Freitag, 11. August 2017

Regelrecht

Es ist manchmal sehr spannend, von entlegenen Orten der Welt zu lesen oder zu hören und zu erfahren, was dort als üblich gilt. Im Vergleich mit unserem Alltag kommt uns vieles zunächst völlig absurd vor und gleichzeitig können wir unsere Gewohnheiten am anderen hinterfragen.

Wie normal ist unsere Normalität und wie fremd ist das Fremde, wer befindet sich näher an der menschlichen Natur, was bleibt für uns unmenschlich und warum?

 Noch spannender wird das Thema, wenn es um den Bereich Sexualität und den Umgang mit dem Geschlecht geht. Auch wenn wir Menschen uns alle auf die gleiche Art fortpflanzen, haben wir dabei überall andere Gewohnheiten und was am einen Ort als alltäglich und normal gilt, wird an einem anderen sogar mit dem Tod bestraft - manchmal begegnen uns solch völlig unterschiedliche Vorstellungen von dem was richtig  und erlaubt ist sogar in einem Staat. So war in einzelnen Bundesstaaten der USA der Analverkehr oder oraler Sex unter Strafe gestellt, während andere schon die Hochzeit von Homosexuellen erlaubten.

Nun hat Nepal ein Gesetz erlassen, dass es unter Strafe stellt Frauen während der Menstruation aus der Dorfgemeinschaft zu verbannen oder sie während dieser Zeit zu zwingen, tagelang in Kuhställen oder primitiven Hütten zu hausen. Diese Praxis wird Chaupadi genannt und gehört zu den vielen Regeln, die es auf der Welt gibt, die Frauen diskriminieren. Danach gelten die Frauen während ihrer Regel als unrein und sie dürfen weder Essen zubereiten, noch zur Schule gehen oder sonst am sozialen Leben teilnehmen.

Die Frauen, die dann gezwungen sind, etwa in primitiven Laubhütten zu leben, sind dadurch verschiedensten Gefahren ausgesetzt von der Unterkühlung und sonstigen witterungsbedingten Gefahren bis hin zu Schlangenbissen und es kam schon häufiger zu Todesfällen, über die dann in empörten westlichen Medien teils ausführlich berichtet wurde.

Eigentlich kein Freund solcher Empörung über eben kulturelle Riten und der Einmischung in traditionelles Leben, kann ich es diesmal nur begrüßen, dass die nepalesische Regierung sich entschlossen hat, den aus dem hinduistischen Aberglauben, der dort verbreiteten Religion, stammenden Brauch unter Strafe zu stellen. Gleichzeitig hat sie auch andere Frauen diskriminierende Praktiken wie Säureangriffe und Sklaverei unter Strafe gestellt.

Damit wendet sich die Regierung gegen uralte Traditionen, die so unmenschlich sind wie das Kastenwesen des Hinduismus und andere Teile dieses Aberglaubens es immer waren. Sie wurde dazu auch durch die Aufmerksamkeit der westlichen Medien insbesondere nach dem schweren Erdbeben und der mit ihm in Verbindung angelaufenen Hilfsaktionen gebracht.

Es wäre zu hoffen, dass sich solche Aufmerksamkeit auch auf einen so unmenschlichen Brauch wie die Klitorektomie richtete, die zwar medial groß immer wieder hier angeklagt wurde aber in den Regionen immer noch üblich ist und mit der großen Zahl von Flüchtlingen, die hier Schutz suchten, teilweise, trotz geltender Verbote, hier wieder praktiziert wird.

Beide Praktiken sind unmenschlich und zeugen von einem Frauenbild, was wir nicht tolerieren können und wollen. Doch stecken hinter diesen Riten selten nur Männer und mehr traditionell denkende Mütter, die sich ihrem Aberglauben verbunden fühlen und ihre Kinder so erziehen wollen, wie auch sie aufwuchsen. Sie haben nicht das Empfinden, etwas grausames zu tun, sondern halten ihr Verhalten für völlig legitim und normal, meinen im Gegenteil, ihre Töchter vor Unreinheit und Schande zu bewahren, auch wenn sie diese mit dem Festhalten am Aberglauben erst dieser aussetzen.

