Mittwoch, 3. Juni 2020

Literatouren 03.6.20

Nachdem ich die literarisch eher mäßige aber dadurch lehrreiche Pfaueninsel mit mehr oder weniger tragischem Ende für die Hettche zumindest eine relativ gute Kenntnis der preußischen Geschichte wie ein ernstes Bemühen, alles was historisch passierte, zu erwähnen, attestiert werden kann, beendet habe, nun über zwei Tage unter anderem in Reinhard Blomerts kenntnisreichen Band der Anderen Bibliothek über Adam Smiths Reise nach Frankreich eingetaucht, der mit schönen Ausflügen fern aller persönlichen Tragik in die französische und europäische Geschichte aufwarten kann.

Während sich der Band anfänglich mit einigen Ausführungen zu Smith Philosophie wie seinem Werdegang etwas in die Länge zog, lese ich ihn nun mit großer Begeisterung auch aufgrund der schönen Ausflüge des Autors in die europäische Geschichte und ihren großen Kontext zum Verständnis der Entwicklung. Auch Hettche machte gelegentlich solche Ausflüge nicht völlig ohne Sachkenntnis, doch baute er sie in den Roman ein, dessen Story darunter litt und damit ein wenig zwischen den Stühlen hing, weder guter Roman noch Sachbuch wurde, während Blomerts Adam Smith ein vielfältiges Sachbuch ist, was die historischen Ausflüge literarisch gut zu erzählen weiß, was genügt, gespannt zu lesen, statt genervt mit den Augen zu rollen, den Autor selbst daran erinnert, was ihm, also mir, besser nicht passieren darf und wie ich darum erzählen muss und ob die Kombination zweier Ebenen in einem Buch - der kulturhistorisch berichtenden, wie ich sie am liebsten lese, mit der literarisch erzählenden, wie etwa im Zauberberg oder den Buddenbrooks, um nur die beiden elegantesten zu nennen, möglich ist und wenn ja, wie sie realisiert wird.

Wie der Wechsel der Ebenen, die unabhängig nebeneinander stehen, eine Möglichkeit wohl bietet, über die ich dringend vertieft nachdenken sollte, bevor ich demnächst völlig in meinem großen Projekt abtauche, das verbinden soll, was ich liebe, um zu erzählen, woher ich komme und wohin es geht - aber was erst wird,  ist ja relativ uninteressant für alle Leser, darum lieber mehr zur heutigen und gestrigen Lektüre über Smith und seine Rolle als Reisebegleiter, die im aktuellen Kapitel in Toulouse beginnt, was ich aber aufgrund der umfangreichen aber faszinierend guten Ausführungen noch nicht erreicht habe.

Spannend ist die Rolle Frankreichs und Englands auf ökonomischen Gebiet historisch zu betrachten, weil es viel auch über das jetzige Europa lehrt und die unterschiedlichen Versuche der Krisenlösung, die sich aus der jeweiligen Rolle des Staates im ökonomischen Gebilde erklärt und warum die Wege logisch aus historischen Gründen schon so unterschiedlich dabei sind.

Der französische Zentralismus, der schon unter Franz I. anfing und unter Ludwig XIV. seinen ersten Höhepunkt erreichte, der zum Zeitpunkt der Reise bereits 50 Jahre Tod war, dafür regierte noch bis 1773 Ludwig XV. der vorletzte Herrscher aus dem Haus Orleans bis zur Revolution, ist ein zentraler Punkt, der die Stabilität des Ständestaates garantierte. Jeder hatte dort seine Rolle. Der König versammelte, wenn möglich, den Adel am Hof und beschäftigte ihn dort, um dessen anderweitige politische oder militärische Aufmüpfigkeit kontrollieren zu können. Nebenbei war durch die Konkordate Ludwigs XIV. auch der erste Stand relativ stark eingebunden worden, rang nur noch teilweise unter dem vorletzten Louis mit der Kirche, die etwa das Projekt der verdächtigen Aufklärer um die Enzyklopädisten Diderot und d’Alembert verhindern wollte, was ihr dank der unterstützenden Hilfe der Geliebten des Königs, der berühmten Pompadour, nur mäßig gelang, auch wenn die Jesuiten das Unternehmen teilweise sehr gefährdeten und ihren Gegner Diderot zeitweise sogar in die Bastille brachten.

Ganz anders dagegen die Situation in England, besser gesagt Britannien, da ja Smiths wegen auch der Vergleich zu Schottland von Bedeutung ist, und im Deutschen Reich, das sich zum Zeitpunkt der Reise noch heilig und römisch nannte, auch wenn die vom Haus Habsburg schon zu lange beanspruchte Krone nur noch wenig realen Boden hatte. Nach dem dreißigjährigen Krieg und dem Friedensschluß von Münster und Osnabrück, von dem das Frankreich Ludwigs XIV. stark profitierte, war Deutschland nicht nur religiös ein Flickenteppich, der schwer zu regieren war - was die entschiedene Vertreibung des Hugenotten durch Ludwig und die Aufhebung des Ediktes von Nantes seines guten Großvaters Henry IV. vielleicht ein wenig erklären kann. Doch so sehr damit für eine gewisse Zeit die innere Stabilität Frankreichs gefördert wurde, zumindest bis zur Revolution und dem ihr später folgenden Laizismus, so sehr war es auch ein Aderlaß, der die protestantischen Nachbarn, allen voran Preußen stärkte,  was dessen späteren Aufstieg begünstigte. 

Zum Zeitpunkt der Reise ist der siebenjährige Krieg bereits vorbei und damit die drei schlesischen Kriege beendet. Friedrich blieb im Ergebnis siegreich, auch wenn er seinen Staat für ein da noch scheinbar wertloses Stück Land fast ruiniert hatte, durfte er es nach dem Frieden von Hubertusburg behalten und machte sich auf kluge Art das französische Modell imitierend an den Wiederaufbau der Mark, wurde später durch die erste polnische Teilung sogar König von Preußen, zu dem dann eine Landverbindung von der Mark aus bestand und das nicht länger nur eine Inselkrone unter polnischem Lehen im ehemaligen Gebiet des deutschen Ordens war, dem späteren Ostpreußen. Vorher war er wie Vater und Großvater schon nur König in Preußen gewesen nicht aber im Reich.

England hatte als erstes die Prinzipien der Industrialisierung begriffen, den Welthandel im Empire und den freien Markt, auch wenn es ihm aufgrund verschiedenster politischer Querelen und Bündnisse nur bedingt erfolgreich folgte. So beschreibt Blomert mit anschaulichen Zitaten auch, wie sehr sich Smith und seine Clubfreunde über das Verbot des Imports französischer Weine ärgerten, den sie bevorzugten, gegenüber dem steuerfrei importierten, ihnen zu süßen portugiesischen Weinen. In England hatte das Empire schon unter Elizabeth I. Form angenommen, die durch die Verstaatlichung der East Indian Company noch verstärkt wurde. Starke Kräfte plädierten hier für freien Handel, auch wenn andere das Gleichgewicht von Import und Export anmahnten, was die USA gerne der heutigen Bundesrepublik vorhalten, dem europäischen Exportweltmeister, der wesentlich weniger einführt als ausführt und darum auch theoretisch immer reicher wird, was aufgrund anderer sozialer Fehlkonstruktionen nur eine Illusion gegenüber den Nachbarn ist, aber eine neidvoll spaltende Sicht auf den Wohlstand bleibt.

Deutschland schlug sich zu dieser Zeit noch mit zahlreichen Grenzen und Zollschranken herum, wie sie Thomas Mann so wunderbar spöttisch noch nach dem Untergang des Reiches für das 19. Jahrhundert beschrieb, was Handel und einheitliche ökonomische Entwicklung bremste. Die Unterschieden zwischen den heute Bundesländer genannten Regionen gab es schon immer mehr oder weniger stark, dabei waren für eine Epoche die angehörigen der Hanse besonders erfolgreich und reich oder die kaiserlichen Kreditgeber in Augsburg und Nürnberg, später wurden es Regionen wie, für viele noch überraschend, Preußen, das über viele Grundstoffe der Industrialisierung in seinem Territorium verfügte, ohne dies zum Zeitpunkt der Eroberung durch Friedrich II. wie später infolge des Wiener Kongresses wie des Reichsdeputationshauptschlusses bereits so genau zu wissen. Sie saßen auf dem Geld und wussten es nicht völlig ungeschickt eine gewisse Zeit zu nutzen, was erklärt warum der Sohn der Königin Louise, die auf der Flucht vor Napoleon an der Lungenentzündung im mecklenburgischen starb, sich bereitwillig von Bismarck und Moltke später zum Krieg gegen Frankreich bringen ließ, auch wenn er die ihm in Versailles dann aufgesetzte Kaiserkrone eigentlich gar nicht wollte, er fühlte, dass hier der Untergang Preußens begann.

Wichtiges spannendes Thema, amüsanterweise an dem Tag, an dem ich auch vom unerwarteten Besuch des damals noch Kronprinzen auf der Pfaueninsel las, der mit seiner aparten Gattin aus dem Hause Sachsen-Weimar, die Hettche realistisch klüger erscheinen lässt, kein Wunder bei einer Enkelin von Anna Amalia, bin ich versucht zu sagen, gegenüber dem sogenannten Kartätschenprinzen, der nach den Ereignissen vom März 1848 aus Berlin gen England fliehen sollte, um sich dem Zorn der Berliner zu entziehen, auf die er hatte schießen wollen, ganz im Gegensatz zu seinem bedächtigeren Bruder Friedrich Wilhelm IV., der später aber auch den Einflüssen der Gruppe um  den da aufsteigenden Junker Bismarck erlag und den parlamentarischen Versuch in Preußen schon im November wieder beendete. Gerade angesichts der Unruhen in den USA und der hysterisch schwachen Reaktion des noch Präsidenten Trump, lohnt es sich kritisch über die harten Kerle nachzudenken, die nie Kompromisse suchen, weil ihnen häufig dafür die kritische Einsicht der Möglichkeiten fehlt, sie das Eingeständnis von Fehlern für Schwäche halten, dahingestellt ob dies bei Wilhelm I. später so war, der ohnehin eher König und Kaiser von Gnaden anderer Genies war, nämlich Moltke und Bismarck.

Mit dem Ende der Hanse als europäischem Freihandelsraum, der sich zunächst über die Ostsee und die deutschen Hansestädte erstreckte, später in ganz Europa Dependancen hatte,endete eine zeitlang die deutsche Vorherrschaft auf europäischen Märkten und wurde durch nichts gleichwertiges ersetzt. Stattdessen bunte Kleinstaaterei, die sich gegenseitig Konkurrenz machte, möglichst vom Nachbarn noch Zölle kassierte, also Geld eher unproduktiv und den Handel behindernd verdiente.

Der siebenjährige Krieg, der zum Zeitpunkt der Reise, die als Grand Tour für einen Gentleman aus bester Familie gedacht war, den Smith als tauglicher Lehrer begleitete, erst zwei Jahre beendet war, ist schon ein Weltkrieg der damaligen Supermächte Frankreich und England gewesen, die sich um Amerika und Indien balgten und scheinbar überall war England als Sieger vom Feld gegangen, auch wenn die nur acht Jahre nach Beginn der Reise bevorstehende Boston Tea Party schon vom drohenden Gegenteil zeugt, was die Franzosen natürlich nach Kräften unterstützten. Auch dort ging es übrigens um Abgaben, in dem Fall auf Tee, also die Beschränkung des Handels durch das Empire und seine dramatischen Folgen, mit der auch die Regierung Trump wieder auf typisch imperialistisch großmäulige Art versucht ihre Schäfchen ins Trockene  zu bringen und noch, so sehr es sich manche Europäer auch wünschen, sind diese Wahlen nicht entschieden, auch wenn der wohl großmäuligste aller amerikanischen Präsidenten bei geringster intellektueller Basis, gerade viel dafür tut, nicht wiedergewählt zu werden.

So reist Smith durch das Europa der Aufklärung, in dem Frankreichs staatlich geprägte Ökonomie der Manufakturen noch eine führende Rolle hat und das mit den Geistern der Aufklärung von Diderot bis Voltaire wie den anderen Enzyklopädisten auch geistig eine führende Rolle spielt, an der sich manch aufgeklärte Herrscher wie Friedrich II. oder Katharina die Große orientieren, deren Großzügigkeit gegenüber Diderot am Ende die Enzyklopädie rettete und damit das aufgeklärt kritische Fundament der späteren Revolution legte. Die Pariser Salons, die unsere Reisenden später noch besuchen werden, sind ein Teil dieser aufgeschlossen kritischen Welt - auf diese Begegnung mit den alten Freunden aus den Bösen Philosophen des sehr geschätzten Philipp Blom, freue ich mich und bin sehr gespannt.

Das schöne an historischen Literatouren, sind immer die Brücken, die sich schließen und mit denen das Netz des Verständnisses wächst, das die Welt verbindet und zu einem offenen Ort macht, der über sich nachdenkt. Die kulturhistorischen Zusammenhänge und Unterschieden in Europa auch durch die teilweise direkt verknüpften Königshäuser, wie Ludwig XIV., der Coup mit der Krone Spaniens für sein Haus gelang, allerdings zum hohen Preis langer Kriege, wie der Aufgabe jeder politischen Verbindung mit Spanien, oder die Ehe zwischen Ludwig XVI. und Maria Theresias Tochter Marie-Antoinette, das neue Bündnis besiegelte, das die Pompadour mit Zarin Elisabeth und eben Maria Theresia gegen Fritz geschmiedet hatte, der die drei prompt die drei Erzhuren nannte, gegen die er Preußen mit viel Glück nur verteidigte.

