Mittwoch, 29. März 2017

Berlinleben 033

Kopfmauer

Die reale Mauer ist Geschichte. Fragt sich nur, ob die in den Köpfen schon verschwunden ist, je verschwinden kann oder zu uns gehört als Teil unserer Geschichte.

Es gibt Menschen, die haben die Teilung faktisch überwunden, ihr Herz über alle Mauern, die es ja real nicht mehr gibt, verloren und leben dies Glück miteinander, solange es gut geht. Habe dies auch mehrfach versucht und würde mich hüten, zu sagen, es scheiterte  daran, dass ich Wessi und sie Ossi war. Ein Verdacht spricht immer dafür, dass es allein an mir lag, zumindest wenn ich mich in die Sicht und Stimme der Frau einzufühlen versuche, was ich darum lieber schon zu Anfang aufgebe.

Schaue ich meine Tochter an, die  in der östlichen Charité geboren, immer im Osten aufgewachsen ist, nur eben zwei Wessis als Eltern hat, frage ich mich, was ist sie nun und ist Identität doch genetisch eher bedingt als von politischen Zufällen abhängig?

Weiß es nicht und frage es mich darum immer wieder, wenn ich auf die üblichen Vorurteile stoße, auch gerne beim Blick nach Innen mich selbst betreffend. Glaube, für sie spielt es keine Rolle mehr, sie ist das Kind einer anderen Generation, kennt unsere Erfahrungen nicht mehr.

Hatte einige Liebste, die in West-Berlin aufwuchsen und klar sagten, in den Osten würden sie nie ziehen. Umgekehrt habe ich das selten so deutlich gehört, kenne sogar Ossis, die nach Charlottenburg etwa zogen, wie die Meisterin des Friseursalons in dem ich regelmäßig Haare lasse. Ob sie es aus Liebe oder nur mit ihrer Liebe tat, weiß ich nicht so genau, zumindest fühlt sie sich wohl dort, wenn es auch etwas öder wäre, wie sie sagte.

Was waren für diejenigen, die es ausschlossen, je in den Osten zu ziehen, ohne dabei andere Gründe nur in Erwägung zu ziehen, die pragmatisch für das eine oder andere Quartier sprechen könnten, Beweggründe, fragte ich mich später, als ich den eigenen Dogmatismus - nur in Mitte oder Prenzlauer Berg könne gewohnt werden - aufgab. Inzwischen weiß ich, auch Charlottenburg hat geradezu zauberhafte Ecken und ist zwar verhältnismäßig langweiliger, wenn du gerne im Café sitzt oder weggehst, aber diese Phase verliert irgendwann im Leben auch ihre Leidenschaft.

Würde heute sagen, ich könnte überall in Berlin leben, wo es schöne Altbauwohnungen gibt und würde vom Gefühl her mich im Westen eher zuhause fühlen als im Osten, in dem ich nun bald 17 Jahre lebe und mit dem ich immer noch irgendwie fremdel. Auch wenn der Westen mir eher fremd blieb. Natürlich zöge ich Mitte oder Prenzlauer Berg nach wie vor fast allen Vierteln der Stadt vor, schon aus Gewohnheit, doch bin ich viel freier in dem geworden, was ich schön finde und genießen kann, statt vorher zu urteilen, mich den Umständen des Einzelfalls zu stellen, wie es einzig vernünftig scheint.

Lange habe ich den schöneren Osten gegenüber dem piefig langweiligen Westen verteidigt, stimmt auch immer noch in gewisser Hinsicht, dennoch erkenne ich bei aller längst Vertrautheit im Osten, denn so lange habe ich bisher in meinem Leben an keinem Ort gelebt, eine Heimat ist es nur bedingt, ich fremdel weiter, habe immer wieder das Gefühl als Wessi und Zugezogener nie ganz dazugehören zu können. Auch wenn ich die Platzbewohner und die Kassierer bei Edeka am Platz schon mit ihren Lebensgeschichten kenne, am Schritt höre, wer sich da nähert.