Steht es mir als Mann und als in einer westlich emanzipierten Kultur aufgewachsenes Wesen überhaupt zu über solche Bräuche zu urteilen, die mir nach dem Gefühl unmenschlich, grausam und primitiv erscheinen, die ich gern weltweit geächtet sähe?

Wenn ich annehme, dass alle Menschen gleich geboren werden und jedem unveräußerliche Rechte wie körperliche Unversehrtheit, Würde und Freiheit zustehen, muss ich mich darüber aufregen und gegen solch unmenschliche Riten kämpfen.

Zum Glück kommt dies Gesetz nun von einer nepalesischen Regierung und ich muss mir keine Gedanken darüber machen, ob hier westliche Einmischung traditionelle Lebensformen stören, die eben soziokulturell bedingt entstanden sind. Sie haben es selbst bemerkt und geändert und ich freue mich, wenn damit nun zumindest in Nepal weniger Frauen und Mädchen diskriminiert werden sollten, nur weil sie einem alten Aberglauben folgen, der sich Religion nennen darf.

Doch wo ziehe ich da klare Grenzen, was darf ich erlauben und wo ist bereits ein Eingriff vorhanden, der dringend verboten und verfolgt werden muss. Bei der Klitorektomie sind sich die westlichen Kulturen da zum Glück inzwischen sehr einig, verurteilen und bestrafen es in ihrem Gebiet, wenn sie der Täter und Täterinnen habhaft werden.

Müsste ein gleiches auch etwa für die Beschneidung von Jungen gelten, wie sie in islamischer und jüdischer Tradition nach dem uralten Aberglauben üblich ist?

Dabei setzten sich Menschenrechtler, die sonst für eine volle Emanzipation von Homosexuellen oder sonstigen Minderheiten streiten, plötzlich für die Religionsfreiheit ein, auch wenn die Begründung dabei nicht vernünftiger ist, als sie es bei der Verbannung der Frauen in Unreinheit ist.

Fände es auch politisch schwierig, wenn gerade in Deutschland nun Juden nicht mehr ihrer Tradition gemäß leben dürften, weil ein solcher irreversibler Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Knaben verboten werden müsste wie die Klitorektomie, zumal dieser Eingriff meist keine gravierenden körperlichen Folgen hat. Doch rechtlich betrachtet dürfte ich den einen Eingriff in Freiheit und körperliche Unversehrtheit an Minderjährigen nicht anders beurteilen als die Verbannung der menstruierenden Frauen nach hinduistischem Aberglauben.

Beide beruhen auf Vorschriften des jeweiligen Aberglauben, die mit den Freiheitsrechten einer modernen Demokratie unvereinbar sind. Würde ich also gefragt und müsste in diesem Fall entscheiden, was erlaubt und was verboten werden muss, wäre ich auch aufgrund unserer Geschichte in einem moralischen Dilemma.

Würde nach meiner Überzeugung sogar noch weitergehen und etwa die Taufe von Kindern, die sie, ohne dass sie mündig wären, darüber zu entscheiden, in eine Religionsgemeinschaft aufnimmt und ihnen damit die Freiheit nimmt, darüber selbst nach freiem Gewissen zu entscheiden. Sie wachsen dann bereits in der christlichen Tradition auch in den Schulen auf, in denen wir immer noch die jeweiligen Sekten ihren sektiererischen Unterricht nach den Vorschriften des jeweiligen Aberglauben geben lassen.

Dieser Unterricht schadet meist nicht, die wirkliche Aufnahme in die Gemeinschaft erfolgt erst mit Konfirmation oder Firmung, die Kinder erfahren in diesen Stunden oft auch manches über andere Kulturen und Glaubensformen und sie sind eben eine lange Tradition unserer Gemeinschaft, die niemandem derzeit wirklich schadet.