All dies macht die Nähe der späteren amerikanischen Revolutionäre zu Frankreich klar, die damit den Briten zumindest indirekt noch schaden konnten, wenn sie diese schon nicht im Feld besiegten und so zeigt sich mancher militärisch scheinbar glanzvolle Sieg in der langfristigen Beurteilung als mit so hohen Kosten verbunden, das er dauerhaft doch zur Niederlage wird, weil sich Kriege nie lohnen auch für Preußen nicht, dass völlig von den Landkarten verschwand. Wann die Briten begreifen, was der Sieg Johnsons sie kosten wird, ist noch unklar, auch wer zurückrudern wird, nachdem der gerade noch amtierende Premier noch nicht an Corona sterben durfte,  um dem Spuk ein schnelles Ende zu bereiten, doch werden auch diese scheinbar verwirrten englischen Bestrebungen im größeren europäischen historischen Kontext noch von anderer Seite beleuchtet - wie weit dieses Nein eher ein Bekenntnis zorniger Unpolitischer war, die besser geschwiegen hätten, ist eine andere Frage, die auch eine literarische Betrachtung interessant macht.

Hätte Thomas Mann besser geschwiegen, statt seine deutschnationalen Bekenntnisse eines Unpolitischen aus dem Gefühl und der Seele der Nation zu verfassen, um derentwillen er sich mit Heinrich danach überwarf, der sich dafür immer zu weit links anbiederte, was die DDR-Regierung gerne benutzte, ihn groß zu reden, der zwar der altersgemäß große Bruder war aber literarisch immer eher der Kleine blieb, sehen wir vom Henry IV. ab, was wieder zeigt, wie dankbar ein guter und feiner Blick auch auf die französische Geschichte oder eine Grand Tour dorthin sein kann, um Charakter und Persönlichkeit zu schulen, was keine Fürsprache für meist überflüssige Reisen in einer ständig gehetzten Gesellschaft sein soll, sondern vielmehr die geistigen Prioritäten betont, die ein literarischer Blick auch über die eigenen Grenzen hinaus bringen kann, denn nicht Reisen, sondern Lesen bildet.

jens tuengerthal 3.6.20

Dienstag, 2. Juni 2020

Literatouren 1.6.20

Am Pfingstmontag ein wenig in Hettches Pfaueninsel mit mäßiger Begeisterung gelesen, dafür mit umso größerer Freude einen Text von Joachim Fest in Bürgerlichkeit als Lebensform gefolgt, der unter dem Titel: Die verlorene Kunst - Geschichtsschreibung als Wissenschaft und Literatur, Betrachtungen über Herbert Lüthy als Historiker und Autor anstellt, viel mehr aber noch in die Kunst und Bedeutung des Schreibens von Geschichte eintaucht. Diese Gedanken über die Bedeutung der Sprache bei der Erzählung der Geschichte und der großen Rolle dieser für die Gestaltung der Zukunft wie der Wahrnehmung der Gegenwart, machen es zu einem gerade jetzt, während die Demokratie durch das ungute Wirken zahlreicher Populisten östlich wie westlich Europas, wie teilweise auch mitten in diesem, von Ungarn über Polen bis Britannien und die von Russland aus geführte Propagandaschlacht gegen den Westen, so wichtig einen genauen Blick auf unsere Wahrnehmung zu werfen und worauf es für ein möglichst klares Bild der Geschichte ankommt, ob es dieses gibt.

Was ist Geschichtsschreibung heute und welche Bedeutung kommt ihr in rasenden Medien zu,  in denen sich Schlagzeile über Schlagzeile erhebt, eine die andere, des Geschäftes wegen noch übertreffen will?

Wo steht diese langsame und sorgsame Wissenschaft, welche alte Quellen exakt erforschen muss, will sie sichere Aussagen machen, in einer Zeit dar, in der Präsidenten über soziale Netzwerke kommunizieren und diese zensieren wollen, wenn sie nicht mehr ihrer Meinung entsprechen?

Wie erdrückend ist die Beschäftigung mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts und seiner Schrecken, fragen sich viele, die sich gerne sonst mit Geschichte beschäftigen- Auch ich selbst wich nach der Schulzeit diesem Thema gerne aus, soweit es nicht für Recherchen des eigenen Schreibens erforderlich war. Der Holocaust und die entsetzlichen Auswirkungen der beiden Weltkriege in dessen ersten auch mein Urgroßvater vor Verdun damals fiel, wie es euphemistisch die Gemetzel umschreibend noch immer heißt, wenn einer erfolgreich im Krieg umgebracht wurde, sind kein Stoff der begeistert und Träume für morgen formt, sondern vielmehr einer, der abschreckt und das Grauen über die Abgründe des menschlichen Wesens lehrt.

Dennoch bleibt eine Faszination auch bei diesem Thema, was die Abgründe unseres Seins offenbart und Fest, der große Hitler Biograph, berichtet, wie sein Vater ihm noch davon abriet, sich mit Hitler zu beschäftigen, um diesem Kerl nicht noch mehr Gewicht zu geben, obwohl er selbst als Angehöriger des demokratischen Reichbanners Schwarz Rot Gold, die in der Weimarer Republik parteiübergreifend die Demokratie verteidigen wollten, zu den Gegnern und Verfolgten des Regimes gehörte. Zwar gab es in dieser Generation eine große Scham über das, was geschehen war aber auch das Bedürfnis, diese zu überwinden, die Jahre der Diktatur hinter sich zu lassen.

So erlebte meine Elterngeneration noch die Auseinandersetzung mit ihren Eltern eher als Widerstand und Protest gegen das große Schweigen, der in der Bewegung von 68 seinen Ausdruck fand, die mehr Verantwortung in der Auseinandersetzung einforderte, auf die mit Schweigen und Empörung über andere Provokationen reagiert wurde, was sich gegenseitig bis in die siebziger Jahre hinein noch potenzierte, ohne eine wirkliche Auseinandersetzung je zu erreichen. Damals wurde das Schweigen groß geschrieben, auch ich erlebte noch in meiner Kindheit Worte der Großeltern, die eher zu erklären und rechtfertigen versuchten, was geschah, dass ja nicht alles schlecht war und nach der großen Wirtschaftskrise und der vielen Gewalt auf den Straßen endlich einer kam, der aufräumte und für Ordnung sorgte, was zunächst den Zuspruch vieler Bürger fand, denen die Gefahren des Populismus und die Folgen des Faschismus nicht klar waren, es als deutsche Folklore abtaten.

Das wieder aufgeräumte und stolze Land, das nach der Niederlage von 1918 in konservativen und rechten Kreisen gern über die Dolchstoßlegende schwadronierte, in dem es in bürgerlichen Kreisen noch normal war, deutschnational zu denken, wie meine Großmutter erzählte, die stolz auf ihren Schülerstreich zur Maifeier war, bei dem sie am Bremer Kippenberg die Fahnen vom aktuellen schwarzrotgold der Weimarer Republik in schwarzweißrot der Kaiserzeit austauschte, was heute eher auf eine undemokratische, staatsfeindliche Gesinnung schließen ließe, die ihr fern lag, so politisch war sie nicht, sie sah sich als gute bürgerliche aus konservativer alter Familie, kaisertreu eben und mit Hindenburgs als Nachbarn in Hannover aufgewachsen und damit wohl eher in der Mitte der Gesellschaft als am rechten radikalen Rand, wohin eine solche Aktion heute führte.

Habe als Kind noch über diese Anekdoten gelacht, die Teil der Familienhistorie waren, die ich heute kritischer sehe, weil sie offenbaren, wie ein Teil der Elite in der neuen Demokratie nicht angekommen war und das Spiel der Auflehnung lieber mitspielte, stolz darauf war. An diesen irgendwie Stolz knüpfte Hitler mit seinen Reden an, die Themen wie Nationalgefühl, Blut und Boden, Ehre und Volksgemeinschaft auf schlichte Art variierten. Fest beschreibt in seiner großen Hitler Biografie von 1973 auf den Spuren von Lüthy, der für ihn geistiger Leitfaden war, weil er den offenen, kritischen Blick auf die Geschichte hatte, sich gegen den Totalitarismus von links wie rechts wendete, wie dieser schlichte Versager, der nur ein glänzender Demagoge war, der in unsicheren Zeiten den Ton traf, um damit viele mitzureißen, die sich begeistern wollten, statt sich als Verlierer und Versager in Armut zu schämen, es schaffte in der Politik Bedeutung zu erlangen, die weder in seiner Persönlichkeit, noch seiner Erscheinung vernünftige Gründe fand. Wer verstehen will, warum so etwas funktioniert, wie schlichte Geister mit simpler Demagogie in Führungspositionen kommen, was so viele Menschen ihnen folgen lässt, sollte genau auf die Geschichte schauen, um dies für die Zukunft zu verhindern. 

Wie können wir den Erfolg der Demagogen verhindern, was ist der richtige Weg dazu?

Fest beendet den Text über Lüthy und seine besondere Rolle, der 2006 in der Neuen Zürcher erstmals erschien mit einer Parabel über die Blinden eines indischen Dorfes, die von Buddha zusammengerufen wurden, um einen Elefanten zu beschreiben. Jeder beschrieb das große Tier, dem was er fühlen konnte entsprechend, wer an den Beinen stand, meinte Elefanten seien große Säulen, wer den Rücken befühlte, beschrieb das Tier als einen Hügel, die an den Ohren meinten, Kornschaufeln zu sehen, der am Rüssel war überzeugt das Tier gliche einem Schlauch, hätte eher die Gestalt einer riesigen Schlange.

Jeder hatte von seinem Standpunkt aus völlig recht, begriff aber nicht den Zusammenhang, weil der Blick sich nur auf ein Detail konzentrierte, vergaß, was das Ganze erst ausmacht, genau das aber macht nach Lüthy und Fest den guten Historiker aus, der den Überblick behält und den Zusammenhang erkennt, statt sich nur auf ein Detail zu konzentrieren, was den Blick trüben kann und genau dies zu sagen, hielt Fest für eine der wichtigen Aufgaben der Zukunft. Erst im Zusammenhang wird die Geschichte klar und durchsichtig, die Lehren aus ihr verständlich.

Dieser Punkt ist es, der mich begeistert hat, weil er zeigt, worauf es im Kern der Beschäftigung mit Geschichte ankommt. Natürlich ist es in Studien wichtig, die Detailarbeit mit Quellen zu beherrschen, wie es Lüthy mit seinem großen Essay über Frankreich und warum dort die Uhren anders gingen bewies. Der kluge Schweizer, der eine der ersten modernen Übersetzungen Montaignes schuf, hat genau diesen Punkt beherrscht, den im politischen Kampf um Detailfragen auch unter dem Einfluss verschiedener Lobbyisten, viele gerne detailversessen vergessen. 

Geschichte wird erst aus den großen Zusammenhängen verständlich, wenn ich die handelnden Personen einordnen und ihre Taten verstehen kann. Dazu gehören auch die familiären wie sozialen Zusammenhänge, die eine moralische Haltung erklären und in den nötigen Kontext stellen, erst so kann ich Geschichte verstehen., warum der Blick in und auf die Familie der Anfang eines wirklichen Verständnisses für Geschichte ist. Zu den eigenen Wurzeln gehen, liegt uns relativ nahe, aus diesen ergibt sich der Zusammenhang, weil es sich mehr vom aktuellen Horizont und seinen Wertungen löst, soweit das überhaupt möglich ist.

Habe bei meinen Großeltern eine starke Wandlung in ihrer Sicht und der Darstellung ihrer Rolle in der Zeit des sogenannten Dritten Reiches erlebt. Hatten sie ihren Kindern, also meiner Elterngeneration gegenüber, noch geschwiegen, sich gegen alle Vorwürfe gewehrt, waren ausgewichen mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit des Neuanfangs, wie ihn auch Adenauer so gern zelebrierte, stellten sie sich mir gegenüber langsam anders dar. Diese Wandlung vollzog sich in mehreren Schritten bei der väterlichen wie der mütterlichen Seite.

Gegenüber mir als Enkel war der Stolz nicht mehr so stark, sie versuchten eher die Situation zu erklären, wie schwer die Zeiten waren, warum sie Anfangs auf einen guten Weg unter Hitler noch hofften, was alles Gutes auch begann. Von der Ruhe auf den Straßen bis zu den plötzlich staatlich beschäftigten vielen Arbeitslosen, dem plötzlichen Stolz auf ihr Vaterland, dass wie etwa bei Olympia 1936 wieder jemand war. Dabei wurde immer auch vor der zugleich Gefahr von den Kommunisten gewarnt, die als mindestens ebenso große, wenn nicht sogar gefährlichere Bedrohung für Freiheit und Wohlstand gesehen wurde.

Fragte ich bei meinem Großvater väterlicherseits nach, der Jura und Volkswirtschaft studiert hatte, ob er an das Programm glaubte, flüchtete er sich zuerst mit seiner Frau zusammen in allgemeine Floskeln, gab aber im Detail zu, schon gemerkt zu haben, dass es so ökonomisch eigentlich nicht funktionieren konnte, aber es wären mit der Rentenmark und nach der großen Krise von 1929 auch unsichere Zeiten gewesen, in denen sich an jede Perspektive geklammert worden wäre, wobei er nie Parteimitglied gewesen wäre und wusste warum,

Der antifaschistische Schutzwall, wie das totalitäre Regime der DDR seine Grenze zum freien Westen nannte, galt als Rechtfertigung doch besser nicht zu streng mit den vielen Mitläufern zu sein, weil die Bedrohung durch die brutalen Russen doch mindestens ebenso groß wäre. Dabei erzählten beide Großmütter von der Angst der Frauen vor den vergewaltigenden russischen Horden, den wilden Kosaken aus dem fernen Asien, die sich wie Tiere benommen hätten, ohne dass es eine von beiden erlebt hätte, aber die Legende war Teil des Wiederaufbaus im Westen nach 1945, diente wohl auch der Rechtfertigung, da wer sich so geopfert hatte, nicht mehr für das vorige Wegsehen oder Mitmachen rechtfertigen musste, die bösen Russen, die sich an den deutschen Frauen rächen wollten für die Taten der Reichswehr im Osten, die aber, nach anfänglicher Erzählung der Großväter noch sauber geblieben wäre, da die Verbrechen wie die Konzentrationslager von der SS begangen wurden, keiner etwas davon wusste. Manche Widersprüche sehen wir erst mit viel Abstand, weil die Neigung alles nett erzählte, nett zu finden, größer ist als das Bedürfnis nach Aufklärung und historischer Wahrheit, zumindest der Vermeidung klarer Lügen, was immer die Wahrheit auch sein soll. 

