Samstag, 30. Mai 2020

Preußenliteratour

Ein wenig Fontane, aus den Wanderungen durch die Mark Brandenburg wie dem Stechlin, und Tucholsky, aus Rheinsberg, ein Bilderbuch für Verliebte heute gelesen, aber vor allem durch die nördliche Mark bis fast zur Grenze Mecklenburgs auf den Spuren dieser Literatur durch die Landschaft gefahren und neue alte Welten entdeckt, die Preußens Schönheit und Geschichte wunderbar erkennen lassen, was der literarischen Geschichte genug wert ist, Zusammenhänge neue sehen ließ.

Beginnend im Berliner Hansaviertel, ging es mit dem Wagen gen Norden und so hat die Mobilität, die ich meist eher kritisch sehe, auf der Suche nach Spuren auch der Literatur eine wunderbar entspannte Seite manchmal, von der es zu erzählen lohnt. Ausnahmsweise war diese Literatour also tatsächlich on Tour, also unterwegs, um etwas zu sehen, was nun Tage und Wochen noch nachwirken kann in der großen Stadt, der die Stille so fehlt, dass sie sich ständig in neue Bewegung und neuen Lärm stürzt, um unterhalten zu werden. Ob ich darum so sehr bemüht bin, den Kontrapunkt zu bilden, scheint der Frage wohl wert.

Das erste Stück zu schnell über die Autobahn bis Oranienburg gefahren im meist fließenden Verkehr, der auf solch großen Straßen so sehr mit sich beschäftigt ist, dass die Schönheit in der bloßen Bewegung völlig untergeht. Darum wählten wir für den Rückweg, zu dem aber später, nur noch schöne Landstraßen, reisten also langsamer und bekamen mehr mit, was wesentlich entspannter war und glücklicher machte als die vorige Erreichung von irgendwelchen Zielen, die letztlich eigentlich egal sind, wenn es im Leben mehr darum ginge, es schön zu haben, als wo gewesen zu sein, was überhaupt keinen Wert an sich darstellt.

Wir wollten nur zum Stechlin und nach Rheinsberg, vielleicht noch auf dem Rückweg über Neuruppin, doch dann wurde es eine vielfältige Reise an Orte wie durch Zeiten, die langsam viel mehr entdeckte. 

Das erste mal hielten wir in Löwenberg, der im 13. Jahrhundert auf einem Wall gegründeten Gemeinde, die zeitweise eine nicht unbedeutende Stadt war, bevor von erlin noch die Rede war, die nach den Kurfürsten den Bischöfen von Brandenburg gehörte, wie noch einigen anderen adeligen märkischen Familien, die längste Zeit aber, von 1460 bis 1788 im Besitz der von Bredows war, die auch zahlreiche nicht unbedeutende preußische Generäle stellten, deren einer noch einen Grabstein in der Kirche hat.

Der nicht geplante aber nötige Halt wurde von mir, während die Fahrerin noch anderweitig beschäftigt war, in alter familiärer Tradition genutzt wurde, die dortige Kirche zu besichtigen, die schon von außen sogar mir völligen kunsthistorischen Laien sehr alt erschien. Ging also, wie früher mein Vater bei jeder auf dem Weg gelegenen Kapelle, zumindest in meiner Erinnerung, um das Gotteshaus herum, was ich in Anbetracht der Tatsache, dass der zu dessen Ehre dieser trutzige Bau errichtet wurde, für mich nicht existiert, nur eine vielfach lästige kulturhistorische Epoche ist, schon amüsant finde. Scheinbar ist es mit dem familiären Erbe so, wie mit vielen Dingen, um so entschiedener wir sie ablehnen, desto eher kehren sie zurück, vor allem aber hat der Umgang mit alten Traditionen, die wir einfach fortsetzen, auch etwas heimelig vertrautes, mit dem ich mich zumindest sehr entspannt wohl fühle - kenne es ja und denke, dass ich etwas entspannt Gutes tue, egal was ich mit dem Aberglaube dahinter zu tun habe.

