Welcher Abstand verhältnismäßig scheint und von wo aus wir am genauesten sehen.
Wie die Dinge uns scheinen, hängt häufig davon ab, von wo aus wir sie betrachten. Je näher wir kommen, desto bedeutender werden die Details, bis sie uns im Eifer des Gefechts zu ersticken drohen, weil uns der Überblick fehlt.
So sah sich mancher Krieger im Kampf umzingelt und stellte dann überraschend fest, wie schnell der scheinbar übermächtige Feind flüchtete, weil er sich dem gefährlich verzweifelten Kampf dessen, der nichts mehr zu verlieren hatte, nicht stellen wollte und darum lieber seine eigentlich bessere Stellung aufgab und die längst verloren geglaubte Schlacht wurde unverhofft gewonnen, weil die Energie im verzweifelten letzten Gefecht, den nach eigener Überzeugung eigentlich übermächtigen Gegner so erschreckte.
Dies gelang Friedrich dem Großen in mehreren längst verloren geglaubten Schlachten, als sogar der Atheist nur noch betete, Zieten mögen aus dem Busch kommen, was er dann auch tatsächlich tat aber auch der Kampfesmut der Verzweifelten, die nichts mehr zu verlieren hatten, schürte oft noch den unübertroffenen Mut der Verzweiflung, der Situationen wendete, in denen keiner mehr vernünftigerweise hoffen durfte.
Es gibt auch Fälle in denen es anders ging, etwa beim Kampf der Roten Armee um Berlin, in dem sich die letzten Nazis noch mit der Parole wehrten, lieber fürs Vaterland sterben, als ehrlos zu verlieren und so Gefechte verlängerten, nachdem an allen Fronten der Zusammenbruch längst offensichtlich war. Sie taten es allerdings erfolglos, gaben aber auch erst nach dem Freitod Hitlers auf, der das Land und seine Armee auf sich eingeschworen hatte, damit danach die Überlebenden noch versuchten, irgendwie ihre Haut zu retten.
Im Vietnamkrieg unterlagen die technisch und numerisch weit überlegenen USA nach jahrelangem verlustreichen Kampf im Busch, in dem logisch der Überblick fehlte, und flohen, weil der Blutzoll zu hoch und der Widerstand zuhause es unmöglich machte, noch mehr zu riskieren. Trotz Entlaubung der Wälder waren sie in Vietnam nachhaltig so wenig erfolgreich, wie bei dem Versuch in Afghanistan die Taliban endgültig zu besiegen und eine Friedensordnung zu errichten, wie die Russen vor ihnen, weil der Ort zwar geostrategisch höchst wichtig ist, für die großen Handelsrouten in Asien aber sich im Kleinen in unübersichtliche Berge verliert, ein Krieg dort nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand zu gewinnen und selbst wenn, eine Friedensordnung für das ganze Land sich nicht automatisch einstellt.
Schaue ich auf Berlin als ganzes, scheint es mir ein recht übersichtliches Bundesland von der Fläche her, betrachte ich dagegen die lokalpolitischen Probleme vor Ort, verliere ich schnell den Blick für den Zusammenhang, werden die vielen Probleme unlösbar. Ewige Wartezeiten auf den Ämtern, die heiratswillige teilweise schon vor den Standesämtern campieren lassen, um noch einen Termin zu bekommen und Bürger stundenlang durch die Stadt zu tingeln, zwingen, um in irgendeinem Bezirk zufällig einen Termin zugewiesen zu bekommen und so scheint die alte Planwirtschaft im neuen Gewand des vorgeblich effektiven Management, wieder aufzutauchen und die Schlangen in Zeiten der DDR waren nichts gegen das, was sich Flüchtlinge in der überforderten Stadt lange antun mussten und was jeden Bürger zur Verzweiflung treiben kann. Böswillig schiene es mir, dem Chaos Absicht zu unterstellen, auch bloße Unfähigkeit griffe zu weit, wahrscheinlicher ist es, dass der Teufel im Detail steckt und in der Fülle der Überblick verloren geht.
