Donnerstag, 9. März 2017

Berlinleben 0014

Gemäldeglückseligkeit

Fragte mich einer, wo in Berlin es am schönsten ist, sagte ich immer in seinen Museen. Beim Flanieren in diesen wunderbaren Sammlungen auch aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zeigt sich der wirkliche Reichtum dieser Stadt, offenbart sich jedem Betrachter bei der Reise durch die Jahrhunderte eine Welt.

Unter den staatlichen Museen gibt es zahlreiche Standorte, jeder für sich ist, mit so vielen Erlebnissen und Eindrücken verbunden, dass sie den Rahmen einer kleinen Erzählung sprengen würden. Ein ganzes Buch über diese kulturellen Inseln in der Großstadt zu schreiben, wäre sehr reizvoll und bleibt eines der großen Ziele des sonst eher bescheidenen Autors, der sich schon freut, dies große Glück ausgiebig nur als Besucher gelegentlich betrachten zu dürfen ohne eine größere Ahnung davon zu haben als ein betrachtender Besucher alter Freunde.

Mit der Zeit lernte ich die Bilder und Skupturen an ihren je Standorten kennen. Sie immer wieder sehen, ist wie alte Freunde besuchen und jedesmal erzählen sie mir etwas neues, sehe ich plötzlich anderes, betrachte die Geschichte neu oder lernte etwas, dass mich die Bilder neu lesen lernte.

Die ersten Besuche in Begleitung von M oder A waren noch fast erschlagend, auch wenn ich nicht nach dem Vorbild meines Vaters strebe, eines wirklich großen Kunstliebhabers und in vielem immer mehr auch Kenner, manchmal sogar selbst Künstlers. Nahezu jeder Raum dieser großartigen Gemäldegalerie genügte schon, den neugierigen einen ganzen Tag zu fesseln. M zeigte uns die schönsten Dinge und wies uns mit seinem enormen Wissen auf zahlreiche wunderbare Details hin, die der unerfahrene Laie leicht übersieht.

Schon der Weg hinauf zum Kulturforum, am Rande des Tiergarten zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie gelegen, ist beeindruckend. Die lange Schräge, die im Winter schnell zur Rutschbahn wird - an deren Spitze der eher bescheiden anmutende Eingang zu den drei Museen und der Kunstbibliothek unter einem Dach irgendwie verbunden, eine Villa noch integriert.

Manchmal muss der neugierige Besucher sich in lange Schlangen einreihen und sich in Geduld üben, doch wollen die strebsamen Gäste meist in die hochgejubelten Sonderausstellungen während mir schon die umfangreiche ständige Sammlung zum Glück vollauf reicht, die selten nur überfüllt ist und auch zahlreichere Besucher verlieren sich leise murmelnd in den vielen Räumen eher.

Es gab verschiedene Pläne schon diese großartige Sammlung besser zu präsentieren als  sie  es momentan ist in dem meist eher schlecht beleuchteten Neubau, der nahezu keinen der großen Rembrandts ohne Spiegelung oder Lichtreflexe sehen lässt - und es gibt einige dieses niederländischen Meisters oder seines Umfelds hier auch, warum das Leiden an diesem Gebäude so vielfältig ist, wie seine Möglichkeiten beschränkt sind. So war eine der grandiosen Ideen einen Nebau neben der Museumsinsel zu errichten, der mit den Beständen dort verbunden, endlich wieder den kulturhistorischen Zusammenhang präsentierte, wie ihn sich schon der große Direktor und Gründer von Bode einst träumte.

Davon wurde erstmal Abstand genommen, weil keiner absehen konnte, wie schnell dieser Bau finanziert und damit auch realisiert würde, angesichts anderer großer Bauprojekte in Berlin wohl eine weise Entscheidung, um die Ausstellung offen zu halten, nichts über Jahre im Depot verschwinden zu lassen. Wie hätte ich meine lieben Freunde, die Bilder der alten Meister, vermisst, wenn es so lange gedauert hätte wie beim Flughafen, über den ich als Epikuräer lieber schweige, um mich dem Schönen zuzuwenden, statt auf die peinlichen Probleme nur zu starren. Bedenke ich, dass die Planung des 1998 vollendeten Kulturforums bereits in den 60er Jahren in Berlin begonnen wurde, freue ich mich, nun hier zu leben und die Sammlung genießen zu dürfen. Vielleicht wäre es klüger die modernen Sammlungen in schlichten modernen Hallen zu präsentieren als Provisorium sehr passend oft auch zu den ausgestellten Inhalten und wenn der Bau an der Insel vollendet ist, den Umzug in kürzester Zeit zu bewerkstelligen. Dann würde die klassische Moderne zu einem Happening an wechselnden leeren Orten von denen es genug immer gibt und die große Kunst bekäme ihr Gebäude an der Museumsinsel und mit dieser verbunden, damit zusammenkommt, was zusammengehört.

Noch ästhetischer wäre den grauenvollen Berliner Dom abzureißen, dieses peinliche Schandmal des Wilhelminismus und dort einen weiteren Bau im Stile Schinkels zu errichten, der zu dem klassischen Ensemble der Insel passte. Aber für so viel Schönheit muss Berlin und müssen die Märker wohl noch lange reifen, die ihren Dom lieben, vor allem weil seine Kuppel größer ist als die des Petersdoms und größer ist hier ja immer gut.

Der gute André Schmitz, der auf kleinlichem politischen Glatteis ins Rutschen kam, das eben sozialdemokratisch beengt die Weite seines Horizontes nie erreichte, und da war ich völlig seiner Meinung, favorisierte den Umzug der Gemäldegalerie ins Humboldtforum - besser als die Kolonialsammlung aus Dahlems Rostlaube und passender zum Ensemble der Insel wäre es wohl gewesen, wenn auch die kulturelle Idee des Forums eine wirklich große und tolerante ist, die einen Schloßbau mitten in einer europäischen Hauptstadt wohl rechtfertigt. Nun leben wir noch einige Jahre weiter mit der großen Ebene, ihren schlechten Lichtverhältnissen in einem eigentlich großartigen Bau, der vom Geist der Renaissance noch geprägt ist, die dort so vielfältig und schön präsent ist. Die italienische wie die deutsche und niederländische in ihrer je Ausprägung des neuen Geistes.

Wer am Kupferstichkabinett unten vorbei ging, auch wenn dies mit seinen wunderbaren Kabinettausstellungen eigentlich immer mindestens einen Blick wert ist, seine Habseligkeiten besser in einem Schließfach in einer der unteren Ebenen verstaute, die alle durchbrochen immer den ganzen Bau im Eingang zeigen, betritt die Gemäldegalerie am uniformierten Pförtner vorbei und bekommt vorab eine Art Werbeeinlage. In der Rotunde wird den mehr oder weniger großzügigen Spendern gedacht, die Bau und teilweise die  Sammlung ermöglichten.

Den Anfang dazu machte Friedrich Wilhelm III., der traurige  Witwer der Königin Louise und König in Zeiten der Franzosenkriege. Diese verzögerten den Anfang auch ein wenig. Derzeit bewahrt die Sammlung 3500 Gemälde auf, von denen allein 2900 aus eigenen Beständen stammen. Seit der Wiedereröffnung 1998 finden sich zahlreiche Bilder auch aus privaten Sammlungen im ständig präsentierten Schatz des Museums. Die Berliner Gemäldesammlung war übrigens die erste in ganz Europa, die streng nach kunsthistorischen Aspekten konzipiert wurde. Schon 1797 hatte der Archäologe Aloys Hirt sich für die Gründung eines öffentlichen Berliner Bildungsmuseums der europäischen Kunstgeschichte eingesetzt, das sich anders als die von persönlicher Leidenschaft geprägten fürstlichen Sammlungen streng an wissenschaftlichen Prinzipien und deren Systematik orientieren sollte.

Mit dem Architekten Schinkel und dem Gelehrten Rumohr fand diese Idee bald prominente Fürsprecher. Doch wollten diese beiden sich von Beginn an mehr auf die Freude an der Kunst als auf die Belehrung konzentrieren. Schnell begannen sie mit der Umsetzung der Idee, die von König Friedrich Wilhelm III. aktiv unterstützt wurde und der Hirt gestattete, eine Auswahl von 650 Bildern aus der königlichen Sammlung zu treffen, die den Grundstock bildete. Nach dem Sieg über Napoleon kehrten zahlreiche vermisst geglaubte Bilder wieder in die königliche Sammlung zurück und erweiterten die erste Kollektion noch um 113 Bilder.

Die Bilder hatten es vom königlichen Palast zum ersten Ort der Gemäldegalerie später nicht weit. Dieser lag im Alten Museum, das auch die Antikensammlung beherbergte und so mussten sie nur den Lustgarten durchqueren, um zum Ziel zu kommen. Obwohl die königliche Sammlung bereits zahlreiche Exemplare von hohem künstlerischen Rang enthielt, wurden diese nicht den Ansprüchen einer nach wissenschaftlichen Kriterien aufgebauten Sammlung gerecht. Der Bildbestand bot keinesfalls den geforderten Überblick über alle europäischen Malschulen bis zum 18. Jahrhundert, trotz vereinzelter großer Meisterstücke. Es waren also noch zahlreiche Zukäufe erforderlich, um dem Publikum den gewünschten enzyklopädischen Überblick zu geben.

Dann bot sich 1815 die riesige Chance zur Erweiterung der Gemäldegalerie als ein Pariser Kunsthändler 155 Bilder aus der Sammlung Giustiniani zum Verkauf anbot. Der König war nach dem Sieg über Napoleon und die relativen Erfolge des Wiener Kongresses zufällig gut bei Kasse und gab die nötigen 540.000 Francs. Auch die später noch nötigen 64.0000 Francs für weitere 14 Bilder, die wieder Bonnemaison anbot, wurden bereitwillig gegeben.

Die Sammlung umfasste vor allem den italienischen Frühbarock mit Werken von Caravaggio und Carracci. Ergänzt wurde sie durch den Erwerb der bekannten Sammlung Solly, eines in Berlin lebenden englischen Kaufmanns, der ein guter Freund von Hirt und Schinkel war. Die bereits seit 1819 an den Staat Preußen verpfändeten über 3000 Bilder wurden, als Solly nicht mehr fähig war, sie auszulösen, 1821 für 500.000 Reichstaler übernommen und gingen in preußischen Besitz über. Damit kam das Museum in den Besitz einer großen Sammlung aus der italienischen Renaissance, altdeutscher Meister, sowie altniederländischer Gemälde.

Als Schinkel dann 1823 seine Pläne für einen prächtigen Museumsneubau vorlegte, die im heutigen Alten Museum Realität wurden, dessen Bau auch von einer Mehrheit befürwortet wurde, war der Ort der neuen Sammlung klar. Bald gab es auch eine erste Expertenkommission, der auch Schinkel und Hirt angehörten und die eine Auswahl der zu präsentierenden Bilder treffen sollte Hier ging der alte Streit wieder los, ob es eher um Bildung, wie Hirt es sich dachte, oder Freude an der Kunst gehen sollte, was dem genialen Schinkel vorschwebte, warum die erste Kommission bald wieder aufgelöst und durch eine neue ersetzt werden sollte. Dieser neuen gehörten dann preußische Größen wie  Wilhelm von Humboldt, der Bildhauer Christian Daniel Rauch, Jakob Schlesinger und Friedrich Tieck an. Wobei Humboldt die Führung übernahm und die Organisationsstruktur des Museums entwickelte.

Am 3. August 1830 wurde das Museum eröffnet. Die Gemäldesammlung umfasste damals 1198 Gemälde, die in der oberen Etage des Schinkelbaus am Lustgarten ausgestellt wurden. Es kann sich die Leserin also leicht schon das Gedränge an den Wänden vorstellen. Es gab drei Abteilungen, in der ersten hingen die Italienischen Schulen und denen verwandte Kunstrichtungen, in der zweiten die niederländischen und deutschen Schulen und in der dritten schließlich die Altertümer und kunsthistorischen Merkwürdigkeiten. Dabei enthielt die dritte Abteilung all jene Bilder, die aus ästhetischen oder moralischen Gründen vorher aussortiert worden waren und nur ausgewählten Besuchern zugänglich gemacht wurden, wie es eben damaligen moralischen Standards entsprach. Der Eintritt ins Museum war noch frei, musste aber anfänglich vorher angemeldet werden.

Erster Direktor der Berliner Gemäldegalerie wurde Gustav Friedrich Waagen. Die Mittel zum Ankauf waren relativ bescheiden und so nahm der Direktor für einen Tizian den ersten und wenig später einen Raffael den nächsten Kredit auf, was den Haushalt weiter beschränkte. Auf einer ersten Italienreise kaufte Waagen dann im Jahr 1841 mit großzügig vom neuen König Friedrich Wilhelm IV. genehmigten 100.000 Talern ein. Er erwarb manches von Raffael bis Veronese und Tintoretto. Doch blieb die Situation für den ersten Direktor schwierig, insofern er auf kein Netz von Kunstagenten in ganz Europa zurückgreifen konnte, wie es andere große Museen längst taten. Dennoch erwarb er immerhin 400 neue Bilder in seiner Zeit.

Mit der Reichsgründung 1871 begann eine neue Epoche des Museums. Die ehemalige Preußenmetropole als früher Provinzstadt im märkischen Sand sah sich nun nach dem Sieg über Frankreich immer mehr in der Pflicht auch kulturell eine bedeutsame Rolle zu spielen, Paris und London ihren alleinigen Rang streitig zu machen. War es früher noch normal, dass die bedeutendsten Kunstsammlungen in Dresden und München zu finden waren, musste sich Berlin nun bemühen diesen deutlich auch in der Kunst den Rang abzulaufen.

In dieser Zeit traten infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs auch immer mehr reiche bürgerliche Sammler auf, mit denen die Museen mit ihren beschränkten Mitteln nicht konkurrieren konnten, die Preise stiegen exponentiell. Damals war Julius Meyer Direktor, dem ab 1872 Wilhelm von Bode als Assistent zur Seite stand. Die beiden sahen es als ihre vorrangige Aufgabe an noch die Lücken der Sammlung zu schließen und lieber ein erstrangiges Werk als viele zweitrangige zu erwerben, was auf dem expandierenden Kunstmarkt nicht einfach war. So begannen auch sie 1872/73 erneut eine Italienreise und hielten sich für viel besser ausgerüstet und vorbereitet als ihr Vorgänger und erlebten eine herbe Enttäuschung, da der Markt überlaufen und leergefegt war, erwarben nur wenige gute Bilder etwa von Tiepolo und Tintoretto. Als Konsequenz begannen sie nun endlich ein europaweites Netz von Händlern aufzubauen, um schnell zugreifen zu können, wenn sich eine Chance bot.