Betrachte ich etwa meine Schwester, die eine sehr tolerante und aufgeklärte Lehrerin für evangelische Religion ist, wäre ich völlig unbesorgt, meine Kinder bei ihr in den Unterricht zu geben, wenn ich sie je taufen ließe, was mir aber schon falsch erschiene, da Menschen sich nach meiner Überzeugung frei und mündig für einen Glauben entscheiden sollten und also erwachsen, nicht als pubertierende Teenies, die sich vor allem auf die Geschenke zum entsprechenden Fest freuen. Dennoch denke ich, dass es meiner Tochter nicht schadete, von ihr manches über die Religionen zu lernen, wäre dabei völlig unbesorgt, weil ich bei ihr nie einen missionarischen Eifer beobachtete, sondern eher einen kritisch aufgeklärten Geist wie er bei vielen gerade evangelischen Theologen oder Religionslehrern sehr verbreitet ist nach meiner geringen Erfahrung.

Der Religionsunterricht ist Tradition in unserem Land wie die Initiationsfeste von Taufe, Erstkommunion, Konfirmation und Firmung. Sie bilden einen wichtigen Teil unserer gewachsenen Kultur und ich frage mich, wenn ich über sie urteile, schon ob das von der Vernunft gebotene Plädoyer gegen Taufe und religiöse Riten im Alltag und mit Minderjährigen nicht auch einen wichtigen Teil unserer Kultur verloren gehen ließe und wie wir diesen dann ersetzen könnten.

Auch den Nepalesen geht ein Teil ihrer Kultur verloren, wenn sich die Frauen während der Regel nicht mehr zurückziehen. Abgesehen von der unmenschlichen Diskriminierung und ihrer absurden Begründung könnte der einmal monatliche Rückzug aus der Gemeinschaft auch etwas positives haben, wenn er nicht als schmutzige Unreinheit erzwungen sondern als ein erhebender Rückzug betrachtet würde.

Sollten wir uns nicht alle einmal im Monat zurückziehen, um zu uns zu kommen, Zeit  für uns allein und zum Nachdenken zu haben?

Aus meiner philosophischen Überzeugung, die von der radikalen Aufklärung geprägt ist und irgendwo zwischen Kant und Stirner sich zuhause fühlt, bin ich strikt gegen die Kindstaufe und die religiöse Erziehung von Minderjährigen, damit der vernünftig erzogene und aufgewachsene Mensch, der sich selbst von der Sklaverei der Vorurteile befreite, indem er Aufklärung im Sinne Kants betrieb, die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit vernünftig betrieb und also aus eigener Kraft ohne den Aberglauben an höhere Mächte zu urteilen lernte.

Auch wenn Kant manches schrieb, was religiöse Menschen zu ihren Gunsten auslegen können, weil er eben auch ein preußischer Hochschullehrer im Zeitalter des Absolutismus war, ist seine Antwort auf die Frage, was Aufklärung sei, dies SAPERE AUDE,  habe Mut, der Kern seines Denkens, an das sich auch der kategorische Imperativ nahtlos anschließt, der uns lehrt jedes Gesetz an unserem Gewissen zu messen, über dem es nichts gibt.

Handeln wir den Ideen des großen Königsbergers entsprechend, sind wir frei und was sonst kann die Demokratie, die sich Freiheit und Menschenrechte auf ihre Fahnen schrieb, wünschen?

Nichts sonst, scheint mir und es lässt sich mit diesem Maßstab jede ethische Frage, die der Normierung vorausgehen sollte, vernünftig beantworten.

Die nepalesische Gesetzgebung gegen die eigene kulturelle Tradition scheint mir danach vernünftig und gut. Die vorherige Diskriminierung von Frauen aus Gründen des Aberglauben fand ich absurd und keinesfalls tolerabel, freue mich, dass es den Frauen dort nun zumindest dem Gesetz nach besser geht. Wobei erst die Zeit zeigen wird, inwieweit sich dies Gesetz auch durchsetzt und von den lokalen Behörden durchgesetzt wird, wie lange es dauert, bis der Aberglaube der aufgeklärten Vernunft weicht.

Das nepalesische Gesetz stellt die Befolgung der alten Riten unter Strafe. Schon 2005 hatte  das nepalesische Verfassungsgericht den Chaupadi verboten, der aber im kaum entwickelten Westen des Landes weiter praktiziert wurde. Ob dort nun das neue Gesetz große Wirkung entfaltet, wird sich zeigen, vor allem frage ich mir wer danach bestraft werden soll. Die Frauen, die sich den Erwartungen fügen und sich wie Aussätzige einmal im Monat behandeln lassen oder Priester, die diesen Aberglauben weiter predigen und lehren?

