Wie schön ist es erst sich zu wollen
Nach dem Drama im wieder Frieden
Um das Glück zu würdigen ganz
Zueinander zu gehören sowohl
Im Schmerz wie in der Sehnsucht
Friedlich miteinander zu sein
Wächst erst die Lust aufeinander
Getragen von geistiger Erleichterung
Wächst unsere Bibliothek geteilter
Leiden zu lustvoller Erfüllung
Am Ende friedlich zusammen
Band für Band gelebtes Glück
Nennen manche es nur Liebe
Ist es uns auf Reisen oder im Turm
Ein neuer Höhepunkt miteinander
In der Erinnerung sich näher
jens tuengerthal 24.3.2016
Freitag, 25. März 2016
Friedenslust
Donnerstag, 24. März 2016
Liebesdramen
Liebe ohne Dramen ist wie Sex ohne
Höhepunkte irgendwie nur halb ganz
Warum wir aller Sehnsucht zum Trotz
Lieber Dramen erleiden als lieblos
Beieinander zu liegen zumindest
Irgendwann lustlos weil uns fehlt
Was Leiden schafft mit Leidenschaft
Aber Lust erst tanzen lässt wenn
Zwei jenseits aller Dramen wieder
Ineinander wollen trotz allem
Weil sie nie tiefer sich fühlen
Als im Friedensbeischlaf verschlungen
jens tuengerthal 24.3.2016
Duschvorhang
Möchte mit dir zusammen duschen
Eng umschlungen hinterm Vorhang
Feucht von oben berieselt dabei viel
Feuchter schon beim Gedanken
Wie ich dich auch dort einseife
Damit wir sinnlich schmierig
Ineinander flutschen nebenbei
Stehend unterm wieder Strahl
Tief in dir ganz irgendwo ist es
Nirgendwo schöner als so sich
Innen wie außen nass einander
Fließend zu schenken hinterm nur
Duschvorhang schemenhaft undurchsichtig
jens tuengerthal 24.3.2016
Kulturgeschichten 0167
Wie nebenbei und fast legal kann ein Staat ins Unrecht rutschen, das dann erst später so genannt wird?
Ist die Übertretung des Rechts und die Auflösung seiner Grenzen stets der Einbruch des Totalitären?
Braucht Freiheit Grenzen und einen rechtlichen Rahmen oder ähnelt die grenzenlose Freiheit dem Totalitären schnell?
Am 24. März 1933 trat mit seiner Verkündung das am Vortag beschlossene Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, das sogenannte Ermächtigungsgesetz in Kraft, mit dem die Nationalsozialisten ihre Herrschaft bis zum Ende rechtfertigten. Damit durften von der Reichsregierung beschlossene Gesetze von der Reichsverfassung abweichen, womit diese im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung de facto außer Kraft gesetzt wurden.
Schon in den 20ern war mit den Stresemannschen und Marxschen Ermächtigungsgesetzen gefährliche Vorbilder für den Verfassungsbruch geschaffen worden. Darum strebte auch Adolf Hitler, als er zu Beginn des Jahres 1933 seine Macht zu festigen suchte, gezielt zu einem solchen Ermächtigungsgeset. Jedoch unterschied sich sein Gesetz in entscheidenden Punkten von dem marxschen von 1923.
Hitlers Regierung konnte nach dem Ermächtigungsgesetz nicht nur Verordnungen sondern auch Gesetze und Verträge mit dem Ausland beschließen, die von der Verfassung abweichen durften. Die thematisch nicht beschränkte Regelung sollte vier Jahre gültig sein und konnte weder von Reichstagsausschüssen noch vom Reichsrat kontrolliert werden.
Dabei regierte die NSDAP gemeinsam mit der DNVP mit absoluter Mehrheit und Hitler beabsichtigte so den Reichstag faktisch auszuschalten, wozu zuerst die Geschäftsordnung geändert wurde, damit auch nach Inhaftierung nahezu aller kommunistischen Abgeordneten, dem Anwesenheitserfordernis genüge getan wurde. Mit dieser neuen Geschäftsordnung wurde dann unter verbotener Anwesenheit bewaffneter SA und SS Angehöriger mit der geänderten Geschäftsordnung das Ermächtgungsgesetz wirksam beschlossen. Es stimmten bis auf die SPD alle Parteien dem neuen Gesetz zu und der Gegenstimmen der SPD wegen war die Zustimmung des Zentrums ausschlaggebend.
Der Wortlaut des Gesetzes lautete:
Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird, nachdem festgestellt ist, dass die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erfüllt sind:
Art. 1. Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85 Abs. 2 und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.
Art. 2. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.
Art. 3. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. […]
Art. 4. Verträge des Reichs mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erlässt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften.
Art. 5. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft; es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.
Damit konnten Verfassung und Grundrechte außer Kraft gesetzt werden. Die Reichsregierung als Leitung der Exekutive bekam plötzlich legislative Macht und durch den Verweis auf Artikel 85 und 87 war die Reichsregierung auch für Fragen des Haushalts nicht mehr an den Reichstag gebunden. Das Gesetz sollte vier Jahre bis 1937 gelten, was Hilters Ankündung erfüllte, “gebt mir vier Jahre Zeit und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen”.
Die Sitzung des Reichstags zum Beschluss des Gesetzes fand, da dieser ja just abgebrannt worden war, in der Krolloper statt. SS Truppen bewachten das Gebäude und hinter dem Präsidium, dem Publikum zugewandt, hing eine riesige Hakenkreuzfahne. Nach der Begrüßung durch Göring sprach Hitler und begründete die Notwendigkeit des Ermächtigungsgesetzes als Bedingung für die Wirksamkeit der nationalen Erhebung, beschwichtige danach, dass dies Gesetz keine der Institutionen der Verfassung in ihrem Bestand angriffe und fordete die Abgeordneten auf selbst zwischen Krieg und Frieden zu wählen.
In seiner Rede, welche die Ablehnung der SPD begründete und die letzte freie Reichstagsrede wohl war, erklärte Otto Wels, “Freiheit und Leben, kann man uns nehmen, die Ehre nicht!”
Darauf betrat noch einmal Hitler hasserfüllt die Bühne und sprach den Sozialdemokraten ab, über nationale Ehre sprechen zu dürfen, Deutschland solle ohne sie befreit werden, es bräuchte ihrer Zustimmung nicht, die wahren Vertreter der nationalen Arbeiter seien sie von der NSDAP.
Die Liberalen aus der Deutschen Staatspartei unter ihnen der spätere Bundespräsident Theodor Heuß stimmten trotz Bedenken und anfänglich kontroverser Diskussion dem Gesetz zu, da sie sich den großen nationalen Zielen der Reichsregierung verbunden fühlten.
Die notwendige Zustimmung einer ⅔ Mehrheit zur verfasungsändernden Wirkung des Gesetzes kam durch die geänderte Geschäftsordnung zustande, dergemäß unentschuldigt abwesende Abgeordnete als anwesend galten und durch die bereits verhafteten 81 Abgeordneten der Kommunisten sowie 26 geflohene oder inhaftierte Sozialdemokraten wurde auch gegen 109 Stimmen der SPD die nötige qualifizierte Mehrheit erreicht.
Infolge wurde nicht nur die Presse zensiert sondern auch das erste KZ in Dachau bei München errichtet. Große Teile der Beamtenschaft wurden entlassen, so alle Beamten mit mindestens einem jüdischen Großelernteil sowie alle Regimegegner. Das Gewerkschaftseigentum wurde vollständig beschlagnahmt nach dem 1. Mai 1933 und die Gewerkschaftsfüher verhaftet. Zwischen Mai und Juni wurden alle politischen Parteien außer der DNVP verboten. Zuvor wurden bereits alle auch kommmunalen Gliederungen politisch gleichgeschaltet und die föderale Struktur durch einen Zentralstaat ersetzt.
Die vollständige Gleichschaltung Deutschlands, das sich in einen Führerstaat verwandelte erfolgte auf Grundlage des Ermächtigungsgesetzes, das zunächst 1937 und 1941 für jeweil vier weitere Jahre für gültig erklärt wurde, bis es Hitler 1943 per Führererlaß für unbefristet also ewig gültig erklärte.
Aus der leichten, formal legalen Machtergreifung der Nazis hat das Grundgesetz gelernt und zentrale Punkte der Verfassung mit einer Ewigkeitsgarantie verbunden. Auch darf die Verfassung nur im Wortlaut geändert werden, nicht durch einfache Gesetze. Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung sind wie die Menschenwürde auf ewig unveränderlich, was bezüglich der Absichten der gerade erstarkenden Rechtsradikalen um die AfD zumindest formal beruhigt, ihrem Geschwätz würde schon durch die Verfassung eine Grenze gesetzt.
Wenig beruhigend ist jedoch, wie schnell und quasi formal völlig legitim sich ein Rechtsstaat mit Verfassung und Demokratie durch ein Gesetz nebenbei selbst abschaffte. Gemessen daran waren auch die folgenden rassistischen Nürberger Gesetze oder das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums rechtmäßig zustande gekommen. Täter im NS-Staat handelten meist rechtmäßig, ihre Bestrafung erforderte oft den Rückgriff auf rechtsstaatlich sehr gewagte Konstruktionen wie die radbruchsche Formel, die sich auf eine höhere, allen Menschen einsichtige Moral bezieht, was für formales Handeln des Staates fast so fragwürdig ist, wie eben jenes offene Ermächtigungsgesetz.
Was derzeit in Polen und Ungarn als nationale Bewegung mitten im EU-Europa geschieht, gleicht dem in vielem. Die Gleichschaltung der Medien in der Türkei erfolgt aus ähnlichen Gründen und voll Schrecken denke ich daran, was wohl passiert, wenn die Regierungen in Europa nach weiteren Anschlägen neue Sicherheitsmaßnahmen beschließen, die staatliche Kontrolle immer weiter ins private ausdehnen. Wieviele werden wohl jubeln, wenn sie gefragt würden, wollt ihr den totalen Krieg gegen den Terror?
