Parallele Welten
In Berlin gibt es viele Welten und sie können meist gut miteinander, existieren nebeneinander, sind kein Problem, bis einer sich gestört fühlt oder irgendwer zu dreist wird, dann gibt es ein wenig Geschrei und pendelt es sich wieder ein. Dann sind wieder alle nett miteinander und irgendwie geht es weiter, muss ja auch oder wie der vorletzte Regierende es sagte, und das ist auch gut so.
Irgendwann entdeckten Konservative und neue Rechte das Thema für sich und begannen es zu problematisieren, wenn es in Wedding oder in Neukölln nur noch höchstens ein deutschsprachiges Kind in der Klasse gibt und warnten vor den Ghettos und den Parallelwelten, die sich bildeten, wenn muslimische Frauen Kopftuch trügen und junge Araber blonde deutsche Mädchen anmachten, weil sie unverhüllt für sie als ehrlose Hure anzusehen wären.
Solche Fälle gibt es bestimmt auch mal, doch weiß ich sicher, dass sie Zahl sexueller Belästigungen und Vergewaltigungen in deutschen Familien höher ist als zwischen den Gruppen, bei denen es an den Rändern mal knirscht, weil sie nur nebeneinander an manchen Stellen leben, nicht miteinander. Überall, wo Dinge nur nebeneinander laufen, gibt es auch Reibung und damit Spannung, weil die Räder nicht ineinandergreifen, so sind große soziologische Probleme physikalisch einfach erklärbar eigentlich.
Gerne behaupten neue Rechte, es gäbe in Berlin zahlreiche No-go-Areas, die nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr betreten werden könnten ohne Gefahr für das eigene Leben. Bin nicht besonders mutig und vermeide lieber jeden Konflikt als mich im Straßenkampf zu bewähren, bin einfach nicht der geborene Schläger. Dennoch gibt es kaum eine Ecke in Berlin, die ich Nachts unbedingt meiden würde und wenn wären es eher die Quatiere, die von radikalen Rechten aufgesucht werden, deren tatsächliches Gewaltpotenzial weit höher ist als alles, was sie Ausländern je unterstellen können.
Zum Glück sind nur wenige Berliner so dumm auf die hetzerischen Parolen des AfD oder anderer Blender hereinzufallen und dennoch ist auffällig, wo die Extremisten mit ihrer Propaganda, die Angst vor Ausländern schürt, besonders stark waren. Etwa in Pankow oder in Lichtenberg, in Marzahn und anderen Regionen mit dem geringsten Ausländeranteil, die rein faktisch nie das Problem hatten, vor dem sie sich fürchten und das sie den neuen Rechten in die Arme trieb.
Fuhr oft genug mit dem Rad nachts durch den Wedding, durch Moabit oder Neukölln - Angst hatte ich da nie. Dennoch gab es Orte, an denen ich mich unwohl fühlte und wo der Riss zwischen den Welten spürbar wurde, sogar für mich als Mann. Frauen berichten da ganz andere Geschichten, wenn sie ohne Kopftuch im muslimischen Supermarkt im Wedding einfach ignoriert werden. Doch finde ich das nun dramatisch und einen Grund zur nachhaltigen Empörung oder erregt solches Verhalten eher mein Mitleid?
Religionen sind für mich nur atavistische Überbleibsel aus unaufgeklärten Epochen, die manche Menschen noch nicht genug ablegen konnten. Der Islam, 600 Jahre jünger als das Christentum, verhält sich genau wie dieses es vor 600 Jahren zu großen Teilen auch noch tat - bedenken wir dann wieviel älter das Judentum noch ist, wundert uns manche Weisheit von da weniger, während uns andererseits viele Kurzsichtigkeit auch erstaunt, als lernten die Menschen nie dazu und hielten an atavistischen Riten, etwa der Beschneidung fest, weil sie es schon immer so taten, ohne alle Vernunft.
Es mag jeder nach seiner Fasson selig werden, sagte schon der Alte Fritz und schrieb über seine Verachtung für die Religion schon als Kronprinz sehr deutlich. Als König hielt er sich dann weise zurück, um die Ruhe nicht zu stören, denn die Menschen werden nicht unbedingt friedlicher und freundlicher, wenn du ihnen sagst, dass du ihren Aberglauben albern und ihre Sitten überholt und unvernünftig findest, auch und gerade wenn du Recht damit hast, diese Erfahrung kenne ich aus der Praxis sozialer Netzwerke zur Genüge.