Was kann ich überhaupt gegen gewachsene Gewohnheiten tun und bringt es etwas, solches Gewohnheitsrecht zu pönalisieren?

Neige dazu, dies zu bejahen, weil Fortschritt immer Veränderung bedeutet und wenn sich die Zivilisation ausbreitet, ist damit auch die Verbreitung ihrer Gewohnheiten und Regeln verbunden, die eben andere verdrängt. Die Frauen in islamischen Ländern werden auch irgendwann die Geltung des göttlichen Rechts, das ihre Freiheit beschränkt, immer mehr infrage stellen. Damit werden sich die Kulturen verändern und insofern dies im Zeitalter von Internet und globaler Kommunikation auch bedeutet, dass Menschen und Ziele sich weltweit immer ähnlicher werden, folgt daraus auch eine Verdrängung der Gewohnheiten, die dazu nicht mehr passen.

Damit gehen einerseits Teile dieser Kulturen unter und verlieren ein einendes Glied, was der je Aberglaube an vielen Orten der Welt immer noch ist - sofern wir uns weltweit auf den Maßstab des kategorischen Imperativs einigen können, heißt dies die größtmögliche Gewissensfreiheit für jeden einzelnen. Für diesen Zugewinn an Freiheit und Humanität, diese tolerante Basis eines gedeihlichen Miteinanders im Geiste der Toleranz, scheint der drohende Verlust kultureller Eigenheiten mir relativ gering.

Aber ich betrachte es als Europäer, der mit diesen Grundsätzen aufwuchs, zu dessen Kultur der Geist der Aufklärung gehört, in dessen Tradition ich lebe und denke und strebe damit danach dieses Denken in der Welt zu verbreiten und zum herrschenden zu machen. Finde das die bestmögliche Form des Zusammenlebens und wüsste keine, die ein besseres Miteinander gewähren könnte.

Dementsprechend, finde ich es absurd eine Frau in ihrem natürlichen Zyklus, der ihre Fruchtbarkeit auszeichnet und damit unseren Fortbestand garantiert als unrein zu betrachten, wie ich überhaupt ein religiöses Denken in Kasten absurd finde, weil alle Menschen die gleichen Rechte und Chancen haben sollten, auch wenn ich nicht zu denen gehöre, die behaupten alle Menschen sein gleich, denn wie verschieden begabt sie allein schon sind, kann jeder leicht im Alltag bemerken.

Der Satz der amerikanischen Verfassung, dass alle Menschen gleich geschaffen worden sein, scheint mir absurd, weil es für mich keinen Schöpfer gibt, sondern Menschen natürlich entstandene Geschöpfe sind und das auch wenn unsere Natur uns dazu befähigen sollte Menschen künstlich zu schaffen, wir dies in Teilen längst können und tun. Außerdem zeichnet es uns Menschen eben aus, dass wir alle irgendwie unterschiedlich beschaffen sind in ganz vielem und uns darum nie ganz gleich sind.

Das Prinzip der Gleichheit, das beim Ritus des Chaupadi in der Frage der Egalität von Mann und Frau ihrer Natur nach verletzt wird, wäre absurd, wenn es die faktischen Unterschiede verleugnen wollte. Menschen sind verschieden begabt, haben unterschiedliche Neigungen und Interessen, sollten nie gleichgemacht werden, sondern nur alle die gleiche Chance bekommen, ihrer Neigung und Begabung entsprechend leben zu können. Unsere Gemeinschaft schreibt zumindest theoretisch seit der französischen Revolution auch die materielle Gleichheit groß und leitet daraus je nach politischer Herkunft eine mehr oder weniger große Umverteilung ab, will Gleichheit politisch durchsetzen, was immer davon zu halten ist.