Die Kontrollmacht der NSA gleicht der eines totalitären Regime. Wie der Untergang der Weimarer Republik nach dem Ermächtigungsgesetz zeigte, wählten viele politische Schafe ihre Metzger noch selbst. Wohin sich Europa vor der Angst im Krieg gegen den Terror, der keine Sieger kennt, sondern nur Verlierer überall, flüchtet, wissen wir nicht, denn das trügerische Versprechen der Sicherheit lässt manche bereitwillig die Grundlagen des freien Rechtsstaates opfern, den sie noch nicht verstanden haben.
Auch heute gibt es in der Bundesrepublik begrenzte Ermächtigungsgesetze für Notfälle, aber, wie unsere polnischen und ungarischen Nachbarn nun zu spüren bekommen, ist politische Freiheit ein sehr zartes Pflänzchen, das schnell vor dem Druck totalitärer Macht zurückweicht.
Was ein Staat noch wert ist, der unfrei wird und warum wir ihn anerkennen sollten, statt uns für frei zu erklären, ist eine Frage, die sich viele, die sich immer nur als hineingeboren sehen, nie stellen. Vielleicht könnte sie das entscheidende Kriterium werden, Menschen zum Nachdenken zu bringen, die sich bisher nur als Mitläufer profilierten, um ihre Verantwortung als Teil des Ganzen zu erkennen. Demokratie braucht Engagement und Diskurs in der Gesellschaft. Stellen wir uns dieser Aufgabe aktiv, verringert es die stete Gefahr einer neuen Ermächtigung durch totlitäre Idioten, die das Land in den letzten Untergang führte, warum es so wichtig ist, auf Propaganda so aufmerksam zu achten, wie auf die Tendenz den Rechtsstaat als Garant der Freiheit infrage zu stellen, auch wenn dies eigentlich eine contra dictio ist von Beginn an, mahnt der Blick in die Geschichte des Ermächtigungsgesetzes, wie wichtig es ist auch auf Fromalien zu achten, um Totalitarismus dort zu bremsen, wo er unbemerkt einbricht zum Schaden der Freiheit.
jens tuengerthal 24.3.2016
Allseits
Du bist mir von hinten betrachtet
So lieb wie von vorne immer nah
Wie wir uns einander egal wo ganz
Öffnen macht noch mehr endlich
Auch mir Lust zu reisen um mit
Der ich Welten längst teile diese
Auch einfach zu durchschreiten
Die Welt einander zu teilen wie
Das Leben längst mit mehr als
Dürre Verse umschreiben die doch
Nie deine Rundungen überrunden
Hoffte sie glichen sich im wenigen
Dir alles zu sein wie du mir
Von wo aus immer betrachtet
jens tuengerthal 23.3.2016
Reisebilder
Wir suchen das Weite stand auf Plakaten
Mit schlicht modernem Autoportrait vor
Blaurosa Himmel auf grau noch eher nur
Angedeutet als ausgeführt der mobile
Schatten seiner selbst lockte viel weiter
Zwischen Welten und Jahrhunderten springen
Als seien sie nichts im nur Drehen des Kopfes
Ermöglicht der Gang ins Kupferstichkabinett
Wo von Albrecht Dürer bis Olafur Eliasson
Reisende sich bildhaft versammelt haben
Von Mühsal und Drang hin zum großen Glück
Über die Grand Tour zur noch Flucht reicht
Das Bild der Reisen die oft genug nur noch
Mittel zum Zweck der Passage waren auch
An die Sehnsuchtsorte wo Goldorangen blühen
Dankbar für einen Weg durch die Welten derer
Die im Kopf ihres Glaubens mehr reisten bis
Zu denen die ankamen erst in der Ferne
Auf der ziellosen Suche nach sich als sie
Einfach Ruheorte fanden die anders waren
Fein bestückt mit großen Namen im hier
Kleinen Format von Radierung bis Stich
Zu Zeichung oder Gouache reicht jener
Bogen der in einem Raum Welten uns
Öffnet im Blick nach außen und innen
Viel könnte über jeden der Schätze dort
Wohl berichtet werden allein mehr noch
Ist es ein liebevoll gestalteter Raum
In dem wir unterwegs ankommen als
Reisende in Bildern zwischen den Welten
jens tuengerthal 23.3.2016
Mittwoch, 23. März 2016
Kulturgeschichten 0166
“Give me Liberty, or give me Death”
Patrick Henry
Nur zur Sicherheit soll nach Brüssel wieder unsere Freiheit ein wenig beschränkt werden. Was wir dann im beschränkten Raum noch verteidigen als das auch beschränkt nicht schützbare Leben bleibt unklar, warum es mir heute so wichtig erscheint an Freiheitskämpfer zu erinnern, die bereit waren für ihre Idee von Freiheit zu sterben oder zu töten, um zu fragen, was etwas wert ist.
Am 23. März 1775 hielt der Rechtsanwalt Patrick Henry seine berühmte Rede, die mit dem oben zitierten Satz - gib mir Freiheit oder gib mir den Tod - endete und damit die Untertützung Virginias im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sicherte. Die Wirkung seines Satzes, der in die amerikanische Geschichte einging, verstärkte Henry noch dadurch, dass er so tat, als wolle er mit einem Brieföffner Suizid begehen. Berichten zufolge sollen Washington und Jefferson im Publikum gesessen haben, das nach der Rede aufsprang und zu den Waffen rief. Die Rede erschien erstmal 1817 in einer Biografie über Patrick Henry, also 18 Jahre nach seinem Tod und außer dem obigen Zitat ist vom Wortlaut nichts belegbar. Eine Abwandlung dieses letzten Satzes in live free or die wurde zum Motto des US Bundesstaates New Hampshire.
Viel dieses Freiheitsgeistes hat den Kampf um Unabhängigkeit in Freiheit in den USA geprägt, später im Bürgerkrieg sie auch gegeneinander antreten lassen und noch einmal hundert Jahre später Europa geholfen, sich aus der Unfreiheit der faschistischen Diktaturen zu befreien. Ob mit dieser Idee auch der linke Totalitarismus überwunden wurde oder dieser schlicht aus ökonomischen Gründen in sich zusammenfiel, weil der Westen ihn totgerüstet hatte, ist gerade heute der Frage wert, wo die USA als Supermoralmacht der Welt für sich in Anspruch nehmen, nach Belieben weltweit mit Drohnen töten zu dürfen, wenn es ihnen nötig erscheint, jenseits aller Gesetze in Cowboymanier.
Sind die Morde von Brüssel und Paris nur Folge unserer Beteiligung an den mörderischen Kriegen der USA weltweit?
Zeigt der IS sich dem Tode nah, weil er nun beliebig tötet?
Wie frei ist noch wer andere tötet oder deren Tod in kauf nimmt für ein höheres Ziel?
Habe meine Zweifel, ob ein System berechtigt zu töten, was von einem zu halten ist, das es als seinen Auftrag sieht und für gerecht erklärt. Kann es dafür eine Legitimation geben und was unterscheidet die rechtsstaatliche Todesstrafe von der nach der Sharia?
Was wurde aus dem Freiheit oder Tod Konsequenzialisten in der Realität?
Patrick Henry wandelte seine Meinung zum Bundesstaat noch einige male, bis er 1799 starb. So hatte er 1795 noch das Angebot Washingtons abgelehnt, Außenminister zu werden, da er als Antiföderalist der Meinung war die Verfassung der USA gebe der Bundesregierung zuviel Macht. Diese Sichtweise wandelte sich jedoch, als er die Entwicklung in Frankreich im Terreur sah und ähnliches für die USA fürchtete Ende der 90er Jahre.
Wichtig für die Geschichte der USA war er schon 1763 geworden, als er in einem Prozess um die Tabaksteuer als Anwalt auftrat, dessen Ausgang zur Ermunterung für die Unabhängigkeitsbewegung wurde. Ab 1798 wurde er sogar wieder Mitglied der Föderalistischen Partei und untertützte von da an die Politik von Washington und Adams.
Einer der sein Leben rethorisch für die Freiheit geben wollte, war jenseits des entweder oder auch zu einer pragmatischen Meinungsänderung fähig, wenn ihm das geboten erschien. Was dafür spricht, dass am Ende der Pragmatismus siegt, weil es um Lösungen geht und ihre Realisierung, die tödlichen Ideale sich relativieren.
Es scheint uns absurd mit Islamisten oder anderen religiösen Fanatikern über die schönen Seiten des Lebens zu debattieren, weil sie ohnehin lieber auf ein Jenseits hoffen. Logisch ist es das auch. So wie die Drohung sich umzubringen ohne Freiheit logisch nicht zu mehr Freiheit führt sondern nur die eigene Existenz relativiert und sich in einer Art moralischen Erpressung versucht, die ankündigt, was sie nicht will.
Doch wie außer mit einer Chance für eine Zukunft und Aufklärung wollen wir all diese Menschen erreichen, die sich als Gruppe seit Jahrzehnten hier relativ am Rand und ausgegrenzt fühlen, es sei denn sie machen zufällig als Sportler Karriere?
Wer nun polarisiert und ausgrenzt stärkt nur die Radikalen, deren es in beiden Lagern genug längst gibt. Können uns Mauern je wirksam schützen, wenn sie die Unfreiheit und den Tod lieber wählen, als in Freiheit leben zu wollen?
Keine Mauer bietet Sicherheit, all dies sind Krücken auf dem Weg in die Unfreiheit, da ihr Ziel nur Beschränkung ist. Eine Zwischenlösung kann es sein, was nun verhandelt wurde, doch wird es uns nicht helfen, bei der Suche nach einer Lösung, die denen, die in die Freiheit wollen, eine Perspektive geben, sie zu erreichen. Wer Krieg gegen welche führt, die er Terroristen nennt, sollte sich nicht wundern, wenn sie auf ihre Art zurückschlagen, kleinzellig terroristisch, wo immer es geht. Wir ernten nichts als das Echo jahrelangen Handelns, was in jedem Einzelfall in einer Gesellschaft, die das gute Leben und die Freiheit liebt, tragisch ist, nur nicht weiter verwundert, eigentlich kriegslogisch ist.