Manche vermitteln dieses Gefühl mit einem gewissen Lokalpatriotismus manchmal auch ungewollt, wenn sie von damals erzählen, als hier fast alle Häuser besetzt waren, oder doch viele, sie mittendrin. Von den wilden Festen auf den Dächern, der Dichterszene und den Partys in irgendwelchen wilden Clubs, bei irgendwem im Hinterhof. Ganz am Rand habe ich das noch mitbekommen, ohne je wirklich eine Ahnung davon gehabt zu haben. Kam einfach zu einer anderen Zeit, als die Revolution längst vorüber war, die Schwaben die Künstler aus günstig erstandenen Wohnungen verdrängten.

Fühlte mich den Künstlern gegenüber eher solidarisch als den Schwaben, auch wenn ich lange bei Heidelberg in deren Nähe zumindest lebte, obwohl die Kurpfalz natürlich nichts mit Schwaben zu tun hat, ist doch für den Berliner doch alles südlich des Mains, was nicht Bayern ist, eben Schwaben, mehr Differenzierung ginge hier völlig fehl und interessiert keinen, ist halt die Provinz da unten, wie mir mein hier eingeborener Freund M einmal erklärte. Aber ich blieb ein Fremder, ich war nicht von hier - fiel am Berg nicht weiter auf, weil alle irgendwann her zogen, kaum ein Eingeborener, wie M und seine Brüder, die in der Oderberger aufwuchsen, in eben diesen Künstlerkreise, noch hier blieb.

Die letzte Verlobte von mir, die vermeintlich ganz große Liebe, was wieder zeigte, der Grad des Irrtum wächst proportional zur vorigen Überzeugung, kannte die Theater und Künstlerkreise von vor der Wende, war aus Wismar kommend, jedes Wochenende hierher getrampt, seit sie 13 war, hatte danach noch auf mancher wilder Bühne hier gespielt, kannte ganz viele im wilden Osten, der ihr vertraute Heimat war, mehr Familie als ihre wirkliche Verwandtschaft in und um Wismar. Doch sie brach mit der Wende alle Kontakte in den Osten ab, fuhr nie mehr nach Hiddensee, wo sie vorher jeden Sommer war und jede Nacht in einem anderen Bett schlief, wie sie erzählte. Sie lebte bei und irgendwie mit ihrem Ex, der in den frühen 60ern aus dem Osten geflohen war. Sie hasste die DDR, bekam beinahe einen Zusammenbruch von den vielen schrecklichen Erinnerungen als ich mit ihr durchs DDR-Museum in der Kulturbrauerei ging und war so im Kopf wie synchron natürlich auch am Körper voller Tabus aus einer Vergangenheit über die sie wenig sprach. Sie bekam dort natürlich nahezu einen Migräneanfall.

Hatte es immer wieder angesprochen, Brücken gesucht und nicht gefunden, sie lebte in ihrer abgeschlossenen Welt, in der ich sie nicht erreichte, auch wenn sie die ganze Welt gut kannte und bereiste, es ihr wichtig war, überallhin zu können, sie blieb unerreichbar und lebt vermutlich weiter in der seltsamen Symbiose mit ihrem dreißig Jahre älteren Ex, den sie schon seit der Wende finanzierte, weil sie sich irgendwie in seiner Schuld fühlt. Kam nie an sie heran und habe nie verstanden, was sie wirklich wollte, die anfänglich so begeistert und voller Liebe war und die meine Tochter aber intuitiv ablehnte und sofort nicht ausstehen konnte.

Ähnlich fremd blieb mir auch die vorletzte Verlobte, von der meine Tochter spontan meinte, ganz nett aber langweilig und als erfahrener Vater neige ich inzwischen immer weniger dazu meiner Tochter zu widersprechen, auch wenn sich ihre Urteile nicht auf tatsächliche Beziehungserfahrung stützen, noch sachlich begründbar sind, waren sie doch faktisch oft richtig und weniger postfaktisch als alle Selbstdarstellungen der Damen. Sie kam aus Thüringen, der ursprünglichen Heimat meiner Familie, liebte Weimar wie ich, was mir sofort das Herz öffnete und mich ganz für sie einnahm, wie auch ihre schlanke und wohl trainierte Gestalt keinesfalls Abneigung hätte auslösen können. Es blieb etwas, dass wir nie teilten und wie es nahezu wortlos auseinanderging, weil es nichts mehr zu sagen gab, meine Tochter schon irgendwie Recht hatte und ich sicher nicht ihren Ansprüchen genügen konnte, blieb in mir diese seltsame Leere und Fremdheit zurück, die mich als Wessi hier im Osten immer wieder ergreift auch und gerade den Frauen gegenüber, die ich nah an mein Herz ließ.