Die Lüge von der sauberen Reichswehr hat Reemtsma mit seiner Wehrmacht Ausstellung, die in den Neunzigern durch Deutschland wanderte widerlegt. Die Reichswehr war nie sauber, es konnte jeder wissen, was geschah, zumindest wer wollte und hin sah.. Zugleich änderte sich seit der Weizsäcker Rede von 1985 die Bewertung der Niederlage als Befreiung auch im konservativ bürgerlichen Lager.

Bei einem der Besuche bei meinen Großeltern in Bremen gastierte die Ausstellung im Rathaus, sie rieten mir vom Besuch ab, da dies doch eher ein linkes verzerrtes Bild wäre, was die Geschichte verfälschen würde, viele unschuldige Soldaten und Offizieren zu Tätern machte, die doch nur, wie es eine Frage der Ehre wäre, ihr Vaterland verteidigen wollten. Vermied damals den Konflikt mit den Großeltern noch, schaute mir die Ausstellung an anderen Orten an, weil es mir auch nicht passte, dass hier ein pauschaler Vorwurf erhoben werden sollte, familiärer Frieden persönlich näher liegt als ein gerechtes Bild der Welt.

Zwar lag mir der Schlußstrich fern, was ich auch von den Großeltern nie hörte, dabei wurde sich eher indirekt ausgedrückt, dass Deutschland ja seine Verpflichtungen aus dem Krieg sehr großzügig nachkomme, womit dies kein Thema sein müsse, aber in der Wirkung war der noch aus der Nachkriegszeit stammende Geist, der vom Wiederaufbau als hungernde oder vergewaltigte Opfer des Krieges geprägt war, auch wenn es der mütterlichen Großmutter als Übersetzerin für die Engländer noch relativ gut ging, stärker als die Schuldgefühle für das, was in deutschem Namen geschah. Dafür wurde gern singulär Hitler verantwortlich gemacht, der gemeine Deutsche hätte ja nichts gewusst.

Lange erzählte meine Großmutter mütterlicherseits etwa die Geschichte, wie die Engländer sie, bevor ihr Dienst für die Truppe begann, in ein Konzentrationslager führten und welcher Schock das für sie gewesen wäre, weil sie ja nichts geahnt hätten von dieser vor den gutgläubigen Deutschen völlig verborgenen Brutalität. Die Großväter hielten sich da eher zurück. Es galt die Formel, sie hätten schon wissen können, wenn sie nachgeforscht hätten, aber das tat ja keiner, weil alle Angst hatten, was ihnen drohte, würden sie für Systemgegner gehalten, weil die Angst vor dem Lager, von denen keiner etwas gewusst haben will, größer war als Neugier und Gerechtigkeitssinn, wie ich heute ergänzen würde.

Mit dieser Art der Betrachtung und ihren Widersprüchen, bin ich groß geworden. Zugleich aber gab es auch andere Geschichten, wie die der Verhaftung meines Urgroßvaters in Bremen, der angeblich seinen jüdischen Bankier auf der Straße gegrüßt hatte, sogar den Hut zog, nicht die Straßenseite gewechselt hatte also für bürgerlich Höflichkeit im Gefängnis landete, aus dem ihn die Arbeiter seiner Fabrik angeblich rausgebrüllt haben, nach anderen Gerüchten ein Wort Görings, der ihn noch als ersten Ingenieur Richthofens in dessen Staffel gekannt habe, was weniger ehrenvoll natürlich klingt.. Diese Geschichte wurde von der mütterlichen Großmutter schon früh mit Stolz erzählt, obwohl die angeblich auch guten Taten der Nazis noch gerechtfertigt wurden, für Verständnis zumindest geworben wurde. Hier wurden eigentlich schon innere Widersprüche deutlich, die ein typisches Produkt der verdrängten Verantwortung sind wie Aleida Assmann so treffend in Der europäische Traum schreibt, dahingestellt ob die Beschäftigung mit Problemen diese eher verstetigt oder aufhebt.

Ganz langsam nach 1985 wandelte sich das Denken der älteren Generation. Sie übernahmen die Verantwortung, für das, was geschehen war zwar nicht sofort aber sie bemühten sich immer mehr den eigenen Abstand zum Regime zu betonen. Sahen das Ende des Krieges mehr als Befreiung denn als Niederlage,  wie Weizsäcker es erstmals formuliert hatte. Plötzlich tauchten Geschichten auf, nach der mein Großvater etwa den Tisch mit deutlicher Unwilensbekundung verlassen hätte, nachdem ein Bekannter dort die Taten in der Nacht vom 9. November 1938, der lange Kristallnacht genannten Reichspogromnacht, gelobt hatte, was ein gefährliches und mutiges Verhalten gewesen wäre. Dazu war mein Großvater relativ schweigsam, meinte nur, es wäre eine Frage des Anstands gewesen und dieser Kerl sei ja auch ein unangenehmer Zeitgenosse gewesen. Dies stille hanseatische Heldentum, was nicht viel von sich redete, tat, was moralisch geboten war, ansonsten lieber schwieg, spielte eine Rolle auch in meiner Betrachtung der Geschichte und ihrer eigentlich offenbaren Widersprüche, denen ich nicht nachging, weil ich den Großvater lieber mit Respekt als stillen Helden betrachtete, denn als meist feigen Mitläufer, was wahrscheinlicher wäre, wozu ich aber zu wenig weiß, kompetent urteilen zu können und mit dem Hauch des Halbwissens mich dann lieber auf die Heldenseite lehnte, zumal ich im Studium verschiedene Nachfahren der Helden des Widerstandes kennenlernte, dabei lieber eine Zugehörigkeit fühlte, als zu offenbaren, was wirklich war.

Vielleicht ist das heutige Bedürfnis lieber einen Helden des Widerstandes als Großvater zu haben, auch wenn das wohl keiner wirklich war, zumindest keinen Täter und keinen nur Mitläufer, wichtiger für die Zukunft als die tatsächlichen historischen Ereignisse, weil die Umbesetzung der Werte eine deutliche Sprache spricht, die in eine Gesellschaft führt, in der Widerstand gegen Totalitarismus als Heldentum gesehen wird, Identifikation auch in der folgenden Generation lieber mit den Opfern oder zumindest Gegnern des Regimes gesucht wird, um eine positive familiäre Geschichte zu haben.

Der väterliche Großvater, der zwar nie wieder nach dem Krieg wohl ein inniges Verhältnis zu seinem Bruder aufbaute, der für die Nazi in nicht ganz unwichtiger Position in seiner Heimat Wilhelmshaven gearbeitet hatte, aber kurz vor Kriegsende wieder als Pfarrer Unterschlupf bei seiner Kirche fand, die ihn noch viele Jahre als Jugendleiter beschäftigte, sich aber gerne damit lautstark brüstete, dass er durch seine guten Kontakte nach Berlin seinen Bruder nach dieser Sache in Belgien gerettet hätte, was mein Großvater weit von sich wies, der nach dem 20. Juli als sich sein Name auf den Listen Goerdelers fand, angeklagt wurde allerdings wegen einer angeblichen Unterschlagung, die er nach eigener Aussage nie begangen hätte, sagte, er sei kein Nazi gewesen, aber als Vater von vier Kindern auch nicht in den Widerstand gegangen, obwohl es wohl gute Kontakte über Kameraden aus der Kadettenzeit gab.

Trotz mehrfachem Nachhaken, habe ich dabei nie mehr erfahren können als die letzte Version, dass sein Kadettenfreund Bülow, auf dessen Gut in Güstrow sich die Großeltern einst kennenlernten, seinen Namen als vertrauenswürdigen Beamten weitergegeben habe, der eher auf Seiten des Widerstands stünde, er aber sonst nichts gewusst hätte, was er doch auch der Großmutter nie hätte antun können. Allerdings saß zum Zeitpunkt der Erzählung, etwa ein halbes Jahr vor seinem Tod, die Großmutter mit am Tisch, der er immer geschworen hatte, nichts mit dem Widerstand zu tun zu haben, weil er doch nicht sein Leben riskieren sollte. 

Alleine habe ich ihn dazu nicht mehr gesprochen, allerdings scheint mir aus heutiger Sicht und im Wissen darum, wie geheim Widerständler ihre Tätigkeit lange gehalten haben, aus Gesprächen mit Witwen und Opfern der Zeit, die Aussage mindestens fragwürdig, vor allem im Angesicht der Tatsache, dass ihn nach dem Krieg ein ehemaliger belgischer Ressistancekämpfer als Zeuge bei der Aufhebung des Betrugsverfahrens verteidigte, über den ich wiederum von einem uralten Straßburger Freund, der selbst mit der Resistance das Elsass wieder befreit hatte, nach voriger langer Odyssee durch Russland und Afrika, die hier aber kein Thema sein soll, erfuhr, dass er ein führender Kopf des dortigen Widerstands war, wenn er für meinen Großvater aussage, ich davon ausgehen könne, dass er mehr wusste, als er zu Lebzeiten sagte.

Dieser Großvater war zwar als ehemaliger kaiserlicher Kadett ein Konservativer gewesen aber sein Studium im Paris der 20er spricht schon für einen weiteren Blick, gelegentlich äußerte sich auch so, dass die besondere Betonung, dass er ja schon seiner Frau wegen, sich nie dem Widerstand angeschlossen hätte, nicht mehr ganz glaubwürdig im Schatten seines sonstigen Lebens wirkte, doch schien ihm bis zu seinem Tod 1991 wichtiger in Frieden mit seiner Frau zu leben, keine Lüge zu offenbaren, als sich vor dem Enkel als Held darzustellen, was ja nach der Rede von Weizsäcker zur Befreiung wie infolge des langjährigen Wirkens von Marion Gräfin Dönhoff als Publizistin langsam möglich und normal geworden war.

Ob meinem Großvater dabei die preußische Bescheidenheit wichtiger war als der Glanz eines späten Heldentums vor seinem Enkel, der ihn dazu sehr nachhaltig befragte, weil er die Geschichten von seinen alten Straßburger Freunden aus der Zeit des Widerstandes gehört hatte oder schlicht der eheliche Friede, weiß ich nicht zu sagen, alles spräche nicht gegen eine gewisse Altersweisheit, der Frieden mit seiner Frau halten ließ, was ein alles überragender Punkt gewesen sein könnte, denn nicht umsonst fürchtet mancher, der bei einer Lüge erwischt wurde, dass er auch anderer verdächtigt werden könnte und insofern handelte er sehr vorausschauend wohl.

Während die väterliche Großmutter bei der Befragungen zu Leben und Alltag in der NS-Zeit auch wiederholt betonte, dass ja auch manches erstmal besser geworden sei, hielt sich der Großvater, der gerne das Wort sonst immer führte und das letzte noch lieber hatte, erstaunlich zurück, deutete nur einmal an, es war die Zeit der Wehrmachtsausstellung, dass es solche und solche gegeben hätte, blieb also nicht bei der Behauptung der sauberen Wehrmacht, was ein echter Paradigmenwechsel für einen sonst stolzen Lichterfelder Kadetten war, der lange auch der NATO als Diplomat diente.

Auffällig dagegen wandelte sich bei der Bremer Großmutter die Betrachtung der Zeit und der Rolle der Familie in ihr. Zum einen wurde die Geschichte vom großväterlichen Protest in der Nacht des 9. November nach dessen Tod immer neu ausgeschmückt, zum anderen erzählte sie irgendwann, sie sei zur Ehrung ihrer längst verstorbenen Schwiegereltern in Yad Vashem ins Bremer Rathaus eingeladen worden, die angeblich ein jüdisches Ehepaar über den Krieg versteckt hätten. Habe zu den Details dieser schönen Familiengeschichte nicht weiter nachgeforscht, finde es aber sehr spannend, wie sich das Bewusstsein gewandelt hat im Laufe der Zeit.

Von der anfänglichen Abwiegelung, sie hätten ja nichts gewusst, über die dann Verharmlosung und Relativierung, wie die Inszenierung des eigenen Vaters als zumindest etwas Widerständigen, weil er seinen Bankier gegrüßt hatte, zum Heldentum des Gatten und der Schwiegereltern im aktiven Widerstand, nahm meine Großmutter noch mit über neunzig eine vollständige Änderung ihres Selbstverständnisses und ihrer Rolle vor, die zumindest ein indirektes Heldentum schuf, was den Widerstand als gut und richtig darstellte, damit konsequent gedacht die eigene vorherige Verharmlosung als falsch sehen musste.

Ob sie so weit dachte, kann ich nicht beurteilen, das Alter verleiht ja über das Gedächtnis auch manche Gnade der Betrachtung, die sich dem normalen Durchschnitt weniger erschließt, zumindest hat sich in ihrem moralischen Gewissen etwas entwickelt, was im hohen Alter noch die Rolle der Familie unter der Diktatur anders definierte als viele Jahrzehnte davor, wo wirtschaftlicher Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung wichtiger waren.

Schwierig an diesen Berichten von Augenzeugen ist immer, dass sie aus ihrem Erleben nur erzählen, mit dem sie irgendwo an dem Elefanten standen, also selten mit Abstand über das Ganze berichten, noch als Beteiligte Zusammenhänge erkennen können. Auch die Motivation zur Darstellung der Ereignisse veränderte sich. So war es meiner bremischen Großmutter im Alter wichtig als politisch korrekt wahrgenommen zu werden, was einerseits eine Wandlung bedeutete, andererseits aber auch ihrem in vielem an ihre Rolle angepassten Verhalten entsprach, die sich zwar gerne etwas widerständig und wild gab, solange es im gesellschaftlich korrekten Rahmen blieb, der von einer Lady erwartet werden durfte.