Der Zwang zur Gleichheit wird beim Thema Gender besonders laut, die auch nach versteckten Diskriminierungen etwa in der Sprache suchen. An sich eine ehrenvolle Sache, denn welcher Mann will schon Frau diskriminieren - gibt es vielleicht auch, aber so ganz grundsätzlich hat daran kein Mann ein Interesse, weil die Folgen für das Zusammenleben meist verheerend sind, wenn Mann nicht gerade auf Vergewaltigung steht, was zum Glück nur wenige tun meines Wissens nach und über Idioten zu reden, wie sie etwa gerade die USA regieren, ist meist nur idiotisch und lohnt nicht weiter, auch wenn sie zufällig Präsident wurden. So ist es auch mit der erzwungenen Gleichheit, die sich noch mit Lächerlichkeiten an der Sprache austobt aber zum Glück gerade nicht mein Thema ist.

Für das Thema Gender gilt wie für das Thema Trump, es ist besser dazu zu schweigen und die sich davon betroffen fühlenden, es unter sich klären zu lassen - auch wenn ich nun den Hass aller Feministinnen ernten würde, sage ich es doch, Männer und Frauen sind nicht gleich - sie sind in entscheidenden Dingen verschieden und das ist auch gut so, darum passen sie trotz aller natürlichen Gegensätze manchmal so gut zusammen, zumindest in der Mitte, was vermutlich eine chauvinistische Diskriminierung darstellt, die für Sprachkämpfer*innen und andere Fanatiker*innen und außen schlimmer noch ist als nepalesische Riten, die nun gesetzlich verboten wurden und so hat jeder seine Probleme.

Während in Nepal nun die Frauen nicht mehr in den Stall geschickt werden dürfen, bekommen im Zuge der Gleichberechtigung in Berlin nun auch die Frauen Pissoirs. Ob es dadurch weniger Schlangen vor Frauenklos geben wird oder das Unisex Klo die Frauen diskriminierenden Stehpinkel Einrichtungen vollständig abschafft ist so unklar wie die Frage, ob sich am Umgang mit den Frauen in Nepal etwas ändert, wenn sie nicht mehr öffentlich diskriminiert werden dürfen und der Aberglaube dafür in die Hinterzimmer zieht, in denen es weiter so zugeht, wie vorher vorne nur eben erzwungen versteckt.

Das jüdische Krankenhaus Berlin, das einen großen Teil der Beschneidungen an jüdischen und muslimischen Knaben vornimmt, hat in der Debatte über ein Verbot argumentiert, ihr Haus böte zumindest höchsten hygienischen Standard und verhinderte Infektionen und sonstige Probleme, wie sie die sonst im Hinterzimmer vorgenommenen Beschneidungen mit sich brächten. Dies Argument erinnert an die Krankenhäuser, die für eine Erlaubnis zur Abtreibung mit der Gefahr der sonst Engelmacherinnen argumentierten, was wiederum stark an jemanden erinnert, der sich für die Abgabe von Präzisionswaffen an Killer ausspricht, damit sie ihren Job möglichst sauber und schmerzfrei erledigen können.

Für die katholische Kirche, die Abtreibung unter ihrer polnischen Flugente Mord zu nennen begann und mittelalterlich in Afrika gegen Verhütung predigte und damit AIDS bei der Ausbreitung gut half scheint obiger Vergleich nicht absurd. Für mich schon, weil ich der Frau das Recht und die Herrschaft über ihren Körper zugestehe und diese Freiheit ist durch den für die Zeit der Fruchtbarkeit währenden Zyklus und die natürliche Notwendigkeit der Schwangerschaft bereits genug eingeschränkt ist, die Freiheit eines lebenden Menschen mir wichtiger scheint als die vielleicht Existenz eines Fötus. Aber das ist eine Entscheidungsfrage, in der ich den ethischen Gewohnheiten meiner Kultur entsprechend werte.

Rein logisch wäre ein strenger Positivismus genauso vertretbar und vermutlich sogar konsequenter als diese Entscheidung. Danach müsste entweder jedes Leben gleich geschützt werden und dann wäre Abtreibung Mord oder ich begrenzte das Leben auf die autonome Existenz, was aber zur Folge hätte, dass ich etwa Bewusstlose straflos töten könnte oder, weil  ihnen ja die für das Menschsein nötige autonome Existenz fehlt -  damit  brächen herrliche Zeiten für die Organspende an - sollte ein Fehler dabei gemacht werden, ginge es nicht mehr um Mord und Totschlag sondern nur noch um eine schlichte Sachbeschädigung.