Bin in einem anderen Land und lebe mit Menschen, die, so sie etwa mein Alter haben, als meine Feinde eher aufwuchsen, wie für mich die DDR Russenland und eine tyrannische Diktatur zu Kinderzeiten immer war.

Erinnere mich genau an den ersten Ausflug mit meinen Eltern anlässlich eines Ärztekongresses, vermute es war der Deutsche Röntgenkongress, ins damalige West-Berlin. Es muss Ende der 70er oder in einem der ersten Jahre der 80er gewesen sein. Die Fahrt durch die Zone hatte mir schon Angst gemacht wie die Kontrollen an der Grenze. Hatte tausend Fragen, die ich meinen Eltern immer wieder stellte - was würde passieren, wenn wir kein Benzin mehr hatten, hier wo es nicht alles immer gab in der Mangelwirtschaft, was wenn wir liegenblieben und es doch keinen ADAC gab, was wenn uns die Polizei anhielt und meine Eltern verhaftete, was würde dann aus mir?

Nichts dergleichen passierte damals, wir kamen wunderbar durch und doch war meine Erleichterung als wir in West-Berlin ankamen riesig. Plötzlich waren die Schilder wieder vertraut, nicht diesen seltsamen Spruchbänder mit VEB Propaganda und anderes mehr. Der Ausflug mit dem Bus in den Osten, bei dem wir das Rathaus besichtigten und vermutlich sogar am Kollwitzplatz, an dem ich 20 Jahre später leben sollte, als Touristen entlang gekarrt wurden, hat mir das Fürchten gelehrt. Die Kontrollen waren unfreundlich, dieser Staat machte mir als Kind Angst, während ich mich auf deutsche Grenzbeamte freute, wenn wir irgendwo aus dem Urlaub wieder zurückkamen, ich gerne mit ihnen scherzte, kannten die auch leberwurstgrauen DDR Grenztruppen keinen Humor, lachten in meiner Erinnerung nie, sprachen teilweise seltsames Deutsch. Wusste nichts von sächsisch oder thüringisch, wie es meine Vorfahren in Sachsen-Gotha oder Sachsen-Weimar einst sprachen -  es war eben  ein anderes fremdes Land mit einer unberechenbaren Diktatur und es bereitete mir als Kind große Sorge. Konnte mir nicht vorstellen, wie Menschen dort leben konnten.

 Beschäftige mich nicht gern mit Problemen, psychologisiere ungern, halte nichts davon, dass es Menschen helfen würde, sich mit ihren Ängsten zu konfrontieren, sondern denke, dies ist ein vorgestriger psychoanalytischer Aberglaube und doch stelle ich mich gerade genau diesen in der Auseinandersetzung mit der ehemals DDR auf deren Gebiet ich nun die längste Zeit meines Leben verbracht habe und sollte mich also klugerweise fragen, was ich da mache und wo es hinführen soll.

