Vom Reisen, seinen Zwängen und Zielen
Es ist Ferienzeit, viele verreisen nun, um sich ihren Urlaub zu gönnen. Andere reisen, weil sie es müssen, ein Ziel außer oder neben dem Reisen haben. Doch gibt es einen Grund ohne Grund zu reisen, um des Reisens willen?
Manche lieben es, unterwegs zu sein und fiebern darum ihrem Urlaub entgegen, an dem sie möglichst entlegene Orte aufsuchen wollen. Kreuzfahrer sind in ihrem fahrenden Hotel mit allem Komfort auf See unterwegs und lassen sich dort nach Gusto unterhalten. Einige von denen, machen ihre Reise, um die entlegensten Orte mit dem Schiff zu besichtigen, andere wollen nur das Meer genießen oder sich an Bord amüsieren. Schiffe sind, außer zum Transport von Gütern heute eher keine Transportmittel für lange Strecken mehr. Dafür haben wir Flugzeuge und auf dem Land konkurrieren PKWs und Busse mit dem Schienenverkehr und gerade in Ferienzeiten, die just beginnen, sind die Massen unterwegs, es staut sich auf den Straßen und die Züge sind teils überbesetzt.
Staus gehören zu den Ferien dazu, weil viele aus ihrer Region in reizvollere Gegenden ans Meer oder in den Süden zur Sonne wollen, was in einem verregneten Sommer besonders verlockend erscheint. Ob dies im Verhältnis zum Aufwand steht, die Erholung durch den Aufwand der Reise nicht verfliegt, ohne Reise die Zeit nicht erholsamer verbracht würde, schon zu fragen, gilt als eher verpönt. Das reizvollste, was ich kenne, ist meine Frau, wo ich sie betrachte ist dabei weniger wichtig als das.
Wer nicht reist, keine Abenteuer aus dem letzten Urlaub erzählen kann, gilt als langweilig, was nahezu jeder in einer Gesellschaft der vielfältigen Unterhaltung vermeiden will, um zumindest interessant zu wirken. Unklar bleibt dabei oft, was daran interessant sein soll, irgendwo gewesen zu sein, was die Anschauung von einem Ort mehr bringt, als die Lektüre über denselben. Viele Reisende schwärmen von traumhaften Stränden, an denen sie dann am liebsten nur in der Sonne liegen und nichts tun wollen. Sicher gibt das Rauschen des Meeres im Hintergrund dem Rumliegen einen besonderen Reiz und manche Menschen sollen angeblich auch tropische Temperaturen wirklich schätzen, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was an klebriger Hitze, die bei jeder Bewegung schwitzen lässt, schön sein soll gegenüber gemäßigten Temperaturen, habe ich davon schon oft gehört.
Kann es nur schwer verbergen, wie unverständlich mir dieser Hang zum Reisen ist, wie wenig es mich in die Fremde zieht, wie absurd es mir scheint, zur Erholung unterwegs sein zu wollen. So gesehen bin ich wohl sesshaft und würde nie freiwillig meinen Lesesessel gegen einen tropischen Strand tauschen wollen und unternehme Reisen nur, wenn sie unvermeidbar sind, ein höheres Ziel zu erreichen, wie gerade, während ich diese Zeilen schreibe auf dem Weg zu meiner Liebsten quer durch Deutschland, um ihren Umzug zu bewältigen und endlich zusammen zu ziehen, damit keiner mehr Reisen muss.
Habe früher auch zahlreiche Reisen unternommen, komme aus einer sehr reiselustigen Familie, in der sich mit Stolz erzählt wurde, wo jemand gewesen ist, welche Gegend der Welt neu von der Familie erobert wurde. Im Keller des Hauses meiner Großeltern gab es auf einer Wand eine riesige Weltkarte, die mein einer Onkel, der Oberstudienrat und Geographielehrer dort aufgehängt hatte und auf der die vier Söhne meiner Großeltern ihre Reisen mit Fäden verzeichneten. Die ganze Welt war dort auf Styroporplatten gespannt und stolz konnten wir sehen, dass es kaum einen Ort auf der Welt gab, wo noch nicht einer aus der Familie mal gewesen ist.