Auch wenn der australische Philosoph Singer solches konsequent positivistisch vertritt, schiene es mir eher unmenschlich und eiere ich lieber weiter mit irgendwie schlechten Kompromissen herum, was Leben ist, wann es beginnt und zweifle, ob es dazu eine verbindliche Aussage geben kann, außer der Nulllinie im EEG, zumindest solange wir Hirntote noch nicht wieder erwecken können. Dies tue ich sicher auch aus gut verstandenem Eigennutz, war ich doch nach einem Fahrradunfall in den 80ern wochenlang bewusstlos und hätte sonst einfach gut ausgeschlachtet werden können, wäre nicht mehr da, was ja lesbar noch der Fall ist.

Verliere mich wieder im weiten philosophischen Umfeld der Frage nach dem Leben, dabei ging es doch ursprünglich darum, ob Frauen in der Regel unrein sein dürfen, eine Ausgrenzung nur nach dem Aberglauben legitim sein darf.

So betrachtet war und fiel mir die Antwort leicht. Natürlich sind Frauen in der Regel nicht unrein oder aussätzig - der dazu passende uralte Witz, der fragt, warum Germanen in der Regel rote Bärte tragen, zeugt, so blöd er ist, von einem anderen Bild der Frau als es dieses Bergvolk mit seinen abstrusen Riten bewies.

Die bloße Abstoßung der Gebärmutterschleimhaut hat nichts unreines an sich, sondern ist die conditio sine qua non der weiblichen Fruchtbarkeit und damit der irgendwann Fortpflanzung, die der natürlichen Erhaltung unserer Art dient. Nichts daran kann natürlicherweise schlecht oder unrein sein. Ein Ritus, der solches lehrt, ist unmenschlich und gehört gebannt, wie es die Nepalesen nun glücklicherweise taten.

Doch die Betrachtung des Lebens und der Zeugung lässt die Gedanken eben weit schweifen, die geneigten Leser mögen es mir verzeihen. Gerne befreite ich die Menschen von allem Aberglauben, gäbe zumindest jedem die Chance, ein Leben ohne kennenzulernen, warum ich Kindstaufe wie Beschneidung konsequent verböte - aber, ich bin nur einer, froh die Freiheit zu haben, dies heute straflos äußern zu können - warum sollte ich meinem lieben Freund, der seine Tochter taufen ließ, weil es in seiner uralten, adeligen Familie eben so üblich ist, dies verbieten wollen, wenn er sich in dieser Tradition geborgen und aufgehoben fühlt und ich habe keine Sorge, dass seine Tochter davon irgendeinen Schaden nahm, sie bei ihren Eltern mit freiem Geist und viel Intellekt aufwachsen wird, mehr als viele Atheisten ihren Kindern je vermitteln.

Natürlich finde ich es gut, wenn die Nepalesen nun absurde Riten verbieten, die Frauen diskriminieren und sogar am Leben gefährden. Am besten würden alle Religionen verboten für Kinder und was Erwachsene sich antun, sollte ihre Sache sein, solange sie wirklich frei sind, womit die ganze Geschichte wieder von vorne beginnen könnte, weil um die Definition dessen was wirklich frei ist, mindestens genauso lange gestritten werden könnte. Wie unfrei sind erwachsene, gläubige Frauen in Nepal nun, die auch künftig ihre Unreinheit im Kuhstall oder in Laubhütten zelebrieren wollen durch dies Gesetz geworden und wer wäre ich, ihnen erzählen zu wollen, was für sie gut und richtig ist?

Was weiß ich schon, frage ich mich und schließe also staunend und unwissend dieses Essay, in dem ich eigentlich begeistert von einer bloßen Gesetzesänderung am anderen Ende der Welt berichten wollte und denke, sich in Bescheidenheit und Toleranz üben, könnte immer helfen, vielleicht weiß ich dann am Ende etwas mehr.

jens tuengerthal 11.8.2017

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