Bei Liebermann am See
Es war ein wunderbarer Sommertag als ich beschloss, eine Radtour zu machen. Quer durch Berlin, wollte ich zum Wannsee fahren mit meinem neuen gerade auf dem Flohmarkt erworbenen alten Rad mit den Blechschutzblechen und der manchmal Dreigangschaltung. Zur Villa Liebermann, weil ich seine Bilder liebte, den Mann mochte.
So machen die Berliner das eben, mit der Liebsten raus an den Wannsee, wie es die Comedian Harmonists hier einst so schön besangen, die Badewanne der Stadt, doch war es weder Sonntag, noch wollte ich meine Liebste mitnehmen, welche die Idee einer Fahrradtour ohnehin nur wenig begeistern konnte. Wenig hätte ich mir wohl zu dieser Zeit sehnlicher gewünscht als mit ihr in der Natur wild unterweg zu sein, die sie die nobelsten Hotels der Welt schon kannte, aber ihr Bedürfnis nach Outdoor hielt sich in überschaubaren Grenzen. Später dagegen, als ich eine zeitlang an eine etwas verrückte Schauspielerin mit Essstörungen geriet, die nichts so liebte, wie in der Natur zu sein, ging mein Bedürfnis dies betreffend gegen null. Lieber wäre ich mit ihr ins Museum gegangen, statt irgendwo im Wald zu sitzen oder am See zu hängen, gar unbequem zu zelten.
Die Mischung macht es spannend, finde ich - also eine Radtour zur Kultur und nicht eine Dialektik im Ausschlussverfahren, von allem ein wenig und maßvoll genossen. Muss keine großen Berge mehr besteigen oder in unberührte Wildnis aufbrechen, um mich zu beweisen. Bringe lieber fünf Stunden im Museum bei befreundeten Bildern zu als in Waldeseinsamkeit, auch wenn ich die gelegentlich ganz nett finden kann für kurze Besuche. Denke ich an meinen Onkel in Mecklenburg, der stundenlang durch dortige Wälder und Wiesen reitet, gerne draußen bei seinen Pferden ist und den die harte Arbeit dabei glücklich macht, habe ich immer das Gefühl, dass wir von zwei verschiedenen Planeten kommen, so sehr ich ihn sonst auch schätze und wie ähnlich wir uns auch in manchem sind.
Dieses Hemingway-Gen des wilden Mannes, der sich in der Natur seine Männlichkeit beweisen muss, habe ich inzwischen völlig abgelegt, nach vielen Jahren im Dschungel der Großstadt - als Kind und Jugendlicher war es ein Ideal für mich, wollte ich Hütten bauen, in denen ich schlief und fand das Abenteurerleben erstrebenswert, was heute eher Outdoor wohl genannt wird. Weiß nicht, ob es daran lag, dass ich erwachsen wurde und die Gesellschaft guter Bücher und feinen Tees mehr zu schätzen wusste als die von nur Bäumen, Käfern und Sträuchern, hat alles seinen Reiz und gerne lese ich noch die Reiseabenteuer von Georg Forster, Alexander von Humboldt, Fridtjof Nansen oder Sven Hedin, doch meine Welt ist eine andere und ich fände es für mich eher befremdlich, durch die Welt reisen zu wollen, wie manche es als Lebensziel und Sinn sich wählen.
Früher wollte ich gern einmal die Seidenstraße von Istanbul bis Peking mit einem Camper abfahren oder besser noch mit dem Rad, heute frage ich mich warum, was ich da zu suchen hätte, warum ich tun sollte, was tausende vor mir taten, als Händler, Forscher oder Flüchtlinge. Suche Entdeckungen eher auf geistigem Gebiet, versuche manchmal das Zusammenleben der Menschen und das Verhältnis von Mann und Frau durch Übung in der Praxis besser zu verstehen, was sich immer wieder als komplexer erweist noch als die abenteuerlichsten Reisen. Albert Einstein meinte, zum Wesen der Frau könne er nicht viel sagen, er hätte sich nur mit vergleichsweise simplen Dingen wie der Relativitätstheorie beschäftigt und staune immer noch. Ein Satz, der meine volle Zustimmung findet und schaue ich mich in Berlin um und denke an die wenigen aber darunter ach so zahlreichen komplizierten Frauen, die ich hier kennenlernte, weiß ich, dass ich nirgendwo mehr hin muss, wenn ich die Welt erforschen oder neues lernen will, sich genug in dieser Stadt immer findet. Wo sollte ich da noch hin wollen?
Die einen rennen um die Welt, die anderen gehen in sich und doch wüsste ich nicht zu sagen, wer mehr unterwegs ist dabei, die Welt besser kennenlernt, vor allem was glücklicher macht. Weniger Bewegung macht mich ausgeglichener und zufriedener und so verstehe ich die Leute nicht, die beständig meinen vor etwas weglaufen zu müssen, um die Welt zu sehen, dort gewesen zu sein und das erlebt zu haben. Tief in mir wusste ich das eigentlich schon immer, dennoch hat es etwas gedauert, bis ich dies Wissen auch umsetzen lernte und daraus die für mich richtigen Schlussfolgerungen auch gegen den Strom der Massen zog. Reise in Büchern, bin wenn geistig unterwegs, nichts ist ermüdender als schlecht erzählte Reisegeschichten von Leuten, die überall gewesen sein wollen und sich dadurch wichtig machen wollen, dass sie ihre Geschichten belanglos erzählen, weil es nur um namedropping geht.
Trotz dieser inzwischen in Ruhe gereiften Überzeugung bewege ich mich dennoch manchmal ganz gegen meine geruhsame Natur dennoch gerne und habe das Gefühl, es könnte auch gut tun. So machte ich mich auf zum Wannsee mit dem Rad, die ungefähre Karte von Berlin im Kopf, wollte ich den Berg hinunter, den schönsten Weg durch Mitte wählen, das Brandenburger Tor durchqueren, den schönen Tiergarten entlang radeln und dann Fluss und Kanal nach Schloss Charlottenburg und von da aus weiter der Spree folgen, bis sie in die Havel mündet, um dann das Ufer des werdenden Wannsees entlang zum Ziel zu kommen, war doch ganz logisch eigentlich.
Einige Kilometer nur waren es nach meinen Berechnungen, genauer etwa 25km von mir bis zur Villa Liebermann mit dem Rad - zumindest wenn ich den offiziellen Radweg nahm, der aber an der Autobahn entlang und durch den Wald führte, wo ich noch Berge fürchtete, die ich mit den altertümlichen 3-Gängen lieber vermeiden wollte, musste mir nichts mehr beweisen, hatte im Studium und zu Schulzeiten genug Radtouren gemacht, auch mal Berge hinauf. Damals fuhr ich täglich von Walldorf nach Heidelberg und zurück, was zumindest in Summa 30km und also weiter war. Sollte ich nach einem Weg genug haben, konnte ich ja in die S-Bahn mit dem Rad steigen und gemütlich zurückfahren, dachte ich. Noch aber war ich wild entschlossen dies Abenteuer zu überstehen, einen neuen besseren Weg zu suchen, als diese Radnetze angaben, die doch offensichtlich keine Ahnung hatten, wo es schön ist und was der bergfaule Radler wie ich erleben möchte.
Der Weg entlang der Spree, inzwischen recht gut ausgebaut, endete irgendwann hinter Charlottenburg im Nichts der Kleingärten und ich musste ungewollt, auf größere Straßen ausweichen. Am Rande einer sechsspurigen solchen rollte ich nun, noch mit kaiserlicher Pracht großzügig angelegt, heute den Lärm vervielfachender Ausweis urbaner Mobilität, auf denen sich Vorstädter und Brandenburger gen Berlin aufmachen.
Irgendwann ging es zum Olympiastadion, folgte dem Weg, der in die Irre führte, einen Moment. Wollte ans Ufer der Havel, die nach dem Wannsee langsam wieder Fluss wurde und diesem folgen, bis ich an den Wannsee kam und dachte, es sei ein kleiner Ausflug, die 15km nach Heidelberg kosteten mich in Studienzeiten keine halbe Stunde. Allerdings gab es in der Ödnis der Kurpfalz einen Radweg, entlang der Eisenbahn, ich kannte ihn genau, auch die Abkürzung durch die Kleingartenanlage und zwischen meinem Wohnsitz und der Universität lag kein einziger Berg.
Ahnte, wo das Wasser sein musste, das ich noch nicht sah. Linker Hand ging eine Straße ab, die in steilen Kurven hinunter führte, entschlossen wollte ich mich auf den Weg machen, freute mich auf die Abfahrt. Mit Wind in den Haaren genoss ich die Erfrischung, die kaum eine Minute dauern - Berge in Berlin sind selten wirklich hoch, Abfahrten nie zu lang. Doch das kleine Glück hatte mich erfrischt und dort sah ich tatsächlich die wieder Fluss werdende Havel nicht weit vor mir und wollte ihr nun genn Wannsee folgen. Es musste doch eine Straße am See geben, wo es fraglos am schönsten war.
Fanden die Käufer der Häuser damals wohl auch und hatten die Seegrundstücke besetzt, ich kam nicht näher und irgendwann endete der aus guten Gründen auf keiner Fahrradkarte angegebene Weg vor einem Privatgrundstück, dessen Warnschilder sehr deutlich machten, dass eine rasche Durchfahrt in keinem Verhältnis zum aufgenommenen Risiko stand. Hier war Ende. Es ging nicht weiter, außer ich fuhr wieder den Berg hinauf, angesichts der Hitze und des nahen Wassers, zu dem ich endlich wollte, ein völlig unmögliches Vorhaben. Doch es gab keinen Ausweg, keinen Schleichweg, kein Entkommen - nicht mal bis zum Wasser kam ich, um durch dieses watend, das Rad zur Not tragend, den Aufstieg zu vermeiden. War zu spät abgebogen und mitten in Pichelswerder gelandet, von dort gab es keinen Weg am Ufer, diese Landzunge oder Insel inmitten der Havelverengung endete im Wasser und vorn dort gab es kein zurück.
Musste wieder hoch, fuhr ein kleines Stück, dann stieg ich keuchend und schwitzend ab, dachte, ich muss und will mir nichts beweisen und schob, ich weiß nicht wie, das viel zu schwere, altertümliche Rad die zu steile Straße wieder hinauf - war ich hier in einem Alpendorf oder in Berlin, am Wannsee oder im Tessin?
Die Havelchaussee, war mir zu groß, zu hügelig und schien mir abwegig für den geheimen Schleichweg, den ich suchte, überquerte sie also, etwas besseres zu finden. Es musste doch einen Weg im Wald geben, sagte mir meine Erinnerung - der Grunewald ging doch bis an den Wannsee, hatte ich auf der Karte gesehen, da musste es doch Wanderwege geben, die bestimmt nur nicht als Radwege gekennzeichnet waren, damit es nicht jeder macht und die Radler sich entweder den Avus seitlich entlang oder über das auf und ab der Havelchaussee locken ließen.
Viele Umwege später, völlig verschwitzt, vermutlich kurz vorm Sonnenstich, fand ich dann doch einen Weg durch den Wald, von dem aus, nach der Karte, die am Eingang des Gebietes stand, ein Weg zum Wannsee abgehen sollte. Klar der offizielle Radweg entlang des Avus und der Autobahn, wäre auch nicht weit, aber ich wollte ja am See entlang, den Berlinern mal zeigen, was der beste Weg zum Wannsee war, ließ mich doch nicht von solch einer zentralen Verkehrsleitung aufhalten und nur weil da ein offizieller Radweg eingezeichnet war, musste es nicht mein Weg sein. Alle Wege führen zum Wasser, irgendwann, sagte ich mir, genoss ein wenig die Kühle des Waldes und begann doch bald wieder zu schwitzen, denn es ging schon wieder beständig leicht bergauf. Logisch eigentlich, Ziel dieses Weges war die Aussichtsplattform mitten im Grunewald, natürlich etwas höher gelegen, was die Berliner halt so Berg nennen - ärgerte mich über meine Dummheit, denn natürlich wollte ich nicht auf den Teufelsberg sondern an den Wannsee. Es war zu warm, sich darüber noch zu amüsieren.
Wieder zurück an der sechsspurigen Chaussee gen Spandau, als gäbe es etwas, zu sehen, was so viele Spuren nötig hätte, in der schon brandenburgisch anmutenden Provinzvorstadt. Bis zum IKEA mag es noch Gründe geben, danach, nahm doch das Interesse rapide ab, Rudolf Hess war lange genug tot, die Zitadelle verwaist und zu der führten auch andere Wege noch. In eben dieser Zitadelle war ich mal auf einem Konzert, irgendwas rockiges, längst vergessen was, mit bestuhlten Sitzreihen vor der Bühne und ansonsten ländlicher Festival Atmosphäre.
Damals interessierte mich die Dame, die auch am Platz lebte, mehr als die zufällig Musik, zu der sie mich einlud, bei ihr war es umgekehrt, glaube ich, zumindest verloren wir uns danach irgendwie aus den Augen - neulich grüßte mich eine sehr nett, könnte sie gewesen sein, aber nicht mal dessen bin ich mir sicher, über einen Kuss ging es wohl nie hinaus, wenn sie mir auch ausführlich von ihrem Liebesleben erzählte, fand unseres doch nicht statt. Sie liebte Konzerte und Festivals, hatte alle Großen gehört, ich dagegen würde dafür nie Geld ausgeben, war vor ewigen Zeiten mal mit Pressekarten auf einem Festival am Hockenheimring in der sonst öden Kurpfalz und dachte schon da, nicht meine Welt, auch wenn von den dort Bands alle Welt redete damals. Wolltest du etwas sehen, war der Lärm so groß, dass es nicht wirklich erträglich war, mit Fernglas entfernt ging es, aber da konnte ich es mir auch im Fernsehen anschauen und sah dabei noch mehr, wenn ich so ein Ding je hätte und die Lautstärke nach Laune regeln. Im übrigen fand ich es noch nie so spannend Menschen beim Musik machen zuzusehen, was an mangelnder Musikalität meinerseits liegen könnte. Auch der angebliche Sex-Appeal solcher Festivals mit relativ ungewaschenen, meist betrunkenen, halb tauben Proleten, erschloss sich mir nie und Frauen, die auf solche Typen standen, konnten mich vermutlich so wenig spannend finden, wie ich sie, sage ich heute gelassen.
Auch mein Besuch in Bayreuth bei den berühmten Festspielen, bei denen ich über einen meiner besten Freunde der dort dirigierte Freikarten für verschiedene Generalproben erhielt, die quasi eine Voraufführung waren, war nett und eindrucksvoll. Doch wenn ich den Ring wirklich hören will, bin ich Zuhause besser dran, es ist gute Luft, ich kann im Sessel sitzen, dazu Tee trinken, die schönsten Aufnahmen habe ich da und das Bühnenbild und die Inszenierung damals noch von Wolfgang Wagner, der auch noch direkt vor mir saß, waren zwar nett, aber kaum eine Reise wert, hätte ich dort nicht meinen lieben Freund M besucht.
Zur Verteidigung Wagners und der Oper sei nur gesagt, wenn sich was lohnt, dann das - in der Zitadelle zu Spandau, an die ich bei der Hitze meiner zu abenteuerlichen Fahrradtour noch nicht dachte, weil es erst Jahre später geschah, lohnte sich vielleicht meine Nachbarin, auch das habe ich ja nie erfahren, also lohnte sie sich nicht - die Musik war zwar eher für ältere Semester und Nachbarn angenehm in der Lautstärke eingestellt aber nichts, was mich weiter interessiert hätte. Drumherum diese etwas piefige Festival Atmosphäre zwischen Zeltplatz und Klassenfahrt für gern junggebliebene, die sich aber jetzt erst die Karten leisten konnten, als sie eigentlich besser mit Faltencreme und Herzmittel im Liegestuhl aus dem Eigenheim Musik hören sollten.
Doch in der Zitadelle wie in Bayreuth galt, einem geschenkten Gaul schaute ich nicht in die Kiemen, nahm es, wie es eben kam. Vielleicht schreibe ich nochmal detaillierter darüber, andererseits ist es eher provinziell, könnte überall auf der Welt sein, ist eher wie André Riéu Konzerte, die auch dort stattfinden, etwas für Menschen in geistig prekären Verhältnissen, über die meine Höflichkeit lieber schweigt und dies könnte auch genügen, mehr passierte da ja nicht und näher beschäftige möchte ich mich mit dieser sogenannten Festivalkultur auch nicht. Es ist eben ein Markt mit viel Geld, wie Baumärkte, über die ich aber vermutlich mehr erzählen könnte.
Dann eben doch die Havelchaussee, bis ich endlich an die Havel kam - hätte ich auch schon Stunden früher haben können, dachte ich, verschwitzt und verstaubt wie ich war. Fühlte mich wie ein Reisender nach der Durchquerung der Sahara mindestens. Es ging erst mal bei frischem Fahrtwind hinunter und zumindest wusste ich, die Richtung stimmte, ich musste da nicht wieder hoch. Kam an die Havel und folgte der romantisch gelegenen Straße am zauberhaften Waldrand, bis sie die Frechheit besaß, wieder ansteigen zu wollen - sofort verließ ich die wider Erwarten sehr angenehm zu fahrende relativ ruhige Straße und folgte den vielen, die hier schon am Straßenrand parkten und die gewiß einen Weg am Ufer entlang kannten.
Es fand sich ein Weg, siehe da, wie von mir bestellt und ich folgte ihm, wie es eben ging, während die Straße im Wald die Hügel hinauf stieg, eine Meute keuchender Radler auf sich. Es war sehr sandig hier am Ufer - märkische Streusandbüchse eben - so gab ich den Gedanken, tatsächlich dort zu radeln bald wieder auf und schob eben am Ufer Havel entlang wie bei einem Strandspaziergang, hatte ja Zeit.
Immer wieder zeigten sich kleine Buchten zwischen dem Urwald von Schilf am Ufer an denen teils Liebespaare oder Angler saßen. Ob es auch sich liebende Angler gab, weiß ich nicht, vermutlich gibt es für die Angler die Zeiten, in denen sie lieben und jene in denen sie angeln. Wie bei Hemingways etwas überschätzter Novelle Der alte Mann und das Meer. Die Paare teils sehr leicht, teils auch gar nicht bekleidet, gaben sich vermeintlich den Blicken entzogen gern ihrer Lust hin, worauf ich noch leiser vorbei schlich, sie nicht zu stören. Manche waren auch noch ein dekorativer Anblick dabei, doch war der Durchschnitt eher gut gebräunt als gut gebaut.
Finde einen leichten Wohlstandsbauch gerade bei Frauen und lieber etwas mehr als zu wenig inzwischen immer den schöneren Anblick als diese konkurrenten Sportlerkörper - womit beschäftigen sich diese Menschen, wenn sie nicht gerade ihren gestählten Körper trainieren oder hungern, frage ich mich dabei immer und denke, wer zu schlank ist, kann nur entweder hohl sein, kein Genießer oder muss eine Stoffwechselstörung haben und ist deshalb kein schöner Anblick sondern drückt nur einen effektiv unnormalen Mangelzustand aus. Hatte zwei Verlobte, die beide auch sportlich sehr ehrgeizig und gut trainiert waren, die zweite noch viel mehr als die andere und mich beeindruckte diese straffe Schönheit schon sehr, doch bedenke ich nun, was sich meist für ein hohles oder krankes Wesen dahinter offenbarte, worauf sich solche Menschen tatsächlich konzentrierten, wie es oft eher eine Essstörung als die Fähigkeit zum Genuss offenbart, werde ich künftig jede Frau über vierzig ohne Bauch für verdächtig halten und die darunter sind ohnehin völlig uninteressant meist.
Jeder Verdacht darf natürlich gerne widerlegt werden und ich bin immer offen für schöne Überraschungen, doch raten Vorsicht und Erfahrung dringend hier künftig, lieber vernünftig und berechnend vorzugehen, um nicht den Ansprüchen der bauchlosen Perfektionistinnen das angenehme Leben zu opfern, von dem diese selten etwas verstehen. Würde noch nicht sagen, der Sex mit Frauen ohne Bauch muss langweilig sein, es mag da auch Ausnahmen geben, viele habe ich davon noch nicht kennengelernt.
Darüber dachte ich ein wenig nach, während ich die sehr bodenständigen Berliner in ihren Buchten sah, die ihr Bier im See kühlten, sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließen, gänzlich ungezwungen genossen. Die an der Straße trotz der von mir so unnötig gefürchteten auf und ab, vielleicht eine halbe Stunde sehr langsam zurückgelegte Strecke dauerte schiebend, zwischendurch im märkischen Sand oder havelschen Matsch versinkend um gefühlte Stunden länger, eine kleine Ewigkeit schien es mir und dann musste ich auch noch ständig den Uferweg wieder verlassen, weil es tatsächlich nicht weiterging.
Wollte ich dann nicht sehr abenteuerlich den Weg zur Havelchaussee hinaufklettern, was ich mit erwartbaren Folgen nur einmal versuchte, musste ich teilweise sogar wieder umkehren. Es dauerte also. Kam an den Inseln Lindwerder und Schwanenwerder vorbei, dem Geheimtipp für viele Promis auch, ersparte mir aber ziemlich verstaubt die Rundfahrt, wer weiß, wen ich dort sonst so derangiert traf, kam hinter Nikolassee schließlich doch zum großen Wannsee, an dessen Strandbad die Tour am Wasser weit eingezäunt definitiv endete. Vom Wannseebadweg landete ich auf dem noch viel größeren Kronprinzessinnenweg. Diesen verließ ich wieder in Richtung des Ruderclubs am Wannsee, in der Hoffnung dort den ruhigeren Weg Am Sandwerder an der American Academy vorbei zu finden, was nach kleineren Umwegen auch tatsächlich gelang.
Die Villa der American Academy ist auch viele Geschichten wert, wen ich dort alles traf, wie zauberhaft der Garten zum Wasser führt beim American Yacht Club, der mich immer weniger interessierte als die Bibliothek der Academy in der Villa oben.
Direkt nach der Academy ging es wieder auf den Kronprinzessinnenweg, der auf die riesig breite Königsstraße führt, die einzig den großen Wannnsee an dieser engen Stelle überquert und nach der es nach rechts, der Straße Am Großen Wannsee folgend, zur Villa Liebermann gehen sollte, dem Ziel meiner kleinen Tour. Vorher kam ich noch an diversen Yachtclubs vorbei und von dort war bei diesem Traumwetter das Klappern der Segel und Masten zu hören, da so schön nach Meer schmeckt. Ganz klein geht dann die Coloniestraße ab vom Großen Wannsee - nur eine Stichstraße an deren rechten Ende die Villa Liebermanns lag.
Schloss mein Rad an, staubte mich so gut wie möglich ab, trank einen Schluck und reinigte mir mit einem weiteren das Gesicht, versuchte es zumindest, bevor ich das Gartenhaus betrat, das hier als Kassenhaus und Museumsshop diente. Dachte an den Grafen Almásy aus Ondaatjes Der englische Patient, wie er sich aus der Wüste kommend, für einen Empfang in der Stadt noch den Sand aus den Ärmeln schüttelte.
Sehr aparte, sichtbar gebildete Damen empfingen mich mit einem Lächeln und das Gefühl vom Abenteuer des Havelurwalds plötzlich wieder in die bildungsbürgerliche Hochkultur zu stolpern, wiederholte sich. Wollte mich entschuldigen, die heiligen Hallen des von mir so sehr bewunderten Liebermann in diesem Zustand zu betreten und am liebsten von meinem kleinen Abenteuer in der märkischen Wüste am Ufer der Havel erzählen, was vermutlich niemanden interessierte und überlege, wie ich dennoch mit den Damen ins Gespräch käme, um meinen Zustand zu erklären.
“Hoffe ich bin nicht zu schmutzig, um hier eingelassen zu werden.”
“Machen sie sich keine Sorgen, so streng sind wir hier nicht, da kommen ganz andere direkt vom Strand…”, antwortete die Dame mir gegenüber mit den blond gefärbten Haaren in denen Spuren ihres wohl natürlichen Silber schon sichtbar waren und zog dabei die Brauen hoch.
“Den bin ich auf seltsamen Wegen von Spandau mit dem Rad kommend entlang gefahren …”, wollte ich ihre Neugier wecken.
“Über Spandau, nicht einfach der Chaussee gefolgt?”, fragte die etwas jüngere, sehr attraktive, die wohl eher für den winzigen Musems-Shop zuständig war und mir noch besser gefiel.
“Wollte direkt am Wasser sein, was nicht ganz einfach war. Naja, war nicht die Wüste Gobi und auch nicht die Sahara, nur märkischer Sand aber davon genug...”, lachte ich die beiden tiefstapelnd an, als hätte ich ein riesiges Abenteuer erlebt und sei nicht nur mit dem Rad von Prenzlauer Berg zum Wannsee gefahren, nichts also, was der Rede wert wäre.