Alt erschien mir die Kirche, weil der aus Findlingen errichtete Turm wie das sich anschließende Schiff eher an eine alte Burg erinnerte, sogar für den frühen romanischen Stil zeitlos schlicht wirkte. Vermutete 13. Jahrhundert, also kurz nach der Christianisierung des Ostens durch Heinrich den Löwen und Albrecht den Bär, der nach manchen Gerüchten und fragwürdugen Urkunden Bärlin den Namen gab. 

Für eine protestantische Kirche war sie von Innen relativ prächtig bemalt, mit vermeintlich marmornen Säulen und anderen kleinen Schönheiten. Die Damen, die gerade die Kirche mit ihrer Corona gemäßen Bestuhlung schmückten, erzählten, dies geschehe für die morgen stattfindende Goldene Hochzeit, die ja gerne noch mit einer Einsegnung begangen wird, wie es meine Großeltern auch taten, was ich allerdings bei meinen Eltern nicht mitbekam, was auch daran gelegen haben könnte, dass jener Ort in dem meine Großeltern lebten ähnlich dörflich war wie Löwenberg heute, während sich das Dorf meiner Eltern in südwestlicher Provinz für eine bedeutende Stadt immer noch hält. Erstaunlich allerdings daran war, dass dies aktuelle Jubelpaar 1970, also zu DDR Zeiten, heiratete, wo kirchliche Traditionen eher seltener gepflegt wurden. Vielleicht aber führte die staatliche Ablehnung der Kirchen, wie jedes anderen Glaubens als des staatlichen, gerade dazu, dass diejenigen, die sich dennoch dazu bekannten, sich besonders eng daran banden, was nur bedingt für eine stabilisierende Wirkung des Staatskirchenrechts spricht aber das wäre ein anderes Thema, über das mir als atheistischem Mitglied dieses Vereins nur bedingt zu diskutieren zusteht - manches kommt anders als geplant.

Wie auch immer rührte mich dieser wunderschöne Bau so sehr, dass ich nicht umhin konnte ihn, wieder in nerviger familiärer Tradition der Fremdbeglückung,  auch meiner lieben Freundin sogleich zeigen zu wollen, die erstaunlich geduldig, wie manche Norddeutsche eben so sind, mich mal ausgenommen, nicht über den Zufall der Geburt spekulierend, alles bewunderte, es scheinbar auch schön  fand, obwohl ich vermuten könnte, dass ihr moderne Bauten näher liegen als alte Gemäuer, die an manchen Stellen sogar sichtbar über Epochen ausgebessert wurden - wie im Turm, der rückwärtig zwischen Feldsteinen und Klinker wechselte, wohl auch eines der vielen Opfer des Dreißigjährigen Krieges wurde, der in der Mark böse wütete.

Nun aber genug vom Zufallsfund der alten Kirche, die weder Ziel noch sonst eingeplant war aber mit den Bredows und den Zerstörungen vieles schon über preußische oder eigentlich damals nur Geschichte der Mark erzählt und damit viel Raum für Literatur gäbe, wir hatten ja noch bekanntere literarische Ziele von großer Schönheit voller Hoffnung vor uns - auch wenn schon die Frage wohl begründet wäre, was schöner sein kann, als eine Dorfkirche in der Damen ein Fest der Liebe vorbereiten und die den Geist der Jahrhunderte trägt.

Von Löwenberg aus ging es direkt zum Stechlin und da dieser mitten im schönen Wald liegt, ins Dorf Neuglobsow, dass dem Namen oder der slawischen Endung zum Trotz eine friderizianische Gründung erst  war, die zunächst mit Glasbläserei reüssierte, bis sie Fontane mit seiner erfundenen Romangestalt aus dem Geschlecht derer von Stechlin berühmt und für den Tourismus interessant machte, dem auch das sehr engagierte und schön gemachte Museum der Glasbläserei huldigt, wenn auch unter dem Deckmantel der Tradition, der bekanntlich alles gut gemeinte in ein sehr mildes Licht taucht, was nicht unbedingt mehr Aufklärung oder Klarheit erzeugt, wirkte dieses natürlich maskiert betretene Haus sehr aufgeklärt und positiv, geradezu überraschend gut, bin ich versucht zu schreiben, ohne dabei den arroganten Hauptstädter herauskehren zu wollen. Ein Ort für den sich noch mehr Zeit zu nehmen sicher lohnte, doch mit Mundschutz und zu vertieften Studien gerade nötigen Gummihandschuhen wird kein Museumsbesuch zum Genuss - vielleicht irgendwann noch einmal - Rückkehr hat ja etwas schönes auch oder zumindest als Werbung für andere und bessere Zeiten.

Schön sanierte Gebäude mit häufig gastronomischen Betrieb dienen, mehr als offen und soweit geöffnet, dem gleichen Zweck wie die mit Leidenschaft und mehr oder weniger viel Geschmack dekorierten Schaufenster. Sie huldigen Fontane und anderen den Ort streifenden Autoren, wollen ein Künstlerdorf in der märkischen Sandwüste aus dem sonst Nichts entstehen lassen, was zumindest für den Geschäftssinn der Anwohner spricht, der wie die Sparsamkeit ja eine der Tugenden ist, die den Märkern schon Fontane attestierte. Lassen wir uns überraschen, ob es im Ergebnis mehr Kunst oder Geschäft wird. Sehenswerte Gartenzäune im Jugendstil vor alter Villa, die in ihrem Sterben noch schöner werden und damit zu belegen scheinen, dass sie wirklich aus dieser Zeit stammen, geben der märkisch dörflichen Atmosphäre noch etwas moribundes, sprechen allerdings gegen die allgemeine Geschäftstüchtigkeit der Eingeborenen, insofern, sollten diese Zäune noch echt sein, wogegen wenig spricht, sie längst ein Vermögen wert wären und kein vernünftiger Mensch, sie vor sich hinrosten ließe - wobei unklar ist wie die Besitzverhältnisse bei der von ihnen umkränzten Villa tatsächlich sind, die bevor sie vor dem letzten großen Krieg enteignet wurde, einer jüdischen Familie gehörte und nicht etwa das vermeintliche Schloß derer von Stechlin ist, trotz des neogotischen Turms dort, der es manche Besucher vermuten lässt. Dieses Gutshaus oder Schloss derer von Stechlin gibt es und gab es nie, die Industriellen-Villa spielt nur nett damit.

Auf geradem, wenn auch ein wenig hügeligen größtenteils asphaltierten Weg ging es zum berühmten Stechlinsee, dem mit 70 Metern tiefsten Klarwassersee Norddeutschlands, wo wir uns dort nah der mecklenburgischen Grenze längst befanden. Der See ist schön, klar, still, friedlich und baumumstanden und insofern wir am Freitag dort waren auch noch relativ wenig besucht von Badegästen und sonstigen Freizeitterroristen aus der Großstadt oder noch schlimmer sichtbar vom Dorf, zu denen, zumindest den ersteren, wir uns ehrlicherweise auch zählen müssten, aber wer in friedlich, schöner Umgebung schon immer ehrlich und wer hätte vor allem etwas davon.

Den ehemaligen Atomreaktor am entfernten anderen Ufer, für den zu DDR Zeiten noch das Wasser des Sees massiv abgesenkt und erwärmt worden war, konnten wir in der friedlichen Ruhe gut ignorieren. Strahlung ist zum Glück unsichtbar und die starke und erfolgreiche Fischzucht, des inzwischen wieder wohltemperierten und also an den meisten Stellen auf 4° abgekühlten Stechlin spricht zumindest nicht für eine fortgesetzte Belastung der Umgebung. Es war auch zu schöner friedlicher Wald an so etwas überhaupt denken zu wollen, worüber ich nur jetzt mit etwas Abstand schreibe, was aber bei unserem Spaziergang am Ufer wie der kleinen Pause auf der Fontane Bank, die zumindest mit hölzernen Büchern versehen war, wenn schon die Rückenlehne fehlte und völlig unklar ist, ob der Dichter jemals länger dort weilte, keine Rolle spielte. Uralt wirkt der umgebende Forst mit Buchen und Kiefernwald, doch dieser Eindruck täuscht, wie uns Fontane in den Wanderungen vom Stechlin und dem ihn umgebenden Forst berichtet, bereits einmal wäre der ganze bereits im nu durch Berliner Schornsteine verheizt worden, was erst kurz vor dem völligen Untergang gestoppt worden wäre. Davon aber ist in der Umgebung nichts mehr zu sehen, der zu Fontanes Zeiten gerade hundert Jahre alte Wald, der mittlerweile übe 200 Jahre alt ist wirkt trotz oder wegen der ehemals Atomkraft in der Nachbarschaft wild und schön und so lebt der ehemals Menzer-Forst, der, wie Fontane so treffend schreibt, rund ein halbes Dutzend Wasserbecken umschließt, weiter relativ ungestört fort, dahingestellt ob er bereits den strengen Kriterien genügte, die ein Peter Wohlleben an einen Wald stellt und scheint uns unverwöhnten Städtern als heile zwitschernde Natur von heimeliger Stille.

Die den See direkt umgebende Gastronomie erinnerte ein wenig auch an den zuletzt dort untergegangenen Staat, der das Atomkraftwerk baute und den Wasserspiegel senkte und so verführten die dort gereichten Sättigungsbeilagen zum Fisch die vielleicht verwöhnten Besucher aus Berlin nur bedingt zum längeren Aufenthalt, zumals uns ja noch Rheinsberg und eventuell Neuruppin erwarteten, wenn auch die kulinarischen Argumente schwerer wogen als die sonstigen Ziele. So begnügten wir uns zur Pause auf der Bank am See mit einem Kaffee ihrerseits wie meinerseits einem Lübzer Radler, womit ich zumindest brautechnisch bereits im mecklenburgischen gelandet war, was aber zur Stimmung wie zum Durst ganz gegen meine sonstige Gewohnheit gut passte.

Wie still und friedlich er da liegt dieser See, schreibt schon Fontane in den Wanderungen und sagten auch wir uns auf der Bank immer wieder, es hat dieses tiefe Wasserloch, trotz einiger spielender Kinder von vermutlich Eingeborenen und ihren teil voluminösen Eltern, die in ihrem Umfang wenig von märkischer Sparsamkeit erkennen ließen, etwas fast unheimlich stilles. Kein Wunder, dass sich die Anwohner dort Geschichten wie die vom Roten Hahn ausdachten, der auch als touristische Holzfigur immer wieder auftaucht. Schön war es dort, friedlich und beruhigend - vermutlich besonders auch weil es Freitag war und kein sonstiger Pfingstfeiertag, Corona wird das seinige getan haben, zumindest die lästigen Busladungen hat es verhindern helfen, dachte ich.

Da fiel mir die lästig laute Bus-Demo ein, in die ich in Berlin, neulich auf dem Rückweg vom Hansaviertel spazierend, geriet, in der viele, zu viele Busse laut hupend, gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze aufgrund der Corona-Auflagen demonstrierten und war froh, als der Spuk vorbei war und ich als politisch nicht gebundener Mensch entschlossen die Meinung haben konnte, hoffentlich gehen sie bald alle pleite und kommen nie wieder hupend in unser Hauptdorf dies lästige Pack, was die Umwelt verseucht, Menschen unnütz durch die Gegend transportiert, statt sie friedlich vor Ort genießen zu lassen, eine Landplage sind, die keiner braucht, der mit etwas Vernunft begabt ist.

Natürlich, gibt es nötige Busverbindungen in abgelegene Regionen Mecklenburgs etwa aber von diesen Ausnahmen abgesehen, die eher ins Reich der Phantasie gehören, finde ich den Busreiseverkehr nur lästig und überflüssig. Wer nicht läuft, muss nirgendwo hin, wer nicht die Zeit dafür hat, sollte nicht reisen, bin ich geneigt zu sagen, allerdings nicht wirklich logisch konsistent, dabei bequem im Auto sitzend, klassischer Musik lauschend, sich für auserwählt in der Einsamkeit haltend und nicht von anderen verfassungsmäßig gleichberechtigten belästigt werden wollend, könnte diese moralische Aufregung über Unruhestifter vor keinem Gericht der Welt standhalten, sage ich mir, wenn ich nicht gerade verblendet genieße und freue mich an dem augenblicklichen Glück relativ trauter Zweisamkeit, die keinen Namen braucht.

Bräuchte ich die anderen, die Sehenswürdigkeiten erst zu einem Geschäft machen, das den Erhalt lohnt, warum Investoren und Geldgeber dort ihren Segen machen, frage ich mich lieber nicht, weil ich die Antwort kenne - hätte alles lieber exklusiv, vielleicht mit ausgewählt gebildetem Publikum wie etwa im Orient-Express, sehen wir von neureichen Russen einmal höflich ab, die aber vor Sowjetzeiten zumindest auf eine alte teilweise auch europäisch geprägte Kultur zurückblicken konnten, bevor georgische Massenmörder dort das Ruder übernahmen aber auch das wäre eine zu aufregende andere Geschichte, die ich in dieser wunderbar ruhigen Gegend lieber überhaupt nicht thematisieren möchte, um ungestört zu genießen, was ist, auch wenn ich wie in Löwenberg mich schon frage, warum Karl Liebknecht statt seinem Vater Wilhelm noch mit großen Straßen gedacht wird oder warum in Neuruppin der Vordenker des linken Totalitarismus Karl Marx noch inmitten der Altstadt mit einer Büste hinter einem erwartungsgemäß häßlichen Denkmal für gefallene Antifaschisten geehrt wird und nicht wie die Hitlers dieser Welt besser verschwindet, weil die Folgen seines Denkens noch mehr Opfer bis heute brachte, von dem von der DDR zur Kultfigur geadelten Mörder der Weimarer Republik Thälmann lieber ganz zu schweigen, dessen Verklärung im Gedächtnis vieler DDR-Bürger ein wunderbares Zeugnis für die wirkungsvollen Lügen totalitärer Regime ist, aber es war ja auch eine Diktatur der Proleten mit entsprechendem Ergebnis, was manche gern verdrängen, welche die Erbin der SED, die sogenannte Linke für einen ansprechenden Partner halten, egal ob sie die Demokratie dafür auch opfern, denn so groß die Gefahr durch wenig behaarte Rechte in ländlichen östlichen Gefilden wohl sein mag, begeht die gleiche Sünde, wer die linke Gefahr verhamlost oder übersieht, weil zu große Toleranz am Rand zu einer Verlagerung des Gleichgewichts führt, sich dann wie bei einer Wippe beide immer mehr an den Rand setzen müssen, um wahrgenommen zu werden, dort gerne laut sind uns es um die lieber friedliche bürgerliche Mitte zu still wird.

Aber zum Glück ging es bei diesem wunderbaren Freitagsausflug nicht um Politik, die Beteiligten würden dabei sicher auch so wenig streiten, wie sie es sonst auch tun, im meisten erstaunlich harmonisch trotz unterschiedlichen Geschlechts und relativer Nähe, weil die Natur doch manchmal noch unerwartete Wunder bereithält, sondern um Kultur wie Natur und ihren Genuß durch Anschauung vor Ort. So ging es durch friedliche Alleen nach einer kurzen Verirrung aufgrund eines geographischen Irrtums meinerseits, wie fern ist der Mensch doch von Sicherheit in fremder Umgebung manchmal und wie gut tut es doch, dies auch praktisch zu bemerken, zumindest, wenn du die Strecke nicht zurücklaufen musst sondern fahren kannst, noch besser wie in meinem Fall chauffiert wirst, auf also ziemlich direkten Weg nach Rheinsberg, das wir von Ostnordost aus erreichten.

Wie ich es schon immer getan hatte, was ja immer der beste Maßstab im Leben und auf Reisen ist, völlig in die Irre zu laufen, was allerdings auch wieder nicht ganz gelang, der Tag wollte scheinbar gut werden, schlug ich vor im kleinen Wald südlich des Schlossparks zu parken. Der letzte Besuch im Sommer 2010 ist schon ein wenig her, damals war ich zu einer abendlichen Opernaufführung einer befreundeten Regiesseurin geladen, die im Schloßhof unter freiem Himmel und im Opernhaus spielen ließ, wobei mir die frische Luft im Hof deutlich näher kam als die vielleicht bessere Akustik im von Friedrich und Heinrich errichteten Opernhaus, das inzwische auch eine Musikakademie enthält, die aber, den Anweisungen des RKI folgend gerade pausiert. Beim letzten Besuch war der Parkplatz noch nicht bewirtschaftet aber wir gaben die mäßigen 1,3 Euro die Stunde gerne, was gegen den Euro die halbe Stunde in Entfernung vom Stechlin wirklich günstig anmutete, wie gerne geben wir an schönen Orten ein wenig, deren Erhalt zu unterstützen und Rheinsberg ist nicht nur schön, es ist ein Traum.

Rheinsberg von Berlin aus zu erreichen, ist nicht leicht, schrieb Fontane in seinen Wanderungen, als Tucholsky sein Bilderbuch für Verliebte komponierte und auch mit der Bahn kam, war es schon etwas leichter, hätte es auch schon Autos gegeben, wie es etwa zeitgleich Rudolf Borchardt in Weltpuff Berlin beschreibt, wo der Protagonist mit seiner Liebe aus gutem Hause von ihr in ihrem Cabrio kutschiert, eben dorthin fährt, den Ort zu genießen, der auch ohne Sex vn geradezu pornographischer Schönheit ist. Rheinsberg über schmale Alleen vom Stechlin aus mit dem Auto zu erreichen, ist eine Kleinigkeit und ein Genuss, entsprechend entspannt kamen wir an, flanierten durch den kleinen Schlosspark, um quasi von hinten auf die Schlossterrasse zum See zu kommen und auch wenn der Himmel sich während des Aufenthalts in Rheinsberg eher bedeckt zeigte, wurde es wieder ein traumhaft schönes Ereignis, dort zu flanieren, so oft ich schon da war, doch nie in dieser entspannten Gesellschaft.

Die Lage am See, an dem Kronprinz Friedrich sich nach der Haft in Küstrin, die dem Fluchtversuch mit Katte in der Kurpfalz nahe Heidelberg folgte, wie der Kasernenzeit in Rheinsberg, seine erste eheliche Wohnung mit Elisabeth-Christine einrichtete, der Welfin, die er nicht wollte und die der Fluchtgrund war, weil ihm die frömmelnde Wahl seines Vaters vor allem zuwider war, ohne dass er sie kannte, der sich aber die Zuneigung des habsburger Kaisers dadurch erhoffte, zu dessen weiterer Verwandtschaft die Braut gehörte, während Friedrich durch die geplante Flucht mit seinem Jugendfreund hoffte, die Hochzeit mit der englischen Prinzessin aus dem Stall seiner Mutter zu realisieren, was natürlich völlig illusorisch war, welcher König verheiratete seine Tochter an einen fahnenflüchtigen märkischen Prinzen, dessen Vater sich nur König in Preußen nennen durfte, von dem nichts zu erwarten war, zumindest damals sah es nicht so aus, als würde der Knabe später der Große genannt werden, ist schon traumhaft, das friderizianische Rokoko, das Knobelsdorff nach den Plänen des damals Kronprinzen ausführte, ist schon schön genug, ins Schwärmen zu geraten, zumindest für mich als älter werdenden Kulturpreußen, ein Traum aber wird es auch durch die Einbettung dieses zart spielerischen Ensembles in die Landschaft. See, Gärten und Wälder betonen die Schönheit noch. Es ist ein Traum, der immer wieder den Besuch lohnt. Wie sehr die Schwärmerei durch gerade Gegenwart beeinflusst wurde, sei der nötigen Dezentz wegen einmal dahingestellt.

War dort im Sommer wie im Winter, mit vielem möglichen Licht - gestern unter eindrucksvoll drohenden dunklen Wolken, die uns sogar einen Schirm aus unserer braven Benzin-Kutsche mitnehmen ließ, der allerdings nicht benötigt wurde, vermutlich aber nur, weil wir ihn mitnahmen. Vielleicht hätte ich mit ihm eleganter flanieren sollen, denke ich im nachhinein aber es wird nicht das letztemal dort gewesen sein, wie wir uns auch nach dem Besuch des Museums-Shops der Stiftung preußische Schlösser und Gärten versicherten - es ist einfach zu schön dort, mehr aber auch nicht.

Die Fischbrötchen danach waren kulinarisch zumindest keine zu große Enttäuschung, stärkten und ließen noch Raum für anderes später vielleicht, weil die übrigen örtlichen Lokalitäten am See auf den ersten Blick nicht wirklich überzeugten. Erlaube mir kein Urteil über die Rheinsberger Gastronomie, erspare es mir aber auch und weiß, was ich an diesem Ort lieben, was ich mir besser erspare. Der Ort hat im preußisch historischen Gewand viel östlichen Charme, wenn das nicht schon eine contradictio ist, die aber zumindest nicht böse gemeint war. 

Erstand im Laden der Stiftung ein Feuerzeug mit Aufdruck der selbigen in preußisch blau, ein wenig Kult muss manchmal sein und diese kleine Schwäche vor dem hehren Anspruch sei gestattet, auch Friedrichs Vater, der märkisch sparsame Soldatenkönig, der nur für seine lange Kerls unsinnig viel ausgab, qualmte gerne, warum sein Sohn es hasste, der in Königs Wusterhausen im Jagdschloss den verrauchten Abenden zu oft hatte folgen müssen, lieber den Tabak kaute, wie einen schönen Band des Bilderbuches für Verliebte von Tucholsky aus literarischem Interesse für meine liebe Freundin, die es noch nicht kannte, was den nächsten Besuch vielleicht noch schöner machte, könnte ich mich noch genau an die vor über 30 Jahre gelesene Geschichte erinnern, aber manches verklärt auch die Erinnerung und es ist gut so.

Vom wider Erwarten doch nicht verregneten Rheinsberg ging es gen Süden durch verwunschene Wälder, an schönen Feldern vorbei, die von blühenden Disteln, Mohn und Kornblumen so oft umstanden waren, durch schönste Alleen, die den Zauber Brandenburgs ausmachen, dass, außer Schönheit der Landschaft und gelegentlicher wunderbarer architektonischer Überbleibsel der preußischen Epoche, ja nicht viel zu bieten hat, vor allem für die ländliche Bevölkerung, was mehr kluge Frauen abwandern als bleiben ließ, woraufhin sich die verbliebenen Männer zu absurden Betrachtungen der Welt häufiger verführt fühlten als im Bundesdurchschnitt, aber es soll auch dort immer wieder erstaunlich vernünftige und interessante Zeitgenossen geben, was ich zumindest bisher nicht widerlegen konnte.

Zwei der berühmtesten Zeitgenossen der Mark wurden in Neuruppin, unserer nächsten Station geboren - Karl Friedrich Schinkel und Theodor Fontane. Ersterer erlebte auch den großen Brand der Stadt, seine Familie verlor damit nicht nur allen Besitz, sondern es zog sie schließlich sogar nach Berlin, wo der junge Karl-Friedrich auf Empfehlung seines Lehrers als Meisterschüler der Architektur seinen Weg machte und es zum Hofbaumeister brachte, der auch auf der Pfaueninsel, die heute nicht Thema ist, keine Sorge, seine architektonischen Spuren hinterließ, die Menzel wiederum malerisch verewigte, wovon Fontane literarisch schwärmte, womit wir eines der ästhetisch wirkungsvollsten Trios des alten Preußen zusammen haben, auch wenn es damit weniger zu tun hat, als mit dem neuen bürgerlichen Aufbruch und der Emanzipation auch der Künstler etwa im Tunnel über der Spree, den ich aber nur erwähne, weil es ja heute um Neuruppin geht, den unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. abgebrannten Stützpunkt verschiedener verschieden glorreicher preußischer Regimenter, wie auch des Regiments Prinz Ferdinand, was klanglich an die heute berühmtere Band Franz-Ferdinand erinnert, die an den zu Sarajewo erschossenen österreichischen Thronfolger erinnern wollten, was aber mit Neuruppin wenig zu tun hat - allerdings fragten wir uns, erst über den Markt und vom Schinkel zum Fontane Denkmal flanierend, dann in Ruhe am Seeufer zurück, was die Jugend von Neuruppin heute wohl macht, außer Wasserpfeife am See zu rauchen, ob ein Schinkel oder ein Fontane von dort aus noch seinen Weg machen würde, welche Bedeutung das humanistische Gymnasium noch in einer Stadt hat, die zwar überall mit den großen Preußen wirbt aber sich auch nicht für ein Denkmal für Karl Marx und die Opfer des Faschismus in Sichtweite des Denkmals für den Dicken genannten Preußenkönig schämte und was wohl aus den leeren Garnisonen eines Tages wird, welche Perspektive außer historischem Tourismus sich hier entwickeln lässt mitten in der Streusandbüchse mit den vielen Wasserlöchern aus der Eiszeit, in der es vielfach so wunderschön ist.

Wider Erwarten entdeckte ich das schöne etwas abseits gelegene Restaurant, in dem ich vor mehr als einer Dekade mal mit meinen Eltern wie der Mutter meiner damals noch sehr jungen Tochter speiste. Wir entschieden uns dagegen, gingen an die Seepromenade, wo das gewählte Lokal zumindest von den Sitzgelegenheiten her überzeugen konnte vor allem aber mit direktem Seeblick punktete, was allerdings kulinarisch keinen Wert darstellt, wie wir ohne große Enttäuschung völlig einig feststellen konnten. Nichts zu erwarten, hilft nie enttäuscht zu werden. Diesen wunderbaren Tag verdarb nichts, im Gegenteil kam, beim nur insgeheim etwas aufregenden Besuch des Pavillons am See ohne Seebeben, sogar die Sonne wieder ungeahnt strahlend hervor und begleitete uns dann den ganzen Heimweg, der an Fehrbellin, Kremmen, Spandau und anderen berühmten Orten der preußischen Geschichte vorbei führte, umrahmt von im Sonnenschein leuchtenden Feldern und der sie begrenzenden Blütenpracht.

Preußen ist nicht mehr, nur noch auch literarische Geschichte, genießen wir sie und vor allen nutzen wir sie, die Schönheit der Langsamkeit nebenan wieder zu entdecken. Bloß keine Autobahnen, sondern lieber zu klassischer Musik plaudernd, ganz langsam,  nur noch kleine Landstraßen, hoffentlich bald nur noch elektrisch oder mit Wasserstoff nur motorisiert, in aller Ruhe fahren, lohnt die Reise in die Provinz wieder und so kehrten wir nach rund 250 km ins Hansaviertel zurück, ich wanderte noch ein wenig die Spree bis zum Hauptbahnhof hinab und schief über die Erinnerungen schreibend und darin schwelgend gestern voll von Eindrücken aus Literatur und Gegenwart friedlich ein. Mehr an Glück braucht es kaum, die Welt zu genießen, wie sie ist, denke ich. Weiter auf preußischen Spuren literarisch unterwegs zu sein, wird mir eine Freude in der näheren Umgebung sein, wie schön doch alles eingerichtet ist, wenn dir gefällt, wo du lebst und das Umland überraschend viele kleine Paradiese bietet.

jens tuengerthal 30.5.20

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