Mittwoch, 3. Juni 2020

Literatouren 03.6.20

Nachdem ich die literarisch eher mäßige aber dadurch lehrreiche Pfaueninsel mit mehr oder weniger tragischem Ende für die Hettche zumindest eine relativ gute Kenntnis der preußischen Geschichte wie ein ernstes Bemühen, alles was historisch passierte, zu erwähnen, attestiert werden kann, beendet habe, nun über zwei Tage unter anderem in Reinhard Blomerts kenntnisreichen Band der Anderen Bibliothek über Adam Smiths Reise nach Frankreich eingetaucht, der mit schönen Ausflügen fern aller persönlichen Tragik in die französische und europäische Geschichte aufwarten kann.

Während sich der Band anfänglich mit einigen Ausführungen zu Smith Philosophie wie seinem Werdegang etwas in die Länge zog, lese ich ihn nun mit großer Begeisterung auch aufgrund der schönen Ausflüge des Autors in die europäische Geschichte und ihren großen Kontext zum Verständnis der Entwicklung. Auch Hettche machte gelegentlich solche Ausflüge nicht völlig ohne Sachkenntnis, doch baute er sie in den Roman ein, dessen Story darunter litt und damit ein wenig zwischen den Stühlen hing, weder guter Roman noch Sachbuch wurde, während Blomerts Adam Smith ein vielfältiges Sachbuch ist, was die historischen Ausflüge literarisch gut zu erzählen weiß, was genügt, gespannt zu lesen, statt genervt mit den Augen zu rollen, den Autor selbst daran erinnert, was ihm, also mir, besser nicht passieren darf und wie ich darum erzählen muss und ob die Kombination zweier Ebenen in einem Buch - der kulturhistorisch berichtenden, wie ich sie am liebsten lese, mit der literarisch erzählenden, wie etwa im Zauberberg oder den Buddenbrooks, um nur die beiden elegantesten zu nennen, möglich ist und wenn ja, wie sie realisiert wird.

Wie der Wechsel der Ebenen, die unabhängig nebeneinander stehen, eine Möglichkeit wohl bietet, über die ich dringend vertieft nachdenken sollte, bevor ich demnächst völlig in meinem großen Projekt abtauche, das verbinden soll, was ich liebe, um zu erzählen, woher ich komme und wohin es geht - aber was erst wird,  ist ja relativ uninteressant für alle Leser, darum lieber mehr zur heutigen und gestrigen Lektüre über Smith und seine Rolle als Reisebegleiter, die im aktuellen Kapitel in Toulouse beginnt, was ich aber aufgrund der umfangreichen aber faszinierend guten Ausführungen noch nicht erreicht habe.

Spannend ist die Rolle Frankreichs und Englands auf ökonomischen Gebiet historisch zu betrachten, weil es viel auch über das jetzige Europa lehrt und die unterschiedlichen Versuche der Krisenlösung, die sich aus der jeweiligen Rolle des Staates im ökonomischen Gebilde erklärt und warum die Wege logisch aus historischen Gründen schon so unterschiedlich dabei sind.

Der französische Zentralismus, der schon unter Franz I. anfing und unter Ludwig XIV. seinen ersten Höhepunkt erreichte, der zum Zeitpunkt der Reise bereits 50 Jahre Tod war, dafür regierte noch bis 1773 Ludwig XV. der vorletzte Herrscher aus dem Haus Orleans bis zur Revolution, ist ein zentraler Punkt, der die Stabilität des Ständestaates garantierte. Jeder hatte dort seine Rolle. Der König versammelte, wenn möglich, den Adel am Hof und beschäftigte ihn dort, um dessen anderweitige politische oder militärische Aufmüpfigkeit kontrollieren zu können. Nebenbei war durch die Konkordate Ludwigs XIV. auch der erste Stand relativ stark eingebunden worden, rang nur noch teilweise unter dem vorletzten Louis mit der Kirche, die etwa das Projekt der verdächtigen Aufklärer um die Enzyklopädisten Diderot und d’Alembert verhindern wollte, was ihr dank der unterstützenden Hilfe der Geliebten des Königs, der berühmten Pompadour, nur mäßig gelang, auch wenn die Jesuiten das Unternehmen teilweise sehr gefährdeten und ihren Gegner Diderot zeitweise sogar in die Bastille brachten.