Wie unterscheiden wir künftig einen friedlichen Syrer von einem Terroristen, wie einen toleranten Nordafrikaner mit Sehnsucht nach Freiheit von einem religiösen Islamisten, was tun wir mit denen, die längst hier Bürger sind oder Staatbürger schon von Geburt an waren und sich dennoch von radikalen Ideen verführen lassen?
Die letzten Attentäter waren bekannt. Dennoch konnten sie nicht an ihrem Tun gehindert werden. Es ist illusorisch, zu glauben, wir könnten die EU kontrollieren wie wir es in früheren Kleinstaaten nicht einmal konnten - die Gefahr war etwa in der DDR geringer, weil sie keine Kriege führte, es andere Zeiten waren, in denen paradox genug Menschen erschossen wurden, die raus wollten und nicht auf die geschossen werden sollte, die rein möchten, deren Zahl ohnehin überschaubar war, weil Unfreiheit unattraktiv bleibt.
Weder Vorratsdatenspeicherung noch Datenaustausch haben oder hätten solche Attentate verhindern können. Wer nun die Freiheit weiter sichern möchte, indem wir sie aufgeben, zerstört, was gesichert wird nachhaltiger als Terroristen es je gefährden können und es fragt sich darum, ob wir nicht lieber wie Patrick Henry ausrufen sollten, gebt uns Freiheit oder den Tod und was wir nun tun, wenn sie sagen, wir nehmen nur die Freiheit, damit ihr überlebt - ist es das noch wert?
Was immer einem Leben wert ist, während es andere verschenken wollen für nur geglaubte Ziele - fragen wir uns oft genug, ob solche Täter es aus Überzeugung oder aus Verzweiflung tun, in ihrer Einbahnstraße, aus der wir ein Entkommen verhindern?
Habe kein Verständnis für Selbstmordattentäter, außer ich denke etwa an den Fall Gersdorff - denke ich an die Millionen tote Muslime in Afghanistan, dem Irak und Syrien, verstehe ich aber ihre Verzweilung, ob der eigenen Unfähigkeit, sich zu verteidigen und zu wehren gegen den Westen, ihre Familien zu schützen - was soll ich ihnen vernünftigerweise raten, wenn sie meinen, lange genug Opfer gewesen zu sein, dass die Welt nicht dem Westen gehört und warum unsere Drohnen legitimer sein als ihre Bomben und warum westliches Bombardement humaner sei als islamistische Attentate?
Was motiviert Menschen überhaupt andere zu töten?
Gibt es eine taugliche Legitimation dafür und ist, wer es für die Freiheit tut mehr wert als derjenige, der es für seinen Gott tut?
Auch am 23. März nur eben 1819 ermordete der Burschenschaftler Karl Ludwig Sand in Mannheim den Autor und russischen Generalkonsul August von Kotzebue, weil er ihn als Feind der Einheit Deutschlands in Freiheit ansah. Diese Tat diente Monate später als Anlass für die Karlsbader Beschlüsse zur Bekämpfung liberaler und nationaler Ideen in Deutschland.
Sand kam aus einer gut situierten und gebildeten Familie, die in Coburg zu den Honoratioren zählte, gute Verhältnisse also. Er war das jüngste von acht Kindern und galt als langsam aber fleißig. Seine Kindheit war geprägt von preußischem Patriotismus, aufgeklärtem Protestantismus und der französischen Besetzung nach den Koalitionskriegen. Der aufgeklärte Protestantismus seiner Eltern bejahte die Rechtfertigung einer Tat allein durch das Gewissen. Geprägt hat ihn die Lektüre des Deutschen Volkstums von Turnvater Jahn. Im Studium wurde er zunächst Corps Student und nach einem kurzen freiwilligen Militäreinsatz nach Napoleons Rückkehr von Elba, der ohne Feindberührung eher theoretisch blieb, kehrte er nach Erlangen zurüc, wo er eine Burschenschaft nach seinen Vorstellungen aufbaute. Professoren wie Freunde lobten ihn als sehr sozialen und engagierten, wenn auch geistig etwas beschränkten Menschen.
Eine psychische Krise soll bei ihm das Ertrinken eines nahen Freundes vor seinen Augen ausgelöst haben - war da nicht auch was bei seinem quasi früheren Dienstherren Luther mit dem Blitzschlag?
Noch 1817 nahm Sand am Wartburgfest teil, bei dem er mitorganisierte und eigene Flugblätter verteilte zur Gründung einer allgemeinen und freien Burschenschaft, dabei unterstützte er auch die dortige Bücherverbrennung unter anderem der Werke Kotzebues, dem nach einem herablassenden Bericht über die patriotische Zeitschrift Nemesis unterstellt wurde als russischer Spion gegen Deutschland gearbeitet zu haben.
Nach dem brenzligen Wartburgfest wechselte er nach Jena, wo er zu den Gründern der Urburschenschaft gehörte, wo er sich auch sehr engagierte. Mit Heinrich von Gargern, dem späteren Präsidenten des Paulskirchenparlaments, und anderen, gründete er einen Wissenschaftlichen Verein innerhalb der Burschenschaft. Er wurde auch Anänger der”Unbedingten” eines Flügels in der Burschenschaft, die auch den politischen Mord zur Erreichung der Ziele nicht ausschloß. Nebenbei focht er noch wohl sehr erfolgreich 25 Mensuren. Ein Flugblatt Sands vom Oktober 1918, das zum Handeln für Einheit und Freiheit der Nation aufforderte, fand keinerlei Echo. Im späteren Herbst fuhr er noch von Jena nach Berlin, suchte den Turnvater Jahn auf und verteilte sein Flugblatt unter den Studenten.
Die Ermordung Kotzebues hatte Sand schon im Mai 1818 beschlossen, da er ihn einen Volksverführer und Landesverräter nannte, ihn als Feind der Burschenschaft und ihres Ringens um Freiheit und Einheit sah. Vor seinem Attentat trat Sand formal aus der Burschenschaft auf und fuhr über die Wartburg nach Mannheim. Dort schrieb er ins Gästebuch ein Körner Zitat, was einem heutigen Facebook Eintrag oder einem Tweet vergleichbar ist:
“Drück dir den Speer ins treue Herz hinein! Der Freiheit eine Gasse!”
Beim zweiten Versuch am Nachmittag des 23. März wurde Sand sofort zu Kotzebue vorgelassen und stieß Kotzebue seinen Dolch mit den Worten ins Herz, hier du Verräter des Vaterlandes! Daran starb Kotzebue innerhalb weniger Minuten vor den Augen seines vierjährigen Sohnes, der Zeuge der Tat wurde, was wiederum Sand so verunsicherte, dass er sich, statt zu fliehen, einen zweiten Dolch in die Brust stieß, um dann dem Diener an der Tür eine vorbereitete Schrift zu übergeben.
Auf der Straße versetzte er sich einen weiteren Dolchstoß und verlor das Bewusstsein. Er überlebte jedoch den Suizidversuch, wurde ins Krankenhaus gebracht und dort gerettet. Infolge seiner Verletzung genoß er privilegierte Haftbedingungen wie eine ruhige Zelle mit zwei Fenstern.
Im Prozeß verzichtete er auf ein Gnadengesuch, stand zu seiner Tat und stellte sie als eine Art Tyrannenmord da, wurde darum am Ende zum Tod durch das Schwert verurteilt und hingerichtet. Die Hinrichtung wurde zu einem Volksauflauf und dem vermeintlichen Helden zugejubelt, sein Tod laut beweint, Locken und Tücher in sein Blut getaucht und der Henker baute aus dem Holz des Richtpultes eine Hütte für die Geheime Burschenschaft in Heidelberg, die irgendwann abgerissen werden musste, weil zuviele Antiqitätenjäger Stücke davon zu ergattern versuchten. Splitter des Holzes werden von Burschenschaften bis heute aufbewahrt.
Die Tat und ein Streikversuch der Göttinger Studenten löste eine breite Debatte über die Disziplin der Studenten aus, die schließlich unter Metternichs Führung zu den Karlsbader Beschlüssen führten,in deren Folge alle liberalen und nationalen Bewegungen wie die Burschenschaften verboten wurden. Es begann eine Demagogenverfolgung, die zu einer Kriminalisierung weiter Teile des liberalen Bürgertums führte.
Die Tat war das erste politisch ideologisch motivierte Attentat in Deutschland und der Attentäter wurde teilweise bis in die Gegenwart glorifiziert, nach der Einebnung des Friedhofs, auf dem er zuerst beerdigt wurde, bekam Sand 1865 ein Ehrengrab auf dem Mannheimer Hauptfriedhof und so wurde ein eigentlich Terrorist zu einer politisch zumindest umstrittenen Gestalt mit zahlreichen Anhängern, die durch die Repressionen infolge der Karlsbader Beschlüsse nur weiter wuchs.
Die Täter von Brüssel wie von Paris wurden in Kreisen des IS als Helden bejubelt, in der arabischen Welt schlug ihnen vielerorts Zustimmung entgegen. Was für uns unmoralische, feige Mörder und Terroristen sind, gilt dort als Helden auf dem Weg ins Paradies. Sind darum alle, die einem politischen Mord zustimmen Verbrecher, potentielle Terroristen, die verfolgt gehören und mit Drohnen gejagt werden müssen?
Warum sind wir davon überzeugt, dass eine Tat besser als die andere ist, nur weil der eine sich auf die Nation und der andere auf Gott beruft?
Ist der Freiheitskampf eines Burschenschaftlers, der auch Bücher verbrannte, ethisch höherwertiger als die Tat eines religiösen Terroristen?
Ist wer einen anderen aus politischen Gründen umbringt nicht immer ein Terrorist?
Warum ist der Tod von Zivilisten in Syrien durch westliche Bomben ein Kollateralschaden aber der Tod von europäischen Bürgern ein feiges Verbrechen?
Warum ist es dort bedauerliche Folge nur im Krieg, hier aber unmoralischer Terrorismus?
Worauf stützen wir unsere moralischen Urteile, die unser Töten für legitim hält, deren aber für kriminell?
Können wir mit unseren wenigen Opfern gegen die Millionen toten Muslime laut werden, die Vergeltung rufen lassen?
Geht es im Tod, der alles beendet, noch um Gerechtigkeit?
Wird es je besser, solange Mörder Helden sind?
