Wie wir mit dem Tod umgehen und ob er uns etwas angeht
Epikur der alte Grieche lehrte um 300 vor Christus, dass uns der Tod nichts angeht. Er meinte, solange er lebe, sei der Tod nicht da und wenn er tot sei, sei er nicht mehr da, warum ihn dann nichts mehr anginge. Ein Jenseits interessierte ihn so wenig wie die in Griechenland sonst omnipräsenten Götter, deren Existenz er zwar auch aus rechtlichen Gründen nicht infrage stellte, von denen er aber meinte, sie würden sich, wenn es sie gibt, sicher nicht um uns kümmern, sondern ungestört in ihrer himmlischen Sphäre leben, was allerdings einen großen Teil der griechischen Sagenwelt ganz grundsätzlich verleugnete, ihn aber nicht sonderlich tangierte.
Als Begründer der hedonistischen Lehre sah er das Ziel menschlichen Lebens im Streben nach Lust und unsere Aufgabe sei es, alles, was dieser Lust abträglich sei, zu vermeiden. Diese Lehre ist immer wieder bekämpft und verhöhnt worden, warum den Epikuräern ein wollüstiges Leben gern unterstellt wurde, auch wenn sich gerade Epikur für das genaue Gegenteil aussprach und Mäßigung eher als Lut ansah, denn das Streben nach Extremen.
Epikur lebte mit seinem Kreis von Freunden in seinem Garten und war bis in die Neuzeit der einzige Philosoph, sehen wir von seinen Nachfolgern wie Lukrez ab, die sich aber als Epikuräer sahen, der Frauen gleichberechtigt im Kreis der Philosophen aufnahm. Diese Tatsache beförderte natürlich noch die Gerüchte, dass Epikur und die Seinen noch dazu mit Frauen ein lustvolles Leben im Garten führten, auch wenn für ihn alles Glück nach eigener Aussage ein Brot, ein Käse und ein Wein oder Wasser waren, die er im Garten mit den Freunden teilte.
Diese Lehre passte natürlich nicht zu den monotheistischen Religionen wie Christentum, Islam oder Judentum, die auf ein Jenseits hoffen, das Wohlverhalten und den Gehorsam auf Erden mit jenseitigen Heilsversprechen zu erreichen hoffen. Damit war all ihre geaberglaubte göttliche Autorität, die Menschen das Fürchten lehren sollte, wie ein großer Teil der alten Geschichten von Noah bis Babylon hinfällig. Auch Propheten, die zur Erde hinab stiegen, wirken im Geiste Epikurs eher absurd, wie ein eben Aberglauben ängstlicher Menschen, die nicht darüber reflektieren wollen, dass ihre Angst erst aus dem Aberglauben entstand, den sie nur ablegen müssten, um frei davon zu sein.
Epikur schenkte Freiheit und versprach nichts als die Natur, über und außer der nichts sei, warum es diese so ausgiebig wie möglich zu genießen gelte. Wo nichts danach oder daneben erwartet wird, geht es um das Leben und seinen Genuss.
Dagegen wurde vor allem von christlicher aber auch von islamischer Seite immer wieder eingewandt, dass solch eine Lehre nur zum Egoismus verführe und die Menschen davon abhalte, die Schöpfung zu ehren, der gegenüber der Glaube zu Respekt auffordere.
Wie erfolgreich die monotheistischen Religionen zum Erhalt der Schöpfung aufforderten, können wir überall auf dem Planeten besichtigen. Der nur noch von vorgestrigen Kreationisten, die nicht in der Gegenwart ankamen und ihren Aberglauben dogmatisch weiter verbreiten wollen, geaberglaubte und konsequent vertretene Schöpfungsgedanke - auch Rom hat inzwischen die Evolution und die daraus resultierende Theorie zur Entstehung der Arten anerkannt - spielt in der Gegenwart keine Rolle mehr und wird außer von Sekten nicht mehr ernsthaft vertreten.