Im Detail betrachtet, sind sicher all die preußischen Beamten sehr fleißig und korrekt, kann da nichts anderes berichten, auch wenn seltene Ausnahmen gerne skandalisiert werden. Mit Blick auf den Zusammenhang jedoch führt die Konkurrenz der Bezirke untereinander und die zentrale Planwirtschaft des Senats zu Zuständen, die in der unendlichen Geschichte des neuen Flughafens nur zu deutlich sichtbar werden. Es wird alles auf ein Projekt gesetzt, bei dem viele kleine Fehler im Detail und die Vermischung von politischer und ökonomischer Zuständigkeit zu einem Chaos führen, dass sich typisch für diese Stadt, von Skandal zu Skandal hangelt, bei dem jeden einzelnen Beteiligten kaum ein Vorwurf mehr gemacht werden kann, aber der noch nicht vollendete Bau schon vor seiner ungewissen irgendwann Fertigstellung sicher zu klein sein wird bald und dennoch soll plangemäß der andere Flughafen geschlossen werden und werden die Investitionen für das dann freie Gelände fortgesetzt, als habe die Realität nichts mit der Fertigstellung des Plans mehr zu tun. Im Detail verliert sich der Blick für den Zusammenhang und diesen wiederum erkennt keiner mehr, der pflichtgemäß am Detail arbeitet, was seine Arbeit wiederum oft im Ergebnis völlig unsinnig macht, ohne daraus einem einen Vorwurf machen zu können. Der Virus Deantwortung hat den Moloch Berlin voll in der Hand und ein Ausweg ist schwer zu erkennen, es herrscht die sozialdemokratisierte Betroffenheit der verbeamteten Großstadt, die für immer von Alimente lebt.
Deutschland gehört zu den reichsten Ländern, die Zahlen der Wirtschaft sind hervorragend, die privaten Vermögen wachsen wie die Zahl der Kinder, die in Armut aufwachsen und die Perspektivlosigkeit, der in Armut lebenden Menschen, aus dieser Situation wieder heraus zu finden. Je nachdem welchem Detail wir unsere Aufmerksamkeit mehr widmen, wird die Bewertung unterschiedlich sein. Wer einer Umverteilung das Wort redet, gefährdet damit auch den Zusammenhalt überhaupt und hebt die Freiheit als Prinzip zugunsten des Neids aus, aber das ist ein anderes Thema, zeigt nur, wie sehr der Blickwinkel allein die Bewertung verändern kann.
Verglichen mit arabischen Ländern ist die Situation der Frauen in Deutschland hervorragend und die Gleichberechtigung im Grundgesetz gesichert. Das Land wird seit Jahren von einer Frau regiert, die es auch versteht Frauen zu fördern und dies erfolgreicher tut, als alle linken Regierungen zuvor, auch wenn sie sich nie den Feminismus auf die Fahne schrieb. Blicken wir dagegen nach Skandinavien oder Frankreich ist die Situation berufstätiger Frauen immer noch deutlich schlechter, die Zahl der Frauen in Führungspositionen erschreckend gering, blockiert teilweise noch eine alte Lobby den Aufstieg der Frauen, bis auf wenige Alibi-Damen.
Ist die Situation hier nun im Detail schlimm oder eher relativ gut?
Die zunehmende Ausländerfeindlichkeit im Land erschreckt und der Aufstieg des den latenten Rassismus nutzenden AfD gerade im Osten ist ein deutliches Zeichen. Der eklatante Anstieg von Gewalttaten gegenüber Flüchtlingen könnte bedrohlich für den inneren Frieden wirken. Viele Extremisten auf der linken oder rechten Seite warnen vor einem drohenden Bürgerkrieg oder phantasieren über den Untergang des Abendlandes, wie es Sprengler schon zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit gleichnamigem Buch tat.
Andererseits ist die Integration der massiven unkontrollierten Zuwanderung, die einigen wie ein Horrorszenario erschien, bisher relativ gut gelaufen und bis auf Berlin haben die Länder relativ schnell die gewohnte Ordnung wiederhergestellt, lässt sich die Kanzlerin mit ihrem Legende gewordenen “Wir schaffen das” nicht aus der Ruhe bringen und sich dann mit einem gelassenen “Sie kennen mich” wohl mit großer Mehrheit wiederwählen, besetzt erfolgreich alle Felder der Mitte, so dass der SPD Kandidat in geradezu lächerlicher Verzweiflung von einem Extrem ins andere fällt, ohne dadurch besonder ernst genommen zu werden und auch die Extremisten an den Rändern verlaufen sich mit der Zeit immer mehr, so sehr ihr Verhalten auch im Einzelfall skandalös wirkt.