Trotz der neuen Ankaufspolitik, die sich auf einzelne Meisterwerke eher konzentrierte, wollten sie die Chance wahrnehmen, als ihnen die international vielfach gerühmte Sammlung des Aachener Industriellen Barthold Suermondt angeboten wurde. Unter den teilweise wunderbaren Werken dieser Sammlung waren Jan van Eycks Kirchenmadonna und Jan Vermeers Mädchen mit dem Perlenhalsband. Daneben fanden sich noch einige Franz Hals, Hohlbeins und Rubens sowie zahlreiche Zeichnungen von Meisterhand, was sich der Staat Preußen 350.000 Taler kosten ließ.

Im Dienst des Museums und der Sache entwickelte sich Bode zu einem geradezu manischen Sammler, der die Bestände nicht nur erweiterte, sondern auch das Niveau entscheidend hob. Seinem Geschick ist es zu verdanken, dass die Berliner Sammlung zu einer der führenden in Europa wurde. Er trug eine der größten Rembrandtsammlungen zusammen, machte Berlin führend in der italienischen Renaissance. Seinen Verdiensten entsprechend wurde er 1890 zum Direktor von Gemäldegalerie und Skulpturensammlung gewählt.

Irgendwann begannen die Planungen für ein neues Museum an der Spitze der Insel, das später den Namen Kaiser Friedrich Museum trug und heute Bode-Museum heißt nach dem ersten Direktor mit seinen vielen genialen Ideen, der etwa Kunst und Kunsthandwerk parallel präsentieren, ein Renaissancemuseum schaffen wollte, wie es heute im Bode so wunderbare Realität wurde und ganz in dessen Sinne auch der Neubau am anderen Ufer jenseits der Insel wäre, wo früher Schloss Monbijou stand. Das neue Haus an der Spitze der Insel wurde am 18. Oktober 1904 eröffnet und ist, obwohl aus der Epoche Wilhelms II. stammend, des peinlichsten aller denkbaren Kaiser, ein geschmackvoll schöner Bau, der sich gut in die Insel einpasst und den Stil und Geschmack Bodes verrät. Auch hier war der Eintritt wie nach der Eröffnung weiter frei. Ab 1909 musste zumindest Dienstags und Mittwochs ein Eintrittsgeld bezahlt werden und es wird Zeit dies nach dem großen Vorbild des British Museum wieder einzuführen, weil es Werte in einer Kultur gibt, die immer unbezahlbar bleiben, ein Museum ein offener Ort sein sollte.

Einige Werke kamen noch durch den nach dem Krieg finanziell angeschlagenen deutschen Industriellen James Simon hinzu - dazu zählen noch jeweils Rembrandt, Hals und Vermeer, also ganz große Schätze noch der heutigen Sammlung. Sehr erfolgreich war die Gründung des Fördervereins des Museums mit dem bis heute bestehenden Namen Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, der einige bedeutende Einkäufe noch vorfinanzieren helfen konnte. Der Verein baute nebenbei noch eine eigene Kunstsammlung auf, die er, seinem Widmungszweck entsprechend, dem Museum kostenlos zur Verfügung stellte.

Trotz des endlich eigenen Museums begannen die Platzprobleme bald von neuem und Bode suchte Räumlichkeiten für das von ihm geplante Deutsche Museum, das auch Museum für  ältere deutsche Kunst heißen sollte und sich auf Meisterwerke deutscher Künstler konzentrierte. Es fand von 1930 -1939 Raum im Nordflügel  des heutigen Pergamonmuseums, wie Bode es sich gewünscht hatte. Während des Ersten Weltkrieges stagnierte die Sammeltätigkeit. In der Zwischenzeit bis zum nächsten Krieg wurde weitere deutsche Kunst in den Nordflügel des Pergamonmuseums ausgelagert und geringe Erwerbungen nur getätigt. Ab 1939 mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die Museen wieder geschlossen.

Die Gemälde wurde dann ab 1941 aus Furcht vor Luftangriffen in die Keller der Gebäude verlagert. Weil diese nicht sicher genug erschienen wurden sie noch teilweise in den Flakbunker am Friedrichshain deponiert, in dem unter bis heute unklaren Umständen ein nicht geringer Teil der Sammlung bei Kriegsende verbrannte. Die Liste der dort eingelagerten und damit für immer verlorenen Kunstwerke macht den Kunstliebhaber betroffener als mancher Soldatefriedhof - zum Glück überlebten dennoch einige Werke an anderen Orten und mit am besten diejenigen, die nur im Keller auf der Museumsinsel geblieben waren, statt sie noch sicherer in den Bunker zu bringen.

Nach dem Krieg wurden die verbliebenen Bestände wie die Stadt geteilt und kamen entweder zum Senat oder wurden der Stiftung preußischer Kulturbesitz zugeführt. Bis zur Fertigstellung de Kulturforums gab es noch die Gemäldegalerie in einem Neubau in Dahlem, der ab 1956 von den über tausend Kunstwerken im Westberliner Bestand bevölkert wurde, während der Ostberliner sich über die Insel verteilte. Heute ist die Gemäldegalerie wiedervereinigt, hängt zu großen Teilen im Kulturforum und es gibt eine enge Kooperation mit dem Bode Museum, zu der auch der geplante und vorläufig abgesagte Neubau zählte, der hoffentlich noch realisiert werden kann, bevor der Flughafen fertig sein wird.

Nach der Rotunde, die kunstlos schlicht begrüßt, muss sich der Besucher entscheiden, ob es nach links zur Renaissance, nach rechts zur Gothik oder geradeaus in die Säulenwandelhalle geht, der Kunst am und im Bau ohne mehr zu sein als eine stille Bahnhofshalle mit vielen Zugängen ins Paradies.

Als erstes zieht es mich immer zur Renaissance, die ich liebe, die für die Freiheit des italienischen Geistes steht, mit südlicher Sonne im Gemüt unterkühlten preußischen Geist erwärmt. Auch dort gibt es natürlich noch viel sakrale Kunst und ähnliche vom Aberglauben eben geprägte Werke, doch steht dabei, anders als in der symbolistischen Kunst des eher deutschen Mittelalters, das noch brauchte bis Dürer, Baldung und Cranach das Individuum entdeckten, stets der Mensch auch im Mittelpunkt. So schaue ich auf menschliche Kunst aus der Renaissance bevor ich mitten durch die Wandelhalle gehe und die Altäre ignorierend mich vor den von nackter Vernus umstellten Jungbrunnen stelle, der voller Ironie schon ist, eben Witz hat, der ein wichtiger Wendepunkt vom schlichten monokausalen mittelalterlichen Denken hin zur Freiheit des Menschen ist, der sich und seiner selbst als Wert auch jenseits des Glaubens voller Lust bewusst ist.

In die italienische Renaissance eintauchen ist wie wunderbare Antipasti vor einem großen Menüs zu verkosten. Es hat Leichtigkeit und Freude, ist nie ohne Ironie und den Mut die Dinge voller Lust und Freude an der Schönheit neu zu denken. Was zeichnet die Kunst der Renaissance aus?

Gerne und zu oft wird Leonardos vermessener Mensch oder Botticellis Geburt der Venus oder noch sinnlicher la primavera, der nur im deutschen männliche Frühling, als Sinnbild der Renaissance bezeichnet - es ist viel Wahres daran, denk ich heute, der immer einen italienischen Euro mit dem Abbild des vermessenen Menschen von Leonardo in der Hosentasche hat. Vermessen und durchdacht, auf exakte Proportionen nach der Natur bedacht, nach der symbolistisch überladenen Kunst des Mittelalter, die nur ein einziger großer naiver Gottesdienst war und dem Geist fanatischer Gläubiger eben entsprach - auch wenn es Ausnahmen natürlich  gab, zur Volksbewegung wurde die Individualität und die Lust an ihr im Italien der Renaissance, wo einerseits die erotischsten und frechsten Geschichten erzählt  wurden, welche die Kirche verspotteten, wie es vorher keiner gewagt hätte, andererseits ein Lukrez wieder entdeckt wurde, die Antike hohe Verehrung genoss und und die Epoche davor als eben dunkle Zeit abgetan wurde in ihrer Beschränkung. Eine Zeit voller Lust und Leidenschaft, die Menschlichkeit entdeckend, wie die Unmenschlichkeit auslebend.

Damit beginne ich immer meinen Besuch und wenn ich dann italienisch gut gelaunt nach den ersten beiden Räumen, mich eher auf die weltlichen Gemälde konzentriere, bevor ich genug Lebensfreude getankt habe, mir Hans Baldung, Dürer und Cranach anzusehen, die auch in Teilen ihre Lebenslust nur eben sehr deutsch entwickeln. Denke ich an Dürers Madonna mit dem Zeisig, auf dem das Jesusbaby mit dem Schnuller spielt, die italienische Farbenfreude in diesem Gemälde voller Licht, wird sichtbar was den dunklen Norden vom lichten Süden vielfach unterscheidet. Dürer malte dieses Bild während seiner Italienreise. Großartig dort auch die Gemälde von Karl V. und seinem Großvater Maximilian I. - die sichtbare Inzucht am Kinn dieses Kaisers, der so ganz menschlich natürlich gemalt wurde. Daneben auch Freunde und Nachbarn Dürers, schlichte Gemüter aus  Nürnberg.

Dann eine kleine Kammer, wie ein Abgang voller alter holländischer Meister van Eycks Madonna, die so glitzert und strahlt, wie es unglaublich scheint, als lebe dieses über 500 Jahre alte Bild - welch Meisterschaft aus den Kunstschätzen Burgunds, das später dann Karl erben sollte von seinem Großvater Maximilian, der es noch erheiratet hatte.

Doch da schon begannen sich die reformierten Niederlande abzuspalten, in ständiger Auseinandersetzung um die burgundisch, östereichisch, spanischen Niederlande, was in den Bildern der einen und der anderen Seite immer sichtbarer wird.

Stunden könnte ich vor dem Breughel mit den niederländischen Sprichwörtern verbringen, habe schon häufiger nun Kunsthistoriker dazu referieren hören und doch, entdecke ich immer wieder lachend etwas neues in diesem Wimmelbild für Große, ständen nicht immer auch so viele andere da.

Holländer gibt es noch manche in dieser Sammlung. Ein großer Raum mit Oberlicht voller Rembrandt, könnte eine Kathedrale der Kunst sein und ist doch eher nur eine schlechte Bahnhofshalle mit schwacher Beleuchtung. Als die Rembrandts noch ganz auf Schwarz präsentiert wurden, in der groß aufgemachten Sonderausstellung, einzeln beleuchtet und eben präsentiert, da sah auch ein schlichter Geist wie ich sofort, wie großartig diese Bilder sind. Dort hängen sie eben rum, ziemlich viel und manche irgendwie besonders.

Es hat diese Gemäldegalerie wunderbare hölzerne Sitzecken, schönste Ruhepunkte neben der Wandelhalle als Orte der Besinnung zwischen den Genüssen und schafft es doch nicht die Wände zur Ruhe zu bringen, sie dunkel mit Stoff zu verhängen, von mir aus auch mal in mutiger Farbe wie im Frankfurter Städel derzeit, aber doch bitte nicht so blaß, harmlos, dass die schönsten Meister einfach nur in Reihe hängen und jeder merkt, die haben halt viel hier.

Zwei Vermeer nebeneinander, traumhaft schöne Bilder voller Licht in einem kleinen Kabinett zum Durchgang als Posten an dem alle vorüberlaufen, wie ein Sonderangebot, nicht als Punkt der Anziehung am Ende eines Ganges oder doch zumindest Raumes ins U gehängt, nein, zwischen die Türen quasi, wo alle die stumpf den Wänden nur folgen vorüber laufen. Es fehlt dieser prachtvollen Sammlung jede Show und jeder Sex und den bräuchte sie mehr, um diese Wundertüte voller Bilder angemessen zu präsentieren, die in einem eben langweiligen Bau der Moderne nur hängen, der so gefühllos für sie bleibt, wie sie in ihm nur rumhängen. Hier zündet nichts.

Doch aller Fluche zum Trotz., ich liebe jedes dieser Bilder, begrüße sie wie alte Freunde, verzichte nur auf meine sonst haptische Neigung, keinen Alarm auszulösen. Es ist eine wunderbare Galerie und was könnte mit etwas Mut zur Inszenierung, zum Theater, nicht alles neu gezeigt werden. Die Bilder der holländischen Meister direkt nach der Reformation zeigen die leeren nüchternen Kirchen. Vielleicht mag in diese Zeit und jene Epoche in der sich der Aberglaube des Mittelalters befreite, die reformierte Nüchternheit ein großer Wert gewesen sein. Doch wer Kunst so präsentiert, raubt ihr den letzten Saft, sie ist so spannend wie das Wort  zum Sonntag und gähnend sitzen die letzen Alten in der Kapelle noch - dabei ist diese Kunst so jung, so lebendig, so wild so leidenschaftlich auch, wenn wir nur wagen, dies auch zu sehen.

Manche Bilder erzählen dramatische Geschichten mit der Abbildung andere verraten dies erst auf den zweiten Blick und plaudern von ihrer Herkunft, ihren Leidens und erzählen manches mehr noch aus ihrer Zeit. Ist es Karl V. bei einem der wenigen spanischen Bilder der Sammlung, was für ein anderes Bild des leidenschaftlichen Prinzen und jungen Königs von Spanien als das des deutschen Kaisers mit dem vorstehenden Kinn. Und wie sehen die Italiener ihr Venedig, was lernen wir daraus - wie schön wäre es Bilder zu mischen, um die Unterschiede deutlicher zu machen, statt sich simpel auf Epochen nach dem Lehrbuch festzulegen oder erregt sich da der Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, weil in Preußen alles seine Ordnung haben muss?

Und komme ich von Vermeer, der immer noch beeindruckt, obwohl er völlig verfehlt und lieblos im Durchgang nur hängt, zu den Engländern nebenan, Reynoulds und seinen Kameraden, warum bin ich dann nicht in England sondern in einem blass langweiligen Raum, der den Geist hinter diesen oft kraftvoll britisch ironischen Bildern verblassen lässt wie die englischen Dienstherren besonders weiß neben ihrer braunen indischen Dienerin und das ist schade, weil die Feinheiten in der Blässe der Räume verloren gehen. Auch aus den Sammlungen Friedrichs des Großen, zärtlich erotische Watteaus zwängen sich mit Bildern des Kronprinzen, seines Bruders, der Therbusch in zu engem Raum, letzteres auch ein großartiges Bild, was viel Platz bräuchte und Farbe, zu zeigen, wieviel Mut diese frühe Malerin aufbrachte, sich so mit Augenglas zu portraitieren.

