch ein natürliches Ausflugsziel für Berliner Paare, denn wo ließe sich romantischer lustwandeln als im Schloss und Garten von Kronprinz Friedrich, das er später seinem Bruder Heinrich vermachte, auch wenn dieser sich eher geistig als erotisch auslebte, was an einer frühen sächsischen Verführung und ihren pathologischen Folgen gelegen haben könnte, was hier aber kein Thema sein sollte.

Die natürliche Lust, die gemeinsam gesucht wird, bei jeder passenden oder auch mal unpassenden Gelegenheit ist bisher immer ein gemeinsamer sinnlicher Akt gewesen, der beide zur Befriedigung führt, zumindest die Damen meist glücklich erschöpft oder sogar bebend zurücklässt, was mir eher emanzipiert als antifeministisch scheint, auch wenn manches vielleicht aus heutiger Sicht so beurteilt werden könnte, sollte dieses Romanfragment aus seiner Zeit heraus gelesen werden und die darin zu findende Freiheit als solche erkannt werden.

Gemeinsame Glückssuche und das Streben nach Befriedigung als etwas Schönes und Natürliches, zeugt eher von einem freien Denken, wie es schon viele Jahre davor am Mont Verita praktiziert wurde, auch wenn unklar ist, wer da wen mit welchen esoterischen Beschwörungen mehr benutzte. Dergleichen gibt es im Weltpuff nicht. Der Sex ergibt sich und wird genossen, auch wenn es mal grenzwertige Szenen gibt, die keiner mehr so heute schriebe, ist das Bild der lustvollen selbständigen Frau, die sich ihre Befriedigung bei Gelegenheit sucht, ohne darum viel mehr zu erwarten, aufgeklärter und freiheitlicher als es viele Menschen bis heute sind und doch schon vor über 83 Jahren geschrieben worden.

Wie oft ist es bis heute umgekehrt noch, dass sich Männer in Frauen befriedigen, ohne sich weiter um deren Lust zu kümmern, weil sie keine Ahnung oder kein Interesse haben und wie oft habe ich, wenn ich mich darum wie natürlich auch bemühte von Damen gehört, es ginge ihnen nicht um Befriedigung beim Sex sondern um Nähe, was meist bedeutet, sie können eben keine dabei finden, weil sie nie einen Partner hatten, der sich um ihre Lust bemühte. Wie wenig Menschen wissen immer noch nichts über den nervus pudendus und seinen Verlauf, an dem die weibliche Lust primär hängt, wie verbreitet ist das falsche Gerücht vom ominösen G-Punkt, den es nie gab, um dessentwillen sich viele unvollständig oder schlecht fühlten, wofür es real keinen Grund gibt, weil die Natur eben ist, wie sie ist und der Nerv verläuft, wie er verläuft und damit eben nur einem kleinen Teil der Frauen die vaginale Befriedigung je ermöglicht. Doch wie wenig Menschen wissen bis heute von diesem genialen Nerv, der länger ist als das männliche Glied und stärker anschwellen kann, wenn er richtig gereizt wird - auch Rudolf Borchardt kann noch nichts von diesen erst in den letzten Jahren veröffentlichten Forschungen gewusst haben, doch er schreibt den Frauen eine selbstbewusste eigene Sexualität zu, die nach ihrem Glück und ihrer Befriedigung strebt, die den besonders geeigneten Schwanz des Protagonisten, vermutlich war er leicht gekrümmt, wie es neurologisch am wirkungsvollsten wohl ist, wovon Borchardt natürlich nichts wusste, zu schätzen und für sich zu nutzen wussten.

Der Weltpuff klingt vom Titel her reißerisch und obiges Zitat scheint dies zu bestätigen - auch heute kann jeder im Sex finden, was ihm gefällt in dieser Stadt und die Foren für jede Neigung sind zahlreich, aber viel mehr noch als eine Beschreibung des Sex in the city ist es eine Roman auch über die Liebe und die gesellschaftlichen Formen und Unterschiede, die in den unterschiedlichen Gesprächen sehr fein beobachtet, beschrieben werden. Es ist ein Gesellschaftsbild der Zeit, die auch nicht so viel anders war als unsere sexuell, weil die Menschen eben sind, wie sie sind und sich daran nichts geändert hat aber sie ist dabei erstaunlich emanzipiert und feinsinnig aufmerksam mit einem natürlichen Blick auf den Genuss in den Beschreibungen. Eine lohnenswerte Leseerfahrung, die weniger pornographisch als natürlich erotisch ist, auch wenn sich manche Apostel noch empörten, ist Borchardts Protagonist ein sexueller Feinschmecker und auch wenn er manchmal wie ein willkürlicher Vielfraß nach der Summe betrachtet scheinen könnte, ist er auf den zweiten aufmerksamen Blick viel differenzierter und ein wunderbares Porträt der Gesellschaft im ausgehenden Kaiserreich.

jens tuengerthal 13.6.20