Ganz ordentlich wurden die jeweiligen Reisen mit farbigen Fäden verzeichnet, bei denen jeder Bruder seine Farbe hatte und kleine Stecknadeln spannten die möglichst exakte Route, als sei jeder der Beteiligten ein berühmter Forscher oder Entdecker. Dies hehre Ideal machte das Weltreisen attraktiv und machte uns Kinder neugierig auf die Welt. Träumte davon, auch einmal diese Weltkarte mit möglichst vielen Fäden zu bereichern. Dies insbesondere im quasi noch jungfräulichen arktischen und antarktischen Bereich, wo zumindest keine tropischen Temperaturen herrschten oder Grönland, auch wenn da nicht mehr als weiß kulturell zu erwarten war, musste ich dort zumindest nicht wie sonst auf Reisen mit meinem Vater immer jede Kirche am Wegesrand besichtigen, da es keine gab.
Als ich begann, alleine zu reisen, eigentlich mit meinen je Freundinnen zusammen fing das an, wurde ich plötzlich genauso, wollte mir alle kulturell bedeutenden Sehenswürdigkeiten ansehen. Dabei aber auf keinem Fall der Masse der ungebildeten Touristen gleichen, sondern mich als kultivierter Bildungsbürger zeigen, der die Welt kannte, Bescheid wusste und halt auch erledigte, was erledigt werden musste, um die nötige Reife zu erhalten. Das Bedürfnis ein Forscher und Entdecker zu werden wie einige meiner Onkels, die mit dem Fahrrad nach Afrika fuhren, mehrfach die Sahara durchquerten, den Kilimanjaro oder den Mount Mckinley bestiegen, von ihren dort erlittenen Abenteuern so spannend zu erzählen wussten und was war schon eine abgefrorene Fingerkuppe gegen das Glück, davon erzählen zu können, hielt noch eine Weile an und ließ mich von meinen künftigen Reisen und Expeditionen träumen, wenn ich auch die mit Booten nach den ersten Erfahrungen mit Seekrankheit im Sturm bei der Reise nach England ausschloß.
Fürchterlich war die Überfahrt auf dem Kanal gewesen, als sich unsere Fähre quer stellen musste um bei schwerem Sturm die Besatzung eines in Seenot geratenen Frachters aufzunehmen. Von diesem spannenden Ereignis sah ich damals als vielleicht zehnjähriger Knabe nicht viel, als junge Familie hatten wir uns für die eigentlich kurze Reise keine Kabine gemietet sondern saßen wie die meisten übrigen Passagiere auch im großen Aufenthaltsraum, der ungelüftet immer mehr nach einer widerlichen Mischung aus Alkohol, Erbrochenem und Schweiß stank, was meine natürliche Neigung zur Übelkeit noch verstärkte. Dies alles dauerte eine gefühlte Ewigkeit lang, weil wir quer lagen schaukelte das Schiff fürchterlich und ich dachte, ich würde lieber sterben, als freiwillig noch einmal eine Seereise anzutreten.
Kann mich nicht erinnern, wie oft auch ich mich in die dort ausliegenden Kotztüten erbrach, wohin diese Dinger entsorgt wurden, ob auf dem Fußboden tatsächlich eine ungesunde Mischung aus Alkohol und Kotze schwamm, die mit jeder größeren Welle hin und her lief. Irgendwann war auch diese schreckliche Reise vorbei, wir erreichten unser Ziel Dover ohne Schaden außer für den Geruchssinn und sobald ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, war es vorbei mit der Seekrankheit und ich vergaß mein festes Vorhaben, nie wieder ein Schiff zu betreten, leichtfertig schnell wieder. Die Rückfahrt verlief wohl ohne Störung und auch spätere Englandreisen noch mit Fähre sind mir ohne stürmische Folgen in Erinnerung geblieben.