Nachdem Marion Dönhoff mit ihren Büchern und den Geschichten des Widerstandes wie dem Einsatz für die deutsch-polnische Begegnungsstätte auf dem moltkeschen Gut Kreisau in Schlesien eine völlige Umwertung des Widerstandes geschaffen hatte - die nach dem Krieg noch teilweise als untreue Offiziere behandelt wurden, auf die weniger Verlass wäre, schien es gegen Ende des Lebens meiner Großmutter verlockender, dem Widerstand anzugehören und als Heldin am Rande gesehen zu werden.

Was immer nun historisch in beiden Familien wirklich war, hat sich doch die Darstellung und die Wahrnehmung innerhalb einer Generation beim größten Teil völlig gewandelt. Plötzlich war es ein Wert, als Held wahrgenommen zu werden, der irgendeine Nähe zum Widerstand hatte, die vor den eigenen Kindern, die mit Wut 1968 noch eine endlich Rechtfertigung forderten, völlig geleugnet worden war, denen sie jede Erklärung schuldig blieben, auch weil sie lieber verdrängten, um erfolgreich weiter zu funktionieren, alten Autoritätsidealen folgten, welche die folgende Generation dann gerne vollständig negierte.

Aber auch als Enkel bemerkte ich den Prozess der Veränderung bei der Darstellung der eigenen Rolle und der Betrachtung der eigenen Vergangenheit innerhalb zweier Jahrzehnte. Die erzählte Geschichte änderte sich damit für die Augenzeugen in relativ kurzer Zeit, wie wird sich dies erst in den folgenden Generation verändern, frage ich mich, wie etwa werden meine Enkel mich lesen und wie werden deren Kinder dies wiederum auslegen. Wann schreiben wir Geschichte und wann schreiben wir sie nur auf, liegt im Bericht schon der Wille zur Gestaltung und wohin führt dieser?

Die Geschichtsschreibung entwirft ein Bild ihrer Zeit, sie stützt sich dabei zuerst auf Augenzeugen und dann auf Dokumente und andere Quellen, die eine Aussage entsprechend unserem jeweiligen Horizont ermöglichen. Betrachte ich all die unterschiedlichen Wertungen, die durch eine den Zeitverhältnissen entsprechende aktuell politisch korrekte Sprache erreicht wird,  die immer bestimmte Ausdrücke mehr oder weniger bestraft oder lobt, wird die relative Gültigkeit der Geschichtsschreibung deutlich.

Fest betonte noch wie Lüthy als exakter Historiker die Notwendigkeit genauer Quellenstudien, welche für glaubwürdige Ergebnisse unabdingbar sind, doch scheint mir auch nach eingehender und kritischer Betrachtung nur der nächsten familieninternen Quellen und ihrer Wandlung der Betrachtung sehr wichtig zwar die Geschichtsforschung als Bild der Zukunft möglichst exakt zu betreiben, aber zugleich auch sich immer bewusst zu bleiben, wie relativ stets unsere Wahrnehmung ist, um zu merken, was bleibt und was wieder verschwindet.

Der Genderdiskurs etwa, der manch seltsame Verwirrungen im Gebiet der Sprache erzeugte, sorgte für eine Veränderung im Bewusstsein der Wahrnehmung von Rollen. Folgende Generationen werden dadurch die Welt auch sprachlich anders wahrnehmen und ihre Sicht anders abbilden. So sehr ich mich auch als Historiker, der ich auch darum nicht bin, beispielsweise anstrenge, werde ich immer nur ein Bild meiner Sicht abliefern können, die durch vieles geprägt wurde, dessen ich mir seltenst vollständig bewusst bin, male also ein Bild der Zustände zu einer Zeit und liefere nie ein Foto ab. Sogar wo ich Fotografien habe, werden diese immer nur ein reflexiver Spiegel der Wirklichkeit sein, die ich wahrnehme, wie es meinem beschränkten Horizont entspricht.

Schaue ich irgendwelche Bilder früherer Geliebter an, staune ich gelegentlich über mich, was ich an diesen jemals fand oder diese an mir, weil nach dem Abkühlen der hormonellen Prägung die Wahrnehmung logisch eine andere ist.

Ist nun die ehemalige Geliebte zu der Zeit, in der sie mir als schönste der Welt erscheint, weil mein Gefühl es so will, objektiv schöner gewesen oder nur meine Wahrnehmung emotional getrübt?

Die Antwort kenne ich gut - Liebe verblendet und Gefühl macht noch die abstruseste Figur uns zur Schönheit, schaue dann subjektiv geprägt und entsprechend schön scheint mir, was ich liebe. Doch macht Liebe wirklich schön oder nie objektiv, gibt es objektive Schönheit oder ist, exakt betrachtet, jedes ästhetische Urteil immer auch subjektiv, weil der Goldene Schnitt etwa, zwar helfen kann aber die Summe der Einflüsse uns nie vollständig bewusst ist, wir nur einen Teil erfassen können, also auf das Gefühl als Maßstab unseres Urteils angewiesen sind und so könnte ich am Ende feststellen, dass es keine objektive Schönheit gibt, jedes Urteil vom Gefühl bestimmt wird und was diesem gut tut, womit wir uns also wohl fühlen, nicht schlecht für uns sein kann, auch wenn wir der Glaubwürdigkeit unserer geschmacklichen Urteilen gern den Anschein relativer Objektivität geben, dürfte diese eine absolute Illusion sein, finden wir dafür Bestätigung bei anderen, bedeutet dies nur, dass wir gelernt haben uns gut an Moden oder ähnliche moralisch fragwürdige Schwankungen anzupassen.

Wo wir durchschnittlich werden und uns also vom eigenen Empfinden entfernen, wird der Grad der Zustimmung zu unserem ästhetischen Urteil zunehmen, bekommt es den Anschein der Objektivität, warum vermutlich so viele Menschen sich inzwischen kosmetischen Operationen unterziehen ihre relative Durchschnittlichkeit  zu erhöhen. Dies ist besonders stark bei denen, die behaupten einen eigenen Stil zu haben, der die Varianten der Mode noch tiefer im Empfinden spiegelt, was entsprechend graduell an Eigenständigkeit verliert, sie sind vermeintlich individuelle Spiegel des Zeitgeistes ohne eigene Standkraft.

Spannend wird es schließlich wo das ästhetische Urteil sich mit dem moralischen mischt, wie wir es etwa noch im vergangenen Jahrhundert mit der Diskussion von Rassemerkmalen und Verbrechervisagen oder ähnlich fragwürdigen Zuordnungen hatten. Diese absurde Diskussion endete für Millionen Menschen tödlich. So urteilen wir heute über solche Versuche moralisch klar und streng, weil sie nur Vorurteile schaffen, nicht dem Einzelnen gerecht werden.

Dennoch wenden wir in der Praxis auch zur Wiedererkennung ständig solche Muster an, damit unser Gehirn funktioniert, auch wenn wir diese aus guten Gründen moralisch verurteilen. Sind wir also noch ehrlich oder eher nie?

Welchen Wert haben moralische Verurteilungen, die dem widersprechen, was unser Gehirn tatsächlich macht, um Menschen wiederzuerkennen?

Das ganze System scheint relativ fragwürdig und wenig geeignet ein zuverlässiges, etwa dem kategorischen Imperativ entsprechendes Urteil zu liefern. Was ist dann ein historisches Urteil je wert, dass auf solch relativen Kriterien fußt, die logisch die Basis unserer Wahrnehmung sind?

So mag ich davon überzeugt sein, den ganzen Elefanten zu sehen, also den historischen Zusammenhang zu erkennen und weiß doch, wäre ich ehrlich und nicht nur ein gieriges kleines Würmchen, dass seine Leistung am Markt verkaufen muss, müsste ich gestehen, es gibt keine objektive Geschichtsschreibung, so wenig wie historische Wahrheiten, kann nur so gut wie möglich Geschichten schreiben, wie es etwa ein Herodot tat, um zumindest den ästhetischen Genuß zu bieten, wenn ich schon die Lüge vermeintlicher Exaktheit vorkaspere, um mich gut zu verkaufen, sollte es doch zumindest schön sein, dann bleibt bei der Lektüre der historischen Märchen zumindest der ästhetische Genuß übrig, was doch am Ende ein Wert wäre.

jens tuengerthal 2.6.20.

Montag, 1. Juni 2020

Müggelliteratouren

Am Pfingstsonntag bei schönstem Wetter auf den Spuren des Friedrishagener Dichterkreises zum Müggelsee in schöner Begleitung gefahren, was die Preußenliteratour von Freitag zumindest personell noch fortsetzte und in die Gegenwart wie nach Berlin trug.

Mit S-Bahn und Regionalbahn ging es nach mehrfachem Umsteigen aufgrund der mal wieder Baustellen über Erkner nach Rahnsdorf, wo wir noch maskiert die Bahn verließen und in Richtung Wald aufbrachen, den großen Müggelsee zu umrunden bevor wir uns der Dichtung dort widmen wollten.

Ein wunderbarer Weg durch den Wald, mit Laternen, die, wie so vieles in der östlichen Provinz, auch wenn sie sich Berlin nennt, ihre Herkunft aus der DDR nicht verleugnen konnten, wo sie nicht an schönere vorherige Zeiten erinnert, führte kerzengerade parallel zur Straße gen Rahnsdorf, wo wir nach einem Marsch an mehr oder weniger schöne Villen im märkischen Sand vorbei, das alte Fischerdorf erreichten, wie nach kleinem Umweg die von der BVG betriebene Fährtstation.

Die Ruderfähre überquerte mit nur jeweils vier Personen die hier schmale Müggelspree und wir hatten bei ihrem Eintreffen schon überlegt, wie lange wir dort wohl noch warten müssten, bis wir schließlich an der Reihe wären, dabei aber glücklicherweise entspannt im Halbschatten auf einer Bank sitzend. Mit Monatskarte konnten wir, die nach der bloßen Ruderfähre von gegenüber eintreffende, Personenfähre maskiert nutzen. Die Zahl der Maskierten dort verhielt sich umgekehrt proportional zu Alter und Risiko der Beteiligten - will sagen, je älter desto doller und weniger vorsichtig waren die Mitfahrenden, dahingestellt, was nun normal wäre, ob mehr Vorsicht oder Nachsicht hier geboten wäre, jeweils von hinten oder vorne, was ein weites Feld der Betrachtung wohl eröffnet.

Kaum hatten wir das andere Ufer ein wenig oberhalb erreicht, nun quasi gegenüber von Entenwall und Dreibock, wie die kleinen Inselchen zwischen Müggelspree und Müggelsee ihrer Bewohner vermutlich und ihrer Form wegen genannt wurden, beschlossen wir auf guten Vorschlag meiner schönen Begleitung das Speiserestaurant mit Garten Terrasse Neu Helgoland zu besuchen, was schon namentlich an unserer beider norddeutsche Heimat erinnerte. Wir nahmen die Plätze nach Neigung ein, sie lieber gut eingecremt in der Sonne, ich bevorzugte weder eingecremt noch mit so geschlossen, gelocktem Haupthaar versehen, den Schattenplatz, ihr gegenüber, auch wenn dieser schon inhaltlich natürlich einer an der Sonne war.

Platziert wurden wir, nachdem wir Namen und Telefonnummer als Corona-Abwehrmaßnahme beim nicht maskierten Empfangskomitee hinter dem spürbaren antifaschistischen Schutzwall schriftlich hinterlassen hatten, von einer Dame in den besten Jahren mit blondierter Frisur und am Hals sichtbar schwarzer Unterwäsche, die allerdings die Neugierde auf weitere Nachforschungen diesbezüglich in überschaubaren Grenzen hielt. Die Terrasse war gut gefüllt mit Bootsausflüglern, privilegierten Stammkunden und sonstigem Publikum der östlichen Randbezirke, was manche wohl bildungsferner aber zumindest nicht unbedingt bürgerlich nennen würde, was sich relativ gut dressiert verhielt, ohne dass ich sie des korrekten Corona-Abstandes wegen genauer ins Auge nehmen konnte.

Kaum saßen wir, kam die Bedienung und fragte, was wir trinken sollten, worauf wir im anfängerhaften Leichtsinn - wir waren ja das erste mal an dieser Seite der Müggelspree gelandet und hatten auch noch keinen der berüchtigten Tanztees im Neu-Helgoland besucht, zu dem viele der mittelgroßen oder gernegroßen der Schlagerbranche wohl aufspielen, wie wir bei unserem Abgang an einschlägigen Plakaten erkennen konnten, die den Eingang dekorierten aber wir zwei waren ja quasi von hinten gekommen, also vom Fähranleger aus, was die Unwissenheit vielleicht entschuldigen kann - den Bedienenden zunächst um die Karte baten. Die Quittung war, wir erhielten unsere Soljanka umgehend und das mitbestellte Radler, nachdem wir die Suppe bis zum letzten ausgelöffelt hatten, den schon Flüssigkeitsmangel auszugleichen. Zumindest konnte keiner sagen, wir wären nicht vorher gefragt worden und so nahmen wir die bei solch ungewöhnlichem Bestellverhalten wohl übliche Trennkost gelassen hin und gossen das mit Limonade verdünnte endlich Bier auf die im Bauch ruhende Suppe. Dafür waren wir im wilden Osten, saßen direkt auf der Terrasse am Seeufer und bekamen noch kostenlos den Charme der untergegangenen DDR mitgeliefert, machten also quasi auch eine Zeitreise.

