Dienstag, 24. September 2024

Lektürentagebuch 24/09/24

Lektürentagebuch 24/09/24

An einem wunderbar verregneten Tag
Im nun endlich Herbst in vier Büchern
Gelesen eines literarisch und drei aus
Der Anderen Bibliothek philosophisch

Zumindest gibt sich eines literarisch
Während die anderen auch auf eher
Philosophische Themen hindeuten
Aber genug vorweg zur Sache

Begonnen schon in der Nacht wieder
Mit Franz Hessel zunächst die zarte
Geschichte An die Vergessene wo der
Autor in wunderbaren Beschreibungen

Aller Umstände wie der Umgebung sich
Ganz genau erinnert und das Bild vor den
Augen des Leser entstehen lässt nur sie
Die Liebe hätte er leider völlig vergessen

Das ist gekonnt mit Schönheit inszeniert
Spielt mit dem Nichts zu dem Liebe uns
So leicht werden kann dass wir uns nur
Noch fragen wie sie einmal alles war

Die plötzlich völlig vergessen wurde
Während die Umgebung zauberhafter
Momente bis im Detail noch in uns sind
Bleibt von der Liebe nur noch Leere

Bei Nachfeier erzählt der ältere Herr
Wie er selbst im Tropenanzug mit der
Zu breiten Krawatte seines Mädchens
Auf dem Fest der jüngeren ankommt

Wie ihn gleich zwei Mädchen in den
Saal zum tanzen ziehen wie sich dann
Als er einen Moment sich ausruht eine
Nähert und fragt ob er sie nicht erkennt

Die mit einem erotischen Kostüm dabei
Ihm sehr nah kommt sich sogar noch
Auf seinen Schoss setzt als ihm doch
Das kleine Mädchen wieder einfällt

Was am Strand nebenan im Sand spielte
Heute erotisch in Wachsdecken gehüllt
Die körperlich sinnliche Nähe sucht bis
Der Kuss verzaubert schon bevorsteht

Wie es dann ausgeht und was der doch
Ältere Herr auf dem Fest der jungen Leute
Tut die Fasson zu wahren oder nicht das
Möge die neugierige Leserin erkunden

Sinnliche Tanzfeste gab es auch bei den
Bäderaufenthalten Michel de Montaignes
In Italien von denen ich im Tagebuch der
Reise durch Italien und Deutschland las 

Doch sind dies nur einzelne Abschnitte
Der größte Teil von Montaigne Bericht
Aus den Bädern ist doch eher eine
Krankheitskonversation über Leiden

Herrlich sind seine Zitate wie kleinen
Anmerkungen auch wie er sich niemals
Scheut deftige Ausdrücke für seinen
An Nierensteinen leidenden Schwanz

Zu verwenden in diesem auf italienisch
Geschriebenen Teil des Tagebuchs wie
Auch Berichte und Zitate von den sonst
Umständen gerne auch deutlich werden

Willst du von deiner Frau ein Kind
Schick sie allein ins Bad geschwind
Ist eines dieser Zitate das ihm eine
Befreundete Baronin eben erzählte

Feinsinnig schreibt er über Zustände
Im Bad wie die Umstände der Kuren
Den Aberglauben dabei wie jeder Arzt
Das Gegenteil vom vorigen dabei rät

Warum er nach Gutdünken entscheidet
Ob er lieber badet oder Wasser trinkt
Beides gleich viele Steine abgehen ließ
Trinken nur mehr Blähungen brachte

Mal spricht er dabei von den Winden
Die ihm abgehen dann von Furzen
Welche schmerzhaft durch den Hoden
Ihm krochen was seltsam eher klingt

Seine authentische Detailfreude beim
Bericht vom Kurunwesen mag vielleicht
Ein Grund für ihn gewesen sein dieses
Jämmerliche Zeugnis nie zu publizieren

Es fand sich ja erst viele hundert Jahre
Im Jahre 1770 in einer alten Truhe ob
Dies Werk ein philosophischer Gewinn
Wirklich ist mag hier noch dahinstehen

Zumindest ist es ein kulturhistorischer
Weil wir viel über die Sitten wie auch
Das Schamgefühl der Nachbarn und
Unserer Vorfahren noch erfahren

Die Franzosen und noch mehr die
Italiener geben sich gerne prüde
Sind aber das Gegenteil eher wo
Es dann irgendwann dazu kommt

Die Deutschen gehen gemeinsam
Nackt baden und klopfen dabei 
Deftige Sprüche aber real ist
Der Trieb zur Erotik eher mäßig

Ob dabei das religiöse Element
Also der Protestantismus eine
Rolle spielt wie die Verbote des
Katholizismus die reizvoll sind

Wäre ein kulturhistorisch wohl
Sehr spannendes Thema zur
Frage europäischer Sexualität
Wie ihrer regionalen Sitten

Unterschiedlich tun wir es nicht
Was schon aus der Anatomie sich
Schlüssig ergibt doch scheint der
Weg dahin teils völlig verschieden

Was auch die europäische Erfahrung
Immer wieder bestätigt denn zwar ist
Die Technik relativ identisch überall
Doch die Wege dahin so verschieden

Der selbst Winzer Montaigne kann
Es nicht lassen über schlechten
Italienischen Wein zu lästern was 
Ein Hobby der Franzosen noch ist