In ähnlichem Alter hatte ich dann die nächste Erfahrung, die mich vom Reisewahn dauerhaft hätte heilen können, wäre es in meiner Familie nicht so selbstverständlich gewesen, durch die Welt zu tingeln, sie irgendwie zu erforschen oder zu beabenteuern, der Flug nach Südafrika, bei dem ich wohl schon eine Maserninfektion in mir trug, wie mein Vater später meinte, wurde zur nicht enden wollenden Tortur und mehrfach durfte ich das an Bord servierte englische Frühstück mit eggs and bacon und diesen typisch englischen Bratwürsten genießen, die nach nichts als Fett schmeckten. An den vollen Ausbruch der Krankheit während meiner Zeit in Johannesburg habe ich keine Erinnerung mehr, womit die nachhaltige Abschreckung fehlte, auch wenn Gerüchte besagen, ich sei im Fieberwahn durch das riesige Haus gewandert, wäre fast im Pool ertrunken - ich vergaß all dies gnädig wieder und gab den Wahn zu verreisen noch nicht auf - spätere Flüge überstand ich völlig unbeschadet - sogar die Loopings, die einer meiner Onkels mit mir im Segelflieger auf der Wasserkuppe drehte, wenn auch mit leicht angespanntem Magen.
So freute ich mich durch die große Kunst im Verdrängen immer wieder auf schöne Reisen und sei es nur die Fahrt zu den Großeltern in meiner Geburtsstadt Bremen im VW Variant meiner Eltern, dessen Polster für mich schon gefühlt nach der Kotze riechen mussten, die dort regelmäßig landete. Die Fahrten wurden immer wieder für kleine Kotzpausen unterbrochen. Hatte ich die Haare im Wind, also das Fenster weit offen, konnte ich es besser ertragen, doch die Erfahrung, dass an Lesen oder sich herunterbeugen, nicht zu denken war, musste ich mehrfach machen, bevor ich meine liebste Beschäftigung aufgab, wenn ich auf Reisen war.
Im Zug konnte ich lesen, zumindest, wenn er ruhig und regelmäßig fuhr und ich in die richtige Richtung blickend saß, also in Fahrtrichtung. Das war die ersten 15 Jahre, in denen ich meist von Frankfurt aus fuhr, kein Problem. Es gab dort einen Sackbahnhof, einen der ganz wenigen noch im Westen und nach Stuttgart fuhr ich ja, bis ich erwachsen wurde nie. Dann zogen wir in die Nähe von Heidelberg und also drehte sich der Zug auf dem Weg nach Norden in Frankfurt immer, was für eine entspannte Reise mit guter Lektüre für mich schon ein Problem darstellte, was mich aber immerhin mit mehr oder weniger freundlichen Fahrgästen ins Gespräch brachte und irgendwann versuchte ich, diese ständige Sorge zu ignorieren und konnte ab da, seltsamerweise auch gegen Fahrtrichtung lesen. Glaube dieser Wechsel kam zu dem Zeitpunkt als ich Vater wurde, an Lesen ohnehin seltener zu denken war und anderes Priorität bekam.
Auch das Autofahren wurde erträglicher, wenn ich vorne saß oder selber fuhr und mir also nicht mehr so schnell schlecht wurde. So war ich im ersten Sommer nach der Wiedervereinigung schon wieder leichtsinnig geworden und ging nach einer wundervollen Radtour an der Küste Mecklenburgs entlang mit zweien meiner Onkel, von denen einer die nötigen Scheine hatte, sowie zwei Kusinen und meiner damaligen Freundin, an Bord eines Kutters mit dem wir zunächst ein wenig im Bodden vor Rügen und Richtung Hiddensee segelten, bis die restliche Verwandtschaft das Schiff wieder verließ und mein Onkel mit mir und meiner Freundin um Kap Arkona segeln wollte. Die Spitze Rügens mit den Kreidefelsen war berühmt und er plante in einer Bucht bei Vitte vor Anker zu gehen. Bevor wir die gewagte Fahrt, die vermutlich jeden Segler nur müde lächeln lässt bei mir sehr schaukelig vorkommender Windstärke 5-6, gefühlt eher 12, aufnahmen hatten sich unsere letzten Fahrgäste mit Wassermelonen auf Hiddensee verabschiedet, von denen ich, der sommerlichen Hitze geschuldet, ein letztes mal reichlich aß. Als wir das Kap in der schaukelnden Nußschale unter Segeln dann passierten, meinte mein Onkel dringend eine Karte zu brauchen und ließ sie mich vornübergebeugt in einer Kiste im vorderen Schiffsteil suchen.