Am Seeufer entlang ging es durch den Wald, der nur von einem kleinen Sandstrand unterbrochen wurde, auf dem sich kleinstädtisches Publikum der de facto immer noch Großstadt Berlin, zu der dieser See samt Umgebung gehört, seiner Art entsprechend sonnte. Es ist nicht nur durch viele Natur eine völlig andere Welt als Prenzlauer Berg oder Mitte, Bäume gibt es ja bei uns auch, zumindest den einen oder anderen, vor allem unterscheiden sich die Menschen, ihre Kleider und ihr Gebaren völlig vom sich gern für großstädtisch haltenden gen Zentrum. Landbevölkerung eben, vielfach auch übergewichtig, mit bunter Tinte teilweise entstellt oder aus ihrer Sicht vermutlich verziert, Kinder heißen vielfach Kevin und werden so auch laut gerufen, was dem ganzen eine eher akulturelle Atmosphäre gibt und daran erinnert, dass diese Menschen in ihrem Kulturkonsum auf die Angebote des privaten Fernsehens meist beschränkt sind, so viele Bücher wie Donald Trump in ihrem spannenden Leben lasen und die Zahl der auf ihren Bauch bereits gekommenen Biere gerne vor sich her tragen.

Aber dieses ostzonale Publikum, was den arroganten Großstädtern eher peinlich erscheint, tauchte nur wenige male geballt auf, am aufgeschütteten Strand, an einer Anlegestelle vor Plattenbauten mit lärmenden Buden wie vor und nach dem Spreetunnel - ansonsten war die Natur wirklich schön, es zeigten sich auch gelegentlich eher großstädtisch kultiviert wirkende Menschen, an romantischen Buchten mit schicken Fahrrädern, was für den Anblick der Landbevölkerung, die hier eben heimisch ist, trotz wunderschöner Umgebung oder vielleicht auch wegen, wieder entschädigte, vor allem war meine schöne Begleitung in jeder Hinsicht so ein Kontrapunkt zu den Eingeborenen, dass nichts mich nachhaltig stören konnte.

Nach Unterquerung der Spree durch den gekachelten und graffitiversifften Tunnel, der einen echten Berlin-Flair zumindest gab, kurz nach 16 km im dort Müggelpark pausiert, der erwartungsgemäß mit ähnlichem Publikum vom Stamme der östlichen Provinz begeisterte, was die Vorstellung des hier einmal Dichterkreises noch ferner liegen ließ, eher an Haialarm am Müggelsee erinnerte oder noch niedrigschwelligere eben Unterhaltung der arbeitenden Klasse. Was sich ladungsweise mit ankommenden Schiffen wieder bestätigte - aber, und das sei hier betont, nicht mißverstanden zu werden, wir wissen um die theoretisch hohe Lesekultur der DDR und das Bemühen einiger Personen auch im Arbeiter und Bauernstaat Hochkultur zu pflegen mit auch literarisch mehr als bemerkenswerten Ergebnissen, auch aus dem LSD Dreieck um den Helmholtzplatz, es gab auch die andere Seite - um den Müggelsee ist sie nur eben nicht so wirklich sichtbar, das ist das Lebensgefühl von Freizeitpark und was Goethe noch liebevoll Volkes wahren Himmel nannte.

Auf der Suche nach dem Antiquariat, mit dem das Museum des Friedrichshagener Dichterkreises verbunden ist, machten wir uns schließlich auf den Weg Richtung S-Bahn, um auch sonstige abendliche Termine der Großstadt noch entspannt erreichen zu können, auch wenn natürlich wenig je an den Müggelsee heranreichen könnte. Davor pausierten wir noch einmal wie ursprünglich geplant vor einem kleinen, für die Lage relativ feinen Bistro, das sich, sehen wir vom bestaunenswerten Umfang der Bedienung einmal ab, auch in Mitte oder angrenzenden Bergen befinden könnte, genossen Gemüse-Quiche und Apfelstrudel zu Tee mit Latte ohne Milch und Kaffee mit richtiger Milch ohne mich, direkt an der verkehrsarmen Hauptstraße.

Was hatte bekannte Dichter und Geister der Zeit wie Lou Andreas-Salome, Else Lasker-Schüler, Gerhard Hauptmann, Max Dauthendey; Knut Hamsun oder die Dehmels sich hierher verirren lassen?

Faszinierte den Kreis von Naturalisten das Provinzielle oder die schönen Häuser aus preußischen Zeiten, als sie noch im Kaiserreich dort ihren Naturalismus zu pflegen begannen, angeblich bohémehaft lebten und lebensreformerische Ziele verfolgten, also vermutlich ab 1890 wie später erst auf dem Mont Verita im Tessin, hier nahe der Müggelberge, was natürlich schon sprachlich im Vergleich etwas peinlich klingt, aber das ist halt Berlin, freie Liebe prakatizierten, was eher technisch als erotisch ist, damit aber dem meist Ergebnis der Sexsuche in Kommunen gut entspricht, oder gar nackt badeten. Der Gedanke befremdete viele dort wohl heute wie damals oder ist es eher so, dass den Autor der Gedanke freier Liebe mit diesem Publikum abstrus schien, was längst pornogeschult und nacktrasiert fast professionell vögen wird?

Zumindest hatten wir am anderen Ufer noch einen Fotografen gesehen, der im Halbschatten einer beschilften Bucht mitten im Wald der Müggelseeküste eine nackte Nymphe mit Arschgeweih, wie es unter brandenburgischen weiblichen Eingeborenen weiter verbreitet ist, als je schön war, zu fotografieren versuchte, ein zumindest entfernt kulturelles Ereignis wohl, auch wenn noch am anderen Ufer von Friedrichshagen. Den Kurven und Rundungen nach aus knapp 15m Entfernung oberflächlich geurteilt, kein gänzlich unästhetischer Anblick, trotz der tintesken Entstellung, aber wer wollte sich in vollkommener Natur und in Begleitung einer Dame mit solchen Oberflächlichkeiten bemalter Mädchen beschäftigen? 

Zumindest zeigte die als Natur schöne Umgebung, dass sich in ihr auch ästhetische Reize auf vielerlei Art entfalten konnten, was ja schon irgendwie nett ist, im tieferen Sinne der Bedeutung. Im übrigen hat der Autor genug nackte junge Damen gesehen und ohne jedes Talent dafür selbst fotografiert, als dass er hier pausiert hätte und die inhaltlich wertvolleren Bestandteile der Welt dafür noch eimal vernachlässigen würde, zumal immer noch in Gegenwart einer Dame, sich solches ohnehin ohne Worte verbietet.. So zog auch dieses einzige kleine kulturelle Ereignis spurlos vorbei.

Das Antiquariat fand sich, am Pfingstsonntag natürlich geschlossen, in einer Parallelstraße der Friedrichshagener Flaniermeile, gleiches galt für das daran angebundene Museum - zumindest hat sich der Dichter davor von einer seiner Musen, der zugleich schönen Dame seiner Begleitung, fotografieren lassen, die in der provinziellen Umgebung völlig konkurrenzlos blieb, und die fraglichen Schilder als kulturellen Mehrwert abgelichtet und auf den heimischen Berg gebracht, der über Umwege noch vor 20 h wieder erreicht wurde. Vielleicht gibt es eines Tages, etwa nach dem Besuch des Museums, noch mehr zu diesem Dichterkreis voll prominenter Schreiberlinge zu erzählen, falls es gute Gründe gibt, sich wieder in die östliche Provinz, mit schöner Landschaft, die seltsam genug, noch Berlin ist, zu verirren. Bis dahin war es da an Kultur aus und Literatour in südlicher Provinz des Hauptdorfs

jens tuengerthal 31.5.20

Samstag, 30. Mai 2020

Preußenliteratour

Ein wenig Fontane, aus den Wanderungen durch die Mark Brandenburg wie dem Stechlin, und Tucholsky, aus Rheinsberg, ein Bilderbuch für Verliebte heute gelesen, aber vor allem durch die nördliche Mark bis fast zur Grenze Mecklenburgs auf den Spuren dieser Literatur durch die Landschaft gefahren und neue alte Welten entdeckt, die Preußens Schönheit und Geschichte wunderbar erkennen lassen, was der literarischen Geschichte genug wert ist, Zusammenhänge neue sehen ließ.

Beginnend im Berliner Hansaviertel, ging es mit dem Wagen gen Norden und so hat die Mobilität, die ich meist eher kritisch sehe, auf der Suche nach Spuren auch der Literatur eine wunderbar entspannte Seite manchmal, von der es zu erzählen lohnt. Ausnahmsweise war diese Literatour also tatsächlich on Tour, also unterwegs, um etwas zu sehen, was nun Tage und Wochen noch nachwirken kann in der großen Stadt, der die Stille so fehlt, dass sie sich ständig in neue Bewegung und neuen Lärm stürzt, um unterhalten zu werden. Ob ich darum so sehr bemüht bin, den Kontrapunkt zu bilden, scheint der Frage wohl wert.

Das erste Stück zu schnell über die Autobahn bis Oranienburg gefahren im meist fließenden Verkehr, der auf solch großen Straßen so sehr mit sich beschäftigt ist, dass die Schönheit in der bloßen Bewegung völlig untergeht. Darum wählten wir für den Rückweg, zu dem aber später, nur noch schöne Landstraßen, reisten also langsamer und bekamen mehr mit, was wesentlich entspannter war und glücklicher machte als die vorige Erreichung von irgendwelchen Zielen, die letztlich eigentlich egal sind, wenn es im Leben mehr darum ginge, es schön zu haben, als wo gewesen zu sein, was überhaupt keinen Wert an sich darstellt.

Wir wollten nur zum Stechlin und nach Rheinsberg, vielleicht noch auf dem Rückweg über Neuruppin, doch dann wurde es eine vielfältige Reise an Orte wie durch Zeiten, die langsam viel mehr entdeckte. 

Das erste mal hielten wir in Löwenberg, der im 13. Jahrhundert auf einem Wall gegründeten Gemeinde, die zeitweise eine nicht unbedeutende Stadt war, bevor von erlin noch die Rede war, die nach den Kurfürsten den Bischöfen von Brandenburg gehörte, wie noch einigen anderen adeligen märkischen Familien, die längste Zeit aber, von 1460 bis 1788 im Besitz der von Bredows war, die auch zahlreiche nicht unbedeutende preußische Generäle stellten, deren einer noch einen Grabstein in der Kirche hat.

Der nicht geplante aber nötige Halt wurde von mir, während die Fahrerin noch anderweitig beschäftigt war, in alter familiärer Tradition genutzt wurde, die dortige Kirche zu besichtigen, die schon von außen sogar mir völligen kunsthistorischen Laien sehr alt erschien. Ging also, wie früher mein Vater bei jeder auf dem Weg gelegenen Kapelle, zumindest in meiner Erinnerung, um das Gotteshaus herum, was ich in Anbetracht der Tatsache, dass der zu dessen Ehre dieser trutzige Bau errichtet wurde, für mich nicht existiert, nur eine vielfach lästige kulturhistorische Epoche ist, schon amüsant finde. Scheinbar ist es mit dem familiären Erbe so, wie mit vielen Dingen, um so entschiedener wir sie ablehnen, desto eher kehren sie zurück, vor allem aber hat der Umgang mit alten Traditionen, die wir einfach fortsetzen, auch etwas heimelig vertrautes, mit dem ich mich zumindest sehr entspannt wohl fühle - kenne es ja und denke, dass ich etwas entspannt Gutes tue, egal was ich mit dem Aberglaube dahinter zu tun habe.

Alt erschien mir die Kirche, weil der aus Findlingen errichtete Turm wie das sich anschließende Schiff eher an eine alte Burg erinnerte, sogar für den frühen romanischen Stil zeitlos schlicht wirkte. Vermutete 13. Jahrhundert, also kurz nach der Christianisierung des Ostens durch Heinrich den Löwen und Albrecht den Bär, der nach manchen Gerüchten und fragwürdugen Urkunden Bärlin den Namen gab. 

Für eine protestantische Kirche war sie von Innen relativ prächtig bemalt, mit vermeintlich marmornen Säulen und anderen kleinen Schönheiten. Die Damen, die gerade die Kirche mit ihrer Corona gemäßen Bestuhlung schmückten, erzählten, dies geschehe für die morgen stattfindende Goldene Hochzeit, die ja gerne noch mit einer Einsegnung begangen wird, wie es meine Großeltern auch taten, was ich allerdings bei meinen Eltern nicht mitbekam, was auch daran gelegen haben könnte, dass jener Ort in dem meine Großeltern lebten ähnlich dörflich war wie Löwenberg heute, während sich das Dorf meiner Eltern in südwestlicher Provinz für eine bedeutende Stadt immer noch hält. Erstaunlich allerdings daran war, dass dies aktuelle Jubelpaar 1970, also zu DDR Zeiten, heiratete, wo kirchliche Traditionen eher seltener gepflegt wurden. Vielleicht aber führte die staatliche Ablehnung der Kirchen, wie jedes anderen Glaubens als des staatlichen, gerade dazu, dass diejenigen, die sich dennoch dazu bekannten, sich besonders eng daran banden, was nur bedingt für eine stabilisierende Wirkung des Staatskirchenrechts spricht aber das wäre ein anderes Thema, über das mir als atheistischem Mitglied dieses Vereins nur bedingt zu diskutieren zusteht - manches kommt anders als geplant.

Wie auch immer rührte mich dieser wunderschöne Bau so sehr, dass ich nicht umhin konnte ihn, wieder in nerviger familiärer Tradition der Fremdbeglückung,  auch meiner lieben Freundin sogleich zeigen zu wollen, die erstaunlich geduldig, wie manche Norddeutsche eben so sind, mich mal ausgenommen, nicht über den Zufall der Geburt spekulierend, alles bewunderte, es scheinbar auch schön  fand, obwohl ich vermuten könnte, dass ihr moderne Bauten näher liegen als alte Gemäuer, die an manchen Stellen sogar sichtbar über Epochen ausgebessert wurden - wie im Turm, der rückwärtig zwischen Feldsteinen und Klinker wechselte, wohl auch eines der vielen Opfer des Dreißigjährigen Krieges wurde, der in der Mark böse wütete.

