Montag, 31. Juli 2017

Verantwortungslust

Wer übernimmt Verantwortung, wer drückt sich davor und warum es eine Lust ist.

Die Verantwortung für die Zukunft oder kommende Generationen ist das Stichwort der Politik und ich frage mich, ob diese je oder wenn wer dem hehren noch Prinzip gerecht wird und wie das wonach entschieden werden kann.

Sich gegenseitig Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen, ist ein Lieblingsspiel der Politik - während die einen, ihren Gegnern vorwerfen keine Verantwortung für die innere Sicherheit zu übernehmen mit einer zu toleranten Ausländer- oder Drogenpolitik, rügen ihre Gegner in der gleichen Sache fehlende Integrations- und Zukunftspolitik oder, wenn nichts mehr einfällt, einen Mangel an sozialer Verantwortung, wen dieser Vorwurf zu was auch immer motivieren kann.

Gerade im aktuellen Wahlkampf erleben wir es wieder, in dem die CDU den SPD Kandidaten einfach laufen ließ, bis seine Werte nach einem ganz kurzen Hoch von alleine in den Keller sanken und die Kanzlerin sich mit ihrem, “sie wissen, was sie an mir haben”, erwartungsgemäß durchsetzte und nun geschickt ein dramatisches Ereignis nutzt, wie das letzte Attentat eines islamistischen Fanatikers in Hamburg, den Sozialdemokraten, wo sie an der Regierung beteiligt sind oder waren, eine zu laxe Sicherheitspolitik in der Sache vorzuhalten, die solch dramatische Ereignisse fördere. Sie führen dazu an, Gefährder wie der Attentäter von Hamburg müssten in Abschiebehaft genommen werden und dass die geschehene Bluttat nicht vorgekommen wäre, wenn der Täter, dessen Abschiebung nur durch fehlende Papiere verhindert wurde, in der von ihnen geforderten Vorbeugehaft gewesen wäre und haben damit zunächst mal rein sachlich einfach recht.

Dass es auch und zentral die Verantwortung der CDU Bundeskanzlerin war, dass solche Gefährder lange völlig ungehindert einreisen konnten, wird dabei verschwiegen und die SPD wird sich hüten, dies anzuklagen, da sie einerseits die soziale und humane Politik der Kanzlerin mit trug, weiß, bei ihrem Klientel käme dieser Vorwurf nicht an und sie überließe damit, für das Fischen am rechten Rand, der CDU gänzlich die Mitte, was sie sich noch weniger leisten kann. Schulz, der peinliche Kandidat auf dem Abstieg, versuchte kurzzeitig auch diesen Bereich erfolglos zu besetzen. Doch nahm die Bevölkerung den Sozialdemokraten nicht ab, dass sie eine bessere Sicherheitspolitik böten und die Praxis spielte den Konservativen dabei noch erwartungsgemäß in die Hände.

Der Trick, mit einer Luftblase Politik zu machen und dem Gegner auch die eigenen Versäumnisse in der praktischen Umkehrung vorzuhalten, ist taktisch genial und wird vor der Bundestagswahl vermutlich gut funktionieren, weil sich die CDU lange, sehr lange Zeit ließ, bis sie überhaupt in einen Angriffsmodus ging, gegenüber all den sozialen Luftblasen eines Schulz ganz ruhig blieb und die leeren Versprechungen von Geschenken für die Armen in Luft auflösen ließ, weil die Mehrheit weiß, was von solchen Versprechen im Wahlkampf zu halten ist.

Sie übernahm damit keine Verantwortung sondern verschob, eigentlich bei ihr liegende Verantwortung auf sozialdemokratische Landespolitiker, spielte ein wenig den harten Sheriff, der sich nur gegen die Linken in der Koalition nicht durchsetzen könnte, auch wenn für die Ursache des Problems die Kanzlerin mitverantwortlich ist, an der Gefahrensitutation und dem Risiko sich nichts ändern lässt, wir damit leben müssen, im Krieg einem gewissen Risiko ausgesetzt zu sein. Keiner kann solche Fälle vermeiden, wie Sicherheitsexperten einhellig feststellten. Solange wir Krieg gegen das Regime des IS führen, müssen wir mit diesem Risiko einfach leben, was sich nicht ändern lässt, taugt nicht für den Wahlkampf, der keine Antworten darauf geben kann und will, sondern schürt nur Probleme und stärkt die Radikalen an den Rändern.