Ganz anders dagegen die Situation in England, besser gesagt Britannien, da ja Smiths wegen auch der Vergleich zu Schottland von Bedeutung ist, und im Deutschen Reich, das sich zum Zeitpunkt der Reise noch heilig und römisch nannte, auch wenn die vom Haus Habsburg schon zu lange beanspruchte Krone nur noch wenig realen Boden hatte. Nach dem dreißigjährigen Krieg und dem Friedensschluß von Münster und Osnabrück, von dem das Frankreich Ludwigs XIV. stark profitierte, war Deutschland nicht nur religiös ein Flickenteppich, der schwer zu regieren war - was die entschiedene Vertreibung des Hugenotten durch Ludwig und die Aufhebung des Ediktes von Nantes seines guten Großvaters Henry IV. vielleicht ein wenig erklären kann. Doch so sehr damit für eine gewisse Zeit die innere Stabilität Frankreichs gefördert wurde, zumindest bis zur Revolution und dem ihr später folgenden Laizismus, so sehr war es auch ein Aderlaß, der die protestantischen Nachbarn, allen voran Preußen stärkte,  was dessen späteren Aufstieg begünstigte. 

Zum Zeitpunkt der Reise ist der siebenjährige Krieg bereits vorbei und damit die drei schlesischen Kriege beendet. Friedrich blieb im Ergebnis siegreich, auch wenn er seinen Staat für ein da noch scheinbar wertloses Stück Land fast ruiniert hatte, durfte er es nach dem Frieden von Hubertusburg behalten und machte sich auf kluge Art das französische Modell imitierend an den Wiederaufbau der Mark, wurde später durch die erste polnische Teilung sogar König von Preußen, zu dem dann eine Landverbindung von der Mark aus bestand und das nicht länger nur eine Inselkrone unter polnischem Lehen im ehemaligen Gebiet des deutschen Ordens war, dem späteren Ostpreußen. Vorher war er wie Vater und Großvater schon nur König in Preußen gewesen nicht aber im Reich.

England hatte als erstes die Prinzipien der Industrialisierung begriffen, den Welthandel im Empire und den freien Markt, auch wenn es ihm aufgrund verschiedenster politischer Querelen und Bündnisse nur bedingt erfolgreich folgte. So beschreibt Blomert mit anschaulichen Zitaten auch, wie sehr sich Smith und seine Clubfreunde über das Verbot des Imports französischer Weine ärgerten, den sie bevorzugten, gegenüber dem steuerfrei importierten, ihnen zu süßen portugiesischen Weinen. In England hatte das Empire schon unter Elizabeth I. Form angenommen, die durch die Verstaatlichung der East Indian Company noch verstärkt wurde. Starke Kräfte plädierten hier für freien Handel, auch wenn andere das Gleichgewicht von Import und Export anmahnten, was die USA gerne der heutigen Bundesrepublik vorhalten, dem europäischen Exportweltmeister, der wesentlich weniger einführt als ausführt und darum auch theoretisch immer reicher wird, was aufgrund anderer sozialer Fehlkonstruktionen nur eine Illusion gegenüber den Nachbarn ist, aber eine neidvoll spaltende Sicht auf den Wohlstand bleibt.