Wäre ich sicher, fragte ich nicht. Moralische Urteile sind oft relativ und dem Geschmack der Zeit unterworfen. Was in einer Epoche zur Hinrichtung genügte auch hier, würde heute nicht mal mehr strafrechtlich belangt.
Könnte es am Ende wichtiger sein, sich zu fragen, was es für Frieden braucht, als welcher Mord gerecht ist?
Was ist etwas wert im Leben und was wäre den Tod wert, wieviel bliebe noch davon ohne Freiheit und worauf stützen wir unser Urteil?
jens tuengerthal 23.3.2016
Dienstag, 22. März 2016
Kulturgeschichten 0165
Warum über die Nation schreiben, während mitten im Zentrum Europas Bomben explodieren, warum der Kunst gedenken während Menschen sterben?
Vielleicht damit wir einen Anker in unruhigen Zeiten finden oder die Schönheit immer über dem Kleingeist steht, der nur beschränkt und Grenzen zieht, weil das Schöne allein gegen den Terror hilft, erst die Freiheit der Kunst die Basis der Freiheit überhaupt ist, von der viele Verwirrte gerade abkamen ihren geaberglaubten Göttern in den vermeintlich heiligen Tod folgend, statt zu merken, tot sind nur die Götter, wenn die Vernunft siegt, wir den albernen Aberglauben beerdigen und hinterher sie, denn wer tot ist, ist nicht mehr, den erwartet nichts als das Nichts des nicht mehr Seins, warum es lebend besser ist, sich der Kunst zu widmen, statt dem Aberglauben, solange noch Zeit ist.
Die Nation als solche ist mir nur in der Kulturnation nah, wenn ich an Goethe denke, an Schiller, Rilke, Kant, Ranke, Morgenstern, Mann, Tucholsky und andere mehr - Bilder gibt es vielleicht noch, die dies Gefühl der Zuneigung ähnlich auslösen und sie stammen nicht unbedingt aus der Romantik, obwohl, manchmal sogar das.
Einer meiner liebsten Orte in Berlin ist die Alte Nationalgalerie, jene Sammlung der Kunst des 19. Jahrhunderts auf der Museumsinsel, hinter dem unsäglich gräßlich wilheminischen Berliner Dom, der besser und eher noch als der Palast der Republik abgerissen worden wäre, auch wenn das nun Humboldt Forum den Platz innerlich wie äußerlich als edle Variante der Multi-Kulti Kolonialmuseen mehr ziehren wird, als es dieser grauenvolle Bau der DDR-Diktatur.
Seit nun 15 Jahren im Osten ansässig, weiß ich um die Empfindlichkeiten der Anwohner, die teils schöne Erinnerungen mit dem Palast verbinden und so und anders ihre Versuche der Relativierung eigener Verantwortung und Anpassung in der Diktatur weichspülen wollen. Sage dazu aus Erfahung lieber nichts, es könnte nur falsch sein, berufe mich gern auf meine Liebste, die dort lebte, bis das Land unterging und immer sagt, sie fand die DDR ein spießiges, beschränktes Land voller Angst und totalitärer Neigungen und den Palast einen Spiegel dieser kleinkarierten Republik, die groß sein wollte, am Ende peinlich blieb und so zum Glück unterging - an der DDR gäbe es nichts schön zu reden, es hätten sich nur die Menschen dort mit dem System arrangiert und die Spießer, die jede Veränderung fürchten, konnten das besser und jammern nun schon wieder.
Aber jenseits dieser abgerissenen Orte und dessen, was nebenan nun als großes Forum zum Gedenken an die Brüder Humboldt wächst, würde es nicht durch kleinkarierte Berliner schon wieder beschränkt, als teilweise nur Heimatmuseum eines eigentlich unwichtigen Provinznestes im märkischen Sand, ist die Alte Nationalgalerie für mich ein Liebesort, den ich voll Zärtlichkeit durchstreife, in dem ich die Bilder so liebe wie ihre meist zurückhaltende Präsentation.
Es ist eine Nationalgalerie, auch wenn manche Künstler international sind, zumindest einige Franzosen darunter die deutsche Romantik in ihrer Schwermut mit lichter Leichtigkeit als Impressionisten auflockern, die Franzosen ein wunderbares Zentrum der deutschen Alten Nationalgalerie sind, die zeigt wie schön die nationale Kunst erst in Europa wird und wie wenig sie Grenzen kennt oder respektiert, zeigt uns auch ein Liebermann, der den Impressionisten folgend eigene Wege zum Licht neu fand.
Am 22. März 1876 wurde in Beisein von Kaiser Wilhelm I., der ja quasi Nachbar war, die Nationalgalerie eröffnet. Der Bau nach den Plänen von Friedrich August Stüler hatte neun Jahre in Anspruch genommen und bildet heute einen Teil des Weltkulturerbes Museumsinsel.
Mit der Idee eine Nationalgalerie zu gründen, wurde sich nach den Befreiungskriegen ab 1815 immer mehr beschäftigt. Dazu zeichnete Stüler den Plan eines Tempelbaus, der später ähnlich realisiert wurde. Als Wilhelm I. 1861 das Erbe des Künstlers und Bankiers Wagener mit einer Sammlung von 262 deutschen und ausländischen Gemälden annahm, war der Grundstock der Nationalgalerie geschaffen, die zunächst in der Akademie der Künste Unter den Linden gezeigt wurde.
Stüler begann noch 1862 mit den Planungen des Gebäudes, die dann nach Stülers Tod 1865 Busse übernahm und durchführte. Sie waren den Möglichkeiten der Zeit entsprechend hochaktuell und mit modernster Technik gebaut worden, wozu auch die riesigen Dachfenster gehörten. Wegen der modernen Eisenkonstruktion und der gemauerten Decken wurde die neue Alte Nationalgalerie als feuersicher gelobt. Anfänglich war das Museum noch relativ leer und es galt eine eigene Sammlung mit der Zeit zu finden. Erster Museumsdirektor war ab 1874 Max Jordan. Sein Nachfolger Hugo von Tschudi erwarb auch Impressionisten für die Sammlung und riskierte damit den Konflikt mit dem Kaiser, da er die Ausrichtung auf nationale Kunst aufhob. Ab 1909 übernahm Ludwig Justi den Direktorenposten, der sogar moderne Exppressionisten zu sammeln begann, die aber nach der Novemberrevolution im frei gewordenen Kronprinzenpalais ausgestellt wurden als Nationalgalerie II. Erst die Nazis setzten Justi ab und ersetzten ihn bis 1937 durch Eberhard Hanfstaengl, dem Paul Ortwin Raawe bis 1950 folgte. Unklar blieb immer, wieviel des Bestandes im Krieg gerettet wurde, was zerstört und was alles als Beutekunst in die totalitäre Sowjetunion gelangte in deren Nachfolge sich Putin manchmal gerne zeigt.
Während der Teilung Berlins blieben die Bilder je nach Auslagerungsort im Westen oder Osten. Die im Westen verbliebenen wurden teils im Schloß Charlottenburg und teils in der Neuen Nationalgalerie ausgestellt, später auch in der Galerie der Romantik. Nach der Wiedervereinigung wurden die Bilder wieder in der Alten Nationalgalerie zusammengeführt, die auch erst ab dann nicht mehr Nationalgalerie sondern Alte Nationalgalerie hieß.
Das inzwischen gut sanierte Gebäude steht stilistisch zwischen Berliner Spätklassizismus und Neorenaissance, also nichts eigenes, sondern eher etwas nachgemachtes, was selten gelingt und oft nur aufgesetzt wirkt, unecht zumindest und doch ist die tempelartige Anlage von einer schlichten Schönheit und der 2001 nach vollständiger Sanierung wiederöffnete Bau gehört auch mit seiner Säulenumrahmung zu den Glanzpunkten der Museumsinsel.
Es werden dort die wichtigsten Werke des 19. Jahrhunderts der Nationalgalerie gezeigt. Dazu gehören Werke des Klassizismus und der Romantik, des Biedermeier, des französischen Impressionismus und der beginnenden Moderne. Zu den wichtigsten Künstlern gehören Caspar David Friedrich, Karl Friedrich Schinkel, Manet, Monet, Renoir, Menzel, Liebermann, Corinth, Cézanne. Ob Friedrichs Mönch am Meer wichtiger ist als Menzels Eisenwalzwerk oder die Lichtspiele der Franzosen, könnte sicher gestritten werden, als wichtigste Plastik gilt aber relativ unstrittig die Prinzessinnengruppe von Schadow, mit der nur noch Rodins Denker im 1. Stock in Konkurrenz steht.
Mit mir haben 2015 245.694 Besucher allein die Ausstellung Impressionismus - Expressionismus Kunstwende gesehen, die bisher die erfolgreichste war und die ich glücklich als einer der letzten überhaupt durchschritt, wie immer in diesen Räumen voller Liebe flanierend, die mich in Postern bis in meine Wohnung begleiten, weil Museen nicht nur Orte der Schönheit und Ruhe sind, sondern auch ein Quell des Geistes, der dort in Bewegung gesetzt wird auf schöne Art.
Darum scheint es mir heute so klug, an die Alte Nationalgalerie zu ihrem Geburtstag zu erinnern, während in Brüssel die Bomben explodieren, weil Kunstorte ein Gegepol zu aller Gewalt sind, die uns innehalten lassen im dort preußischen Akardien, um wieder zurück zur Vernunft zu finden, statt hektisch, kurzsichtig und national zu reagieren.
Geht ins Museum und nehmt euch Zeit zu genießen, dort zu sein, was kann es schöneres geben, während diese närrischen Islamisten Museen zerstören, deren Kultur nicht ihrem Aberglauben entspricht. Was besseres als sich Zeit nehmen, können wir, wenn alles panisch wird, ohnehin nicht. Von den Nationen bleibt nur die Kultur, achten wir sie, erreichen wir mehr als das Konstrukt der Nation je konnte.
jens tuengerthal 22. März 2016
Montag, 21. März 2016
Kulturgeschichten 0164
Selbstmordattentatsversuchung
Während wir gerade den nur beinahe Selbstmordattentäter fingen, der sein Leben doch nicht für den IS opferte und sich nun als Opfer sieht, ist es gerade heute Zeit, sich an ein gescheitertes Selbstmordattentat eines Deutschen zu erinnern.