So gesehen ist der Schachzug der CDU unverantwortlich und schafft Probleme, die wir nicht lösen können, könnte die Lage der inneren Sicherheit noch verschärfen, auch wenn er so tut, als sei das Gegenteil beabsichtigt. Andererseits spricht er auch ein lösbares Problem taktisch klug an, um damit ein konsequenteres Vorgehen auf Dauer zu ermöglichen. Dazu muss er noch im Lichte von Schulz eigentlich verlogener Kritik an Merkels Asylpolitik gesehen werden, da die SPD nie eine andere vertrat und nicht glaubhaft für eine strengere Politik gegenüber Gefährdern steht. Vermutlich wird es ein größerer Teil der Bevölkerung ähnlich sehen, wenn sie nicht vom Wahlkampfgetöse genervt, ohnehin abwinken und ihre Entscheidung unabhängig davon bereits getroffen haben.

Das Thema Angst und Gefährder an sich ist aber ungeeignet für den Wahlkampf, weil dabei keiner gewinnen kann und wer mit Angst Politik macht, nur auf Verlierer setzt und nichts konstruktiv gestaltet, sondern auf Spaltung setzt, die nie ein gutes Ergebnis haben kann.

Unklar ist noch, ob Merkel als Mutti der Nation nicht noch taktisch vorprescht, ihre Falken zurechtweist, alle umarmt und die Verantwortung übernimmt, an die Opferbereitschaft appelliert und sich damit wie in Hamburg nach den Krawallen lieber der Verantwortung stellt, als sie zuzuweisen, was zu ihrem Bild in der Bevölkerung passte - es hätte wieder den “Sie  kennen mich”-Effekt und schüfe mehr Vertrauen als all die Verschiebung und Delegierung von Verantwortung, wie sie ansonsten derzeit gern betrieben wird, die real aber nichts als Deantwortung in einer Sache ist, die ohnehin keiner ändern kann.

So ist die konkrete Mahnung der CDU Politiker im aktuellen Fall zwar kurzsichtig taktisch klug, eigentlich unverantwortlich aber am Ende vielleicht nur wieder das Mittel für  Merkel das Land zu einen. Im übrigen sollte im Schatten des gerade Theaters keiner vergessen, dass beide Parteien seit Jahren dies Land gemeinsam regieren und also Verschiebung von Verantwortung ein Witz eigentlich ist.

Was aber ist Verantwortung überhaupt und woran erkenne ich sie?

Grundsätzlich ist es die Pflicht, dafür zu sorgen, dass in bestimmten Situationen das Notwendige und Richtige getan wird und kein Schaden entsteht. Zugleich ist es auch die Verpflichtung, für seine Handlungen einzustehen und ihre Folgen zu tragen, sowie als Drittes das Bewusstsein, Verantwortung zu haben.

Wer Schuld zuweist, übernimmt grundsätzlich keine Verantwortung sondern macht das genaue Gegenteil, versucht sich, gut darzustellen auf Kosten anderern. Ein schlicht rücksichtsloses und konkurrentes Verhalten zum eigenen Nutzen auf Kosten anderer.

Doch sind wir dies Verhalten in einer Gesellschaft gewohnt, in der Geiz geil sein soll und anschwärzen belohnt wird, wir aufgefordert sind uns ständig wechselnden Bedingungen anzupassen und uns darin eben möglichst gut zu verkaufen.

Nichts anderes tun Politiker auch, die dabei noch auf dem Drahtseil laufen müssen, dass sie zwischen nachhaltiger Verantwortung und populistisch errungener Wählergunst balancieren lässt.

Wenn es ihre Pflicht ist, das notwendige und Richtige zu tun, fragt sich in einem unvermeidbaren, weil nicht kalkulierbaren Fall, was die Alternative wäre und ob es nicht gerade verantwortungslos ist, etwas zu thematisieren, was nicht zu ändern ist.

Der Bereich der Übernahme von Verantwortung scheint bei diesen Politikern relativ schwach ausgeprägt, was aber auch auch am Thema und der Bedrängnis vom linken und rechten Rand liegt, die bewusst mit der Angst spielen und die Übernahme von Verantwortung für das vortäuschen, was sie ohnehin nicht ändern können und dies insbesondere gern mit der Zuweisung von Schuld tun, wie wir das bei AfD und Pegida genau wie bei der Linken beobachten können.

Ist jede Schuldzuweisung darum unmoralisch oder nur in der Politik?

Tendiere dazu, sie grundsätzlich für falsch zu halten, wie überhaupt das Strafrecht und seine Folgen, weil sie kein mehr an Verantwortung schaffen, nichts ändern, sondern nur Täter und kriminelle Millieus schaffen, die sich dann selbst erhalten.