Deutschland schlug sich zu dieser Zeit noch mit zahlreichen Grenzen und Zollschranken herum, wie sie Thomas Mann so wunderbar spöttisch noch nach dem Untergang des Reiches für das 19. Jahrhundert beschrieb, was Handel und einheitliche ökonomische Entwicklung bremste. Die Unterschieden zwischen den heute Bundesländer genannten Regionen gab es schon immer mehr oder weniger stark, dabei waren für eine Epoche die angehörigen der Hanse besonders erfolgreich und reich oder die kaiserlichen Kreditgeber in Augsburg und Nürnberg, später wurden es Regionen wie, für viele noch überraschend, Preußen, das über viele Grundstoffe der Industrialisierung in seinem Territorium verfügte, ohne dies zum Zeitpunkt der Eroberung durch Friedrich II. wie später infolge des Wiener Kongresses wie des Reichsdeputationshauptschlusses bereits so genau zu wissen. Sie saßen auf dem Geld und wussten es nicht völlig ungeschickt eine gewisse Zeit zu nutzen, was erklärt warum der Sohn der Königin Louise, die auf der Flucht vor Napoleon an der Lungenentzündung im mecklenburgischen starb, sich bereitwillig von Bismarck und Moltke später zum Krieg gegen Frankreich bringen ließ, auch wenn er die ihm in Versailles dann aufgesetzte Kaiserkrone eigentlich gar nicht wollte, er fühlte, dass hier der Untergang Preußens begann.

Wichtiges spannendes Thema, amüsanterweise an dem Tag, an dem ich auch vom unerwarteten Besuch des damals noch Kronprinzen auf der Pfaueninsel las, der mit seiner aparten Gattin aus dem Hause Sachsen-Weimar, die Hettche realistisch klüger erscheinen lässt, kein Wunder bei einer Enkelin von Anna Amalia, bin ich versucht zu sagen, gegenüber dem sogenannten Kartätschenprinzen, der nach den Ereignissen vom März 1848 aus Berlin gen England fliehen sollte, um sich dem Zorn der Berliner zu entziehen, auf die er hatte schießen wollen, ganz im Gegensatz zu seinem bedächtigeren Bruder Friedrich Wilhelm IV., der später aber auch den Einflüssen der Gruppe um  den da aufsteigenden Junker Bismarck erlag und den parlamentarischen Versuch in Preußen schon im November wieder beendete. Gerade angesichts der Unruhen in den USA und der hysterisch schwachen Reaktion des noch Präsidenten Trump, lohnt es sich kritisch über die harten Kerle nachzudenken, die nie Kompromisse suchen, weil ihnen häufig dafür die kritische Einsicht der Möglichkeiten fehlt, sie das Eingeständnis von Fehlern für Schwäche halten, dahingestellt ob dies bei Wilhelm I. später so war, der ohnehin eher König und Kaiser von Gnaden anderer Genies war, nämlich Moltke und Bismarck.

Mit dem Ende der Hanse als europäischem Freihandelsraum, der sich zunächst über die Ostsee und die deutschen Hansestädte erstreckte, später in ganz Europa Dependancen hatte,endete eine zeitlang die deutsche Vorherrschaft auf europäischen Märkten und wurde durch nichts gleichwertiges ersetzt. Stattdessen bunte Kleinstaaterei, die sich gegenseitig Konkurrenz machte, möglichst vom Nachbarn noch Zölle kassierte, also Geld eher unproduktiv und den Handel behindernd verdiente.

Der siebenjährige Krieg, der zum Zeitpunkt der Reise, die als Grand Tour für einen Gentleman aus bester Familie gedacht war, den Smith als tauglicher Lehrer begleitete, erst zwei Jahre beendet war, ist schon ein Weltkrieg der damaligen Supermächte Frankreich und England gewesen, die sich um Amerika und Indien balgten und scheinbar überall war England als Sieger vom Feld gegangen, auch wenn die nur acht Jahre nach Beginn der Reise bevorstehende Boston Tea Party schon vom drohenden Gegenteil zeugt, was die Franzosen natürlich nach Kräften unterstützten. Auch dort ging es übrigens um Abgaben, in dem Fall auf Tee, also die Beschränkung des Handels durch das Empire und seine dramatischen Folgen, mit der auch die Regierung Trump wieder auf typisch imperialistisch großmäulige Art versucht ihre Schäfchen ins Trockene  zu bringen und noch, so sehr es sich manche Europäer auch wünschen, sind diese Wahlen nicht entschieden, auch wenn der wohl großmäuligste aller amerikanischen Präsidenten bei geringster intellektueller Basis, gerade viel dafür tut, nicht wiedergewählt zu werden.

