Parallel zu den Historischen Haikus entsteht nun eine Reihe Haikus, die sich mit der alten Tradition, des Teetrinkens und den Gedanken bei einer Tasse Tee beschäftigen. Es gibt außer der strengen Form des Haiku von 5-7-5 Silben hier keine inhaltlichen Vorgaben, wie auch die Gedanken bei einer Tasse Tee frei fliegen.
Tee belebt, fördert die Gesundheit und lässt wohl fühlen, wenn sich seine angenehme Wärme im Körper ausbreitet und sein verschiedenartiger Geschmack, je nach Garten oder Aroma im Körper sich entfaltet. Damit ist die beste Basis geschaffen, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und so durch die Tasse Tee einen Moment der Ruhe und des Innehaltens in unruhigen Zeiten zu finden, sich bewusst Zeit zu nehmen, um zu genießen, was ist.
Wie und was der Teetrinker dabei genießt, braucht keiner Vorgaben oder Belehrungen - die einen ziehen Grünen Tee vor, die anderen bevorzugen Schwarzen, manche mögen es reich parfümiert oder mit besonderen Aromen, einige am liebsten natürlich oder für das Gewissen ökologisch korrekt. Das möge jeder so halten, wie es gerade gefällt.
Trinke meist und eigentlich den ganzen Tag über Grünen Tee, mal naturbelassen aus Darjeeling oder mit Jasminblüten aus China oder angereichert mit dem Aroma der Bergamotte als Earl Grey oder Green, immer wieder auch mit Vanille Aroma, weil ich Grünen Tee am bekömmlichsten finde. Wechsle zwischen diesen Sorten nach Laune ab, wenn ich nicht einer inneren Ordnung zur Gleichmäßigkeit aller folge. Bevorzuge meist losen Tee, doch gibt es auch erstaunlich guten Grünen Tee sogar in Tee-Beuteln beim Discounter inzwischen.
Jeder möge die Tasse Tee so genießen, wie es dem eigenen Geschmack am ehesten entspricht. Engländer und Ostfriesen, lieben den Tee gesüßt, schwarz, stark und mit Milch beziehungsweise Sahne und werden wohl ewig diskutieren, was zuerst in die Tasse gehört. Chinesen gießen die Teeblätter in der Kanne auf und tun dies mindestens dreimal, alles weniger gilt als snobistisch und ist verpönt. Manche Feinschmecker bevorzugen bestimmte Teegärten etwa in Darjeeling und können dabei herausschmecken woher der Tee kommt.
Eine wichtige Rolle für einen guten Tee spielt die Qualität des Wassers, bei der die Berliner mit ihrem zu sehr mit Kalk angereicherten Wasser eher leiden, es sei denn sie nehmen wie ich einige Jahre snobistisch auch Mineralwasser zur Teezubereitung, Darauf verzichte ich inzwischen aus ökonomischen und ökologischen Gründen aber habe zumindest Filter, in meinem Kocher, die den gröbsten Kalk filtern. Doch so klar wie in Bremen, Hamburg oder Braunschweig, gelingt Tee im Hauptdorf aus der Leitung selten.
Jenseits all dieser kleinen Feinheiten und Eitelkeiten der Feinschmecker ist viel wichtiger, sich Zeit für eine oder besser noch mehrere gute Tassen Tee zu nehmen. Das beginnt bei Grünem Tee schon bei der Zubereitung, wenn ich das Wasser nach dem Aufkochen wieder auf die gewünschte Temperatur abkühlen lasse. Das braucht eben Zeit, auch wenn findige und eilige Menschen längst Teekocher haben, die nur bis 85° passend erhitzen, ziehe ich es vor, es blubbern zu lassen, abzuwarten, um dann im gefühlt richtigen Moment aufzugießen.
Beginne den Tag mit einer heißen Tasse Tee und beende ihn meist auch bei einer Tasse Tee mit einem Buch in der Hand, wenn mich nicht vorher schon vergorener Traubensaft, also Wein zu anderem Genuß verführte. So ist mein Leben von Teetassen umrahmt. Manchmal trinke ich ihn aus Bechern, nutze sogar gelegentlich, gegen jede Teekultur, praktische Thermobecher. Meist bevorzuge ich mehr oder weniger zarte Teetassen, in denen der Tee mit möglichst großer Oberfläche sein Aroma gut entfalten kann.