“Ach, und gibt es da einen guten Weg am Wasser?”
“Eher weniger, vor allem weniger gut der Weg, ansonsten sind die Leute dort eher weniger bekleidet und rechnen wohl eher weniger mit Zuschauern…”, lachte ich die beiden Damen an, die mich genau so bewundernd anschauten, wie ich es mir jetzt gewünscht hatte.
“Na das macht auch nicht jeder, da haben sie ja eine lange Tour hinter sich. Von wo kamen sie denn?”
“Nicht der Rede wert”, stapelte ich nun gut preußisch tief, “Von Prenzlauerberg aus, nur einmal durch die Stadt, an Charlottenburg vorbei, der Spree folgend und dann eben noch so ein paar dumme Irrwege.”
“Und das alles, um zu uns zu kommen - das macht uns stolz und freut uns, gönnen sie sich was schönes im Café und genießen sie die Zeit in der Villa, dem besten Ort der Erholung”, sagte sie lächelnd und reichte mir die Eintrittskarte und ich beugte mich über ihre Hand und deutete einen Handkuss wieder in Almásy-Manier gespielt an. Deutete auch gegenüber der jüngeren sehr attraktiven Kollegin noch die Verbeugung mit großer Geste an und sie tat mir erwartungsgemäß auch den Gefallen und reichte mir die Hand zum Kuss, den ich diesmal nicht nur andeutete, der ich mich nun als Abenteurer und wunderbarer Gentleman ganz großartig fühlte, egal wie derangiert ich in Wirklichkeit war, hatte ich für drei Leute diesen bloßen Ticketverkauf zu einem Fest der Sinne gemacht, statt als nur ungepflegter Chaot ins Museum zu gehen, der nur ein berechtigtes Stirnrunzeln hinterlassen hätte, fühlten sich wohl alle Beteiligten wunderbar danach, woran wir sehen, wie wenig Worte und ein wenig Stil manchmal eine Situation geradezu wunderbar verändern können, die dazu neigt ins peinliche zu kippen.Weiß allerdings nicht, wie sehr sie über mich lachten, nachdem ich das Gärtnerhäuschen wieder verließ und das ist vielleicht auch gut so.
Aus dem Gärtnerhäuschen trat ich in den Garten und war mit einem Schritt in Liebermanns geliebten Bildern. Über 250 seiner Gartenbilder malte er hier und an vielen Ecken des wiederhergestellten Gartens gibt es ein Wiedererkennen, fühlt sich der Besucher, als liefe er durchs Bild. Angefangen hier im quasi Vorgarten der Villa, die auf einem etwa 7260m² großen schmalen Grundstück liegt, das mit dem See abschließt und in dessen oberen Drittel ungefähr die vom Architekten Paul Otto Baumgarten errichtete Villa liegt und schon der Name des Architekten scheint Bände zu sprechen für die vielen quasi ideal positionierten Bäume, die ein wunderbares Ensemble mit Haus und übriger Gartenanlange bilden.
Im Jahre 1909 erwarb Liebermann das auf dem Gebiet der Villenkolonie Alsen gelegene Grundstück. Diese Kolonie wurde von dem Bankier Wilhelm Conrad begründet und aus ihr ging später der Stadtteil Wannsee hervor. Als Vorbild für die Vorderfront diente der Mittelteil des Goodeffroyschen Landhauses, das 1790 durch Christian Frederik Hansen erbaut wurde. Während die Rückseite Ähnlichkeiten mit dem Wesselhoeftschen Haus aufweist. Schon ein Jahr später, zum Sommer 1910 hin, bezog der damals 63 jährige sehr erfolgreiche Maler mit seiner Familie die Villa als Sommerhaus. Das Atelier Liebermanns befand sich im Obergeschoss in einem Raum mit Tonnengewölbe und großen Fenstern. So verbrachte er in den folgenden 25 Jahren die Sommermonate in seinem Schloss am See, fern des ererbten Stadtpalais direkt am Brandenburger Tor, in dem heute das andere Liebermann-Museum mit wechselnden Ausstellungen, wie etwa jüngst über Harry Graf Kessler, einem auch Freund Liebermanns, der dessen Kunst sehr schätzte.
Den großen Garten bis zum See ließ er von dem damaligen Stadtgartendirektor von Berlin Albert Brodersen anlegen und sich dabei auch von dem als Gartenreformer bekannten Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark beraten. Der Garten wird durch die Villa unterteilt. Der Mittelachse des Hauses folgend ergibt sich über eine große Rasenfläche ein freier Blick auf den See, einem auch späteren Gegenstand vieler Bilder Liebermanns. Vor dem Haus befindet sich in Richtung See eine große Gartenterrasse. Auf der rechten Seite ist der Garten durch den auch häufig von ihm gemalten Birkenweg begrenzt, auf der linken Seite finden sich Heckengärten mit wunderbaren Rosen und anderen zauberhaften Beeten.
Im rückwärtigen Teil des Gartens zur Straße hin, durch den ich zuerst kam, befindet sich das frühere Gärtnerhäuschen, in dem heute der Verein die Kasse und den Museums-Shop betreibt. Dieser Teil ist ein Stauden und Nutzgarten, aus dem sich die Familie teilweise auch ernährte und den der Besucher auch in vielen Bildern wiedererkennt. Der Verein achtete dabei auf eine möglichst getreue Wiederherstellung des originalen Zustandes und Gartenfreunde finden zahlreiche wunderbare Kräuterbüsche inmitten, wie sie mir später meine liebste A und mein Vater genauer erklärten.
Fünf Jahre nach Liebermanns Tod wurde seine Frau 1940 von den Nationalsozialisten gezwungen die Villa an die Reichspost zu verkaufen. Die Dokumente dazu werden im Erdgeschoss ausgestellt. Martha Liebermann entschied sich 1943 für den Freitod als ihr der Abtransport in das KZ Theresienstadt drohte. Ein Stolperstein vor der ehemaligen Stadtvilla am Brandenburger Tor erinnert an ihr Schicksal. Ab 1944 wurde die Villa zum Lazarett. Auch nach dem Krieg wurde die Villa bis 1969 als Krankenhaus genutzt. Nach dem Krieg erhielt Liebermanns Tochter Käthe Riezler, die in den USA lebte, zunächst das Haus zurück. Das Land Berlin kaufte es ihr 1958 wieder ab und verpachtete es ab 1972 an einen Tauchverein.
Schon damals gab es erste Versuche, die Villa wieder zu einem Museum zu machen, das den bedeutenden Künstler würdig, was jedoch erst durch die langjährigen Bemühungen der 1995 gegründeten Liebermann Gesellschaft gelang. Seit 30. April 2006 ist die Villa nun als Museum geöffnet und steht ganzjährig den Besuchern offen. Die rund drei Millionen Euro für die Sanierung brachte die Gesellschaft gemeinsam mit privaten Spendern auf, ein wenig unterstützt von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Während der Sanierung wurde zusätzlich noch ein vergessenes Wandgemälde Liebermanns in der Loggia entdeckt und sorgfältig wiederhergestellt.
Im ehemaligen Atelier Liebermanns im Obergeschoss werden rund 40 Gemälde und Pastelle Liebermanns aus Leihgaben ausgestellt. Im Erdgeschoss wird die Geschichte der Familie Liebermann und des Hauses dokumentiert. Im Schwerpunkt werden dort Bilder mit Bezug zu Haus und Garten präsentiert und der Besucher kann sie selbst dort lustwandelnd sofort wiedererkennen, sich wie die Dame im weißen Kleid auf die Bank setzen und einen Tee oder Kuchen aus dem hervorragenden Café gönnen, dass die Terrasse oder im Winter die Innenräume bewirtschaftet.
Der 1847 in Berlin geborene Max Liebermann ist der wohl bedeutendste Vertreter des deutschen Impressionismus und blieb diesem lichten wunderbaren Stil auch treu, als andernorts längst viele Expressionisten am grau der Wirklichkeit verzweifelten oder alle Formen auflösten. Nach seiner Ausbildung in Weimar und Aufenthalten in Paris und in den Niederlanden, malte er zunächst naturalistisch, ließ sich jedoch ab 1880 durch die Beschäftigung mit den französischen Impressionisten zu seiner lichten Farbigkeit inspirieren. Sein Schaffen steht für den Übergang von der Kunst des 19. Jahrhunderts zur klassischen Moderne in der Zeit des reaktionären Wilhelminismus und der Weimarer Republik. Er förderte diesen Wandel auch als Präsident der Berliner Secession bis zu ihrer Auflösung und der Akademie der Künste von 1920 bis 1932. Bis 1933 ihn die Nazis vergraulten war er auch Ehrenpräsident der Preußischen Akademie der Künste. Seine letzten beiden Lebensjahre bis 1935 verbrachte er aufgrund der nationalsozialistischen Kunstpolitik als Jude verfemt, zurückgezogen in seiner Heimatstadt.
Liebermann ging immer ungern in die Schule, vertrieb sich seine Zeit lieber mit Zeichnen, was von den Eltern vorsichtig gefördert wurde. Als Liebermann zehn Jahre alt war, bezog die Familie das repräsentative Palais Liebermann am Pariser Platz 7. Den Reichtum der Familie begründete der Großvater als Textilhändler, von dessen orthodoxen Glauben sich die Familie immer mehr abwandte und sich dafür einer jüdischen Reformgemeinde anschloss. Als Liebermanns Vater ein Bild seiner Frau bei der damals berühmten Antonie Volkmar in Auftrag gab, musste Max Liebermann mitgehen und vertrieb sich das langweilige Warten mit Zeichnungen. Noch im hohen Alter war Frau Volkmar stolz darauf das Talent des damals zehnjährigen Jungen entdeckt zu haben.
In der mit vielen bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten der Stadt verwandten Familie, Emil Rathenau etwa ist sein Vetter, galt Liebermann als nicht besonders intelligent. In der Schule schweiften seine Gedanken oft ab, warum er häufig unpassende Antworten gab. Das typische Drama des hochbegabten Kindes zu einer Zeit, die noch wenig davon wusste. Die Hänseleien seiner Klassenkameraden infolge ließen den empfindsamen Jungen oft in Krankheiten flüchten. Seine Eltern brachten ihm Verständnis entgegen, hielten ihm jedoch seinen vernünftigen Bruder vor, der alles gut bewältigte. Die zeichnerische Begabung galt den Eltern nicht viel und bei der ersten Veröffentlichung seiner Werke, verbaten sich die Eltern die Nennung des guten Namen Liebermann. Er behauptete später von sich, kein guter Schüler gewesen zu sein, das Abitur in Mathe nur mit größter Mühe bestanden zu haben, was aber wohl nicht den Tatsachen entspricht. In Wahrheit gehörte er später zu den besten Schülern, war nur in Mathe nicht herausragend und machte als viertbester seines Jahrgangs Abitur.
Nach dem Abitur schrieb er sich zunächst wie sein Bruder für das Studium der Chemie ein, was aber nur ein Vorwand war, um in Ruhe malen zu können. Tatsächlich besuchte er keine einzige Vorlesung und ritt lieber stundenlang im Tiergarten aus oder malte. Er lernte, als er bei Carl Steffeck Gehilfenaufgaben bei der Erstellung von Schlachtengemälden übernahm, Wilhelm von Bode kennen, seinen späteren Förderer und Direktor Kaiser-Friedrich-Museums Zwei Jahre nach Aufnahme seines Studiums exmatrikulierte ihn die Universität wegen “Studienunfleißes”. Nach einem länger ausgefochtenen Konflikt mit dem Vater, der nichts davon hielt, dass sein Sohn Maler werden wollte, ermöglichten ihm die Eltern schließlich doch den Besuch Großherzoglich Sächsischen Kunstschule in Weimar, wo ihm insbesondere auch Rembrandt näher gebracht wurde, der ihn nachhaltig beeinflusste.
Vom patriotischen Taumel begeistert zog er als Sanitäter bei den Johannitern 1870 in den Kriegsdienst, da er für den regulären Wehrdienst aufgrund eines schlecht verheilten Armbruchs für kriegsuntauglich galt. Was er auf den Schlachtfeldern bei Metz sah, dämpfte seine Kriegsbegeisterung nachhaltig. Ab 1871 hielt er sich in Düsseldorf, fand Kontakte zu den Naturalisten und malte daraufhin sein erstes Gemälde die Gänserupferinnen, was aufgrund des Sujets viel Abscheu und Kritik hervorrief. Sein Lehrer hatte ihn zuvor entlassen, weil er fand, er könne ihm nichts mehr beibringen, er sei schon zu gut. Es gab dann noch einige frustrierende Erfahrungen mit der reaktionären und rückständigen deutschen Kunstszene, die ihn dazu brachten, nach Paris zu gehen, wo er sich 1873 in Montmartre ein Atelier einrichtete. Die französischen Naturalisten und Impressionisten verweigerten jedoch zunächst den Kontakt zu dem jungen Deutschen. Der Krieg und die folgende Erniedrigung durch die Reichsgründung in Versailles, waren noch nicht lange her.
Den Sommer 1874 verbrachte er erstmals in Barbizon in der Nähe des Waldes von Fontainebleau. Die Schule von Barbizon war dann für die Entwicklung des Expressionismus von ganz entscheidender Bedeutung. Sie bereicherte die Strömungen ihrer Zeit durch die neue Freilichtmalerei.
Drei Monate verbrachte Liebermann 1875 in Zandvort in Holland und beschäftigte sich in Haarlem ausgiebig mit dem Kopieren der Bilder von Franz Hals, was seine Art des Farbaufrags später stark beeinflusste. Weitere Aufenthalte in Holland 1876 beeinflussen seinen Stil weiter und in dem Gemälde die Holländische Nähschule aus diesem Jahr nutzt er erstmals das Licht impressionistisch. Bei diesem Aufenthalt entstehen auch erste Studien zu dem später so berühmt gewordenen Amsterdamer Waisenhauses.
Weil er vor sich und seinen Eltern Rechenschaft ablegen musste über das, was er tat, verfiel Liebermann in Paris in eine schwere Depression, häufig nahe der völligen Verzweiflung. Es entstanden fast keine Bilder mehr. In der Pariser Kunstszene hatte er keinen Erfolg und wurde aus chauvinistischen Gründen abgelehnt, warum er den Entschluss fasste, Paris zu verlassen.
Als sich Liebermann 1878 erstmals auf eine Italienreise begab, traf er zuvor in München eine Gruppe Maler zu der auch Franz von Lenbach gehörte, welche die Münchner Schule als Zentrum naturalistischer Kunst bildeten. Unter diesem Einfluss malte er sein Werk Der zwölfjährige Jesus im Tempel, das wiederum einen großen Streit auslöste.Konservative Kritiker aus Kirchenkreisen und Hof griffen das Bild mit sehr antisemitischen Tönen an, wollten einem Juden verbieten, den Heiland zu malen, der bayerische Prinzregent Luitpold ergriff wie einige Künstlerkollegen noch seine Partei. Als Reaktion auf die Kritik übermalte Liebermann das Gemälde wieder, von dem es jedoch noch ein Foto gibt. Nun war Liebermann zwar bekannt aber nicht geschätzt und wurde teilweise antisemitisch angefeindet.
Seine künstlerische Laufbahn entschied sich 1880 bei einem erneuten Besuch in den Niederlanden, als er beim Gang durch Amsterdam einen Blick in den Garten des katholischen Altmännerhauses warf, wo schwarzgekleidete Männer auf Bänken in der Sonne saßen. Über diesen zündenden Moment seiner Karriere sagte er später, es war als ob jemand einen ebenen Weg entlang geht und plötzlich auf eine Spiralfeder tritt, die ihn emporschnellt. Er begann das Motiv zu malen und verwendete erstmals den Effekt des durch ein Laubdach gefilterten Lichts. Auf dem folgenden Pariser Salon erhielt er für dieses Gemälde als erster Deutscher eine ehrenvolle Erwähnung zumindest. In den folgenden Jahren wurde Das Amsterdamer Waisenhaus und Die Schusterwerkstatt auf dem Pariser Salon bejubelt und fanden Käufer. Er wurde von der französischen Presse als Impressionist gefeiert.
Bei seiner Rückkehr ins heimatliche Berlin 1884 konnte er schon die Konflikte ahnen, die ihm dort bevorstanden, doch sah er es richtig als die künstlerisch künftig entscheidende Stadt. Schon im Mai des gleichen Jahres verlobte er sich mit der Schwester seiner Schwägerin, bezog eine erste Wohnung In den Zelten im Tiergarten und ging auf Hochzeitsreise in die Niederlande. Im August 1885 wurde seine einzige Tochter geboren und er widmete sich ganz seiner Vaterrolle. Bei seinen Nachbarn, den Bernsteins, lernte er die Berliner Künstlerelite kennen. Dort verkehrten regelmäßig Klinger, Menzel, Bode, Mommsen und Lichtwark, der Direktor der Hamburger Kunsthalle, der früh Liebermanns großes Talent erkannte. So nahm er 1886 erstmals an einer Ausstellung der Akademie der Künste teil und wurde von dem Meinungsmacher Pietsch als großes Talent und herausragender Vertreter der Moderne bezeichnet.
Als sich im Februar 1892 in Berlin die Vereinigung der XI gründete stand diese Sezessionsbewegung in Opposition zur traditionellen Malerei. Laut Lovis Corinth war Liebermann bereits kurz nach der Gründung der Anführer der anarchistischen Elfer. Unter dem künstlerisch völlig geschmacklosen Wilhelm II. verschärften sich die Konflikte mit der offiziellen Kulturpolitik zunehmend. Die Presse reagierte unterschiedlich darauf, einige nannten die neue Richtung Rinnsteinkunst, andere lobten vorsichtig, jedenfalls war Liebermann einer der wichtigsten Köpfe der Berliner Kunstszene geworden, wenn auch als Revolutionär.
Bei einer Ausstellung von 55 Gemälden von Edvard Munch kam es zum Skandal und es wurde die sofortige Schließung gefordert. Beim Verein der Berliner Künstler stimmten 120 für eine Schließung und 105 dagegen, damit vollzog sich der endgültige Bruch zur konservativen Elite um Maler wie Anton von Werner, die heute nahezu vergessen sind.
MIt dem Tod seines Vaters 1894, zwei Jahre nach der Mutter, wurde Liebermann Miterbe eines Millionenvermögens und Besitzer des Palais am Pariser Platz. Auf der ersten Biennale in Venedig 1895 vertrat Liebermann Deutschland gemeinsam mit Fritz von Uhde. Er wandte sich erstmals der Portraitmalerei zu und malte dazu ein Bild seines engen Freundes Gerhart Hauptmann, für das er prompt den ersten Preis erhielt. Als Berater des neuen Direktors der Nationalgalerie Hugo von Tschudi, der die Impressionisten schätzte, begab er sich nach Paris und wurde dort in die Ehrenlegion aufgenommen, nachdem der preußische Kultusminister zugestimmt hatte. Der geschmacklose Kaiser war allerdings von den Einkäufen der beiden weniger begeistert.
Zu seinem 50. Geburtstag widmete die Akademie der Künste Liebermann einen ganzen Ausstellungssaal mit 30 Gemälden, 9 Zeichungen, 3 Lithografien und 19 Radierungen. Nachdem die konservative Akademie 1892 noch mit ihrer Ausstellung ein Fiasko erlebte, ehrte sie nun Liebermann mit der großen Goldmedaille. Darüber hinaus erhielt Liebermann nun einen Professorentitel und wurde in die Akademie aufgenommen. Doch schon 1899 wurde er wieder an die Spitze einer neuen Sezessionsbewegung gewählt, nachdem die immer noch konservative Akademie einen Kollegen ablehnte. Anlässlich einer Sitzung portraitierten sich Liebermann und Corinth dann gegenseitig, worauf eine große Diskussion im Berliner Bürgertum begann.
Auf Initiative seines Freundes Harry Graf Kessler gründete Liebermann 1903 in Weimar gemeinsam mit diesem, Lovis Corinth, Alfred Lichtwark, Max Slevogt und anderen den Deutschen Künstlerbund. Zugleich wandte er sich in einem Artikel als Professor der Akademie der Künste entschieden gegen die neuen Richtungen der Abstraktion und des Expressionismus, da es in der Malerei entscheidend darauf ankomme eine adäquate Auffassung der Natur zu geben, die Phantasie keine Rolle spielen solle. Es war keine Kampfschrift und rief doch den Widerstand der jungen Künstler hervor.
Zu seinem 60. Geburtstag feierte die Berliner Sezession ihren Präsidenten mit einer großen Ausstellung, der sich am Tag selbst der Öffentlichkeit durch eine Reise in die Niederlande entzog. Doch ab 1910 brach der Konflikt ganz deutlich hervor als auf Wunsch des Präsidenten die Berliner Sezession 27 expressionistische Bilder zurückwies und damit wurde der ehemalige Rebell selbst zum konservativen Wortführer. Andererseits lud die Sezession Maler wie Picasso, Matisse und Braque ein, warum die scharfe Kritik Noldes verhallte. Doch bereits 1911 trat Liebermann als Vorsitzender der Sezession zurück, die sich bald spaltete und nur noch von Lovis Corinth weitergeführt wurde.
Dem Ausbruch des Krieges bejubelte Liebermann als preußischer Patriot zunächst, unterschrieb auch Aufrufe, die Vorwürfe der Kriegsverbrechen an deutsche Offiziere als Lüge zurückwiesen. Der Patriotismus wurde im Verlauf des Krieges weniger, er zog sich gern und häufig in seine Villa am Wannsee zurück. Kurz vor Ende des Krieges bekam er noch einen eigenen Saal in der Nationalgalerie und wurde vom Kaiser mit dem Adlerorden geehrt. Beim revolutionären Umbruch, den sein Freund Harry Graf Kessler obwohl vermutlich Sohn von Wilhelm I., aktiv und beratend begleitete, hielt er sich zunächst sehr zurück, ist konservativer Preuße aus einer anderen Zeit, hatte nach der völligen Emanzipation der Juden zu seinem Kaiser gestanden, so kritisch er den geschmacklosen Stümper auch sah.
Wieder liberaler wird er, als ihn die Akademie der Künste als Institution der nun Weimarer Republik zu ihrem Präsidenten wählt und er in seiner Begrüßungsrede ausdrücklich auch eine Offenheit der Akademie gegenüber dem Expressionismus erklärt, den er als Präsident der Secession noch ablehnte und versucht so Secession und konservative Akademie und ihre Gegner unter einem Dach zu einen. Er schaffte es, der ehemals kaiserlichen Akademie so eine demokratische Struktur, ein freiheitliches Unterrichtswesen und zugleich mehr Beachtung in der Öffentlichkeit zu geben. Durch seine Fürsprache wurden auch Heinrich Zille; Karl Schmidt-Rottluff und Otto Dix in die Akademie aufgenommen.
Der Mord an seinem Verwandten und Freund Walter Rathenau erschütterte ihn sehr, dazu kam noch der Tod seines jüngeren Bruders und der seines engen Freundes Hugo Preuß, der als Vater der Weimarer Verfassung gilt. Liebermann zog sich immer mehr in seinen Garten zurück, wirkte oft mürrisch und unwirsch.
Anlässlich seines 80. Geburtstags trat er wieder ins Licht der Öffentlichkeit, wurde dort als der Repräsentant der deutschen Kunst gefeiert. Es gab eine Ausstellung mit über 100 Gemälden aus seiner gesamten Schaffenszeit. An seiner großen Ehrung nahmen neben Zille und Kessler auch Hugo von Hofmannsthal, die Brüder Heinrich und Thomas Mann sowie Albert Einstein teil. Er bekannte sich mittlerweile wieder zu seinem Judentum und hatte im Alter zur Religion zurückgefunden, spendete für jüdische Institutionen. Seinen Kritikern, die ihm einen konservativen Stil vorwerfen, entgegnet er, die Sucht nach dem Neuen sei der Fluch unserer Zeit, der wahre Künstler strebt sein Leben lang nach nichts, als der zu sein, der er ist. Nach langem Ringen verlieh ihm der Berliner Senat auch die Ehrenbürgerwürde und Reichspräsident Hindenburg verlieh ihm das Adlerschild des Deutschen als Zeichen für die Dankbarkeit, die ihm das deutsche Volk schuldete. Vom Innenminister bekam er die Goldene Staatsmedaille für Verdienste um den Staat. Er war in jeder Hinsicht ruhmreich.