So reist Smith durch das Europa der Aufklärung, in dem Frankreichs staatlich geprägte Ökonomie der Manufakturen noch eine führende Rolle hat und das mit den Geistern der Aufklärung von Diderot bis Voltaire wie den anderen Enzyklopädisten auch geistig eine führende Rolle spielt, an der sich manch aufgeklärte Herrscher wie Friedrich II. oder Katharina die Große orientieren, deren Großzügigkeit gegenüber Diderot am Ende die Enzyklopädie rettete und damit das aufgeklärt kritische Fundament der späteren Revolution legte. Die Pariser Salons, die unsere Reisenden später noch besuchen werden, sind ein Teil dieser aufgeschlossen kritischen Welt - auf diese Begegnung mit den alten Freunden aus den Bösen Philosophen des sehr geschätzten Philipp Blom, freue ich mich und bin sehr gespannt.

Das schöne an historischen Literatouren, sind immer die Brücken, die sich schließen und mit denen das Netz des Verständnisses wächst, das die Welt verbindet und zu einem offenen Ort macht, der über sich nachdenkt. Die kulturhistorischen Zusammenhänge und Unterschieden in Europa auch durch die teilweise direkt verknüpften Königshäuser, wie Ludwig XIV., der Coup mit der Krone Spaniens für sein Haus gelang, allerdings zum hohen Preis langer Kriege, wie der Aufgabe jeder politischen Verbindung mit Spanien, oder die Ehe zwischen Ludwig XVI. und Maria Theresias Tochter Marie-Antoinette, das neue Bündnis besiegelte, das die Pompadour mit Zarin Elisabeth und eben Maria Theresia gegen Fritz geschmiedet hatte, der die drei prompt die drei Erzhuren nannte, gegen die er Preußen mit viel Glück nur verteidigte.

All dies macht die Nähe der späteren amerikanischen Revolutionäre zu Frankreich klar, die damit den Briten zumindest indirekt noch schaden konnten, wenn sie diese schon nicht im Feld besiegten und so zeigt sich mancher militärisch scheinbar glanzvolle Sieg in der langfristigen Beurteilung als mit so hohen Kosten verbunden, das er dauerhaft doch zur Niederlage wird, weil sich Kriege nie lohnen auch für Preußen nicht, dass völlig von den Landkarten verschwand. Wann die Briten begreifen, was der Sieg Johnsons sie kosten wird, ist noch unklar, auch wer zurückrudern wird, nachdem der gerade noch amtierende Premier noch nicht an Corona sterben durfte,  um dem Spuk ein schnelles Ende zu bereiten, doch werden auch diese scheinbar verwirrten englischen Bestrebungen im größeren europäischen historischen Kontext noch von anderer Seite beleuchtet - wie weit dieses Nein eher ein Bekenntnis zorniger Unpolitischer war, die besser geschwiegen hätten, ist eine andere Frage, die auch eine literarische Betrachtung interessant macht.

Hätte Thomas Mann besser geschwiegen, statt seine deutschnationalen Bekenntnisse eines Unpolitischen aus dem Gefühl und der Seele der Nation zu verfassen, um derentwillen er sich mit Heinrich danach überwarf, der sich dafür immer zu weit links anbiederte, was die DDR-Regierung gerne benutzte, ihn groß zu reden, der zwar der altersgemäß große Bruder war aber literarisch immer eher der Kleine blieb, sehen wir vom Henry IV. ab, was wieder zeigt, wie dankbar ein guter und feiner Blick auch auf die französische Geschichte oder eine Grand Tour dorthin sein kann, um Charakter und Persönlichkeit zu schulen, was keine Fürsprache für meist überflüssige Reisen in einer ständig gehetzten Gesellschaft sein soll, sondern vielmehr die geistigen Prioritäten betont, die ein literarischer Blick auch über die eigenen Grenzen hinaus bringen kann, denn nicht Reisen, sondern Lesen bildet.

jens tuengerthal 3.6.20

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