Preußengeist
Überall in Berlin stolpere ich über die Spuren Preußens, aber gibt es das überhaupt noch, was ist es und woher kommt es, was hat es mit mir zu tun?
Seit ich in Berlin irgendwie angekommen bin, wurde ich gefühlt ein Preuße, ohne zu wissen, was das ist oder heißt zunächst. Manche auch der Verwandtschaft, sagten es zu mir, ich spielte damit ein wenig, weil doch der einst für Preußen vor Verdun gefallene Urgroßvater väterlicherseits einst jüngster preußischer Schuldirektor war und der Grotepater genannte Großvater dann Kadett zu Lichterfelde hier im Südwesten Berlins wurde und von dieser Zeit weniger kritisch sprach als Musil in seinem Zögling Törless, auch wenn er diesen kannte aber meinte, es sei halt ein Österreicher gewesen, kein Preuße und in diesen Worten klang mit leichtem Vibrato in der Stimme viel Stolz mit.
An der Beerdigung des Großvaters, neun Jahre bevor ich nach Berlin zog, gab es noch einen Kranz seiner Kadettenkameraden, deren Reihen sich vermutlich auch sehr gelichtet haben dürften, klein, mit schwarz-weißer Binde, künstlichem Eichenlaub und dem Wappen der königlichen Kadetten. Seine Söhne lästerten darüber ein wenig, aber hatten doch dem toten Alten noch genug Respekt gegenüber, den Kranz auf dem Grab zu drapieren und meine Großmutter nahm ihn später mit und er lag lange im Arbeitszimmer von Grotepater als Erinnerung an den toten Großvater und den untergegangenen Staat.
Die Gläser mit dem Wappen der Kadetten hat, nachdem auch die Großmutter verstarb und das Haus aufgelöst wurde, mein Onkel in Mecklenburg übernommen und wenn wir uns jedes Jahr an Ostern dort treffen, habe ich immer ein lächerlich feierliches Gefühl, wenn ich sie zum großen Frühstück decke - sie waren etwas besonderes und standen für eine Tradition, die der Großvater hochhielt, die seine Söhne als vorgestrig eher ansahen, weil sie in ihrer Jugend genug unter den Sprüchen gelitten hatten.
Im Studium hatte ich einen guten Freund, der es blieb, und der aus einer der wichtigsten preußischen Familien stammt, mit ganz vielem, was preußische Geschichte ausmacht, verwandt ist und einer der gebildetsten und kultiviertesten Menschen ist, die ich je kennenlernte - was ich auch über seinen sehr feinsinnigen Vater sagen würde, die noch für das klassische Bildungsideal in Persona standen.
Über meine Großmutter mütterlicherseits und meine Mutter hatte ich auch einige Preußengeschichten gehört - die Kinder des Kronprinzen, gäbe es noch einen Kaiser, waren nach dem Krieg nach Bremen gezogen und Prinz Louis-Ferdinand und seine Frau Prinzessin Kira, eine geborene Romanow, waren Freunde meiner Großeltern. Mit dem musikalischen Loui-Ferdinand spielte meine im Gegensatz zu mir begabte Großmutter vierhändig Klavier und mit Kira und ihrem Mann Bridge, außerdem sammelten sie für irgendwelche wohltätigen Zwecke unter den reichen Bremer Pfeffersäcken und auch wenn Adel in der Hansestadt natürlich nichts galt, war das Auftreten mit der Prinzessin zum Betteln wohl immer sehr wirkungsvoll.
Dagegen erzählte meine Mutter eher locker über die Preußenprinzen, mit denen sie in der Tanzstunde war, die zwar heftig wohl flirteten, die sie aber weder besonders attraktiv noch gerade für intelligent hielt und sich darum auch auf Rat ihrer Mutter stark zurückhielt. Kira starb kurz vor meiner Geburt hat aber meiner Mutter noch zur Verlobung eine Kette geschenkt und wer weiß, vielleicht trägt eines Tages meine Tochter diese.
Die Großmutter war im damals preußischen Hannover noch die ersten Jahre groß geworden und gerne erzählte sie immer wieder die Geschichte, wie sie als junges Schulmädchen dem heimkehrenden Generalfeldmarschall Hindenburg die Blumen überreichen durfte und wie er dann die kleine Edith, die er ja als Nachbarskind gut kannte, in seiner Kutsche mit nach Hause nahm, worauf sie vermutlich vor Stolz platzte, zumindest erzählte sie es noch bis ins sehr hohe Alter ihren Enkeln immer wieder gerne, wenn wir sie daran erinnerten und strahlte dann ganz glücklich.
So war ich von allen möglichen Seiten preußisch vorbelastet als ich nach Berlin kam und hatte ein relativ positives Bild von Preußen, brachte es vor allem nicht mit dem peinlichen Österreicher in Verbindung, der aus Bayern kommend mit seiner rassistischen Partei einst Deutschland eroberte und vernichtete. So gesehen war der Herr Hitler aus Braunau Maria-Theresias Rache an Friedrich dem Großen - heirate glückliches Österreich, hieß es immer, nachdem sie ihr Reich so unglaublich erweiterten von Burgund bis Spanien - was Preußen gewann, wurde erfochten, ist lange behauptet worden in den drei schlesischen Kriegen und auch das ist Unsinn, der größte Zuwachs wurde friedlich erhandelt, alles was sie erfochten, brachte nur Ärger.
Gibt es Preußen noch oder ist es nur ein schreckliches Gespenst der deutschen Geschichte?
Politisch wurde es von den Alliierten nach dem 2. Weltkrieg endgültig beerdigt. Der Entschluss dazu war schon auf den Konferenzen von Teheran und Jalta während des Krieges gefallen, wurde im ach so preußischen Potsdam 1945 besiegelt und damit war ein wichtiger Teil deutscher Identität für eine lange Zeit und eine große Menge an Menschen plötzlich verschwunden.
Die einen wurden Bundesbürger, die anderen Einwohner der DDR, die ja alles andere als bürgerlich sein wollte und dafür die real existierende Kleinbürgerlichkeit in ihres Staates engen Grenzen kultivierte, preußische Disziplin militärisch hochhielten. Preußen gab es noch in Sportvereinen, die zur Zeit von Preußens größter Ausdehnung, von der Memel bis über den Rhein und von Holstein bis zum Main, gegründet wurden - Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach zählen dazu.
Was heißt dies Preußen überhaupt und woher kommt es?
Zunächst bezeichnete es das Land der Pruzzen, irgendwo im Gebiet im und um das frühere Ostpreußen. Dies war das sogenannte Deutschordensland, ein Gebiet im Nordosten, in das sich zur Zeit der Kreuzzüge ein Orden deutscher Ritter mit strengen Regeln aufgemacht hatte, es zu christianisieren und zu kolonisieren. Sie bauten Ordensburgern und so begann die Besiedlung Ostpreußens, das noch nicht so hieß und des Baltikums, was erklärt, warum so viele baltische Ritter noch deutsche Verwandtschaft haben und eng hier eingebunden wurden.