Am 23. März 1943 wollte Rudolf-Christoph von Gersdorff mit zwei britischen Splitterminen die Führungselite des NS-Staates mit sich in den Tod zu reißen. Er trug, anläßlich des Besuchs von Hitler, Göring, Himmler, Keitel und Dönitz zum Heldengedenktag im Zeughaus, die mit Säurezünder bereits aktivierten Minen in der Manteltasche. Er sollte als Offizier des Generalstabs den Besuchern die Ausstellung von russischen Beutewaffen erläutern und wollte nach dem gescheiterten Attentat von Henning von Tresckow und Fabian von Schlabrendorff zwei Tage zuvor, bei dem Hitler durch eine in ein Flugzeug geschmuggelte Bombe getötet werden sollte, durch sein Opfer den sinnlosen Krieg beenden und den Massenmörder mit seiner Führungsclique beseitigen.
Die aktivierten Minen sollten nach zehn Minuten explodieren. Hitler hetzte jedoch in zwei Minuten durch die gesamte Ausstellung und verließ sodann wieder das Gebäude. Gersdorff hatte gerade noch Zeit den Zünder auf einer Toillette unbemerkt wieder zu entschärfen.
1944 verwahrte Gersdorff Zünder und Sprengstoff für das Attentat vom 20. Juli, die Wessel Freytag von Loringhoven zuvor unbemerkt aus den Beständen der Abwehr besorgt hatte. Die Verschwiegenheit seiner inhaftierten Offizierskollegen trotz Folter rettete ihn vor der Verhaftung und er überlebte als am Ende Generstabschef der 7. Armee, die er erfolgreich aus dem Kessel von Fallaise befreit hatte, wofür er noch im August 1944 das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes erhielt.
Rudolf-Christoph war als Sohn eines preußischen Rittmeisters schon quasi in die Armee hineingeboren worden. Er war nach dem Tod seiner ersten Frau, mit der er eine Tochter hatte, noch ein zweites mal mit einer Nachfahrin des Prinzen August von Preußen verheiratet.
Gersdorff war 1923 als Offiziersanwärter in die Reichswehr eingetreten. Er erhielt seine militärische Grundausbildung in Breslau, wo seine Vorfahren seit Generationen im 1. Schlesischen Leibkürassierregiment “Großer Kurfürst” gedient hatten. Bereits 1926 wurde er Leutnant und 1938 zum Rittmeister befördert. Von 1938 bis 1939 war er an der Kriegsakademie in Berlin um dort die Ausbildung zum Generalstabsoffizier zu erhalten.
Bei Beginn des Polenfeldzuges war Gersdorff Dritter Generalstabsoffizier der 14. Armee, mit der er, dann in 12. Armee umbenannt, nach Abschluß des Feldzuges an die Westgrenze verlegt wurde. Nach einer kurzen Zwischenstation beim XII. Armeekorps, wurde er zum Oberkommando des Heeres abkommandiert, wo er als Ia die Führungsabteilung der 86. Infantriedivision leitete, die als Teil der 12. Armee den Vorstoß in den Ardennen führte.
Im Rahmen des Unternehmens Barbarossa, dem Rußlandfeldzug Hitlers, wurde er zur Heeresgruppe Mitte versetzt. Dort leitete er als Ic die militärische Aufklärung als Verbindungsoffizier der Abwehr. Ziel dieser Versetzung war gewesen, ihm Zugang zu dem Verschwörerkreis um Henning von Tresckow zu ermöglichen.
Bis April 1943 entdeckten Gersdorff unterstellte Soldaten der Wehrmacht die Massengräber von 4000 polnischen Offizieren, Fähnrichen und Beamten, die Einheiten des russischen NKWD 1940 nahe dem russischen Dorf Katyn ermordet hatten. Er war dabei für die Exhumminierungen zuständig und leitete auf Anweisung von Goebbels die Besichtigungsreisen ausländischer Beobachter. Dazu gehörten eine internationale Ärztekommission, Journalisten und Schriftsteller sowie gefangene polnische, englische und amerikanische Offiziere.
Nach dem Krieg in amerikanischer Kriegsgefangenschaft hatte Gersdorff eine privilegierte Position, weil er amerikanischen Historikern beim Verfassen einer Historie des 2. Weltkrieges zur Hand gehen durfte und dabei mit seinen genauen Kenntnissen von Generalstab und Widerstand sehr hilfreich war.
Im Rahmen der Nürnberger Prozesse, bei denen Fabian von Schlabrendorff Berater der amerikanischen Delegation war empfahl er Gersdorff als Zeugen für den von sowjetischer Seite vorgebrachten Anklagepunkt Katyn. Dieser verfasste einen genauen Bericht über seine Erkenntnisse von 1943. Doch kam dieser Bericht weder in den Nürnberger Prozessen zur Sprache noch wurde Gersdorff als Zeuge geladen. Der Bericht wurde sogar völlig verschwiegen und erst 2012 im amerikanischen Nationalarchiv wieder entdeckt. Eine amerikanische Untersuchungskommission zum Massaker von Katyn befragte ihn 1952 dazu.
Sein Plan zum Eintritt in die Bundeswehr nach dem Beschluss zur Wiederbewaffnung scheiterte jedoch, wofür er Staatssekretär Hans Globke und Kreise ehemaliger Offiziere in seiner Biografie verantwortlich machte, die keinen “Verräter” in ihren Reihen wünschten, was den Blick auf die Rekrutierung der frühen Offiziere sehr kritisch sehen lässt.
Nach einem schweren Reitunfall ab 1967 querschittsgelähmt kümmerte sich Gersdorff um ehrenamtliche Tätigkeiten im Johanniterorden, deren Ehrenkommandanteur er war und gründete die Johanniter-Unfall-Hilfe, deren Gründungspräsident und langjähriger Vorstandsvorsitzender er wurde. Für seine außerordentlichen Verdienste wurde ihm 1979 das Große Bundesverdienstkreuz verliehen und später wurde nach ihm noch die Generalmajor Freiherr von Gersdorff Kaserne in Euskirchen benannt.
Die Bereitschaft sein Leben zu opfern, um andere zu retten, unterscheidet Gersdorff entscheidend von islamistischen Selbstmordattentätern, gemeinsam haben sie, dass sie bereit sind andere zu töten, um eines höheren Zieles wegen, auch wenn im Fall des militärischen Widerstandes davon ausgegangen werden kann, dass sie damit mehr Leben retten als beeinträchtigen wollten, der Tyrannenmord mag verständlich sein und in einem höheren Sinne gerechtfertigt, bleibt doch die Tat eines Menschen, der seine Ziele über das Leben anderer Menschen stellte, immer auch den Tod Unschuldiger riskiert.
Die Unschuldigen sind ein gutes Stichwort dazu, gibt es überhaupt schuldige Tote, kann einer, etwas verschulden, was den Tod rechtfertigte?
Nach dem Recht der Bundesrepublik gibt es keine Todesstrafe mehr und die Tötung eines anderen kann, außer durch Notwehr nicht gerechtfertigt werden. Das ist gut so und wichtig in diesem Zusammenhang festzustellen, auch eine Lehre aus der NS-Diktatur, in der staatlicher Mord industrialisiert, Tötungsfabriken betrieben wurden, um Menschengruppen nach kruden rassischen Vorstellungen zu vernichten.
Ändert dies etwas an der Betrachtung und Bewertung des Mutes eines Gersdorff?
Wissend, wieviele in den letzten beiden Kriegsjahren noch getötet wurden, war die Tat nur gerechtfertigt, wenn Leben gegen Leben abgewogen werden könnte. Da dies aber nicht möglich ist, muss jede Tötung für sich betrachtet werden bei der Frage, ob dies gerechtfertigt werden könnte.
Eine rechtfertigende Begründung zur Tötung könnte aus dem Kriegszustand resultieren, in dem getötet wurde und in dem eine andere Rettung nicht in Sicht war. Doch auch hier gilt, Leben kann nicht gegen Leben abgewogen werden und nicht ein Leben ist mehr wert, oder verdiente, vernichtet zu werden - warum auch die Drohneneinsätze der Amerikaner gegen Islamisten nach deutschem Recht eine Form des Totschlags oder Mordes wäre, würden wir sie nicht nach fragwürdigem Kriegsrecht beurteilen.
Aber auch nach Kriegsrecht ist der Tyrannenmord nicht gerechtfertigt. Er kann nur alternativlos sein, um eine unerträgliche Situation mit Massenmorden und Terror zu beenden.
Es gibt die Radbruchsche Formel, nach der die NS-Täter bestraft werden konnten, wie die Mauerschützen ohne gegen den nulla poena Grundsatz zu verstoßen, der besagt dass keiner bestraft werden kann, wenn die Tat nicht zum Zeitpunkt der Begehung unter Strafe gestellt wurde. Die NS-Täter und die Mauerschützen, die auf Flüchtende schossen, handelten teilweise geltendem Recht entsprechend, waren also gerechtfertigt, betrachten wir nur das Gesetz und da sagte eben Radbruch, ein Strafrechtslehrer aus Heidelberg, dass eine Tat, die so offensichtlich gegen alles Natur- und Menschenrecht verstößt, dass der Täter hätte erkennen müssen, dass, was er tat, Unrecht war, er auch bestraft werden kann, wenn diese Tat staatlich legitimiert war.
Eine heikle Annahme, die das Naturrecht über alles stellt und versucht eine Strafe zu legitimieren, die keine Legitimation haben kann, ohne dem Prinzip, das Strafe überhaupt begründet, zu widersprechen.
So fragt sich, ob es der Rechtfertigung überhaupt bedarf oder wir nicht einfach klar sagen können, bestimmtes Tun, ist nicht zu rechtfertigen, kann aber dennoch geboten erscheinen, wir aber in diesem Fall eben rechtlich nicht beurteilen können, was es damit auf sich hat, weil es nicht ins System passt.
