Bei und mit Berggruen
Es war einmal ein Land, dass vertrieb einen angehenden Journalisten und später auch seine Eltern aus ihrer Heimat, brachte Millionen seines Volkes auf bestialische Weise um, behandelte sie nicht wie Menschen sondern als Vieh und der Mann, der mit bloßem Instinkt zu einem der wichtigsten Kunsthändler und Sammler der klassischen Moderne wurde, eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt sein eigen nannte, verkaufte diese am Ende seines Lebens für einen nur kleinen Bruchteil ihres Wertes an seine Heimatstadt, um seine Erben nicht zu berauben, tat dies als Geste der Versöhnung, schenkte der Stadt, die Hauptstadt dieses Landes inzwischen wieder wurde, noch weitere Kunstwerke und Figuren, wohnte sogar in dem Museum, wenn er in der Stadt bei seinen liebsten Werken war und diese Gunst werden später seine Erben nach seinem Tod noch fortsetzen, obwohl sich die Stadt wie immer lange gewunden hat, ihn überhaupt zu ihrem Ehrenbürger zu machen. Und am Ende hatte die Stadt ein Museum mit der wohl schönsten Sammlung der klassischen Moderne und konnte sie ihr eigen nennen.
Klingt wie ein Märchen?
Ist es auch in vielem fast und doch die wirkliche Geschichte der Sammlung Berggruen und des großen Sammlers und Händlers Heinz Berggruen, der 1914 in Berlin-Wilmersdorf geborene Sohn jüdischer Eltern, erlebte genau das.
Mochte die Sammlung Berggruen vom ersten Besuch an, auch wenn mir der Zugang zur Moderne früher schwer fiel, ich die Alten Meister in der Gemäldegalerie eher schätzte - dort blühte die Begeisterung sofort und als ich dann in Ruhe vor den Meisterwerken flanierend noch eines Tages den Stifter und Namensgeber Heinz Berggruen traf, der ja seine Wohnung in der oberen Etage des Stülerbaus gegenüber dem Schloss Charlottenburg bewohnte, wenn er in Berlin weilte, wurde die Faszination zur Liebe. Was für ein Mann und was für eine Kunstgeschichte.
Doch der Reihe nach, wie kam es dazu und was ging dem voraus, warum ist diese Geste eines großen Menschen ein solch besonderes Glück für Berlin?
Die Nationalsozialisten hatten dem Vertriebenen Berggruen sogar die deutsche Staatsangehörigkeit noch entzogen und dennoch kehrte er 60 Jahre nach seiner Emigration, die 1936 erzwungen wurde, wieder nach Deutschland zurück und zeigte von sich aus, nach einem Gespräch mit dem Direktor der Staatlichen Galerien zu Berlin in London, wo er seine Sammlung gerade ausstellen ließ, eben diese Geste der Versöhnung, indem er seine Sammlung weit unter Preis anbot.
Nach dem Abitur in Wilmersdorf hatte Berggruen an der Humboldt Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte studiert, seine Studien später noch an der Universität in Grenoble und Toulouse fortgesetzt, sein französisch immer weiter verbessert, bis dies zu seiner ersten Sprache wurde. Doch seine Mutter holte ihn, trotz der inzwischen Machtübernahme der Nationalsozialisten zurück nach Deutschland, weil sie glaubte dieser Hilter wäre nur eine kurze Episode, wo er nach seinem Magister ein Volontariat bei der Jüdischen Wochenzeitung begann mit dem Berufsziel Journalist und Schriftsteller. Ab 1935 schrieb er für kurze Zeit auch für die Frankfurter Zeitung, doch durften dort seine Artikel aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht mehr unter seinem Namen erscheinen und wurden nur mit seinen Initialien gekennzeichnet.
Als er 1936 ein einjähriges Stipendium an der Berkeley University erhielt, blieb er in Kalifornien und heiratete dort 1939 Lilian Zellerbach, die Tochter eines Papierfabrikanten. Während dieser Zeit arbeitete er bereits als Kunstkritiker für den San Francisco Chronicle und wurde noch im gleichen Jahr auch Assistent am San Francisco Museum of Modern Art, wo er eine Ausstellung des mexikanischen Malers Diego Rivera vorbereitete und dabei Rivera und dessen Frau Frida Kahlo kennenlernte, mit der er 1940 wohl eine kurze aber heftige Affäre hatte, nach der er, wie er selbst gerne erzählte, eigentlich in jedem Interview gefragt würde.