Opfergaben hielten im Aberglauben gefangene Menschen schon immer für ein taugliches Mittel, die Götter milde zu stimmen - früher waren es Menschen, die geopfert wurden, dann massenhaft Tiere, die teilweise immer noch gegen jeden Tierschutz geschächtet werden, weil der zufällige Aberglaube es so vorschreibt, heute sind es eher Kerzen in Kirchen. Warum Menschen sich einbilden, wenn es wirklich allmächtige Götter gäbe, sich diese quasi bestechlich zeigten und von ihren kleinen lächerlichen Gaben beeinflusst würden, für was für Idioten die angeblich Unsterblichen uns Menschen halten müssen, wenn wir das eine kurze Leben, was wir nur haben, noch für ihre zufällige Laune opferten?
Absolut lächerlich und albern, von Menschen zu glauben die Götter, sollte es sie wirklich in einer Parallelwelt geben, würden sich um unser albernes wechselhaftes Tun kümmern und wir könnten ihren Willen mit unserem Tun beeinflussen. So ähnlich, wenn auch weniger deutlich, um keinen Ärger mit griechischen Gesetzen zu bekommen, schrieb es schon Epikur vor 2250 Jahre und sein geistiger Schüler Lukrez fasste es dann 200 Jahre später in schönste Verse, die endlich zur Pflichtlektüre in der Schule werden sollten für alle, weil sie viele Debatten überflüssig machten.
Berlin hat so halb den Religionsunterricht in den staatlichen Schulen abgeschafft mit dem Fach LER, Lebenskunde Erziehung Religion, was ein großartiger, innovativer und mutiger Ansatz war, der leider doch wieder etwas verwässert wurde. Vor allem ist dies Fach nicht Hauptfach und Pflichtfach für alle, sondern eines für alle, die nicht Religion haben. Dabei sollten wir dort mutig und entschieden die Ideale der Aufklärung vertreten, für die Freiheit von allen Göttern fechten und die Kinder vor dem Einfluss jeder Religion schützen, wenn wir nicht integrierbare Parallelgesellschaften auf Dauer verhindern wollen.
Die größte Gefahr einer solchen besteht unter perspektivlosen rechten Jugendlichen im Osten und einem ähnlichen Klientel im Wedding, die sich zu den Radikalen ihrer Lager hingezogen fühlen, weil sie ihnen eine Perspektive geben, Mut machen und das Gefühl, sie wäre etwas besonderes. Wer etwas ändern will und mehr Sicherheit vor Radikalen möchte, die vom Rand her die Gesellschaft und ihren Erfolg gefährden, muss an diesen Rändern anfangen.
Die Kriminalitätsstatistiken sind übrigens erstaunlich eindeutig da und zeigen auch, die Gefahr geht nicht etwa von Flüchtlingen aus, sondern von Hetzern, die am Rand der einen wie der anderen sich fremden Gesellschaft Menschen zur Gewalt aufrufen. Die Zahl rechter Gewalttaten in Deutschland liegt inzwischen bei über 1000 im Jahr, die der islamistischen Szene bei einer kleinen Handvoll sofern ich dort sage einschließlich der gescheiterten Versuche. Wer etwas tun und ändern will, um die Sicherheit im Land zu gewähren, sollte immer da ansetzen, wo das Problem liegt und nicht wo am lautesten geschrien wird.
Spannend im Verhältnis der Welten ist, wie sehr sie sich in Berlin unterscheiden. Es gibt hier echtes multikulturelles und friedliches Zusammenleben. Etwa in Kreuzberg oder Teilen von Neukölln. Dann gibt es Gegenden, die teilweise an Ghettos erinnern, etwa um den Weddinger Gesundbrunnen oder in Moabit um das Gefängnis, die aber auch ständig wieder neu durchbrochen werden, von Künstlern und jungen Menschen, die dort hinziehen und das Miteinander dadurch verändern, weil die Mieten dort billiger sind als im Rest der Stadt. So wurde auch Neukölln trotz des hohen Anteils an Migranten wieder sehr schick, weil sich immer mehr junge Leute fanden, die dort eine eigene Szene aufbauten. Im Wedding gibt es mit der Kolonie und anderen Projekten eine starke Künstlerszene, die immer mehr Einfluss gewinnt.