Eine Politik jenseits der Polaritäten, die auf Verständnis und Verständigung setzt, durch Dialog erfolgreicher ist als mit eher schlichtem Basta, wird für ihre Erfolge und ihre Zuverlässigkeit von der Mehrheit geschätzt und daran wird sich so schnell vermutlich nichts ändern. So scheint eine deutliche Mehrheit, trotz eines guten Drittels von Menschen, die tatsächlich für Populismus anfällig ist, den Blick für das große Ganze eher zu haben, als sich von polarisierenden Details zu extremen Entscheidungen verführen zu lassen.
Zuverlässigkeit und Kontinuität scheinen in Deutschland erfolgreicher als die polarisierenden Extremisten, die in Ländern wie den USA, Polen, Ungarn oder der Türkei die Regierung stellen, auch wenn die Weltlage für all diese Länder gleich unruhig ist. Die einen setzen auf das Extrem, während die anderen eher an die Kraft der Ruhe glauben und auf Bewährtes setzen, um eine kritische Weltlage zu bewältigen.
Haben darum eher die Wähler der polarisierenden Positionen eine weitere Sicht auf die Welt, weil sie in ihren Überzeugungen auch jede Verschwörungstheorie berücksichtigen oder die Wähler der Mitte, die sich von nichts aus der Ruhe bringen lassen?
Schauen wir von weiter oben, verschwimmen viele Probleme und werden nichtig und klein - würden wir von bestimmten Sternen im Universum aus, die millionen Lichtjahre entfernt sind, die wir aber jeden Abend, so es die Wolken zulassen, noch wie Nachbarn betrachten, unsere Welt betrachten, sähen wir jetzt dort Dinosaurier, die unsere Erde bevölkerten und auf Menschen müssten wir noch lange warten und dabei ist das Licht, was dies Bild wirft, schon das schnellste überhaupt, wird darüber hinaus nach der immer noch gültigen Relativitätstheorie alle Materie zu Energie, ist kein schnelleres Ding an sich denkbar. Sehen wir an dieser Stelle mal vom Welle-Teilchen-Dualismus des Lichts ab und der Quantenrelativität, die schon zu verstehen meinen bescheidenen Verstand überschritt, geschweige denn verständlich darüber zu schreiben.
Ohne wirklich zu verstehen, worüber ich hier gerade nachdenke, drängt sich mir doch die Frage auf, ob für das kleinste, also die subatomare Ebene, das gleiche gilt wie für das ganze Universum und sich, was wir als Schwarze Löcher oder Weiße Riesen dort sehen, genauso verhalten könnte und eine vielleicht nur unserem beschränkten linearen Horizont entsprechende Betrachtung wählten, die höher beschleunigte Welten oder Formen von Energie nicht wahrnehmen kann,obwohl sich das Kleine vielleicht wie das Große verhält.
Auch unser Blick ins Universum ist von unserem Horizont und den Schranken unseres Denkens geprägt - könnten wir, was die Raum-Zeit-Schranke überwindet, je mit unseren Mitteln der Wahrnehmung erkennen?
Weiß es nicht, verstehe ja nicht mal die Grundlagen unserer Betrachtung so weit, wie sie die moderne Physik gerade führt, was die Astrophysik über Werden und Vergehen des Universums denkt, sondern taste mich nur vorsichtig mit meinem Medium der Worte an das eher fremde der Physik heran, ohne es erklären zu können. Doch scheint mir eine Relativierung der Betrachtungsweise aus dem Wechsel des geistigen Horizonts immer vernünftiger als der Glaube an felsenfeste Überzeugungen.
Die Naturwissenschaft beschreibt die Welt, so wie wir sie erkennen und berechnen können und nach allem, was wir bisher vom Universum wahrnehmen können, spricht vieles dafür, dass sich dieses, wenn auch chaotisch der Natur nach, den uns erkennbaren logischen Regeln folgend verhält.
Weiß nicht, ob es eine Weltformel geben kann, die am besten auch noch die Entstehung des Universums nach dem gleichen Prinzip erklärt - vielleicht finden irgendwann geniale Physiker wie ein Hawkins diesen großen Zusammenhang und können ihn auf eine Formel bringen, vielleicht klingt diese am Ende so einfach auf den ersten Blick wie Einsteins Relativitätstheorie im schlichten E=mc². Möglich scheint es mir, dass der Mensch klug genug ist, sich die Dinge zu erklären und in einen logischen Zusammenhang zu bringen, der dann allgemeingültig ist,
Doch auch eine solche Weltformel würde nur unter den Bedingungen unseres Denkens entstehen können, sofern das Gehirn der Forscher mit genug Sauerstoff versorgt wird oder die Künstliche Intelligenz, die solche Ideen mit höchster Perfektion weiter rechnete, reichte nie über die Möglichkeiten meines Denkens hinaus. Also meines noch beschränkteren, der ich weder Physiker noch Astronom bin, geschweige denn deren Wissenschaft ganz begreifen kann, wohl sicherlich, der ich nur mühsam meine Mutmaßungen über diese Fragen anstelle und mit Worten um Dinge jongliere, die ich kaum mehr selbst berechnen könnte, aber doch auch unter den Genies ihrer Wissenschaft befände es sich in deren Schranken und System, würde durch viele Kleinigkeiten ihres Systems behindert und beengt, um formal korrekt zu sein.