Die gewollte Tat des beinahe Selbstmodattentäters Gersdorff ist verständlich, moralisch sogar vermutlich gut, betrachten wir die Verbrechen der Nazis aus heutiger Sicht, gerechtfertigt ist sie trotzdem nicht. Vielleicht erkennen wir damit die logischen moralischen Grenzen des Rechts überhaupt oder denken darüber nach, ob wir mehr Moral im Staat wollen oder lieber weniger Staat und mehr außerrechtliches moralisches Handeln.
Weiß nicht, wie ich eine Tötung je rechtfertigen sollte, allein den Tyrannen nicht töten zu wollen, wäre in dieser Situation auch keine Lösung, warum es klug sein könnte, jenseits allen Rechts, nach Antworten zu suchen und dessen fragwürdige Gültigkeit im Sinne einer Gerechtigkeit, die Radbruch über eine verlogene Krücke einführte, einfach hinzunehmen.
Es ist nicht alles rechtlich regelbar und so kann nicht alles legitim im Sinne der Gerechtigkeit sein, die ohnehin ein außerrechtliches Ding ist, das viel im Aberglauben wurzelt, keine rechtliche Form haben kann. Vielleicht wäre es darum klüger, nicht alles regeln zu wollen und die Helden des Widerstandes als solche anzuerkennen, auch wenn sie einen Mord begehen wollten, der nur rechtlich sehr gewagt, legal sein kann. Sie haben ihr Leben riskieren wollen, um andere Leben zu retten, das Unrecht des Staates zu beenden, damit brauchen sie keine formale Legitimation.
Frage mich nur, was die Grenze sein soll, solches Handeln für gut zu halten und ob es die geben kann?
Warum sind wir uns sicher, dass der Islamist, der aus tiefsten Glauben handelt, böse ist, während der Selbstmordattentäter Gersdorff für uns fraglos gut handelte?
Welches könnte ein allgemeiner Maßstab se
Kulturgeschichten 0163
“Er war eigentlich nur noch Gewohnheitsregente (sic!), tat was er wollte, und forderte immer mehr Devotion. Seine Größe lag hinter ihm.“
Theodor Fontane
Wie wichtig und entscheidend ist die politische Führung für den Kurs eines Staates oder einer Staatengemeinschaft?
Kommt es auf an, was einzelne Politiker tun oder nicht?
Am 20. März 1890, pünktlich zum Frühlingsanfang und zum Äquinoktium, der Tag- und Nachtgleiche, entließ Kaiser Wilhelm II. dem Antrag des Fürsten folgend, Otto von Bismarck als Reichskanzler.
Der junge, nicht unumstrittene Kaiser war zu diesem Zeitpunkt keine zwei Jahre im Amt und es war schon wiederholt zu Reibereien in Fragen der Kompetenz gekommen. Bismarck war mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1873 seit 1862 preußischer Ministerpräsident gewesen, also fast 30 Jahre im Amt, hatte dem Vater wie dem Großvater des Kaisers noch gedient.
Er war irgendwann nach 1848 als Vertreter der Junker noch in den Kreisen um Friedrich Wilhelm IV. aufgetaucht. Seine Positionen passten sich den vertretenen Interessen flexibel an. Im preußischen Verfassungskonflikt stellte er sich gegen die Liberalen und für ein Primat der Monarchie, im deutsch-dänischen Krieg, setzte er die Vorherrschaft Preußens in Deutschland erstmals durch vor allem gegen Österreich und nach dem deutsch-französischen Krieg, warb er für eine kleindeutsche Lösung ohne Österreich und damit für die Gründung des Deutschen Reiches, das noch bis 1918 bestand und unter preußischer Führung stand, auch wenn es prinzipiell ein gleichberechtigter Bundesstaat war.
Bis zu seiner Entlassung bestimmte Bismarck die preußische Politik entscheidend mit und formte das nach 1871 gegründete Deutsche Reich erst zu dem, was es nach seiner Abdankung noch 28 Jahre blieb. Der Spitzname Eiserner Kanzler, den er im Volksmund trug, drückt seine kontinuierliche Kraft und Bedeutung in der Gestaltung aus.
Seine Politik lässt sich grob in zwei Phasen einteilen, zunächst suchte er das Bündnis mit und die Nähe zu den Liberalen. In dieser Phase wurde die Zivilehe eingeführt und der Kulturkampf gegen die katholische Kirche, die vor allem im neuen Rheinland mächtig war, führte zu teils drastischen Maßnahmen. Ab den späten 1870er Jahren aber wandte er sich immer mehr von den Liberalen ab, führte Schutzzölle und andere staatsinterventionistische Maßnahmen ein, wozu die Sozialversicherung gehörte aber auch das repressive Sozialistengesetz auf der anderen Seite.
Er machte sich mit seinen Zwischenrufen von seinem Altersruhesitz Friedrichsruh nahe Hamburg aus zum Mahner des Reichs, der es seinen Nachfolgern immer wieder schwer machte Akzeptanz zu finden. Mit seinen viel gelesenen Memoiren Gedanken und Erinnerungen wirkte er selbst maßgeblich an seinen Bild in der Öffentlichkeit mit und beeinflusste die Politik durch seine Erinnerungen.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts dominierte in der Geschichtsschreibung eine sehr positive Sicht auf Bismarck und sein Werk. Dabei kam es, dem Zeitgeist entsprechend zu einer nationalistischen Idealisierung des Reichsgründers, auf den sich auch Hitler wieder berief. Nach dem 2. Weltkrieg begann eine etwas kritischere Betrachtung, die ihn für das Scheitern der Demokratie nach dem Kaiserreich mitverantwortlich machte und das von ihm geschaffene Reich wurde als obrigkeitsstaatliche Fehlkonstruktion bezeichnet. Heute wurde dieser scharfe Gegensatz teilweise überwunden und es werden beide Seiten berücksichtigt, so dass er als in die zeitgenössischen politischen Strukturen eingebettet betrachtet wird.
Über die Entwicklung des Menschen Bismarck zum wichtigen Politiker Europas, der Deutschland und seinen Sozialstaat bis heute formte, ließe sich viel erzählen, vom Göttinger Studenten, der ein lockeres Leben führte, der aus dem Referendardienst flog, Frauengeschichten hatte und Spielschulden, bis er nach dem Tod der Mutter das Gut in Pommern übernahm, bald zum Landrat gewählt wurde und dabei wie schon als Student konservative Positionen vertrat. So war er überzeugter Corpsstudent und grenzte sich von den aus seiner Sicht schlecht erzogenen Burschenschaftlern ab, die keine Satisfaktion boten und deren nationalistische Ideen er entschieden ablehnte. Aber hier soll es weniger um den Menschen Bismarck als seinen Abschied gehen, der von der zeitgenössischen internationalen Presse als der Lotse geht von Bord betitelt wurde, auch wenn die Person Bismarcks und seine Entwicklung zum Verständnis seiner Politik nicht unwichtig sein könnte, war diese dann doch so wechselhaft immer wieder, dass es unsinnig wäre, ihn auf seinen biografischen Hintergrund hier reduzieren zu wollen.
Wichtig ist vielleicht, dass der vermeintlich kühle Machtpolitiker zu cholerischen Anfällen neigte, den Kaiser immer wieder erpresste und seinen Abschied androhte, sollte dieser seinem Kurs nicht folgen. Wilhelm I. sah die Reichsgründung und seine Krönung in Versailles durchaus kritisch, wusste, dass dies das Ende des alten Preußen bedeutete, überlegte noch bis kurz vorher die Krönung abzulehnen und folgte dann doch dem Pflichtgefühl. Als es noch nicht zur Wahl in den preußischen Landtag reichte und ein Ministeramt nach der Gegenrevolution im November 1848 vom König noch abgelehnt wurde, weil er als zu konservativ galt, schuf er sich mit der Kreuzzeitung ein politisches Medienorgan, das eine breite Wirkung entfaltete und scharte immer mehr gerade ostelbische, konservative Junker um sich.
Als er dann 1849 doch in den preußischen Landtag gewählt wurde, beschloss er, sich ganz der Politik zu widmen und zog mit seiner Familie nach Berlin, wurde so der erste Berufspolitker. Bismarck wurde in der Zeit der Erfurter Union zum bedeutendsten Parlamentsredner seiner Zeit obwohl der den Parlamentarismus eigentlich ablehnte und schaffte aber erstmals den Wechsel vom rechten Scharfmacher hin zum politischen Pragmatismus, der seine spätere Arbeit prägen sollte. Danach war das einzige einem großen Staat würdige Verhalten, für seine Interessen zu kämpfen und nur um diese ging es ihm nun.
Auch ohne diplomatische Vorkenntnisse wurde das Naturtalent Bismarck schließlich zum preußischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt ernannt und begann dort überraschend eigene Positionen zu vertreten. Dabei ging er in scharfe Konfrontation zu Wien und verhinderte letztlich Österreichs Beitritt zum deutschen Zollverein.
Von Frankfurt, wo er einflussreich tätig war, kam er nach St. Petersburg und Paris als preußischer Gesandter, wo er noch eine Affäre mit einer russischen Fürstin hatte, die seine Frau aber tolerierte - es war die Gattin des russischen Gesandten in Belgien.
Schließlich rief ihn der neue Kriegsminister von Roon dringend nach Berlin, da er plante ihn als Ministerpräsidenten einzusetzen, was den Konservativen die einzige Möglichkeit schien die vom König geplante Heeresreform, die dringend nötig war, doch noch durchzusetzen, zumal Wilhelm bereits mit seiner Abdankung gedroht hatte, falls die Reform im Parlament scheitern sollte, das nach der letzten Wahl von der Fortschrittspartei dominiert wurde, gegen die Bismarck sich durchzusetzen, dem König versprach, woraufhin dieser von der Abdankung absah, welche die konservativen Kräfte sehr fürchteten, da dann der wesentlich liberalere Friedrich III. möglicherweise ihre politischen Ziele vereiteln würde. So wurde Bismarck preußischer Ministerpräsident und Außenminister.
Daraus entwickelte sich ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem König und seinem Minister, der außergewöhnlich umfangreiche Vollmachten erhielt. Dabei blieb Bismarck zwar ein Konservativer, der aber immer pragmatischer handelte, um sich Bündnisse zur Durchsetzung seiner Politik zu suchen. und die Macht im Staat zu erhalten, wofür er auch Bündnisse mit Liberalen einging.