Ende 1927 portraitierte er Reichspräsident Hindenburg, obwohl er sich innerlich nicht zu ihm bekannte, nahm er die Aufgabe doch gern an und sah sie als weitere Ehrung. Die Portrait Sitzungen der etwa gleichaltrigen Herren waren getragen von Respekt und gegenseitiger Sympathie. Als Liebermann 1932 schwer erkrankte stellte er sein Amt als Präsident der Akademie zur Verfügung und wurde zugleich zum Ehrenpräsidenten ernannt, durch die Behandlung des befreundeten Arztes Ferdinand Sauerbruch wurde er gerettet und gesundete noch einmal. Die Portraits von Sauerbruch bildeten Abschluss seines Portraitwerkes und sind zugleich auch dessen Höhepunkt. Wer mag kann sie in der wunderbaren Berliner Alten Nationalgalerie betrachten, neben zahlreichen anderen Werken des großen Meisters des deutschen Impressionismus.
Als am 30. Januar 1933 die Nationalsozialisten einen Fackelzug durch das Brandenburger Tor an seinem Haus vorbei veranstalteten sprach er die berühmten und viel zitierten Worte:
“Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.”
Er trat nach der Gleichschaltung der Kunst im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie im Mai 1933 von all seinen auch Ehrenämtern in der Akademie der Künste und sonst zurück, da seiner Überzeugung nach Kunst, der er sein Leben lang gedient hätte, nichts mit Abstammung zu tun habe, diese Sicht aber öffentlich keine Geltung mehr habe.
Die letzten beiden Jahre lebte er nur noch voller Zorn auf das, was mit diesem Land unter Hitler geschah und hatte nur noch zu Käthe Kollwitz Kontakt, die berichtete er sei Abends um sieben am 8. Februar 1935 friedlich eingeschlafen in seinem Haus am Pariser Platz. Beerdigt wurde er auf dem jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee, wozu bereits kein Vertreter der längst gleichgeschalteten Akademie der Künste erschien. Die Gestapo hatte im Voraus die Teilnahme sogar untersagt und dennoch kamen über 100 seiner engsten Freunde. Jedoch nahmen laut Saul Friedländer nur drei “arische” Künstler an der Beerdigung teil.
Liebermann lieben fällt schon vom Wort her leicht und liegt auch in der Art wie der große Berliner Maler die Dinge betrachtete - er malt liebenswert und schaut auf die Dinge mit liebendem Auge. Ein Meister des Lichts in seinen größten Werken. Ein genau blickender Freund in seinen Portraits. Liebermann machte es mir leicht, ihn zu lieben, er malt wie ich fühle und seine Bilder machen mich glücklich. Seine fehlende Zuneigung zu den Expressionisten teile ich, auch wenn sie gewiss eine bedeutende Epoche der Kunstgeschichte sind, schön sind sie nicht. werde ich mit diesen nie warm, anders als mit der klassischen Moderne etwa in der Sammlung Berggruen aber das mag an meiner horizontalen Beschränkung liegen.
Als ich so verschwitzt und verstaubt nach meiner ersten Tour dorthin die Villa Liebermann betrat, überlegte ich noch, ob ich mich erstmal zur Erfrischung mit Tee und Kuchen sowie einem großen Wasser auf die Terrasse setze oder lieber erst Liebermanns Bilder besuche, den eigentlichen Grund der Reise und ich entscheide mich, bevor weniger Licht am bereits fortgeschrittenen Tag nur noch da ist, es vielleicht wegen Schließung hektisch wird, in Ruhe die enge Wendeltreppe nach oben zu gehen.
Schöne lichte Räume erwarten mich. Bilder aus dem Garten, Grafiken und einzelne andere Bilder. Ein Bad in Wärme und Liebe. Fühle mich wohl dort und ich habe das Gefühl diese Bilder verbreiten auch eine solche Stimmung im Haus. Dies ist kein vernünftiges kulturkritisches Urteil am Ende sondern das Gefühl eines Besuchers an einem der schönsten und mir liebsten Orte Berlins. War später noch manches mal dort und kenne keinen Platz in der Stadt, der so sehr eine gute Atmosphäre spürbar macht, wie die Villa Liebermann am Wannsee, die immer einen Besuch lohnt. Es ist auch wunderbar durch die Alte Nationalgalerie zu schlendern, auch andere Meister von Menzel bis Monet und Corinth zu bewundern, viel mehr seiner berühmtesten Gemälde dort zu sehen, als in der bescheidenen und übersichtlich familiären Sammlung am Wannsee. Doch sich danach auf die Terrasse zu setzen, den Liebermann noch in Herz und Hinterkopf, auf den See mit den weißen Segeln zu schauen, während die Birken im Wind wogen, einen feinen Tee zu trinken, dessen Aroma sich blütengleich langsam auf der Zunge entfaltet - das ist einfach unschlagbar.
Kaum vorstellbar, dass keine 200m Meter weiter das Haus der Wannsee-Konferenz steht, auf der die Vernichtung von Europas Judens als deutsche Politik offiziell beschlossen wurden. Die Liebe zu den Menschen und den Dingen, die ihn umgaben in der Villa Liebermann spüren und zu wissen, warum Menschen, die solche Künstler als entartet oder unerwünscht bezeichneten, einfach dumm und unmenschlich sind, ist auch einer der Gedanken, die mir durch den Kopf jagen, als ich auf der Terrasse sitze, einen Sandwich nasche und mich freue und dankbar bin, hier zu sein, da zu sein, dies erleben zu dürfen und wie schön Leben sein kann, wenn wir es liebevoll zu würdigen wissen wie bei Liebermann.
jens tuengerthal 14.3.2017
Dienstag, 14. März 2017
Sonntag, 12. März 2017
Berlinleben 0017
Scharf-Gerstenberg-Erotik
Wir kannten uns noch nicht und hatten ein Blind-Date, vermittelt durch eine gemeinsame Freundin von ihr, Bekannte von mir, die 650km weiter weg im Südwesten der Republik wohnte, aber fand, es passte eigentlich gut zusammen. Sie wohnte in Charlottenburg, also dem anderen Ende der Stadt, tief im Westen und so machte ich mich auf den Weg, zu sehen, was vielleicht würde.
Wenn du dich zum ersten mal siehst und nicht weißt, was wird, kann es auf Kleinigkeiten ankommen. Später verabredete ich mich möglichst nur noch in der Nähe meiner Wohnung, weite Wege zu vermeiden und damit ich wüsste, wie die ausgewählten Cafés waren, es kein Reinfall wurde, was aus so vielen anderen unabsehbaren Gründen dennoch immer passieren kann, warum es desto wichtiger ist, zumindest die kalkulierbaren Möglichkeiten von Liebe und Lust so weit zu optimieren wie möglich. In meiner Nähe, war es nicht weit zu mir, falls das Gefallen groß genug war, miteinander in die Horizontale zu wandern.
Charlottenburg kannte ich eher nicht, fand es eigentlich langweilig und die Frauen dort oft zu sehr geschminkt, auch wenn ich dieses Vorurteil nach mehr als drei Liebsten aus diesem Bezirk inzwischen wohl widerrufen müsste, zu geschminkt war kaume eine von denen, es ist eben nicht alles Ku’damm, war die Gegend doch fremdes Terrain. Der Weg war weit, die Aussichten ungewiss und auch alles weitere, falls wir uns gefielen, völlig unklar. Damals gerade von einem Fehlversuch mit einer migränigen Zicke aus München frustriert zurückgekehrt, wenige Wochen vorher noch im Dezember von mal wieder einer vermeintlich großen Liebe zu größter Verzweiflung verlassen worden, doch weitergelebt irgendwie, noch kein Jahr nach der Trennung von meiner längsten Liebe, war ich mitten im Februar bereit für ein neues Glück, dachte ich oder zumindest mal wieder guten Sex, in völliger Verkennung der Umstände, hatte zumindest Lust und ließ mich darauf ein.
Nach vielen Jahren Erfahrung im Online-Blind-Daten würde ich eine Verabredung wie die an diesem Tag, wohl nicht mehr so schnell treffen, denke ich heute, wenn auch die Argumente sehr gut waren, die mich die Sammlung Scharf-Gerstenberg hatten wählen lassen. Kannte das Museum, das im anderen Stülerbau, dem geliebten Museum Berggruen gegenüber lag, liebte diese teilweise sehr erotischen Bilder, wenn es nichts würde, war zumindest der Besuch lohnend und ich war nicht einfach irgendwo tief im Westen in einem langweiligen Café ohne Sex.
Ein Date im Museum ist für Museumsliebhaber wie mich eigentlich das schönste, was es gibt. Könnte über Kunst plaudern, als verstünde ich etwas davon, was bei einem kleinen Vokabular der üblichen Termini auch ohne Ahnung möglich war. Die Bilder sprachen dort für sich, erzeugten Lust und die gewünschte Spannung - wo sonst sollte ich sie treffen wollen, wenn es schon Charlottenburg beim ersten mal sein musste und es mangelte mir damals noch an Geschick, Erfahrung und Dreistigkeit die Damen genau dorthin zu bitten, wo ich sie gern haben wollte, beziehungsweise der Gelassenheit, sie für entbehrlich zu halten, wenn sie das nicht wollten. Dachte mir, wenn schon fremder Bezirk, dann doch zumindest ein Heimspiel im Museum, was mir auch inhaltlich gut in die Karten spielte.
Die Sammlung Scharf-Gerstenberg zeigt mitten an der schönsten Ecke Charlottenburgs, gegenüber dem Schloss seit 2008 Kunst von der Romantik bis zum Surrealismus. Spielt mit den Blicken, verführt auf vielfältige Weise zu neuen Sichtweisen, lässt manchmal auch Lachen, ist ein Ort für Genießer. Das Café im Artrium des Eingangsbereichs oder bei warmem Wetter auch auf der Terrasse davor, war eines der besten in den Berliner Museen, anziehender jedenfalls als die kühle Mensa im Kulturforum, die den Charme von Schnellimbiß mit deutscher Behörde konsequent jenseits aller Ästhetik mischt.
Die Sammlung, die der Stiftung Dieter Scharf zum Gedenken an Otto Gerstenberg gehört, wie sie offiziell heißt, ist für zunächst zehn Jahre in den Räumen des ehemaligen Ägyptischen Museums zu Berlin beheimatet und damit Teil der Nationalgalerie Berlin. Otto Gerstenberg selbst war Anfang des 20. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Kunstsammler Berlins. Teile seiner Sammlung wurden jedoch leider im Krieg zerstört.
Wenn Menschen sich im Krieg totschießen, ist das bedauerlich und unnötig aber wohl seit Menschengedenken Teil der menschlichen Geschichte, in manchem waren auch die Kriege wohl Paten späterer Weiterentwicklungen der Menschheit, um den Krieg nicht mit Clausewitz als Vater aller Dinge zu bezeichnen. Wo aber die Kunst als Ausdruck von Freiheit und Schönheit diesem Irrsinn zum Opfer fällt, bleibt wenig übrig, was den Menschen ausmacht und es zeigen sich die echten Banausen immer in der Zerstörung der vorigen Kulturen. Das versucht der IS derzeit, es taten die Nazis, am erfolgreichsten jedoch schaffte dies das Christentum in Europa, das nahezu alle Kultur vorher negierte und zerstörte, es sei denn, sie war zu groß, wie etwa Stonenhenge oder die Menhire in der Bretagne. Nahezu nichts wussten wir lange noch und von dem wenigen, was endlich wieder ausgegraben wurde, können mühsam nur kulturelle Spuren gesucht werden.
Im Gegensatz etwa zu Syrien oder dem Irak ist Europa ohne Wurzeln, die ein fundamentalistischer Aberglaube einst kappte, um seine Lehrart herrschen zu lassen. Viele meinen erst das Christentum hätte die Kultur nach Europa gebracht, doch welch Irrtum liegt hier vor. Die jüdische Sekte heftete sich dienstbereit an ein geschwächtes Kaisertum, das um Christi Geburt herum bereits die alte römische Republik vernichtet hatte und breitete sich weiter nach Norden aus mit fatalen Folgen für die Spuren aller vorigen Kulturen, die vernichtet und über Jahrhunderte geleugnet wurden. Die atheistischen, zumindest rein naturalistischen Werke eines Lukrez oder Epikurs waren unerwünscht, sie wurden ausradiert, mit schlichten Versen aus dem Märchenbuch des Aberglaubens überschrieben. Die 4000 Jahre alte Himmelsscheibe von Nebra etwa beweist, wie gut die Menschen sogar im rückständigen Brandenburg oder Sachsen-Anhalt schon den Himmel in der Bronzezeit beobachteten und kannten, es dort bevor die Römer oder Griechen groß wurden eine Hochkultur gab, an die von den Christen nicht erinnert werden sollte, deren Spuren sie konsequent ausradierten, warum wir alle noch in der Schule die Sage von den ungebildeten Wilden ohne Schrift und Kultur hörten, nur weil sie sich nicht dem später Aberglauben unterworfen hatten.
Die Erinnerung an diese frühen Spuren passte als kleiner Einschub so gut in dies Museum, in dem noch ein wunderbares Tor aus der ägyptischen Sammlung verblieb, da es zum Transport zunächst zu groß war. Dies begrüßt und verwirrt den Besucher gleich am Eingang und schafft so auf seine Art auch surreale Welten zwischen den Zeiten, was zum Thema dieses Museum nur zu gut passt, das unser Denken hinterfragt und die Gewohnheiten durchbricht.
Wusste auch nicht so genau, was mich erwartete bei meinem Date im Museum, wo es hinführen würde, auch wenn die Telefonate und Mails vorab schon auf eine Anziehung hindeuteten, wir vorsichtig so viel Interesse wie möglich bekundet hatten. Dies ganz seriös, ohne es auf nur Sex reduzieren zu wollen, auch wenn dieser ja ein Wert an sich wäre, trafen sich dort zwei, die auch geistiges Interesse aneinander hatten, sich aufeinander einlassen wollten, um zu sehen, was sein könnte. Wir waren hoffnungsvoll ahnungslos und irgendwie bereit, als wir uns einander an der Kasse noch etwas schüchtern vorstellten. Eine kurze Umarmung zweier real noch Unbekannter fühlte sich gut an, ich konnte sie riechen.
Mit meiner Jahreskarte und ihrem Ticket fanden wir schließlich, von der Torhüterin ordnungsgemäß eingescannt Einlass in die heiligen Hallen der Kunst, gespannt was uns erwartete und mit uns dort geschehen würde, freute ich mich auf den Rundgang in schöner, kluger Begleitung. Sie war eine der Schönheiten auf den zweiten Blick, die nicht sofort auffällt, sich aber beim Kennenlernen als immer schöner zeigte, auch wenn ich damals noch irrtümlich dachte, ich stände nicht so auf Brünette oder dunkelhaarige Frauen, welche Verwirrung in bloß durchschnittlicher Konvention.
Neulich fragte mich eine liebe Freundin im Café, die mit ihrem leichten bayerischen Akzent und ihrer Art alles staunend zu fragen, naiv wirken könne, was sie vermutlich nie war, ob es stimmt, dass Männer immer auf blond stehen und ich war über die Frage einer Brünetten und die ihr innewohnende Reduktion erst so perplex, dass ich noch ein wenig stotterte, bis ich eine vernünftige Antwort fand.
Männer stehen auf Frauen, die sie toll finden und das tun sie meist, wenn Frau sich auch toll findet - Ausnahmen bestätigen diese Regel nur. Dies ist unabhängig von der Haarfarbe, der Figur, dem Charakter und nie an etwas allein fest zu machen, wäre eine vernünftige Antwort gewesen, die mir natürlich überrascht nicht einfiel, stattdessen stotterte ich was von, früher stand ich auch auf Blondinen, und immer auf Rothaarige, heute eher Brunette, aber eigentlich ist es mir egal und es passt, wie es kommt, wenn es sich richtig anfühlt. Gibt kein Schema.
Liebe und begehre Frauen, denen ich mich nah fühle, die mir schön scheinen, weil sie Geist haben, ich mit ihnen reden kann und sie mit mir eine eigene Welt finden. Den größten Teil finde ich inzwischen nach wenigen Sätzen langweilig und beschäftige mich statt ihnen lieber mit einem guten Buch oder schreibend. Es ist mir egal, was sie für ein Typ sind, auch wenn ich irgendwie auf damenhaft, schöne Wäsche und gleichzeitig stark und schüchtern stehe, es zum ersten Blick, mit dem ja alles meist anfängt, eher reizt als sportlich oder tussihaft, ist alles egal, wenn sie nur Bücher liebt oder ich mit ihr gut reden kann. Wir wussten ja schon ein wenig übereinander, hatten uns hierher verabredet, waren von einer Dritten für gut befunden worden, da war, was sie trug und wie sie erschien, fast zweitrangig und sie gefiel mir nicht schlecht, machte mich neugierig, ohne mich in riesige Begeisterungsstürme zu stürzen wie jene bildschöne Blondine in Bayern, die sich real als ein solcher Reinfall entpuppte und so ließ ich es ohne die ganz große Leidenschaft gelassen angehen, was immer am besten ist und weiter führt, als die größte Schwärmerei.
Wenn Frau sich sicher ist, den Betreffenden zu haben, spielt sie auch gern noch ein wenig, schiebt moralische Gründe vor und lässt Mann zappeln - nicht jede und nicht immer aber nur sehr wenige machen es nie, die dafür häufiger das Problem haben, dass Mann sie dafür dann nicht so begehrenswert findet, weil sie ja schon breitbeinig vor ihm liegen. Diese Dialektik funktioniert immer und es ist erstaunlich, was sich beide Seiten antun, nur um sich reizvoll zu finden und so gefunden zu werden. Diese Unvernunft, die am Anfang der meisten Lieben steht, lässt sich auch nicht im Gespräch überwinden. Sie scheint in uns unterschiedlich stark immer angelegt und wo es daran fehlt, meinen wir, es fehlt an Spannung oder die Luft sei raus.
So denken beide einvernehmlich, wann legt er oder sie denn endlich los, lässt mich ran oder packt zu und würde doch den direkten Angriff meist empört abwehren, um noch ein wenig um den heißen Brei herum zu eiern. So setzen wir uns irreale Ziele, schwärmen von Ablenkungen, statt uns am Konkreten zu freuen und machen uns Probleme, wo es doch eigentlich ganz einfach ist, beide wissen, was sie wollen und die Natur für den Rest sorgen möchte. Doch was ist hier wirkliche Natur, was nur lächerliches soziales Spiel?
Wenn eine Frau mich in der Bar anspräche, einfach sagte, du gefällst mir, ich habe Lust auf dich, lass uns vögeln, verlöre sie damit vermutlich jeden Reiz für mich und müsste schon wahnsinnig toll sein, um infolge nicht ignoriert zu werden. Ein Mann, der Frau so direkt triebhaft anspräche, würde ignoriert, keines Blickes gewürdigt, auch wenn ihr Schoss schon, bevor er zu reden anfing, vor Lust zu zuckte, als er nur zu ihr sah, sich alles noch in der Phantasie abspielte. Sex ist Theater und braucht Theater wohl, um Wert zu bekommen, wenn wir uns bloß zum Ficken nur verabreden, verliert dieses alle Erotik, ist nur noch Gymnastik und so begannen wir auch in der Sammlung Scharf-Gerstenberg nicht gleich über Sex zu reden, auch wenn es natürlich innerlich beiden nur darum ging, was jeder von uns natürlich auf Nachfrage vermutlich sogar von sich überzeugt geleugnet hätte.
Einer der beiden Namensgeber, Otto Gerstenberg, war ein erfolgreicher Unternehmer der Gründerzeit, geboren 1848 in Pyritz in Westpommern, das heute zu Polen gehört, verstarb er im Jahr 1935 in Berlin als gemachter Mann. Unter seiner Leitung stieg die Victoria Versicherung zur führenden Lebensversicherung auf und zu seinen besonderen Leistungen gehört die Einführung der Lebensversicherung als Volksversicherung, wer immer das als eine Leistung ansehen möchte. Als wohlhabender Mann ließ er sich in der damals neuen Kolonie Dahlem, die heute zu Schmargendorf gehört, eine Jugendstilvilla errichten, das Palais Gerstenberg, dem er später noch einen Gallerieflügel für die Kunstsammlung hinzufügte. Heute wird die ehemalige Villa als Park-Sanatorium Dahlem genutzt.
Schwerpunkt seiner bedeutenden Kunstsammlung waren Grafiken und Gemälde des 19. Jahrhunderts. Vor allem seine große Sammlung an französischen Impressionisten war zum Zeitpunkt des Erwerbs umstritten und wurde von der kaiserlichen Seite und der offiziellen Kunstpolitik als bedeutungslos und oberflächlich bezeichnet. Gerstenberg verlieh aber immer auch Werke, die er nicht bei Händlern in Berlin sondern direkt in Paris bei den Künstlern oder ihren direkten Händlern erwarb und öffnete sein Haus auch für Studenten und Interessierte.
Die grafische Sammlung spannte sich vom 15. bis zum 17. Jahrhundert und umfasste Werke von Dürer bis Rembrandt aber auch Zeitgenossen wie Menzel, Liebermann und Max Klinger, wobei schon damals der Schwerpunkt auf Goyas Werk lag. Dazu kamen noch grafische Meisterwerke von Toulouse-Lautrec und Honoré Daumier.
Die Gemäldesammlung begann er mit britischer Landschaftsmalerei wie etwa Constable, später kamen Reynoulds, El Greco und Goya wie einige bekannte Niederländer hinzu. Wirklich berühmt aber wurde die Sammlung durch die Franzosen des 19. Jahrhunderts - hier gab es beginnend bei Delacroix und der Schule von Barbizon über Courbet hin zu den berühmten Impressionisten von Monet, Manet, Renoir, Sisley, Toulouse-Lautrec und Renoir eine unglaubliche Vielzahl von Meisterwerken, die heute der Stolz jedes Museums wären.
Gerstenberg trennte sich zu Lebzeiten von kaum einem seiner Werke, nur die grafische Sammlung gab er irgendwann auf. Bei seinem Tod 1935 erbte seine Tochter Margarete Scharf alles. Da die Tochter in einem kleineren eigenen, von Hans Scharoun errichteten, Gebäude im Park der Villa lebte, lagerte sie einen Teil der Bilder aus und ließ sie im Magazin der Victoria Versicherung deponieren. Dort wurden sie im Krieg Opfer der Bomben und verbrannten vollständig. Den Rest der Sammlung gab sie in die Obhut der Gemäldegalerie, die ihrerseits in den als sicher geltenden Bunkern Friedrichshain und Zoo versteckte, wo sie von den Russen entdeckt und mitgenommen wurde und darum bis heute als Raubkunst in Petersburg hängen.
Den verbleibenden kleineren Rest transportierte sie während des Krieges und kurz nach dessen Ende nach Oberstdorf in Bayern, wo die Familie auch ein Anwesen besaß. Ein Teil der Sammlung musste aus Gründen wirtschaftlicher Not nach dem Krieg veräußert werden, den Rest aber brachte Otto Gerstenbergs Enkel Dieter Scharf in die Stiftung ein, die er kurz vor seinem Tod 2001 gründete, ergänzt noch durch einige moderne Arbeiten im Geist der Sammlung. Hierzu gehören Grafiken von Piranesi, Goya, Victor Hugo, Manet und Max Klinger.
Beide Stülerbauten gegenüber dem Schloss Charlottenburg gehen noch auf Entwürfe von Friedrich Wilhelm IV. zurück, die von 1851-1859 vom Architekten Stüler umgesetzt wurden und waren ursprünglich Offizierskasernen des Garde dus Corps Regiments. An den östlichen Stülerbau, also die heutige Heimat der Sammlung Scharf-Gerstenberg, schließt sich noch das von Drewitz errichtete Mastall Gebäude an. Von 1967 bis 2005 diente der östliche Stülerbau als Heimstatt des ägyptischen Museums mit Berlins schöner Nofretete. Nach dem Auszug der Ägypter, nicht zu verwechseln mit dem Auszug aus Ägypten, wurde der Bau für 10 Millionen für die neue Nutzung umgebaut.
Die bereits erwähnten grafischen Werke der Sammlung dienten Dieter Scharf als Basis zum Aufbau einer Sammlung des Symbolismus und Surrealismus. Neben Salvador Dali, gehören zu der Sammlung Werke von Max Ernst, Moreau, Redon, Henri Rousseau, Hans Bellmer, James Ensor, Giacometti, George Grosz, Horst Jansen, Paul Klee, Joan Miró, Edvard Munch, Picasso, Schwitters und viele mehr. So überschneiden sich die beiden benachbarten Sammlungen Berggruen und Scharf-Gerstenberg in Teilen und ergänzen sich darum nur zu gut. Der Besucher der einen erwirbt zugleich den Eintritt in die andere mit, wer kann sollte sich darum für beide Zeit nehmen, um ganz zu genießen.