Was würde ich wirbeln in diesen Räumen, die Wandelhalle, dieser Anklang an die italienische Renaissance würde bei mir Heimat derselben und ich würde dies Museum einrichten und mit Farbe versehen, es abdunkeln zugleich wo nötig und anstrahlen. Aber so laufe ich durch die Räume und denke, was habt ihr da für eine tolle Sammlung, macht was draus. Kunst ist ein Abenteuer und ich liebe sie auch in dieser lieblos nüchternen Präsentation und die Farben im Städel sind vielleicht doch manchmal etwas gewagt aber zumindest lebt es, regt auf und bewegt. Kunst lebt in ihrer Umgebung und das Kulturforum lebt leider sehr wenig, auch wenn es das Zeug dazu hätte. Es ist protestantisch nüchtern und so sexy wie fleischfarbene Strumpfhosen in Gesunheitssandalen.

Doch trotz dieses Mankos, des leeren Raumes inmitten, der ein Paradies der Renaissance wohl wäre, um den anderen, die Raum brauchen, mehr zu geben, ihre Präsentation zu inszenieren wie im Theater - es ist ein Traumwandelgang durch die Zeiten zu schreiten in dieser Gemäldegalerie, von Saal zu Saal durch die Jahrhunderte zu springen, alte Freunde zu besuchen, die an Wänden hängen und ich kenne keine bessere Form der Meditation. Wenn er mir mal schlecht gehen sollte, von Lebenszweifeln geplagt, ginge ich ins Museum, mich am Zeitsprung zu freuen, diese geballten Gefühle auf Leinwand zu sehen. Zöge immer Museum mit stillstehenden Bildern jedem Film mit rasenden Bildern vor, aber vielleicht bin ich auch etwas verrückt aber dann passe ich ja auch ins Museum.
jens tuengerthal 9.3.2017

Mittwoch, 8. März 2017

Berlinerleben 013

KaDeWe flanieren

Ein Besuch im KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens auf dem Tauentzien ist nicht einfach ein Besuch in einem der vielen Konsumtempel, wie es sie überall auf der Welt immer ähnlicher und austauschbarer gibt, es ist eine Form des Gottesdienstes für das alte Berlin auch ohne Gott.

Lernte es mit A meiner neuen, welterfahrenen Liebe kennen, die den schönen Luxus gut kannte und schätzen konnte, immer eine Feinschmeckerin war. Wir kamen von hinten, was sich mit dem Auto meist empfiehlt und A steuerte ihren luxuriösen Saab durch mir noch völlig fremde Gegenden mit großer Erfahrung und Gelassenheit.

Die Kathedrale des Konsums hat natürlich ein großes Parkhaus über viele Etagen, was je nach Wetter sehr bequem ist aber dem Besucher den prächtigen Eingang etwas verwehrt -  er taucht einfach irgendwo zwischen den Etagen auf, wo Parkhaus und Aufzüge ihn eben ausspucken. Ist damit gleich mitten im Geschehen und verpasst das Eintauchen vorbei an den Pförtnern im Livree und den leichteren dafür um so schwerer duftenden Damen in der ersten Parfümerieabteilung, die sich an den oft östlichen jedenfalls massenkompatiblen Geschmack richtet, bevor sich die schon schwer berauschte Nase in feinere Gefilde durchkämpft, haben chemische Produkte wie Joop und Konsorten bereits ausreichend benebelt.

Darum empfehle ich jedem Besucher lieber mit der U-Bahn zum KaDeWe zu fahren, am prächtigen Wittenbergplatz auszusteigen und aus den Luftgrüften der Schienenschächte durch die geflügelten Türen in die Duftgruft der schlichten Gemüter einzutauchen, um ein volles Bild zu gewinnen, diesen Tempel ganz wirken zu lassen mit seinen gläsern goldenen Aufzügen und dem mondänen Atrium, immer noch eine Erinnerung an das untergegangene Westberlin, jene Trutzburg des Kapitalismus gegen das Leberwurstgrau des Sozialismus, das wenige Kilometer weiter begann.

Diese Defloration der Nasenschleimhäute erlebte ich erst viel später, als wir zuvor schon viele mal wie Kenner gemeinsam von hinten gekommen waren. Aber meine A kannte sich eben aus, hatte einen ausgewählten Geschmack und ersparte ihrer immer sehr sensiblen Nase diesen Rausch und wir tauchten in der Nähe ihres Lieblingsstandes auf, der zwischen den Rolltreppen nach oben, zur Rückwand gewandt, feine englische Düfte aus natürlichen Stoffen anbot. Eine unaufdringliche Wohltat für die Nase, die von einer sehr englisch aussehenden rothaarigen Dame mit dezenterer Höflichkeit angeboten wurden, die ebenfalls eher dezent duftete und deren Kleider eher nach Laura Ashley denn nach dick bedruckter Designermode aussahen.

Es gibt auch diese kleinen feinen Orte im Tempel des Westens, der Trutzburg gegen alle Konsum-Läden, die dem Osten einst zeigte, wie gut es uns geht, wenn wir nicht gerade betrunken oder bettelnd davor saßen. Aber wer das tat, war ja meist selbst schuld oder wollte es nicht anders, so zumindest lange die offizielle westliche Lesart. Wir aber sahen weder die Bettler davor noch die berauschend duftenden und jede falsche Mimik reichlich überschminkenden Parfum Verkäuferinnen im Eingangsbereich, wir kamen ja als Kenner von Hinten, auch wenn es mein erstes mal war, ich keine Ahnung hatte, was mich erwartete, zumindest keine bewusste Erinnerung mehr an einen Besuch in Kindertagen als ich einmal mit meinen Eltern anlässlich eines Kongresses im noch verschlossenen Westberlin ängstlich zu Besuch war.

Bei diesem ersten Besuch nahm sich A auch gerne die Zeit mit ihrem staunenden Liebsten Etage für Etage mit der Rolltreppe hinauf zu fahren, zwischendurch in den einzelnen Abteilungen ein wenig zu schauen, mal Wäsche für die Dame, die ich immer besonders gern betrachte, auch wenn sie noch auf Bügeln hängt, beflügelt sie schon meine erotische Phantasie ausreichend und Damen dabei zu beobachten, wie sie sich solche Dinge aussuchen, ist ein äußerst sinnlicher Vorgang für einen Flaneur, auch wenn ich damals ja noch kaum wusste, dass ich ein solcher werden sollte, sondern als Begleiter einer eleganten Dame von Welt mit entschiedenem Stil und Geschmack sowie viel Erfahrung, zumindest viel im Gegensatz zu mir, auch im Luxuskonsum, dort weilte.

Fast ging ich dann selig betrachtend in der Spielzeugabteilung verloren, der ich immer noch stundenlang vor den aufgebauten Dioramen der Playmobilwelt wie vor meinen noch Kinderträumen stehen kann. Diese immer lächelnden Wesen, die mich so lange auf vielen geistigen Abenteuern begleiteten, was hatten wir nicht alles zusammen erlebt. Hier waren sie in Aktion mit vielen Details zu sehen, von denen ich in meiner Kindheit kaum zu träumen wagte - baute damals lange Zeit nur auf, saß dann stundenlang davor und bewegte alle halbe Stunde mal ein Männchen - der Rest der Geschichten spielte sich immer bei mir im Kopf ab, wie ich meiner Mutter auf Nachfrage einmal erklärte, die sich wunderte, was ich denn mache, wenn ich nur davor sitze, ob mir nicht langweilig sei. Nein, langweilig war mir in meinem Kopf und in der gespielten Welt nie und würde mir auch in dieser Spielzeugabteilung vermutlich nie - auch wenn ich sagen muss, dass die leicht unvollkommene Improvisation zu der mich meine bescheideneren Playmobilbestände noch zwangen, vielleicht meine Phantasie mehr beflügelten als diese perfekten Inszenierungen von gut im Marketing geschulten Dekorateuren der Spielzeugwelten.

Dennoch blieb ich fasziniert stehen und merkte gar nicht, wie A weiterging und wer sich je in diese, Irrgarten von einem Kaufhaus verlor, in dem zur Verführung der Kunden gerade und lineare Durchblicke die Orientierung geben könnten in dekorativster Form immer wieder bewusst verstellt werden, wird wissen, was ich meine und wie groß meine Panik war, als ich A als orientierungsloser Neuling nicht mehr sah.

Plötzlich war ich allein und völlig auf mich gestellt - sollte ich nun loslaufen und sie egal wo suchen, mich vollkommen verirren, bis mich irgendwann ein Nachtwächter und an die rettende ungefilterte Luft brächte oder war es klüger zu bleiben, wo ich war, damit A, die sich ja auskannte, mich wiederfände. Hin- und Hergerissen, zwischen beiden Möglichkeiten entschied ich mich fürs bleiben als weniger riskant, da sie sicher, hoffte ich zumindest, irgendwann bemerken würde, dass ihr Liebster verschwunden war und dann als  Kennerin den geraden Weg zurücklief und mich wiederfände.

Wir waren später noch häufiger dort, meist von hinten kommend, irgendwann kannte ich zumindest den Weg zur eleganten Parfüm Verkäuferin im Erdgeschoss und in die Lebensmittelabteilung und fand mich also an den entscheidenden Orten allein zurecht. Vermute ich würde heute immer noch bei der Damenwäsche oder beim Spielzeug, was ja auch je nach Alter irgendwie zusammenhängt, verloren gehen und mich nur zu leicht den schönen Anblicken dort einfach hingeben, warum ich sie meist bewusst umging, zum Ziel zu kommen.

Sie kam irgendwann tatsächlich lachend wieder, ich erklärte ihr meine Not und dass ich lieber hier geblieben wäre, bevor wir uns restlos verlören. Natürlich hatte sie Recht, als sie meinte, scheinst dich ja wohl hier zu fühlen, gab aber zu, dass es so wohl am besten wäre, nahm mich an die Hand und führte mich nun ohne größere Umwege in das große  Reich der Sinne im Obergeschoss.

Viele Supermärkte bemühen sich ja heute nach französischem Vorbild ihre Waren etwas eleganter zu drapieren, doch was dieser Ort der Nahrungslust bot, überstieg alles, was ich je gesehen hatte. Zugegeben erinnerte ich den Besuch bei Harrods oder Fortnum & Mason nicht mehr so genau, war da aber auch sicher nicht in der Lebensmittelabteilung gewesen vermutlich. Auch in Paris hatte ich mit meinen Liebsten lieber die Wäscheabteilung etwa im Lafayette besucht, als bei den bestimmt zu teuren Lebensmitteln lange zu verweilen.

Es gibt ja nun auch ein Lafayette in Mitte und einmal war ich auch mit einer meiner Liebsten dort, in der Wäscheabteilung und danach im Untergeschoss bei den Lebensmitteln, die eben französisch elegant drapiert waren und doch kein Vergleich des KaDeWe je sind. Diese eben obere Etage, über der nur noch ein Restaurant thront für die Westberliner Schickeria nach dem Einkauf oder zum Abstellen der Gatten, während die Damen dem Einkauf fröhnen. Hoffe mich stellt dort nie eine ab, lieber schlenderte ich durch dieses lustvoll dekorierte Museum der Lebensmittel, setzte mich dezent in die Abteilung mit der Damenwäsche oder könnte vor den Playmobildioramen abgestellt werden und nach einigen Stunden mit immer noch offenem Mund wieder abgeholt werden.

Wir gingen einkaufen an diesem Ort, der wie ein Jahrmarkt der Feinschmecker voller kleiner Buden und Imbissstände den Augen, der Nase und auch allen übrigen Sinnen so viel bietet, dass ich schon träumend ohne Ziel und Führung dort nach einer halben Stunde übersättigt und erschöpft wäre. Stelle ich mir vor, ich hätte eine unbeschränkt gedeckte Kreditkarte, müsste über solche Fragen nicht nachdenken, würde ich vermutlich mit Bergen von Dingen, die ich nie brauche aber unbedingt haben musste und die mein Leben um so vieles schöner machten, aus dieser Kathedrale aus einer anderen Zeit wieder herauskommen. Dies ist vermutlich der Zweck dieser Museen des Konsums, die nicht nur zum Anschauen da sind und glücklich preise ich mich als bedürfnisloser Flaneur, der nur gucken will und sich eher weniger leisten kann und darum selten gefährlich verführt wird.

Dieser Tempel, der im Kalten Krieg seine größte Rolle spielte, öffnete schon 1907 im heute Berliner Stadtteil Schöneberg, der damals noch zur selbständigen Stadt Charlottenburg gehörte die erst 1920 in Großberlin aufging, seine Pforten. Es ist heute mit über 60.000 Quadratmetern Verkaufsfläche das größte Warenhaus Kontinentaleuropas. Die Lebensmittelabteilung, die schon seit den 20er Jahren ein beliebter Anziehungspunkt nicht nur für Berliner ist, kann sich sogar rühmen die zweitgrößte weltweit zu sein und der Westberliner rühmt sich ja auch selbst gern seiner Traditionen, wie überhaupt der Märker allgemein, was ja schon Fontane wusste, ein großes Talent hat, gewöhnliche Dinge groß zu reden.

Insofern das alte Westberlin mit dem Fall der Mauer unterging, der Mittelpunkt des Interesses sich verlagerte, wurde das KaDeWe auch zu einer Gedenkstätte für das alte Westberlin und ist ein Museum in dem der Westen sich gern gut geschminkt zeigt, was ihn vom wilden Osten sichtbar unterscheidet.

Der Kaufmann Adolf Jandorf hatte bis 1905 schon sechs Warenhäuser für den einfachen Bedarf eröffnet. Nun plante er ein repräsentatives Haus für die wilhelminischen Eliten, welche die verwöhnten Ansprüche der oberen 10.000 oder sogar nur der obersten 500 auch befriedigen könnte. Das Kaufhaus begann schon lange vor der Teilung mit dem nach amerikanischen Vorbild abgekürzten Namen KaDeWe, der sich auf den Neuen Westen bezog wie im Kaiserreich ab 1871 die Bezirke Charlottenburg, Tiergarten und Schöneberg zusammengefasst wurden. Ein wichtiger Grund für die Wahl des Standortes war die Lage direkt am Bahnhof Wittenbergplatz und damit an der Stammstrecke der gerade neuen Hoch-und Untergrundbahn, die bereits 1902 ihren Betrieb aufnnahm.