Berühmt wurde seine Eisen und Blut Rede, nach der die großen Fragen der Zeit nicht durch Majoritätsbeschlüsse entschieden würden sondern durch Blut und Eisen, was er eigentlich als ein Kommpromissangebot an die Liberalen gemeint hatte, mit denen er das Bündnis suchte für einen Militärhaushalt, die jedoch von der liberalen Presse als ein Aufruf zur Gewaltherrschaft verstanden wurde, warum die Liberalen jede Zustimmung verweigerten und Bismarck im weiteren ohne Haushalt regierte, wofür er sodann die Lückentheorie entwickelte, nach der, wenn es keine Einigung gäbe, aber gehandelt werden müsse, derjenige handeln solle, der die Macht in den Händen hielte, da der Staat keinen Stillstand vertrüge. Da die fehlende Einigung zwischen Parlament und König nicht im Gesetz geregelt sei, bestünde eine Lücke, die zur Aufrechterhaltung der Funktionen des Staates handelnd geschlossen werden müsse.
Bismarck erwog sogar, um die Liberalen zur Mitarbeit zu motivieren, ein Bündnis mit den Sozialdemokraten und führte allerdings ergebnislose Gespräche mit Ferdinand Lasalle. Bismarck stand nun scharf in der öffentlichen Kritik, die auch vom Thronfolger kam und dennoch überlebte er die Krise politisch noch. Dabei ging er im politischen Streit um die Pressefreiheit sogar soweit, den berühmten Berliner Arzt Virchow zum Duell zu fordern, was dieser aber empört ablehnte, weil dies Junkertum keine zeitgemäße Form der Auseinandersetzung sei.
Zeitweise hatte er mit dem Gedanken gespielt, einen Staatsstreich zu unternehmen, das Wahlrecht abzuschaffen, sah dann jedoch davon ab, da ihm klar war, dass er ohne Parlament keine langfristig stabile Ordnung herstellen konnte.
Stattdessen setzte er sich für die Schaffung einer Nationalvertretung ein, die aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgehen sollte, um so die Nationalbewegung für sich zu gewinnen als Bündnispartner, die direkt mit den Liberalen verknüpt waren. Das brachte ihm kurzfristig erstmal gar nichts, schuf aber eine Stimmung, aus der er später das Deutsche Reich mit breiter Zustimmung schuf. Dies Ereignis macht deutlich, wie langfristig strategisch Bismarck dachte und zeigt dabei eine gewisse Ähnlichkeit mit dem merkelschen Pragmatismus, der Europa und Deutschland mit unerwarteten Kompromissen durch die Krise führt. Entscheidender Unterschied ist jedoch, dass diese es ohne vorherige cholerische Produktion von Krisen am Rande des Nervenzusammenbruchs tut, sondern einfach im wildesten Sturm, ruhig verhandelt.
Die nächste Krise in der Bismarck als Politiker erfolgreich war, ist der deutsch-dänische Konflikt. Dort ging es um die Erbansprüche für Schleswig und Holstein, die Dänemark nach dem Tod des Königs weiter beanspruchte, die aber auch der Herzog von Augustenburg beanspruchte. Bismarck verhielt sich zunächst völkerrechtlich völlig korrekt, ließ dann aber die Verhandlungen platzen und provozierte den Krieg, in dem Preußen mit dem Deutschen Bund und Österreich gemeinsam an den Düppeler Schanzen zunächst siegreich war und nach dem nächsten Scheitern auch noch erfolgreich Jütland besetzte, womit Dänemark endgültig geschlagen war und im Wiener Friedensvertrag der Abtretung der beiden Herzogtümer zustimmen musste. Der Versuch einen Augustenburger Staat zu bilden scheiterte und Preußen und Österreich vereinbarten die Gebiete zunächst gemeinsam zu verwalten, wobei Bismarcks Strategie langfristig darauf zielte, die beiden Herzogtümer Preußen einzuverleiben. Er war ohne klare Ziele in den Konflikt gegangen und hatte situativ reagiert, um dann die sich bietende Gelegenheit zu nutzen den eigenen Machtbereich vorerst mit Österreich gemeinsam auszudehnen.
Nach dem Wiener Frieden suchte Bismarck zunächst ein Bündnis mit Österreich, um gemeinsam einen gleichberechtigten Weg in Deutschland unter konservativen Vorzeichen zu gehen. Da sich Österreich der Gleichberechtigung verweigerte, setzte er zunehmend auf eine kleindeutsche Lösung und versuchte Österreich zu provozieren. Er wollte den Krieg mit Österreich auch, um den preußischen Verfassungskonflikt zu seinen Gunsten zu bringen. Diesen provozierte er schließlich, nachdem Österreich die Entscheidung über Schleswig Holstein dem Bundestag übertragen hatte, was er für unzulässig erklärte und darum Holstein besetzen ließ, Als daraufhin der Bundestag auf Antrag Österreichs die Mobilmachung des Bundesheeres gegen Preußen beschloss, kündigte Bismarck den Bundesvertrag und begann militärische Operationen gegen die Königreiche Hannover und Sachsen sowie Kurhessen. Der Ausgang der Angelegenheit war keineswegs sicher und Bismarck verkündete vor der entscheidenden Schlacht, wenn Preußen verlieren sollte, werde er nicht zurückkehren, sondern mit der letzten Kugel fallen.
Preußen gewann aber die Schlacht bei Königgrätz durch das Zusammenwirken verschiedener günstiger Umstände. Die Nutzung der Eisenbahn und die neuen preußischen Hinterlader, die ein vielfach so schnelles Laden ermöglichten, warum die Preußen dann doch so schnell schossen und sich die kluge Strategie des preußischen Generalfeldmarschals Moltke, getrennt marschieren und vereint schlagen, als erfolgreich erwies.
Während Wilhelm und Moltke nun darauf drängten, auch Wien zu erobern, um Österreich einen harten Frieden zu diktieren, setzte sich Bismarck im Frieden von Prag für einen moderaten Frieden mit Wien ein und sich durch. Preußen bekam Schleswig und Holstein, gründete den Norddeutschen Bund ohne Österreich, das er nicht mit einem harten und diktieren Frieden Frankreich in die Arme treiben wollte.
In der Laune des Sieges, ließ sich Bismarck, der ohne rechtliche Grundlage seit 1862 regiert hatte, im nachhinein die Ausgaben vom preußischen Landtag genehmigen und beendete somit den Verfassungskonflikt, legalisierte seine bis dahin eigentlich illegale Regierung hinterher. Dies führte zu einer inneren Spaltung sowohl der Konservativen als auch der Liberalen, so dass sich Bismarck für seine künftige Politik immer auf diese beiden Gruppen stützen konnte. Ein strategischer Trick, der politisch geradezu genial war und Bismarck über alle parteilichen Fronten hob.
Nun fand eine Revolution von oben statt, die einzige, die es in Preußen geben kann, wie Bismarck schon vorher gegenüber Napoleon III. meinte. Er gab dem Norddeutschen Bund seine Verfassung, die auch seinen Namen trug und sogar demokratische Wahlen vorsah, die preußische Vorherrschaft im Bund zementierte und für ihn das Amt des Reichskanzlers zuschnitt, was ihm auch bei der zweiten Reichsgründung blieb. Bismarck kam den liberalen Forderungen dabei weit entgegen, sorgte jedoch auch klar dafür, dass aus der konstitutionellen Monarchie keine parlamentarische wurde.
Insofern der neue Norddeutsche Bund aber nicht die erhoffte Anziehungskraft entfaltete, viele süddeutsche Staaten kritisch blieben, in Wahlen die Gegner gewannen, sah Bismarck sich gezwungen einen äußeren Konflikt zur Einigung zu provozieren. Dazu diente ihm die provozierende Kandidatur eines katholischen Hohenzollern für den spanischen Thron, die dann zwar noch diplomatisch beigelegt wurde, wobei Wilhelm I. die Forderung von Napoleon III. ablehnte die Hohenzollern sollten für alle Zeiten auf diesen Anspruch verzichten, was er seinem Kanzler in der Emser Depesche mitteilte. Diese wiederum lancierte Bismarck in deutlich verschäfrtem Ton an die Presse und hatte damit den Skandal, auf den der bloßgestellte Napoleon nur noch mit der Kriegserklärung an Preußen reagieren konnte, was Bismarck den eigentlich Provokateur in ein gutes Licht stellte und zu einer großen Solidarität mit Preußen in ganz Deutschland führte. Auch die Süddeutschen Staaten erklärten sich solidarisch und hielten den Bündnisfall für gegeben.
Der Krieg war nach der Schlacht von Sedan schnell geschlagen durch die Gefangennahme Napoleons III. - die dann noch erstrebte Eroberung von Paris, um durch den Beschuss der Hauptstadt auch die Abtretung des Elsaß und Lothringens zu erzwingen, Frankreich zu erniedrigen, machte den Krieg zum Volkskrieg und verlängerte ihn damit zusätzlich, was nichts am siegreichen Ende änderte, aber die spätere Erbfeindschaft einbrachte, die in den Schützengräben von Verdun Hunderttausende freiwillig fürs Vaterland in den Tod rennen ließ.
Die zusätzliche Erniedrigung in Versailles Spiegelsaal den neuen Kaiser zu krönen, der es gar nicht sein wollte, sondern vom designierten Reichskanzler dazu gedrängt werden musste, der auch für Bayerns Ludwig II. den Kaiserbrief geschrieben hatte, in dem Ludwig Wilhelm als gemeinsamen deutschen Kaiser vorschlug, würde ihm im Westen noch lange Kopfzerbrechen bereiten und er wäre die Krondomänen Elsass und Lothringen irgendwann gerne wieder los geworden, nachdem sich die politische Situation stabilisierte.
Seine weitere Regierungszeit war ein ständiger Kampf zwischen Erpressung, Taktik und Rücktrittsdrohung und der stark übergewichtige Bismarck kam immer häufiger auch an seine physischen Grenzen, wie er hörbar jammerte. Im Kulturkampf richtete er sich gegen den politisch organisierten Katholizismus in Gestalt seines Lieblingsfeindes Windhorst. Über eigene Vereinbarungen mit Rom versuchte er, dem politischen Katholizismus den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Ergebnis brachte die Auseinandersetzung Deutschland die Zivilehe und die staatlichen, bekenntnisfreien Schulen.