Kannte zum Glück die wunderbare Sammlung schon, hatte vor vielen der Bilder schon lange gestanden und gestaunt und musste auch nicht unbedingt beide Häuse am Tag des Dates noch sehen, auch wenn ich insofern für alles offen war, da Kunst und Lust gemeinsam zu haben, der schönste Genuss schon immer war. Wir kamen bis zum zweiten Raum, als ich ihr vor einem eindrucksvollen auch sinnlichen Aquarell von Frantisek Kupka, dem trinkenden halben Skelett mit gefüllter Gebärmutter und langem Schwanz, etwas auf diesem Bild zeigen wollte, mit dem Arm hinter ihr stehend, über ihre Schulter ging und sie sich dann nach erstem Erschrecken doch angenehm berührt in einer Andeutung anlehnte, ich ihr den Kopf zuwandte und die Rede über die Kunst unterbrach, um sie leidenschaftlich zu küssen.
Erzählte ihr nicht mehr, dass Kupka dies Gemälde bereits 1907 in Paris lebend malte, dass dieses freche, freie und starke Bild voller Phantasie und Traum, der in den Alb fast fällt, auch das Lieblingsbild der hiesigen Direktorin war. Es zog in unserer Mitte und also uns endlich zueinander. Dabei ist es so passend, wie dieses Bild gleich dem Museum auch aus einem ägyptischen Schrein herausgewachsen scheint, der unten am Bildrand sich andeutet in einigen Figuren und wie es die Bezüge zur Realität mehrfach verschoben irreal aufhebt.
Es ist eine schöpferische Kraft, die in dem riesigen Embryo sichtbar wird und die zugleich durch die nur Prothese des Gliedes, mehr blieb nicht von der großen Lust, ironisch wieder gebrochen wird zur real existierenden Impotenz. Ein wunderbares Bild in dem die erotische Spannung mit der sinnlichen Schönheit tanzt und ihre Brechung zugleich wird. Ein Bild voller Lust und Witz, es ist eines der besten Beispiele für den Geist des Surrealismus, der Grenzen aufhebt, mit ihnen spielt, Tabus bricht und unsere Sehgewohnheiten mal eben provokativ auf den Kopf stellt, ohne sich vor der Sexualität zu fürchten.
So war meine Vermutung richtig gewesen, die Erotik des Surrealismus wirkte von alleine, was wunderbar für diese Kunst spricht, die uns sehr schnell voller Leidenschaft gemeinsam die Horizontale anstreben ließ. Wir schlenderten noch ein wenig durch die Räume, uns zärtlich berührend und doch war die Vorfreude aufeinander zu groß, als dass diese wunderbare Kunst noch eine Rolle spielen konnte.
Wir verließen bald das Museum, gingen üben den Klausener Platz an dessen Seite sie irgendwo wohnte, kamen in ihre Wohnung, die mir voller Bilder und Bücher so sehr gefiel und verschlangen uns voller Lust auf ihrem Bett. Es war gut so, wir waren gebührend vorsichtig und ich war erfüllt von dieser traumhaften Kombination von Kunst und Sex, denn was konnte schöner sein, als größte Ästhetik mit ungebändigter Leidenschaft zu kreuzen?
So gesehen ein wunderbarer Anfang, an den ich bei jedem Besuch denken könnte, bis ein noch lustvollerer ihn überdeckt eines Tages. Wollte ich nun berichten, was daraus wurde, würde es weniger leidenschaftlich, verflöge schnell in Missverständnissen, Kleinigkeiten und Peinlichkeiten und so lasse ich es lieber, um diese Sammlung und ihre Leidenschaft, die sie auch in mir gleich weckte, als solche stehen zu lassen. Ein Ort voller Lust, den ich auch noch mit meiner sehr kunstsinnigen Liebsten aus Hamburg später besuchte, die sofort, feinfühlig wie sie war, die Leidenschaft an diesem Ort spürte, die wir umsetzten, sobald sich die Gelegenheit fand, was die vorherige Erinnerung und deren Ende tröstlich überdeckte und so bleibt die Sammlung Scharf-Gerstenberg mir immer ein Ort voll schöner Lust, gespannt, was es mir noch alles bieten wird in Zukunft.
jens tuengerthal 12.3.2017
Wir kannten uns noch nicht und hatten ein Blind-Date, vermittelt durch eine gemeinsame Freundin von ihr, Bekannte von mir, die 650km weiter weg im Südwesten der Republik wohnte, aber fand, es passte eigentlich gut zusammen. Sie wohnte in Charlottenburg, also dem anderen Ende der Stadt, tief im Westen und so machte ich mich auf den Weg, zu sehen, was vielleicht würde.
Wenn du dich zum ersten mal siehst und nicht weißt, was wird, kann es auf Kleinigkeiten ankommen. Später verabredete ich mich möglichst nur noch in der Nähe meiner Wohnung, weite Wege zu vermeiden und damit ich wüsste, wie die ausgewählten Cafés waren, es kein Reinfall wurde, was aus so vielen anderen unabsehbaren Gründen dennoch immer passieren kann, warum es desto wichtiger ist, zumindest die kalkulierbaren Möglichkeiten von Liebe und Lust so weit zu optimieren wie möglich. In meiner Nähe, war es nicht weit zu mir, falls das Gefallen groß genug war, miteinander in die Horizontale zu wandern.
Charlottenburg kannte ich eher nicht, fand es eigentlich langweilig und die Frauen dort oft zu sehr geschminkt, auch wenn ich dieses Vorurteil nach mehr als drei Liebsten aus diesem Bezirk inzwischen wohl widerrufen müsste, zu geschminkt war kaume eine von denen, es ist eben nicht alles Ku’damm, war die Gegend doch fremdes Terrain. Der Weg war weit, die Aussichten ungewiss und auch alles weitere, falls wir uns gefielen, völlig unklar. Damals gerade von einem Fehlversuch mit einer migränigen Zicke aus München frustriert zurückgekehrt, wenige Wochen vorher noch im Dezember von mal wieder einer vermeintlich großen Liebe zu größter Verzweiflung verlassen worden, doch weitergelebt irgendwie, noch kein Jahr nach der Trennung von meiner längsten Liebe, war ich mitten im Februar bereit für ein neues Glück, dachte ich oder zumindest mal wieder guten Sex, in völliger Verkennung der Umstände, hatte zumindest Lust und ließ mich darauf ein.
Nach vielen Jahren Erfahrung im Online-Blind-Daten würde ich eine Verabredung wie die an diesem Tag, wohl nicht mehr so schnell treffen, denke ich heute, wenn auch die Argumente sehr gut waren, die mich die Sammlung Scharf-Gerstenberg hatten wählen lassen. Kannte das Museum, das im anderen Stülerbau, dem geliebten Museum Berggruen gegenüber lag, liebte diese teilweise sehr erotischen Bilder, wenn es nichts würde, war zumindest der Besuch lohnend und ich war nicht einfach irgendwo tief im Westen in einem langweiligen Café ohne Sex.
Ein Date im Museum ist für Museumsliebhaber wie mich eigentlich das schönste, was es gibt. Könnte über Kunst plaudern, als verstünde ich etwas davon, was bei einem kleinen Vokabular der üblichen Termini auch ohne Ahnung möglich war. Die Bilder sprachen dort für sich, erzeugten Lust und die gewünschte Spannung - wo sonst sollte ich sie treffen wollen, wenn es schon Charlottenburg beim ersten mal sein musste und es mangelte mir damals noch an Geschick, Erfahrung und Dreistigkeit die Damen genau dorthin zu bitten, wo ich sie gern haben wollte, beziehungsweise der Gelassenheit, sie für entbehrlich zu halten, wenn sie das nicht wollten. Dachte mir, wenn schon fremder Bezirk, dann doch zumindest ein Heimspiel im Museum, was mir auch inhaltlich gut in die Karten spielte.
Die Sammlung Scharf-Gerstenberg zeigt mitten an der schönsten Ecke Charlottenburgs, gegenüber dem Schloss seit 2008 Kunst von der Romantik bis zum Surrealismus. Spielt mit den Blicken, verführt auf vielfältige Weise zu neuen Sichtweisen, lässt manchmal auch Lachen, ist ein Ort für Genießer. Das Café im Artrium des Eingangsbereichs oder bei warmem Wetter auch auf der Terrasse davor, war eines der besten in den Berliner Museen, anziehender jedenfalls als die kühle Mensa im Kulturforum, die den Charme von Schnellimbiß mit deutscher Behörde konsequent jenseits aller Ästhetik mischt.
Die Sammlung, die der Stiftung Dieter Scharf zum Gedenken an Otto Gerstenberg gehört, wie sie offiziell heißt, ist für zunächst zehn Jahre in den Räumen des ehemaligen Ägyptischen Museums zu Berlin beheimatet und damit Teil der Nationalgalerie Berlin. Otto Gerstenberg selbst war Anfang des 20. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Kunstsammler Berlins. Teile seiner Sammlung wurden jedoch leider im Krieg zerstört.
Wenn Menschen sich im Krieg totschießen, ist das bedauerlich und unnötig aber wohl seit Menschengedenken Teil der menschlichen Geschichte, in manchem waren auch die Kriege wohl Paten späterer Weiterentwicklungen der Menschheit, um den Krieg nicht mit Clausewitz als Vater aller Dinge zu bezeichnen. Wo aber die Kunst als Ausdruck von Freiheit und Schönheit diesem Irrsinn zum Opfer fällt, bleibt wenig übrig, was den Menschen ausmacht und es zeigen sich die echten Banausen immer in der Zerstörung der vorigen Kulturen. Das versucht der IS derzeit, es taten die Nazis, am erfolgreichsten jedoch schaffte dies das Christentum in Europa, das nahezu alle Kultur vorher negierte und zerstörte, es sei denn, sie war zu groß, wie etwa Stonenhenge oder die Menhire in der Bretagne. Nahezu nichts wussten wir lange noch und von dem wenigen, was endlich wieder ausgegraben wurde, können mühsam nur kulturelle Spuren gesucht werden.
Im Gegensatz etwa zu Syrien oder dem Irak ist Europa ohne Wurzeln, die ein fundamentalistischer Aberglaube einst kappte, um seine Lehrart herrschen zu lassen. Viele meinen erst das Christentum hätte die Kultur nach Europa gebracht, doch welch Irrtum liegt hier vor. Die jüdische Sekte heftete sich dienstbereit an ein geschwächtes Kaisertum, das um Christi Geburt herum bereits die alte römische Republik vernichtet hatte und breitete sich weiter nach Norden aus mit fatalen Folgen für die Spuren aller vorigen Kulturen, die vernichtet und über Jahrhunderte geleugnet wurden. Die atheistischen, zumindest rein naturalistischen Werke eines Lukrez oder Epikurs waren unerwünscht, sie wurden ausradiert, mit schlichten Versen aus dem Märchenbuch des Aberglaubens überschrieben. Die 4000 Jahre alte Himmelsscheibe von Nebra etwa beweist, wie gut die Menschen sogar im rückständigen Brandenburg oder Sachsen-Anhalt schon den Himmel in der Bronzezeit beobachteten und kannten, es dort bevor die Römer oder Griechen groß wurden eine Hochkultur gab, an die von den Christen nicht erinnert werden sollte, deren Spuren sie konsequent ausradierten, warum wir alle noch in der Schule die Sage von den ungebildeten Wilden ohne Schrift und Kultur hörten, nur weil sie sich nicht dem später Aberglauben unterworfen hatten.
Die Erinnerung an diese frühen Spuren passte als kleiner Einschub so gut in dies Museum, in dem noch ein wunderbares Tor aus der ägyptischen Sammlung verblieb, da es zum Transport zunächst zu groß war. Dies begrüßt und verwirrt den Besucher gleich am Eingang und schafft so auf seine Art auch surreale Welten zwischen den Zeiten, was zum Thema dieses Museum nur zu gut passt, das unser Denken hinterfragt und die Gewohnheiten durchbricht.
Wusste auch nicht so genau, was mich erwartete bei meinem Date im Museum, wo es hinführen würde, auch wenn die Telefonate und Mails vorab schon auf eine Anziehung hindeuteten, wir vorsichtig so viel Interesse wie möglich bekundet hatten. Dies ganz seriös, ohne es auf nur Sex reduzieren zu wollen, auch wenn dieser ja ein Wert an sich wäre, trafen sich dort zwei, die auch geistiges Interesse aneinander hatten, sich aufeinander einlassen wollten, um zu sehen, was sein könnte. Wir waren hoffnungsvoll ahnungslos und irgendwie bereit, als wir uns einander an der Kasse noch etwas schüchtern vorstellten. Eine kurze Umarmung zweier real noch Unbekannter fühlte sich gut an, ich konnte sie riechen.
Mit meiner Jahreskarte und ihrem Ticket fanden wir schließlich, von der Torhüterin ordnungsgemäß eingescannt Einlass in die heiligen Hallen der Kunst, gespannt was uns erwartete und mit uns dort geschehen würde, freute ich mich auf den Rundgang in schöner, kluger Begleitung. Sie war eine der Schönheiten auf den zweiten Blick, die nicht sofort auffällt, sich aber beim Kennenlernen als immer schöner zeigte, auch wenn ich damals noch irrtümlich dachte, ich stände nicht so auf Brünette oder dunkelhaarige Frauen, welche Verwirrung in bloß durchschnittlicher Konvention.
Neulich fragte mich eine liebe Freundin im Café, die mit ihrem leichten bayerischen Akzent und ihrer Art alles staunend zu fragen, naiv wirken könne, was sie vermutlich nie war, ob es stimmt, dass Männer immer auf blond stehen und ich war über die Frage einer Brünetten und die ihr innewohnende Reduktion erst so perplex, dass ich noch ein wenig stotterte, bis ich eine vernünftige Antwort fand.
Männer stehen auf Frauen, die sie toll finden und das tun sie meist, wenn Frau sich auch toll findet - Ausnahmen bestätigen diese Regel nur. Dies ist unabhängig von der Haarfarbe, der Figur, dem Charakter und nie an etwas allein fest zu machen, wäre eine vernünftige Antwort gewesen, die mir natürlich überrascht nicht einfiel, stattdessen stotterte ich was von, früher stand ich auch auf Blondinen, und immer auf Rothaarige, heute eher Brunette, aber eigentlich ist es mir egal und es passt, wie es kommt, wenn es sich richtig anfühlt. Gibt kein Schema.
Liebe und begehre Frauen, denen ich mich nah fühle, die mir schön scheinen, weil sie Geist haben, ich mit ihnen reden kann und sie mit mir eine eigene Welt finden. Den größten Teil finde ich inzwischen nach wenigen Sätzen langweilig und beschäftige mich statt ihnen lieber mit einem guten Buch oder schreibend. Es ist mir egal, was sie für ein Typ sind, auch wenn ich irgendwie auf damenhaft, schöne Wäsche und gleichzeitig stark und schüchtern stehe, es zum ersten Blick, mit dem ja alles meist anfängt, eher reizt als sportlich oder tussihaft, ist alles egal, wenn sie nur Bücher liebt oder ich mit ihr gut reden kann. Wir wussten ja schon ein wenig übereinander, hatten uns hierher verabredet, waren von einer Dritten für gut befunden worden, da war, was sie trug und wie sie erschien, fast zweitrangig und sie gefiel mir nicht schlecht, machte mich neugierig, ohne mich in riesige Begeisterungsstürme zu stürzen wie jene bildschöne Blondine in Bayern, die sich real als ein solcher Reinfall entpuppte und so ließ ich es ohne die ganz große Leidenschaft gelassen angehen, was immer am besten ist und weiter führt, als die größte Schwärmerei.
Wenn Frau sich sicher ist, den Betreffenden zu haben, spielt sie auch gern noch ein wenig, schiebt moralische Gründe vor und lässt Mann zappeln - nicht jede und nicht immer aber nur sehr wenige machen es nie, die dafür häufiger das Problem haben, dass Mann sie dafür dann nicht so begehrenswert findet, weil sie ja schon breitbeinig vor ihm liegen. Diese Dialektik funktioniert immer und es ist erstaunlich, was sich beide Seiten antun, nur um sich reizvoll zu finden und so gefunden zu werden. Diese Unvernunft, die am Anfang der meisten Lieben steht, lässt sich auch nicht im Gespräch überwinden. Sie scheint in uns unterschiedlich stark immer angelegt und wo es daran fehlt, meinen wir, es fehlt an Spannung oder die Luft sei raus.
So denken beide einvernehmlich, wann legt er oder sie denn endlich los, lässt mich ran oder packt zu und würde doch den direkten Angriff meist empört abwehren, um noch ein wenig um den heißen Brei herum zu eiern. So setzen wir uns irreale Ziele, schwärmen von Ablenkungen, statt uns am Konkreten zu freuen und machen uns Probleme, wo es doch eigentlich ganz einfach ist, beide wissen, was sie wollen und die Natur für den Rest sorgen möchte. Doch was ist hier wirkliche Natur, was nur lächerliches soziales Spiel?
Wenn eine Frau mich in der Bar anspräche, einfach sagte, du gefällst mir, ich habe Lust auf dich, lass uns vögeln, verlöre sie damit vermutlich jeden Reiz für mich und müsste schon wahnsinnig toll sein, um infolge nicht ignoriert zu werden. Ein Mann, der Frau so direkt triebhaft anspräche, würde ignoriert, keines Blickes gewürdigt, auch wenn ihr Schoss schon, bevor er zu reden anfing, vor Lust zu zuckte, als er nur zu ihr sah, sich alles noch in der Phantasie abspielte. Sex ist Theater und braucht Theater wohl, um Wert zu bekommen, wenn wir uns bloß zum Ficken nur verabreden, verliert dieses alle Erotik, ist nur noch Gymnastik und so begannen wir auch in der Sammlung Scharf-Gerstenberg nicht gleich über Sex zu reden, auch wenn es natürlich innerlich beiden nur darum ging, was jeder von uns natürlich auf Nachfrage vermutlich sogar von sich überzeugt geleugnet hätte.
Einer der beiden Namensgeber, Otto Gerstenberg, war ein erfolgreicher Unternehmer der Gründerzeit, geboren 1848 in Pyritz in Westpommern, das heute zu Polen gehört, verstarb er im Jahr 1935 in Berlin als gemachter Mann. Unter seiner Leitung stieg die Victoria Versicherung zur führenden Lebensversicherung auf und zu seinen besonderen Leistungen gehört die Einführung der Lebensversicherung als Volksversicherung, wer immer das als eine Leistung ansehen möchte. Als wohlhabender Mann ließ er sich in der damals neuen Kolonie Dahlem, die heute zu Schmargendorf gehört, eine Jugendstilvilla errichten, das Palais Gerstenberg, dem er später noch einen Gallerieflügel für die Kunstsammlung hinzufügte. Heute wird die ehemalige Villa als Park-Sanatorium Dahlem genutzt.
Schwerpunkt seiner bedeutenden Kunstsammlung waren Grafiken und Gemälde des 19. Jahrhunderts. Vor allem seine große Sammlung an französischen Impressionisten war zum Zeitpunkt des Erwerbs umstritten und wurde von der kaiserlichen Seite und der offiziellen Kunstpolitik als bedeutungslos und oberflächlich bezeichnet. Gerstenberg verlieh aber immer auch Werke, die er nicht bei Händlern in Berlin sondern direkt in Paris bei den Künstlern oder ihren direkten Händlern erwarb und öffnete sein Haus auch für Studenten und Interessierte.
Die grafische Sammlung spannte sich vom 15. bis zum 17. Jahrhundert und umfasste Werke von Dürer bis Rembrandt aber auch Zeitgenossen wie Menzel, Liebermann und Max Klinger, wobei schon damals der Schwerpunkt auf Goyas Werk lag. Dazu kamen noch grafische Meisterwerke von Toulouse-Lautrec und Honoré Daumier.
Die Gemäldesammlung begann er mit britischer Landschaftsmalerei wie etwa Constable, später kamen Reynoulds, El Greco und Goya wie einige bekannte Niederländer hinzu. Wirklich berühmt aber wurde die Sammlung durch die Franzosen des 19. Jahrhunderts - hier gab es beginnend bei Delacroix und der Schule von Barbizon über Courbet hin zu den berühmten Impressionisten von Monet, Manet, Renoir, Sisley, Toulouse-Lautrec und Renoir eine unglaubliche Vielzahl von Meisterwerken, die heute der Stolz jedes Museums wären.
Gerstenberg trennte sich zu Lebzeiten von kaum einem seiner Werke, nur die grafische Sammlung gab er irgendwann auf. Bei seinem Tod 1935 erbte seine Tochter Margarete Scharf alles. Da die Tochter in einem kleineren eigenen, von Hans Scharoun errichteten, Gebäude im Park der Villa lebte, lagerte sie einen Teil der Bilder aus und ließ sie im Magazin der Victoria Versicherung deponieren. Dort wurden sie im Krieg Opfer der Bomben und verbrannten vollständig. Den Rest der Sammlung gab sie in die Obhut der Gemäldegalerie, die ihrerseits in den als sicher geltenden Bunkern Friedrichshain und Zoo versteckte, wo sie von den Russen entdeckt und mitgenommen wurde und darum bis heute als Raubkunst in Petersburg hängen.
Den verbleibenden kleineren Rest transportierte sie während des Krieges und kurz nach dessen Ende nach Oberstdorf in Bayern, wo die Familie auch ein Anwesen besaß. Ein Teil der Sammlung musste aus Gründen wirtschaftlicher Not nach dem Krieg veräußert werden, den Rest aber brachte Otto Gerstenbergs Enkel Dieter Scharf in die Stiftung ein, die er kurz vor seinem Tod 2001 gründete, ergänzt noch durch einige moderne Arbeiten im Geist der Sammlung. Hierzu gehören Grafiken von Piranesi, Goya, Victor Hugo, Manet und Max Klinger.
Beide Stülerbauten gegenüber dem Schloss Charlottenburg gehen noch auf Entwürfe von Friedrich Wilhelm IV. zurück, die von 1851-1859 vom Architekten Stüler umgesetzt wurden und waren ursprünglich Offizierskasernen des Garde dus Corps Regiments. An den östlichen Stülerbau, also die heutige Heimat der Sammlung Scharf-Gerstenberg, schließt sich noch das von Drewitz errichtete Mastall Gebäude an. Von 1967 bis 2005 diente der östliche Stülerbau als Heimstatt des ägyptischen Museums mit Berlins schöner Nofretete. Nach dem Auszug der Ägypter, nicht zu verwechseln mit dem Auszug aus Ägypten, wurde der Bau für 10 Millionen für die neue Nutzung umgebaut.
Die bereits erwähnten grafischen Werke der Sammlung dienten Dieter Scharf als Basis zum Aufbau einer Sammlung des Symbolismus und Surrealismus. Neben Salvador Dali, gehören zu der Sammlung Werke von Max Ernst, Moreau, Redon, Henri Rousseau, Hans Bellmer, James Ensor, Giacometti, George Grosz, Horst Jansen, Paul Klee, Joan Miró, Edvard Munch, Picasso, Schwitters und viele mehr. So überschneiden sich die beiden benachbarten Sammlungen Berggruen und Scharf-Gerstenberg in Teilen und ergänzen sich darum nur zu gut. Der Besucher der einen erwirbt zugleich den Eintritt in die andere mit, wer kann sollte sich darum für beide Zeit nehmen, um ganz zu genießen.
Kannte zum Glück die wunderbare Sammlung schon, hatte vor vielen der Bilder schon lange gestanden und gestaunt und musste auch nicht unbedingt beide Häuse am Tag des Dates noch sehen, auch wenn ich insofern für alles offen war, da Kunst und Lust gemeinsam zu haben, der schönste Genuss schon immer war. Wir kamen bis zum zweiten Raum, als ich ihr vor einem eindrucksvollen auch sinnlichen Aquarell von Frantisek Kupka, dem trinkenden halben Skelett mit gefüllter Gebärmutter und langem Schwanz, etwas auf diesem Bild zeigen wollte, mit dem Arm hinter ihr stehend, über ihre Schulter ging und sie sich dann nach erstem Erschrecken doch angenehm berührt in einer Andeutung anlehnte, ich ihr den Kopf zuwandte und die Rede über die Kunst unterbrach, um sie leidenschaftlich zu küssen.
Erzählte ihr nicht mehr, dass Kupka dies Gemälde bereits 1907 in Paris lebend malte, dass dieses freche, freie und starke Bild voller Phantasie und Traum, der in den Alb fast fällt, auch das Lieblingsbild der hiesigen Direktorin war. Es zog in unserer Mitte und also uns endlich zueinander. Dabei ist es so passend, wie dieses Bild gleich dem Museum auch aus einem ägyptischen Schrein herausgewachsen scheint, der unten am Bildrand sich andeutet in einigen Figuren und wie es die Bezüge zur Realität mehrfach verschoben irreal aufhebt.