Auch die Brüder im Elsass schworen
Keiner könnte guten Wein machen
Außer den Franzosen was beim eher
Übersäuerten Riesling dort ein Witz ist 

Typisch französisch frech auch seine
Lästerei über die doch eher selten
Schönen italienischen Frauen von
Denen es in Luca viele geben soll

Was er als Gerücht belegt damit sah
Das die Anschauung leicht widerlegte
Ohne weiter ins Detail zu gehen kann
Der Flaneur den Reisenden verstehen

Zumindest hat Michel auf Reisen
Sie so wenig hochgelobt wie die
Venezianischen Huren dennoch
Gerne mit manchen auch getanzt

Das Reisetagebuch ist trotz der
Manchmal nervigen Ausführungen
Zu seinen Verdauungsproblemen
Wie den Wasseraberglauben dort

Eine kulturhistorisch sehr lohnende
Lektüre die immer wieder auch über
Montaignes feine Ironie lachen lässt
Doch denke ich der Autor wusste gut

Warum es zu Lebzeiten niemals
Publizierte noch irgendwas uns hier
Bekanntes tat dies noch zu erreichen
Was Leser zu Eindringlingen macht

So lese ich es gerne aber immer auch
Mit etwas Schamgefühl dabei weil ich
Den Wunsch des Autors zu gerne
Respektieren würde trotz aller Neugier

Einige Jahre nach der Entdeckung
Des Tagebuchs von Montaigne spielt
Sabine Appels Unser Rousseau der
Das sei hier mal wieder deutlich betont

Nicht meiner ist der mir immer fremd
In seiner Verklärung von Genf und der
Natur als Ziel der Zivilisation war doch
Gibt die Autorin weitere gute Gründe

Rousseau weiter kritisch zu sehen
Sein Lob für den eher orthodoxen
Protestanten Calvin relativiert alles 
Macht den Sozialvertrag konsequent

Nicht länger frei und glaubwürdig
Wer glaubt es bräuchte Götter um
Gesetze zu geben verkennt Moral
Ist nach Kant unfrei und amoralisch

Sein Handeln wäre ethisch wertlos
Das passt leider gut zu Rousseau
Der sich zurück zur Natur sehnte
Gegen die Ideale der Aufklärung

In vielem war Rousseau eher ein
Zwar genialer und vielfältig begabter
In der Zeit verrutschter Romantiker
Der Menschen keine Freiheit zutraute

Wie frei und aufgeklärt kritisch dachten
Dagegen seine Freunde Diderot oder
Der Baron Holbach in seinem Salon
Als bekennende Atheisten schon

Diderot rügte die Sklaverei schon
Als Kant sie noch rechtfertigte für
Seinen Freund den Sklavenhändler
Weil seine Ethik ohne Götter war

Sehr gut berichtet Appels dafür über
Calvin in Genf und protestantische Ethik
Ob sie dem Kapitalismus Pate stand
Wie Max Weber schlüssig behauptete

Was immer mehr infrage auch stellen
Dem es aber zumindest in Genf eher
Nicht geschadet hat warum sich Calvin
Der selbst nie Genfer Bürger wurde

Dennoch so gut dort etablierte in dem
Rom der Protestanten auch als quasi
Inquisition Scheiterhaufen errichtete
Was damals noch gute Mode war

Wie Rousseau als der angebliche
Philosoph der Freiheit diesen von
Prädestination faselnden Calvin wie
Sein Genf ideal fand bleibt fraglich

So ist es gut mit manchen alten
Vorurteilen die noch in der Schule
Gelehrt wurden aufgeklärt kritisch
Zum Wohle der Freiheit aufzuräumen

Freier als die Welt es erfasste
Dachte auch Nietzsche den die
Welt vielleicht auch darum für
Wahnsinnig irgendwann erklärte

Davon berichtet Otto A Böhmer
In Der Hammer des Herren wie
Nietzsche mit seiner Mutter in der
Eisenbahn von Basel nach Jena fährt

In der Hoffnung die Psychiatrie dort
Täte ihm besser als jene in Basel
Die seine Mutter so abschreckte
Was auch enttäuscht werden wird

Wie er der Mutter normal vorkommt
Ein wenig seltsam vielleicht doch
Wäre er das nicht immer gewesen
Ihr Fritz mit seiner engen Schwester

Elisabeth Förster soll sich noch
Lange um den später wohl geistig
Umnachteten gekümmert haben
Was immer ihn dahin dann trieb

Auf der Eisenbahnfahrt erwachen
Kindheitserinnerungen von einer
Blumenwiese in der er selig da
Ganz für sich einfach versank

Dies beschreibt Böhmer fein was
Neugierig auf mehr aus diesem
Band der Anderen Bibliothek macht
Der mit dem Wahnsinn klug spielt

Ob dies nur selbst am Rande des
Wahnsinns stehende Leser auch
So fasziniert oder alle neugierig
Macht kann ich nicht beurteilen

Zumindest ist die Geschichte über
Nietzsches letzte Jahre auch eine
Literarisch gut inszenierte Story
Welche allein die Lektüre lohnt

So kann am Ende der Wahnsinn
Der Leserinnen dahinstehen die
Sich auch dafür begeistern weil
Es viele Gründe der Lektüre gibt

jens tuengerthal 24.9.24


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