Weil ich das wusste, fragte ich ihn nicht, während wir eine halbe Stunde plaudernd durch die Räume gingen. Als er dies erfreut am Ende nochmal erfreut feststellte, sagte ich, wenn sie nur halb so leidenschaftlich war, wie sie malte, wird es wunderbar gewesen sein, was soll ein Mann dazu sagen und er zwinkerte mir lachend zu. Frida Kahlo heiratete Rivera nach dieser Affäre ein zweites mal, während sich Berggruen von seiner ersten Frau, mit der er zwei Kinder hatte, trennte, später noch eine andere Malerin heiratete und wiederum zwei Kinder hatte. Der Sohn aus dieser Ehe, Nicolas Berggruen, wurde als Retter von Karstadt im Land bekannt, aber das ist ja hier weniger Thema.
Gerade noch rechtzeitig holte Berggruen seine Eltern 1939 aus Deutschland, die das Land auf der St. Louis, einem Passagierschiff der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) verließen, dass die Strecke nach New York fuhr und in der Bremer Vulkan Werft gebaut wurde, die es auch längst nicht mehr gibt und bei der ich mein erstes Geld in Aktien verlor, was ich besser in Kunst oder Bücher angelegt hätte, weil ich von Geld noch weniger verstehe, im Gegensatz zu Berggruens Sohn. Die Eltern flüchteten zuerst nach England und erst 1942 konnte er sie in die USA holen.
Sein erstes Bild kaufte der später große Händler und Mäzen 1940 in Chicago. Dort erwarb er von deutschen Emigranten für 100$ das Aquarell Perspektive-Spuk von Paul Klee. Dies sollte ihn 40 Jahre als Talisman begleiten und er behielt seinen guten Riecher.
Im Zweiten Weltkriege kam Berggruen, inzwischen längst Amerikaner, als Sergeant der US-Army nach Europa. Nach dessen Ende arbeitete er kurzzeitig als Mitherausgeber der Kunstzeitschrift Heute in München, was er später noch als den Höhepunkt seines journalistischen Schaffens bezeichnete. Kurz darauf veröffentlichte er unter Mithilfe des Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt seine Glossen unter dem Titel Angekreidet, was er dann den Schlußstein seiner Laufbahn als Journalist nannte.
Von München aus zog es ihn nach Paris, wo er Mitarbeiter der Kulturabteilung der UNESCO wurde und sich ab 1947 als Kunsthändler Rue de l’Université am linken Seine Ufer niederließ. Wie es dazu kam, konnte er später nicht mehr so genau sagen. Es sei wohl eine Reihe großer Zufälle oder Schicksal gewesen, was ihn zur Kunst trieb. Dabei begann er ohne jedes Kapital oder Sponsoren und verließ sich allein auf seine Intuition und seinen Enthusiasmus. Dieser führte auch dazu, dass der dadaistische Dichter Tristan Tzara ihn 1949 Pablo Picasso vorstellte. Die beiden waren sich sofort sympathisch, wurden Freunde und blieben es. Der Spanier machte Berggruen zu seinem Händler.
Die Sammlung von Berggruen konzentrierte sich auf Picasso, Matisse, Klee, Cézanne, Chagall und Miró, von denen er bis auf Klee und Cézanne alle persönlich gut kannte. Diese Konzentration auf wenige Meister begründete seinen Erfolg als Sammler. Er wurde damit zu einem der Wegbereiter der Moderne. So entdeckte er etwa die Bedeutung der Scherenschnitte des älteren Matisse, für die sich noch niemand interessiert hatte und seine Sammlung wurde eine der bedeutendsten der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Es war im Januar 1991 schließlich, als es zu dem schicksalsträchtigen Zusammentreffen von Wolf-Dieter Dube, dem damaligen Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, und Heinz Berggruen in London kam, wo gerade eine auf fünf Jahre befristete Ausstellung der Sammlung Berggruen in der Londoner National Gallery begonnen hatte. Dube schaffte es Berggruen zu einem Besuch in seiner Geburtsstadt Berlin zu überreden, woraus schließlich seine Rückkehr mit 113 Meisterwerken der Sammlung im Jahre 1996 nach Berlin wurde.