Eigentlich wäre es nun an der Zeit, Epikur endlich ohne Vorurteile zu betrachten, den Hedonismus nicht länger als rücksichtslos zu verdammen, sondern ihn als ein der Natur entsprechendes Menschenbild zu sehen, dessen sozialer oder asozialer Charakter allein am Verhalten des Einzelnen und nicht an der Lehre an sich liegt, die nirgendwo verkündet, sei asozial, um glücklich zu sein.
Wenn sich auf den Hedonismus als Ganzes eine nüchternere Sicht empfiehlt, stellt sich die Frage, ob dies nicht auch dringend für dessen Sicht auf den Tod gilt, der für keinen der bekannten Epikuräer ein Grauen darstellt, was sie fürchten müssten, weil sie nichts als ihr Leben haben und kein Jenseits kennen.
Auch Michel de Montaigne, der sich lange und sehr intensiv mit dem Tod auseinandersetzte, fand in Epikur und Lukrez, der kurz zuvor erst wiederentdeckt worden war und mit Beginn der Renaissance von Florenz aus zirkulierte, einen stärkeren Trost als in seinem katholischen Glauben, den er zwar nach eigener Aussage aus Tradition immer beibehielt und auch hochhielt, was Rom nicht hinderte, seine Schriften später lange Zeit auf den Index zu setzen, weil seine Philosophie, die eklektizistisch aus dem Besten der Antike sich nahm, was ihr gefiel, wie der Vatikan richtig erkannte eigentlich hedonistisch war und den Glauben zu einem bloßen Privatvergnügen machte, was Ende des 16. Jahrhunderts noch tödliche Folgen für die Betreffenden haben konne.
Michel war mehrfach mit dem Tod konfrontiert und diese Erlebnisse haben ihn eigentlich erst zum Schreiben gebracht, wie er selbst in seinen Essays erzählt. Zuerst war es der Tod seines Bruders, der beim Paume Spiel, einem damals verbreiteten Ballsport plötzlich tot umfiel, weil ihn ein unerwarteter Hirnschlag traf. Als nächstes war es der Tod seines besten und liebsten Freundes, Étienne de La Boétie, mit dem ihn auch die Liebe zur Literatur innig verband und dessen poetische Werke er nach seinem Tode herausgab. Der Freund starb an der Pest und Michel scheute sich nicht, bis zur letzten Minute bei ihm zu sitzen. Ganz anders etwa als Goethe, der den kranken Schiller und Sterbende überhaupt lieber mied. Schließlich wurde er Opfer eines Reitunfalls bei dem wohl ein Bedienter von ihm, an einer zu engen Stelle des Weges überholte, woraufhin das Pferd des Herrn von Montaigne durchging, den Herren abwarf, der sich schon tot wähnte und plötzlich eine große Leichtigkeit verspürte.
Er starb dann doch nicht, wie sich schon aus der Tatsache ergibt, dass er in seinen Essays ausführlich darüber schrieb, wurde von seinen Leuten halb bewußtlos ins Schloß getragen, litt länger an den Verletzungen, gesundete aber schließlich doch wieder ganz und klagte im weiteren Leben nur immer wieder auch schriftlich über die Qual seiner Gallensteine, die ihm dauerhaft zu setzten. Doch das Erlebnis des Todes hatte ihn von seiner Angst vor dem Tod geheilt.
Hatte seltsamerweise nie größere Angst vor dem Tod, was mich von Michel unterscheidet, weshalb ich höchstens literarisch von einem ähnlichen Läuterungsereignis berichten könnte. Mit 16 verunglückte ich mal tödlich auf der Straße, hatte aber das Glück nach nur wenigen Minuten von einem zufällig um die Ecke arbeitenden Notarzt wieder reanimiert zu werden, warum sich angeblich die Hirnschäden in überschaubaren Grenzen hielten.