Dieser kleine nordöstliche Flecken mit schönstem Land zu dem auch die Stadt Königsberg gehörte und die kurische Nehrung, auf der Thomas Mann in Nidden sein Sommerhaus hatte war Kernland des Deutschen Ordens, über das sie später mehr oder weniger erfolgreich mit den Polen stritten. Großmeister dieses Ritterordens, der sich irgendwann immer mehr säkularisierte war schon lange meist ein Hohenzoller, die als Burggrafen von Nürnberg einst vom Kaiser die Kurwürde von Brandenburg verliehen bekommen hatten. Damals wurde natürlich noch nicht darüber gestritten, ob Berlin zu Brandenburg gehörte, wer den dortigen Flughafen baut und ähnliche brandaktuelle Fragen, die so typisch für den sozialdemokratischen Sumpf unserer Tage sind.
Irgendwann kam der Ritterorden und sein säkularisiertes Gebiet dann nach dem letzten Großmeister an die märkischen Hohenzollern und sollte in der weiteren Geschichte, des Staates, der einmal Preußen genannt wurde, eine große Rolle spielen, war zuerst aber nur eine schwer zu erreichende östliche Provinz, den Balten benachbart, von polnischen Gebieten umgeben, dessen König zur Huldigung verpflichtet.
Der neue Kurfürst musste sich erst mühsam Respekt verschaffen bei den dort relativ wild und ungestört hausenden Raubrittern, womit sich zumindest in Brandenburg weniger geändert hat als in Berlin. Berlin war ein kleiner Flecken am Ufer der Spree, die Insel im Fluss hieß Cölln und auch sonst war noch nicht viel los im sandigen Land zwischen Spree, Havel und Elbe. Es dauerte, bis es sich etablierte und nicht mehr nur noch von seinen Gegnern beim Durchmarsch als Kleinster verprügelt wurde, wie es den Märkern, wie die noch nicht Preußen damals hießen, weil sie aus dem Kurfürstentum Mark Brandenburg kamen, immer wieder passierte.
Besonders im Dreißigjährigen Krieg als Wallenstein für den Kaiser und sich Mecklenburg eroberte und in Güstrow residierte, brannte im protestantischen Brandenburg manche Stadt mehrfach ab, die Seuchen taten ein übriges und so war als 1648 in Osnabrück endlich Frieden geschlossen wurde - in Münster ging es ja mehr um die Niederlande - eine gebeutelte Provinz übrig, die nur durch ihre Kurwürde für die Protestanten eine gewisse machtpolitische Bedeutung hatte. Die Schweden besetzten manches im Norden und bekamen einige auch freie Hansestädte wie Wismar und Bremen zu Diensten, saßen in Pommern bis dicht an die preußische Grenze. Kein Wunder also, dass es mit dem Landbesetzer zu Konflikten kam. Friedrich Wilhelm, der später der große Kurfürst genannt wurde, hat dabei zuerst mit einer Schaukeldiplomatie versucht, die ausgeblutete Mark zu stabilisieren. Er baute dann ein stehendes Heer und, oh Wunder, schlug die vielfach überlegen geglaubten Schweden bei Fehrbellin. Eigentlich nur eine kleine und unbedeutende Schlacht im Jahre 1675, gemessen an der Zahl der Teilnehmer, wurde sie für die Mark zum Gründungsmythos. Es fielen in dieser Schlacht 4000 Schweden aber nur 500 Märker, dank kluger Taktik des Kurfürsten und seines Feldmarschalls Derfflinger. Bei den Schweden kommandierte nicht so glücklich Feldmarschall Wrangel.
Der später der Große Kurfürst genannte Friedrich Wilhelm bewegte dann noch mit seiner nassauischen Gattin aus den Niederlanden, Luise Henriette eine Menge auch geistig in der staubigen und verödeten Mark, machte sich sogar zeitweise daran eine kurbrandenburgische Marine, allerdings ziemlich erfolglos, aufzubauen und sicherte sich erste Kolonien in Westafrika und Westindien, nahm wie damals üblich auch erfolgreich am Sklavenhandel teil und gab dem Land und seiner Hauptstadt immer mehr Bedeutung.
In besonderer Erinnerung ist dabei das kurbrandenburgische Toleranzedikt von 1685, das Edikt von Potsdam auch genannt, demgemäß allen verfolgten Protestanten die Ansiedlung gestattet wurde. Damit antwortete er auf das Edikt von Fontainebleau des französischen Königs Ludwigs XIV. und bot den von diesem engstirnigen Enkel des toleranten Henry IV. vertriebenen Hugenotten im Geiste der Toleranz als protestantischen Glaubensbrüdern Zuflucht und bereicherte damit sein im langen Krieg wohl am meisten ausgeblutetes Land nachhaltig und sehr.
Die Hugenotten prägten das spätere Preußen, spielten eine große Rolle im Militär wie in der Kultur, denken wir nur an den preußischen Schriftsteller schlechthin, Theodor Fontane, der immer wieder stolz von seinen hugenottischen Wurzeln erzählt. Auch die Großmutter meiner Großmutter aus Bremen, von der ich anfangs erzählte, war eine stolze Hugenottin, also meine Ururgroßmutter, und wollte so nach den Erzählungen meiner Omi immer Grandmere genannt werden und plauderte lieber französisch. Es ist dieser eigene Stolz der französischen Umsiedler und Protestanten, die unter Friedrich dem Großen auch einen eigenen, eben den französischen Dom an Berlins Gendarmenmarkt bekamen, der sie so stark und wichtig auch machte. Noch heute treffen sie sich an bestimmten Tagen im KaDeWe in der Lebensmittelabteilung, um es sich miteinander bei feinem französischen Essen gut gehen zu lassen.
Dem Großen Kurfürsten gelang es schließlich in langen Verhandlungen auch das Herzogtum Preußen aus polnischer Oberhoheit zu lösen und dessen Souveränität anerkennen zu lassen, womit er die Voraussetzung für die spätere Krönung seines Sohnes Friedrich I. in Königsberg zum ersten König in Preußen schuf.
Dieser auch sonst kulturell und als Bauherr sehr umtriebige Kurfürst wollte unbedingt König werden, wie Erdogan der Türke gerne die Präsidialrepublik möchte, nur bezahlte er ehrlich dafür und richtete damit zunächst keinen weiteren Schaden an. Der Kaiser und der König von Polen gestatteten es ihm und er nannte sich nach der Krönung König in Preußen - denn von Preußen gab es noch nicht. Bis es soweit war, dauerte noch bis ins hohe Alter von dessen wiederum Enkel Friedrich II., dem wohl größten Herrscher der Hohenzollern neben dem Großen Kurfürsten.