Der Käptn hat immer Recht und so diskutierte ich nicht, sondern suchte eifrig, bis die Melone wieder nach oben kam. Dabei lernte ich auch, dass beim Kotzen über Bord sehr wichtig ist, zu wissen wo Luv und wo Lee ist, da du sonst, wie beim pinkeln, ein mehrfaches Vergnügen am selben hast, was die Stimmung nur bedingt hob. Glücklicherweise war meine Freundin ähnlich blass und mein mangelndes Heldentum fiel also nicht weiter ins Gewicht.
Am Abend kamen wir bei Vitte an, wo uns ein Boot an Land holte, wir im dortigen fischlastigen Restaurant aßen und voller Freude Schinkels Kapelle besichtigten. Dann ging es wieder an Bord und ich hatte die geräucherte Fischbullette im Bauch. Natürlich frischte es in der Nacht auf, mein Onkel als verantwortungsvoller Kapitän weckte uns, ließ das Boot für den Notfall startklar machen und meinte ansonsten, wir sollten ruhig schlafen, er würde die Wache halten.
Die Nacht wurde unruhig, das Abendessen vertrug sich schlecht mit dem Seegang, blieb aber zumindest drin und am nächsten Morgen ging es nur noch bis nach Sassnitz - ein Katzensprung für jeden echten Seefahrer, für mich aufregend genug zu beschließen, die Seefahrt mein weiteres Leben lang zu meiden. Bin dann noch zweimal mit Freunden auf kleinen Binnengewässern in Jollen gesegelt und fand das ähnlich wenig vergnüglich, wenn ich auch im Altrhein und auf dem Wannsee nicht wirklich Seekrank wurde, schön fand ich das nicht. Zumindest wusste ich nun, welche Art des Reisens sicher nicht meine war.
Später kam ich noch mal mit einer Kapitänin zusammen, die wilde Geschichten von ihren Abenteuern auf hoher See erzählte, selbst große Containerschiffe um das Kap der guten Hoffnung oder von den Kanaren ins Mittelmeer steuerte und wieder fühlte ich mich darin bestätigt, dass solches Reisen nur anstrengend und unangenehm für mich geradezu unerträglich sind. Sie war immer gerne unterwegs, wollte ständig was unternehmen und irgendwelche Touren planen - meine Lust dazu wurde immer geringer, wobei ich nicht sicher bin, ob diese Reaktion auf eine Frau, welche die ganze Welt befahren hatte und die Meere kannte, nicht einfach nur dialektisch war - zumindest scheint mir der Verlust nicht bedauerlich, denn die Aussicht mit einem so unruhigen Menschen ein Leben zu teilen, hätte mich sicher nicht glücklich gemacht, abgesehen davon, dass es auch sonst eher unbefriedigend mit ihr war, was aber nicht am Reisen lag und also hier kein Thema ist.
Lange nach dem obigen Segeln haben wir uns noch mal mit der Familie auf dem russischen Segelschulschiff Kruzenshtern getroffen und haben auf dem 5 Master, der mal ein P-Liner war, die aufregende Tour von Bremerhaven nach Bremen gemacht, quasi die Weser hinauf, was ich zumindest vom Seegang her sehr verträglich fand und auch die Ästhetik eines Großseglers fand ich auf einer ruhigen Flussfahrt bestechend schön. Die Bewunderung der Zuschauer unserer Einfahrt in meine Geburtsstadt tat ein übriges diese Erinnerung ans Segeln zumindest schön zu halten.
