Dienstag, 22. Juli 2014

Teilmobilmachungseskalation

Die Ukraine reagiert schnell auf die Anklage Moskaus an dem Abschusss von MH17 beteiligt gewesen zu sein. Sie lassen mobil machen und verkünden nun den totalen Krieg gegen die Rebellen, nachdem diese sich kooperationsbereit zeigten, Leichen wie Blackbox übergaben, um den Krieg noch zu gewinnen, bevor weitere Fragen nach der Auswertung laut werden, wer hier lügt und wer mit fast faschistoider Propaganda versucht Bösewichte zu erzeugen, die nicht in dieses Schema passen.

Natürlich fürchten alle Staaten sich vor Rebellen und Aufständischen, die ihre Ordnung gefährden und damit die Luftblase, auf der ihre angemaßte Macht beruht. Warum Russland sich vor den Rebellen weniger fürchtet als die Ukraine scheint offensichtlich. Den einen wenden sie sich zu, die anderen flüchten sie. Aber auch Russland würde diese Aufständischen ganz schnell entwaffnen, durch eine autorisierte Armee ersetzen, um für das zu sorgen, was wir für Recht und Ordnung halten, da die Gefahr, die uns bei Verlust der selbigen imaginiert wird, wesentlich größer scheint, als die durch ihre Errichtung und Durchsetzung drohende.

Als sei die Ordnung und das Recht ein Wert an sich und nicht nur eine Krücke, den Bestand der Ordnung aufrechtzuerhalten. Eine Ordnung gab es auch in den KZs und mit deutscher Gründlichkeit wurde die Vernichtung ordentlich betrieben, auf die Einhaltung des Plans geachtet. Hier wurde später argumentiert, um die rechtmäßig handelnden Täter doch ordnungsgemäßt, also nach geltendem Recht zur Zeit der Tat, bestrafen zu können, dies offensichtlich so menschenverachtende Tun, könne kein Recht sein, da es für jeden sichtbar gegen alle Gerechtigkeit verstoßen hätte, weshalb sich der Richter an höheren Maßstäben der Gerechtigkeit und nicht am Recht zu orientieren habe, um die Gerechtigkeit wiederherzustellen - was nett klingt aber völlig systemwidrig bleibt, Blödsinn ist. Wenn ich den Anspruch zu strafen am Unrecht der Tat festmache, muss das Recht gelten, das zum Zeitpunkt der Tat gilt.

Würden wir etwa plötzlich zu der Erkenntnis kommen alle Tiere seien Mitgeschöpfe, deren Tötung durch nichts zu rechtfertigen sei, könnten dennoch nicht die bis dahin Metzger wegen Mordes oder Totschlags bestraft werden, sondern eben erst ab dann, wenn dieses Handeln strafbar ist. Die moralische Krücke, die der große Denker Gustav Radbruch ins deutsche Strafrecht mit der nach ihm benannten Formel baute, bleibt eine Krücke. Sie ist eher religiös und moralisch denn rechtsstaatlich und ein, wie sich bei den Mauersschützenprozessen zeigte, gefährliches Einfallstor der bloßen Siegerjustiz, auch wenn es sich hier nur um den Versuch handelt die unerträgliche Ungerechtigkeit rechtsstaatlich gut zu behandeln.

Es ist verständlich und richtig, dass wir die unmenschlichen Täter der Konzentrationslager bestrafen wollten. Es ist zumindest teilweise verständlich, dass auch die Schützen an der Mauer nicht ungestraft davonkommen sollten, für ein Tun, dass zumindest im Westen, also unter der Mehrheit als völlig unmenschlich galt und auch im Osten kaum eine Mehrheit dafür auf die Beine brächte. Aber wird es damit richtig, sie gegen den wichtigsten Grundsatz zu bestrafen, den von nulla poena, der besagt, keine Strafe ohne zum Zeitpunkt der Tat geschriebenes Recht?

Das ist darum wichtig, weil wir dem Staat das Recht in unsere Freiheit einzugreifen, nur dann geben, wenn wir einsehen können, was wir tun dürfen und was nicht und welche Folgen ein Verstoß hat. Eine Bestrafung eines zum Zeitpunkt der Tat legalen Handelns, wie das Schlachten durch den Metzger, wäre nicht zu rechtfertigen und doch tun wir dies, immer dann, wenn aus unserer Sicht eine moralische Grenze erreicht ist oder uns suggeriert wird, es sei eine Grenze erreicht und darum müsse nun gehandelt werden, so wenig logisch es ist, so sehr es nur auf der Ideologie der Propaganda des Krieges fußt.