Es ist eine schöpferische Kraft, die in dem riesigen Embryo sichtbar wird und die zugleich durch die nur Prothese des Gliedes, mehr blieb nicht von der großen Lust, ironisch wieder gebrochen wird zur real existierenden Impotenz. Ein wunderbares Bild in dem die erotische Spannung mit der sinnlichen Schönheit tanzt und ihre Brechung zugleich wird. Ein Bild voller Lust und Witz, es ist eines der besten Beispiele für den Geist des Surrealismus, der Grenzen aufhebt, mit ihnen spielt, Tabus bricht und unsere Sehgewohnheiten mal eben provokativ auf den Kopf stellt, ohne sich vor der Sexualität zu fürchten.
So war meine Vermutung richtig gewesen, die Erotik des Surrealismus wirkte von alleine, was wunderbar für diese Kunst spricht, die uns sehr schnell voller Leidenschaft gemeinsam die Horizontale anstreben ließ. Wir schlenderten noch ein wenig durch die Räume, uns zärtlich berührend und doch war die Vorfreude aufeinander zu groß, als dass diese wunderbare Kunst noch eine Rolle spielen konnte.
Wir verließen bald das Museum, gingen üben den Klausener Platz an dessen Seite sie irgendwo wohnte, kamen in ihre Wohnung, die mir voller Bilder und Bücher so sehr gefiel und verschlangen uns voller Lust auf ihrem Bett. Es war gut so, wir waren gebührend vorsichtig und ich war erfüllt von dieser traumhaften Kombination von Kunst und Sex, denn was konnte schöner sein, als größte Ästhetik mit ungebändigter Leidenschaft zu kreuzen?
So gesehen ein wunderbarer Anfang, an den ich bei jedem Besuch denken könnte, bis ein noch lustvollerer ihn überdeckt eines Tages. Wollte ich nun berichten, was daraus wurde, würde es weniger leidenschaftlich, verflöge schnell in Missverständnissen, Kleinigkeiten und Peinlichkeiten und so lasse ich es lieber, um diese Sammlung und ihre Leidenschaft, die sie auch in mir gleich weckte, als solche stehen zu lassen. Ein Ort voller Lust, den ich auch noch mit meiner sehr kunstsinnigen Liebsten aus Hamburg später besuchte, die sofort, feinfühlig wie sie war, die Leidenschaft an diesem Ort spürte, die wir umsetzten, sobald sich die Gelegenheit fand, was die vorherige Erinnerung und deren Ende tröstlich überdeckte und so bleibt die Sammlung Scharf-Gerstenberg mir immer ein Ort voll schöner Lust, gespannt, was es mir noch alles bieten wird in Zukunft.
jens tuengerthal 12.3.2017
Samstag, 11. März 2017
Berlinleben 016
Bei und mit Berggruen
Es war einmal ein Land, dass vertrieb einen angehenden Journalisten und später auch seine Eltern aus ihrer Heimat, brachte Millionen seines Volkes auf bestialische Weise um, behandelte sie nicht wie Menschen sondern als Vieh und der Mann, der mit bloßem Instinkt zu einem der wichtigsten Kunsthändler und Sammler der klassischen Moderne wurde, eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt sein eigen nannte, verkaufte diese am Ende seines Lebens für einen nur kleinen Bruchteil ihres Wertes an seine Heimatstadt, um seine Erben nicht zu berauben, tat dies als Geste der Versöhnung, schenkte der Stadt, die Hauptstadt dieses Landes inzwischen wieder wurde, noch weitere Kunstwerke und Figuren, wohnte sogar in dem Museum, wenn er in der Stadt bei seinen liebsten Werken war und diese Gunst werden später seine Erben nach seinem Tod noch fortsetzen, obwohl sich die Stadt wie immer lange gewunden hat, ihn überhaupt zu ihrem Ehrenbürger zu machen. Und am Ende hatte die Stadt ein Museum mit der wohl schönsten Sammlung der klassischen Moderne und konnte sie ihr eigen nennen.
Klingt wie ein Märchen?
Ist es auch in vielem fast und doch die wirkliche Geschichte der Sammlung Berggruen und des großen Sammlers und Händlers Heinz Berggruen, der 1914 in Berlin-Wilmersdorf geborene Sohn jüdischer Eltern, erlebte genau das.
Mochte die Sammlung Berggruen vom ersten Besuch an, auch wenn mir der Zugang zur Moderne früher schwer fiel, ich die Alten Meister in der Gemäldegalerie eher schätzte - dort blühte die Begeisterung sofort und als ich dann in Ruhe vor den Meisterwerken flanierend noch eines Tages den Stifter und Namensgeber Heinz Berggruen traf, der ja seine Wohnung in der oberen Etage des Stülerbaus gegenüber dem Schloss Charlottenburg bewohnte, wenn er in Berlin weilte, wurde die Faszination zur Liebe. Was für ein Mann und was für eine Kunstgeschichte.
Doch der Reihe nach, wie kam es dazu und was ging dem voraus, warum ist diese Geste eines großen Menschen ein solch besonderes Glück für Berlin?
Die Nationalsozialisten hatten dem Vertriebenen Berggruen sogar die deutsche Staatsangehörigkeit noch entzogen und dennoch kehrte er 60 Jahre nach seiner Emigration, die 1936 erzwungen wurde, wieder nach Deutschland zurück und zeigte von sich aus, nach einem Gespräch mit dem Direktor der Staatlichen Galerien zu Berlin in London, wo er seine Sammlung gerade ausstellen ließ, eben diese Geste der Versöhnung, indem er seine Sammlung weit unter Preis anbot.
Nach dem Abitur in Wilmersdorf hatte Berggruen an der Humboldt Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte studiert, seine Studien später noch an der Universität in Grenoble und Toulouse fortgesetzt, sein französisch immer weiter verbessert, bis dies zu seiner ersten Sprache wurde. Doch seine Mutter holte ihn, trotz der inzwischen Machtübernahme der Nationalsozialisten zurück nach Deutschland, weil sie glaubte dieser Hilter wäre nur eine kurze Episode, wo er nach seinem Magister ein Volontariat bei der Jüdischen Wochenzeitung begann mit dem Berufsziel Journalist und Schriftsteller. Ab 1935 schrieb er für kurze Zeit auch für die Frankfurter Zeitung, doch durften dort seine Artikel aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht mehr unter seinem Namen erscheinen und wurden nur mit seinen Initialien gekennzeichnet.
Als er 1936 ein einjähriges Stipendium an der Berkeley University erhielt, blieb er in Kalifornien und heiratete dort 1939 Lilian Zellerbach, die Tochter eines Papierfabrikanten. Während dieser Zeit arbeitete er bereits als Kunstkritiker für den San Francisco Chronicle und wurde noch im gleichen Jahr auch Assistent am San Francisco Museum of Modern Art, wo er eine Ausstellung des mexikanischen Malers Diego Rivera vorbereitete und dabei Rivera und dessen Frau Frida Kahlo kennenlernte, mit der er 1940 wohl eine kurze aber heftige Affäre hatte, nach der er, wie er selbst gerne erzählte, eigentlich in jedem Interview gefragt würde.
Weil ich das wusste, fragte ich ihn nicht, während wir eine halbe Stunde plaudernd durch die Räume gingen. Als er dies erfreut am Ende nochmal erfreut feststellte, sagte ich, wenn sie nur halb so leidenschaftlich war, wie sie malte, wird es wunderbar gewesen sein, was soll ein Mann dazu sagen und er zwinkerte mir lachend zu. Frida Kahlo heiratete Rivera nach dieser Affäre ein zweites mal, während sich Berggruen von seiner ersten Frau, mit der er zwei Kinder hatte, trennte, später noch eine andere Malerin heiratete und wiederum zwei Kinder hatte. Der Sohn aus dieser Ehe, Nicolas Berggruen, wurde als Retter von Karstadt im Land bekannt, aber das ist ja hier weniger Thema.
Gerade noch rechtzeitig holte Berggruen seine Eltern 1939 aus Deutschland, die das Land auf der St. Louis, einem Passagierschiff der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) verließen, dass die Strecke nach New York fuhr und in der Bremer Vulkan Werft gebaut wurde, die es auch längst nicht mehr gibt und bei der ich mein erstes Geld in Aktien verlor, was ich besser in Kunst oder Bücher angelegt hätte, weil ich von Geld noch weniger verstehe, im Gegensatz zu Berggruens Sohn. Die Eltern flüchteten zuerst nach England und erst 1942 konnte er sie in die USA holen.
Sein erstes Bild kaufte der später große Händler und Mäzen 1940 in Chicago. Dort erwarb er von deutschen Emigranten für 100$ das Aquarell Perspektive-Spuk von Paul Klee. Dies sollte ihn 40 Jahre als Talisman begleiten und er behielt seinen guten Riecher.
Im Zweiten Weltkriege kam Berggruen, inzwischen längst Amerikaner, als Sergeant der US-Army nach Europa. Nach dessen Ende arbeitete er kurzzeitig als Mitherausgeber der Kunstzeitschrift Heute in München, was er später noch als den Höhepunkt seines journalistischen Schaffens bezeichnete. Kurz darauf veröffentlichte er unter Mithilfe des Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt seine Glossen unter dem Titel Angekreidet, was er dann den Schlußstein seiner Laufbahn als Journalist nannte.
Von München aus zog es ihn nach Paris, wo er Mitarbeiter der Kulturabteilung der UNESCO wurde und sich ab 1947 als Kunsthändler Rue de l’Université am linken Seine Ufer niederließ. Wie es dazu kam, konnte er später nicht mehr so genau sagen. Es sei wohl eine Reihe großer Zufälle oder Schicksal gewesen, was ihn zur Kunst trieb. Dabei begann er ohne jedes Kapital oder Sponsoren und verließ sich allein auf seine Intuition und seinen Enthusiasmus. Dieser führte auch dazu, dass der dadaistische Dichter Tristan Tzara ihn 1949 Pablo Picasso vorstellte. Die beiden waren sich sofort sympathisch, wurden Freunde und blieben es. Der Spanier machte Berggruen zu seinem Händler.
Die Sammlung von Berggruen konzentrierte sich auf Picasso, Matisse, Klee, Cézanne, Chagall und Miró, von denen er bis auf Klee und Cézanne alle persönlich gut kannte. Diese Konzentration auf wenige Meister begründete seinen Erfolg als Sammler. Er wurde damit zu einem der Wegbereiter der Moderne. So entdeckte er etwa die Bedeutung der Scherenschnitte des älteren Matisse, für die sich noch niemand interessiert hatte und seine Sammlung wurde eine der bedeutendsten der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Es war im Januar 1991 schließlich, als es zu dem schicksalsträchtigen Zusammentreffen von Wolf-Dieter Dube, dem damaligen Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, und Heinz Berggruen in London kam, wo gerade eine auf fünf Jahre befristete Ausstellung der Sammlung Berggruen in der Londoner National Gallery begonnen hatte. Dube schaffte es Berggruen zu einem Besuch in seiner Geburtsstadt Berlin zu überreden, woraus schließlich seine Rückkehr mit 113 Meisterwerken der Sammlung im Jahre 1996 nach Berlin wurde.
Für diese Rückkehr des großen Sammlers in die Heimat wurde der Stülerbau gegenüber dem Schloss Charlottenburg, heute als Museum Berggruen bekannt, zur Verfügung gestellt und die Stadt wurde um eine ihrer schönsten Attraktionen reicher, die noch manchen nach sich zog. So etwa überredete Berggruenn auch seinen alten Freund Helmut Newton seine Sammlung der Heimat zu schenken und begründete damit das Museum für Fotografie am Bahnhof Zoo. Am 21. Dezember 2000 schließlich verkaufte Berggruen seine auf etwa 750 Millionen Euro geschätzte Sammlung für nur 126 Millionen Euro an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Hoffnung, dass private Mäzene einzelne Werke kaufen würden, um sie der Stiftung zu schenken, trog leider. Berggruen blieb auf den Kosten sitzen und versteigerte schließlich fünf Cézannes und zwei Van Goghs, die jedoch leider auch nur etwas mehr als die Hälfte der zuvor von Experten geschätzten 120 Millionen Dollar erzielten.
In den letzten Jahren lebte Heinz Berggruen abwechselnd in seinen Wohnungen in Paris, direkt am Jardin du Luxembourg, in der Schweiz und in Paris. Der Zugang zu seiner Berliner Wohnung war direkt über den Ausstellungsräumen, von dort kam er auch, als ich ihn traf, wollte eigentlich im Schlosspark spazieren gehen und dann haben wir einen langen Moment geplaudert, der für mich noch Stunden hätte weitergehen können.
In seinem letzten Lebensjahrzehnt veröffentlichte Berggruen wieder Glossen in der nun Frankfurter Allgemein Zeitung, wie er es schon in den 30ern in deren Vorgängerblatt allerdings aus politischen Gründen anonym getan hatte. Die Sammlung dieser Glossen erschien als eine wunderbare bibliophile Reihe im Wagenbach Verlag. Mit diesen Geschichten im Hinterkopf oder in der Hand erläuft sich die Sammlung noch ganz anders, wird plötzlich ganz vertraut, eben der Besuch alter Freunde.
Wenige Wochen nach der Party zu seinem 93. Geburtstag starb Heinz Berggruen 2007 in Paris und wurde auf eigenen Wunsch hin, auf dem Waldfriedhof in Berlin-Dahlem beigesetzt, wo ihm die Stadt zumindest ein Ehrengrab zuteil werden ließ. An der Trauerfeier nahmen die höchsten Repräsentanten des Staates teil, wie der damalige Bundespräsident Köhler, Kanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier der ehemalige Kulturstaatsminister Naumann und die Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Generaldirektoren der Staatlichen Museen, eine Enkelin Picassos, der Kunstsammler Flick und der französische Botschafter neben der Familie Heinz Berggruens.
Wer den wunderbaren weißen Stülerbau betritt, sieht gleich einen Giacometti vor sich, bevor er zum Erwerb der Eintrittskarte nach links abbiegt oder rechts im Museumsshop verschwindet, die stets ein großes Angebot von Berggruens Schriften vorrätig haben. Wer Berggruen verstehen will, sollte ihn lesen, wo das Zuhören leider nicht mehr geht, wie er in seinen Essays ein so wunderbares Panomara aus Kennerschaft und Liebe zugleich entfaltet. Er nähert sich der Kunst mit Zärtlichkeit und steht in persönlicher Beziehung zu ihr, wie zu den allermeisten der Maler seiner Sammlung. Ein kleiner Ersatz ist der Audioguide, auf dem auch Berggruen gelegentlich selbst erzählt.
Zentrum der Sammlung Berggruen ist mit über 100 Exponaten das Werk Picassos, sowie die besonderen Bilder Pauls Klees, von denen über 60 gezeigt werden. Auch Henri Matisse ist mit mehr als 20 Werken noch zahlreich vertreten und so findet sich ein wunderbarer Spiegel der klassischen Moderne, die aufbrach, die Welt neu zu sehen. Ein weiterer Höhepunkt sind die verteilt stehenden schlanken Werke des großen Giacometti, die noch von afrikanischen Skulpturen ergänzt werden, mit denen sich die Vielfalt der Einflüsse zeigt, die in der Moderne ihr Echo fanden, als sie aufbrach die Welt neu zu sehen.
Ging gerade die Treppe in der Rotunde hinauf, um mir in der oberen Etage die Klees und die Giacomettis anzusehen, als ich Heinz Berggruen traf und ihm ein wenig schüchtern aber sehr freundlich und vor allem voller Bewunderung zunickte. Irgendwas war in diesem Moment sehr vertraut zwischen uns, ohne dass ich sagen könnte, was es war. Natürlich hatte ich einiges über ihn gelesen, kannte seine Vita ein wenig, wusste um seine Großzügigkeit, die er seiner Heimat trotz der Vertreibung in der dunkelsten Zeit Deutschlands noch erwies - aber hätte ich ihn auf der Straße erkannt, wüsste ich an der Kasse des Supermarktes wer der feine Alte da vor mir war?
Habe ein ausgesprochen schlechtes Gedächtnis für Gesichter, häufiger schauen mich Leute an verschiedensten Orten länger an, ohne dass es dafür einen Anlass in meinem Verhalten gäbe und nicken mir, wenn ich den Blick erwidere, sehr freundlich zu. In den meisten Fällen nicke ich ebenso freundlich nur eben völlig ahnungslos zurück, weil ich mich normalerweise an kein Gesicht genau erinnere, es sei denn ich habe eine Frau schon mal geküsst oder kenne jemanden durch Wiederholung näher - aber auch in diesen Fällen bin ich schon der Lückenhaftigkeit meines sehr schwachen Gedächtnisses überführt worden. Nicht mal, wenn ich einer Frau schon so nah war, wie ich überhaupt nur sein kann, rein physisch betrachtet, sie mir sogar emotional mal sehr nah war, erkannte ich sie sicher, übersah ich sie schon beinahe, in Gedanken versunken beim Flanieren durch die Straßen. Wie neulich eine von mir einst sehr geliebte und geschätzte Ärztin als sie mit einer Freundin aus Brandenburg ein benachbartes Café verließ und ich sie unter lauter Mütze und Mantel erst auf lauten Zuruf hin erkannte.
Ob ich also den feinen Herrn Berggruen so sicher auch andernorts erkannte hätte, war also keineswegs gewiss. Hier jedoch im Stülerbau, in dessen oberer Etage er lebte mit Blick auf Schloss Charlottenburg und wo er auch mit den Tauben, besonders der einen weißen, die er als Gesandte Picassos identifizierte, Freundschaft schloss, wusste ich, er musste es sein, sonst wohnte ja keiner hier.
“Gefällt es ihnen?”, fragte er mich, bevor ich den letzten Schritt die Treppe hinauf tat, um in der Klee-Etage zu verschwinden. Er stand noch zwei Stufen über mir, wir waren so auf Augenhöhe. Wusste sofort, was er meinte, auch wenn die Frage sehr offen und unpräzise war - viellleicht fühlte er auch diese irgendwie vertraute Nähe, ohne sich zu kennen.
“Sage ich nun großartig, klingt es abgedroschen. Superlative sind meist so ungenau wie längst gewöhnlich. Ja, ich fühle mich sehr wohl hier, ich glaube ich liebe diese Bilder irgendwie” und bei diesen Worten lächelte er.
“Kennen wir uns?”, fragte er endlich, was ich auch dachte, weil es sich so anfühlte und doch wusste ich leider genau, dem war nicht so.
“Zu gerne, würde ich jetzt Ja sagen, als Bewunderer und Leser, kommen sie mir natürlich bekannt vor, aber tatsächlich sehe ich sie gerade das erste mal”, verbeugte mich leicht, stellte mich vor. Er horchte bei meinem Nachnamen auf, aber ein Licht ging ihm dabei wohl auch nicht auf, woher auch?
“Zumindest kommen sie mir bekannt vor”, blieb er noch beim Thema.
“Auch da muss ich sie vermutlich enttäuschen, bin nur ein ganz unbedeutender Bewunderer. Glaube mein Großvater kannte sie aus Paris, hat er mal erwähnt.”
“Er war in meiner Galerie?”
“Vermutlich oder von irgendeinem Empfang, er war eine zeitlang für die NATO als Diplomat dort.”
“Erinnere ich jetzt nicht so genau. Sehen sie sich ähnlich?”
“Eher weniger, er war viel kleiner als ich. Ganz anderer Typ, vielleicht die Nase noch ähnlich”, lachte ich ihn an. Erzählte ihm ein wenig von meinem Großvater, der Grotepater genannt wurde, in den 20ern nach Paris zum Studium ging, wohl auch Picasso und Miller traf, aber da immer sehr unpräzise und allgemein in seinen Aussagen blieb, so genau ich auch nachfragte. Klar kannte ich die, hatte er gesagt und jeder wusste, wo sie zu treffen waren.
“Sammelte er Kunst??”
“Eher Antiquitäten mit bescheidenen Mitteln zum Hausgebrauch. Ein Ururgroßvater von mir sammelte einst Kupferstiche und Handzeichungen als Hofbibliothekar zu Gotha.”
“Existiert die Sammlung noch?”, fragte er plötzlich neugierig.
“Ja, mein Vater verwaltet sie nun, sein Alterswerk neben dem Studium der Kunstgeschichte. Aber eher Alte Meister und nichts besonderes, eher nebenbei, er sammelte für den Herzog.”
“Das gefällt mir. So fängt es oft über Umwege an.”
“Wie mit ihrem ersten Klee in Chicago?”
“Ach, sie kennen die Geschichte, ja, auch eher ein Zufall aber ich wollte ihn sofort. Und sie?”
“Schreibe nur ein wenig und liebe die Kunst ohne wirkliche Ahnung.”
“Die Liebe ist immer die beste Voraussetzung, so fing es bei mir auch an.”
“Wollte sie nicht stören…”
“Ach was, ich habe doch sie angesprochen, wollte gerade spazieren gehen. Freue mich immer, wenn ich mit Besuchern reden kann.”
“Wollen wir noch ein wenig zusammen schauen?”
“Ja, warum nicht? Sie sind ja nicht zum plaudern mit alten Herren hier”, lachte er wunderbar selbstironisch, “lassen sie uns zusammen einige Bilder ansehen, solange sie nicht die üblichen Fragen stellen.”
“Nach Frida Kahlo?”, lachte ich in Erinnerung seiner Worte dazu.
“Sehr gut. Genau.”
Dann redeten wir natürlich doch darüber, ohne dass ich die Frage je stellte, aber davon wurde ja schon oben berichtet.
Hielt ihm die Tür auf und wir schlenderten an den Bildern entlang, blieben stehen, zwischendurch fragte er, was ich da oder dort sehe, dann erzählte er kleine Geschichten, wie ich schon manche gelesen hatte, wies mich auf Dinge hin.
“Nun habe ich sie lange genug aufgehalten. Schauen sie in Ruhe, wir treffen uns bestimmt noch mal und ich mache jetzt meinen Spaziergang”, verabschiedete er sich schließlich.
“Würde gerne noch stundenlang hier mit ihnen weiter plaudern. Es ist unglaublich schön, ihre Geschichten zu hören, alles, was ich bisher nur las.”
“Ach was, schauen sie und genießen sie, beim nächsten mal mehr” verabschiedete er sich lachend. Hielt ihm noch die Tür auf und er winkte kurz zum Abschied und ich schlenderte noch die eine oder andere Stunde durch sein Museum, erfüllt von diesem kleinen historischen Geplauder.
Es hängt so viel an großer Kunst in den Räumen des Stülerbaus, dieser bedeutendsten Sammlung der klassischen Moderne zumindest in unserem Land und es gäbe so viele Geschichten zu jedem einzelnen Bild zu erzählen, dass es diesen kleinen Rahmen wohl sprengte. Viel zu wenig weiß ich als bloßer Besucher und Bewunderer, um darüber große Neuigkeiten zu erzählen. Immer stehe ich lange vor Matisse Seilspringer wie angezogen von der Bewegung in diesem schlichten Bild voll wunderbarem Blau. Die Picassos wären in so vielem noch kleine Geschichten, denke ich etwa an das strenge Bild seines Sekretärs, in dem sich auch so viel Humor verbirgt in seinem blau und doch will ich es bei dieser kleinen Geschichte aus dem Leben Berlins bei der überraschenden Begegnung mit einem großen Mann belassen.
Seine Freude und immer noch spürbare Leidenschaft, mit der er sich seinen Bildern verbunden fühlt, die er so großzügig an seine Geburtsstadt gab, die ihm erst im hohen Alter für eine Decade auch wieder Heimat wurde, ist spürbar beim Gang durch das Haus. Hier lohnt sich, wie schon erwähnt, auch der Audioguide immer wieder, um teilweise Heinz Berggruen im O-Ton von seiner Kunst erzählen zu hören, als wäre er noch da. Wir trafen uns leider nie wieder, ein Jahr etwa nach unserer Begegnung starb er und auch wenn ich in der Zwischenzeit noch häufig sein Museum besuchte, wollte es der Zufall kein zweites mal. Für so bedeutend, dass ich ihn gestört hätte, hielt ich mich nicht und genoss so die Erinnerung an die einmalige Begegnung und die halbe Stunde vielleicht, die wir durch die obere Etage schlenderten, als Flaneure des Glücks an diesem wunderbaren Ort, reicher durch seine Geschichten.