Bevor dieser an die Krone kam, ließ sich nur noch sein sparsamer Vater Friedrich Wilhelm I nicht in Königsberg krönen, weil zu teuer, gab viel Geld nur für sein liebstes Hobby aus, die langen Kerls, was besonders groß gewachsene Gardesoldaten waren, die eben Gardemaß hatten. Der unmusikalische und etwas grobe Friedrich Wilhelm I. erniedrigte seinen Sohn Friedrich so lange, bis dieser in Absprache mit seinem Freund Katte die Flucht ergriff. Friedrich weilte damals übrigens in der Kurpfalz und wollte den Fluchtversuch unweit des heutigen Wohnortes meiner Eltern beginnen, was aber gehörig mißlang und Katte sogar den Kopf kostete. Der gnadenlose Vater zwang den seiner Meinung nach verweichlichten Sohn sogar dazu das Schauspiel der Hinrichtung von seiner Zelle, in der er ihn hatte inhaftieren lassen, mitzuverfolgen.
Danach versuchte Friedrich keinen Widerstand mehr, heiratete auch die vom Vater gewünschte Prinzessin Elisabeth-Christine, eine Welfin von Braunschweig-Bevern, die er langweilig, ungebildet, hässlich und noch dazu gläubig fand und die der eigentliche Grund der Flucht angeblich war, weil Fritz es auf die Tochter des Königs von England abgesehen hatte. Ob er ernsthaft glaubte, sein englischer Onkel würde dem flüchtigen Kronprinzen die Tochter zur Frau geben, also eine der gerade besten protestantischen Partien auf dem Markt, scheint mir etwas naiv. Was er tatsächlich wollte, außer erstmal weg vom fiesen schlechtgelaunten Vater, der keinen Sinn für die Kunst hatte und dem Prinzen das geliebte Flötenspiel verbat, weiß ich nicht und wird wohl keiner je erfahren, was die Geschichte darüber schreibt ist ja bekannt. Der Alte hätte seinen Sohn vermutlich gleich mit dem Degen niedergestreckt, wäre nicht einer seiner Offiziere mit seinem Körper dazwischen getreten, erzählt die preußische Legende und passt aber auch zum sonst Charakter des Cholerikers Friedrich Wilhelm.
Friedrich lebte mit Elisabeth-Christine die ersten Jahre zusammen in Schloss Rheinsberg, das ihm der Vater geschenkt und ich meine Knobelsdorf noch in schönster Form umgebaut hat. Bis heute ist das am See mitten im Wald gelegene Schlösschen ein Ort zauberhaftester Romantik, an den alle Verliebten einmal fahren sollten. Es ist von Berlin über Neuruppin erreichbar, einem anderen zauberhaften Ort am Ruppiner See gelegen und zugleich der Geburtsort des großen Fontane, der viel in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg über die Schönheit der Umgebung erzählt. Dort lebte er das Leben, von dem er geträumt hatte, schrieb den Antimachiavell und erste atheistische Schriften, die später dezent verschwanden, komponierte, spielte viel Flöte, lud Voltaire ein, der auch eine zeitlang kam, scharte seine Freunde um sich und besuchte so gut gelaunt sogar gelegentlich noch des Nachts seine Frau in ihrem Schafgemach, was später eher nicht mehr vorkam.
Kaum König, nach dem Tod des Vaters 1740, zog Friedrich in den Krieg und eroberte in einer Art Blitzkrieg Schlesien, weil sich die Gelegenheit bot und er wusste, wie schwach Maria Theresia gerade war, die als Erzherzogin und Königin von Ungarn durch die für Österreich sehr teure pragmatische Sanktion erst dem Wunsch ihres Vaters gemäß an die Krone gelangt war, die sonst der bayerische Vetter oder Schwager beansprucht hätte. Er konnte das, weil sein Vater so sparsam war, ihm eine große bestens trainierte Armee hinterließ und eine gut gefüllte Kasse. Die langen Kerls entließ er, wenn er sie nicht zuvor in Feldzügen verfeuerte - die Show interessierte ihn nicht.
Drei Kriege führte Friedrich um dies Stück Schlesien, was Maria Theresia so ärgerte, im letzten, auch siebenjähriger Krieg genannten großen Schlachten, kämpfte er nahezu gegen fast den Rest Europas, außer England, das aber in den USA und Indien genug beschäftigt nebenbei war, keine große Hilfe leistete. Ein juristischer Anspruch auf dies Stück Land konnte konstruiert werden, blieb aber nur konstruiert und wurde auch von Friedrich nicht weiter ernst genommen - er wollte es, er konnte es, er tat es und legte damit die Basis für die späteren militärischen Erfolge Preußens und dessen Vormacht im Reich.
Als er um Schlesien aber sich noch mit Maria Theresia stritt und der Zarin Elisabeth hatten die Österreicher über die Geliebte Ludwigs XV., die berühmte Madame Pompadour, noch ein Bündnis mit Frankreich zu ungunsten Friedrichs eingefädelt, was auch so leicht gelang, weil sich Frankreich und England in Amerika noch stritten und Friedrich es den Damen leicht machte, ihn nicht zu mögen. Friedrich sprach, wenn von den drei Damen die Rede war, nur von den 3 Erzhuren, gegen die er sich verteidigen müsse.
Er tat das mal erfolgreicher, mal weniger erfolgreich, immer persönlich beteiligt, war manchmal nur gerade so noch gerettet worden, seine angeschossene Kautabakdose erzählt davon Bände. Am Ende einigte er sich mit dem Sohn der Maria Theresia, dem späteren Kaiser Josef und den anderen in Hubertusburg auf einen Frieden, mit dem Preußen Schlesien behielt und ansonsten alles wurde wie vor dem Krieg.
Zu diesem Frieden kam es nur, nachdem Russland bereits aus dem Krieg ausstieg, der zunächst Erbe Zar Peter dem von ihm bewunderten Friedrich sofort die Hand reichte und auch dessen Gattin Katharina, die später die Große genannt wurde, nach der Beseitigung ihres Gattens nichts an dessen Plänen änderte. Eine wichtige Rolle dabei spielte wohl auch, dass Katharina, als sie noch askanische Prinzessin am preußischen Hof war, mit Heinrich dem jüngeren Bruder Friedrichs eng befreundet war. Sie kannten sich aus Kindertagen.
Die große Reformerin Russlands, die heute noch auf dem Schreibtisch der Kanzlerin steht, schätzte wie Friedrich die Ideale der Aufklärung und förderte etwa die Erstellung der Enzyklopädie durch Diderot, in dem sie diesem zu Lebzeiten seine Bibliothek abkaufte, sie in seinen Händen beließ und ihn sogar noch als Bibliothekar dafür großzügig bezahlte. Damit hat sie den Geist, gefördert, der später zur Revolution führte und der sich zuvor schon in vielen Diskussionen im Salon des Baron d'Holbach geäußert hatte, der von Freiheit und Menschenrechten kündete, wie sie erstmals in der amerikanischen Verfassung Realität wurde, die derzeit von einem peinlichen Neureichen, der sich im genauen Gegenteil zur gebildeten Kanzlerin auch noch rühmt, kein Buch gelesen zu haben, im Amt gefährdet fast scheint.