In der Politik ist die schlichte Schuldzuweisung besonders problematisch, weil sie meist von denen erfolgt, die dann keine Handlungsverantwortung hatten, also gut reden haben. Wer in der Politik nur anklagt, statt auf konkrete Alternativen hinzuweisen oder wenn völlig unrealistische, handelt unverantwortlich. Dies Verhalten beobachte ich besonders beim AfD, der ohnehin seit seiner Gründung nichts als Klagen und Jammern für ängstliche Menschen zu seinem Prinzip machte, wie auch bei der Linken Politikerin Wagenknecht, die gern jeden hingeworfenen populistischen Knochen aufgreift, um ihre Jünger erwartungsgemäß nach Parolen tanzen zu lassen - wie die Jubelperser zu den Beschlüssen einstiger Zentralkomitees in Zeiten des Sozialismus.

Für moralisch gut und ethisch wertvoll halte ich allein das Verhalten, was aus dem Bewusstsein der Verantwortung rührt. So handelt gut nach dem kantschen Kategorischen Imperativ (KI) nur, wer stets so handelt, dass sein Handeln Gesetz für jedermann sein könnte und nichts anderes taugt als Maßstab für alle Zeiten, weil es die Freiheit, gut zu handeln in den Einzelnen setzt und nur dann können wir wirklich Verantwortung übernehmen, während der bloß andressierte Gehorsam gegenüber autoritär durchgesetzten Normen, wie ihn viele Menschen für sittlich halten, moralisch völlig wertlos ist, weil Gehorsam kein ethischer Wert sondern eine bloße Funktion ist und also kein Ausdruck von Verantwortung sein kann.

Ironischerweise hat damit der preußischste aller Preußen unter den Philosophen, der Ostpreuße Kant aus Königsberg, eine Ethik geschaffen, die jede staatliche Norm in ihrer Gültigkeit relativiert, weil danach moralisch und also sittlich wertvoll nur ist, was wir am eigenen Maßstab des KI messen. Dieser strenge Maßstab, der stets nur ein Näherungswert sein kann, schafft moralisch eine scheinbar höchst unpreußische Anarchie, die alles infrage stellt, was nur autoritär gelten soll.

Natürlich hat Kant als preußischer Beamter, der er sein Leben lang blieb, auch genug gesagt, dass ihm seine Philosophie nicht zum Vorwurf gemacht werden konnte, auch der König glauben durfte, der hochexplosive geistige Anarchist Kant sei ein treuer Bürger, der sich streng an Recht und Gesetz hält. Doch wer den Gedanken des KI zu Ende denkt und das Prinzip der Aufklärung, als Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit definiert, in deren Namen er uns aufforderte, Mut zu haben, der erkennt keine Norm mehr über sich und seinem Gewissen an und handelt entsprechend, ist ein Anarchist, der so auch einzig wirklich moralisch handeln kann, weil nur wer, wie Stirner es in seinem “Einzigen” beschreibt, seine Welt auf sich stellt, wirklich Verantwortung übernimmt.

Das Gerede einer Politik von Verantwortung ist daher in nahezu allen Fällen Unsinn, außer sie übernehmen selbst Verantwortung für das, was in ihrem Bereich geschah. Es gibt dafür seltene Beispiele von Brandts Kniefall in Warschau über Kohls Griff nach Mitterrands Hand in Verdun oder auch zuletzt Merkels Geste an den Hamburger Bürgermeister, in der sie Verantwortung übernahm, während Mitglieder ihrer Partei noch sektiererisch den Sozialdemokraten anklagten, der sich vor dem G20 Gipfel noch so locker geäußert hatte.

Wer Verantwortung übernimmt, zeigt Größe. Wer Schuld zuweist, offenbart sich dagegen als feige und unverantwortlich im eigentlichen Sinne. Zumindest dieser auch am KI orientierte Maßstab moralischen Handelns, zeigt die Feigheit und Verantwortungslosigkeit des AfD und der SED Nachfolgeorganisation die Linke in vielen Fällen. Wer es versteht, wird entsprechend moralisch handeln oder muss sich der Verantwortung stellen, wenn diejenigen, nicht für zu blöd gehalten werden, ihr Handeln und die konsequenten Folgen zu erkennen.

So gesehen betrachte ich auch diesen Wahlkampf relativ gelassen und hoffe, dass sich zeigen wird, wer Verantwortung übernimmt und wer nur Schuld zuweist, statt konstruktiv zu gestalten. Es geht weniger um viele Worte oder Beweise und ähnliche Lächerlichkeiten, als allein um ein Zeichen der Übernahme der persönlichen Verantwortung von sich aus und vorab ungefragt. So wird die Wahl wesentlich leichter und gestaltet sich die Zukunft positiver als unter den Bedingungen von Angst und oktroyierter Moral, hoffen wir nur, genug nehmen sich die Freiheit, die Dinge konstruktiv kritisch zu betrachten.

jens tuengerthal 31.7.2017

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