Angst habe ich keine mehr hier und doch ein ungutes fremdes Gefühl ganz tief im Untergrund. Als ich herausfand, dass der Vermieter der Wohnung, in der ich mit meiner Tochter und ihrer Mutter, meiner längsten Liebsten bis jetzt, lebte, ein hoher Stasi-Offizier war, wurde mein Misstrauen gegen ihn immer größer. Verstand, warum der Typ das Neue Deutschland las, die Linke verteidigte und sich ansonsten von seiner Frau gebremst lieber zurückhielt. Musste der Mutter meiner Tochter recht geben, die intuitiv misstrauisch gewesen war. Doch irgendwie mochte ich den Typen trotzdem, er war interessant, nicht nur als großer Wagner Verehrer und er hatte halt an die alberne Idee des Sozialismus geglaubt und für den Staat gearbeitet wie viele tausend andere - nun leitete er eine Hausverwaltung, die sich um ehemaliges jüdisches Eigentum kümmerte. War ein freundlicher engagierter Hausverwalter, hatte zwei zauberhafte Töchter und eine sehr nette, sehr blonde Frau und wenn ich mich an die Bücher und Bilder in seinem Schlafzimmer erinnere, dass er mir mal irgendwann in anderem Zusammenhang zeigte, viel für Sex übrig, was ich auch nicht unsympathisch finden konnte.

Doch nachdem ich das zufällig im Netz herausgefunden hatte, über eine Aussage von ihm als ehemaliger kommandierender Offizier vor Gericht gestolpert war in einem Stasi-Prozess war seltsamerweise mein Vertrauen stärker erschüttert, als realistisch mein Mitleid für diesen Typen hätte wachsen sollen, dessen Staat unterging, der gescheitert war und der nur das Glück reicher Freunde hatte, die ihn finanzierten. Dieses grundsätzliche Misstrauen gegenüber Stasi-Leuten und SED-Mitgliedern blieb, auch wenn ich einige kennenlernte, die bis zur Wende aus taktischen Gründen halt mitgemacht hatten und dann überzeugte Demokraten wurden und war ich ehrlich musste ich mich fragen, wem vertraute ich hier wirklich, in dem anderen Land, das nun mein Land war, in dem ich lebte und was doch nie meine Heimat war.

Eine meiner liebsten Liebsten, eine sehr gute Ärztin, obwohl oder vielleicht auch weil dem Aberglauben an die Homöopathie anhängend, und alleinerziehende Mutter mit der ich viele wunderschöne Momente erlebt und geteilt habe, die ich nie missen möchte, wuchs hier im Osten umme Ecke auf und wenn auch irgendwie etwas oppositionell da katholisch, womit ich ja auch immer fremdelte, was hier aber keine Rolle gerade spielt, wurde sie in einer mir fremden Welt groß und wenn sie davon erzählte, was sie ganz süß mit einem Lächeln und dem frech berlinerischen “ne weeßt schon…” tat, war ich zwar in dieses süße berlinerisch, was sie auch unbedingt an ihre Tochter weitegeben wollte, total verliebt und schmolz dahin, hätte diese auch sehr begabte Malerin zu gern zur Frau genommen, hätte ich je tatsächlich die Wahl gehabt, denn ein wenig flüchtig war und ist sie ja vermutlich auch, doch zugleich fühlte ich mich auch fremd und fragte mich bei dieser völlig natürlichen und offenen Frau, was mich innerlich so fremdeln ließ, dass ich vor dem Sprung einer Entscheidung immer auch zurückgeschreckt wäre vermutlich.

Zum Glück schreckte sie vorher zurück und wir können nun gut liebe Freunde sein, die sich zwar zu selten aber doch ab und zu plaudernd noch sehen. Is halt so, würde sie vermutlich ganz nüchtern sagen, wie sie immer so gern betonte, sie sei ganz einfach und sofort zu durchschauen, wollte nur, was alle Frauen wollen und so einfach glücklich zu machen und was ich nie verstanden habe, weil ich eben gern kompliziert bin und stolz darauf, aber das wäre schon wieder eine andere Geschichte. Es ist halt so, wir wären eben in zwei Ländern groß geworden. Sonst nüscht.

Gerne gäbe ich ihr einfach Recht und in manchen Momenten mit ihr fühlte es sich auch so an, als sei es einfach so und gut so, gäbe es nun keine Mauer mehr, auch nicht in den Köpfen und wir könnten uns lieben wie zwei das eben tun, die miteinander glücklich sein wollten. Konnten wir nicht, kam noch die eine von oben dazwischen und die eine oder andere sonst, aber das wäre vermutlich noch egal gewesen wenn, weil was ist und passt immer stärker ist als alles andere und es passte ja zumindest theoretisch nicht nur in der Mitte ziemlich gut.