Als Friedrich in Hubertusburg Frieden schloss, war er noch König in Preußen, jenem früheren Herzogtum, dass sein Urgroßvater der Große Kurfürst erst selbständig gemacht hatte. In den folgenden Jahren des Friedens und Wiederaufbaus nach zu langen Kriegen, errichtete Friedrich in Potsdam das protzige Neue Palais im Stile von Versailles. Groß, ein wenig überladen, teilweise geschmacklos, dennoch in den Park wunderbar integriert und genau den Zweck erfüllend, den es sollte, vielen Menschen über Jahre Arbeit gebend. Der Bau interessierte Friedrich nicht weiter. Er lebte nie dort. Bevorzugte sein Sanssouci am anderen Ende des Parks. Jenes kleine Rokoko Schloss, dass er sich kurz nach seiner Krönung auf der Spitze des Weinbergs errichtet hatte. Es war schnell und billig gebaut worden, hatte keinen Keller, war im Winter nicht zu heizen, dann zog Friedrich in das gerade wieder errichtete Potsdamer Stadtschloss. Aber es lag oben auf dem Weinberg, bot einen zauberhaften Blick, auch wenn er die ihn mit ihrem Klappern nervende Mühle nebenan nicht los wurde, diesen Ort liebte er. Ob er sie wirklich loswerden wollte, ist eine der ungeklärten preußischen Sagen. Dorthin lud er Voltaire, mit dem er sich wunderbar zerstritt, über Geiz und Spott, da hielt er seine Tafelrunde mit alten Offizieren und jüngeren Musikern, dort besuchte ihn Bach. Seine Windspiele ließ er auf der Terrasse dieses netten Sommerschlösschens beerdigen und wollte auch selbst eines Tages dort neben seinen Hunden bestattet werden - diesen Wunsch sollte ihm erst nach der Wende 1990 Helmut Kohl erfüllen und immer noch finden sich auf seinem Grab Kartoffeln der dankbaren Märker, die ihren großen König in Ehren halten.
Kartoffeln übrigens weil Friedrich gegen großen Widerstand erst die Kartoffel erfolgreich in seinen Ländern einführte. Zu Friedrich gibt es noch viele Geschichten und Anekdoten, die gut zeigen, was das alte Preußen ausmachte und in Potsdam wird dieses Kulturpreußen auch noch an vielen Orten sichtbar, ist dieses einst preußische Arkadien nahe dem Wasser gebaut noch wunderbar präsent.
Friedrich baute viel in Berlin, auch wenn er ungern da war, außer in der Oper, die er auch bauen ließ. Genau wie das Forum Fridericianum und dem Gendarmenmarkt. Das Schloss in dem seine Mutter lebte, die er lieber als seine Frau Elisabeth Christine besuchte, war Monbijou gegenüber der Museumsinsel gelegen und ist heute leider verschwunden. Die schlecht behandelte Ehefrau lebte im Sommer, während ihr Gatte, den sie so selten sah, in Sanssouci war, in Schloß Schönhausen inmitten des heutigen Pankow und vermutlich war es damals dort ähnlich spannend wie heute, nichts zumindest was den regen Geist Friedrich reizte. Im Winter lebte die Königin im Stadtschloss in Berlin, manchmal kam Fritz zu Besuch, wenn er in die Oper ging, sie war angeblich immer sehr angetan und freundlich, voller Liebe, er ertrug es, allerdings nicht unbedingt zartfühlend und höflich.
König von Preußen und damit die Mark plötzlich Teil des Königreich wurde Fritz mit der ersten polnischen Teilung, die Katharina die Große, Maria Theresia und er im Einvernehmen aushandelten. Alle drei Staaten schnitten sich an ihren Grenzen ein erstes Stück vom polnischen Braten ab und bei Preußen führte dies dazu, dass die Landverbindung zwischen der Mark und Ostpreußen geschlossen wurde und damit eben Friedrich sich König von Preußen nennen konnte. Neben dem König von Böhmen war er damit der zweite König im Deutschen Reich, das wenige Jahre später nach den Siegen Napoleons dann mit dem Reichsdeputationshauptschluss endgültig untergehen sollte. Vielleicht ist dies schon eine Art Vorspiel des baldigen Untergangs, der aber noch eine Revolution in Frankreich und den genialen Korsen als Sieger brauchte.
Zum 300. Geburtstag Friedrichs 2012 gab es in Potsdam und Berlin die große Friedrisiko Ausstellung, die ich mit meinem lieben Freund M besuchte, der von beiden Seiten her mit vielen die Preußens Größe ausmachten, verwandt ist. Fünf Stunden liefen wir durch das frisch sanierte Neue Palais und ich erfuhr neben der großartigen Ausstellung noch manche interne Anekdote aus der Familie und fühlte mich der Geschichte der Preußen auch persönlich plötzlich wieder sehr innig verbunden. Später beim Abendessen auf der Terrasse im Haus seiner Eltern trug sein ebenfalls enzyklopädisch gebildetet Vater noch einiges dazu bei, wenn wir auch, zugegeben eines, lustvollen Spaziergangs durch den Park von Sanssouci wegen, leider unhöflich einiges zu spät kamen. Der vielfältige Fritz wurde so wieder sehr lebendig und ich war glücklich die gelebte preußische Geschichte so nah erleben zu dürfen, weil Geschichte eben immer erst durch die Personen, die in ihr handeln, Flügel bekommt und zwischen den Zeiten schweben lässt.
Auf den einerseits musischen und andererseits auch asketischen, soldatisch genialen Friedrich folgte, nachdem dieser im hohen Alter gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch vor der französischen Revolution verstarb dessen Neffe Friedrich Wilhelm II. - genannt der Dicke. Dieser auch sehr kulturbeflissene Monarch, der seiner Geliebten, der berühmten Wilhelmine von Encke wegen verschrien war, bewegte viel für Preußen und schuf die Voraussetzungen für den Aufstieg nach dem Untergang. Er wird häufig unterschätzt, weil er mit seiner etwas verrückten Neigung zum Spirituellen und dem prächtigen Grabmal seines unehelichen Sohnes, des Grafen von der Mark, als eher oberflächlich galt, holte aber einige der später wichtigsten Köpfe nach Berlin und ließ sie dort groß werden. Er kam auch in die Vergünstigung zweier weiterer polnischer Teilungen und erweiterte damit das preußische Staatsgebiet enorm. Er regierte jedoch nur 11 Jahre vom Tod Friedrichs II. 1786 bis 1797
Sein Sohn, wiederum Friedrich Wilhelm und als König III. wurde vor allem für seine Frau die einst mecklenburgische Prinzessin Louise berühmt, die im Rahmen der napoleonischen Kriege an einer Lungenentzündung starb, ihm vorher aber noch genug Erben in die Welt setzte. Unter anderem die beiden späteren Könige Friedrich Wilhelm IV und Wilhelm I. - womit wir schon beim vorletzten preußischen König überhaupt angekommen wären bis jetzt.