Das noch mit 24.000 Quadratmetern Verkaufsfläche geplante Kaufhaus wurde im Stil der modernisierten italienischen Neorenaissance gebaut, wie damalige Beobachter es nannten. Die Fassade wurde mit fränkichem Muschelkalk aus der Heimat Jandorfs verkleidet. Innerhalb eines Jahres wurde der Bau vollendet. Statt des verglasten Innenhofes über alle Etagen hinweg, wie er in französischen Kaufhäusern schon üblich war, wurde im KaDeWe eine zweigeschossige Eingangshalle in der Mitte des Gebäudes gebaut. Diese bescheidenere Form wurde nach dem Wettbewerb der Überbietung unter Berliner Warenhäusern als wohltuend und bescheiden wahrgenommen.

Vor der Eröffnung wurde noch eine große Werbeaktion gestartet, in der die nun erstmals möglichen ganzseitigen Bildinserate in Tageszeitungen mit zu diesem Zweck angefertigten Grafiken des Jugendstilkünstlers August Hardjuk veröffentlicht, die schon den exklusiven aber auch aktuell  modischen Stil zeigen sollten.

Nach der Eröffnung ließ der Kaiser zwar noch auf sich warten, der Adel und Reiche anlocken sollte, dafür machte der zweitägige Besuch des siamesischen Königs Rama V., den erwünschten Eindruck bei Bürgertum und Adel. Bereits damals war das Warenhaus nach dem Vorbild amerikanischer Konsummeilen konzipiert und es fanden sich in 120 Abteilungen unzählige kleine Fachgeschäfte, zu denen von Beginn an auch eine Leihbibliothek gehörte. Anstatt der zu dieser Zeit sonst üblichen Gasbeleuchtung, gab es bereits Kohlefaserlampen für das neue elektrische Licht.

Über dem Eingang war ein kleiner Balkon platziert über dem wiederum eine riesige, bronzene Uhr mit drei Metern Durchmesser hing. Zu bestimmten Uhrzeiten öffneten sich links und rechts der großen Uhr zwei Pforten und eine goldglänzende Hansekogge aus ebenfalls Messing umrundete die Uhr mit geblähten Segeln, als sei sie in voller Fahrt. Die Kogge war das Wahrzeichen des KaDeWe, zugleich war sie auch eine Erinnerung an die große Zeit der Hanse, die Macht des Handels und seiner Freiheit, gab dem Kaufhaus einen ehrwürdigen Rathauscharakter.

Die in feinstem Holz getäfelte Eingangshalle wurde zu beiden Seiten von zwei riesigen Marmorfiguren flankiert. In den beiden Innenhöfen waren kleine Gärten angelegt, in denen die gehetzten Kunden zwischendurch einen Ort der Ruhe finden konnten. Das bald immer beliebtere Kaufhaus veränderte die Struktur des ganzen Bezirks. Die Tauentzienstraße wurde immer mehr von einer vorher reinen Wohnstraße zur Einkaufs- und Flaniermeile und auch die Gegend um die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche mit dem Kurfürstendamm zog allmählich nach. Was das Einkaufsparadies des alten Westberlin war und ist, entstand quasi als Appendix des KaDeWe, wozu auch die zahlreichen Boardinghouses für Amerikaner in dieser Gegend beitrugen.

Der Gründer Jandorf verkaufte sein KaDeWe im Jahre 1926 dann an den Warenhauskonzern Hermann Tietz & Co, was nur wenige Jahre später schon, dramatische Folgen haben sollte. Dieser ließ eine Dachterrasse einbauen, die mit Holzliegestühlen bestückt, die erschöpften Käufer zum Verweilen gern bei einem Perlwein nach Art des Hauses einlud. Es wurden im Stile der luxuriösen Hochseeschiffahrt auch hölzerne Liegestühle und das übliche Zubehör edler Freiluftunterhaltung aufgestellt und angeboten. Mit dieser Erweiterung des Hauses wurde auch die bis heute vorbildliche Lebensmittelabteilung mit besonderen Lüftungsapparaturen als  Feinkostparadies eingerichtet. Die Leihbibliothek des KaDeWe umfasste damals immerhin schon 60.000 Titel.

Nach der großen Wirtschaftskrise von 1929 kam es auch in der Warenhausgruppe Tietz zu finanziellen Engpässen, die ein großer Kredit der ab 1932 staatlich beherrschten Dresdner Bank überwinden sollte. Nach der Machtübernahme Hitlers Anfang 1933 wurde dem jüdischen Unternehmer Tietz ein Kredit über 14 Millionen Mark, was heute etwa 60 Millionen Euro entspräche, verweigert, wenn er nicht einen arischen Geschäftsführer einsetzen würde.

Bereits im März 1933 begann dann, vom Wirtschaftsministerium aus geführt, ein angeblicher Entschuldungsplan, der zur faktischen Arisierung des Kaufhauses führte, die eine kalte Enteignung war. Beim Treffen zur Verhandlung im Adlon wurden den jüdischen Geschäftsführern die Pässe abgenommen, um den Druck zu erhöhen. Als die NSDAP am 1. April 1933 zum Judenboykott gegen alle jüdisch geführten Warenhäuser und Läden aufrief, blieb auch das KaDeWe geschlossen.

Hitler wollte das Warenhaus zunächst nicht erhalten lassen, wurde jedoch von Beratern überzeugt, da zu viele auch mittelständische Betriebe als Lieferanten davon abhängig waren. Darauf kauften die Gläubigerbanken die Aktien der ehemaligen Hermann Tietz OHG, zu nur noch 10% des ursprünglichen Wertes, nannten die Firma Hertie, aus den Anfangsbuchstaben des vorigen Eigentümers und führten sie weiter. Die Wortmarke Hertie aus Tietz Vor-und Nachnamen war schon vorher eingetragen worden und so eine der wenigen, die zumindest nominell die Arisierung überstand, wohl weil sie sich bewährt hatte.

Im Laufe des Jahres wurde der arische Geschäftsführer eingesetzt und die Söhne von Tietz aus der Geschäftsführung verdrängt.

Während des Zweiten Weltkrieges stürzte am 23. November 1943 ein amerikanisches Kampfflugzeug in das Dachgeschoss des Kaufhauses, das infolge fast völlig ausbrannte. Der spätere Eigentümer Karg entschädigte nach Kriegsende die Tietz-Erben soweit sie die Nazi-Zeit überlebten mit einigen eigenen Warenhäusern zunächst, die er später wieder zurück kaufte. Nach dem Krieg wurde das Warenhaus rasch wieder aufgebaut und eröffnete schon am 3. Juli 1950 wieder. An diesem Tag strömten wohl bereits 180.000 Besucher, wer weiß ob dann tatsächlich Kunden, in die etwas vereinfacht wiederhergestellten Räumen, vor allem um sich mit Fett und Lebensmitteln zu versorgen. Der heutige Bau wurde dann 1956, bereits im Kalten Krieg abgeschlossen. Nach dem Bau der Mauer kam es im Warenhaus eine zeitlang zu Engpässen von zwei Seiten, die zahlreichen Verkäuferinnen aus dem Osten der Stadt, konnten nicht mehr zur Arbeit kommen, es blieben auch zahlreiche Kunden der früher wohlhabenden Gegenden um Dahlem aus, die aus der Insel Berlin weg zogen.

Während in den 70ern noch gelästert wurde, das KaDeWe sei nur noch ein gehobener Lebensmittelladen mit piefigem Kaufhausanhang, wurde in den folgenden Jahr das Niveau wieder gehoben, um sich gut im Luxussegment zu positionieren. Bei der Eröffnungsgala nach dem nun folgenden sehr kostspieligen Umbau, der das Warenhaus an der U-Bahn auch um ein Parkhaus bereicherte, war sogar der damalige Bundespräsident Walter Scheel anwesend und gab dem Haus die gewünschte Ehre, holte nach, was der Kaiser noch 1907 verweigert hatte.

Nach der Wende kam es zu einem riesigen Ansturm von Ossis, über 200.000 von ihnen sollen in den folgenden Wochen in dem Konsumtempel Gott Mammon teilweise sicher auch mit ihrem Begrüßungsgeld gehuldigt haben. Ob viele Bananen kauften, ist nicht überliefert. Von 1991-96 stockte das KaDeWe sich noch um eine Etage auf, in welche mit Glaskuppel als Wintergarten das Dachrestaurant integriert wurde. Nach der Übernahme von Hertie durch die Karstadt Gruppe, die sich irgendwann modisch Arcandor AG nannte, begleitete sie deren tragisches Schicksal um die Familie Schickedanz und den betrügerisch großmäuligen Manager Thomas Middelhoff, dem nur die Lebensgefahr nun Haftverschonung noch brachte.

Danach übernahm übrigens die Berggruen Holding des Investors Nicolas Berggruen, der inzwischen auch weiter veräußerte, aber so war das alte Warenhaus zumindest zweitweise wieder im Eigentum einer der alten jüdischen Familien Berlins. Ist doch Nicolas der Sohn von Heinz Berggruen, dem früher Berliner und Pariser Galeristen, der mit seiner wunderbaren Sammlung der klassischen Moderne Berlin so reich beschenkte und die heute im Stülerbau, gegenüber dem Schloss Charlottenburg im Museum Berggruen zu bewundern ist, in dem der Mäzen und Kunstkenner auch noch die letzten Jahre bei seinen Schätzen lebte und wo ich das Glück hatte, ihn einst zu treffen und einen Moment mit ihm über seine Schätze an den Wänden und die Geschichten der Künstler dahinter zu plaudern. Aber davon erzähle ich ein anderes mal.

Heute gehört das KaDeWe zu einer österreichischen Holding und alle wollen hoffen, dass die Zeiten in denen das Engagement von Österreichern in Berlin nichts gutes brachte, endgültig vorbei sind, es nur um Geld und Luxus geht, von dem der Besucher unverändert genug sehen kann, so er will.

Bei meinem ersten Besuch waren wir neben den kleinen Ausflügen und Verwirrungen auf dem Weg nach oben, hauptsächlich in der Lebensmittelabteilung und dort erinnere ich besonders die damals direkt nebeneinander gelegenen Bereiche für Tee und Fleisch. Der Tee zart duftend, wurde teilweise in Urnen angeboten, vor denen kleine Porzelanschälchen standen an denen der kundige Besucher schnüffeln durfte, was wer wirklich suchte. A wusste, was sie wollte und ich war vermutlich angesichts einer solch vielfältigen Entscheidung leicht überfordert, hatte die grüne Version des so britischen Earl Grey mit der halb sauren, halb bitteren Bergamotte noch nicht für mich entdeckt, dessen zarter Duft sich übrigens auch in Chanel No 5 wiederfindet.

Eindrucksvoller war noch die Präsentation des Fleischs. Wir ließen uns wunderbare  Steaks zuschneiden, A wählte noch eine Lammkeule und ließ sie sich vom ausnehmend höflichen Metzger klein hacken, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, während ich den Profi  fragte, ob es da bei dem Rindfleisch einen Druckfehler gäbe, das Komma verrutscht wäre, so teuer könne doch nicht mal hier sein. Doch erfuhr ich von dem lachenden Metzgersmann, es sei das Fleisch der Kobe-Rinder aus Japan, die besonders gefüttert und gepflegt würden - so bekämen sie tägliche Massagen, die dieses Fleisch besonders zart machten und tatsächlich kaufte dann eine Frau nach uns eine nicht unbeträchtliche Menge davon und wird dafür wohl mehr gezahlt haben als heute modernste Mobiltelefone kosten.

Aber Geld spielt in diesem Tempel keine Rolle, es ist ein Ort des Genusses und der Hingebung an die Sinne - an dem Brotberge im Stil alter holländischer Meister gestapelt werden. Wurst aus Deutschlands unterschiedlichen Regionen unter ihrem jeweiligen Namen an separaten Ständen oder Theken angeboten wird. Die nordische Katenrauchwurst oder die Cervelatwurst und die vielen Richtungen echten Schinkens - ich hatte  einfach keine Ahnung von den wirklich wichtigen Dingen, dachte ich immer wieder und hatte meinen Wurstkonsum im Studium und die erste Zeit danach auf die abgepackten Angebote der dortigen Theken reduziert. Doch was gab es hier nicht alles zu entdecken - eine so unendliche Vielzahl von Pasteten, dass sogar die schönsten Straßburger Märkte wohl blass würden, frische Austern, neben schwimmenden Fischen und noch zuckendem Hummer, die ich alle lieber übersah, um mich auf das englische Teegebäck in der ach so britischen Verpackung zu konzentrieren.

Dazwischen immer wieder kleine Rondells und Stände an denen die typischen Westberliner, wie mir später viele versicherten, sich ihrem kleinen Luxus laut plaudernd hingaben, ein Champagner oder Pro Secco Glas in der Hand. Die Damen meist etwas zu  stark geschminkt, erinnerten stärker an Düsseldorf als an Berlin, wie ich es kannte, waren aber typisch für den westlichen Vorort in dem sich die Damen eben ausgiebig anmalten, was im schlichteren Osten auch unter den dort gern flanierenden Models und Schauspielerinnen völlig verpönt ist. Die Herren häufig mit relativ weit offenen Hemden und meist zu braun gebrannt, mit ein wenig zu auffälligen Armbanduhren und Goldknöpfen an ihren Sakkos, während die unter dem Ansatz von Bierbauch zu eng sitzenden Designerjeans mit zu sichtbarem Label den krönenden Abschluss bildeten.

Es gab auch die dezenteren Herren, in Tweedsaccos, mit Cordhosen und feinden Schuhen, die Damen entsprechend, nur waren diese eher auf den Einkauf, denn den Konsum hier konzentriert, wie wir ja auch eigentlich, auch wenn ich nicht weiß, was ich trug als ich mit zumindest innerlich meist offen stehendem Mund durch die Reihen und Regale hinter A her flanierte. Wir tranken auch ein kleines Glas Cremant, aßen ein wenig Baguette an irgendeinem elsässischen Winzerstand, an dem weniger das laute Westberliner Publikum der Austern und Hummerstände und der großen Champagnerfirmen standen.

So gestärkt wirbelte A noch ein wenig mit mir durch die verschiedenen Abteilungen und ich frage mich bis heute, der ich schon mehrfach auch das KaDeWe alleine besuchte, welcher innere Kompass sie dabei wohl leitete, wo ich nur überall verwirrt staunte und aufpassen musste, damit nicht meine ewig tropfende Nase an den immer frisch polierten Scheiben platt drückte.

Natürlich wusste ich, bevor ich ins KaDeWe kam schon, dass es sehr teure Bordeauxs gab - hatte einzelne auch schon mal probiert - aber diese Preise in solcher Fülle und dann eine voll verschleierte Frau, die einem entgegen kommt und ihren Begleiter auffordert welche Flaschen er nun alle mitnehmen solle - das überstieg alles, was ich bisher kannte und dies vielleicht noch mehr auch als im Lafayette, weil diese Lebensmittelabteilung ganz oben, die natürlich Feinschmeckerabteilung heißt, einfach alles übertraf, was ich kannte, oben und nicht unten ist, am Ende eines langen Aufstiegs steht. Über 34.000 verschiedene Artikel bieten die mehr  als zuvorkommenden über 500 Mitarbeiter den interessierten Kunden an, die auch noch von dem kosten können, was 110 Köche oder 40 Konditoren zubereiteten.