Es gibt diese Mauer in den Köpfen, auf beiden Seiten der Mauer. Manchmal ignorieren wir sie einigermaßen erfolgreich, dann wieder scheitern wir schon an dem Versuch, sie zu übersteigen. Dieses Gefühl hatte ich mit meinen Liebsten aus dem Westen besonders denen aus dem Norden unseres Landes nie, der sich für mich immer wie Heimat anfühlte, obwohl ich in Bremen ja nur geboren bin und dort ein Jahr lebte. Die ersten 30 Jahre in Frankfurt und der Kurpfalz zubrachte, habe ich mehr vertrautes Heimatgefühl immer noch, wenn ich bremisch höre oder Bilder aus der Hansestadt sehe als in meiner nun längsten Heimat überhaupt.

Dies alles hat keine sachlichen Gründe und ist natürlich nur eine ganz persönliche Sicht eines heimatlosen, der in Berlin gestrandet ist und sich eigentlich sehr wohl fühlt. Denke ich an meine letzte Geliebte, eine ganz wunderbare Frau, Kulturwissenschaftlerin, Fotografin, und vielfältig künstlerisch interessiert mit einem Herz voller Liebe, einer, da bin ich mir sicher, ganz wunderbaren Mutter und Ehefrau, für ihren Mann, die aus Sachsen in das noch gerade oder just nicht mehr Ostberlin kam und die ich wahnsinnig gern mag, der ich sofort blind meinen Hausschlüssel anvertraute, weil sie für mich einfach ein guter Geist ist, frage ich mich noch, wo und warum ich da fremdel. Tue es und spüre es auch irgendwie. Vermutlich auch aus Selbstschutz, damit ich nicht mal wieder mein Herz sinnlos verliere. Doch frage ich mich auch, ob wir uns wirklich ganz verstehen können, sie meine radikale Ablehnung der Linken als SED-Nachfolgeorganisation verstehen kann oder diese kritische Sicht übertrieben findet - naja, vielleicht frage ich mich manchmal auch zu viel, sehe die Dinge zu kritisch und Geliebte sind dazu da, geliebt und genossen zu werden und sonst nüscht.

Könnte noch manche ostwestliche Liebesversuche erzählen und doch ähnelte es sich, blieb immer die gleiche Frage in mir und ich könnte mich nun fragen, ob ich spinne, zu kompliziert bin oder einfach eben sehr sensibel und Dinge spüre, die andere nie merken und und für Unsinn halten, weil nicht sein kann, was für sie nicht ist.

Berlin ist eine Stadt, die Mauer nur noch Erinnerung und museal wichtig. Für viele ist sie aber in der Lebensplanung ganz real und es unterscheiden sich manche Gewohnheiten sehr. Denke ich an den kleinen Bruder meiner Mutter, den ich für einen kleingeistigen und engstirnigen Nörgler halte und eher nicht ausstehen kann, auch wenn ich ihn freundlich behandle, bekäme er als Bremer, wie jeder von da, bei mir einen seltsamen Vertrauensbonus, den sich einer aus dem Osten Berlins viel härter erarbeiten müsste als meine norddeutschen Liebsten ihn spontan bekamen, weil es sich richtig anfühlte, sie von da waren, so sprachen, dass mir das Herz aufging.