Nach der Revolution in Frankreich war es bald zum Krieg gekommen, in dem Österreich und Preußen plötzlich verbündet waren. Hier zog euch Sachsen-Weimar an der Seite Preußens in den Krieg, die mit Österreich in der Kanonade von Valmy unterlagen bei der Goethe seinen Herzog begleitete und die berühmten Worte aussprach, dass von dort eine neue Epoche der Weltgeschichte ausgehe. Nach dem folgenden Frieden von Basel hielt sich Preußen erstmal aus allen Auseinandersetzungen mit dem revolutionären Frankreich heraus.
Zwischen 1795 und 1806 profitierte Preußen von einer Politik, die Frankreich unterstützte und wurde so zur faktischen Vormacht im Norden Deutschlands. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erhielt es dann zahlreiche säkularisierte Hochstifte und Bistümer - wie Münster, Hildesheim und Paderborn, sowie weitere Gebiete zur Entschädigung für die verlorenen linksrheinischen Gebiete, die zu dieser Zeit an Frankreich gingen. Dadurch wuchs Preußens Fläche um 3% und seine Einwohner sogar um 5%. Kurzfristig besetzte es sogar das mit Großbritannien verbundene Kurfürstentum Hannover.
Schon 1806 aber scheiterten die Verhandlungen mit Frankreich über die weitere Aufteilung Deutschlands und in der Schlacht von Jena und Auerstedt, erlitt Preußen eine vernichtende Niederlage in deren Vorgeplänkel auch der berühmte Prinz Louis Ferdinand ums Leben kam, der auch der Geliebte von Prinzessin Charlotte, der Schwester der berühmten Königin Louise war. In dem folgenden Frieden von Tilsit, den Napoleon und Friedrich Wilhelm III. in Tilsit auf einem Floß aushandelten verlor Preußen trotz Louises vorheriger flehentlicher Bitte beim französischen Eroberer im Gespräch mit Napoleon fast die Hälfte seiner Gebiete - musste die durch die zweite und dritte polnische Teilung gewonnenen Gebiete abgeben und alle Länder westlich der Elbe. Zugleich musste es hohe Kontributionen zahlen und fremde französische Truppen verpflegen, wurde zum quasi Pufferstaat zwischen Frankreich und Russland.
Nach der als schmachvoll für Preußen empfundenen Niederlage begann unter Friedrich Wilhelm III. ein Erneuerungsprozess, der vor allem durch die Reformer vom Stein und Scharnhorst geprägt war. Später musste der geniale Stein auf Druck Napoleons durch den eher Lebemann Hardenberg ersetzt werden, der aber den von Stein gewiesenen Weg weiterging. Es begann 1807 mit der Bauernbefreiung, durch welche die Leibeigenschaft in Preußen aufgehoben wurde. Es folgten sehr bald 1808 die kommunale Selbstverwaltung und 1810 die Gewerbefreiheit. Der vorher Botschafter in Rom Wilhelm von Humboldt gestaltete das Bildungswesen völlig neu und gründete 1809 die erste Berliner Universität, die heute seinen Namen trägt. Die Reform des Heeres durch Scharnhorst wurde 1813 dann durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht abgeschlossen.
Ganz wunderbar beschreibt diese großen Veränderungen Günther de Bruyn, auch er wieder ein großer preußischer Schriftsteller mit hugenottischen Vorfahren, in seinen beiden Büchern Als Poesie gut und In Zeiten schwerer Not, welche die Phase von 1786 bis 1815 beschreiben und viele Geschichten zu den handelnden Personen nebenbei erzählen und die jedem, den das Thema weiter interessiert, dringend empfohlen sein.
Auch wenn Preußen noch mit Napoleon 1812 gegen Russland ziehen musste, hatten die Reformen die Grundlage dafür gelegt, dass Preußen später zum Sieger der Völkerschlacht bei Leipzig wurde, die Napoleons Rückzug erstmals erzwang.
Während des Russlandfeldzuges schloss der preußische Generalleutnant Graf Yorck, der Begründer des Geschlechts der Yorck von Wartenburgs, mit denen der Freund, mit dem ich bei Friederisiko war, auch verwandt ist, der nach vorheriger Degradierung und Festungshaft noch unter Friedrich dem Großen bei dessen Neffen eine steile Karriere machte, am 30. Dezember 1812 mit dem in russischen Diensten stehenden General Hans von Diebitsch die Konvention von Tauroggen, die ein faktisches Bündnis mit Russland bedeutete. Dies geschah ohne Wissen seines Königs, der noch zwischen Treue zu Frankreich und Widerstand schwankte und sogar zunächst gegen dessen Willen, hätte zu ernsten Konsequenzen führen können, die Yorck vom richtigen Weg überzeugt als persönliches Risiko bewusst riskierte.
Dieser Ungehorsam zum Wohle der Sache, eine Art gerechter Widerstandsgeist auch auf höchster militärischer Ebene, steht für etwas, was den preußischen Geist entscheidend ausmacht. Auch zu Friedrichs Zeiten widerstand trotz folgender Degradierung ein General dem Befehl des Königs, den er als unehrenhaft empfand und diese Geschichte wurde dann auch als Ausdruck von Ehre auf seinem Grabstein vermerkt. Er zeigte sich auch bei den Offizieren der Wehrmacht um das Attentat vom 20. Juli 1944, das auch eine viel längere Vorgeschichte insbesondere um Henning von Tresckow hatte, aber auch im Kreisauer Kreis, dessen Kopf Helmuth James von Moltke, ein Nachfahr des Großen Feldmarschalls mit Peter Yorck von Wartenburg, einem Nachfahren des obigen Generals, der den Wechsel der Koalition eigenmächtig beschloss, aber ein Attentat zur Vermeidung einer künftigen Dolchstoßlegende ablehnte.
Preußen ist also nicht nur der Kadavergehorsam als den die Alliierten es verurteilten und für die der Vernichtungsfeldzug im Osten und der Holocaust die erschreckendsten Beispiele sind, welche die unmenschlichen Ideen des Österreichers umsetzten, sondern Preußen steht auch für bewussten Widerstand und Reformen zur Freiheit, was nach 1945 gerne und lange ausgeblendet wurde, weil es nicht in das Bild der Zeit passte.
Als sich der unschlüssige und immer trauernde Witwer seiner geliebten Louise Friedrich Wilhelm III. endlich im März 1813 in dem in der Schlesischen privilegierten Zeitung gedruckten Aufruf ‘An mein Volk’ endlich zum Widerstand entschloss, war die Stimmung längst gegen Napoleon gekippt. Unter Blücher und Gneisenau gelang in der Völkerschlacht bei Leipzig dann der entscheidende Sieg gegen Napoleon, der bei Waterloo noch bestätigt wurde, als ein Brite noch hoffte, dass es Nacht wird und die Preußen kommen, wie verbürgt dies angebliche Zitat von Wellington auch immer sein mag.
Auf dem 1815 folgenden Wiener Kongress, der auch bekannt dafür ist, dass er gerne tanzte, erhielt Preußen den Großteil seines seit 1807 bestehenden Staatsgebietes zurück. Neu hinzu kamen noch das ehemals schwedische Vorpommern, Teile des nördlichen Sachsens, Westfalen und die Rheinprovinz, die mit mächtigen Festungen etwa in Koblenz gesichert wurden.
Der König hatte dem Volk vor den Befreiungskriegen das Versprechen einer Verfassung und liberaler Reformen gegeben, die viele zur begeisterten Teilnahme motivierten, aber danach nie eingelöst wurden. So wuchs auch im angeblich immer gehorsamen preußischen Volk der Widerstandsgeist, da auch, anders als in den meisten anderen deutschen Staaten, keine Volksvertretung geschaffen wurde.
Um die Demokratiebewegung in ganz Europa weiter zu unterdrücken war die Heilige Allianz gegründet worden vom Preußen, Russland und Österreich. Dieser zunächst erfolgreichen reaktionären Bewegung standen jedoch starke ökonomische Zwänge entgegen. Preußen hatte aufgrund der Zweiteilung seines Staatsgebietes ein starkes persönliches Interesse an der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands, da das Deutsche Reich ja seit 1803 de facto nicht mehr bestand. So wurde es zu einer der treibenden Kräfte des deutschen Zollvereins, dem es 1834 selbst beitrat.
Mit dem Erfolg des Zollvereins wurde Preußen für viele zur Macht der Zukunft, die Österreich ablösen und Deutschland wieder einen sollte, dass es nach Napoleon so nicht mehr gab. Diese Hoffnung wollte die preußische Regierung jedoch nicht erfüllen. Auch der Regierungsantritt von Friedrich Wilhelm IV. erfüllte die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht, auch er verweigerte liberale Reformen, stand nur im Konflikt mit den preußischen Landtag, da er für die vom Militär geforderte Eisenbahn im Osten große Geldmittel brauchte. Der Landtag forderte neben dem Etatbewilligungsrecht auch eine Kontrolle der Staatsfinanzen, warum der König ihn bald wieder auflösen ließ, was jedoch verdeutlicht, Preußen stand schon vor den Ereignissen des revolutionären Jahres 1848 vor einem internen Verfassungskonflikt und es ging natürlich ums Geld fürs Militär, woran heutige Beobachter erkennen, viele Ding ändern sich nie.
Die revolutionäre Bewegung, die 1848 ganz Europa erfasste, erreichte am 18. März des Jahres auch Preußen. Nachdem der König zunächst auf die Aufständischen hatte schießen lassen mit zahlreichen Opfern, suchte er einen Kompromiss. Den Friedhof der Märzgefallenen im Berliner Friedrichshain gibt es immer noch und es ist eine Schande für alle demokratischen Parteien, dass die Nachfolgeorganisation der totalitären SED, die sogenannte Linke, immer noch das Gedenken dort fast alleine bestreitet und für ihre Zwecke instrumentalisieren kann, statt dass sich die Bundesrepublik stolz zu ihren demokratischen Vorgängern und ihrer Geschichte bekennt. Auch die Diktatur der SED in der DDR wurde durch eine bürgerliche Volksbewegung im vermeintlichen Arbeiter und Bauern Staat beseitigt, warum es eine noch traurigere Ironie der Geschichte ist, wenn die Erben der Mauerbauer eine Freiheitsbewegung für sich beanspruchen, doch scheint die Sensibilität für demokratische Prozesse in Deutschland nicht besonders ausgeprägt und die SPD legt sich lieber, um der Macht willen, mit der Linken ins Bett, statt die Freiheit laut zu verteidigen.
Der Aufstand in Berlin wurde teilweise niedergeschlagen, erfolgreich und unbesiegt, neben einigen Aufständen in den Außenbezirken blieb jedoch allein die Barrikade am heutigen Alexanderplatz, die etwa auf der Höhe des heutigen Alexa Konsumtempels die Straße zum Schloss blockierte. Diese lag direkt an der Apotheke in der zu dieser Zeit der gerade aus Leipzig in die Stadt gezogene junge Apotheker Theodor Fontane arbeitete. Er hatte schon einige revolutionäre Wandzeitungen mitverfasst und gehört zu den Kämpfern der ersten Stunde. Genau wie der berühmte Arzt Virchow, der um die Barrikade nahe der Charité verteidigte. Fontane tauchte danach einige Zeit bei den Nonnen unter und Virchow ließ sich nach Erlangen abwerben - erst später kaufte Berlin sein Genie mit teuren Versprechungen zurück. Zu den Kreisen der freien Geister, die sich im Tunnel an der Spree trafen, gehörten auch Gutzkow und der Maler Menzel, der allerdings am 18. März noch nicht in Berlin war, sondern erst einige Tage später aus Hamburg zurückkehrte, wo in der Gemäldegalerie heute noch sein Bild von der Aufbahrung der Märzgefallenen am Gendarmenmarkt hängt.
Die Revolution setzte ein Parlament durch, die Preußische Nationalversammlung, die in der Singakademie tagte, jener berühmten bürgerlichen Einrichtung, die hinter der Neuen Wache Unter den Linden ein wenig nach hinten versetzt liegt. Sie heißt heute, noch vom russischen Geist des Sozialismus geprägt Gorki Theater, weil der primitive Sozialismus der DDR mit einer bürgerlichen Singakademie und ihrer revolutionären Tradition nicht viel anfangen konnte. Später kam die Nationalversammlung in das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, als die Reaktion schon wieder erstarkte.
Einer der konservativen Reaktionäre gegen den Aufstand der Bürger war der ostelbische Junker Bismarck, der zum Kreis um den jüngeren Bruder des kinderlosen Königs und damit Kronprinzen Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm I, gehörte und der den Namen Kartätschenprinz trug, weil er dies ganze revolutionäre Gesocks niederkartätschen wollte, also eine harte militärische Lösung bevorzugt hätte.
Die Verfassung wurde dann doch nicht so eingeführt wie von der Nationalversammlung gefordert, stattdessen wurde eine solche oktroyiert, die ein Dreiklassenwahlrecht schuf, das Preußen bis 1918 prägen sollte. Während dieser Zeit tagte die Frankfurter Nationalversammlung in der dortigen Paulskirche, die Friedrich Wilhelm die Kaiserkrone für die kleindeutsche Lösung eines Nationalstaates ohne Österreich antrug, die dieser jedoch ablehnte, da sie mit dem Sudelgeruch der Revolution behaftet sei und er andere Pläne mit der Kamarilla um Bismarck bereits verfolgte. Österreich hatte trotz des zwischenzeitlich Sturzes von Metternich die Teilnahme am Deutschen Reich verweigert, da es dabei auf seine nicht deutschsprachigen Gebiete hätte verzichten sollen.
In der nun folgenden Ära der Reaktion, in der die Fürsten ihre absolute Macht wiedererlangen wollten, auch wenn die Zeit dafür längst Geschichte war, arbeiteten Preußen und Österreich wieder eng auf der Basis des Deutschen Bundes zusammen. Ab 1861 bestieg schließlich Wilhelm I. den preußischen Thron, stritt sich lang mit dem Parlament um die Finanzierung einer Heeresreform unter seinem Kriegsminister Roon herum und erwog zeitweise sogar wieder den raschen Rücktritt, setzte dann aber als letztes Mittel den schon bekannten Bismarck als preußischen Ministerpräsidenten ein, mit dessen Aufstieg sich die Welt verändern sollte.
Der teilweise cholerische Machtmensch, der mit Heul- und Wutanfällen, Rückzugsdrohungen und ähnlichen Erpressungen mehr, seine Vorstellungen von Politik durchsetzte, gilt als eine der politisch prägendsten Gestalten Deutschlands im 19. Jahrhundert. Bismarck befürwortete den königlichen Alleinherrschaftsanspruch und regierte jahrelang gegen Verfassung und Parlament, ohne jeden gesetzlichen Haushalt allein mit der Macht seiner Person.
Erstes Zeichen für die neue Politik wurde der deutsch-dänische Krieg von 1864, bei dem es zunächst um das Herzogtum Schleswig nur ging, das Dänemark stärker integrieren wollte. An der Düppeler Schanze wurde noch von Österreichern und Preußen gemeinsam ein Sieg erfochten, der Dänemark später im Frieden von Wien zur Abtretung der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg zwang, die nun von Preußen und Österreich zunächst gemeinsam verwaltet wurden.
Über die Verwaltung zerstritten sich Österreich und Preußen jedoch bald und Bismarck überredete den zunächst noch zögerlichen Wilhelm I. zur kriegerischen Lösung. Am 3. Juli 1866 errang Preußens Armee in der Schlacht bei Königgrätz unter General Helmuth von Moltke den entscheidenden Sieg über Österreich. Im Prager Frieden konnte Bismarck seine Vorstellungen durchsetzen, die Österreicher mussten der Auflösung des Deutschen Bundes zustimmen. Auf Wunsch Bismarcks und entgegen der Vorstellungen Wilhelms I. blieb Österreich damals jedoch territorial völlig unangetastet, um so ein späteres Bündnis leichter zu ermöglichen.
Den Sieg hat der spätere große Feldmarschall durch auch zwei entscheidende Vorteile errungen, zum einen hatte er, seinem Wahlspruch gemäß, getrennt marschieren, vereint schlagen, die neuen Eisenbahne Netze genutzt, die Truppenn in ungeahnter Geschwindigkeit zum jeweiligen Schlachtfeld zu transportieren, zum anderen hatten die Preußen neu Hinterlader, die sich auch im Liegen und wesentlich schneller neu laden ließen, während die Österreicher auf der anderen Seite noch aufstehen mussten, um ihre Gewehre mit Kugel und Pulver zu stopfen. So kam der Spruch, so schnell schießen die Preußen doch nicht in die Welt und wurde zugleich widerlegt, sie schossen schneller als alle bisher und nutzten diesen Vorteil militärisch aus.
Preußen gründete nun den Norddeutschen Bund und verleibte sich die bereits im Krieg besetzten Gebiete wie Hannover, Nassau, die freie Stadt Frankfurt und Hessen-Kassel einfach ein und übernahm fast ganz Schleswig Holstein, was für spätere Marine Strategien von großer Bedeutung sein sollte.
Der große Taktiker Bismarck gestand dem preußischen Landtag neue Rechte zu, ließ sich aber gleichzeitig Straffreiheit für seine vorigen Rechtsbrüche garantieren. Dafür suchte er nun den Konflikt mit Frankreich, dass er vorher mit Versprechungen auf Luxemburg zum Stillhalten im Deutschen Krieg gebracht hatte. Dazu wurde ein katholischer Hohenzollern-Sigmaringen Prinz als Thronfolger in Spanien vorgeschlagen, was den Krieg mit Frankreich provozierte, den Bismarck wollte, nachdem er die süddeutschen Staaten mit Bündnisse alle an sich gebunden hatte.
Auslöser des Streits war die Emser Depesche vom 13. Juli 1870, mit deren Veröffentlichung Bismarck eine Frankreich provozierende Erklärung zur Thronfolge in Spanien in Umlauf brachte, die dort am Nationalfeiertag durch Bismarcks vorige Presseerklärung publik wurde und damit wie von Bismarck gewünscht die Kriegserklärung Frankreichs auslöste. Der Sieg wurde rasch errungen, Napoleon III. musste zurücktreten und am 18. Januar 1871 wurde Wilhelm I. im Spiegelsaal von Versaille zum Kaiser von Deutschland ausgerufen. Militärisch hatten diesen Sieg wieder Moltke und die schnellen überlegenen Truppen durchgesetzt.
Das deutsche Reich unter Preußens Führung, dessen Ministerpräsident bis auf zwei kurze Ausnahmen immer auch der Reichskanzler wurde, bestand bis 1918 und begleitete einen enormen Aufschwung in der Industrialisierung.
Weil er nach außen hin alles, was er wollte, erreicht hatte, eigentlich Elsass-Lothringen sogar überflüssig und lästig fand, wandte sich Bismarck nun dem inneren Kulturkampf zu, in dem er bis 1887 die Auseinandersetzung mit den Katholiken suchte und versuchte die Macht der Kirche vor allem in der Rheinprovinz zurück zu drängen. Einen Erfolg oder gar Sieg gegen den Aberglauben errang er dabei nicht.
Auf Wilhelm I. folgte für 99 Tage dessen schon schwerkranker Sohn Friedrich III., der dann am Kehlkopfkrebs verstarb und von seinem behinderten und auch sonst nicht sonderlich hellen Sohn Wilhelm II. beerbt wurde, der Deutschland 1914 in die absehbare Katastrophe stürzte, die zum Untergang des Kaiserreichs führte und endlich der Demokratie die Schranken öffnete.
Wilhelm II. entließ Bismarck 1890 und bestimmte die Politik von da an weitgehend selbst, sorgte für viele peinliche Auftritte Deutschlands in der Welt und stärkte den Ruf der Nation als dumme Besserwisser ohne Geschmack und Stil. Seine architektonischen Hinterlassenschaften wie der grauenvolle Berliner Dom oder die protzige Kuppel auf dem eleganten Schlossbau verschandelten den Stil der Insel, standen für das neue Deutschland, dass wieder jemand sein wollte in der Welt und genau so endete.
Wer sich dazu eine Meinung bilden möchte und noch andere kenntnisreichere Menschen als den Verfasser dieser Zeilen lesen möchte, dem seien Harry Graf Kesslers Tagebücher oder Franz Hessels Beschreibungen der Stadt aus Blick eines Flaneurs empfohlen. Wilhelm war ahnungslos, protzig, großmäulig, um seine Schüchternheit und seine Behinderung zu verstecken und dabei noch in einer Weise peinlich, die selten wieder erreicht wurde. Erinnert sei auch an dessen antisemitische Äußerungen zum Problem der “Judenfrage”, in der ein schon abgedankter Kaiser aus dem holländischen Exil meinte, es bräuchte dafür wohl Gas.
Der späte Wilhelminismus mit seiner imperiale Attitüde, aufgebaut auf Großmäuligkeit ohne Vision hatte zwar noch mehr Tradition als der peinliche Österreicher einige Jahre später, für das was Preußen wertvoll machte und dessen Bild in der Welt war er ähnlich katastrophal. Auf diesen Kaiser leistete mein Großvater seinen Eid als Kadett und wenn auch das Land seit 1914 weitgehend von der Obersten Heeresleitung unter Ludendorff und Hindenburg in dem bestialischen Schlachten des Krieges regiert wurde, war der Kaiser noch das Gesicht vorne, das sich dann 1918 einfach feige nach Holland absetzte und damit sich selbst zumindest treu blieb. Nicht mal seine Abdankung als Kaiser und König hat dieser unentschlossene Versager selbst verkündet sondern sie sich noch von seinem gerade Reichskanzler Max von Baden ohne Willen vorsetzen lassen und sich dann verdrückt.
Preußen wurde mit dem Ende des Kaiserreichs zum Freistaat proklamiert und erhielt 1920 erstmals eine demokratische Verfassung nachdem der Versuch von 1848 unterdrückt worden war. Durch den Versailler Vertrag wurde das ehemalige Preußen zu Gebietsabretungen gezwungen. Zuwachs erhielt es nur durch den Freistaat Waldeck um Pyrmont, der sich Preußen anschloss. Ministerpräsident im Freistaat Preußen wurde von 1921-1932 der Ostpreuße Otto Braun, ein Sozialdemokrat, der sich in vielem um das Land verdient gemacht hat und als einer der fähigsten Sozialdemokraten überhaupt vielleicht noch neben Helmut Schmidt gilt. Viele der Reformen Brauns, wie etwa das konstruktive Mißtrauensvotum wurden für die spätere Bundesrepublik beispielgebend. Abgesetzt wurde Braun erst als die radikalen Kräfte von rechts und links, KPD und NSDAP eine Mehrheit im Parlament hatten und er keine eigene Koalition mehr gegen sie bilden konnte, der Reichskanzler Franz von Papen ihn im Preußenschlag absetzte und damit der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 den Boden bereitete, die über den Krieg in den endgültigen Untergang des Staates Preußen führte.
Hitler setzte Göring als Reichskommissar für das Innenministerium in Preußen ein und hatte damit die gesamte exekutive Gewalt der preußischen Landesregierung auf seiner Seite. Am 21. März veranstaltete der Österreicher Hitler mit Hindenburg den Tag von Potsdam in der der dortigen Garnisonskirche, der Grabstätte der preußischen Könige und stellte sich damit in die preußische Tradition, der er sich scheinbar als erster Diener des Staates unterwarf, den er in Wirklichkeit mit seiner primitiven populistischen Ideologie ohne Geist übernehmen wollte. Die Reichsregierung unter Hitler schuf durch Gleichschaltungsgesetze ab 1933 den nationalsozialistischen Einheitsstaat und damit die Länder faktisch ab. Preußen wurde Geschichte, die nur zu Propagandazwecken noch reanimiert wurde, auch wenn die Blut und Boden Ideologie des österreichischen Postkartenmalers nie etwas mit Preußen zu tun hatte, sorgte sie für dessen Untergang.
Als erste Handlung nach Kriegsende beschlossen die Alliierten das Ende der preußischen Geschichte und die Auflösung dieses Staates, wörtlich heißt es dort:
„Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört. Geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker und erfüllt von dem Wunsche, die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage zu sichern, erlässt der Kontrollrat das folgende Gesetz:
Artikel 1
Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst.“
– Alliierter Kontrollrat am 25. Februar 1947
Es gibt noch bis heute die Erben der kulturellen Tradition Preußens wie etwa die Stiftung preußischer Kulturbesitz. Die Nachfahren des letzten peinlichen Kaisers leben zum größten Teil im Land, spielen jedoch politisch keine Rolle mehr, werden gelegentlich zu Gedenkveranstaltungen geladen wie jüngst auch Prinz Georg Friedrich, der derzeitige Chef des Hauses Preußen, der sich nach langen auch familieninternen Prozessen gegen seine Onkel auch juristisch dem Wunsch seines Großvaters Louis Ferdinand entsprechend durchsetzte und den ich nur ein wenig von der Beerdigung seiner Tante Kira kenne, der Mutter meiner lieben Freundin M, die inzwischen eine Bismarck wurde und die ich mit meiner Tochter eins im Sandkasten am Wasserturm in Prenzlauer Berg kennenlernte, wo wir irgendwann zufällig bemerkten, dass schon unsere Großmütter befreundet waren. So ist Preußen und seine Geschichte manchmal gegenwärtig, ohne dass wir es ahnen.
Kleine lächelnde Nachbemerkung zu diesem schnellen Ritt durch die preußische Geschichte, der vielleicht auf das aufmerksam machen soll, was von dem, was Preußen einmal bedeutete, erhaltenswert ist, sei - als ich auf der Hochzeit einer befreundeten preußischen Prinzessin mit einem Bismarck eingeladen wurde und als gewöhnlicher Bürgerlicher natürlich nicht den passenden Cut im Schrank hatte, konnte ich mir diesen von meinem Freund, einem Nachfahren des Feldmarschalls, leihen, womit Moltke, Bismarck und Preußen wieder in der kleinen Kirche ohne jede historische Bedeutung lediglich privat und familiär beisammen waren. So ist Preußen manchmal an seltsamen Orten lebendig. Ohne jede historische Bedeutung aber gut für die Haltung.
jens tuengerthal 6.3.2017
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