Die Auseinandersetzung mit den immer stärker werden Sozialdemokraten führte neben den autoritären Sozialistengesetzen auch zur Einführung einer vorbildlichen Sozialgesetzgebung, mit der sich Bismarck an die Spitze der Bewegung setzte, die er eigentlich bekämpfte.
Auch außenpolitisch setzte er sich immer wieder mit seiner Methode zwischen Provokation und Zugeständnissen durch, der schon bekannten Revolution von oben, die zugleich eine Politik mit sehr viel persönlichen Einsatz bedeutete, in der alles am unentbehrlichen Reichskanzler und Außenminister hing, in dessen Händen alle Fäden zusammenliefen. Solche Stärke macht Gegner und bleibt nie ohne Widerspruch. Obwohl Bismarck mit Geschick und bekannter Intriganz alles tat, seine Gegner auszuschalten, mehrten sich Ende der 1880er Jahre die Anzeichen, dass die Ära Bismarck zu Ende ginge.
Die vom Geist des Imperialismus geprägte Öffentlichkeit wollte eine Abkehr von Bismarcks bewahrender, vorsichtiger Diplomatie, um eine dynamisch, risikobereite Außenpolitik zu befürworten. Nach der kurzen Herrschaft von Friedrich III. der 1888 nur 90 Tage Kaiser wurde, standen sich mit Bismarck und Wilhelm II. zwei konträre Persönlichkeiten gegenüber. Bismarck hielt Wilhelm für unreif, nannte ihn einen Brausekopf, der Gefahr liefe, Deutschland in einen Krieg zu stürzen, ohne es zu wollen oder zu wissen. Dagegen fand Wilhelm Bismarck nicht mehr zeitgemäß und wollte dem Alten nur noch sechs Monate zum Verschnaufen geben, bevor er selbst regierte.
Bismarck wollte sich in dieser für ihn bedrohlichen Situation durch die Inszenierung einer neuen Krise unentbehrlich machen. Dazu brachte er ein neues verschärftes Sozialistengesetz ein, von derm er wusste, dass die Nationalliberalen es nie mittragen würden. Dies wollte Wilhelm jedoch nicht, der seine Regierungszeit nicht mit einem neuen Konflikt beginnen wollte, warum es schon im Januar 1890 zum Zusammenprall zwischen Bismarck und Wilhelm kam.
Am 15. März entzog der Kaiser daraufhin Bismarck wegen seines weiter Konfliktkurses das Vertrauen - so hatte er jedoch seit 1862 regiert und reichte folglich am 18. März sein Entlassungsgesuch ein, dem Wilhelm dann am 20. März nachgab, was von vielen Zeitgenossen begrüßt wurde, die fanden, die unbewegliche Zeit des Alten sei vorüber.
Während Merkel sich immer noch Rücktrittsforderungen aus dem rechtsradikalen Lager gegenübersieht, fragt sich, ob ihre Situation der Bismarcks gleicht und wie ihr Krisenmanagement zu bewerten ist.
Gerade hat die Kanzlerin einen ihrer größten Verhandlungserfolge auf diplomatischer Ebene erreicht, der eine langfristige Lösung der Flüchtlingskrise ermöglicht. Sie hat dabei allen Anfeindungen und Provokationen zum Trotz ruhig regiert und auf eine pragmatische diplomatische Lösung hingearbeitet. Sie sucht nicht den Konflikt, sondern vermeidet ihn und jene Merkel, der immer unterstellt wurde, sie sitze alles nur aus, zeigte sich hier sturmfest und wettertauglich. Einstimmig stellte sich die EU hinter ihre Lösung, von Isolation der Kanzlerin kann also keine Rede sein und auch da unterscheidet sie sich von Bismarck, der zwar pragmatisch Bündnisse schmiedete und wieder verwarf, jedoch diese nur als Instrumente seiner Machtpolitik benutzte.
Merkel posiert nicht wie ein Bismarck und sucht keine Provokation, um den Gegner zu zwingen, sondern lässt diesen sich selbst bloßstellen. Wer sang nicht alles schon die Totenmesse der Kanzlerin in den letzten Wochen?
In der Wirksamkeit ihrer Diplomatie der ruhigen Hand, erreicht sie Kompromisse, die einem Bismarck, der das Theater existentiell brauchte, lächerlich erscheinen lassen. Kohl mit seiner Sturheit glich dem eisernen Kanzler schon eher, doch war der Pfälzer Katholik dem protestantischen Junker vom Wesen her zu verschieden.
Merkel jedenfalls macht in ihrer Politik eher das Gegenteil von Bismarck und zeigt sich damit menschlicher und langfristig wirksamer - so wird der Erfolg der europäischen Politik die Lächerlichkeit der Wutbürger des AfD offenbaren und bald schon wird es viele gereuen, ihre Stimme dort verschwendet zu haben. Bismarck hat viel erreicht und hat es auf Leben und Tod erkämpft, hat mit vollem Einsatz um alles gekämpft und damit viele überflüssige Konnflikte geschürt aus taktischen Gründen. Merkel scheint lange nicht zu handeln, wirkt dann leise und dezent im Hintergrund für eine Einigung und auch wenn es einige Idioten immer geben wird, die den Sprüchen der Rassisten folgen, die wie Bismarck nur provozieren, statt Lösungen zu bieten, da der Kampf ihr eigentliches Element ist, während die Pragmatikerin Merkel lösungsorientiert arbeitet und damit mehr erreicht.
Einen Bismarck bräuchte es heute nicht mehr, so wenig wie Blut und Eisen Reden, sondern viel mehr gute Kompromisse, die langfristige Lösungen für die Menschen bieten. Wir mögen zu Erdogan und seiner Politik stehen, wie wir wollen, eine Lösung der Krise im Mittelmeer ist nur mit der Türkei möglich, auch angesichts der Vielzahl der griechischen Inseln dort. Zugleich bekommt Erdogan die Quittung seiner dummen Politik mit immer mehr Anschlägen und wer wird heute noch so dumm sein, in der Türkei freiwillig Urlaub zu machen?
Wenn die liberalen Kräfte in der Türkei wieder eine Chance haben sollen, brauchen sie mehr und nicht weniger Europa und wenn die Türken orientalisch bleiben wollen, wer wären wir, sie daran zu hindern?
Lassen wir die Türken nach Europa kommen, um die Syrer in der Türkei zu halten und die Menschenströme zumindest etwas zu ordnen, ist den Türken geholfen, die nicht mit dem manchmal wirr totalitär regierenden Erdogan mehr alleine sind und Europa, dass seine Ordnung wahrt. Fraglich ist nur, was die langfristige Strategie sein soll in der Grenzfrage.
Grenzen zu schließen, Zäune und Mauern zu bauen funktioniert nicht, ist bloßer Populismus für eine kleine Gruppe von Idioten, die den Schaden nicht ins Verhältnis zum Nutzen stellen können. Europa ist grenzenlos erfolgreich, warum es andere Elemente der Ordnung nun braucht, die erste Krise zu bewältigen.
Doch sind diese nur Kompromisse. Wichtig wird nun eine langfristige Strategie, auch wenn ein Bismarck selbst politisch immer situativ handelte, wird angesichts der Situation auf der Welt, die dauerhaft Menschen in Bewegung setzen wird, eine neue Antwort nötig sein, die dauerhafte Perspektiven zu Bleiben gibt oder den integrativen Austausch kulturell verbessert.
Hier zeigen sich große Teile Ostdeutschlands einfach noch als aus der Zeit gefallen und wirken weniger europäisch als selbst destruktiv - ob dies noch eine Reaktion auf die vom Sozialismus immer hochgehaltene Internationale ist, die sich nun in kleinlich nationalem lieber verliert oder am mangelnden Horizont aus DDR spießbürgerlicher Realität liegt, könnte dahinstehen, wenn wir mehr an einer Lösung arbeiteten, die Dinge genau so benennt, wie sie sind, statt Lügen als Lösungen zu verkaufen.
Wenn sich Afrika aus Not und Armut gen Europa in Bewegung setzt, nutzen keine Zäune mehr und nur zu große Schwäche aus der Not, Trägheit und mangelnde Organisation haben dies bisher verhindert. Wer Lösungen will, muss dies berücksichtigen und den Menschen im eigentlich Paradies Perspektiven geben, die es verlockender scheinen lassen, zu bleiben, als sein Leben auf der Flucht zu riskieren. Wie weit Europa das gelingt wird entscheiden, ob Merkel, die schon jetzt konstruktiv mehr bewegte als ein Bismarck mit Erpressung nur erzwang als ganz Große in Erinnerung bleibt oder kleine Geister noch einige Jahrzehnte brauchen, um zu merken, wie konstruktivistisch die Kanzlerin den Kurs änderte für ein offenes Europa, das im Diskurs miteinander steht.
jens tuengerthal 21.3.2016
Sonntag, 20. März 2016
Frühlingsanfang
Heute fängt der Frühling an
Die Herzen schlagen höher
In der Natur sucht sich nun
Jeder seines um sich weiter
Fortzupflanzen als Zweck an sich
Wie schön dass dies so schön ist
Wir es gerne immer wieder tun
Noch mehr wo Liebe mit im Spiel
Und doch wie schwer wiegt noch
Mein Herz das nun zu dir nur will
Welch Wunder aber ist es doch
Zu wissen unser beider Sehnsucht
Schlägt im Takt weil wir uns längst
Erkannt um ganz verschlungen
Weiter miteinander zu lieben
So folge ich verschlungenen Pfaden
Die übers Meer weit führen um
In aller Sehnsucht sicher zu sein
Einander voller Hoffnung auch wo
Wir nichts in der Liebe wissen können
Nichts weiß ich schon doch wie oft
Blieb von schönster Hoffnung nur
Mir das Nichts der Einsamkeit
Darum glaube ich Ungläubiger nun
Einfach an die Liebe was sonst?
jens tuengerthal 20.3.2016