Später wurde mir klar, was mich daran reizte - ich las gern die Reiseberichte von Forster und Nansen, fand es verlockend im höhlenartigen Stil der Segelschiffen eingerichtet zu sein, solange ich festen Boden unter den Füßen hatte, in meiner Bibliothek war, die einige der schönsten Reiseberichte beherbergt, auch von Humboldt oder Montaigne. Dort bin ich glücklich - sich Zeit zu nehmen, um in Ruhe zu lesen, dies ausgiebig bei einem feinen Tee mit guten Keksen zu genießen, ist für mich der schönste Urlaub und ich bewege mich nur noch an andere Orte, wenn etwas viel kostbares, wie etwa die Liebe gerade, dazu bringt und war noch nie so ausgeglichen und glücklich.
Vermutlich gibt es Reisende, die dieses Glück empfinden, wenn sie unterwegs sind, doch auch in den größten Reiseberichten wird immer das Glück heimzukehren beschrieben und die Ruhe der Heimat wird um so mehr genossen, desto größer die Strapaze der Reise war. Vielleicht ist eine solche Dialektik ein Teil unserer Natur, die uns das eine erst aus der Kenntnis des Gegenteils schätzen lässt. Natürlich werden Abenteurer oder diejenigen, die ihnen auf moderne Form nacheifern als Helden angesehen, was ihr Ansehen allgemein erhöht und ihren Erfolg bei Frauen zumindest theoretisch, so dass dies Abenteurertum für den Erhalt der Gattung und die Weitergabe des eigenen Erbguts nützlich sein könnte.
Betrachte ich allerdings die letzten Jahre, bis ich meine Traumfrau traf und damit ohnehin aus dem Rennen bin, war der Erfolg im Café vor Ort oder im Netz schreibend größer als auf Reisen je, schreckte meine Sesshaftigkeit weniger ab, als meine Ruhe in dem was ich tat, anziehend wirkte. Das Erfolgsrezept Reisen und Abenteuer, um Frauen zu beeindrucken scheint mir schon von daher höchst zweifelhaft, ganz abgesehen davon, dass ich Frauen, die ich so beeindrucken müsste, damit sie mich interessant finden, inzwischen völlig uninteressant finde. So habe ich die zauberhafteste Frau dadurch kennengelernt, dass sie von meinen Texten so verzaubert war, dass ihr Alter und alles sonst völlig egal waren.
Denke nun bei meiner Reise quer durch Deutschland, von Berlin in den wilden Südwesten zu meiner Liebsten, darüber nach, warum es so vielen Menschen normal scheint, Reisen als Lust zu sehen, wie sie sich mit den Abenteuern ihrer Reisen zu gerne schmücken und ob dies so umweltschädliche Verhalten, dass eine ganze Industrie geschaffen hat, uns wirklich je gut tut.
Vielleicht gibt es wirklich eine kleine Gruppe von Forschern, die darin eine höhere Befriedigung finden - doch gemessen an der Zahl der Urlauber, die sich Sommer für Sommer und auch im Winter immer wieder in das Abenteuer der Autobahnfahrt begeben mit seinem für das Leben so ungewissen Ausgang, stellt sich schon die Frage, ob der Gewinn dieser Tätigkeit nicht nur Ausdruck der Sklaverei unfreier Menschen ist, die sich ganz gegen ihre natürlichen Bedürfnisse einem Markt unterwerfen, der die große Freiheit, Abenteuer, Lust und vieles mehr verspricht, ohne etwas zu erfüllen als Unruhe.
Die Fahrt durch die Städte quer durch Deutschland zeigt mir wieder, sie gleichen sich in ihrem Speckgürtel alle immer mehr. Die gleichen Fertigbauten mit den ewig selben Filialen irgendwelcher Konzerne, zwischendrin mal ein nettes Häuschen, eine Burg oder eine Stadtmauer vielleicht über die ich aber immer mehr erfahre, wenn ich über sie lese, statt mich der großen Unruhe zu unterwerfen und die Unbill des Reisens auf mich zu nehmen.
Dann war ich nicht da, stimmt schon, aber da gewesen zu sein, vermehrt meine Bildung keinesfalls, sondern nur den zufälligen direkten Blick, der meist eher überschätzt wird. Was ich weiß, weiß ich aus Büchern und durch ausgiebige Lektüre für die neben dem Reisen selten Zeit bleibt.