An die Zeit ohne Herzschlag habe ich so wenig Erinnerung wie an die folgende Bewusstlosigkeit, wie es der Name ja schon nahe legt. Es war einfach nichts und so gibt es für mich auch nichts, was ich an diesem Nichts fürchten könnte oder sollte. Wer tot ist, muss nie wieder zum Zahnarzt oder Seekrankheit erleiden, was mir, wie schon andernorts geschildert, manchmal verlockender erschien als dies leidende Weiterleben.
Auch Liebeskummer legte nicht nur mir manches mal den Tod nahe und ließ das Nichts verlockender erscheinen als dies bloße Existieren - glücklicherweise, war bisher die Anziehungskraft des Todes weder bei Seekrankheit noch bei Liebeskummer je groß genug, dem nachzugeben und so bin ich noch und kann mir immer wieder ex post die Relativität aller Todesgründe vor Augen führen und mit zunehmendem Alter werden wir, zumindest ich, ohnehin bockiger, warum sich Gründe für das Nichts relativieren, ohne es zu fürchten.
Was sich nun leicht für mich sagen lässt, könnte anders sein, sofern es um den Tod mir naher Menschen oder Wesen geht. So mancher trauerte auch schon um den Tod eines Tieres mehr als um den vieler Menschen. Auch der Alte Fritz, ließ seine Windspiele im Garten von Sanssouci beerdigen, wo er auch nach über 200 Jahren auf Kohls Initiative hin, seine letzte Ruhe endlich fand, wie er es sich erbeten hatte, neben seinen Hunden.
Kann es nicht wirklich beurteilen, meine Eltern leben noch, meine Frau wird mich aller Vermutung nach lange überleben und auch meine Tochter ist zum Glück guter Dinge und so spreche ich zum Thema vermutlich ahnungslos, zumindest wie Betroffene es sagen, die meinen, das Einmalige des Verlustes müsste erlitten werden, um es nachempfinden zu können.
Einer meiner früher besten Freunde starb 6 Jahre nachdem ich aus seiner Nachbarschaft weggezogen und der Kontakt abgebrochen war an Drogen, wohl ohne die Absicht dazu - Gerüchte besagen die Söhne des örtlichen Pfarrers hätte ihm unreinen Stoff angedreht, um mehr zu verdienen und so seinen Tod verursacht. Was daran war, habe ich nie weiter verfolgt, obwohl ich die Söhne des damaligen Pfarrers auch relativ gut noch kannte. Gab mich auf der Beerdigung pflichtschuldigst betroffen, schüttelte seiner Mutter die Hand und drückte seine zugegeben sehr zarte und süße Freundin. Ansonsten tangierte mich dieser Todesfall nicht sonderlich, der mitten in mein schriftliches Abitur fiel.
Glaube meine Mutter, die ja nur wenige Jahre davor beinah ihren Sohn auf der Straße verloren hatte, nahm sich die Sache mehr zu Herzen als ich, dessen früher bester Freund nun nicht mehr war.
War ich herzlos, weil mich der Tod nicht tangierte, ich dachte, er hat sich dafür entschieden und also ist es seine Sache?
Hatte zu diesem Zeitpunkt schon viele Menschen sterben sehen - zuerst bei der Freiwilligen Feuerwehr und beim Rettungsdienst, meist auf der Straße aber auch kilometerlang Leichenteile von den Schienen gesammelt oder einen Bekannten mit gespaltenem Schädel an einer Hauswand verenden sehen, nachdem er ohne Helm durch die Hauptstraße meines Wohnorts mit seinem bekanntermaßen verrückt frisierten Moped gerast war, tote Kinder, leicht angekohlt liegen sehen, die gerade die Kollegen mit Atemschutz aus dem brennenden Haus geholt hatten, später auch in der Krebsbaracke, in der ich arbeitete und in der eben die Raucher irgendwann starben, wenn nichts mehr ging, was meist nur eine Frage der Zeit war.