Dies soll keinesfalls ein Plädoyer für die Scharlatanerie und Esoterik sein oder einer Offenheit für die horizontale Beschränkung des Aberglaubens das Wort reden, nichts liegt mir ferner. Gerne aber sähe ich es, wenn wir bei allem bedächten, auch was uns gänzlich sicher scheint, ist dies immer nur in den Schranken des menschlichen Geistes - auch wenn dieser sich vielleicht in Zahlen noch präziser auszudrücken versteht als in Worten, bleibt die Wahrheit ihrem Wesen nach die Erfindung eines Lügners, weil wir zwar Aussagen im Rahmen unserer Schranken verifizieren können, was wir dann Wissenschaft nennen, es uns aber unmöglich bleibt, alles zu erkennen, zu berücksichtigen, uns infrage zu stellen und den Blick zu heben, gerade wenn wir von etwas überzeugt sind. Wer sich anmaßt, es gäbe eine Wahrheit und Menschen hätten die Möglichkeit diese zu erkennen, hat ergo entweder einen zu beschränkten Horizont den Umfang seines Irrsinns zu erkennen, was es sicher bei nahezu allen Religionen trifft oder ist bewusst ignorant.
Darüber nun nachzudenken, wie weit dieses seltsame Wort, dessen Annahme nur von Intoleranz zeugt aber nie von Verständnis der Welt oder kritischem Denken, es in unsere alltägliche Gegenwart geschafft hat, macht stutzig. Beim Eid vor Gericht muss geschworen werden, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen und das Gegenteil wäre strafbar. Dabei kann dies keiner erfüllen, weil kein Mensch die Wahrheit also die objektive Sicht über seinen eigenen Horizont hinaus kennt. So erscheint die aktuelle Eidesformel so absurd wie die frühere Methode der Wahrheitsfindung durch Folter oder Gottesurteil. Wir beschwören unter Strafandrohung ein unmögliches Verhalten, machen die Institution des Gerichts damit eigentlich lächerlich, relativieren vorab den Meineid, zu dem uns schon die Eidesformel zwingt. Absurd aber tägliche Realität vor deutschen Gerichten.
Sokrates maßte sich sein, ich weiß, dass ich nichts weiß, an - sehr menschlich und nehmen wir unsere Erkenntnis als alles, was wir können logisch - würde für mich lieber noch weniger weit gehen und Michel de Montaigne auch zur Weite oder Nähe des Blicks fragen, was weiß ich schon?
Vielleicht könnte aus dieser grundsätzlichen Infragestellung von allem, mehr Erkenntnis dessen wachsen, was uns glücklich macht, in dem uns gegebenen bescheidenen Rahmen. Mehr werden wir nie als glücklich, scheint mir, mit dem wenigen, was ich wissen kann und ich kann dies zumindest aus voller Überzeugung und in Übereinstimmung mit meinem Gefühl sagen und strebe nach nichts anderem mehr, als glücklich zu sein und so frage ich mich am Ende dieser Betrachtungen über Weite oder Ferne des Blicks, ob eine Weltformel, wenn sie denn alles umfassen soll, sich nicht in erster Linie dem Glück widmen müsste, was logisch so individuell ist, wie jeder von uns, warum das Vorhaben schon absurd scheint und auch die biochemischen Krücken der Glückshormone führen hier nicht wirklich weiter.
Am Ende möchte ich Montaignes geniale Frage der glücklichen Bescheidenheit noch um einen Punkt ergänzen: Was weiß ich schon und was zählt, als was mich glücklich macht. Es scheint mir die ausgiebige Beschäftigung allein mit dieser Frage langfristig die größte Chance zu bieten, glücklich zu sein und auf was kommt es sonst an, denn was weiß ich am Ende schon? Wenn ich den Abstand zu den Dingen finde, der mich glücklich macht, wird es wohl gut so sein.
jens tuengerthal 25.7.2017
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