Nun aber genug vom Zufallsfund der alten Kirche, die weder Ziel noch sonst eingeplant war aber mit den Bredows und den Zerstörungen vieles schon über preußische oder eigentlich damals nur Geschichte der Mark erzählt und damit viel Raum für Literatur gäbe, wir hatten ja noch bekanntere literarische Ziele von großer Schönheit voller Hoffnung vor uns - auch wenn schon die Frage wohl begründet wäre, was schöner sein kann, als eine Dorfkirche in der Damen ein Fest der Liebe vorbereiten und die den Geist der Jahrhunderte trägt.

Von Löwenberg aus ging es direkt zum Stechlin und da dieser mitten im schönen Wald liegt, ins Dorf Neuglobsow, dass dem Namen oder der slawischen Endung zum Trotz eine friderizianische Gründung erst  war, die zunächst mit Glasbläserei reüssierte, bis sie Fontane mit seiner erfundenen Romangestalt aus dem Geschlecht derer von Stechlin berühmt und für den Tourismus interessant machte, dem auch das sehr engagierte und schön gemachte Museum der Glasbläserei huldigt, wenn auch unter dem Deckmantel der Tradition, der bekanntlich alles gut gemeinte in ein sehr mildes Licht taucht, was nicht unbedingt mehr Aufklärung oder Klarheit erzeugt, wirkte dieses natürlich maskiert betretene Haus sehr aufgeklärt und positiv, geradezu überraschend gut, bin ich versucht zu schreiben, ohne dabei den arroganten Hauptstädter herauskehren zu wollen. Ein Ort für den sich noch mehr Zeit zu nehmen sicher lohnte, doch mit Mundschutz und zu vertieften Studien gerade nötigen Gummihandschuhen wird kein Museumsbesuch zum Genuss - vielleicht irgendwann noch einmal - Rückkehr hat ja etwas schönes auch oder zumindest als Werbung für andere und bessere Zeiten.

Schön sanierte Gebäude mit häufig gastronomischen Betrieb dienen, mehr als offen und soweit geöffnet, dem gleichen Zweck wie die mit Leidenschaft und mehr oder weniger viel Geschmack dekorierten Schaufenster. Sie huldigen Fontane und anderen den Ort streifenden Autoren, wollen ein Künstlerdorf in der märkischen Sandwüste aus dem sonst Nichts entstehen lassen, was zumindest für den Geschäftssinn der Anwohner spricht, der wie die Sparsamkeit ja eine der Tugenden ist, die den Märkern schon Fontane attestierte. Lassen wir uns überraschen, ob es im Ergebnis mehr Kunst oder Geschäft wird. Sehenswerte Gartenzäune im Jugendstil vor alter Villa, die in ihrem Sterben noch schöner werden und damit zu belegen scheinen, dass sie wirklich aus dieser Zeit stammen, geben der märkisch dörflichen Atmosphäre noch etwas moribundes, sprechen allerdings gegen die allgemeine Geschäftstüchtigkeit der Eingeborenen, insofern, sollten diese Zäune noch echt sein, wogegen wenig spricht, sie längst ein Vermögen wert wären und kein vernünftiger Mensch, sie vor sich hinrosten ließe - wobei unklar ist wie die Besitzverhältnisse bei der von ihnen umkränzten Villa tatsächlich sind, die bevor sie vor dem letzten großen Krieg enteignet wurde, einer jüdischen Familie gehörte und nicht etwa das vermeintliche Schloß derer von Stechlin ist, trotz des neogotischen Turms dort, der es manche Besucher vermuten lässt. Dieses Gutshaus oder Schloss derer von Stechlin gibt es und gab es nie, die Industriellen-Villa spielt nur nett damit.

Auf geradem, wenn auch ein wenig hügeligen größtenteils asphaltierten Weg ging es zum berühmten Stechlinsee, dem mit 70 Metern tiefsten Klarwassersee Norddeutschlands, wo wir uns dort nah der mecklenburgischen Grenze längst befanden. Der See ist schön, klar, still, friedlich und baumumstanden und insofern wir am Freitag dort waren auch noch relativ wenig besucht von Badegästen und sonstigen Freizeitterroristen aus der Großstadt oder noch schlimmer sichtbar vom Dorf, zu denen, zumindest den ersteren, wir uns ehrlicherweise auch zählen müssten, aber wer in friedlich, schöner Umgebung schon immer ehrlich und wer hätte vor allem etwas davon.

Den ehemaligen Atomreaktor am entfernten anderen Ufer, für den zu DDR Zeiten noch das Wasser des Sees massiv abgesenkt und erwärmt worden war, konnten wir in der friedlichen Ruhe gut ignorieren. Strahlung ist zum Glück unsichtbar und die starke und erfolgreiche Fischzucht, des inzwischen wieder wohltemperierten und also an den meisten Stellen auf 4° abgekühlten Stechlin spricht zumindest nicht für eine fortgesetzte Belastung der Umgebung. Es war auch zu schöner friedlicher Wald an so etwas überhaupt denken zu wollen, worüber ich nur jetzt mit etwas Abstand schreibe, was aber bei unserem Spaziergang am Ufer wie der kleinen Pause auf der Fontane Bank, die zumindest mit hölzernen Büchern versehen war, wenn schon die Rückenlehne fehlte und völlig unklar ist, ob der Dichter jemals länger dort weilte, keine Rolle spielte. Uralt wirkt der umgebende Forst mit Buchen und Kiefernwald, doch dieser Eindruck täuscht, wie uns Fontane in den Wanderungen vom Stechlin und dem ihn umgebenden Forst berichtet, bereits einmal wäre der ganze bereits im nu durch Berliner Schornsteine verheizt worden, was erst kurz vor dem völligen Untergang gestoppt worden wäre. Davon aber ist in der Umgebung nichts mehr zu sehen, der zu Fontanes Zeiten gerade hundert Jahre alte Wald, der mittlerweile übe 200 Jahre alt ist wirkt trotz oder wegen der ehemals Atomkraft in der Nachbarschaft wild und schön und so lebt der ehemals Menzer-Forst, der, wie Fontane so treffend schreibt, rund ein halbes Dutzend Wasserbecken umschließt, weiter relativ ungestört fort, dahingestellt ob er bereits den strengen Kriterien genügte, die ein Peter Wohlleben an einen Wald stellt und scheint uns unverwöhnten Städtern als heile zwitschernde Natur von heimeliger Stille.

Die den See direkt umgebende Gastronomie erinnerte ein wenig auch an den zuletzt dort untergegangenen Staat, der das Atomkraftwerk baute und den Wasserspiegel senkte und so verführten die dort gereichten Sättigungsbeilagen zum Fisch die vielleicht verwöhnten Besucher aus Berlin nur bedingt zum längeren Aufenthalt, zumals uns ja noch Rheinsberg und eventuell Neuruppin erwarteten, wenn auch die kulinarischen Argumente schwerer wogen als die sonstigen Ziele. So begnügten wir uns zur Pause auf der Bank am See mit einem Kaffee ihrerseits wie meinerseits einem Lübzer Radler, womit ich zumindest brautechnisch bereits im mecklenburgischen gelandet war, was aber zur Stimmung wie zum Durst ganz gegen meine sonstige Gewohnheit gut passte.

Wie still und friedlich er da liegt dieser See, schreibt schon Fontane in den Wanderungen und sagten auch wir uns auf der Bank immer wieder, es hat dieses tiefe Wasserloch, trotz einiger spielender Kinder von vermutlich Eingeborenen und ihren teil voluminösen Eltern, die in ihrem Umfang wenig von märkischer Sparsamkeit erkennen ließen, etwas fast unheimlich stilles. Kein Wunder, dass sich die Anwohner dort Geschichten wie die vom Roten Hahn ausdachten, der auch als touristische Holzfigur immer wieder auftaucht. Schön war es dort, friedlich und beruhigend - vermutlich besonders auch weil es Freitag war und kein sonstiger Pfingstfeiertag, Corona wird das seinige getan haben, zumindest die lästigen Busladungen hat es verhindern helfen, dachte ich.

Da fiel mir die lästig laute Bus-Demo ein, in die ich in Berlin, neulich auf dem Rückweg vom Hansaviertel spazierend, geriet, in der viele, zu viele Busse laut hupend, gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze aufgrund der Corona-Auflagen demonstrierten und war froh, als der Spuk vorbei war und ich als politisch nicht gebundener Mensch entschlossen die Meinung haben konnte, hoffentlich gehen sie bald alle pleite und kommen nie wieder hupend in unser Hauptdorf dies lästige Pack, was die Umwelt verseucht, Menschen unnütz durch die Gegend transportiert, statt sie friedlich vor Ort genießen zu lassen, eine Landplage sind, die keiner braucht, der mit etwas Vernunft begabt ist.

Natürlich, gibt es nötige Busverbindungen in abgelegene Regionen Mecklenburgs etwa aber von diesen Ausnahmen abgesehen, die eher ins Reich der Phantasie gehören, finde ich den Busreiseverkehr nur lästig und überflüssig. Wer nicht läuft, muss nirgendwo hin, wer nicht die Zeit dafür hat, sollte nicht reisen, bin ich geneigt zu sagen, allerdings nicht wirklich logisch konsistent, dabei bequem im Auto sitzend, klassischer Musik lauschend, sich für auserwählt in der Einsamkeit haltend und nicht von anderen verfassungsmäßig gleichberechtigten belästigt werden wollend, könnte diese moralische Aufregung über Unruhestifter vor keinem Gericht der Welt standhalten, sage ich mir, wenn ich nicht gerade verblendet genieße und freue mich an dem augenblicklichen Glück relativ trauter Zweisamkeit, die keinen Namen braucht.

Bräuchte ich die anderen, die Sehenswürdigkeiten erst zu einem Geschäft machen, das den Erhalt lohnt, warum Investoren und Geldgeber dort ihren Segen machen, frage ich mich lieber nicht, weil ich die Antwort kenne - hätte alles lieber exklusiv, vielleicht mit ausgewählt gebildetem Publikum wie etwa im Orient-Express, sehen wir von neureichen Russen einmal höflich ab, die aber vor Sowjetzeiten zumindest auf eine alte teilweise auch europäisch geprägte Kultur zurückblicken konnten, bevor georgische Massenmörder dort das Ruder übernahmen aber auch das wäre eine zu aufregende andere Geschichte, die ich in dieser wunderbar ruhigen Gegend lieber überhaupt nicht thematisieren möchte, um ungestört zu genießen, was ist, auch wenn ich wie in Löwenberg mich schon frage, warum Karl Liebknecht statt seinem Vater Wilhelm noch mit großen Straßen gedacht wird oder warum in Neuruppin der Vordenker des linken Totalitarismus Karl Marx noch inmitten der Altstadt mit einer Büste hinter einem erwartungsgemäß häßlichen Denkmal für gefallene Antifaschisten geehrt wird und nicht wie die Hitlers dieser Welt besser verschwindet, weil die Folgen seines Denkens noch mehr Opfer bis heute brachte, von dem von der DDR zur Kultfigur geadelten Mörder der Weimarer Republik Thälmann lieber ganz zu schweigen, dessen Verklärung im Gedächtnis vieler DDR-Bürger ein wunderbares Zeugnis für die wirkungsvollen Lügen totalitärer Regime ist, aber es war ja auch eine Diktatur der Proleten mit entsprechendem Ergebnis, was manche gern verdrängen, welche die Erbin der SED, die sogenannte Linke für einen ansprechenden Partner halten, egal ob sie die Demokratie dafür auch opfern, denn so groß die Gefahr durch wenig behaarte Rechte in ländlichen östlichen Gefilden wohl sein mag, begeht die gleiche Sünde, wer die linke Gefahr verhamlost oder übersieht, weil zu große Toleranz am Rand zu einer Verlagerung des Gleichgewichts führt, sich dann wie bei einer Wippe beide immer mehr an den Rand setzen müssen, um wahrgenommen zu werden, dort gerne laut sind uns es um die lieber friedliche bürgerliche Mitte zu still wird.

Aber zum Glück ging es bei diesem wunderbaren Freitagsausflug nicht um Politik, die Beteiligten würden dabei sicher auch so wenig streiten, wie sie es sonst auch tun, im meisten erstaunlich harmonisch trotz unterschiedlichen Geschlechts und relativer Nähe, weil die Natur doch manchmal noch unerwartete Wunder bereithält, sondern um Kultur wie Natur und ihren Genuß durch Anschauung vor Ort. So ging es durch friedliche Alleen nach einer kurzen Verirrung aufgrund eines geographischen Irrtums meinerseits, wie fern ist der Mensch doch von Sicherheit in fremder Umgebung manchmal und wie gut tut es doch, dies auch praktisch zu bemerken, zumindest, wenn du die Strecke nicht zurücklaufen musst sondern fahren kannst, noch besser wie in meinem Fall chauffiert wirst, auf also ziemlich direkten Weg nach Rheinsberg, das wir von Ostnordost aus erreichten.

Wie ich es schon immer getan hatte, was ja immer der beste Maßstab im Leben und auf Reisen ist, völlig in die Irre zu laufen, was allerdings auch wieder nicht ganz gelang, der Tag wollte scheinbar gut werden, schlug ich vor im kleinen Wald südlich des Schlossparks zu parken. Der letzte Besuch im Sommer 2010 ist schon ein wenig her, damals war ich zu einer abendlichen Opernaufführung einer befreundeten Regiesseurin geladen, die im Schloßhof unter freiem Himmel und im Opernhaus spielen ließ, wobei mir die frische Luft im Hof deutlich näher kam als die vielleicht bessere Akustik im von Friedrich und Heinrich errichteten Opernhaus, das inzwische auch eine Musikakademie enthält, die aber, den Anweisungen des RKI folgend gerade pausiert. Beim letzten Besuch war der Parkplatz noch nicht bewirtschaftet aber wir gaben die mäßigen 1,3 Euro die Stunde gerne, was gegen den Euro die halbe Stunde in Entfernung vom Stechlin wirklich günstig anmutete, wie gerne geben wir an schönen Orten ein wenig, deren Erhalt zu unterstützen und Rheinsberg ist nicht nur schön, es ist ein Traum.