Der Tod war für mich normal und den Toten wurde eben der Kiefer hochgebunden und um den Rest kümmerten sich Bestatter. Nach meinem Gefühl könnten Tote auch wie Restmüll entsorgt werden, nachdem die Medizin das ihrerseits noch mögliche oder nötige mit ihnen gemacht hat - von der Entnahme von Organen aus dem noch warmen Körper bis zur Verwendung des Leichnams für anatomische Schulungen.
Mag dennoch Beerdigungen und die Stimmung auf Friedhöfen, finde ich herrlich ruhig und besinnlich aber das ist eine rein ästhetische Bemerkung ohne jeden philosophischen Bezug. Sehe es eher als einen feierlichen Abschied, der den würdigt, der war und nicht mehr ist.
Es mag so etwas jeder so ausgestalten, wie es ihm gefällt aber nach meiner Überzeugung ist die Organisation von Beerdigungen und der ganze damit verbundene Aufwand noch die beste Ablenkung für Trauernde und da wir uns mit dem Nichts ohnehin nicht auseinandersetzen können, weil es nicht mehr ist, aber viele Gewohnheiten sonst zur hemmungslosen Trauer verführen, ist die Ablenkung womöglich das Beste, was uns in diesem Moment passieren kann. Sie beschäftigt mit überflüssigen Dingen und Organisation und wir haben wenig Zeit, uns der Trauer und Einsamkeit hinzugeben, die Menschen nur schnell auf zu dumme Gedanken bringt.
Diese rein praktische Erwägung, die für die Beibehaltung der nervigen Organisation und der Gewohnheiten spricht, statt Leichen einfach wie Restmüll zu entsorgen, wofür mehr spricht als sie in der Erde langsam verfaulen zu lassen, ändert nichts an der Frage, ob Trauer überhaupt eine angemessene Reaktion auf den Tod ist.
Sicher fehlt etwas, wenn ein naher Mensch plötzlich nicht mehr da ist. Fraglich nur, ob sich durch Trauer daran etwas ändert und Leiden in so einer Situation irgendetwas bringt.
Viele Menschen, mit denen ich darüber sprach, meinten es sei eine ganz natürliche Reaktion, zu trauern und wer dies nicht tue, habe eben kein Gefühl, sei kalt und eher unmenschlich.
Fand mich nie kalt oder gefühllos, eher im Gegenteil neige ich mehr zum Überschwang des Gefühls und großer Euphorie. Dennoch fand ich den Tod nie schlimm als solches und plädierte schon immer eher für Ablenkung, um sich nicht mit Dingen aueinandersetzen zu müssen, die wir nicht ändern können.
Was nicht mehr ist, geht uns nichts mehr an und hedonistisch betrachtet geht es darum, sein Leben so gut und schön wie möglich zu verbringen. Finde es gut, Menschen, mit denen wir ein Leben teilten und die uns wichtig waren, zu würdigen, wie ich es mit meiner Familie immer mehr in Worten auch versuche. Damit freue ich mich, über das was war und gedenke den bereits Verstorbenen auf konstruktive Art und Weise, schreibe ihre Geschichte in meinen Geschichten fort. Was von uns bleibt, ist die Erinnerung derer, die uns kannten und irgendwann vielleicht derer, die uns lesen werden, mehr ist es nicht und das gibt auch eine gewisse Leichtigkeit, die geradezu fliegen lässt.
Das Nichts wiegt nichts und auch das lässt mich sorglos mit dem umgehen, was kommt - von nichts kommt nichts und so geht es mich eben auch nichts an - insofern hatte Epikur völlig Recht und nicht Trauer ist unsere Natur sondern auch das ist nur eine Konvention, der wir uns mehr oder weniger bereitwillig hingeben. Meine Natur strebt nach Lust und Befriedigung und zwar mag es Menschen geben, denen Leid eine solche verschafft, die mögen sich daran nach ihrem Gefühl ergötzen, ich persönlich, ziehe es vor, nicht zu leiden und strebe danach und so halte ich es auch mit dem Tod und dem Andenken Verstorbener, die ich gerne mit Worten voller Freude ehre.
jens tuengerthal 3.8.2017
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