Das Recht ist eine Krücke, es hat keine Moral und wird nur formal angewandt als Vollzug von bloß rechtlichen Formeln. Diese haben einen moralischen Wert aus dem sozialen Kontext in dem sie stehen. Konkreter gesagt, nicht die Gesetze sind moralisch, sondern wie wir mit ihnen leben und umgehen. Moralisch wird es, wenn es uns gerade auf die Art des Miteinanders und die Gründe dafür ankommt. Was allerdings strittig ist, da manche auch meinen, die Moral als Summe der Sitten finde einfach im Recht ihren Ausdruck und der entspricht, eben in der Demokratie dem Konsens der Mehrheit.

Spannend wird es, wie das Recht dazu missbraucht wird, die Macht durchzusetzen, persönliche Interessen, seien sie national oder gar nur privat pecuniär, durchzusetzen und dabei eben seine Grenze aufzeigt. Die Mehrheit ist wohl sicher der Meinung, dass, wer unschuldige Kinder vom Himmel schießt, bestraft werden muss, wie einer, der sie sonst umbringt oder gar schändet, was noch einen zutiefst moralischen Begriff, der seine Nutzer mehr beschämen sollte noch als die Betroffenen, in die Diskussion bringt. Aber dazu wenden wir uns ein andernmal, hier soll es genügen, die tatsächlichen Handlungsweisen auf dem Weg zur Eskalation in einen moralischen Rahmen zu stellen, nach Werten zu beurteilen.

Weiß nicht, wer den den Vogel abgeschossen hat, noch warum diejenigen es taten - für beides gibt es Gründe, ein Versehen auf Seiten der Rebellen, was moralisch kaum zu einer anderen Bewertung ihres auch vorher schon Handelns logisch führen dürfte, eine gezielte Provokation der Ukraine mit Unterstützung der Amerikaner, um den Vernichtungsfeldzug gegen die Rebellen weltweit zu rechtfertigen, was zu einer moralisch grundsätzlich anderen Bewertung ihres Handelns führte. Diese Bewertung brächte eine völlige Delegitimation ihrer Position mit sich, damit stünde alles bisher behauptete infrage, die Erfolge im Krieg gegen die Rebellen könnten sich umkehren und die Unterstützung der Welt, die USA mal außen vor, die jenseits aller Moral nur nach machtpolitischem Kalkül handeln, das ihrer Ökonomie nutzt.

Daraus wird klar, welche moralischen Folgen die Aufdeckung einer vorigen Lüge oder der Beteiligung am Abschuss, der ja mittlerweile zwischen den Streitenden unstrittig ist, jeweils hätte. Die Rebellen wären blamiert, könnten sich für das Versehen entschuldigen, es zumindest versuchen, aber durch ihre inzwischen Bereitschaft zur Kooperation mittlerweile bewiesen haben, an einer Aufklärung interessiert zu sein. Es täte ihnen nicht gut, aber der Schaden hielte sich in Grenzen, außer der moralische Feldzug, wie ihn in Europa der Boulevard im Chor mit der FAZ führt, hat Erfolg und die Wut der Bürger Europas würde so angestachelt, statt umgeleitet, dass sie einer weiteren Unterstützung des Feldzuges mit dem Ziel der Vernichtung, den die Ukraine im Osten gerade beginnt, zustimmen würden und diesen mit ihrer Allianz gegen Russland, das mit angeblich 40.000 Mann an der Grenze steht, führen würden.

Verzweifelte Niederländer sind bereits fast weichgekocht. Leser des deutschen Boulevards von geringerer Fähigkeit zur Reflektion sind kurz davor, die Stimmung brodelt moralisch ähnlich heiß wie im Sommer 1914 und die Rakete auf MH17 ist was damals der Schuss auf den Thronfolger war, auch wenn die Niederlande nicht die Supermacht wie damals Österreich-Ungarn sind, höchstens im Fußball noch den Rang nach Deutschland behaupten in Europa, ist die Verbindung historisch doch relativ nahe, liegt Orange, die Stadt, zwar im heute Frankreich, Namensmutter des Oranje des Hauses Oranien-Nassau, doch im von Karl dem Kühnen noch eroberten und über seinen Sohn Maximilian erheirateten österreichischen  Burgund, das damals auch die Niederlande umfasste, vor der Reformation also. Doch wer Konflikte verstehen will, sollte weit zurückgehen, auch im Osten, wo es auch Reiche vor der Sowjetunion gab und der Kiewer Rus, nicht nur dem Namen nach eine gewisse Tradition in der Verbindung belegt.

Was belegt also im Sinne einer Strategie der Eskalation oder der Deeskalation, wer in bis dato unklarer Situation ein suizidales Kommando mit Mobilmachung gegen das letzte Nest der Russen im eigenen Land beginnt?