Kenne selbst einige Künstler aus dieser Szene, die auch mit Kindern noch gerne im Wedding leben, der zwar seine Eigenarten manchmal hat, aber das war wohl auch so, als er noch ein rote Arbeiterviertel war und nicht ein AKP türkisch rotes Viertel konservativer Muslime, wie es heute mehr wurde und sich zugleich schon wieder in einer Weise verändert, die uns Morgen schon eine andere Welt dort eröffnen kann. In Moabit muss nur die Straße überquert werden und schon landet der Besucher in den Straßen Richtung Tiergarten in einer vornehmen Parallelwelt, die sich eher am Schloss Bellevue auf der anderen Seite der Spree denn dem dort Knast orientiert. Ganz anders auf der anderen Seite der Straße und auch dort taucht plötzlich wie aus dem Nichts einer der schönsten Blumenläden Berlins auf, in dem wunderschöne Frauen lächelnd arbeiten, während du auf der vielbefahrenen Straße noch deutlich die Knastgeräusche auch hörst. Fast surreal steht das eine neben dem anderen. Besuchte eine zeitlang mal eine vornehme sehr bürgerliche Arztpraxis auf der anderen Seite der Straße mit dem entsprechenden Klientel in einer sehr bourgeoisen Wohnung mit wunderbarem alten Stuck dort, zu der ich immer am Knast vorbei mit dem Auto fuhr und die der Onkel einer Erzieherin meiner Tochter betrieb, mitten in Moabit und doch in einer anderen Welt.
Als meine Tochter mit ihrem Blinddarm oder besser gesagt endlich ohne sein Ende im jüdischen Krankenhaus lag, in das sie auch eher zufällig geriet, staunte ich über die vielen muslimischen Frauen dort, zumindest solange ich mit der Straßenbahn über die Seestraße gekommen war und wunderte mich nicht mehr, als ich auf der Suche nach Knabberzeug für sie um die Ecken ging und mich in einer Welt voller kleiner arabischer und türkischer Läden fand, die eine Welt um die Brunnenstraße bilden. Fragte mich einen Moment, ob ich Angst haben sollte, weil es schon manchmal sehr düster aussah, die dunklen Augen hinter Gardinen mich misstrauisch anschauten. Es ist eine völlig andere Welt als hier um meine Plätze in Prenzlauer Berg, wo relativ wohlhabende Akademiker mit Kindern leben, viele Touristen flanieren, Luxus seinen Markt hat, es die billigen Ramschläden nur an den großen Ausfallstraßen gibt.
Immer wieder existieren dabei Welten nebeneinander, die nicht zusammen zu passen scheinen und doch ziemlich gut miteinander klar kommen und sich wechselseitig verändern, kein Grund zur Aufregung. Das Problem ist nicht Multikulti und nebeneinander verschiedener Kulturen, die sich wechselseitig beeinflussen - so etwas ist wunderbar und bereichernd, macht Berlin derzeit zu einer der attraktivsten Städte Europas, in der Künstler und Kreative aus dem Zusammenklang der Welten neue innovative Ideen entwickeln, die später zu Lebensmodellen für das ganze Land werden. Hier wird vorgedacht und nicht in der separierten brandenburgischen Provinz, die sich vor Flüchtlingen fürchtet und die Rassisten örtlich zur stärksten Kraft wählt. Der Grund warum solche radikalen Randgruppen mit rechten Hetzern wie der AfD in Berlin Zulauf finden, die türkische AKP hier Anhänger hat, sind nicht die Orte, an denen die verschiedenen Kulturen tatsächlich zusammentreffen, sondern jene, wo sie sich fremd bleiben, nichts voneinander wissen und umso schärfer übereinander urteilen.
Spreche ich mit meinem Kioskbesitzer am Platz, einem Türken aus Kreuzberg über die Türken aus dem Wedding, fängt er so an zu fluchen, dass ich kaum mehr wegkomme, bis er seiner Tirade losgelassen hat. Die seien frauenfeindlich, ungebildet, rückständige Bauern, sorgten für ein schlechtes Bild der Türken im Land. Das gleiche bei einem kurdischen Freund, der schon in Kreuzberg geboren, beide Pässe hat und seinerzeit als junger Ingenieur mit Erdogan, der damals Bürgermeister von Istanbul war, die Wasserversorgung dort baute. Früher meinte er noch, der sei harmlos, nur geldgierig eben und mache gute Geschäfte, warum die Leute ihn wählten. Heute nachdem viele seiner kurdischen Freunde in der Türkei niedergemetzelt wurden, sagt er, die AKP Anhänger gehören rausgeschmissen, die haben in Deutschland nichts verloren, die verstünden das Land nicht und schadeten ihm. Sollen sie doch alle in der Türkei mit ihrem Erdo leben und Kopftuch tragen. Seien alles Idioten aus dem Mittelalter.