Es war beeindruckend in den Rocky Mountains zu stehen, wie es schön war in Davos auf dem Zauberberg Ski zu fahren, auch wenn ich damals noch keine Ahnung von Thomas Mann und seiner wunderbaren Kulturgeschichte Europas hatte, natürlich hat Paris auch schöne Seiten und zeigt viel Geschichte, wie mich auch London sehr beeindruckte, Vancouver mit seiner Lage am Meer und vor den Bergen war bezaubernd und Südafrika hinterließ bei mir als Kind einen irgendwie Eindruck, auch die Fahrt durch Wien war ein vielfältiger Genuss - doch was ist der Gewinn, im Pazifik gebadet zu haben?
Stelle mich gegen den Konsens auch meiner Familie, in der etwa meine Eltern noch jahrelang mit besten Freunden regelmäßig Dia-Abende veranstaltet haben, um sich gegenseitig die Reisen um die Welt vorzuführen und was für beeindruckende Bilder wurden da gezeigt - von Galapagos bis zur Transsibirischen Eisenbahn, aus Südamerika oder Afrika - die sich Globetrottel ein wenig selbstironisch nannten, waren in der Welt zuhause und schauten sie sich an. Als Kind und Jugendlicher verfolgte ich diese Abende noch und war beeindruckt von der Vielfalt, der Andersartigkeit der Welt, wollte selbst aufbrechen, um die Welt kennenzulernen.
Irgendwann kam mir all dies lächerlich vor. Beobachtete bei einzelnen der Weltreisenden einen großen Mangel an kultureller Bildung, außer in den zur bürgerlichen Existenz gehörenden Stichworten und leider auch einen große Intoleranz, auch wenn sie doch die Welt angeblich kannten, hatten sie sich aus der bloßen Anschauung der Welt auf ihrem vermeintlichen Hochsitz eingerichtet, der zwar viel gesehen aber, wie mir schien, wenig verstanden hatte.
Vielleicht liegt dieser Blick an meinem engen Horizont, der ich wie Kant einst, irgendwann beschloss nicht mehr zu reisen oder doch nur so viel wie unbedingt nötig wie gerade quer durch Deutschland um der Liebe wegen, die für mich jeden Weg wert wäre, denn was sonst sollte uns kostbar sein. Will mich nicht mit Kant vergleichen und meine Bequemlichkeit, die meinem Bedürfnis nach Lust folgt, den hehren Prinzipien des Königsbergers gleichstellen. Nur das Ergebnis ist eben dasselbe - Reisen zu vermeiden, möglichst am Ort zu bleiben, lieber zu lesen und zu schreiben, als unruhig durch die Welt zu laufen, lieber ankommen, statt weg sein.
Ökologisch betrachtet scheint mir dies Denken das einzig nachhaltige, was Zukunft auf einer kleiner werdenden Welt hat, die durch Netze längst nahezu überall in Echtzeit verbunden ist, es zumindest über Satelliten überall könnte, in sozialen Netzwerken ortlos zu jeder Zeit rund um den Globus kommuniziert. Nicht irgendwo noch hin müssen, nicht etwas gesehen haben müssen im Leben, wie es schlechte Bücher als neuen Pflichtkanon heute verkaufen, sondern da sein und glücklich sein, mit dem was ist, mehr brauche ich nicht.
Aber jenseits jedes kantschen Sollen vertrete ich die Immobilität aus Überzeugung, weil der Gewinn nicht ist, irgendwo gewesen zu sein, unter welchem Aufwand auch immer, sondern da zu sein und damit glücklich zu sein. Es macht glücklich, nirgendwo mehr hin zu müssen, sondern zu bleiben und mehr zu genießen, was ist, sich Zeit zu nehmen, statt zu beschleunige und ob dies gerade progressiv oder konservativ sein soll, ist mir völlig egal - Reisen lohnt sich selten, Ruhe immer.
jens tuengerthal 27.7.2017
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen