Sonntag, 26. März 2017

Berlinleben 031

Flohmarktwetter

Die Sonne scheint, der Himmel ist ziemlich blau und es ist Sonntag -  die einen fahren nun ins Grüne, um sich an sprießender Natur zu berauschen, die anderen versammeln sich auf Flohmärkten, nur für was, könnte fraglich sein, denn warum wer dort entlang schlendert, was die Menschen suchen, bleibt meist völlig ungewiss.

Es gibt hier eigentlich alles irgendwie, du musst nur den richtigen Flohmarkt finden, von denen es jeden Sonntag eine Vielzahl in den verschiedenen Bezirken Berlins auch als feste Einrichtung gibt. Daneben noch die kleineren Kiez-Flohmärkte manchmal regelmäßig oder zufällig nach Ereignissen, wer sucht, der findet irgendwo immer einen. Umgekehrt ist es nach meiner Erfahrung beim Einkauf auf dem Flohmarkt. Gehe ich mit zufällig mal Geld in den Taschen auf einen solchen, um mir etwas bestimmtes zu kaufen, kann ich schon fast sicher sein, ohne zurückzukommen, es sei denn es soll ein Fahrrad sein, die findest du immer, wenn auch teils sehr unsicherer Herkunft und mit unklaren Eigentumsverhältnissen.

Schönste Funde aber machte ich immer wieder, wenn ich völlig ziellos dort umherstreifte, eher zufällig schaute, was sich fand und über solche Funde dann um so glücklicher war. Es lohnt nicht auf den Flohmarkt zu gehen, um sich dieses oder jenes anzuschaffen, nach meiner Erfahrung - dann bezahlst du meist zuviel, hast nicht die Gelassenheit des Flaneurs, der zufällig findet aber auch wieder weglegen kann. Zumindest ich zeige es wohl so deutlich, dass Händler, wenn ich suche, gleich einen utopischen Preis nennen, was dann zu nervigen Verhandlungen führt oder mich die Sache wieder aufgeben lässt, die ich eigentlich wollte. Denke ich an meine Erstausgabe von Nansens ‘In Nacht und Eis’, über die ich in einer Wühlkiste stolperte und die ich für nicht mal ein hundertstel des erwarteten Preises erstand, als der Händler schon am Einpacken war und des drohenden Regens wegen dringend weg wollte.

Zwei Flohmärkte habe ich in Fußnähe erreichbar jeden Sonntag. Den großen im Mauerpark und den kleineren aber feineren am Arkonaplatz. Alle paar Wochen gibt es noch den Kinder- und Familienflohmarkt hier am Helmholtzplatz, der um das Café Kiezkind herum den Muttis und Vatis erlaubt die Dinge ihrer Kinder günstig weiterzugeben, wenn diese rausgewachsen oder sonst erledigt sind. Habe im Mauerpark auch schon schöne Fahrräder gefunden und andere Schätze - meist jedoch nur, wenn ich ziellos dort flanierte, nichts suchte, den Tag genoss und zufällig fand, was dann auch noch irgendwie bezahlbar war.

Manche Händler sind Profis und ihre Preise sind meist relativ realistisch, lassen aber wenig Raum zum Handeln, was das Glücksgefühl des Flohmarktkäufers natürlich etwas mindert. Dann ist es wie zum Trödler gehen oder in einen Antiquitätenladen. Dafür bist du dir hinsichtlich der Herkunft und der Eigentumsverhältnisse meist relativ sicher. Auf dem kleineren Flohmarkt am Arkonaplatz und an den hinteren Enden des großen Marktes  im Mauerpark, bei denen der Besucher schnell den Überblick im Gewirr der Gassen verlieren kann, wenn nicht die eigene Orientierung überragend ist, finden sich die wechselnden Stände privater Anbieter, die oft einfach altes Zeugs los werden wollen, was wiederum den Kunden die Chance bietet für nahezu nichts großartiges zu finden.

Es tummelt sich besonders im unübersichtlichen Mauerpark, bei dem es sich teilweise sehr dicht drängelt, auch allerlei zwielichtiges Gesindel, mit dem ich auf den ersten Blick weder handeln wollte, noch sonst sie gerne in meiner Nähe sehe und sobald ich diese auftauchen sehen, passe ich noch genauer auf meine Sachen auf, warum das einfach träumen und sich treiben lassen, dort wohl etwas naiv wäre - auch überall Hinweisschilder, die vor Taschendieben warnen, holen die Träumer zurück in die Realität der Großstadt. Hier wird eben auch betrogen, gedealt, gestohlen, wenn nötig auch mal eben geraubt. Allerdings habe ich zwar einige mal schon Geschrei gehört und jeder kennt eine solche Geschichte irgendwie, doch selbst hat es mich nie betroffen und ich weiß nicht, ob es eher daran lag, dass ich dort meist, gerade wo es sich drängt, um so vorsichtiger bin oder weil es eben doch nicht alltäglich sondern die Ausnahme ist.

Ansonsten ist die Flohmarktwelt eine große Familie, viele die hierher kommen, kennen sich ewig, plauschen über die Stände hinweg oder mit den Kunden und der Basar dort ist eben auch eine Familienfeier, die selbst für Ordnung sorgt, wenn sich mal einer daneben benimmt oder nicht an die Spielregeln hält. Von selbstgemachter Marmelade bis zu maßgeschneiderten Schuhen aus vielleicht dritter Hand, von modernster Elektronik  ungewisser Herkunft bis zu höchsten Orden der Volksarmee oder russischen Fellmützen und zwischendurch echte Kunst oder großartige Bücher findet sich hier alles. Immer wieder auch Stände mit teils orientalischen Gerichten, die exotische Düfte verströmen oder der Rauch der schlichten Berliner Bratwurst, die im Brötchen serviert wird, geben eine eigene Atmosphäre auf diesen Märkten zwischen Trödel und Antiquitäten, die alles haben, was wir uns dort nur träumen können, nur selten das, wovon wir gerade ganz konkret träumen.

Für Kenner und Kunstfreunde sind auch die Flohmärkte am 17. Juni und Am Kupfergraben sehr zu empfehlen. Ersterer an der lange Straße, die aus dem tiefen Westen zum Brandenburger Tor führt und an deren Ende gegenüber der TU, sich der sehr professionelle Kunstflohmarkt befindet, über den ich relativ wenig sagen kann, als dass er auch sichtbar diese familiäre Atmosphäre hat, sich viele seit vermutlich Generationen von dort kennen und der Handel nicht immer der Hauptzweck dieser Begegnungen das ganze Jahr hindurch ist. Der Markt gegenüber der Museumsinsel zieht natürlich viele Touristen an, hat darum bei den meisten Sachen oft eher utopische Preise, außer bei Büchern, die in Berlin lieber kiloweise als Deko Material gehandelt werden, wie es mir manchmal scheint. Dort fand ich den Nansen, wunderbare Schätze an Kunstbüchern für meinen Vater zu Preisen, die in anderen Städten nicht mal das frechste Angebot dreister Käufer wären. Auch die wunderbare Insel Bibliothek findet sich dort kistenweise teilweise zu Cent Preisen und darum gehe ich seltener dort hin, als ich von der Leidenschaft her würde, um nicht zu unsinnig verführt zu werden.

Es haben diese Flohmärkte eine ganz eigene Atmosphäre und vermitteln ein Gefühl zwischen den Welten zu stehen. Der Kunde wird oft auch ungewollt Zeuge der ewigen Palaver der Händler untereinander und dann freundlichst und familiär einbezogen, als wären wir alle eine große Familie. Natürlich kommt dann auch mal eine schlimme Geschichte von Dieben oder Räubern, dreisten dummen Touristen, die Sachen kaputt machten und dann noch frech wurden, als sie zahlen sollten - aber der Tenor hat etwas von Volksfest oder dörflichem Jahrmarkt. Die Gemeinschaft kennt sich, wenn sie nicht schon befreundet oder verwandt sind, so stehen sie doch jedes Wochenende teilweise seit Jahren an den gleichen Plätzen und kennen darum auch die Zipperlein und Liebesgeschichten ihrer Nachbarn, wenn sie sich für diese interessieren.

Es gibt die großen Dampflauderer, die hinter ihrem Stand die ganze Welt unterhalten, wie Marktschreier ihre Angebote den Flaneuren nahelegen. Oft sind sie auch von der Physiognomie als solche erkennbar und neigen vermutlich nicht nur gelegentlich zumindest wenn sie in die Jahre kommen, zu Bluthochdruck. Dann gibt es die geheimnisvollen Flüsterer, die Geheimtipps unter der Hand als großen Vertrauensbeweis weitergeben. Sie weisen Kunden, die sich durch das große Vertrauen ausgezeichnet fühlen, auf die ganz besonderen Stücke im Flüsterton hin. Die gleiche Ware, die ihr Nachbar, der Dampfplauderer kurz vor Schluss noch als großes Schnäppchen verschleudert, geben sie, als wäre es unter Schmerzen, noch als Geheimtipp zum dreifachen Preis weg und beide finden ihre Kunden und meist sind am Ende alle glücklich mit ihrem großartigen Geschäft.

Die einen freuen sich an ihrem Schnäppchen, die anderen am Geheimtipp, den ihnen der Händler voller Vertrauen nahe brachte. Jeder bekommt, was er will und zahlt dafür den Preis, den ihm die Show wert ist. Meine beiden Nansen Bände, für die ich aus der Wühlkiste 10 Euro bezahlte, ich mag es gar nicht sagen, wurden mir beim antiquarischen Stand mit der professionellen Flüsterberatung unter den S-Bahngleisen für 150 Euro als großes Angebot im Vergleich zum ZVAB angeboten, was auch stimmte. Je nach Stimmung und Etat findet hier jeder seinen Preis und die Nachbarschaft der großen Kunstschätze neben Pergamon und Bode Museum macht den Einkauf noch schöner und du stellst dir vor, wie einst Generaldirektor Bode in Italien auf Kunstmärkten handelte, bis er doch Gipsabgüsse bevorzugte.

Alle Flohmärkte haben ihr eigenes Klientel und eigene Händler, jene, die immer da sind, es professionell betreiben und jene, die aus der Nachbarschaft kommen, nur ausnahmsweise mal ihr Zeug verkaufen oder für den eigenen Kinderladen was verdienen wollen mit dem Ramsch, der sonst die Keller füllt. Jedes Ding hat seinen Preis, am Ende wird auch manches verschenkt, auch die abwegigsten Dinge finden erstaunlicherweise manchmal noch Kunden. Über Geschmack sich streiten ist müßig, zumindest zeigen Flohmärkte uns oft erstaunlich intim, wieviel mehr möglich ist als wir uns bisher vorstellen konnten, von der Entgleisung bis zur Erleuchtung. Am schönsten ist das Flanieren paarweise oder mit einem Schatz, um sich mit spontanen Entdeckungen zu überraschen und seit ich mir abgewöhnte, etwas zu wollen, genieße ich das Flanieren dort ausgelassen, am besten ginge ich ohne alles, was für Taschendiebe relevant sein könnte, um mich ganz der Stimmung hinzugeben, was nur den Nachteil hätte, dass sich ganz ohne Geld schlecht kaufen lässt - handeln aber lässt sich noch viel besser und da es immer umme Ecke irgendwie noch ist, wären solche Probleme in dringenden Fällen lösbar. Zumindest hat mich häufiger ohne jedes Geld auf Flohmärkte zu gehen, schon vor manchem spontanen Kauf bewahrt, was allerdings gerade das wunderbare dort ist. So schwebe ich zwischen Wunsch und Gelassenheit immer im Ungewissen etwas dort.

So muss wohl jeder für sich abwägen, warum und wie es dort am schönsten für ihn ist - ob es um den Erwerb von Schnäppchen mit konkretem Ziel geht, was die nervigsten Flohmarktbesuche immer sind, oder das ziellos, lustvolle Flanieren, wie es dem Flaneur geziemt und das nur zufällig findet, was sich ergibt. Wer auf den Flohmarkt wie in ein Kaufhaus oder einen Laden geht, um etwas konkretes zu haben, kann wohl nur enttäuscht werden, es sei denn der Zufall schafft seltene Wunder, denen ich mit solcher Absicht noch nie begegnet bin, ohne sicher zu sein, ob das daran liegt, dass ich zu konventionell bin oder die Absicht der Leidenschaft wie der Liebe nach der Natur schon abträglich ist.

Beim Gefühl und in der Leidenschaft würde ich immer sagen, Absicht und Erwartung sind tödlich, am schönsten wird, was sich zufällig ergibt. Wenn ich mal Einkaufen gehe, folge ich dagegen relativ konkreter Absicht mit manchmal auch genauer Erwartung und finde das normal. Will genau das bekommen, was ich mir vorstelle. So war es jedenfalls früher. Seit Jahren kaufe ich nur noch ein, wenn mich irgendeine Frau dazu treibt, was ja manchmal noch vorkam, ansonsten fanden sich die schwarzen Jeans im Supermarkt und der Rest hielt noch irgendwie. Hatte und wollte keine Erwartung haben, wüsste kaum wozu. Damit war ich ziemlich glücklich und freier als je. Die einzige Verführung, der ich immer wieder erlag waren Buchläden und Antiquariate - dort konnte ich regelrecht in einen Shopping-Rausch verfallen.

Es wäre ein leichtes für sehr wenig Geld kiloweise Bücher auf Flohmärkten zu erstehen, darunter sicher auch das eine oder andere Exemplar, das ich dringend brauchte so aus bibliothekarischer Sicht, auch wenn es weniger wurde mit den Jahren. Dennoch suche ich dort, wo es sich so leicht und günstig erfüllen ließe, weniger gern als in Antiquariaten, Buchläden oder online und überlasse die Funde dort völlig dem Zufall, gehe mit so wenig Geld wie nur möglich auf Märkte und betrachte sie inzwischen eher als soziale Ereignisse.