Rheinsberg von Berlin aus zu erreichen, ist nicht leicht, schrieb Fontane in seinen Wanderungen, als Tucholsky sein Bilderbuch für Verliebte komponierte und auch mit der Bahn kam, war es schon etwas leichter, hätte es auch schon Autos gegeben, wie es etwa zeitgleich Rudolf Borchardt in Weltpuff Berlin beschreibt, wo der Protagonist mit seiner Liebe aus gutem Hause von ihr in ihrem Cabrio kutschiert, eben dorthin fährt, den Ort zu genießen, der auch ohne Sex vn geradezu pornographischer Schönheit ist. Rheinsberg über schmale Alleen vom Stechlin aus mit dem Auto zu erreichen, ist eine Kleinigkeit und ein Genuss, entsprechend entspannt kamen wir an, flanierten durch den kleinen Schlosspark, um quasi von hinten auf die Schlossterrasse zum See zu kommen und auch wenn der Himmel sich während des Aufenthalts in Rheinsberg eher bedeckt zeigte, wurde es wieder ein traumhaft schönes Ereignis, dort zu flanieren, so oft ich schon da war, doch nie in dieser entspannten Gesellschaft.

Die Lage am See, an dem Kronprinz Friedrich sich nach der Haft in Küstrin, die dem Fluchtversuch mit Katte in der Kurpfalz nahe Heidelberg folgte, wie der Kasernenzeit in Rheinsberg, seine erste eheliche Wohnung mit Elisabeth-Christine einrichtete, der Welfin, die er nicht wollte und die der Fluchtgrund war, weil ihm die frömmelnde Wahl seines Vaters vor allem zuwider war, ohne dass er sie kannte, der sich aber die Zuneigung des habsburger Kaisers dadurch erhoffte, zu dessen weiterer Verwandtschaft die Braut gehörte, während Friedrich durch die geplante Flucht mit seinem Jugendfreund hoffte, die Hochzeit mit der englischen Prinzessin aus dem Stall seiner Mutter zu realisieren, was natürlich völlig illusorisch war, welcher König verheiratete seine Tochter an einen fahnenflüchtigen märkischen Prinzen, dessen Vater sich nur König in Preußen nennen durfte, von dem nichts zu erwarten war, zumindest damals sah es nicht so aus, als würde der Knabe später der Große genannt werden, ist schon traumhaft, das friderizianische Rokoko, das Knobelsdorff nach den Plänen des damals Kronprinzen ausführte, ist schon schön genug, ins Schwärmen zu geraten, zumindest für mich als älter werdenden Kulturpreußen, ein Traum aber wird es auch durch die Einbettung dieses zart spielerischen Ensembles in die Landschaft. See, Gärten und Wälder betonen die Schönheit noch. Es ist ein Traum, der immer wieder den Besuch lohnt. Wie sehr die Schwärmerei durch gerade Gegenwart beeinflusst wurde, sei der nötigen Dezentz wegen einmal dahingestellt.

War dort im Sommer wie im Winter, mit vielem möglichen Licht - gestern unter eindrucksvoll drohenden dunklen Wolken, die uns sogar einen Schirm aus unserer braven Benzin-Kutsche mitnehmen ließ, der allerdings nicht benötigt wurde, vermutlich aber nur, weil wir ihn mitnahmen. Vielleicht hätte ich mit ihm eleganter flanieren sollen, denke ich im nachhinein aber es wird nicht das letztemal dort gewesen sein, wie wir uns auch nach dem Besuch des Museums-Shops der Stiftung preußische Schlösser und Gärten versicherten - es ist einfach zu schön dort, mehr aber auch nicht.

Die Fischbrötchen danach waren kulinarisch zumindest keine zu große Enttäuschung, stärkten und ließen noch Raum für anderes später vielleicht, weil die übrigen örtlichen Lokalitäten am See auf den ersten Blick nicht wirklich überzeugten. Erlaube mir kein Urteil über die Rheinsberger Gastronomie, erspare es mir aber auch und weiß, was ich an diesem Ort lieben, was ich mir besser erspare. Der Ort hat im preußisch historischen Gewand viel östlichen Charme, wenn das nicht schon eine contradictio ist, die aber zumindest nicht böse gemeint war. 

Erstand im Laden der Stiftung ein Feuerzeug mit Aufdruck der selbigen in preußisch blau, ein wenig Kult muss manchmal sein und diese kleine Schwäche vor dem hehren Anspruch sei gestattet, auch Friedrichs Vater, der märkisch sparsame Soldatenkönig, der nur für seine lange Kerls unsinnig viel ausgab, qualmte gerne, warum sein Sohn es hasste, der in Königs Wusterhausen im Jagdschloss den verrauchten Abenden zu oft hatte folgen müssen, lieber den Tabak kaute, wie einen schönen Band des Bilderbuches für Verliebte von Tucholsky aus literarischem Interesse für meine liebe Freundin, die es noch nicht kannte, was den nächsten Besuch vielleicht noch schöner machte, könnte ich mich noch genau an die vor über 30 Jahre gelesene Geschichte erinnern, aber manches verklärt auch die Erinnerung und es ist gut so.

Vom wider Erwarten doch nicht verregneten Rheinsberg ging es gen Süden durch verwunschene Wälder, an schönen Feldern vorbei, die von blühenden Disteln, Mohn und Kornblumen so oft umstanden waren, durch schönste Alleen, die den Zauber Brandenburgs ausmachen, dass, außer Schönheit der Landschaft und gelegentlicher wunderbarer architektonischer Überbleibsel der preußischen Epoche, ja nicht viel zu bieten hat, vor allem für die ländliche Bevölkerung, was mehr kluge Frauen abwandern als bleiben ließ, woraufhin sich die verbliebenen Männer zu absurden Betrachtungen der Welt häufiger verführt fühlten als im Bundesdurchschnitt, aber es soll auch dort immer wieder erstaunlich vernünftige und interessante Zeitgenossen geben, was ich zumindest bisher nicht widerlegen konnte.

Zwei der berühmtesten Zeitgenossen der Mark wurden in Neuruppin, unserer nächsten Station geboren - Karl Friedrich Schinkel und Theodor Fontane. Ersterer erlebte auch den großen Brand der Stadt, seine Familie verlor damit nicht nur allen Besitz, sondern es zog sie schließlich sogar nach Berlin, wo der junge Karl-Friedrich auf Empfehlung seines Lehrers als Meisterschüler der Architektur seinen Weg machte und es zum Hofbaumeister brachte, der auch auf der Pfaueninsel, die heute nicht Thema ist, keine Sorge, seine architektonischen Spuren hinterließ, die Menzel wiederum malerisch verewigte, wovon Fontane literarisch schwärmte, womit wir eines der ästhetisch wirkungsvollsten Trios des alten Preußen zusammen haben, auch wenn es damit weniger zu tun hat, als mit dem neuen bürgerlichen Aufbruch und der Emanzipation auch der Künstler etwa im Tunnel über der Spree, den ich aber nur erwähne, weil es ja heute um Neuruppin geht, den unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. abgebrannten Stützpunkt verschiedener verschieden glorreicher preußischer Regimenter, wie auch des Regiments Prinz Ferdinand, was klanglich an die heute berühmtere Band Franz-Ferdinand erinnert, die an den zu Sarajewo erschossenen österreichischen Thronfolger erinnern wollten, was aber mit Neuruppin wenig zu tun hat - allerdings fragten wir uns, erst über den Markt und vom Schinkel zum Fontane Denkmal flanierend, dann in Ruhe am Seeufer zurück, was die Jugend von Neuruppin heute wohl macht, außer Wasserpfeife am See zu rauchen, ob ein Schinkel oder ein Fontane von dort aus noch seinen Weg machen würde, welche Bedeutung das humanistische Gymnasium noch in einer Stadt hat, die zwar überall mit den großen Preußen wirbt aber sich auch nicht für ein Denkmal für Karl Marx und die Opfer des Faschismus in Sichtweite des Denkmals für den Dicken genannten Preußenkönig schämte und was wohl aus den leeren Garnisonen eines Tages wird, welche Perspektive außer historischem Tourismus sich hier entwickeln lässt mitten in der Streusandbüchse mit den vielen Wasserlöchern aus der Eiszeit, in der es vielfach so wunderschön ist.

Wider Erwarten entdeckte ich das schöne etwas abseits gelegene Restaurant, in dem ich vor mehr als einer Dekade mal mit meinen Eltern wie der Mutter meiner damals noch sehr jungen Tochter speiste. Wir entschieden uns dagegen, gingen an die Seepromenade, wo das gewählte Lokal zumindest von den Sitzgelegenheiten her überzeugen konnte vor allem aber mit direktem Seeblick punktete, was allerdings kulinarisch keinen Wert darstellt, wie wir ohne große Enttäuschung völlig einig feststellen konnten. Nichts zu erwarten, hilft nie enttäuscht zu werden. Diesen wunderbaren Tag verdarb nichts, im Gegenteil kam, beim nur insgeheim etwas aufregenden Besuch des Pavillons am See ohne Seebeben, sogar die Sonne wieder ungeahnt strahlend hervor und begleitete uns dann den ganzen Heimweg, der an Fehrbellin, Kremmen, Spandau und anderen berühmten Orten der preußischen Geschichte vorbei führte, umrahmt von im Sonnenschein leuchtenden Feldern und der sie begrenzenden Blütenpracht.

Preußen ist nicht mehr, nur noch auch literarische Geschichte, genießen wir sie und vor allen nutzen wir sie, die Schönheit der Langsamkeit nebenan wieder zu entdecken. Bloß keine Autobahnen, sondern lieber zu klassischer Musik plaudernd, ganz langsam,  nur noch kleine Landstraßen, hoffentlich bald nur noch elektrisch oder mit Wasserstoff nur motorisiert, in aller Ruhe fahren, lohnt die Reise in die Provinz wieder und so kehrten wir nach rund 250 km ins Hansaviertel zurück, ich wanderte noch ein wenig die Spree bis zum Hauptbahnhof hinab und schief über die Erinnerungen schreibend und darin schwelgend gestern voll von Eindrücken aus Literatur und Gegenwart friedlich ein. Mehr an Glück braucht es kaum, die Welt zu genießen, wie sie ist, denke ich. Weiter auf preußischen Spuren literarisch unterwegs zu sein, wird mir eine Freude in der näheren Umgebung sein, wie schön doch alles eingerichtet ist, wenn dir gefällt, wo du lebst und das Umland überraschend viele kleine Paradiese bietet.

jens tuengerthal 30.5.20

Freitag, 29. Mai 2020

Zensurkultur

Totalitäre Mächte betreiben Zensur
Um ihr Bild öffentlich zu schönen
Wie kritische Berichte zu verhindern
Bekannt ist es aus China wie der
Türkei und Russland ohnehin
Die nie demokratisch wirklich waren
Von kleineren Staaten abgesehen
Dass aber nun ein bedrängter Trump
Die Freiheit im Netz beschränken will
Für die Amerika immer stand
Zeigt der Welt vor allem eines
Dieses inkompetente Großmaul
Der für die massive Verbreitung
Von Corona in den USA politisch
Verantwortung trägt versucht nun
Alles sich vor dieser zu drücken
Weil es seine Wahlchancen mindert
Ob er nun wie andere Diktatoren
Mit Dekreten regieren kann oder
Der Rechtsstaat dem schlichten
Gemüt des Präsidenten endlich
Grenzen setzt wird offenbaren
Ob die Vereinigten Staaten noch
Ein solcher sind oder Populismus
Im Bündnis mit Dreistigkeit auch
Das Mutterschiff der Demokratie
Bereits lahm legen konnte
Beobachte es lächelnd mit genug
Abstand im alten Europa was nun
Feststellen wird ob der Rechtsstaat
Lebt oder ein Präsident diesen
Ohne Kontrolle aushebeln kann
Möchte nicht daran denken was
Geschieht sollte es Trump gelingen
Hoffe auf normative Kontrolle
Mit der diesem Narren bald
Der Hahn abgedreht wird
Was viel über die Stabilität
Der Demokratien uns lehrt

jens tuengerthal 29.5.20

Donnerstag, 28. Mai 2020

Literatouren 28.5.20

Von der sich durch mitgebrachte Eingeborene und Pflanzen verändernden Pfaueninsel Thomas Hettches geht es heute quer durch den europäischen Geist in Der europäische Traum von Aleida Assmann, die feinfühlig erklärt, warum Erinnerung so wichtig ist und was den Trennungsstrich vom Schlußstrich unterscheidet, wie Erinnerung in die Zukunft führt und Geschichte weiter trägt.

Während Marie sich des Monsterwortes der so gern heilig gehaltenen Königin Louise erinnert, das sie in Kindertagen so diskriminierte und seitdem als schockierende Erinnerung ihre Geschichte durchzieht, denkt sie über ihre Mißbildung und ihre Sonderrolle nach, wie sie sich als Zwergin fühlt, die auf der Insel quasi ausgestellt wird und ob sie die Liebe Gustavs glücklich werden lässt.