Fragte mich häufiger dort, ob ich es nun eher neureich und ein wenig peinlich finde, wie einige der alten Westberliner dort, die aber wohl zum Stammpublikum gehören oder doch gediegen und edel und habe mich entschieden, mich nicht zu entscheiden, da es von beidem immer viel hat, je nachdem wo ich gerade hinschaue. Peinlich sind die Damen, an den Parfüm Ständen von Joop und ähnlichen chemischen Kampfstoffen der Damenwelt meist, edel die feine rothaarige bei den englischen natürlichen Düften, die vermutlich auch französisch sind, aber es passt besser zu meinen Vorurteilen sie englisch zu nennen. Edel ist die Teeabteilung und manches in diesem Laden, in dem es einfach alles gibt. Peinlich zum fremdschämen sind dennoch viele dort immer wieder und der Flaneur, der doch die Beobachtung lieber genießt, schaut dann immer schnell weg, um sich den schönen Eindruck nicht zerstören zu lassen.

Viel später einmal war ich auch mit einer Geliebten dort, die aus dem alten Westberlin kam, aus guter Familie, irgendwann wohl mal reich war, bevor sie von Hartz IV lebte und ihre riesige Wohnung teilweise untervermietete. Sie liebte diesen Ort, kannte jeden Gang, schien mir, wusste um Angebote und was sich lohnte, zeigte mir noch ganz neue Ecke, die mich allerdings relativ wenig interessierten, war dafür zärtlich gerührt als ich ihr in der Spielzeugabteilung einen eigentlich viel zu kitschigen Bären für ihren Schlüsselbund schenkte, den sie tatsächlich daran trug, solange ich sie sah. Für sie war dieser Ort das fortbestehende Reich einer untergegangenen Welt, in der sie aufwuchs - allerdings war sie keine so große Feinschmeckerin wie A, genoss nicht mit mir den sinnlich betörenden Gang durch das Feinkostparadies und verschenkte damit den schönsten Teil dieses Hauses für mich - entsprechend verloren wir uns bald aus den Augen, auch weil ich ihre unpreußische Unpünktlichkeit nicht ertrug.

Das KaDeWe blieb, wem es auch immer gehört und wenn es Österreicher sind heute,  es treffen sich die Hugenotten der feinen Familien Berlins dort gerüchteweise regelmäßig, wie es noch manche Geschichte zu diesem doch nur Warenhaus wohl zu erzählen gäbe, wie der Schweizer-Botschafter, der sich mit einer Parfüm Verkäuferin aus dem vorderen Bereich einließ und bald seinen Hut nehmen musste irgendwie, was auch fraglos eine unverzeihliche Dummheit war. Berühmt sind auch die Überfälle und Raubversuche in diesem Luxuskaufhaus, die den Dieben teilweise Millionen zumindest zeitweise einbrachten. Betrachte es heute eher als eines der vielen Berliner Museen, allerdings ohne Eintritt, sofern wir resistent gegen die dortigen Verführungen sind, in dem sich das alte Westberlin besser beobachten lässt als irgendwo sonst. Der in manchem kurzsichtige und kulturell sicher nicht besonders kompetente zufällig gerade regierende Berliner Bürgermeister mit dem ausgefallenen Namen Müller, der in typisch sozialdemokratischer Beschränkung meinte, statt des wunderbaren Museums für Sprache im Geiste des Wilhelm von Humboldt, ein weiteres Berlin Museum im bald Humboldt Forum schaffen zu müssen, wäre besser ins KaDeWe gegangen, wenn er ein solches gesucht hätte, bin aber nicht sicher, ob dies seinen Verhältnissen je entsprach. Vor allem die Selbstironie, die es erforderte, ein Kaufhaus zum Museum der Stadt zu ernennen, traue ich Müller nicht unbedingt zu, so wenig wie dem Pfarrerssohn der seine Staatskanzlei leitet und da fehlt eben heute ein großer Geist wie André Schmitz zu sehr.

Aber, bevor ich mich in den piefigen Untiefen der kleingeistigen Berliner Lokalpolitik verliere, die in vielem höchstens Kleinstadtniveau hat, schweige ich lieber auch zum Flughafen, fordere alle Berlinbesucher auf, die wissen wollen, was diese Stadt ausmacht, was sich seit der Vereinigung geändert hat und was sich nie ändert, dieses Museum des Konsums zu besuchen - nirgendwo ist Berlin mehr Berlin, ein piefiges Dorf, was gern mehr wäre.
jens tuengerthal 8.3.2017

Dienstag, 7. März 2017

Berlinleben 012

Preußengeist

Überall in Berlin stolpere ich über die Spuren Preußens, aber gibt es das überhaupt noch, was ist es und woher kommt es, was hat es mit mir zu tun?

Seit ich in Berlin irgendwie angekommen bin, wurde ich gefühlt ein Preuße, ohne zu wissen, was das ist oder heißt zunächst. Manche auch der Verwandtschaft, sagten es zu mir, ich spielte damit ein wenig, weil doch der einst für Preußen vor Verdun gefallene Urgroßvater väterlicherseits einst jüngster preußischer Schuldirektor war und der Grotepater genannte Großvater dann Kadett zu Lichterfelde hier im Südwesten Berlins wurde und von dieser Zeit weniger kritisch sprach als Musil in seinem Zögling Törless, auch wenn er diesen kannte aber meinte, es sei halt ein Österreicher gewesen, kein Preuße und in diesen Worten klang mit leichtem Vibrato in der Stimme viel Stolz mit.

An der Beerdigung des Großvaters, neun Jahre bevor ich nach Berlin zog, gab es noch einen Kranz seiner Kadettenkameraden, deren Reihen sich vermutlich auch sehr gelichtet haben dürften, klein, mit schwarz-weißer Binde, künstlichem Eichenlaub und dem Wappen der königlichen Kadetten. Seine Söhne lästerten darüber ein wenig, aber hatten doch dem toten Alten noch genug Respekt gegenüber, den Kranz auf dem Grab zu drapieren und meine Großmutter nahm ihn später mit und er lag lange im Arbeitszimmer von Grotepater als Erinnerung an den toten Großvater und den untergegangenen Staat.

Die Gläser mit dem Wappen der Kadetten hat, nachdem auch die Großmutter verstarb und das Haus aufgelöst wurde, mein Onkel in Mecklenburg übernommen und wenn wir uns jedes Jahr an Ostern dort treffen, habe ich immer ein lächerlich feierliches Gefühl, wenn ich sie zum großen Frühstück decke - sie waren etwas besonderes und standen für eine Tradition, die der Großvater hochhielt, die seine Söhne als vorgestrig eher ansahen, weil sie in ihrer Jugend genug unter den Sprüchen gelitten hatten.

Im Studium hatte ich einen guten Freund, der es blieb, und der aus einer der wichtigsten preußischen Familien stammt, mit ganz vielem, was preußische Geschichte ausmacht, verwandt ist und einer der gebildetsten und kultiviertesten Menschen ist, die ich je kennenlernte - was ich auch über seinen sehr feinsinnigen Vater sagen würde, die noch für das klassische Bildungsideal in Persona standen.

Über meine Großmutter mütterlicherseits und meine Mutter hatte ich auch einige Preußengeschichten gehört - die Kinder des Kronprinzen, gäbe es noch einen Kaiser, waren nach dem Krieg nach Bremen gezogen und Prinz Louis-Ferdinand und seine Frau Prinzessin Kira, eine geborene Romanow, waren Freunde meiner Großeltern. Mit dem musikalischen Loui-Ferdinand spielte meine im Gegensatz zu mir begabte Großmutter vierhändig Klavier und mit Kira und ihrem Mann Bridge, außerdem sammelten sie für irgendwelche wohltätigen Zwecke unter den reichen Bremer Pfeffersäcken und auch wenn Adel in der Hansestadt natürlich nichts galt, war das Auftreten mit der Prinzessin zum Betteln wohl immer sehr wirkungsvoll.

Dagegen erzählte meine Mutter eher locker über die Preußenprinzen, mit denen sie in der Tanzstunde war, die zwar heftig wohl flirteten, die sie aber weder besonders attraktiv noch gerade für intelligent hielt und sich darum auch auf Rat ihrer Mutter stark zurückhielt. Kira starb kurz vor meiner Geburt hat aber meiner Mutter noch zur Verlobung eine Kette geschenkt und wer weiß, vielleicht trägt eines Tages meine Tochter diese.

Die Großmutter war im damals preußischen Hannover noch die ersten Jahre groß geworden und gerne erzählte sie immer wieder die Geschichte, wie sie als junges Schulmädchen dem heimkehrenden Generalfeldmarschall Hindenburg die Blumen überreichen durfte und wie er dann die kleine Edith, die er ja als Nachbarskind gut kannte, in seiner Kutsche mit nach Hause nahm, worauf sie vermutlich vor Stolz platzte, zumindest erzählte sie es noch bis ins sehr hohe Alter ihren Enkeln immer wieder gerne, wenn wir sie daran erinnerten und strahlte dann ganz glücklich.

So war ich von allen möglichen Seiten preußisch vorbelastet als ich nach Berlin kam und hatte ein relativ positives Bild von Preußen, brachte es vor allem nicht mit dem peinlichen Österreicher in Verbindung, der aus Bayern kommend mit seiner rassistischen Partei einst Deutschland eroberte und vernichtete. So gesehen war der Herr Hitler aus Braunau Maria-Theresias Rache an Friedrich dem Großen - heirate glückliches Österreich, hieß es immer, nachdem sie ihr Reich so unglaublich erweiterten von Burgund bis Spanien - was Preußen gewann, wurde erfochten, ist lange behauptet worden in den drei schlesischen Kriegen und auch das ist Unsinn, der größte Zuwachs wurde friedlich erhandelt, alles was sie erfochten, brachte nur Ärger.

Gibt es Preußen noch oder ist es nur ein schreckliches Gespenst der deutschen Geschichte?

Politisch wurde es von den Alliierten nach dem 2. Weltkrieg endgültig beerdigt. Der Entschluss dazu war schon auf den Konferenzen von Teheran und Jalta während des Krieges gefallen, wurde im ach so preußischen Potsdam 1945 besiegelt und damit war ein wichtiger Teil deutscher Identität für eine lange Zeit und eine große Menge an Menschen plötzlich verschwunden.

Die einen wurden Bundesbürger, die anderen Einwohner der DDR, die ja alles andere als bürgerlich sein wollte und dafür die real existierende Kleinbürgerlichkeit in ihres Staates engen Grenzen kultivierte, preußische Disziplin militärisch hochhielten. Preußen gab es noch in Sportvereinen, die zur Zeit von Preußens größter Ausdehnung, von der Memel bis über den Rhein und von Holstein bis zum Main, gegründet wurden - Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach zählen dazu.

Was heißt dies Preußen überhaupt und woher kommt es?

Zunächst bezeichnete es das Land der Pruzzen, irgendwo im Gebiet im und um das frühere Ostpreußen. Dies war das sogenannte Deutschordensland, ein Gebiet im Nordosten, in das sich zur Zeit der Kreuzzüge ein Orden deutscher Ritter mit strengen Regeln aufgemacht hatte, es zu christianisieren und zu kolonisieren. Sie bauten Ordensburgern und so begann die Besiedlung Ostpreußens, das noch nicht so hieß und des Baltikums, was erklärt, warum so viele baltische Ritter noch deutsche Verwandtschaft haben und eng hier eingebunden wurden.

Dieser kleine nordöstliche Flecken mit schönstem Land zu dem auch die Stadt Königsberg gehörte und die kurische Nehrung, auf der Thomas Mann in Nidden sein Sommerhaus hatte war Kernland des Deutschen Ordens, über das sie später mehr oder weniger erfolgreich mit den Polen stritten. Großmeister dieses Ritterordens, der sich irgendwann immer mehr säkularisierte war schon lange meist ein Hohenzoller, die als Burggrafen von Nürnberg einst vom Kaiser die Kurwürde von Brandenburg verliehen bekommen hatten. Damals wurde natürlich noch nicht darüber gestritten, ob Berlin zu Brandenburg gehörte, wer den dortigen Flughafen baut und ähnliche brandaktuelle Fragen, die so typisch für den sozialdemokratischen Sumpf unserer Tage sind.

Irgendwann kam der Ritterorden und sein säkularisiertes Gebiet dann nach dem letzten Großmeister an die märkischen Hohenzollern und sollte in der weiteren Geschichte, des Staates, der einmal Preußen genannt wurde, eine große Rolle spielen, war zuerst aber nur  eine schwer zu erreichende östliche Provinz, den Balten benachbart, von polnischen Gebieten umgeben, dessen König zur Huldigung verpflichtet.

Der neue Kurfürst musste sich erst mühsam Respekt verschaffen bei den dort relativ wild und ungestört hausenden Raubrittern, womit sich zumindest in Brandenburg weniger geändert hat als in Berlin. Berlin war ein kleiner Flecken am Ufer der Spree, die Insel im Fluss hieß Cölln und auch sonst war noch nicht viel los im sandigen Land zwischen Spree, Havel und Elbe. Es dauerte, bis es sich etablierte und nicht mehr nur noch von seinen Gegnern beim Durchmarsch als Kleinster verprügelt wurde, wie es den Märkern, wie die  noch nicht Preußen damals hießen, weil sie aus dem Kurfürstentum Mark Brandenburg kamen, immer wieder passierte.

Besonders im Dreißigjährigen Krieg als Wallenstein für den Kaiser und sich Mecklenburg eroberte und in Güstrow residierte, brannte im protestantischen Brandenburg manche Stadt mehrfach ab, die Seuchen taten ein übriges und so war als 1648 in Osnabrück endlich Frieden geschlossen wurde - in Münster ging es ja mehr um die Niederlande - eine gebeutelte Provinz übrig, die nur durch ihre Kurwürde für die Protestanten eine gewisse machtpolitische Bedeutung hatte. Die Schweden besetzten manches im Norden und bekamen einige auch freie Hansestädte wie Wismar und Bremen zu Diensten, saßen in Pommern bis dicht an die preußische Grenze. Kein Wunder also, dass es mit dem Landbesetzer zu Konflikten kam. Friedrich Wilhelm, der später der große Kurfürst genannt wurde,  hat dabei zuerst mit einer Schaukeldiplomatie versucht, die ausgeblutete Mark zu stabilisieren. Er baute dann ein stehendes Heer und, oh Wunder, schlug die vielfach überlegen geglaubten Schweden bei Fehrbellin. Eigentlich nur eine kleine und unbedeutende Schlacht im Jahre 1675, gemessen an der Zahl der Teilnehmer, wurde sie für die Mark zum Gründungsmythos. Es fielen in dieser Schlacht 4000 Schweden aber nur 500 Märker, dank kluger Taktik des Kurfürsten und seines Feldmarschalls Derfflinger. Bei den Schweden kommandierte nicht so glücklich Feldmarschall Wrangel.