Immer, wenn ich nun dort bin, oder eines seiner Bücher in den Händen halte, denke ich daran - wie viel hätte ich ihn gerne noch gefragt, ließ es in meiner Überraschung, er fragte mehr als ich und ich war ja quasi bei ihm zu Gast, da überließ ich ihm den Gang der Dinge und freute mich an den kleinen Geschichten, die vielleicht mal Teil eines Buches werden. Doch würde ich jedem, der ihn erspüren will, den Besuch in seinem Museum empfehlen, lieber seine Bücher als mich zu lesen. Hingehen und sich verführen lassen an diesem Ort voller Sinnlichkeit, die in der großen Kunst der klassischen Moderne lebendig ist.
jens tuengerthal 11.3.2017
Es war einmal ein Land, dass vertrieb einen angehenden Journalisten und später auch seine Eltern aus ihrer Heimat, brachte Millionen seines Volkes auf bestialische Weise um, behandelte sie nicht wie Menschen sondern als Vieh und der Mann, der mit bloßem Instinkt zu einem der wichtigsten Kunsthändler und Sammler der klassischen Moderne wurde, eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt sein eigen nannte, verkaufte diese am Ende seines Lebens für einen nur kleinen Bruchteil ihres Wertes an seine Heimatstadt, um seine Erben nicht zu berauben, tat dies als Geste der Versöhnung, schenkte der Stadt, die Hauptstadt dieses Landes inzwischen wieder wurde, noch weitere Kunstwerke und Figuren, wohnte sogar in dem Museum, wenn er in der Stadt bei seinen liebsten Werken war und diese Gunst werden später seine Erben nach seinem Tod noch fortsetzen, obwohl sich die Stadt wie immer lange gewunden hat, ihn überhaupt zu ihrem Ehrenbürger zu machen. Und am Ende hatte die Stadt ein Museum mit der wohl schönsten Sammlung der klassischen Moderne und konnte sie ihr eigen nennen.
Klingt wie ein Märchen?
Ist es auch in vielem fast und doch die wirkliche Geschichte der Sammlung Berggruen und des großen Sammlers und Händlers Heinz Berggruen, der 1914 in Berlin-Wilmersdorf geborene Sohn jüdischer Eltern, erlebte genau das.
Mochte die Sammlung Berggruen vom ersten Besuch an, auch wenn mir der Zugang zur Moderne früher schwer fiel, ich die Alten Meister in der Gemäldegalerie eher schätzte - dort blühte die Begeisterung sofort und als ich dann in Ruhe vor den Meisterwerken flanierend noch eines Tages den Stifter und Namensgeber Heinz Berggruen traf, der ja seine Wohnung in der oberen Etage des Stülerbaus gegenüber dem Schloss Charlottenburg bewohnte, wenn er in Berlin weilte, wurde die Faszination zur Liebe. Was für ein Mann und was für eine Kunstgeschichte.
Doch der Reihe nach, wie kam es dazu und was ging dem voraus, warum ist diese Geste eines großen Menschen ein solch besonderes Glück für Berlin?
Die Nationalsozialisten hatten dem Vertriebenen Berggruen sogar die deutsche Staatsangehörigkeit noch entzogen und dennoch kehrte er 60 Jahre nach seiner Emigration, die 1936 erzwungen wurde, wieder nach Deutschland zurück und zeigte von sich aus, nach einem Gespräch mit dem Direktor der Staatlichen Galerien zu Berlin in London, wo er seine Sammlung gerade ausstellen ließ, eben diese Geste der Versöhnung, indem er seine Sammlung weit unter Preis anbot.
Nach dem Abitur in Wilmersdorf hatte Berggruen an der Humboldt Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte studiert, seine Studien später noch an der Universität in Grenoble und Toulouse fortgesetzt, sein französisch immer weiter verbessert, bis dies zu seiner ersten Sprache wurde. Doch seine Mutter holte ihn, trotz der inzwischen Machtübernahme der Nationalsozialisten zurück nach Deutschland, weil sie glaubte dieser Hilter wäre nur eine kurze Episode, wo er nach seinem Magister ein Volontariat bei der Jüdischen Wochenzeitung begann mit dem Berufsziel Journalist und Schriftsteller. Ab 1935 schrieb er für kurze Zeit auch für die Frankfurter Zeitung, doch durften dort seine Artikel aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht mehr unter seinem Namen erscheinen und wurden nur mit seinen Initialien gekennzeichnet.
Als er 1936 ein einjähriges Stipendium an der Berkeley University erhielt, blieb er in Kalifornien und heiratete dort 1939 Lilian Zellerbach, die Tochter eines Papierfabrikanten. Während dieser Zeit arbeitete er bereits als Kunstkritiker für den San Francisco Chronicle und wurde noch im gleichen Jahr auch Assistent am San Francisco Museum of Modern Art, wo er eine Ausstellung des mexikanischen Malers Diego Rivera vorbereitete und dabei Rivera und dessen Frau Frida Kahlo kennenlernte, mit der er 1940 wohl eine kurze aber heftige Affäre hatte, nach der er, wie er selbst gerne erzählte, eigentlich in jedem Interview gefragt würde.
Weil ich das wusste, fragte ich ihn nicht, während wir eine halbe Stunde plaudernd durch die Räume gingen. Als er dies erfreut am Ende nochmal erfreut feststellte, sagte ich, wenn sie nur halb so leidenschaftlich war, wie sie malte, wird es wunderbar gewesen sein, was soll ein Mann dazu sagen und er zwinkerte mir lachend zu. Frida Kahlo heiratete Rivera nach dieser Affäre ein zweites mal, während sich Berggruen von seiner ersten Frau, mit der er zwei Kinder hatte, trennte, später noch eine andere Malerin heiratete und wiederum zwei Kinder hatte. Der Sohn aus dieser Ehe, Nicolas Berggruen, wurde als Retter von Karstadt im Land bekannt, aber das ist ja hier weniger Thema.
Gerade noch rechtzeitig holte Berggruen seine Eltern 1939 aus Deutschland, die das Land auf der St. Louis, einem Passagierschiff der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) verließen, dass die Strecke nach New York fuhr und in der Bremer Vulkan Werft gebaut wurde, die es auch längst nicht mehr gibt und bei der ich mein erstes Geld in Aktien verlor, was ich besser in Kunst oder Bücher angelegt hätte, weil ich von Geld noch weniger verstehe, im Gegensatz zu Berggruens Sohn. Die Eltern flüchteten zuerst nach England und erst 1942 konnte er sie in die USA holen.
Sein erstes Bild kaufte der später große Händler und Mäzen 1940 in Chicago. Dort erwarb er von deutschen Emigranten für 100$ das Aquarell Perspektive-Spuk von Paul Klee. Dies sollte ihn 40 Jahre als Talisman begleiten und er behielt seinen guten Riecher.
Im Zweiten Weltkriege kam Berggruen, inzwischen längst Amerikaner, als Sergeant der US-Army nach Europa. Nach dessen Ende arbeitete er kurzzeitig als Mitherausgeber der Kunstzeitschrift Heute in München, was er später noch als den Höhepunkt seines journalistischen Schaffens bezeichnete. Kurz darauf veröffentlichte er unter Mithilfe des Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt seine Glossen unter dem Titel Angekreidet, was er dann den Schlußstein seiner Laufbahn als Journalist nannte.
Von München aus zog es ihn nach Paris, wo er Mitarbeiter der Kulturabteilung der UNESCO wurde und sich ab 1947 als Kunsthändler Rue de l’Université am linken Seine Ufer niederließ. Wie es dazu kam, konnte er später nicht mehr so genau sagen. Es sei wohl eine Reihe großer Zufälle oder Schicksal gewesen, was ihn zur Kunst trieb. Dabei begann er ohne jedes Kapital oder Sponsoren und verließ sich allein auf seine Intuition und seinen Enthusiasmus. Dieser führte auch dazu, dass der dadaistische Dichter Tristan Tzara ihn 1949 Pablo Picasso vorstellte. Die beiden waren sich sofort sympathisch, wurden Freunde und blieben es. Der Spanier machte Berggruen zu seinem Händler.
Die Sammlung von Berggruen konzentrierte sich auf Picasso, Matisse, Klee, Cézanne, Chagall und Miró, von denen er bis auf Klee und Cézanne alle persönlich gut kannte. Diese Konzentration auf wenige Meister begründete seinen Erfolg als Sammler. Er wurde damit zu einem der Wegbereiter der Moderne. So entdeckte er etwa die Bedeutung der Scherenschnitte des älteren Matisse, für die sich noch niemand interessiert hatte und seine Sammlung wurde eine der bedeutendsten der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Es war im Januar 1991 schließlich, als es zu dem schicksalsträchtigen Zusammentreffen von Wolf-Dieter Dube, dem damaligen Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, und Heinz Berggruen in London kam, wo gerade eine auf fünf Jahre befristete Ausstellung der Sammlung Berggruen in der Londoner National Gallery begonnen hatte. Dube schaffte es Berggruen zu einem Besuch in seiner Geburtsstadt Berlin zu überreden, woraus schließlich seine Rückkehr mit 113 Meisterwerken der Sammlung im Jahre 1996 nach Berlin wurde.
Für diese Rückkehr des großen Sammlers in die Heimat wurde der Stülerbau gegenüber dem Schloss Charlottenburg, heute als Museum Berggruen bekannt, zur Verfügung gestellt und die Stadt wurde um eine ihrer schönsten Attraktionen reicher, die noch manchen nach sich zog. So etwa überredete Berggruenn auch seinen alten Freund Helmut Newton seine Sammlung der Heimat zu schenken und begründete damit das Museum für Fotografie am Bahnhof Zoo. Am 21. Dezember 2000 schließlich verkaufte Berggruen seine auf etwa 750 Millionen Euro geschätzte Sammlung für nur 126 Millionen Euro an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Hoffnung, dass private Mäzene einzelne Werke kaufen würden, um sie der Stiftung zu schenken, trog leider. Berggruen blieb auf den Kosten sitzen und versteigerte schließlich fünf Cézannes und zwei Van Goghs, die jedoch leider auch nur etwas mehr als die Hälfte der zuvor von Experten geschätzten 120 Millionen Dollar erzielten.
In den letzten Jahren lebte Heinz Berggruen abwechselnd in seinen Wohnungen in Paris, direkt am Jardin du Luxembourg, in der Schweiz und in Paris. Der Zugang zu seiner Berliner Wohnung war direkt über den Ausstellungsräumen, von dort kam er auch, als ich ihn traf, wollte eigentlich im Schlosspark spazieren gehen und dann haben wir einen langen Moment geplaudert, der für mich noch Stunden hätte weitergehen können.
In seinem letzten Lebensjahrzehnt veröffentlichte Berggruen wieder Glossen in der nun Frankfurter Allgemein Zeitung, wie er es schon in den 30ern in deren Vorgängerblatt allerdings aus politischen Gründen anonym getan hatte. Die Sammlung dieser Glossen erschien als eine wunderbare bibliophile Reihe im Wagenbach Verlag. Mit diesen Geschichten im Hinterkopf oder in der Hand erläuft sich die Sammlung noch ganz anders, wird plötzlich ganz vertraut, eben der Besuch alter Freunde.
Wenige Wochen nach der Party zu seinem 93. Geburtstag starb Heinz Berggruen 2007 in Paris und wurde auf eigenen Wunsch hin, auf dem Waldfriedhof in Berlin-Dahlem beigesetzt, wo ihm die Stadt zumindest ein Ehrengrab zuteil werden ließ. An der Trauerfeier nahmen die höchsten Repräsentanten des Staates teil, wie der damalige Bundespräsident Köhler, Kanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier der ehemalige Kulturstaatsminister Naumann und die Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Generaldirektoren der Staatlichen Museen, eine Enkelin Picassos, der Kunstsammler Flick und der französische Botschafter neben der Familie Heinz Berggruens.
Wer den wunderbaren weißen Stülerbau betritt, sieht gleich einen Giacometti vor sich, bevor er zum Erwerb der Eintrittskarte nach links abbiegt oder rechts im Museumsshop verschwindet, die stets ein großes Angebot von Berggruens Schriften vorrätig haben. Wer Berggruen verstehen will, sollte ihn lesen, wo das Zuhören leider nicht mehr geht, wie er in seinen Essays ein so wunderbares Panomara aus Kennerschaft und Liebe zugleich entfaltet. Er nähert sich der Kunst mit Zärtlichkeit und steht in persönlicher Beziehung zu ihr, wie zu den allermeisten der Maler seiner Sammlung. Ein kleiner Ersatz ist der Audioguide, auf dem auch Berggruen gelegentlich selbst erzählt.
Zentrum der Sammlung Berggruen ist mit über 100 Exponaten das Werk Picassos, sowie die besonderen Bilder Pauls Klees, von denen über 60 gezeigt werden. Auch Henri Matisse ist mit mehr als 20 Werken noch zahlreich vertreten und so findet sich ein wunderbarer Spiegel der klassischen Moderne, die aufbrach, die Welt neu zu sehen. Ein weiterer Höhepunkt sind die verteilt stehenden schlanken Werke des großen Giacometti, die noch von afrikanischen Skulpturen ergänzt werden, mit denen sich die Vielfalt der Einflüsse zeigt, die in der Moderne ihr Echo fanden, als sie aufbrach die Welt neu zu sehen.
Ging gerade die Treppe in der Rotunde hinauf, um mir in der oberen Etage die Klees und die Giacomettis anzusehen, als ich Heinz Berggruen traf und ihm ein wenig schüchtern aber sehr freundlich und vor allem voller Bewunderung zunickte. Irgendwas war in diesem Moment sehr vertraut zwischen uns, ohne dass ich sagen könnte, was es war. Natürlich hatte ich einiges über ihn gelesen, kannte seine Vita ein wenig, wusste um seine Großzügigkeit, die er seiner Heimat trotz der Vertreibung in der dunkelsten Zeit Deutschlands noch erwies - aber hätte ich ihn auf der Straße erkannt, wüsste ich an der Kasse des Supermarktes wer der feine Alte da vor mir war?
Habe ein ausgesprochen schlechtes Gedächtnis für Gesichter, häufiger schauen mich Leute an verschiedensten Orten länger an, ohne dass es dafür einen Anlass in meinem Verhalten gäbe und nicken mir, wenn ich den Blick erwidere, sehr freundlich zu. In den meisten Fällen nicke ich ebenso freundlich nur eben völlig ahnungslos zurück, weil ich mich normalerweise an kein Gesicht genau erinnere, es sei denn ich habe eine Frau schon mal geküsst oder kenne jemanden durch Wiederholung näher - aber auch in diesen Fällen bin ich schon der Lückenhaftigkeit meines sehr schwachen Gedächtnisses überführt worden. Nicht mal, wenn ich einer Frau schon so nah war, wie ich überhaupt nur sein kann, rein physisch betrachtet, sie mir sogar emotional mal sehr nah war, erkannte ich sie sicher, übersah ich sie schon beinahe, in Gedanken versunken beim Flanieren durch die Straßen. Wie neulich eine von mir einst sehr geliebte und geschätzte Ärztin als sie mit einer Freundin aus Brandenburg ein benachbartes Café verließ und ich sie unter lauter Mütze und Mantel erst auf lauten Zuruf hin erkannte.
Ob ich also den feinen Herrn Berggruen so sicher auch andernorts erkannte hätte, war also keineswegs gewiss. Hier jedoch im Stülerbau, in dessen oberer Etage er lebte mit Blick auf Schloss Charlottenburg und wo er auch mit den Tauben, besonders der einen weißen, die er als Gesandte Picassos identifizierte, Freundschaft schloss, wusste ich, er musste es sein, sonst wohnte ja keiner hier.
“Gefällt es ihnen?”, fragte er mich, bevor ich den letzten Schritt die Treppe hinauf tat, um in der Klee-Etage zu verschwinden. Er stand noch zwei Stufen über mir, wir waren so auf Augenhöhe. Wusste sofort, was er meinte, auch wenn die Frage sehr offen und unpräzise war - viellleicht fühlte er auch diese irgendwie vertraute Nähe, ohne sich zu kennen.
“Sage ich nun großartig, klingt es abgedroschen. Superlative sind meist so ungenau wie längst gewöhnlich. Ja, ich fühle mich sehr wohl hier, ich glaube ich liebe diese Bilder irgendwie” und bei diesen Worten lächelte er.
“Kennen wir uns?”, fragte er endlich, was ich auch dachte, weil es sich so anfühlte und doch wusste ich leider genau, dem war nicht so.
“Zu gerne, würde ich jetzt Ja sagen, als Bewunderer und Leser, kommen sie mir natürlich bekannt vor, aber tatsächlich sehe ich sie gerade das erste mal”, verbeugte mich leicht, stellte mich vor. Er horchte bei meinem Nachnamen auf, aber ein Licht ging ihm dabei wohl auch nicht auf, woher auch?
“Zumindest kommen sie mir bekannt vor”, blieb er noch beim Thema.
“Auch da muss ich sie vermutlich enttäuschen, bin nur ein ganz unbedeutender Bewunderer. Glaube mein Großvater kannte sie aus Paris, hat er mal erwähnt.”
“Er war in meiner Galerie?”
“Vermutlich oder von irgendeinem Empfang, er war eine zeitlang für die NATO als Diplomat dort.”
“Erinnere ich jetzt nicht so genau. Sehen sie sich ähnlich?”
“Eher weniger, er war viel kleiner als ich. Ganz anderer Typ, vielleicht die Nase noch ähnlich”, lachte ich ihn an. Erzählte ihm ein wenig von meinem Großvater, der Grotepater genannt wurde, in den 20ern nach Paris zum Studium ging, wohl auch Picasso und Miller traf, aber da immer sehr unpräzise und allgemein in seinen Aussagen blieb, so genau ich auch nachfragte. Klar kannte ich die, hatte er gesagt und jeder wusste, wo sie zu treffen waren.
“Sammelte er Kunst??”
“Eher Antiquitäten mit bescheidenen Mitteln zum Hausgebrauch. Ein Ururgroßvater von mir sammelte einst Kupferstiche und Handzeichungen als Hofbibliothekar zu Gotha.”
“Existiert die Sammlung noch?”, fragte er plötzlich neugierig.
“Ja, mein Vater verwaltet sie nun, sein Alterswerk neben dem Studium der Kunstgeschichte. Aber eher Alte Meister und nichts besonderes, eher nebenbei, er sammelte für den Herzog.”
“Das gefällt mir. So fängt es oft über Umwege an.”
“Wie mit ihrem ersten Klee in Chicago?”
“Ach, sie kennen die Geschichte, ja, auch eher ein Zufall aber ich wollte ihn sofort. Und sie?”
“Schreibe nur ein wenig und liebe die Kunst ohne wirkliche Ahnung.”
“Die Liebe ist immer die beste Voraussetzung, so fing es bei mir auch an.”
“Wollte sie nicht stören…”
“Ach was, ich habe doch sie angesprochen, wollte gerade spazieren gehen. Freue mich immer, wenn ich mit Besuchern reden kann.”
“Wollen wir noch ein wenig zusammen schauen?”
“Ja, warum nicht? Sie sind ja nicht zum plaudern mit alten Herren hier”, lachte er wunderbar selbstironisch, “lassen sie uns zusammen einige Bilder ansehen, solange sie nicht die üblichen Fragen stellen.”
“Nach Frida Kahlo?”, lachte ich in Erinnerung seiner Worte dazu.
“Sehr gut. Genau.”
Dann redeten wir natürlich doch darüber, ohne dass ich die Frage je stellte, aber davon wurde ja schon oben berichtet.
Hielt ihm die Tür auf und wir schlenderten an den Bildern entlang, blieben stehen, zwischendurch fragte er, was ich da oder dort sehe, dann erzählte er kleine Geschichten, wie ich schon manche gelesen hatte, wies mich auf Dinge hin.
“Nun habe ich sie lange genug aufgehalten. Schauen sie in Ruhe, wir treffen uns bestimmt noch mal und ich mache jetzt meinen Spaziergang”, verabschiedete er sich schließlich.
“Würde gerne noch stundenlang hier mit ihnen weiter plaudern. Es ist unglaublich schön, ihre Geschichten zu hören, alles, was ich bisher nur las.”
“Ach was, schauen sie und genießen sie, beim nächsten mal mehr” verabschiedete er sich lachend. Hielt ihm noch die Tür auf und er winkte kurz zum Abschied und ich schlenderte noch die eine oder andere Stunde durch sein Museum, erfüllt von diesem kleinen historischen Geplauder.
Es hängt so viel an großer Kunst in den Räumen des Stülerbaus, dieser bedeutendsten Sammlung der klassischen Moderne zumindest in unserem Land und es gäbe so viele Geschichten zu jedem einzelnen Bild zu erzählen, dass es diesen kleinen Rahmen wohl sprengte. Viel zu wenig weiß ich als bloßer Besucher und Bewunderer, um darüber große Neuigkeiten zu erzählen. Immer stehe ich lange vor Matisse Seilspringer wie angezogen von der Bewegung in diesem schlichten Bild voll wunderbarem Blau. Die Picassos wären in so vielem noch kleine Geschichten, denke ich etwa an das strenge Bild seines Sekretärs, in dem sich auch so viel Humor verbirgt in seinem blau und doch will ich es bei dieser kleinen Geschichte aus dem Leben Berlins bei der überraschenden Begegnung mit einem großen Mann belassen.
Seine Freude und immer noch spürbare Leidenschaft, mit der er sich seinen Bildern verbunden fühlt, die er so großzügig an seine Geburtsstadt gab, die ihm erst im hohen Alter für eine Decade auch wieder Heimat wurde, ist spürbar beim Gang durch das Haus. Hier lohnt sich, wie schon erwähnt, auch der Audioguide immer wieder, um teilweise Heinz Berggruen im O-Ton von seiner Kunst erzählen zu hören, als wäre er noch da. Wir trafen uns leider nie wieder, ein Jahr etwa nach unserer Begegnung starb er und auch wenn ich in der Zwischenzeit noch häufig sein Museum besuchte, wollte es der Zufall kein zweites mal. Für so bedeutend, dass ich ihn gestört hätte, hielt ich mich nicht und genoss so die Erinnerung an die einmalige Begegnung und die halbe Stunde vielleicht, die wir durch die obere Etage schlenderten, als Flaneure des Glücks an diesem wunderbaren Ort, reicher durch seine Geschichten.
Immer, wenn ich nun dort bin, oder eines seiner Bücher in den Händen halte, denke ich daran - wie viel hätte ich ihn gerne noch gefragt, ließ es in meiner Überraschung, er fragte mehr als ich und ich war ja quasi bei ihm zu Gast, da überließ ich ihm den Gang der Dinge und freute mich an den kleinen Geschichten, die vielleicht mal Teil eines Buches werden. Doch würde ich jedem, der ihn erspüren will, den Besuch in seinem Museum empfehlen, lieber seine Bücher als mich zu lesen. Hingehen und sich verführen lassen an diesem Ort voller Sinnlichkeit, die in der großen Kunst der klassischen Moderne lebendig ist.
jens tuengerthal 11.3.2017
Freitag, 10. März 2017
Berlinleben 015
Nonnendefloration
Berlin sei eine sexy Stadt und es könne dir an jeder Ecke passieren, munkeln die Touristen und flanieren aufgegeilt durch die Straßen auf der Suche nach der schnellen Nummer und der wilden Erfahrung.
Klar kannst du, wenn du willst, alles machen, findest irgendeinen Ort für jedes Vergnügen und jede noch so abartige oder gewöhnliche Neigung kann hier irgendwo Befriedigung finden, so sie sich ein wenig darum bemüht.
Was du überall haben kannst, ist langweilig, war nie in den entsprechenden Clubs, habe im August Fengler, das in meinem Kiez als der letzte Schuppen zum Abbschleppen auch schon abgetakelter Damen manchmal gilt, wenn gar nichts mehr geht, nie eine kennengelernt, die einzigen beiden, die sich mal zu mir setzten und mich anquatschten, habe ich um Geduld gebeten, weil ich noch am Dichten und beobachten war und dann kamen bald andere Kerle, die bereitwillig übernahmen. Will sagen, aufreißen, war noch nie mein Ding, wenn ich Frauen kennenlerne, sind es mal Leserinnen oder sie sprechen mich neugierig geworden an, während ich schreibe oder lese, worauf ich verschieden unwillig reagiere.
Während ich noch bei Finya und Tinder aktiv war und mich suchend um Damen bemühte, fand ich das reale angesprochen werden eher störend, die Dates wurden ja wohlgeordnet virtuell vergeben und da konnte doch nicht einfach eine dazwischen kommen, obwohl wir natürlich insgeheim alle davon träumen, so die große Liebe zu treffen.
Eigentlich wird Sex überschätzt, so spannend ist es auch nicht, zwar ist jede Frau irgendwie anders, aber es gibt immer mehr Bücher, die ich ungewissem Sex vorziehe, denn wer weiß schon, ob etwas gut endet, es nicht eine einseitige Bemühung und Enttäuschung nur wird, die mich bloß geil beschäftigte. Wenn du eine Partnerin hast, mit der du zusammen kommst, die den Sex genießt, hast du alles, was es gibt, mehr wird es nie. Darum ist es gut, in Ruhe zu genießen, wenn es mal passt und ohne Probleme ist, denn wo gibt es das heute noch - aber vermutlich liegt das auch an meinem fortschreitenden Alter und meinem Riecher für schwierige Frauen.