Die Chondrodystrophy, wie der Minderwuchs heute nicht mehr als Zwerge diskriminierend genannt wird, ist eine seltene genetische Veränderung, die auch von normalwüchsigen weitergegeben werden kann. Es besteht bei eigenem Nachwuchs die Chance von 50%, dass auch dieser kleinwüchsig bleibt. Während Gustav und Marie dem endlos singenden Maitey lauschen, der von einer Südseeinsel auf die Pfaueninsel als weiteres Ausstellungsstück zur Belustigung der königlichen Familie und der Besucher gekommen war, die den Inselbewohner, wenn sie ihn hörten, eher für irre hielten, während Marie seine endlosen Gesänge mochte, es eine Sympathie der Andersartigen gab, versucht Marie mit Gustav über ihre Beziehung zu sprechen. Dabei weicht dieser aus und bringt abstruse Beispiele aus dem Tierreich, was bei der Paarung verschiedener Rassen entstände, wodurch sich seine Geliebte verletzt fühlt und ihn ermahnt endlich still zu sein. Gustav kannte das Wort Hybrid noch nicht, was in der Biologie das aus zwei Arten zusammengesetzte ist. Am Ende des heutigen Abschnitts teilt sie ihm, erwartungsgemäß für den Leser, wenn auch vermutlich überraschend für Gustav, mit, dass sie schwanger ist.

Wie es nun weitergeht, weiß ich noch nicht, auch wenn die vielen Andeutungen es schon ahnen lassen, die besondere Rolle des Anderen oft genug betont wurde, die eine Bindung unmöglich mache. Zart und dezent sind die Andeutungen in diesem Roman nicht unbedingt. Die noch selbstverständliche Diskriminierung anderer Menschen, die wie Tiere ausgestellt wurden, ist kaum hundert Jahre her, als Bewohner der Kolonien in Berlin ausgestellt wurden und auf Jahrmärkten Andersartiges in vielerlei Gestalt bewundert werden konnte. Was uns heute absurd erscheint, war damals noch normal und die USA führten noch nach dem Zeitpunkt der Handlung einen Bürgerkrieg, in dem es um die Haltung von Menschen als Sklaven ging, die der Süden für sich in Anspruch nahm, weil er es gewohnt war.

Auch wenn damals die Gegner der Sklaverei, zu denen sich auch Thoreau zählte, siegten, stellt sich die Frage, ob die Vereinigten Staaten dem schon so fern sind heute, wo Schwarze immer noch und wieder von der Polizei diskriminiert werden, der größte Teil der inzwischen über 100.000 Corona-Toten dunkelhäutig und arm ist, während ein Präsident regiert, der alles tut,  den Ausnahmezustand so schnell wie möglich wieder zu beenden, weil unter den Opfern wenige seiner Wähler sind, die hoffentlich einige Menschen vor den Wahlen zum Nachdenken bringt.

Spannend ist, dass Menschen wie Michel de Montaigne, um den es gestern ging, schon vor fast 500 Jahren selbstverständlich von der Gleichheit aller Menschen ausgingen und sich über die Behandlung der Eingeborenen, die aus den Kolonien gebracht wurden, aufregte, was wir uns anmaßen, zu meinen, unsere Kultur sei fortgeschrittener und diese seien Wilde, wie Montaigne es schrieb. Es gab diese gerechten Denker schon immer, genau wie es leider auch immer wieder jene gab, die gerne unterschieden und ihre Gruppe für besser oder die anderen für eine Bedrohung ihrer Kultur hielten, was die unsägliche AfD stark machte, die mit der Angst vor Fremden aggressiv spielt.

Wohin diese Trennung vom anderen uns führte, gibt unsere Geschichte genug Beispiele und bis heute sind viele sogenannte Völkerkundemuseen, die früher Kolonial-Museen auch hießen, voll mit Raubgut, was sich illegitim angeeignet wurde, damit wir es bestaunen können. Darüber wird zum Glück heute viel diskutiert und das Humboldt-Forum in Berlin steckt immer wieder mitten in dieser Diskussion. Es mag manches Ausstellungsstück legitim erworben sein und zum Glück müssen Museen nun immer mehr sich auch um die Herkunft ihrer Ausstellungsstücke kümmern, denn warum Kulturgüter anderer Völker in Berlin, Paris oder London im Museum stehen sollen, ist zumindest diskussionswürdig.

Die Frage wäre dann, ob die Alternative, die Dinge vor Ort zu lassen, diesen besser getan hätte und die Menschen, wenn sie eine Kultur betrachten wollen, in die entsprechenden Gegenden reisen sollen, es vor Ort zu erleben, was ich persönlich angesichts der ökologischen Folgen der vielen Weltenbummelei für noch fragwürdiger halte als den möglichen, besseren und gerechteren Umgang mit diesen Dingen in unserer Kultur.

Dies könnte in der Zahlung einer angemessenen Miete oder anderweitiger Anerkennung bestehen, falls sich vertraglich auf eine weitere Leihe geeinigt wird. Lösungen dafür werden schwierig und es gibt sicher keine einfache Antwort für alle sich dabei stellenden Fragen, es wird längere Verhandlungen geben, weil Verständigung zu komplexen Themen eben schwierig ist, doch zu lernen, sich auch beim Raubgut in unseren Museen der historischen Verantwortung zu stellen, könnte ein Anfang sein, die Welt gerechter zu machen. Es kann seine Berechtigung haben, bestimmte Dinge auszustellen, auch damit nicht jeder in fremde Länder reisen muss, was dank Corona ja auch etwas erschwert war, aber wir sollten uns dabei unserer historischen Verantwortung stellen.

Dieser Gedanke leitet über zur anderen Lektüre, Aleida Assmanns Der europäische Traum über die vier Lehren aus der Geschichte. Diese sind Friedenssicherung, wie aus Erzfeinden, kooperierende Nachbarn und sogar Freunde werden, wie im deutsch-französischen Verhältnis mittlerweile, Herstellung von Rechtsstaatlichkeit oder der Umbau von Diktaturen in Demokratien, historische Wahrheit und der Aufbau einer Erinnerungskultur in Deutschland, sowie die Wiederentdeckung der Menschenrechte.

Las heute über die Rückkehr der Erinnerung und den Aufbau einer Erinnerungskultur, die langsam heranwächst und selbstverständlich wird, was es nach dem Krieg nicht war, als Adenauer noch auf Vergessen setzte und Wiedererlangung der Normalität, die es so noch lange nicht geben konnte und hoffentlich im Bewusstsein der historischen Verantwortung nie geben wird.

Dieses Bewusstsein war, bis auf dunkle Ränder in der Bundesrepublik auch durch das Verdienst der 68er, die sich genau gegen dieses Schweigen der Wirtschaftswundergeneration wehrten, relativ normal und verbreitet geworden. Diese Normalität hat sich mit der Wiedervereinigung aber verändert und wird von Teilen nicht mehr so gesehen. Insbesondere im Gebiet der ehemaligen DDR, in ehemals Neufünfland, ist dies Selbstverständnis nicht gewachsen, gab es nicht die Auseinandersetzung wie zu Zeiten der 68er und später noch in der Ära Kohl, der noch 1985 das Vergessen durch den Besuch des Friedhofs von Bitburg, auf dem auch SS-Soldaten gedacht wurde, mit Ronald Reagan propagierte, wogegen nur drei Tage später der damalige Bundespräsident von Weizsäcker seine berühmte Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes hielt, in der er ganz deutlich die Niederlage eine Befreiung nannte, was ein Umdenken auch in konservativen Kreisen in Gang brachte, die Verantwortung als Chance zu sehen.

Damit kommen wir vom Schlussstrich zum Trennungsstrich, der sich von der eigenen Geschichte im Bewußtsein der historischen Verantwortung abgrenzt. Es begann eine neue Erinnerungskultur, die sich bewusst mit den schweren Verbrechen in der eigenen Vergangenheit auseinandersetzt, statt historische Lügen wie die von der sauberen Wehrmacht oder der Unwissenheit der meisten Deutschen weiter aufrecht zu halten. Diese historische Verantwortung endet nicht mit dem Dritten Reich sondern muss auch Fragen der Kolonialpolitik thematisieren. Erstaunlicherweise ist das Bewusstsein dieser Verantwortung besonders gering bei denen ausgebildet, die noch an den Fortbestand des Deutschen Reiches oder andere Wahngebilde glauben. Auch hier wird weiter Aufklärung und kritische Auseinandersetzung nötig sein. 

Wie wachsen Bürger in eine demokratische Verantwortung für die gemeinsame Geschichte hinein, die über Jahrzehnte hinter dem antifaschistischen Schutzwall eingesperrt waren und welche Perspektive können wir ihnen geben?

Diese Frage wird für die Stabilität der Demokratie auch künftig von großer Bedeutung sein, damit nicht wieder leicht Populisten mit historischen Lügen oder dem falschen Schlußstrich auf Stimmenfang gehen können. Sie ist nicht einfach zu beantworten und bedarf langfristiger Arbeit an der Basis, die von Populisten aus dem linken und rechten Lager bedroht wird. Dazu braucht es eine neue positiv besetzte Erinnerungskultur, die nach Aleida Assmann durch fünf Punkten gekennzeichnet ist:

Sie hat mit schwerwiegenden Verbrechen der eigenen Geschichte zu tun,
Die neue Erinnerungskultur ist selbstkritisch und legt sich damit Rechenschaft über die eigene Vergangenheit ab.,
Diese Erinnerungskultur braucht eine historische Forschung, die sich um Quellen kümmert und Belege sucht.
Es braucht dafür der Zeugen der Erinnerung, weil ihr Zeugnis erst einen wirklichen Eindruck geben kann.
Die neue Erinnerungskultur ist dialogisch, sie sucht also das Gespräch mit den anderen, da jeder dazu neigt, seine nationale Geschichte monologisch zu betrachten.

So können wir langfristig - und es wird noch Jahrzehnte dauern ein solches Selbstverständnis zu etablieren - zu einer positiv besetzten Erinnerungskultur in Verantwortung kommen, weil Totschweigen nichts ändert, sondern nur verdeckt, was war. Damit wir in Verantwortung für die Geschichte, deren Teil wir sind, auch die Zukunft neu gestalten, statt von der verdrängten Geschichte beherrscht zu werden, trennen wir uns von dem, was war in verantwortlicher Weise und verdrängen nicht nur, warum Aleida Assmann den Trennungsstrich dem Schlußstrich vorzieht.

Dem kann ich nur zustimmen und frage mich dabei, warum es vielen so schwer fällt, die aktive Erinnerung als Chance und nicht als Schande zu sehen. Keiner der nach dem Krieg geborenen trägt Verantwortung für die dort begangenen Verbrechen. Aber jeder, der sich als Teil einer historischen Nation sieht, hat die Verantwortung für die Zukunft zu verhindern, dass so etwas wieder passiert und so wird aus dem Malus der eigenen Geschichte eine größere Chance für die Zukunft aus Erfahrung, die zeigt, dass wir lernfähig sind. Was geschehen ist, ist geschehen, dafür historisch Verantwortung zu übernehmen befreit und gibt den folgenden Generationen die Chance zur Gestaltung der Zukunft im Licht der Erfahrung, um das Grauen dauerhaft zu vermeiden.

Historische Verantwortung belastet nicht sondern befreit, sie gibt die Möglichkeit zum offenen Umgang mit der Geschichte, um würdigen zu können, was gut war und damit eine Integration zu ermöglichen, egal ob wir von Tätern oder Opfern abstammen, gemeinsam im Lichte der Erinnerungskultur die Zukunft zu gestalten, statt verdrängtes als Last mitzuschleppen, sich die Geschichte schön zu lügen, aufrichtig zu sein, was der beste Anfang der Verständigung ist.

So schließt sich am Ende der Kreis beider Lektüren - der Umgang mit Diskriminierung und die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung dabei macht sensibler für das Miteinander in der Zukunft. In meiner Kindheit sprachen wir noch von Negern und Zigeunern, was heute im Bewusstsein zum Glück weitgehend verdrängt wurde. Ob es Insulaner aus der Südsee sind, kleinwüchsige Menschen aus Berlin oder türkische oder jüdische Nachbarn sind, ist für uns bei der Betrachtung als Menschen egal, die anderen so sein zu lassen, wie sie sind und nicht ihr Anderssein zu betrachten, sondern die Gemeinsamkeiten zu sehen, bringt uns Menschen dauerhaft friedlich zusammen. Eine Chance, die wir nutzen sollten, denke ich und bin gespannt auf die weitere Lektüre.

jens tuengerthal 28.5.20

Zahlenmagie

Nun gibt es in den USA
Mehr als 100.000 Tote
Was eine magische Grenze
Lange noch schien die
Das Land der unbegrenzten
Möglichkeiten locker riss
Dank ihres Präsidenten
Des ungebildeten Versagers
Sterben immer mehr ohne
Dass ein Ende absehbar
Sind ja nur alte Schwarze
Sagt mancher nicht nur
Im agrarischen Süden
Das sind die Wähler von Trump
Schlicht engstirnige Rassisten
Häufig gläubige Christen was
In Amerika wunderbar passt
Angeekelt wendet Europa sich ab
Gottes Werk und Teufels Beitrag
Hoffen wir es findet ein Ende
Durch Vernunft und Wahlen
Oder den endlich Untergang
Der letzten Supermacht
Fraglich nur ob besser wird
Was danach anstatt kommt

jens tuengerthal 28.5.20

Mittwoch, 27. Mai 2020

Neidkultur

Heute wurden die Gehälter
Der Vorstände veröffentlicht
Danach führt in den USA
Erstmals eine Frau die
In einem Jahr so viel
Verdient dass ihre sonst
Mitarbeiter 169 Jahre
Arbeiten müssten dies
In ihrem Leben jemals
Verdient zu haben was
Auf absurd hohe Zahlen
Wohl hinweist die aber
Erwirtschaftet wurden sonst
Bekäme sie es nicht weil
Von nichts nichts kommt
Muss darüber nicht urteilen
Will nicht einmal an Neid
Dabei denken weil Geld
Niemanden glücklich macht
Wenn die Mitarbeiter es
Stört sollen sie etwas tun
Es gerecht zu verteilen
Ansonsten finde ich diese
Neiddebatten so peinlich
Gönne es Lisa Su gerne
Frage mich wem solche
Charts jemals dienen
Die Optionen berechnen
Manche Nachrichten
Finde ich überflüssig

jens tuengerthal 27.5.20