Für diese Rückkehr des großen Sammlers in die Heimat wurde der Stülerbau gegenüber dem Schloss Charlottenburg, heute als Museum Berggruen bekannt, zur Verfügung gestellt und die Stadt wurde um eine ihrer schönsten Attraktionen reicher, die noch manchen nach sich zog. So etwa überredete Berggruenn auch seinen alten Freund Helmut Newton seine Sammlung der Heimat zu schenken und begründete damit das Museum für Fotografie am Bahnhof Zoo. Am 21. Dezember 2000 schließlich verkaufte Berggruen seine auf etwa 750 Millionen Euro geschätzte Sammlung für nur 126 Millionen Euro an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Hoffnung, dass private Mäzene einzelne Werke kaufen würden, um sie der Stiftung zu schenken, trog leider. Berggruen blieb auf den Kosten sitzen und versteigerte schließlich fünf Cézannes und zwei Van Goghs, die jedoch leider auch nur etwas mehr als die Hälfte der zuvor von Experten geschätzten 120 Millionen Dollar erzielten.
In den letzten Jahren lebte Heinz Berggruen abwechselnd in seinen Wohnungen in Paris, direkt am Jardin du Luxembourg, in der Schweiz und in Paris. Der Zugang zu seiner Berliner Wohnung war direkt über den Ausstellungsräumen, von dort kam er auch, als ich ihn traf, wollte eigentlich im Schlosspark spazieren gehen und dann haben wir einen langen Moment geplaudert, der für mich noch Stunden hätte weitergehen können.
In seinem letzten Lebensjahrzehnt veröffentlichte Berggruen wieder Glossen in der nun Frankfurter Allgemein Zeitung, wie er es schon in den 30ern in deren Vorgängerblatt allerdings aus politischen Gründen anonym getan hatte. Die Sammlung dieser Glossen erschien als eine wunderbare bibliophile Reihe im Wagenbach Verlag. Mit diesen Geschichten im Hinterkopf oder in der Hand erläuft sich die Sammlung noch ganz anders, wird plötzlich ganz vertraut, eben der Besuch alter Freunde.
Wenige Wochen nach der Party zu seinem 93. Geburtstag starb Heinz Berggruen 2007 in Paris und wurde auf eigenen Wunsch hin, auf dem Waldfriedhof in Berlin-Dahlem beigesetzt, wo ihm die Stadt zumindest ein Ehrengrab zuteil werden ließ. An der Trauerfeier nahmen die höchsten Repräsentanten des Staates teil, wie der damalige Bundespräsident Köhler, Kanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier der ehemalige Kulturstaatsminister Naumann und die Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Generaldirektoren der Staatlichen Museen, eine Enkelin Picassos, der Kunstsammler Flick und der französische Botschafter neben der Familie Heinz Berggruens.
Wer den wunderbaren weißen Stülerbau betritt, sieht gleich einen Giacometti vor sich, bevor er zum Erwerb der Eintrittskarte nach links abbiegt oder rechts im Museumsshop verschwindet, die stets ein großes Angebot von Berggruens Schriften vorrätig haben. Wer Berggruen verstehen will, sollte ihn lesen, wo das Zuhören leider nicht mehr geht, wie er in seinen Essays ein so wunderbares Panomara aus Kennerschaft und Liebe zugleich entfaltet. Er nähert sich der Kunst mit Zärtlichkeit und steht in persönlicher Beziehung zu ihr, wie zu den allermeisten der Maler seiner Sammlung. Ein kleiner Ersatz ist der Audioguide, auf dem auch Berggruen gelegentlich selbst erzählt.
Zentrum der Sammlung Berggruen ist mit über 100 Exponaten das Werk Picassos, sowie die besonderen Bilder Pauls Klees, von denen über 60 gezeigt werden. Auch Henri Matisse ist mit mehr als 20 Werken noch zahlreich vertreten und so findet sich ein wunderbarer Spiegel der klassischen Moderne, die aufbrach, die Welt neu zu sehen. Ein weiterer Höhepunkt sind die verteilt stehenden schlanken Werke des großen Giacometti, die noch von afrikanischen Skulpturen ergänzt werden, mit denen sich die Vielfalt der Einflüsse zeigt, die in der Moderne ihr Echo fanden, als sie aufbrach die Welt neu zu sehen.