Der später der Große Kurfürst genannte Friedrich Wilhelm bewegte dann noch mit seiner nassauischen Gattin aus den Niederlanden, Luise Henriette eine Menge auch geistig in der staubigen und verödeten Mark, machte sich sogar zeitweise daran eine kurbrandenburgische Marine, allerdings ziemlich erfolglos, aufzubauen und sicherte sich erste Kolonien in Westafrika und Westindien, nahm wie damals üblich auch erfolgreich am Sklavenhandel teil und gab dem Land und seiner Hauptstadt immer mehr Bedeutung.

In besonderer Erinnerung ist dabei das kurbrandenburgische Toleranzedikt von 1685, das Edikt von Potsdam auch genannt, demgemäß allen verfolgten Protestanten die Ansiedlung gestattet wurde. Damit antwortete er auf das Edikt von Fontainebleau des französischen Königs Ludwigs XIV. und bot den von diesem engstirnigen Enkel des toleranten Henry IV. vertriebenen Hugenotten im Geiste der Toleranz als protestantischen Glaubensbrüdern Zuflucht und bereicherte damit sein im langen Krieg wohl am meisten ausgeblutetes Land nachhaltig  und sehr.

Die Hugenotten prägten das spätere Preußen, spielten eine große Rolle im Militär wie in der Kultur, denken wir nur an den preußischen Schriftsteller schlechthin, Theodor Fontane, der immer wieder stolz von seinen hugenottischen Wurzeln erzählt. Auch die Großmutter meiner Großmutter aus Bremen, von der ich anfangs erzählte, war eine stolze Hugenottin, also meine Ururgroßmutter, und wollte so nach den Erzählungen meiner Omi immer Grandmere genannt werden und plauderte lieber französisch. Es ist dieser eigene Stolz der französischen Umsiedler und Protestanten, die unter Friedrich dem Großen auch einen eigenen, eben den französischen Dom an Berlins Gendarmenmarkt bekamen, der sie so stark und wichtig auch machte. Noch heute treffen sie sich an bestimmten Tagen im KaDeWe in der Lebensmittelabteilung, um es sich miteinander bei feinem französischen Essen gut gehen zu lassen.

Dem Großen Kurfürsten gelang es schließlich in langen Verhandlungen auch das Herzogtum Preußen aus polnischer Oberhoheit zu lösen und dessen Souveränität anerkennen zu lassen, womit er die Voraussetzung für die spätere Krönung seines Sohnes Friedrich I. in Königsberg zum ersten König in Preußen schuf.

Dieser auch sonst kulturell und als Bauherr sehr umtriebige Kurfürst wollte unbedingt König werden, wie Erdogan der Türke gerne die Präsidialrepublik möchte, nur bezahlte er ehrlich dafür und richtete damit zunächst keinen weiteren Schaden an. Der Kaiser und der König von Polen gestatteten es ihm und er nannte sich nach der Krönung König in Preußen - denn von Preußen gab es noch nicht. Bis es soweit war, dauerte noch bis ins hohe Alter von dessen wiederum Enkel Friedrich II., dem wohl größten Herrscher der Hohenzollern neben dem Großen Kurfürsten.

Bevor dieser an die Krone kam, ließ sich nur noch sein sparsamer Vater Friedrich Wilhelm I nicht in Königsberg krönen, weil zu teuer, gab viel Geld nur für sein liebstes Hobby aus, die langen Kerls, was besonders groß gewachsene Gardesoldaten waren, die eben Gardemaß hatten. Der unmusikalische und etwas grobe Friedrich Wilhelm I. erniedrigte seinen Sohn Friedrich so lange, bis dieser in Absprache mit seinem Freund Katte die Flucht ergriff. Friedrich weilte damals übrigens in der Kurpfalz und wollte den Fluchtversuch unweit des heutigen Wohnortes meiner Eltern beginnen, was aber gehörig mißlang und Katte sogar den Kopf kostete. Der gnadenlose Vater zwang den seiner Meinung nach verweichlichten Sohn sogar dazu das Schauspiel der Hinrichtung von seiner Zelle, in der er ihn hatte inhaftieren lassen, mitzuverfolgen.

Danach versuchte Friedrich keinen Widerstand mehr, heiratete auch die vom Vater gewünschte Prinzessin Elisabeth-Christine, eine Welfin von Braunschweig-Bevern, die er langweilig, ungebildet, hässlich und noch dazu gläubig fand und die der eigentliche Grund der Flucht angeblich war, weil Fritz es auf die Tochter des Königs von England abgesehen hatte. Ob er ernsthaft glaubte, sein englischer Onkel würde dem flüchtigen Kronprinzen die Tochter zur Frau geben, also eine der gerade besten protestantischen Partien auf dem Markt, scheint mir etwas naiv. Was er tatsächlich wollte, außer erstmal weg vom fiesen schlechtgelaunten Vater, der keinen Sinn für die Kunst hatte und dem Prinzen das geliebte Flötenspiel verbat, weiß ich nicht und wird wohl keiner je erfahren, was die  Geschichte darüber schreibt ist ja  bekannt. Der Alte hätte seinen Sohn vermutlich gleich mit dem Degen niedergestreckt, wäre nicht einer seiner Offiziere mit seinem Körper dazwischen getreten, erzählt die preußische Legende und passt aber auch zum sonst Charakter des Cholerikers Friedrich Wilhelm.

Friedrich lebte mit Elisabeth-Christine die ersten Jahre zusammen in Schloss Rheinsberg, das ihm der Vater geschenkt und ich meine Knobelsdorf noch in schönster Form umgebaut hat. Bis heute ist das am See mitten im Wald gelegene Schlösschen ein Ort zauberhaftester Romantik, an den alle Verliebten einmal fahren sollten. Es ist von Berlin über Neuruppin erreichbar, einem anderen zauberhaften Ort am Ruppiner See gelegen und zugleich der Geburtsort des großen Fontane, der viel in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg über die Schönheit der Umgebung erzählt. Dort lebte er das Leben, von dem er geträumt hatte, schrieb den Antimachiavell und erste atheistische Schriften, die später dezent verschwanden, komponierte, spielte viel Flöte, lud Voltaire ein, der auch eine zeitlang kam, scharte seine Freunde um sich und besuchte so gut gelaunt sogar gelegentlich noch des Nachts seine Frau in ihrem Schafgemach, was später eher nicht mehr vorkam.

Kaum König, nach dem Tod des Vaters 1740,  zog Friedrich in den Krieg und eroberte in einer Art Blitzkrieg Schlesien, weil sich die Gelegenheit bot und er wusste,  wie schwach Maria Theresia gerade war, die als Erzherzogin und Königin von Ungarn durch die für Österreich sehr teure pragmatische Sanktion erst dem Wunsch ihres Vaters gemäß an die Krone gelangt war, die sonst der bayerische Vetter oder Schwager beansprucht hätte. Er konnte das, weil sein Vater so sparsam war, ihm eine große bestens trainierte Armee hinterließ und eine gut gefüllte Kasse. Die langen Kerls entließ er, wenn er sie nicht zuvor in Feldzügen verfeuerte - die Show interessierte ihn nicht.

Drei Kriege führte Friedrich um dies Stück Schlesien, was Maria Theresia so ärgerte, im letzten, auch siebenjähriger Krieg genannten großen Schlachten, kämpfte er nahezu gegen fast den Rest Europas, außer England, das aber in den USA und Indien genug beschäftigt nebenbei war, keine große Hilfe leistete. Ein juristischer Anspruch auf dies Stück Land konnte konstruiert werden, blieb aber nur konstruiert und wurde auch von Friedrich nicht weiter ernst genommen - er wollte es, er konnte es, er tat es und legte damit die Basis für die späteren militärischen Erfolge Preußens und dessen Vormacht im Reich.

Als er um Schlesien aber sich noch mit Maria Theresia stritt und der Zarin Elisabeth hatten die Österreicher über die Geliebte Ludwigs XV., die berühmte Madame Pompadour, noch ein Bündnis mit Frankreich zu ungunsten Friedrichs eingefädelt, was auch so leicht gelang, weil sich Frankreich und England in Amerika noch stritten und Friedrich es den Damen leicht machte, ihn nicht zu mögen. Friedrich sprach, wenn von den drei Damen die Rede war, nur von den 3 Erzhuren, gegen die er sich verteidigen müsse.

Er tat das mal erfolgreicher, mal weniger erfolgreich, immer persönlich beteiligt, war manchmal nur gerade so noch gerettet worden, seine angeschossene Kautabakdose erzählt davon Bände. Am Ende einigte er sich mit dem Sohn der Maria Theresia, dem späteren Kaiser Josef und den anderen in Hubertusburg auf einen Frieden, mit dem Preußen Schlesien behielt und ansonsten alles wurde wie vor dem Krieg.

Zu diesem Frieden kam es nur, nachdem Russland bereits aus dem Krieg ausstieg, der zunächst Erbe Zar Peter dem von ihm bewunderten Friedrich sofort die Hand reichte und auch dessen Gattin Katharina, die später die Große genannt wurde, nach der Beseitigung ihres Gattens nichts an dessen Plänen änderte. Eine wichtige Rolle dabei spielte wohl auch, dass Katharina, als sie noch askanische Prinzessin am preußischen Hof war, mit Heinrich dem jüngeren Bruder Friedrichs eng befreundet war. Sie kannten sich aus Kindertagen.

Die große Reformerin Russlands, die heute noch auf dem Schreibtisch der Kanzlerin steht, schätzte wie Friedrich die Ideale der Aufklärung und förderte etwa die Erstellung der Enzyklopädie durch Diderot, in dem sie diesem zu Lebzeiten seine Bibliothek abkaufte, sie in seinen Händen beließ und ihn sogar noch als Bibliothekar dafür großzügig bezahlte. Damit hat sie den Geist, gefördert, der später zur Revolution führte und der sich zuvor schon in vielen Diskussionen im Salon des Baron d'Holbach geäußert hatte, der von Freiheit und Menschenrechten kündete, wie sie erstmals in der amerikanischen Verfassung Realität wurde, die derzeit von einem peinlichen Neureichen, der sich im genauen Gegenteil zur gebildeten Kanzlerin auch noch rühmt, kein Buch gelesen zu haben, im Amt gefährdet fast scheint.

Als Friedrich in Hubertusburg Frieden schloss, war er noch König in Preußen, jenem früheren Herzogtum, dass sein Urgroßvater der Große Kurfürst erst selbständig gemacht hatte. In den folgenden Jahren des Friedens und Wiederaufbaus nach zu langen Kriegen, errichtete Friedrich in Potsdam das protzige Neue Palais im Stile von Versailles. Groß, ein wenig überladen, teilweise geschmacklos, dennoch in den Park wunderbar integriert und genau den Zweck erfüllend, den es sollte, vielen Menschen über Jahre Arbeit gebend. Der Bau interessierte Friedrich nicht weiter. Er lebte nie dort. Bevorzugte sein Sanssouci am anderen Ende des Parks. Jenes kleine Rokoko Schloss, dass er sich kurz nach seiner Krönung auf der Spitze des Weinbergs errichtet hatte. Es war schnell und billig gebaut worden, hatte keinen Keller, war im Winter nicht zu heizen, dann zog Friedrich in das gerade wieder errichtete Potsdamer Stadtschloss. Aber es lag oben auf dem Weinberg, bot einen zauberhaften Blick, auch wenn er die ihn mit ihrem Klappern nervende Mühle nebenan nicht los wurde, diesen Ort liebte er. Ob er sie wirklich loswerden wollte, ist eine der ungeklärten preußischen Sagen. Dorthin lud er Voltaire, mit dem er sich wunderbar zerstritt, über Geiz und Spott, da hielt er seine Tafelrunde mit alten Offizieren und jüngeren Musikern, dort besuchte ihn Bach. Seine Windspiele ließ er auf der Terrasse dieses netten Sommerschlösschens beerdigen und wollte auch selbst eines Tages dort neben seinen Hunden bestattet werden - diesen Wunsch sollte ihm erst nach der Wende 1990 Helmut Kohl erfüllen und immer noch finden sich auf seinem Grab Kartoffeln der dankbaren Märker, die ihren großen König in Ehren halten.

Kartoffeln übrigens weil Friedrich gegen großen Widerstand erst die Kartoffel erfolgreich in seinen Ländern einführte. Zu Friedrich gibt es noch viele Geschichten und Anekdoten, die gut zeigen, was das alte Preußen ausmachte und in Potsdam wird dieses Kulturpreußen auch noch an vielen Orten sichtbar, ist dieses einst preußische Arkadien nahe dem Wasser gebaut noch wunderbar präsent.

Friedrich baute viel in Berlin, auch wenn er ungern da war, außer in der Oper, die er auch bauen ließ. Genau wie das Forum Fridericianum und dem Gendarmenmarkt. Das Schloss in dem seine Mutter lebte, die er lieber als seine Frau Elisabeth Christine besuchte, war Monbijou gegenüber der Museumsinsel gelegen und ist heute leider verschwunden. Die schlecht behandelte Ehefrau lebte im Sommer, während ihr Gatte, den sie so selten sah, in Sanssouci war, in Schloß Schönhausen inmitten des heutigen Pankow und vermutlich war es damals dort ähnlich spannend wie heute, nichts zumindest was den regen Geist Friedrich reizte. Im Winter lebte die Königin im Stadtschloss in Berlin, manchmal kam Fritz zu Besuch, wenn er in die Oper ging, sie war angeblich immer sehr angetan und freundlich, voller Liebe, er ertrug es, allerdings nicht unbedingt zartfühlend und höflich.

König von Preußen und damit die Mark plötzlich Teil des Königreich wurde Fritz mit der ersten polnischen Teilung, die Katharina die Große, Maria Theresia und er im Einvernehmen aushandelten. Alle drei Staaten schnitten sich an ihren Grenzen ein erstes Stück vom polnischen Braten ab und bei Preußen führte dies dazu, dass die Landverbindung zwischen der Mark und Ostpreußen geschlossen wurde und damit eben Friedrich sich König von Preußen nennen konnte. Neben dem König von Böhmen war er damit der zweite König im Deutschen Reich, das wenige Jahre später nach den Siegen Napoleons dann mit dem Reichsdeputationshauptschluss endgültig untergehen sollte. Vielleicht ist dies schon eine Art Vorspiel des baldigen Untergangs, der aber noch eine Revolution in Frankreich und den genialen Korsen als Sieger brauchte.