Meine erste und einzige Nonne lernte ich bei IKEA auf dem Parkplatz kennen, als ich gerade zwei neue schwarze Billys ins Auto geladen hatte und sah wie sich die leicht alternativ aussehende junge Dame mit ihren Möbeln quälte. Da war sie schon keine Nonne mehr und ich wäre nie auf die Idee gekommen, bevor sie es mir viel später erzählte.
Es war der 30. April - der Tag vor der magischen Walpurgisnacht, ich war zumindest an diesen Tagen alleine. Im Jahr 1987 bin ich an diesem Tag zufällig tödlich verunglückt, als ich noch in Süddeutschland lebte, nahe Heidelberg auf dem Weg in die Schule. Wie die gewiefte Leserin nun unschwer kombinieren wird, überlebte ich den Unfall wider Erwarten dann doch. Mehr gibt es dazu gerade nicht zu sagen, auch wenn es in den später Gesprächen mit M noch eine gewisse Rolle spielte.
Fand sie nett und ging ihr zur Hand und sie freute sich so sehr darüber, dass ich gleich überlegte, ob und was vielleicht daraus werden könnte. Offen für interessante Frauen war ich immer und diese hatte was, auch wenn ich noch nicht wusste was.
Wir tauschten Nummern oder vielleicht sogar ganz gediegen Karten, sie versicherte mir mehrfach ihre große Dankbarkeit und wie einfach sind wir Männer doch nahezu alle, mit unserer hingebungsvollen Liebe zu dankbaren Frauen, in dem Gefühl, die dich zu würdigen weiß und dankbar ist, erkennt deinen wahren, guten Kern, zweifelt nicht ständig an dir, sieht dich als den Guten, der du so gerne wärst und genau den bekommen solch dankbare Frauen auch meist voller Großzügigkeit und Bescheidenheit dann geliefert und bleiben lange dankbar und glücklich, bis sie an einen Idioten geraten, der ich nie sein wollte.
Mit einer dankbaren Frau, statt der vielen meist unzufriedenen Hippen, die dich ändern und erziehen wollen, würde sogar ich vermutlich über die Ehe nachdenken und könnte sie mir schön vorstellen, nicht nur als eine Art romantisch verklärter Knast mit Beischlafgelegenheit, wie sie mir beim letzten Versuch wohl rückblickend bald erschienen wäre, wenn ich die rosa Brille abgesetzt hätte, die von großer da noch faselte. Doch habe ich noch keine dauerhaft dankbare Frau kennengelernt, die dies auch in einer Beziehung blieb und dann nicht in die üblichen Muster zurückfiel und also kenne ich auch keinen immer guten Mann, weil wir armen Opfer weiblicher Unzufriedenheit uns ja auch irgendwie schützen müssen. Anders ist es mit den Liebhaberinnen, die dich nur kurz haben können oder die du oder heute mehr sie dich nebenbei genießen. Hier sind beide Seiten am Ende dankbar und glücklich über das, was ist, freuen sich an kleinen Zärtlichkeiten voller Leidenschaft, warum ich mich ernsthaft frage, warum wir noch in klassischen Beziehungen oder Ehen überhaupt leben sollten, diesen immer Liebestötern, die nach Ablauf einer gewissen Zeit nahezu jede noch so große Lust fressen oder auf ein praktisches Handtaschenformat schrumpfen. Die Ehe under inhärente Anspruch auf ihren Vollzug, also den ehelichen Beischlaf, ist der größte denkbare Liebes. und Lusttöter.
Eine Liebhaberin ist wie ein Liebhaber etwas wunderbares, du bemühst dich um Zuwendung, wirbst umeinander und genießt bei Gelegenheit mit größter Leidenschaft, bei der keiner fürchtet, sich etwas zu vergeben oder meint für etwas revanchieren zu müssen, wie ich es aus Beziehungen zu gut kenne und auch in der fraglos glücklichen Ehe meiner Eltern, was halt bei Ehen so glücklich heißt, seit über 46 Jahren beobachten durfte. Das Zusammenbleiben wird zum Verdienst an sich und sollte als solches eigentlich auch genügen, um miteinander weiter klar zu kommen irgendwie. Alles andere ist seltenes Extra, kann genossen werden, so es vorkommt, gehört aber nicht mehr dazu. Mit der Ehe geben wir alle Rechte ab, lassen uns betreuen, als seien wir unmündig und nennen es dann liebevolle Sorge, die uns stärkt.
Zu diesem Zeitpunkt war ich, wie die meiste Zeit meines Lebens, in einer Beziehung, auch wenn ich mich heute immer mehr frage, warum eigentlich, wo es sich doch viel besser mit einer oder mehreren Liebhaberinnen lebte, statt in einer sogenannten besitzergreifenden Beziehung mit garantiertem Verlust der Leidenschaft, umgekehrt proportional. Es sei für die Kinder besser, wird behauptet - was ich inzwischen immer stärker bezweifle - gut ist für die Kinder, wenn es den Eltern gut geht und sie glücklich sind. Dabei ist völlig egal welches Lebensmodell dem elterlichen Glück zugrunde liegt.
Die Lebenserwartung in festen Beziehungen sei durchschnittlich höher wird statistisch behauptet. Klar, wer nichts mehr zu erwarten hat, schafft es nicht mal mehr aufregend ums Leben zu kommen. Die Partner kümmern sich aus hypothetischer Verlustangst auch schon vorab um ihren Gemahl und dessen Gesundheit, was eine ganze Industrie der Medizin am Leben hält, ohne damit das Leben spürbar schöner zu machen. Nur immer teurer werden die letzten Jahre und es fragt sich, wozu?
Vielleicht finden es ja in ewiger Zweisamkeit nörgelnd degenerierte Dauerpaare auch nur aufregend, sich am Leben zu erhalten, weil sie dem anderen noch nicht die Freiheit eines Abgangs ohne Sorgen und Schmerzen gönnen, wer weiß das schon zu berurteilen und ich sicher am wenigsten, der sich immer wieder gern den Illusionen auch hingibt.
Als ich M, so hieß die Dame auf dem Parkplatz bei IKEA traf, lebte ich in einer weitgehend asexuellen Beziehung bereits, litt als eigentlich leidenschaftlicher Kuschler unter getrennten Nächten und hätte doch nie etwas daran einfach geändert, weil die Dinge eben waren, wie sie waren.
Die Absicht dabei war noch völlig unklar. Klar, sie war nett, wirkte nicht ungebildet, sprach gutes hochdeutsch und lachte ganz zauberhaft - leicht alternativ, wie sie mir schien, fand ich auch gut. Mochte auch damenhafte Frauen aber bloß keine Tussis und gerade wollte ich ja auch nichts als mich einrichten und meine Regale aufbauen und dennoch verabredeten wir uns schon für den gleichen Abend, an dem ich allein war und sozusagen sturmfreie Bude hatte.
Sollte sie am Bahnhof Friedrichstraße abholen und als ich dort erwartungsvoll stand, staunte ich nicht schlecht, als ich plötzlich eine mädchenhafte Dame im langen hellen Strickrock aussteigen sah. Sie lachte mich an, freute sich voller Dankbarkeit, dass ich tatsächlich am Bahngleis stand und fiel mir um den Hals, was doch stürmischer war, als ich zu hoffen gewagt hatte und ich nahm es, wie es kam, Heftete meine Lippen auf die ihren und küsste sie voller echter Leidenschaft mit allem, was Mann in so einen ersten Kuss packen kann. Zartes Beißen, forderndes Saugen, zärtliches Züngeln, fest im Arm halten und leidenschaftlich besonders den Po streicheln - naja das ganze Programm halt.
Sie wirkte etwas ungelenk und aufgeregt dabei, als hätte sie keine Erfahrung beim küssen aber dafür voll echter Leidenschaft und sie hing bewundernd an meinem Hals und ließ sich küssen, schien es mir, glücklich mit der Welt. Sie schien sich, verlieben zu wollen und ich war mir noch nicht ganz sicher, wie ich damit umgehen sollte. Einerseits gibt es nichts schöneres, als sich zu verlieben und warum nicht in diese leicht alternative gerade fast mädchenhaft wirkende Schönheit vom IKEA Parkplatz.
Schönheit ist ein sehr relativer Begriff. Frauen tun viel, um es zu scheinen, manche mehr, manche weniger. Sie hatte mir erzählt, dass sie Berlinerin sei, ein Kind der Stadt, aber lange in Frankreich gelebt hätte. Klang interessant und die Franzosen haben ein lockereres Verhältnis zur Leidenschaft, Liebhabern, Mätressen und all der Lust als wir gern in der Liebe stocksteif erstarrenden Deutschen, was uns viel Vergnügen dabei raubt. Hatte genau das in meiner Zeit in Straßburg auch so sehr geliebt, als ich einmal die deutlich ältere Freundin eines Logenbruders aus dem Grand Orient als Geliebte hatte und ich mich danach, obwohl wir alle wussten, was war, bestens lachend verstanden, keine Probleme mit Fragen der Ehre oder ähnlichem Unsinn entstanden, wir gönnten es uns mit einem Zwinkern.
Das Leben kann so schön sein, warum sich also Probleme moralischer oder anderer Art machen, wenn diese nur dazu beitragen, die Schönheit des Lebens zu beeinträchtigen. Die Erlebnisse in Straßburg waren zu diesem Zeitpunkt schon mehr als zehn Jahre Geschichte und doch hatte ich etwas gelernt dort, weniger französisch, als den Umgang der Menschen betreffend. Es ist keine moralische Frage, wer mit wem schläft, wenn einen die Lust überkommt, sondern eine der Natur und die Beteiligten sollen es einfach genießen.
Damals kam mir diese Welt der Brüder dort in vielem fremd vor, wo der eine obwohl seit langem verheiratet, eine offene Liaison mit der anderen hatte, die eine ihren Freund nur ein bis zwei Nächte die Woche bei sich empfängt, wenn beide gerade Lust dazu haben - die Kinder mal zum einen, dann zur anderen gehen, am Tag ohnehin in Schule oder Kita betreut werden.
Solches war in der Heidelberger Provinz, in der ich einst studierte, noch sehr extravagant, galt nicht als normal, später erst erfuhr ich, noch von meinem Vater, dass er lange eine Liaison mit seiner Oberärztin hatte. Fand das nicht weiter schlimm, die ganze Klinik tuschelte ja darüber, inzwischen ist diese auch schon gestorben und so erledigt sich manches von allein, während mein Vater noch als gezähmter Ehemann weiter überlebt.
Dies könnte obige These bestätigen, dass wilde Liebe das Leben gefährdet und die Ehe es stabilisiert. Dafür fällt mir auch die Geschichte meines Mainzer Logenbruders ein, der auch bei seiner Geliebten beim Sex am Herzinfarkt starb, was niemand wunderte, weil er ohnehin schon lange so dick war, dass es wenig Hoffnung gab, er sähe noch, was er beim pinkeln in der Hand hielt. Doch ist es schlimmer, mit Anfang sechzig zu sterben am Herzinfarkt beim Sex, oder sich bis neunzig ohne Sex hinzuschleppen und irgendwann alt und längst impotent doch zu verenden, frage ich mich und denke, es ist nicht so schlecht, früher zu sterben als ein Leben voller Angst vor dem Tod und ohne Leidenschaft zuzubringen.
Gemessen daran und verglichen mit meinem Vater oder dem in meiner Familie üblichen, müsste ich vermutlich längst tot sein mit meinen 46 und den mehr als drei Frauen in meinem Leben und ich kann heute schon glücklich sagen und wenn mich morgen der Schlag träfe, ich habe gelebt und geliebt und es war gut so, ich bereue nichts und möchte gerade nur noch darüber schreiben, was in allem noch mehr Gelassenheit gibt.
Damals als mich M am Bahnhof Friedrichstraße küsste, war ich noch etwas jünger und weniger gelassen als heute. Warum Menschen immer meinen, sie müssten alles mit einem Menschen teilen, scheint mir rätselhaft. Denke ich an meine wunderbare Liebhaberin von vor einigen Jahren, die Buchhändlerin war und mit der ich mir noch zusätzlich herrliche Duelle in Worten lieferte, frage ich mich, warum es an zu viel Gefühl scheitern musste. Der Sex war ganz nett, es war geistig unterhaltsam, mehr braucht es nicht im Leben und verheiratet sein, wollte ich mit dieser Frau und ihrem Putzwahn nie, denke ich heute - damals litt ich darunter, wie sie nach unserer Lust ins eheliche Bett wanderte, schwor mir als Single nie wieder etwas mit einer verheirateten Frau anzufangen. Was für ein Unsinn. Wobei dieser Schwur auch noch eine Vorgeschichte mit einigen unglücklichen Lieben hatte, was dem Unsinn aber nichts nimmt.
Nie mehr sollte ich etwas anderes beginnen, sie sind mit schlechtem Gewissen besonders hingebungsvoll, stabilisieren damit meist ihre Ehe noch, du genießt sie nur von ihrer besten Seite, außer sie sind zu betrunken von all dem Mut, den sie sich antranken aber dann ist es zumindest amüsant und nicht peinlich wie bei einer besoffenen Partnerin. Liebe also verheiratete Frauen, ohne sie besitzen zu wollen, sondern um alles Gute und Schöne von ihnen zu bekommen und werde mich hüten, etwas anderes noch je zu wollen, nicht mehr über große Liebe faseln, die sich so schnell in große Rache und Hässlichkeit nur verwandelt, die meist mit Eifersucht verbunden zu sein scheint und all den lächerlichen Dramen.
Damals aber war ich noch in einer geordneteren Welt, hatte feste Vorstellungen von Beziehungen und dem Verhältnis von Mann und Frau, wusste, dieser Kuss auf dem Bahnsteig, war in meiner Position eigentlich nicht zulässig, auch wenn es sich gerade so wunderbar anfühlte und rang mit meinem Gewissen.
Es war ein warmer frühlingshafter Tag und ich schlug vor, wie schon lang geplant, in den Biergarten des Berliner Ensembles am Schiffbauerdamm zu gehen. Des Brechttheates einst, an dem sich nun Peymann über Jahre selbst darstellte und der großartige Ungar George Tabori noch über Jahre wirkte. Ihn sahen wir auch im Garten sitzen unter den großen Bäumen und andere Schauspieler, auch die eine oder den anderen, die ich kannte noch aus den Zeiten als Abonnent hier und aus der kurzen intensiven Freundschaft mit einer der Schauspielerinnen, die Peymann aus Wien nach Berlin mitbrachte. Fühlte mich also relativ zuhause dort, hatte an einem öffentlichen Ort ein relatives Heimspiel und was könnte zum Flirten je besser sein, zumal noch im Theater, dem Ort der leichteren Sitten schon immer.
Hätte ich, ach einfach geschwiegen und genossen, was ist, wäre es vielleicht viel schneller gegangen, dachte ich schon und weiß, es ist Blödsinn, es ging überhaupt nur in dieser Nacht, weil ich eigentlich nicht zu haben war, mich zu begehren die größte Sünde blieb, sie anzufassen ebenso, auch wenn es nichts als normale Natur war, die uns vom ersten Moment an zueinander führte.
Mit der Natur, die uns einfach anzog, begann ich mein Geständnis - es wäre einfach unausweichlich gewesen und naja, nun säßen wir eben hier, auch wenn ich ja irgendwie Familie hätte, zumindest eine Partnerin.
Nach meinem Geständnis, was sie zwar vermutlich moralisch entsetzen musste, aber unsere Anziehung und die reale körperliche Nähe nicht verringerte, war es an ihr, ein Geständnis abzulegen und mir offenzulegen, wer sie war.
Sie lebte erst seit wenigen Monaten wieder in Berlin. Zuvor war sie Ordensschwester im katholischsten der katholischen Orden in einem abgelegenen Kloster in der Bretagne, in dem die Messen nur lateinisch gelesen wurden, denen das II. Vatikanum als ein zu liberaler Unsinn noch immer galt. Die noch den polnischen Papst als zu liberal ansahen.
Ein gottgeweihtes Leben hatte sie aus voller Überzeugung führen wollen, doch dann hatte ihre Oberin bemerkt, dass sie nicht ganz bei der Sache war, wie sie es erzählte erspürt, dass sie auf ihrem Weg noch irre und ihr geraten, zurück in die Welt zu gehen.
Da war sie nun, ohne einen tauglichen Beruf für dies weltliche Leben, unterrichtete sie Kinder in verschiedenen Sprachen und richtete sich gerade ihre Wohnung ein. Darum also der IKEA Besuch begriff ich erstaunlich schnell für meinen in Fragen der Kirche natürlich beschränkten Horizont.
Sie hatte keinen Mann gehabt in ihrem Leben. Sich bisher Gott geweiht und war so bis über vierzig, sie war ein wenig älter als ich, meine ich zu erinnern, unberührt geblieben - eine echte, erzkatholische Jungfrau und ich knutschte mich mit ihr im Biergarten des BE herum, streichelte, soweit sie es zuließ, die der sinnlichen Erweckung föderlichen Orte.
Ein früher Freimaurer des Grand Orient, der für mehr Laizismus auch in Deutschland gekämpft hatte, küsste eine jungfräuliche Nonne im Biergarten des Brecht-Theaters. Das ist eben Berlin, dachte ich und wollte sie nach diesem Geständnis ihrerseits noch unbedingter als vorher haben. Auf ihr Nonnengeständnis folgte meines des GO Freimaurers und wir waren aus den entgegengesetzten Welten kommend, nicht weniger fasziniert voneinander.
Wir spielten noch über Stunden in die hereinbrechende Samstagnacht das Mann und Frau Spiel - sie verweigerte sich sehr katholisch, ich näherte mich über verschiedene Cafés und Biergärten langsam meinem Zuhause am Platz. Im letzten Biergarten, nur noch wenige hundert Meter Luftlinie von meinem Bett entfernt, diskutierten wir philosophisch und ich war kurz davor alles mit dieser gläubigen Dogmatikerin abzubrechen, weil mich der Aberglaube unnd die geistige Enge so nervte - doch dann lachte sie mich wieder an und ich ließ nichts unversucht, sie doch noch rumzukriegen.
Sie hatte dies von Anfang an und nach dem Geständnis noch mehrfach absolut und ganz klar ausgeschlossen, käme ja gar nicht infrage, dass wir im Bett landeten. Sie, streng katholisch, frisch in der Freiheit, in der magischen Nacht mit einem Freimaurer, der in einer festen Beziehung wäre - ausgeschlossen, geht nicht, sagte sie, Lust hätte sie ja und angezogen fühle sie sich schon wie magisch vom ersten Moment, aber das ginge ja gar nicht. Was gar nicht geht, reizt natürlich immer mehr, auch wenn ich nach meiner Erfahrung Jungfrauen eher langweilig und enttäuschend meist fand - so etwas brauchte Zeit und war nichts für eine Nacht und doch wollte ich sie, immer mehr, desto entschlossener sie sich verweigerte.
Als der Biergarten sich leerte, saßen wir irgendwann auf einer Bank des Spielplatzes am Platz, küssten uns und mit genug Alkohol sank ihr Widerstand gegen meine Hände unter ihrem Rock, sie ließ es zu, gab sich hin, explodierte, fast vor Lust, schrie schon fast, diese gerade noch Nonne gewesene Frau mit den langen dunklen Haaren, die sie zur Feier des Abends offen trug, auch wenn sie mir hochgesteckt viel besser gefielen, ehrlich gesagt. Da zog ich die Hand ein wenig zurück, bis sie sich an mir zu reiben begann, weil ihr Verlangen alle Moral überholt hatte.
Eine Stunde versicherte sie mir noch, sie käme nie mit zu mir rauf, auf keinen Fall, dann waren wir schließlich oben unter dem Versprechen, nicht bis zum letzten zu gehen. Wollte mich nie an dieses falsche Versprechen halten, dass eine noch Ahnungslose erzwang, wollte aber auch nichts tun, was sie nicht wollte, sie nicht nötigen zu Dingen, die ihr fremd noch waren. Wollte sie einfach glücklich machen und ihr den Weg zum Glück zeigen, ihr diese idiotische Jungfräulichkeit rauben, damit sie das Leben als freie Frau genießen könne.
Wusste wohl, wie wichtig die abergläubischen Katholiken wie viele primitive Kulte dies überflüssige Häutchen nahmen. Stand, wie erläutert, nicht besonders auf Jungfrauen, da erstens nicht katholisch und schon zu erfahren, als dass ich an das Wunder der Lust bei völlig unerfahrenen Frauen glaubte und doch davon überzeugt, dass es darauf ankam, wie eine Frau ihr erstes mal erlebt, ob sie später Lust daran hat oder nicht, es genießt oder weniger toll findet. Sie sollte es toll finden, es einfach mit freier atheistischer Lust in dieser magischen Nacht genießen, um befreit zu leben mit der freigelassenen Lust in ihrem Körper. Wie ich ihr beim Einladen bei IKEA half, wollte ich sie auch zum Sex einladen und es schön machen.
Nachdem ich ihren wohl noch nie rasierten Schoss - wozu auch, sah ja bei den Bräuten Jesu keiner und ihr Bräutigam war nun schon über 2000 Jahre verfault - ausgiebig leckte, fanden die Diskussionen ein Ende und sie drängte mich wieder, endlich zu ihr zu kommen, meinen Schwanz in sie zu stecken, sie hielte es nicht mehr lange aus.
“Was hältst du nicht mehr aus?”
“So ahnungslos und wild hier auf dich zu warten und das nichts passiert.”
“Dann komm auf mich.”
“Nein, das geht nicht, ich bin katholisch, nicht beim ersten mal.”
“Was für ein Unsinn, ist aber besser.”
“Nein, ohne mich, nie im Leben.”
“Na dann halt nicht, wir müssen ja nicht …”
“Doch bitte, ich will nicht mehr warten, komm …”
Ließ mich noch zweimal bitten, ein kurzer spitzer Schrei in der Morgendämmerung und die nicht mehr Nonne war keine heilige Jungfrau mehr - danach eine kleine Pause mit Lecken und Streicheln, dann überredete ich sie, schließlich doch auf mich zu kommen, damit sie es selbst steuere - sie hatte für die Defloration darauf bestanden unten zu liegen und sich durchgesetzt, dann konnte sie doch rein logisch für ihren ersten Höhepunkt mal nachgeben. Schlechter katholischer Einfluss aus dem Aberglauben eben. So ließ sie sich mühsam überzeugen und wir genossen es.
Wir taten es noch einige male, bis zur völligen Erschöpfung, als es schon längst aus dem Osten wieder Tag wurde. Schliefen wenige Stunden Arm in Arm. Dann wollte sie gerne zum Gottesdienst mit der erzkatholischen Messe, um nur ja noch die Beichte abzulegen, frei von der Sünde zu werden und ich nahm ihr das Versprechen ab, dass dies ewig unser kleines Geheimnis bliebe. Habe manchmal überlegt, ihr zu schreiben, oder sie anzurufen, mal davon geträumt, ich träfe sie irgendwann mit einem Kinderwagen und sie würde mir dankbar meinen Sohn präsentieren.
Aber wäre sie je wütend geworden oder hätte sie es hingenommen und mich weiter voller Dankbarkeit bewundert, fragte ich mich und denke, manchmal ist es gut so, nichts mehr voneinander zu hören, auch um später ungestört davon zu erzählen, wie ich in der Walpurgisnacht eine Nonne hatte, die ihr Leben lang Jungfrau bleiben wollte, bis der Herr sie nähme und dann kam einer, der keinen Gott kennt und es war gut so.
jens tuengerthal 10.3.2017
Berlin sei eine sexy Stadt und es könne dir an jeder Ecke passieren, munkeln die Touristen und flanieren aufgegeilt durch die Straßen auf der Suche nach der schnellen Nummer und der wilden Erfahrung.
Klar kannst du, wenn du willst, alles machen, findest irgendeinen Ort für jedes Vergnügen und jede noch so abartige oder gewöhnliche Neigung kann hier irgendwo Befriedigung finden, so sie sich ein wenig darum bemüht.
Was du überall haben kannst, ist langweilig, war nie in den entsprechenden Clubs, habe im August Fengler, das in meinem Kiez als der letzte Schuppen zum Abbschleppen auch schon abgetakelter Damen manchmal gilt, wenn gar nichts mehr geht, nie eine kennengelernt, die einzigen beiden, die sich mal zu mir setzten und mich anquatschten, habe ich um Geduld gebeten, weil ich noch am Dichten und beobachten war und dann kamen bald andere Kerle, die bereitwillig übernahmen. Will sagen, aufreißen, war noch nie mein Ding, wenn ich Frauen kennenlerne, sind es mal Leserinnen oder sie sprechen mich neugierig geworden an, während ich schreibe oder lese, worauf ich verschieden unwillig reagiere.