Dies ist nun nur für mich geschrieben, beansprucht keine höhere Wahrheit oder tiefere Wirklichkeit, seltsam nur wie viele Menschen mir von ähnlichen Gefühlen und Erfahrungen immer wieder erzählen. Manche fühlen es, andere ignorieren es, einige leben damit und am Ende muss es irgendwie funktionieren, wie immer in Berlin halt. Darum ist Berlin noch mindestens zwei Städte, aus zwei völlig verschiedenen Ländern kommend und zugleich auch noch ganz viele Dörfer, die nüscht, wie meine Ärztin sagen würde, miteinander zu tun haben. Ein bunter Flickenteppich mit liebenswertem und nervigem direkt nebeneinander - während mir Bremen, Frankfurt oder Heidelberg aus einem Guß zu sein erscheint, habe ich keine Ahnung, auch nach bald 17 Jahren, was der Geist Berlins ist, weil es in Charlottenburg ein ganz anderer ist als in Prenzlauer Berg, in Dahlem als in Pankow, keiner weiß, was Schöneberg mit Karow teilt als Nummernschild und Vorwahl, was natürlich auch daran liegt, dass allein Pankow als Bezirk mehr Einwohner hat als Mannheim und Heidelberg zusammen, aber auch darüber hinaus frage ich mich manchmal, was die Dörfer überhaupt je verbindet. Wie könnte ich meine einst Süße, die in Charlottenburg geboren, im beschaulichen Schmargendorf ebenso beschaulich lebend mit denen, die hier, mitten im Leben groß wurden, je vergleichen. Was hat die Kindheit meiner Tochter zwischen den Plätzen in Prenzlauer Berg, die weiß, wo gedealt wird und wer was will, mit der etwa der Kinder von Freunden aus Dahlem Dorf oder vom Wannsee vergleichen?

Auch wenn ich sie auf eine vermeintlich beschauliche Waldorfschule schicke und sie zu ihrem Leidwesen Korbflechten und Ackerbau lernen muss neben dem üblichen Schulstoff, wächst sie als Kind der Großstadt auf, fühlt sich am Alex wohl und ist gerne dort, während ich diesen Platz nicht ausstehen kann, meide wie ich nur kann, er in mir all die widerlichen und mit Angst besetzten Erinnerungen an die DDR weckt. Dagegen wachsen die Kinder meines Freundes L in Dahlem Dorf wohl behütet auf, sind in vornehmer, eher ländlicher Umgebung und werden auch schon dadurch ein anderes Vokabular haben und andere Dinge wichtig finden. Könnte nun die ländliche Umgebung von etwa Karow mit der in Dahlem Dorf vergleichen und käme doch nie auf die Idee, da Karow eher einem ländlichen Dorf in Brandenburg ähnelt und Dahlem Dorf halt ein Vorort mit viel Grün und Villen ist, zu Berlin gehört, gefühlt. Dies Gefühl ist es, was manch völlig getrenntes wieder verbindet und zu einer Stadt macht, auch wenn es teilweise wirklich paradox klingt und ich mich frage, warum Berlin eine Stadt sein soll und nicht einfach viele Dörfer, von denen sich manche mehr oder weniger ähneln.

Interessante Ergebnisse brachte auch die Gebietsreform, die teilweise völlig inkompatible Bezirke vereinte. So wurden Mitte, größtenteils alter Osten, und Wedding, eben alter Westen und Arbeiterviertel, zusammengeworfen und es funktioniert irgendwie, muss ja. Beim Friedrichshain, der mit dem Grünen Biotop Kreuzberg fusionierte passte es etwas besser, auch wenn es da an den Rändern immer wieder Reibungen gab und gibt, ist die Bezirksreform kein Skandal mehr, funktioniert halt. Bei Pankow wurde der provinzielle Name des östlichen Vorortes mittels eines Tricks in der Bezirksverordnetenversammlung dem eigentlich größeren und historisch bedeutenderen Prenzlauer Berg übergestülpt, der damit namenstechnisch verloren ging und zu Pankow wurde, was er nie sein wollte. Die Dissonanz dieser Vereinigung im Osten zwischen zwei Ost-Bezirken zeigt, es gibt nicht nur westöstliche Probleme sondern auch die einen oder anderen sind sich manchmal untereinander uneins und Prenzlauer Berg ist Kreuzberg oder Charlottenburg heute in vielem ähnlicher als Pankow und Weißensee mit dem es eins wurde, was eine zumindest breit gestreute Struktur im Bezirk sichert. Das passt alles irgendwie nicht so richtig zusammen, ist bescheuert gemacht und muss nur halt irgendwie funktionieren, weil auch keiner was besseres gerade hat und genau das ist vielleicht typisch Berlin, muss halt, geht ja nicht anders, als der Geist der Hauptstadt, die ein Flickenteppich vieler Dörfer ist.
jens tuengerthal 29.3.2017

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