Vor allem wohl Eile und ein dringendes Handlungsbedürfnis. Sollte stimmen, was die Ukraine behauptet,  dass 40.000 Russen gefechtsbereit an der Grenze stehen, um ihren Brüdern im Osten beizustehen, im Falle eines Falles, wäre diese Aktion ein reines Selbstmordkommando mit keinem anderen Wert, als durch sein Opfer und das seiner Menschen auf das Unrecht der anderen hinzuweisen. Wo dieser Krieg wieder mit aller Gewalt geführt wird, wird die Aufklärung noch schwerer und die aktuellen Behauptungen in denen strategische Spezialisten anhand von Fotos aus der New York Times plötzlich neue Beweise haben wollen für einen Raketeneinschlag, klingt dem kritischen Leser eher nach Kaffeesatzlesserei, denn nach Aufklärung.

Die Situation ist unklar. Es müsste vor Ort in Ruhe geforscht werden. Da beginnt die Ukraine eine Großoffensive gegen die Rebellenhochburg Donezsk, da deren Schuld ja erwiesen sei, zumindest aus ihrer und amerikanischer Sicht und wird damit vermutlich die ruhige Suche nach Gründen nachhaltig stören. Die Teilmobilmachungseskalation ist geschickt und strategisch aufgebaut. Die Welt könnte verblödet und empört genug gegen den vermeintlichen Bösewicht Putin sein, der als Kindermörder schon betitelt, aufgefordert wird, den Eltern ihre Kinder zurückzugeben, dass sie aufhört, kritisch zu denken und zu fragen, wer, wann und warum gerade eskaliert, wohin das führt. Dann ist die Eskalation weniger eine wahnsinnige Dummheit mit hohem Risiko, als eine wohlkalkulierte Strategie im militärischen Interesse, für die der vorherige Abschuss sehr nützlich war, egal wer ihn verursachte, was nur solange egal bleibt, bis einer siegt, der dann vor Ort die Lesung der Wahrheit und ihre Propaganda bestimmt.

Ich weiß nicht, wer schuld ist, aber ich sehe wer, in welchem geostrategischen Interesse handelt und wie gut auf diese Ekalation vorbereitet ist. Die Rückeroberung wird nur gelingen, wenn sich Russland raus hält und seine, nun Landeskinder sind es ja nicht wirklich, auf Glaube kommt es weniger an als auf Rasse wohl, was noch erschreckender ist, die in der Ukraine russisch Sprechenden reichte auch nicht, da das fast alle sind, nun die sogenannten Russen jedenfalls, im Stich lässt, um keinen Weltkrieg zu riskieren, den bis jetzt keiner für die Ukraine riskiert hätte, außer die toten Kinder genügen das Bild des bösen Russen zu malen, den wir nun kollektiv bekämpfen müssen.

Die Teilmobilmachung, die erstaunlich schnell nach der Übergabe der Flugschreiber an neutrale Stellen erfolgte, ist ein weiterer Schritt in den Krieg, von dem inzwischen sogar das Rote Kreuz vor Ort spricht. Es herrscht Krieg und Europa hat nichts besseres in unklarer Situation zu tun, als die Reihen fest zu schließen. Wir sollten uns bewust halten wie 1914 alles begann, wie es endete und wie nah wir auch verbal am Abgrund stehn. Springer, FAZ und andere betreiben gefährliche Hetze und Propaganda, am Rande der Strafbarkeit.

Keiner bestreitet, dass der Abschuss schlimm ist und die Täter dafür zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das geht aber nur im Frieden und unter den Bedingungen des Friedens, es geht vor allem nur rechtsstaatlich, wenn es ein im rechtlichen Sinne gerechtes Urteil geben soll - keiner braucht nun Propaganda, außer denen, die ein persönliches Interesse am Krieg haben.

BILD und der FAZ sollte die Gefährlichkeit ihres Tuns vor Augen gehalten werden - denke es erfüllt schon Merkmale des Tatbestandes der Aufstachelung zu Krieg und Rassenhass, es ist jedenfalls keine Aufklärung sondern klare Propaganda und eine Schande für Europa. Fragen wir uns also kritisch, wer hat ein Interesse an einer weiteren Eskalation und aus welchen Gründen, wohin führt diese und wo werden die Schlachten dieses nächsten europäischen Krieges gefochten?

Was braucht es in unklarer Situation dringender als ruhige Aufklärung und was ist von denen zu halten, die sie laut verhindern?

Wie unfrei ist schon, wer die Aufklärung, die nach Kant eben Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit ist, gegen Propaganda tauscht und das Denken beendet, bevor wir wissen?
jt 22.7.14

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