Zum 300. Geburtstag Friedrichs 2012 gab es in Potsdam und Berlin die große Friedrisiko Ausstellung, die ich mit meinem lieben Freund M besuchte, der von beiden Seiten her mit vielen die Preußens Größe ausmachten, verwandt ist. Fünf Stunden liefen wir durch das frisch sanierte Neue Palais und ich erfuhr neben der großartigen Ausstellung noch manche interne Anekdote aus der Familie und fühlte mich der Geschichte der Preußen auch persönlich plötzlich wieder sehr innig verbunden. Später beim Abendessen auf der Terrasse im Haus seiner Eltern trug sein ebenfalls enzyklopädisch gebildetet Vater noch einiges dazu bei, wenn wir auch, zugegeben eines, lustvollen Spaziergangs durch den Park von Sanssouci wegen, leider unhöflich einiges zu spät kamen. Der vielfältige Fritz wurde so wieder sehr lebendig und ich war glücklich die gelebte preußische Geschichte so nah erleben zu dürfen, weil Geschichte eben immer erst durch die Personen, die in ihr handeln, Flügel bekommt und zwischen den Zeiten schweben lässt.

Auf den einerseits musischen und andererseits auch asketischen, soldatisch genialen Friedrich folgte, nachdem dieser im hohen Alter gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch vor der französischen Revolution verstarb dessen Neffe Friedrich Wilhelm II. - genannt der Dicke. Dieser auch sehr kulturbeflissene Monarch, der seiner Geliebten, der berühmten Wilhelmine von Encke wegen verschrien war, bewegte viel für Preußen und schuf die Voraussetzungen für den Aufstieg nach dem Untergang. Er wird häufig unterschätzt, weil er mit seiner etwas verrückten Neigung zum Spirituellen und dem prächtigen Grabmal seines unehelichen Sohnes, des Grafen von der Mark, als eher oberflächlich galt, holte aber einige der später wichtigsten Köpfe nach Berlin und ließ sie dort groß werden. Er kam auch in die Vergünstigung zweier weiterer polnischer Teilungen und erweiterte damit das preußische Staatsgebiet enorm. Er regierte jedoch nur 11 Jahre vom Tod Friedrichs II. 1786  bis 1797

Sein Sohn, wiederum Friedrich Wilhelm und als König III. wurde vor allem für seine Frau die einst mecklenburgische Prinzessin Louise berühmt, die im Rahmen der napoleonischen Kriege an einer Lungenentzündung starb, ihm vorher aber noch genug Erben in die Welt setzte. Unter anderem die beiden späteren Könige Friedrich Wilhelm IV und Wilhelm I. - womit wir schon beim vorletzten preußischen König überhaupt angekommen wären bis jetzt.

Nach der Revolution in Frankreich war es bald zum Krieg gekommen, in dem Österreich und Preußen plötzlich verbündet waren. Hier zog euch Sachsen-Weimar an der Seite Preußens in den Krieg, die mit Österreich in der Kanonade von Valmy unterlagen bei der Goethe seinen Herzog begleitete und die berühmten Worte aussprach, dass von dort eine neue  Epoche der Weltgeschichte ausgehe. Nach dem folgenden Frieden von Basel hielt sich Preußen erstmal aus allen Auseinandersetzungen mit dem revolutionären Frankreich heraus.

Zwischen 1795 und 1806 profitierte Preußen von einer Politik, die Frankreich unterstützte und wurde so zur faktischen Vormacht im Norden Deutschlands. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erhielt es dann zahlreiche säkularisierte Hochstifte und Bistümer - wie Münster, Hildesheim und Paderborn, sowie weitere Gebiete zur Entschädigung für die verlorenen linksrheinischen Gebiete, die zu dieser Zeit an Frankreich gingen. Dadurch wuchs Preußens Fläche um 3% und seine Einwohner sogar um 5%. Kurzfristig besetzte es sogar das mit Großbritannien verbundene Kurfürstentum Hannover.

Schon 1806 aber scheiterten die Verhandlungen mit Frankreich über die weitere Aufteilung Deutschlands und in der Schlacht von Jena und Auerstedt, erlitt Preußen eine vernichtende Niederlage in deren Vorgeplänkel auch der berühmte Prinz Louis Ferdinand ums Leben kam, der auch der Geliebte von Prinzessin Charlotte, der Schwester der berühmten Königin Louise war. In dem folgenden Frieden von Tilsit, den Napoleon und Friedrich Wilhelm III. in Tilsit auf einem Floß aushandelten verlor Preußen trotz Louises vorheriger flehentlicher Bitte beim französischen Eroberer im Gespräch mit Napoleon fast die Hälfte seiner Gebiete -  musste die durch die zweite und dritte polnische Teilung gewonnenen Gebiete abgeben und alle Länder westlich der Elbe. Zugleich musste es hohe Kontributionen zahlen und fremde französische Truppen verpflegen, wurde zum quasi  Pufferstaat zwischen Frankreich und Russland.

Nach der als schmachvoll für Preußen empfundenen Niederlage begann unter Friedrich Wilhelm III. ein Erneuerungsprozess, der vor allem durch die Reformer vom Stein und Scharnhorst geprägt war. Später musste der geniale Stein auf Druck Napoleons durch den eher Lebemann Hardenberg ersetzt werden, der aber den von Stein gewiesenen Weg weiterging. Es begann 1807 mit der Bauernbefreiung, durch welche die Leibeigenschaft in Preußen aufgehoben wurde. Es folgten sehr bald 1808 die kommunale Selbstverwaltung und 1810 die Gewerbefreiheit. Der vorher Botschafter in Rom Wilhelm von Humboldt gestaltete das Bildungswesen völlig neu und gründete 1809 die erste Berliner Universität, die heute seinen Namen trägt. Die Reform des Heeres durch Scharnhorst wurde 1813 dann durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht abgeschlossen.

Ganz wunderbar beschreibt diese großen Veränderungen Günther de Bruyn, auch er wieder ein großer preußischer Schriftsteller mit hugenottischen Vorfahren, in seinen beiden Büchern Als Poesie gut und In Zeiten schwerer Not, welche die Phase von 1786 bis 1815 beschreiben und viele Geschichten zu den handelnden Personen nebenbei erzählen und die jedem, den das Thema weiter interessiert, dringend empfohlen sein.

Auch wenn Preußen noch mit Napoleon 1812 gegen Russland ziehen musste, hatten die Reformen die Grundlage dafür gelegt, dass Preußen später zum Sieger der Völkerschlacht bei Leipzig wurde, die Napoleons Rückzug erstmals erzwang.

Während des Russlandfeldzuges schloss der preußische Generalleutnant Graf Yorck, der Begründer des Geschlechts der Yorck von Wartenburgs, mit denen der Freund, mit dem ich bei Friederisiko war, auch verwandt ist, der nach vorheriger Degradierung und Festungshaft noch unter Friedrich dem Großen bei dessen Neffen eine steile Karriere machte, am 30. Dezember 1812 mit dem in russischen Diensten stehenden General Hans von Diebitsch die Konvention von Tauroggen, die ein faktisches Bündnis mit Russland bedeutete. Dies geschah ohne Wissen seines Königs, der noch zwischen Treue zu Frankreich und Widerstand schwankte und sogar zunächst gegen dessen Willen, hätte zu ernsten Konsequenzen führen können, die Yorck vom richtigen Weg überzeugt als persönliches Risiko bewusst riskierte.

Dieser Ungehorsam zum Wohle der Sache, eine Art gerechter Widerstandsgeist auch auf höchster militärischer Ebene, steht für etwas, was den preußischen Geist entscheidend ausmacht. Auch zu Friedrichs Zeiten widerstand trotz folgender Degradierung ein General dem Befehl des Königs, den er als unehrenhaft empfand und diese Geschichte wurde dann auch als Ausdruck von Ehre auf seinem Grabstein vermerkt. Er zeigte sich auch bei den Offizieren der Wehrmacht um das Attentat vom 20. Juli 1944, das auch eine viel längere Vorgeschichte insbesondere um Henning von Tresckow hatte, aber auch im Kreisauer Kreis, dessen Kopf Helmuth James von Moltke, ein Nachfahr des Großen Feldmarschalls mit Peter Yorck von Wartenburg, einem Nachfahren des obigen Generals, der den Wechsel der Koalition eigenmächtig beschloss, aber ein Attentat zur Vermeidung einer künftigen Dolchstoßlegende ablehnte.

Preußen ist also nicht nur der Kadavergehorsam als den die Alliierten es verurteilten und für die der Vernichtungsfeldzug im Osten und der Holocaust die erschreckendsten Beispiele sind, welche die unmenschlichen Ideen des Österreichers umsetzten, sondern Preußen steht auch für bewussten Widerstand und Reformen zur Freiheit, was nach 1945 gerne und lange ausgeblendet wurde, weil es nicht in das Bild der Zeit passte.

Als sich der unschlüssige und immer trauernde Witwer seiner geliebten Louise Friedrich Wilhelm III. endlich im März 1813 in dem in der Schlesischen privilegierten Zeitung gedruckten Aufruf ‘An mein Volk’ endlich zum Widerstand entschloss, war die Stimmung längst gegen Napoleon gekippt. Unter Blücher und Gneisenau gelang in der Völkerschlacht bei Leipzig dann der entscheidende Sieg gegen Napoleon, der bei Waterloo noch bestätigt wurde, als ein Brite noch hoffte, dass es Nacht wird und die Preußen kommen, wie verbürgt dies angebliche Zitat von Wellington auch immer sein mag.

Auf dem 1815 folgenden Wiener Kongress, der auch bekannt dafür ist, dass er gerne tanzte, erhielt Preußen den Großteil seines seit 1807 bestehenden Staatsgebietes zurück. Neu hinzu kamen noch das ehemals schwedische Vorpommern, Teile des nördlichen Sachsens, Westfalen und die Rheinprovinz, die mit mächtigen Festungen etwa in Koblenz gesichert wurden.

Der König hatte dem Volk vor den Befreiungskriegen das Versprechen einer Verfassung und liberaler Reformen gegeben, die viele zur begeisterten Teilnahme motivierten, aber danach nie eingelöst wurden. So wuchs auch im angeblich immer gehorsamen preußischen Volk der Widerstandsgeist, da auch, anders als in den meisten anderen deutschen Staaten, keine Volksvertretung geschaffen wurde.

Um die Demokratiebewegung in ganz Europa weiter zu unterdrücken war die Heilige Allianz gegründet worden vom Preußen, Russland und Österreich. Dieser zunächst erfolgreichen reaktionären Bewegung standen jedoch starke ökonomische Zwänge entgegen. Preußen hatte aufgrund der Zweiteilung seines Staatsgebietes ein starkes persönliches Interesse an der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands, da das Deutsche Reich ja seit 1803 de facto nicht mehr bestand. So wurde es zu einer der treibenden Kräfte des deutschen Zollvereins, dem es 1834 selbst beitrat.

Mit dem Erfolg des Zollvereins wurde Preußen für viele zur Macht der Zukunft, die Österreich ablösen und Deutschland wieder einen sollte, dass es nach Napoleon so nicht mehr gab. Diese Hoffnung wollte die preußische Regierung jedoch nicht erfüllen. Auch der Regierungsantritt von Friedrich Wilhelm IV. erfüllte die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht, auch er verweigerte liberale Reformen, stand nur im Konflikt mit den preußischen Landtag, da er für die vom Militär geforderte Eisenbahn im Osten große Geldmittel brauchte. Der Landtag forderte neben dem Etatbewilligungsrecht auch eine Kontrolle der Staatsfinanzen, warum der König ihn bald wieder auflösen ließ, was jedoch verdeutlicht, Preußen stand schon vor den Ereignissen des revolutionären Jahres 1848 vor einem internen Verfassungskonflikt und es ging natürlich ums Geld fürs Militär, woran heutige Beobachter erkennen, viele Ding ändern sich nie.

Die revolutionäre Bewegung, die 1848 ganz Europa erfasste, erreichte am 18. März des Jahres auch Preußen. Nachdem der König zunächst auf die Aufständischen hatte schießen lassen mit zahlreichen Opfern, suchte er einen Kompromiss. Den Friedhof der Märzgefallenen im Berliner Friedrichshain gibt es immer noch und es ist eine Schande für alle demokratischen Parteien, dass die Nachfolgeorganisation der totalitären SED, die sogenannte Linke, immer noch das Gedenken dort fast alleine bestreitet und für ihre Zwecke instrumentalisieren kann, statt dass sich die Bundesrepublik stolz zu ihren demokratischen Vorgängern und ihrer Geschichte bekennt. Auch die Diktatur der SED in der DDR wurde durch eine bürgerliche Volksbewegung im vermeintlichen Arbeiter und Bauern Staat beseitigt, warum es eine noch traurigere Ironie der Geschichte ist, wenn die Erben der Mauerbauer eine Freiheitsbewegung für sich beanspruchen, doch scheint die Sensibilität für demokratische Prozesse in Deutschland nicht besonders ausgeprägt und die SPD legt sich lieber, um der Macht willen, mit der Linken ins Bett, statt die Freiheit laut zu verteidigen.

Der Aufstand in Berlin wurde teilweise niedergeschlagen, erfolgreich und unbesiegt, neben einigen Aufständen in den Außenbezirken blieb jedoch allein die Barrikade am heutigen Alexanderplatz, die etwa auf der Höhe des heutigen Alexa Konsumtempels die Straße zum Schloss blockierte. Diese lag direkt an der Apotheke in der zu dieser Zeit der gerade aus Leipzig in die Stadt gezogene junge Apotheker Theodor Fontane arbeitete. Er hatte schon einige revolutionäre Wandzeitungen mitverfasst und gehört zu den Kämpfern der ersten Stunde. Genau wie der berühmte Arzt Virchow, der um die Barrikade nahe der Charité verteidigte. Fontane tauchte danach einige Zeit bei den Nonnen unter und Virchow ließ sich nach Erlangen abwerben - erst später kaufte Berlin sein Genie mit teuren Versprechungen zurück. Zu den Kreisen der freien Geister, die sich im Tunnel an der Spree trafen, gehörten auch Gutzkow und der Maler Menzel, der allerdings am 18. März noch nicht in Berlin war, sondern erst einige Tage später aus Hamburg zurückkehrte, wo in der Gemäldegalerie heute noch sein Bild von der Aufbahrung der Märzgefallenen am Gendarmenmarkt hängt.