Die Positionen werden zunehmend härter und extremer. Manchmal scheint es mir, als sei der Hass der alten Kreuzberger Türken, die friedlich integriert gut hier leben auf jene im Wedding oder in Moabit, die noch wie in Anatolien geistig leben, Erdogan bejubeln und ihre Frauen unterdrücken, größer als die Vorurteile der AfD Wähler in den Randbezirken. Der kurdische Freund spricht sich dafür aus alle AKP Wähler auszuweisen, sie passten nicht hierher. Andererseits sagt er, der früher eher links oder grün dachte, diesmal werde er Merkel wählen, die mache es genau richtig und hätte es begriffen. Ist also auch für eine Stärkung der liberalen Mitte statt radikaler Schreihälse am Rande, äußert sich abgesehen von den Tiraden gegen die AKP Anhänger sehr ausgewogen vernünftig.
Berlin hat kein Multikulti-Problem, wo die Welten parallel existieren, befruchten sie sich wunderbar und verbessern damit Integration und Miteinander. Dafür gibt es ein Randgruppen-Problem. Dies vornehmlich im Osten, wo einige immer noch nicht in der Demokratie angekommen scheinen und sich lieber von Angst als der Realität beherrschen lassen. Das Integrationsproblem in einigen Bereichen wie im Wedding oder Moabit, löst sich teilweise durch die niedrigen Mieten in diesen Gegenden, die wiederum Künstler und ihre Umgebung anziehen, was dann den Charakter ganzer Kieze schnell wieder verändert.
Es gibt einzelne auch libanesische Clans, die kriminelle Strukturen mafiöser Art haben und manchmal dauert es etwas, bis die Polizei dort zugreift. Doch sie tut es immer wieder und dann erstaunlich effektiv. Grund zur Sorge, dass Familien ganze Kieze übernehmen, besteht nicht und wer sie streut, ist eher das Problem als umgekehrt. Wer hier kriminelle Strukturen aufbaut, fliegt bald aus dem Land. Das ist nicht immer sofort möglich und manchmal geht es auch schief, aber gemessen an der Zahl der Delikte und den Erfolgen bei der Aufklärung, besteht hier kein wirkliches Problem, nicht größer als in München oder Stuttgart etwa, die sich gern über das kriminelle Berlin empören.
Besonders den Brandenburgern scheint häufig Berlin als Abgrund der Sünde und Kriminalität, hier, wo nahezu keine Migranten leben, ist die Angst am höchsten und hier wird der Hass am erfolgreichsten geschürt. So gesehen ist Brandenburg längst an vielen Orten eine Parallelwelt zu Berlin, die noch zusätzlich in Potsdam eine Insel der Wohlhabenden hat, die nichts mit beiden Orten gemeinsam hat. Eher könnten sich etwa Dahlem Dorf oder Wannsee mit Potsdam zu einer harmonischen Gemeinde verbinden, als sie es mit anderen Berliner Bezirken tun würden.
Spannend ist, wie die parallelen Welten durch die Bezirksreform plötzlich zu einer Welt unter einem Namen zusammengefügt wurden und was daraus teilweise entstand, wie parallele Welten harmonieren oder nie zusammenfinden, weil sie in ihrer Struktur zu unterschiedlich sind. Nehme ich etwa meinen Bezirk, der Pankow heißt, obwohl diese piefige typisch östliche Vorstadt, die eher an Brandenburg denn an Berlin erinnert, nichts mit meinem Wohnort, der Prenzlauer Berg ist, zu tun hat, die beiden nur zufällig aneinander grenzen. Dazu gehört noch die ebenfalls eher brandenburgische Vorstadt Weißensee und ländliche Dörfer wie Karow, die nichts mehr mit der Großstadt Berlin zu tun habe, in der ich lebe, der ich in 10 Minuten mit dem Rad am Alex bin, denn dort, wo Morgens die Hähne krähen und die Straßen noch gewölbt sind, leben vielfach noch die Menschen, die seit Generationen dort leben, die sich vor einer Moschee fürchten, ohne zu wissen, um was es dabei geht.