Tee kann ich mit bestem Gewissen genießen, was mir etwa beim Rauchen nie gelang, so sehr ich diese eigentlich dumme Sucht in manchem wiederum schätzen lernte gerade nach einem Essen oder am Abend vor dem Café, früher auch schreibend mit der Pfeife im Mundwinkel, wovon ich aus Gründen der Vernunft inzwischen Abstand nahm, denn so viel können auch meine Liter Grüner Tee kaum heilen, was die Pfeife anrichtete, auch wenn sie wunderbar schmeckte und als entspannter Genuss zu mir passte.
Das Teetrinken ist, mit dem Kaffeetrinken nicht zu vergleichen. Es gibt dazu eine schöne Geschichte. Der Sultan fragte seinen Großwesir einmal vor langer Zeit, was denn das würdigere und feinere Getränk sei. Der Großwesir, dessen Vorfahren aus China einst kamen, schlug dem Sultan vor, dies solle doch besser die Schokolade als er entscheiden, da sie doch nicht befangen wäre. So schlug der Großwesir dem Sultan vor, je ein Stück Schokolade in eine Dose mit dem feinsten indischen Tee und eines in die Dose mit dem besten türkischen Mokka zu legen, danach würde die Schokolade ihnen schon sagen, welcher der beiden Genüsse der feinere sei. Der Sultan staunte, fragte sich, wie die Schokolade ihnen etwas erzählen sollte, fand die Idee eher verrückt, hielt jedoch seinen Großwesir für einen weisen Mann und dachte sich, probieren geht über studieren.
Wer einmal Schokolade über Nacht in Tee oder Kaffee legte, erkennt den Unterschied sofort. Während die Schokolade, die im Kaffee lag am nächsten Tag nach Kaffee schmeckt, nimmt der Tee über Nacht den Geschmack der Schokolade an. Tee ist zart und nimmt auf. Kaffee ist dagegen aufdringlich und verdrängt. Beides verrät manches über seine Genießer und ihre Art des Lebens, ohne dabei ein allgemeines Urteil fällen zu wollen, da noch so viele andere Dinge den Charakter und das Wesen eines Menschen beeinflussen, verrät doch, was ein Mensch genießt, wie er es tut, manches über seine Art des Lebens.
So ging es auch dem Sultan, den der Großwesir die beiden Stücke Schokolade am nächsten Tag probieren ließ und der ihm den Tee mit dezenten Schokoladengeschmack dazu servieren ließ - nun wusste der Sultan welches Getränk das feinere und höflichere, einem großen Herrscher würdigere war, wie der Großwesir sagte, der von den chinesischen Kaisern und ihren speziellen Teesorten, die es nur am kaiserlichen Hof gab, erzählte. Der Sultan, der feiner und größer als die chinesischen Kaiser sein wollte, begann nun mit dem Teetrinken und im Reich brach eine Zeit von Frieden und Wohlstand aus und wenn sie nicht gestorben sind, trinken sie noch heute Tee statt Kaffee in diesem märchenhaften Sultanat.
Auch wenn ich als geborener Bremer den dortigen Duft der Kaffeeröstereien liebte, hat mich dies doch nie dazu verführt, ihn zu trinken oder zu mögen. Bin in einem Haushalt von Teetrinkern aufgewachsen und es schien mir diese Form, den Tag zu beginnen immer als die natürlich richtige und ich übernahm sie auch als meine und fühle mich damit bis heute wohl, entdecke gerade, während ich hier darüber schreibe, wie sehr ich ein Teetrinker bin und wie nah meinem Wesen dies zarte, unaufdringliche des Tees liegt.
Las gerade das Magazin der Tee-Kampagne, das mich inspirierte, meine früher Reihe der cup of tea, bei der ich meine Gedanken bei der ersten Tasse Tee aufschrieb, nun leicht verändert, in die strenge Form des Haikus gebunden, wieder aufzunehmen. Es ist thematisch so wenig gebunden wie meine Gedanken bei meinen vielen Tassen Tee am Tag, egal wo ich sie nun genieße und erhält seinen Rahmen durch die strenge Form des Haiku einerseits und andererseits den Hintergrund, dass diese Verse immer in einem Moment des Genusses zwischendurch geschrieben werden, in dem ich mir bewusst Zeit für eine Tasse Tee nehme.