Dies passt auch zum dem Flohmarkt im benachbarten Mauerpark, einem sozialen Biotop besonderer Art, in dem sich Familien, Musiker, Dealer, Obdachlose, Träumer, Verliebte, Touristen mit dem ganzen Rest treffen um einfach da, mit etwas Blick auf die Stadt zumindest von oben, abzuhängen. Viel ist dort sonst nicht. Einige Schaukeln. Eine für Graffiti freigegebene Wand. Ein Spielplatz und etwas Grün, im Winter ein kleiner Abhang zum rodeln. Dennoch wurden um diesen Park wilde Gefechte ausgetragen, als ging es um die Zukunft der Demokratie und Berlins, wäre die teilweise  Bebauung der verwilderten Grünfläche ein Sakrileg, dessen Brechung in den sicheren sozialen und ökologischen Untergang führte, dabei war es zu großen Teilen ein versiffter grüner Hügel mit vielen bekifften Leuten, die dort ungestört ihr Bier trinken wollten. Viel Lärm um Nichts oder ein soziales Biotop, das dringend erhalten werden muss, um das fragile Gleichgewicht der Stadt nicht zu stören?

Denke, es ist eine in Teilen auch asoziale Spaßwiese, die aber einen ganz eigenen Charakter und Wert entwickelt hat. Dort spazieren kann nett sein. Die Konzerte sind lustig, auch die Karaoke im dort Amphitheater und es ist gut, wenn die Überreste des einst autoritären DDR Regimes nun Plattform auch für eine anarchische Bewegung sein können, mehr aber auch nicht. Es teilweise zu bebauen, fände ich nicht schlimm, was tatsächlich aus den Konflikten zwischen nächtlichen Parknutzern und dann Anwohnern würde, wäre amüsant geworden aber dieser Ort ist auch nicht so kulturell wertvoll, dass ich mich je motiviert gefühlt hätte, für seinen Erhalt zu kämpfen und ob es schlechter wäre, wenn er so geordnet wie der Friedrichshain würde, in dem sich immer noch die Liebespaare nachts verlustieren, weiß ich nicht mal, sag es aber nicht zu laut, um mich in den Musikerkreisen hier, die oftmals ihre Karriere dort begannen, nicht zu unbeliebt zu machen.

Der Flohmarkt am Arkonaplatz hat dagegen einen Spielplatz nebenan, der gut zu der friedlichen und ordentlichen, baumumstandenen Atmosphäre dieses Platzes passt. Er eignet sich eher für Verliebte zum Flanieren und ist der ruhigere Ort als die auch wilde Party im Mauerpark oder der teils professionelle  Kunsthandel Am Kupfergraben. In Kreuzberg gibt es auch einige stärker orientalisch geprägte Flohmärkte. Erstand dort mal einen Mantel  und dies und das, bin nur selten da und fand es nicht so überragend, dass ich mich dafür etwa auf den Weg zum Moritzplatz machen würde, wenn doch das gute so nahe liegt.

Die Flohmärkte der Stadt sind so verschieden wie die Menschen in ihr. Wo immer sich Massen drängen, ist eine gewisse Vorsicht geboten, alles andere möge jeder nach seiner gerade Fasson entscheiden - es gibt Tage, da graut mir vor dem Mauerpark und dem benachbarten Flohmarkt dort, den Massen, der Partystimmung, dem Gedränge. Der Spaziergang über den Arkonaplatz ist dagegen immer schön und der Ort bietet zwischen ruhiger, etwas melancholischer Betrachtung der vergänglichen Güter und der Partystimmung junger hipper Mitte-Bewohner alles auf sehr gedrängtem Raum ohne zu viel Gedränge meist. Am Kupfergraben zu flanieren ist besonders, bei gleichzeitigem Besuch der Museen sehr zu empfehlen. Wo sich wer in welcher Flohmarktfamilie wohl fühlt, ist wohl Gefühlssache, es gibt noch manche kleine Nischenmärkte wie den mit dem dortigen Weihnachtsmarkt verbundenen in Lübars, der, da nahezu nur unprofessionelle Händler und Anwohner, manch überraschendes Schnäppchen bietet, in ländlich beschaulicher Umgebung von Pferdeställen umgeben.

In die Flohmarktwelt eintauchen, sich mit den dort eignen Familien anfreunden und das ganze als Happening mehr zu sehen, denn als mit klarem Ziel erhöht die Chancen, dort glücklich und erfolgreich zu sein. Ob ich dies, indem ich nun darüber schreibe im Sinne der contra dictio wieder ad absurdum führe, lasse ich mal offen, möge es jeder für sich feststellen und hoffentlich genießen an einem Sonntag im Frühling.
jens tuengerthal 26.3.2017

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