Ging gerade die Treppe in der Rotunde hinauf, um mir in der oberen Etage die Klees und die Giacomettis anzusehen, als ich Heinz Berggruen traf und ihm ein wenig schüchtern aber sehr freundlich und vor allem voller Bewunderung zunickte. Irgendwas war in diesem Moment sehr vertraut zwischen uns, ohne dass ich sagen könnte, was es war. Natürlich hatte ich einiges über ihn gelesen, kannte seine Vita ein wenig, wusste um seine Großzügigkeit, die er seiner Heimat trotz der Vertreibung in der dunkelsten Zeit Deutschlands noch erwies - aber hätte ich ihn auf der Straße erkannt, wüsste ich an der Kasse des Supermarktes wer der feine Alte da vor mir war?
Habe ein ausgesprochen schlechtes Gedächtnis für Gesichter, häufiger schauen mich Leute an verschiedensten Orten länger an, ohne dass es dafür einen Anlass in meinem Verhalten gäbe und nicken mir, wenn ich den Blick erwidere, sehr freundlich zu. In den meisten Fällen nicke ich ebenso freundlich nur eben völlig ahnungslos zurück, weil ich mich normalerweise an kein Gesicht genau erinnere, es sei denn ich habe eine Frau schon mal geküsst oder kenne jemanden durch Wiederholung näher - aber auch in diesen Fällen bin ich schon der Lückenhaftigkeit meines sehr schwachen Gedächtnisses überführt worden. Nicht mal, wenn ich einer Frau schon so nah war, wie ich überhaupt nur sein kann, rein physisch betrachtet, sie mir sogar emotional mal sehr nah war, erkannte ich sie sicher, übersah ich sie schon beinahe, in Gedanken versunken beim Flanieren durch die Straßen. Wie neulich eine von mir einst sehr geliebte und geschätzte Ärztin als sie mit einer Freundin aus Brandenburg ein benachbartes Café verließ und ich sie unter lauter Mütze und Mantel erst auf lauten Zuruf hin erkannte.
Ob ich also den feinen Herrn Berggruen so sicher auch andernorts erkannte hätte, war also keineswegs gewiss. Hier jedoch im Stülerbau, in dessen oberer Etage er lebte mit Blick auf Schloss Charlottenburg und wo er auch mit den Tauben, besonders der einen weißen, die er als Gesandte Picassos identifizierte, Freundschaft schloss, wusste ich, er musste es sein, sonst wohnte ja keiner hier.
“Gefällt es ihnen?”, fragte er mich, bevor ich den letzten Schritt die Treppe hinauf tat, um in der Klee-Etage zu verschwinden. Er stand noch zwei Stufen über mir, wir waren so auf Augenhöhe. Wusste sofort, was er meinte, auch wenn die Frage sehr offen und unpräzise war - viellleicht fühlte er auch diese irgendwie vertraute Nähe, ohne sich zu kennen.
“Sage ich nun großartig, klingt es abgedroschen. Superlative sind meist so ungenau wie längst gewöhnlich. Ja, ich fühle mich sehr wohl hier, ich glaube ich liebe diese Bilder irgendwie” und bei diesen Worten lächelte er.
“Kennen wir uns?”, fragte er endlich, was ich auch dachte, weil es sich so anfühlte und doch wusste ich leider genau, dem war nicht so.
“Zu gerne, würde ich jetzt Ja sagen, als Bewunderer und Leser, kommen sie mir natürlich bekannt vor, aber tatsächlich sehe ich sie gerade das erste mal”, verbeugte mich leicht, stellte mich vor. Er horchte bei meinem Nachnamen auf, aber ein Licht ging ihm dabei wohl auch nicht auf, woher auch?
“Zumindest kommen sie mir bekannt vor”, blieb er noch beim Thema.
“Auch da muss ich sie vermutlich enttäuschen, bin nur ein ganz unbedeutender Bewunderer. Glaube mein Großvater kannte sie aus Paris, hat er mal erwähnt.”
“Er war in meiner Galerie?”
“Vermutlich oder von irgendeinem Empfang, er war eine zeitlang für die NATO als Diplomat dort.”
“Erinnere ich jetzt nicht so genau. Sehen sie sich ähnlich?”