Was daraus wird und wohin es wandert, weiß ich noch nicht und möchte damit die Leser so sehr überraschen wie mich - es wir eine Art Schreiben in den Pausen für die schönsten Momente des Innehaltens. Wer den ganzen Tag und das ganze Leben Tee trinkt, hat logisch viele solcher Momente und der Genuß beginnt jeden Tag neu - so ist das Innehalten für den Moment der Verzögerung, um sich darin bewusst zu werden, was wir tun - ein Kern jeder Teezeremonie - ein Teil meines Wesens geworden und indem ich es beschreibe und bewusster also noch genieße, freue ich mich an den vielen Momenten, die ich mir so nehme, um zu würdigen, was ist.
Mehr als Leben haben wir nicht, auch wenn manche an den Fortbestand der erfundenen Seele und ähnliche Dinge glauben, können wir zumindest sicher sagen, dass wir von diesen Dingen nie etwas wissen können und glauben mag jeder, was gerade gefällt. Sicher können wir uns nur unseres Seins und des empfundenen Genusses sein und diesen zu würdigen, sich für diesen Zeit zu nehmen, scheint mir immer mehr die sinnvollste Beschäftigung des Lebens, weil sie glücklich macht.
Vielleicht täte es vielen Menschen gut, sich mehr Zeit für eine Tasse Tee zu nehmen, um zu würdigen und zu genießen, was sie sind und haben, statt mit dem zu hadern, was nicht ist. So gesehen könnte die Tasse Tee, bemühten sich mehr Menschen darum, nähmen sich die Zeit zu genießen, mehr für den Weltfrieden vermutlich tun, als alle Abschreckungen und Verhandlungen zusammen, da sie uns Zeit zum Genuss schenkt und wer genießt, ist friedlicher im Leben. Was nun nach vereinfachter Küchenphilosophie und der Reduktion des Lebens auf bloßen Genuss anhört, entspricht in seinen Grundsätzen der epikureischen Philosophie, deren Lustprinzip die christlichen Sekten alle so lange erfolgreich verfolgten und verdammten.
Erhebe keinen Anspruch darauf, höhere Weisheiten oder gar eine Wahrheit zu verkünden, deren Behauptung für mich ohnehin immer nur davon zeugt, dass der Betreffende ein Lügner ist, weil kein anderer von sich behaupten könnte, die Wahrheit zu kennen. Was weiß ich schon, möchte ich mit meinem liebsten Küchenphilosophen Montaigne einwerfen, während ich in meiner Küche bei einer Tasse Tee sitze und diese Einleitung zu den neuen Tee Haikus schreibe. Dies zu fragen, scheint mir bescheidener als das behauptete Nichtwissen des Sokrates und entspricht eher meinen sicher geringeren geistigen Kräften als denen der beiden großen Vordenker.
Wenn es gelingt, einen Menschen durch die freien Gedanken in strenger Form bei einer Tasse Tee zum Nachdenken oder Innehalten zu bringen, ist schon alles gewonnen und da sie es zumindest für mich sind, haben sie ihren Zweck schon erfüllt. Wer diesen Gedanken teilt, sich auch an einer Tasse Tee erfreut und sich dadurch angeregt, erregt oder sonst zu mehr Genuss verführt sieht, hat vollkommen verstanden, was ich damit sagen wollte und ich wünsche dabei einen ruhigen, lustvollen Genuss im Sinne Epikurs.
Nun aber genug der Einleitung - es drängt mich mehr zum verdichten der Sprache, als zu weiteren prosaischen Ergüssen und ich freue mich am dampfenden Chung Hao in der zarten Tasse neben mir. Glücklich ist wohl zu nennen, wer diese Leidenschaft mit seinen Liebsten teilt und also bin ich wohl ein vollkommen glücklicher Mensch und freue mich im weiteren daran und wünsche viel Freude bei der weiteren Lektüre der Haikus zum Tee.
jens tuengerthal 24.8.2017
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