Die kurze Zeit in der ich mich politisch hier engagierte, hatte ich die Chance auf Bezirksebene im kommunalen Parlament an manchen Sitzungen teilzunehmen und zu sehen, wo auch politische die Brüche verlaufen zwischen den kulturellen Zonen, wie sich die Menschen auch innerhalb der Parteien völlig entfremden und sich fast feindlich gegenüberstehen. Der Prenzlauer Berg, der von der Bevölkerungszahl die Mehrheit ausmacht, ist tendenziell eher links-grün orientiert und entsprechend versuchen sich auch die dort Sozialdemokraten zu positionieren, was relativ sinnlos ist, da sie die Grünen nie auf ihrem Feld überholen werde, die Linken nie links und die Mitte etwas ratlos gegenüber dieser schwankenden Partei steht, die in den Randbezirken eine vernünftige, teilweise fast bürgerliche Position vertritt, die dem alten Otto Braun ähnelt, während sie in Prenzlauer Berg sich als linke ökologisch korrekte emanzipierte und staatstragende Partei präsentieren möchte in einem Spagat, der nie gut gehen kann und so zu dauernden Konflikten und Zerreißproben führt, die nur um Wahlen herum erfolgreich gedeckelt werden. Die Prenzlauer Berg SPD ist zum allergrößten Teil eine Wessi-SPD von Zugezogenen, die immer genau wissen, was gut und richtig ist, teilweise auch längst professionell im politischen Bereich tätig sind. Bei den anderen Parteien, kann ich es weniger beurteilen, deren Anziehung hielt sich auch für mich bisher in überschaubaren Grenzen, der sich inzwischen lieber ganz aus der Politik zurückzog, um still zu beobachten, was ist, wie es dem Flaneur gebührt.
Wo divergente Interessen aus parallelen Welten künstlich zusammengefügt werden, um im Rahmen einer Bezirksreform größere Effektivität zu erreichen, werden die Konfliktlinien und vor allem die Bruchstellen deutlich, die das Zusammenleben schwer machen. Nicht dort, wo real Multikulti herrscht, sondern da, wo zusammenkommt, was nicht zusammengehört und dann in seiner Scheinselbständigkeit, die immer zu gering ausgestattet wird, damit sie beim Senat betteln muss, mit anderen Bezirken in Konkurrenz ständig ums Überleben kämpft.
Es geht hier nur zur Klarstellung nicht nur um provinzielle Vororte sondern um einen Bezirk mit 385.000 Einwohnern, mehr als viele selbständige Großstädte, der politisch und finanziell am Tropf des Senats hängt und der seine eben Scheinselbständigkeit in der Bezirksverordnetenversammlung eher rituell praktiziert als wirklich entscheiden zu dürfen. Dennoch leisten die meisten der nicht bezahlten politischen Laien hier viel professionelle Arbeit und geben einem divergenten Bezirk zumindest den Anschein demokratischer Prozesse, die real nur ein Schauspiel vor dem Senat sind, um weiter betteln zu dürfen. Vielleicht beschreibt dies Schauspiel in den kommunalen Parlamenten, dass eigentlich eine dauernde Köpenikiade ist, Berlin sehr gut und warum hier manches nicht geht, dennoch alles irgendwie läuft aber keiner allein verantwortlich ist.
Es gibt Parallelwelten in Berlin und sie sind gefährlich für den Zusammenhalt des Landes. Doch laufen die Bruchstellen nicht dort, wo migrantische auf deutsche Bevölkerung trifft, sondern wo vermeintlich homogene Bereiche über andere ihnen fremde urteilen wollen und dabei die jeweiligen Ränder von Extremisten aufgehetzt werden. Die rechten Ränder sind den Islamisten näher als der ganz großen friedlichen Mehrheit in der Stadt, die wunderbar nebeneinander und miteinander lebt. Mein kurdischer Freund, der umme Ecke wohnt und mein Kioskbesitzer umarmen mich immer mit den Worten, Hallo Bruder, und ich fühle mich ihnen in vielem verbundener als dem rechten Metzger aus Karow, der mich am Gorinsee ohne Grund niederschlug und mit dem ich dennoch den gleichen Bezirk teile, auch wenn wir in völlig verschiedenen Welten leben. Berlin kann das und wird es auch in Zukunft können, nur sollte es mehr Aufmerksamkeit den Problemgebieten widmen, in denen die Randgruppen erfolgreich hetzen, um sich nicht auseinander treiben zu lassen.
jens tuengerthal 23.3.2017
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