Während ich noch bei Finya und Tinder aktiv war und mich suchend um Damen bemühte, fand ich das reale angesprochen werden eher störend, die Dates wurden ja wohlgeordnet virtuell vergeben und da konnte doch nicht einfach eine dazwischen kommen, obwohl wir natürlich insgeheim alle davon träumen, so die große Liebe zu treffen.
Eigentlich wird Sex überschätzt, so spannend ist es auch nicht, zwar ist jede Frau irgendwie anders, aber es gibt immer mehr Bücher, die ich ungewissem Sex vorziehe, denn wer weiß schon, ob etwas gut endet, es nicht eine einseitige Bemühung und Enttäuschung nur wird, die mich bloß geil beschäftigte. Wenn du eine Partnerin hast, mit der du zusammen kommst, die den Sex genießt, hast du alles, was es gibt, mehr wird es nie. Darum ist es gut, in Ruhe zu genießen, wenn es mal passt und ohne Probleme ist, denn wo gibt es das heute noch - aber vermutlich liegt das auch an meinem fortschreitenden Alter und meinem Riecher für schwierige Frauen.
Meine erste und einzige Nonne lernte ich bei IKEA auf dem Parkplatz kennen, als ich gerade zwei neue schwarze Billys ins Auto geladen hatte und sah wie sich die leicht alternativ aussehende junge Dame mit ihren Möbeln quälte. Da war sie schon keine Nonne mehr und ich wäre nie auf die Idee gekommen, bevor sie es mir viel später erzählte.
Es war der 30. April - der Tag vor der magischen Walpurgisnacht, ich war zumindest an diesen Tagen alleine. Im Jahr 1987 bin ich an diesem Tag zufällig tödlich verunglückt, als ich noch in Süddeutschland lebte, nahe Heidelberg auf dem Weg in die Schule. Wie die gewiefte Leserin nun unschwer kombinieren wird, überlebte ich den Unfall wider Erwarten dann doch. Mehr gibt es dazu gerade nicht zu sagen, auch wenn es in den später Gesprächen mit M noch eine gewisse Rolle spielte.
Fand sie nett und ging ihr zur Hand und sie freute sich so sehr darüber, dass ich gleich überlegte, ob und was vielleicht daraus werden könnte. Offen für interessante Frauen war ich immer und diese hatte was, auch wenn ich noch nicht wusste was.
Wir tauschten Nummern oder vielleicht sogar ganz gediegen Karten, sie versicherte mir mehrfach ihre große Dankbarkeit und wie einfach sind wir Männer doch nahezu alle, mit unserer hingebungsvollen Liebe zu dankbaren Frauen, in dem Gefühl, die dich zu würdigen weiß und dankbar ist, erkennt deinen wahren, guten Kern, zweifelt nicht ständig an dir, sieht dich als den Guten, der du so gerne wärst und genau den bekommen solch dankbare Frauen auch meist voller Großzügigkeit und Bescheidenheit dann geliefert und bleiben lange dankbar und glücklich, bis sie an einen Idioten geraten, der ich nie sein wollte.
Mit einer dankbaren Frau, statt der vielen meist unzufriedenen Hippen, die dich ändern und erziehen wollen, würde sogar ich vermutlich über die Ehe nachdenken und könnte sie mir schön vorstellen, nicht nur als eine Art romantisch verklärter Knast mit Beischlafgelegenheit, wie sie mir beim letzten Versuch wohl rückblickend bald erschienen wäre, wenn ich die rosa Brille abgesetzt hätte, die von großer da noch faselte. Doch habe ich noch keine dauerhaft dankbare Frau kennengelernt, die dies auch in einer Beziehung blieb und dann nicht in die üblichen Muster zurückfiel und also kenne ich auch keinen immer guten Mann, weil wir armen Opfer weiblicher Unzufriedenheit uns ja auch irgendwie schützen müssen. Anders ist es mit den Liebhaberinnen, die dich nur kurz haben können oder die du oder heute mehr sie dich nebenbei genießen. Hier sind beide Seiten am Ende dankbar und glücklich über das, was ist, freuen sich an kleinen Zärtlichkeiten voller Leidenschaft, warum ich mich ernsthaft frage, warum wir noch in klassischen Beziehungen oder Ehen überhaupt leben sollten, diesen immer Liebestötern, die nach Ablauf einer gewissen Zeit nahezu jede noch so große Lust fressen oder auf ein praktisches Handtaschenformat schrumpfen. Die Ehe under inhärente Anspruch auf ihren Vollzug, also den ehelichen Beischlaf, ist der größte denkbare Liebes. und Lusttöter.
Eine Liebhaberin ist wie ein Liebhaber etwas wunderbares, du bemühst dich um Zuwendung, wirbst umeinander und genießt bei Gelegenheit mit größter Leidenschaft, bei der keiner fürchtet, sich etwas zu vergeben oder meint für etwas revanchieren zu müssen, wie ich es aus Beziehungen zu gut kenne und auch in der fraglos glücklichen Ehe meiner Eltern, was halt bei Ehen so glücklich heißt, seit über 46 Jahren beobachten durfte. Das Zusammenbleiben wird zum Verdienst an sich und sollte als solches eigentlich auch genügen, um miteinander weiter klar zu kommen irgendwie. Alles andere ist seltenes Extra, kann genossen werden, so es vorkommt, gehört aber nicht mehr dazu. Mit der Ehe geben wir alle Rechte ab, lassen uns betreuen, als seien wir unmündig und nennen es dann liebevolle Sorge, die uns stärkt.
Zu diesem Zeitpunkt war ich, wie die meiste Zeit meines Lebens, in einer Beziehung, auch wenn ich mich heute immer mehr frage, warum eigentlich, wo es sich doch viel besser mit einer oder mehreren Liebhaberinnen lebte, statt in einer sogenannten besitzergreifenden Beziehung mit garantiertem Verlust der Leidenschaft, umgekehrt proportional. Es sei für die Kinder besser, wird behauptet - was ich inzwischen immer stärker bezweifle - gut ist für die Kinder, wenn es den Eltern gut geht und sie glücklich sind. Dabei ist völlig egal welches Lebensmodell dem elterlichen Glück zugrunde liegt.
Die Lebenserwartung in festen Beziehungen sei durchschnittlich höher wird statistisch behauptet. Klar, wer nichts mehr zu erwarten hat, schafft es nicht mal mehr aufregend ums Leben zu kommen. Die Partner kümmern sich aus hypothetischer Verlustangst auch schon vorab um ihren Gemahl und dessen Gesundheit, was eine ganze Industrie der Medizin am Leben hält, ohne damit das Leben spürbar schöner zu machen. Nur immer teurer werden die letzten Jahre und es fragt sich, wozu?
Vielleicht finden es ja in ewiger Zweisamkeit nörgelnd degenerierte Dauerpaare auch nur aufregend, sich am Leben zu erhalten, weil sie dem anderen noch nicht die Freiheit eines Abgangs ohne Sorgen und Schmerzen gönnen, wer weiß das schon zu berurteilen und ich sicher am wenigsten, der sich immer wieder gern den Illusionen auch hingibt.
Als ich M, so hieß die Dame auf dem Parkplatz bei IKEA traf, lebte ich in einer weitgehend asexuellen Beziehung bereits, litt als eigentlich leidenschaftlicher Kuschler unter getrennten Nächten und hätte doch nie etwas daran einfach geändert, weil die Dinge eben waren, wie sie waren.
Die Absicht dabei war noch völlig unklar. Klar, sie war nett, wirkte nicht ungebildet, sprach gutes hochdeutsch und lachte ganz zauberhaft - leicht alternativ, wie sie mir schien, fand ich auch gut. Mochte auch damenhafte Frauen aber bloß keine Tussis und gerade wollte ich ja auch nichts als mich einrichten und meine Regale aufbauen und dennoch verabredeten wir uns schon für den gleichen Abend, an dem ich allein war und sozusagen sturmfreie Bude hatte.
Sollte sie am Bahnhof Friedrichstraße abholen und als ich dort erwartungsvoll stand, staunte ich nicht schlecht, als ich plötzlich eine mädchenhafte Dame im langen hellen Strickrock aussteigen sah. Sie lachte mich an, freute sich voller Dankbarkeit, dass ich tatsächlich am Bahngleis stand und fiel mir um den Hals, was doch stürmischer war, als ich zu hoffen gewagt hatte und ich nahm es, wie es kam, Heftete meine Lippen auf die ihren und küsste sie voller echter Leidenschaft mit allem, was Mann in so einen ersten Kuss packen kann. Zartes Beißen, forderndes Saugen, zärtliches Züngeln, fest im Arm halten und leidenschaftlich besonders den Po streicheln - naja das ganze Programm halt.
Sie wirkte etwas ungelenk und aufgeregt dabei, als hätte sie keine Erfahrung beim küssen aber dafür voll echter Leidenschaft und sie hing bewundernd an meinem Hals und ließ sich küssen, schien es mir, glücklich mit der Welt. Sie schien sich, verlieben zu wollen und ich war mir noch nicht ganz sicher, wie ich damit umgehen sollte. Einerseits gibt es nichts schöneres, als sich zu verlieben und warum nicht in diese leicht alternative gerade fast mädchenhaft wirkende Schönheit vom IKEA Parkplatz.
Schönheit ist ein sehr relativer Begriff. Frauen tun viel, um es zu scheinen, manche mehr, manche weniger. Sie hatte mir erzählt, dass sie Berlinerin sei, ein Kind der Stadt, aber lange in Frankreich gelebt hätte. Klang interessant und die Franzosen haben ein lockereres Verhältnis zur Leidenschaft, Liebhabern, Mätressen und all der Lust als wir gern in der Liebe stocksteif erstarrenden Deutschen, was uns viel Vergnügen dabei raubt. Hatte genau das in meiner Zeit in Straßburg auch so sehr geliebt, als ich einmal die deutlich ältere Freundin eines Logenbruders aus dem Grand Orient als Geliebte hatte und ich mich danach, obwohl wir alle wussten, was war, bestens lachend verstanden, keine Probleme mit Fragen der Ehre oder ähnlichem Unsinn entstanden, wir gönnten es uns mit einem Zwinkern.
Das Leben kann so schön sein, warum sich also Probleme moralischer oder anderer Art machen, wenn diese nur dazu beitragen, die Schönheit des Lebens zu beeinträchtigen. Die Erlebnisse in Straßburg waren zu diesem Zeitpunkt schon mehr als zehn Jahre Geschichte und doch hatte ich etwas gelernt dort, weniger französisch, als den Umgang der Menschen betreffend. Es ist keine moralische Frage, wer mit wem schläft, wenn einen die Lust überkommt, sondern eine der Natur und die Beteiligten sollen es einfach genießen.
Damals kam mir diese Welt der Brüder dort in vielem fremd vor, wo der eine obwohl seit langem verheiratet, eine offene Liaison mit der anderen hatte, die eine ihren Freund nur ein bis zwei Nächte die Woche bei sich empfängt, wenn beide gerade Lust dazu haben - die Kinder mal zum einen, dann zur anderen gehen, am Tag ohnehin in Schule oder Kita betreut werden.
Solches war in der Heidelberger Provinz, in der ich einst studierte, noch sehr extravagant, galt nicht als normal, später erst erfuhr ich, noch von meinem Vater, dass er lange eine Liaison mit seiner Oberärztin hatte. Fand das nicht weiter schlimm, die ganze Klinik tuschelte ja darüber, inzwischen ist diese auch schon gestorben und so erledigt sich manches von allein, während mein Vater noch als gezähmter Ehemann weiter überlebt.
Dies könnte obige These bestätigen, dass wilde Liebe das Leben gefährdet und die Ehe es stabilisiert. Dafür fällt mir auch die Geschichte meines Mainzer Logenbruders ein, der auch bei seiner Geliebten beim Sex am Herzinfarkt starb, was niemand wunderte, weil er ohnehin schon lange so dick war, dass es wenig Hoffnung gab, er sähe noch, was er beim pinkeln in der Hand hielt. Doch ist es schlimmer, mit Anfang sechzig zu sterben am Herzinfarkt beim Sex, oder sich bis neunzig ohne Sex hinzuschleppen und irgendwann alt und längst impotent doch zu verenden, frage ich mich und denke, es ist nicht so schlecht, früher zu sterben als ein Leben voller Angst vor dem Tod und ohne Leidenschaft zuzubringen.
Gemessen daran und verglichen mit meinem Vater oder dem in meiner Familie üblichen, müsste ich vermutlich längst tot sein mit meinen 46 und den mehr als drei Frauen in meinem Leben und ich kann heute schon glücklich sagen und wenn mich morgen der Schlag träfe, ich habe gelebt und geliebt und es war gut so, ich bereue nichts und möchte gerade nur noch darüber schreiben, was in allem noch mehr Gelassenheit gibt.
Damals als mich M am Bahnhof Friedrichstraße küsste, war ich noch etwas jünger und weniger gelassen als heute. Warum Menschen immer meinen, sie müssten alles mit einem Menschen teilen, scheint mir rätselhaft. Denke ich an meine wunderbare Liebhaberin von vor einigen Jahren, die Buchhändlerin war und mit der ich mir noch zusätzlich herrliche Duelle in Worten lieferte, frage ich mich, warum es an zu viel Gefühl scheitern musste. Der Sex war ganz nett, es war geistig unterhaltsam, mehr braucht es nicht im Leben und verheiratet sein, wollte ich mit dieser Frau und ihrem Putzwahn nie, denke ich heute - damals litt ich darunter, wie sie nach unserer Lust ins eheliche Bett wanderte, schwor mir als Single nie wieder etwas mit einer verheirateten Frau anzufangen. Was für ein Unsinn. Wobei dieser Schwur auch noch eine Vorgeschichte mit einigen unglücklichen Lieben hatte, was dem Unsinn aber nichts nimmt.
Nie mehr sollte ich etwas anderes beginnen, sie sind mit schlechtem Gewissen besonders hingebungsvoll, stabilisieren damit meist ihre Ehe noch, du genießt sie nur von ihrer besten Seite, außer sie sind zu betrunken von all dem Mut, den sie sich antranken aber dann ist es zumindest amüsant und nicht peinlich wie bei einer besoffenen Partnerin. Liebe also verheiratete Frauen, ohne sie besitzen zu wollen, sondern um alles Gute und Schöne von ihnen zu bekommen und werde mich hüten, etwas anderes noch je zu wollen, nicht mehr über große Liebe faseln, die sich so schnell in große Rache und Hässlichkeit nur verwandelt, die meist mit Eifersucht verbunden zu sein scheint und all den lächerlichen Dramen.
Damals aber war ich noch in einer geordneteren Welt, hatte feste Vorstellungen von Beziehungen und dem Verhältnis von Mann und Frau, wusste, dieser Kuss auf dem Bahnsteig, war in meiner Position eigentlich nicht zulässig, auch wenn es sich gerade so wunderbar anfühlte und rang mit meinem Gewissen.
Es war ein warmer frühlingshafter Tag und ich schlug vor, wie schon lang geplant, in den Biergarten des Berliner Ensembles am Schiffbauerdamm zu gehen. Des Brechttheates einst, an dem sich nun Peymann über Jahre selbst darstellte und der großartige Ungar George Tabori noch über Jahre wirkte. Ihn sahen wir auch im Garten sitzen unter den großen Bäumen und andere Schauspieler, auch die eine oder den anderen, die ich kannte noch aus den Zeiten als Abonnent hier und aus der kurzen intensiven Freundschaft mit einer der Schauspielerinnen, die Peymann aus Wien nach Berlin mitbrachte. Fühlte mich also relativ zuhause dort, hatte an einem öffentlichen Ort ein relatives Heimspiel und was könnte zum Flirten je besser sein, zumal noch im Theater, dem Ort der leichteren Sitten schon immer.
Hätte ich, ach einfach geschwiegen und genossen, was ist, wäre es vielleicht viel schneller gegangen, dachte ich schon und weiß, es ist Blödsinn, es ging überhaupt nur in dieser Nacht, weil ich eigentlich nicht zu haben war, mich zu begehren die größte Sünde blieb, sie anzufassen ebenso, auch wenn es nichts als normale Natur war, die uns vom ersten Moment an zueinander führte.
Mit der Natur, die uns einfach anzog, begann ich mein Geständnis - es wäre einfach unausweichlich gewesen und naja, nun säßen wir eben hier, auch wenn ich ja irgendwie Familie hätte, zumindest eine Partnerin.
Nach meinem Geständnis, was sie zwar vermutlich moralisch entsetzen musste, aber unsere Anziehung und die reale körperliche Nähe nicht verringerte, war es an ihr, ein Geständnis abzulegen und mir offenzulegen, wer sie war.
Sie lebte erst seit wenigen Monaten wieder in Berlin. Zuvor war sie Ordensschwester im katholischsten der katholischen Orden in einem abgelegenen Kloster in der Bretagne, in dem die Messen nur lateinisch gelesen wurden, denen das II. Vatikanum als ein zu liberaler Unsinn noch immer galt. Die noch den polnischen Papst als zu liberal ansahen.
Ein gottgeweihtes Leben hatte sie aus voller Überzeugung führen wollen, doch dann hatte ihre Oberin bemerkt, dass sie nicht ganz bei der Sache war, wie sie es erzählte erspürt, dass sie auf ihrem Weg noch irre und ihr geraten, zurück in die Welt zu gehen.
Da war sie nun, ohne einen tauglichen Beruf für dies weltliche Leben, unterrichtete sie Kinder in verschiedenen Sprachen und richtete sich gerade ihre Wohnung ein. Darum also der IKEA Besuch begriff ich erstaunlich schnell für meinen in Fragen der Kirche natürlich beschränkten Horizont.
Sie hatte keinen Mann gehabt in ihrem Leben. Sich bisher Gott geweiht und war so bis über vierzig, sie war ein wenig älter als ich, meine ich zu erinnern, unberührt geblieben - eine echte, erzkatholische Jungfrau und ich knutschte mich mit ihr im Biergarten des BE herum, streichelte, soweit sie es zuließ, die der sinnlichen Erweckung föderlichen Orte.
Ein früher Freimaurer des Grand Orient, der für mehr Laizismus auch in Deutschland gekämpft hatte, küsste eine jungfräuliche Nonne im Biergarten des Brecht-Theaters. Das ist eben Berlin, dachte ich und wollte sie nach diesem Geständnis ihrerseits noch unbedingter als vorher haben. Auf ihr Nonnengeständnis folgte meines des GO Freimaurers und wir waren aus den entgegengesetzten Welten kommend, nicht weniger fasziniert voneinander.
Wir spielten noch über Stunden in die hereinbrechende Samstagnacht das Mann und Frau Spiel - sie verweigerte sich sehr katholisch, ich näherte mich über verschiedene Cafés und Biergärten langsam meinem Zuhause am Platz. Im letzten Biergarten, nur noch wenige hundert Meter Luftlinie von meinem Bett entfernt, diskutierten wir philosophisch und ich war kurz davor alles mit dieser gläubigen Dogmatikerin abzubrechen, weil mich der Aberglaube unnd die geistige Enge so nervte - doch dann lachte sie mich wieder an und ich ließ nichts unversucht, sie doch noch rumzukriegen.
Sie hatte dies von Anfang an und nach dem Geständnis noch mehrfach absolut und ganz klar ausgeschlossen, käme ja gar nicht infrage, dass wir im Bett landeten. Sie, streng katholisch, frisch in der Freiheit, in der magischen Nacht mit einem Freimaurer, der in einer festen Beziehung wäre - ausgeschlossen, geht nicht, sagte sie, Lust hätte sie ja und angezogen fühle sie sich schon wie magisch vom ersten Moment, aber das ginge ja gar nicht. Was gar nicht geht, reizt natürlich immer mehr, auch wenn ich nach meiner Erfahrung Jungfrauen eher langweilig und enttäuschend meist fand - so etwas brauchte Zeit und war nichts für eine Nacht und doch wollte ich sie, immer mehr, desto entschlossener sie sich verweigerte.
Als der Biergarten sich leerte, saßen wir irgendwann auf einer Bank des Spielplatzes am Platz, küssten uns und mit genug Alkohol sank ihr Widerstand gegen meine Hände unter ihrem Rock, sie ließ es zu, gab sich hin, explodierte, fast vor Lust, schrie schon fast, diese gerade noch Nonne gewesene Frau mit den langen dunklen Haaren, die sie zur Feier des Abends offen trug, auch wenn sie mir hochgesteckt viel besser gefielen, ehrlich gesagt. Da zog ich die Hand ein wenig zurück, bis sie sich an mir zu reiben begann, weil ihr Verlangen alle Moral überholt hatte.
Eine Stunde versicherte sie mir noch, sie käme nie mit zu mir rauf, auf keinen Fall, dann waren wir schließlich oben unter dem Versprechen, nicht bis zum letzten zu gehen. Wollte mich nie an dieses falsche Versprechen halten, dass eine noch Ahnungslose erzwang, wollte aber auch nichts tun, was sie nicht wollte, sie nicht nötigen zu Dingen, die ihr fremd noch waren. Wollte sie einfach glücklich machen und ihr den Weg zum Glück zeigen, ihr diese idiotische Jungfräulichkeit rauben, damit sie das Leben als freie Frau genießen könne.
Wusste wohl, wie wichtig die abergläubischen Katholiken wie viele primitive Kulte dies überflüssige Häutchen nahmen. Stand, wie erläutert, nicht besonders auf Jungfrauen, da erstens nicht katholisch und schon zu erfahren, als dass ich an das Wunder der Lust bei völlig unerfahrenen Frauen glaubte und doch davon überzeugt, dass es darauf ankam, wie eine Frau ihr erstes mal erlebt, ob sie später Lust daran hat oder nicht, es genießt oder weniger toll findet. Sie sollte es toll finden, es einfach mit freier atheistischer Lust in dieser magischen Nacht genießen, um befreit zu leben mit der freigelassenen Lust in ihrem Körper. Wie ich ihr beim Einladen bei IKEA half, wollte ich sie auch zum Sex einladen und es schön machen.
Nachdem ich ihren wohl noch nie rasierten Schoss - wozu auch, sah ja bei den Bräuten Jesu keiner und ihr Bräutigam war nun schon über 2000 Jahre verfault - ausgiebig leckte, fanden die Diskussionen ein Ende und sie drängte mich wieder, endlich zu ihr zu kommen, meinen Schwanz in sie zu stecken, sie hielte es nicht mehr lange aus.
“Was hältst du nicht mehr aus?”
“So ahnungslos und wild hier auf dich zu warten und das nichts passiert.”
“Dann komm auf mich.”
“Nein, das geht nicht, ich bin katholisch, nicht beim ersten mal.”
“Was für ein Unsinn, ist aber besser.”
“Nein, ohne mich, nie im Leben.”
“Na dann halt nicht, wir müssen ja nicht …”
“Doch bitte, ich will nicht mehr warten, komm …”
Ließ mich noch zweimal bitten, ein kurzer spitzer Schrei in der Morgendämmerung und die nicht mehr Nonne war keine heilige Jungfrau mehr - danach eine kleine Pause mit Lecken und Streicheln, dann überredete ich sie, schließlich doch auf mich zu kommen, damit sie es selbst steuere - sie hatte für die Defloration darauf bestanden unten zu liegen und sich durchgesetzt, dann konnte sie doch rein logisch für ihren ersten Höhepunkt mal nachgeben. Schlechter katholischer Einfluss aus dem Aberglauben eben. So ließ sie sich mühsam überzeugen und wir genossen es.
Wir taten es noch einige male, bis zur völligen Erschöpfung, als es schon längst aus dem Osten wieder Tag wurde. Schliefen wenige Stunden Arm in Arm. Dann wollte sie gerne zum Gottesdienst mit der erzkatholischen Messe, um nur ja noch die Beichte abzulegen, frei von der Sünde zu werden und ich nahm ihr das Versprechen ab, dass dies ewig unser kleines Geheimnis bliebe. Habe manchmal überlegt, ihr zu schreiben, oder sie anzurufen, mal davon geträumt, ich träfe sie irgendwann mit einem Kinderwagen und sie würde mir dankbar meinen Sohn präsentieren.
Aber wäre sie je wütend geworden oder hätte sie es hingenommen und mich weiter voller Dankbarkeit bewundert, fragte ich mich und denke, manchmal ist es gut so, nichts mehr voneinander zu hören, auch um später ungestört davon zu erzählen, wie ich in der Walpurgisnacht eine Nonne hatte, die ihr Leben lang Jungfrau bleiben wollte, bis der Herr sie nähme und dann kam einer, der keinen Gott kennt und es war gut so.
jens tuengerthal 10.3.2017
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