Die Revolution setzte ein Parlament durch, die Preußische Nationalversammlung, die in der Singakademie tagte, jener berühmten bürgerlichen Einrichtung, die hinter der Neuen Wache Unter den Linden ein wenig nach hinten versetzt liegt. Sie heißt heute, noch vom russischen Geist des Sozialismus geprägt Gorki Theater, weil der primitive Sozialismus der DDR mit einer bürgerlichen Singakademie und ihrer revolutionären Tradition nicht viel anfangen konnte. Später kam die Nationalversammlung in das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, als die Reaktion schon wieder erstarkte.

Einer der konservativen Reaktionäre gegen den Aufstand der Bürger war der ostelbische Junker Bismarck, der zum Kreis um den jüngeren Bruder des kinderlosen Königs und damit Kronprinzen Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm I, gehörte und der den Namen Kartätschenprinz trug, weil er dies ganze revolutionäre Gesocks niederkartätschen wollte, also eine harte militärische Lösung bevorzugt hätte.

Die Verfassung wurde dann doch nicht so eingeführt wie von der Nationalversammlung gefordert, stattdessen wurde eine solche oktroyiert, die ein Dreiklassenwahlrecht schuf, das Preußen bis 1918 prägen sollte. Während dieser Zeit tagte die Frankfurter Nationalversammlung in der dortigen Paulskirche, die Friedrich Wilhelm die Kaiserkrone für die kleindeutsche Lösung eines Nationalstaates ohne Österreich antrug, die dieser jedoch ablehnte, da sie mit dem Sudelgeruch der Revolution behaftet sei und er andere Pläne mit der Kamarilla um Bismarck bereits verfolgte. Österreich hatte trotz des zwischenzeitlich Sturzes von Metternich die Teilnahme am Deutschen Reich verweigert, da es dabei auf seine nicht deutschsprachigen Gebiete hätte verzichten sollen.

In der nun folgenden Ära der Reaktion, in der die Fürsten ihre absolute Macht wiedererlangen wollten, auch wenn die Zeit dafür längst Geschichte war, arbeiteten Preußen und Österreich wieder eng auf der Basis des Deutschen Bundes zusammen. Ab 1861 bestieg schließlich Wilhelm I. den preußischen Thron, stritt sich lang mit dem Parlament um die Finanzierung einer Heeresreform unter seinem Kriegsminister Roon herum und erwog zeitweise sogar wieder den raschen Rücktritt, setzte dann aber als letztes Mittel den schon bekannten Bismarck als preußischen Ministerpräsidenten ein, mit dessen Aufstieg sich die Welt verändern sollte.

Der teilweise cholerische Machtmensch, der mit Heul- und Wutanfällen, Rückzugsdrohungen und ähnlichen Erpressungen mehr, seine Vorstellungen von Politik  durchsetzte, gilt als eine der politisch prägendsten Gestalten Deutschlands im 19. Jahrhundert. Bismarck befürwortete den königlichen Alleinherrschaftsanspruch und regierte jahrelang gegen Verfassung und Parlament, ohne jeden gesetzlichen Haushalt allein mit der Macht seiner Person.

Erstes Zeichen für die neue Politik wurde der deutsch-dänische Krieg von 1864, bei dem es zunächst um das Herzogtum Schleswig nur ging, das Dänemark stärker integrieren wollte. An der Düppeler Schanze wurde noch von Österreichern und Preußen gemeinsam ein Sieg erfochten, der Dänemark später im Frieden von Wien zur Abtretung der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg zwang, die nun von Preußen und Österreich zunächst gemeinsam verwaltet wurden.

Über die Verwaltung zerstritten sich Österreich und Preußen jedoch bald und Bismarck überredete den zunächst noch zögerlichen Wilhelm I. zur kriegerischen Lösung. Am 3. Juli 1866 errang Preußens Armee in der Schlacht bei Königgrätz unter General Helmuth von Moltke den entscheidenden Sieg über Österreich. Im Prager Frieden konnte Bismarck seine Vorstellungen durchsetzen, die Österreicher mussten der Auflösung des Deutschen Bundes zustimmen. Auf Wunsch Bismarcks und entgegen der Vorstellungen Wilhelms I. blieb Österreich damals jedoch territorial völlig unangetastet, um so ein späteres Bündnis leichter  zu ermöglichen.

Den Sieg hat der spätere große Feldmarschall durch auch zwei entscheidende Vorteile errungen, zum einen hatte er, seinem Wahlspruch gemäß, getrennt marschieren, vereint schlagen, die neuen Eisenbahne Netze genutzt, die Truppenn in ungeahnter Geschwindigkeit zum jeweiligen Schlachtfeld zu  transportieren, zum anderen hatten die Preußen neu Hinterlader, die sich auch im Liegen und wesentlich schneller neu laden ließen, während die Österreicher auf der anderen Seite noch aufstehen mussten, um ihre Gewehre mit Kugel und Pulver zu stopfen. So kam der Spruch, so schnell schießen die Preußen doch nicht in die Welt und wurde zugleich widerlegt, sie schossen schneller als alle bisher und nutzten diesen Vorteil militärisch aus.

Preußen gründete nun den Norddeutschen Bund und verleibte sich die bereits im Krieg besetzten Gebiete wie Hannover, Nassau, die freie Stadt Frankfurt und Hessen-Kassel einfach ein und übernahm fast ganz Schleswig Holstein, was für spätere Marine Strategien von großer Bedeutung sein sollte.

Der große Taktiker Bismarck gestand dem preußischen Landtag neue Rechte zu, ließ sich aber gleichzeitig Straffreiheit für seine vorigen Rechtsbrüche garantieren. Dafür suchte er nun den Konflikt mit Frankreich, dass er vorher mit Versprechungen auf Luxemburg zum Stillhalten im Deutschen Krieg gebracht hatte. Dazu wurde ein katholischer Hohenzollern-Sigmaringen Prinz als Thronfolger in Spanien vorgeschlagen, was den Krieg mit Frankreich provozierte, den Bismarck wollte, nachdem er die süddeutschen Staaten mit Bündnisse alle an sich gebunden hatte.

Auslöser des Streits war die Emser Depesche vom 13. Juli  1870, mit deren Veröffentlichung Bismarck eine Frankreich provozierende Erklärung zur Thronfolge in Spanien in Umlauf brachte, die dort am Nationalfeiertag durch Bismarcks vorige Presseerklärung publik wurde und damit wie von Bismarck gewünscht die Kriegserklärung Frankreichs auslöste. Der Sieg wurde rasch errungen, Napoleon III. musste zurücktreten und am 18. Januar 1871 wurde Wilhelm I. im Spiegelsaal von Versaille zum Kaiser von Deutschland ausgerufen. Militärisch hatten diesen Sieg wieder Moltke und die schnellen überlegenen Truppen durchgesetzt.

Das deutsche Reich unter Preußens Führung, dessen Ministerpräsident bis auf zwei  kurze Ausnahmen immer auch der Reichskanzler wurde, bestand bis 1918 und begleitete einen enormen Aufschwung in der Industrialisierung.

Weil er nach außen hin alles, was er wollte, erreicht hatte, eigentlich Elsass-Lothringen sogar überflüssig und lästig fand, wandte sich Bismarck nun dem inneren Kulturkampf zu, in dem er bis 1887 die Auseinandersetzung mit den Katholiken suchte und versuchte die Macht der Kirche vor allem in der Rheinprovinz zurück zu drängen. Einen Erfolg oder gar Sieg gegen den Aberglauben errang er dabei nicht.

Auf Wilhelm I. folgte für 99 Tage dessen schon schwerkranker Sohn Friedrich III., der dann am Kehlkopfkrebs verstarb und von seinem behinderten und auch sonst nicht sonderlich hellen Sohn Wilhelm II. beerbt wurde, der Deutschland 1914 in die absehbare Katastrophe stürzte, die zum Untergang des Kaiserreichs führte und endlich der Demokratie die Schranken öffnete.

Wilhelm II. entließ Bismarck 1890 und bestimmte die Politik von da an weitgehend selbst, sorgte für viele peinliche Auftritte Deutschlands in der Welt und stärkte den Ruf der Nation als dumme Besserwisser ohne Geschmack und Stil. Seine architektonischen Hinterlassenschaften wie der grauenvolle Berliner Dom oder die protzige Kuppel auf dem eleganten Schlossbau verschandelten den Stil der Insel, standen für das neue Deutschland, dass wieder jemand sein wollte in der Welt und genau so endete.

Wer sich dazu eine Meinung bilden möchte und noch andere kenntnisreichere Menschen als den Verfasser dieser Zeilen lesen möchte, dem seien Harry Graf Kesslers Tagebücher oder Franz Hessels Beschreibungen der Stadt aus Blick eines Flaneurs empfohlen. Wilhelm war ahnungslos, protzig, großmäulig, um seine Schüchternheit und seine Behinderung zu verstecken und dabei noch in einer Weise peinlich, die selten wieder erreicht wurde. Erinnert sei auch an dessen antisemitische  Äußerungen zum Problem der “Judenfrage”, in der ein schon abgedankter Kaiser aus dem holländischen Exil meinte, es bräuchte dafür wohl Gas.

Der späte Wilhelminismus mit seiner imperiale Attitüde, aufgebaut auf Großmäuligkeit ohne Vision hatte zwar noch mehr Tradition als der peinliche Österreicher einige Jahre später, für das was Preußen wertvoll machte und dessen Bild in der Welt war er ähnlich katastrophal. Auf diesen Kaiser leistete mein Großvater seinen Eid als Kadett und wenn auch das Land seit 1914 weitgehend von der Obersten Heeresleitung unter Ludendorff und Hindenburg in dem bestialischen Schlachten des Krieges regiert wurde, war der Kaiser noch das Gesicht vorne, das sich dann 1918 einfach feige nach Holland absetzte und damit sich selbst zumindest treu blieb.  Nicht mal seine Abdankung als Kaiser und König hat dieser unentschlossene Versager selbst verkündet sondern sie sich noch von seinem gerade Reichskanzler Max von Baden ohne Willen vorsetzen lassen und sich dann verdrückt.

Preußen wurde mit dem Ende des Kaiserreichs zum Freistaat proklamiert und erhielt 1920 erstmals eine demokratische Verfassung nachdem der Versuch von 1848 unterdrückt worden war. Durch den Versailler Vertrag wurde das ehemalige Preußen zu Gebietsabretungen gezwungen. Zuwachs erhielt es nur durch den Freistaat Waldeck um Pyrmont, der sich Preußen anschloss. Ministerpräsident im Freistaat Preußen wurde von 1921-1932 der Ostpreuße Otto Braun, ein Sozialdemokrat, der sich in vielem um das Land verdient gemacht hat und als einer der fähigsten Sozialdemokraten überhaupt vielleicht noch neben Helmut Schmidt gilt. Viele der Reformen Brauns, wie etwa das konstruktive Mißtrauensvotum wurden für die spätere Bundesrepublik beispielgebend. Abgesetzt wurde Braun erst als die radikalen Kräfte von rechts und links, KPD und NSDAP eine Mehrheit im Parlament hatten und er keine eigene Koalition mehr gegen sie bilden konnte, der Reichskanzler Franz von Papen ihn im Preußenschlag absetzte und damit der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 den Boden bereitete, die über den Krieg in den endgültigen Untergang des Staates Preußen führte.

Hitler setzte Göring als Reichskommissar für das Innenministerium in Preußen ein und hatte damit die gesamte exekutive Gewalt der preußischen Landesregierung auf seiner Seite. Am 21. März veranstaltete der Österreicher Hitler mit Hindenburg den Tag von Potsdam in der der dortigen Garnisonskirche, der Grabstätte der preußischen Könige und stellte sich damit in die preußische Tradition, der er sich scheinbar als erster Diener des Staates unterwarf, den er in Wirklichkeit mit seiner primitiven populistischen Ideologie ohne Geist übernehmen wollte. Die Reichsregierung unter Hitler schuf durch Gleichschaltungsgesetze ab 1933 den nationalsozialistischen Einheitsstaat und damit die Länder faktisch ab. Preußen wurde Geschichte, die nur zu Propagandazwecken noch reanimiert wurde, auch wenn die Blut und Boden Ideologie des österreichischen Postkartenmalers nie etwas mit Preußen zu tun hatte, sorgte sie für dessen Untergang.

Als erste Handlung nach Kriegsende beschlossen die Alliierten das Ende der preußischen Geschichte und die Auflösung dieses Staates, wörtlich heißt es dort:

„Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört. Geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker und erfüllt von dem Wunsche, die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage zu sichern, erlässt der Kontrollrat das folgende Gesetz:

Artikel 1

Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst.“

– Alliierter Kontrollrat am 25. Februar 1947

Es gibt noch bis heute die Erben der kulturellen Tradition Preußens wie etwa die Stiftung preußischer Kulturbesitz. Die Nachfahren des letzten peinlichen Kaisers leben zum größten Teil im Land, spielen jedoch politisch keine Rolle mehr, werden gelegentlich zu Gedenkveranstaltungen geladen wie jüngst auch Prinz Georg Friedrich, der derzeitige Chef des Hauses Preußen, der sich nach langen auch familieninternen Prozessen gegen seine Onkel auch juristisch dem Wunsch seines Großvaters Louis Ferdinand entsprechend durchsetzte und den ich nur ein wenig von der Beerdigung seiner Tante Kira kenne, der Mutter meiner lieben Freundin M, die inzwischen eine Bismarck wurde und die ich mit meiner Tochter eins im Sandkasten am Wasserturm in Prenzlauer Berg kennenlernte, wo wir irgendwann zufällig bemerkten, dass schon unsere Großmütter befreundet waren. So ist Preußen und seine Geschichte manchmal gegenwärtig, ohne dass wir es ahnen.

Kleine lächelnde Nachbemerkung zu diesem schnellen Ritt durch die preußische Geschichte, der vielleicht auf das aufmerksam machen soll, was von dem, was Preußen einmal bedeutete, erhaltenswert ist, sei - als ich auf der Hochzeit einer befreundeten preußischen Prinzessin mit einem Bismarck eingeladen wurde und als gewöhnlicher Bürgerlicher natürlich nicht den passenden Cut im Schrank hatte, konnte ich mir diesen von meinem Freund, einem Nachfahren des Feldmarschalls, leihen, womit Moltke, Bismarck und Preußen wieder in der kleinen Kirche ohne jede historische Bedeutung lediglich privat und familiär beisammen waren. So ist Preußen manchmal an seltsamen Orten lebendig. Ohne jede historische Bedeutung aber gut für die Haltung.
jens tuengerthal 6.3.2017