“Eher weniger, er war viel kleiner als ich. Ganz anderer Typ, vielleicht die Nase noch ähnlich”, lachte ich ihn an. Erzählte ihm ein wenig von meinem Großvater, der Grotepater genannt wurde, in den 20ern nach Paris zum Studium ging, wohl auch Picasso und Miller traf, aber da immer sehr unpräzise und allgemein in seinen Aussagen blieb, so genau ich auch nachfragte. Klar kannte ich die, hatte er gesagt und jeder wusste, wo sie zu treffen waren.
“Sammelte er Kunst??”
“Eher Antiquitäten mit bescheidenen Mitteln zum Hausgebrauch. Ein Ururgroßvater von mir sammelte einst Kupferstiche und Handzeichungen als Hofbibliothekar zu Gotha.”
“Existiert die Sammlung noch?”, fragte er plötzlich neugierig.
“Ja, mein Vater verwaltet sie nun, sein Alterswerk neben dem Studium der Kunstgeschichte. Aber eher Alte Meister und nichts besonderes, eher nebenbei, er sammelte für den Herzog.”
“Das gefällt mir. So fängt es oft über Umwege an.”
“Wie mit ihrem ersten Klee in Chicago?”
“Ach, sie kennen die Geschichte, ja, auch eher ein Zufall aber ich wollte ihn sofort. Und sie?”
“Schreibe nur ein wenig und liebe die Kunst ohne wirkliche Ahnung.”
“Die Liebe ist immer die beste Voraussetzung, so fing es bei mir auch an.”
“Wollte sie nicht stören…”
“Ach was, ich habe doch sie angesprochen, wollte gerade spazieren gehen. Freue mich immer, wenn ich mit Besuchern reden kann.”
“Wollen wir noch ein wenig zusammen schauen?”
“Ja, warum nicht? Sie sind ja nicht zum plaudern mit alten Herren hier”, lachte er wunderbar selbstironisch, “lassen sie uns zusammen einige Bilder ansehen, solange sie nicht die üblichen Fragen stellen.”
“Nach Frida Kahlo?”, lachte ich in Erinnerung seiner Worte dazu.
“Sehr gut. Genau.”
Dann redeten wir natürlich doch darüber, ohne dass ich die Frage je stellte, aber davon wurde ja schon oben berichtet.
Hielt ihm die Tür auf und wir schlenderten an den Bildern entlang, blieben stehen, zwischendurch fragte er, was ich da oder dort sehe, dann erzählte er kleine Geschichten, wie ich schon manche gelesen hatte, wies mich auf Dinge hin.
“Nun habe ich sie lange genug aufgehalten. Schauen sie in Ruhe, wir treffen uns bestimmt noch mal und ich mache jetzt meinen Spaziergang”, verabschiedete er sich schließlich.
“Würde gerne noch stundenlang hier mit ihnen weiter plaudern. Es ist unglaublich schön, ihre Geschichten zu hören, alles, was ich bisher nur las.”
“Ach was, schauen sie und genießen sie, beim nächsten mal mehr” verabschiedete er sich lachend. Hielt ihm noch die Tür auf und er winkte kurz zum Abschied und ich schlenderte noch die eine oder andere Stunde durch sein Museum, erfüllt von diesem kleinen historischen Geplauder.
Es hängt so viel an großer Kunst in den Räumen des Stülerbaus, dieser bedeutendsten Sammlung der klassischen Moderne zumindest in unserem Land und es gäbe so viele Geschichten zu jedem einzelnen Bild zu erzählen, dass es diesen kleinen Rahmen wohl sprengte. Viel zu wenig weiß ich als bloßer Besucher und Bewunderer, um darüber große Neuigkeiten zu erzählen. Immer stehe ich lange vor Matisse Seilspringer wie angezogen von der Bewegung in diesem schlichten Bild voll wunderbarem Blau. Die Picassos wären in so vielem noch kleine Geschichten, denke ich etwa an das strenge Bild seines Sekretärs, in dem sich auch so viel Humor verbirgt in seinem blau und doch will ich es bei dieser kleinen Geschichte aus dem Leben Berlins bei der überraschenden Begegnung mit einem großen Mann belassen.
Seine Freude und immer noch spürbare Leidenschaft, mit der er sich seinen Bildern verbunden fühlt, die er so großzügig an seine Geburtsstadt gab, die ihm erst im hohen Alter für eine Decade auch wieder Heimat wurde, ist spürbar beim Gang durch das Haus. Hier lohnt sich, wie schon erwähnt, auch der Audioguide immer wieder, um teilweise Heinz Berggruen im O-Ton von seiner Kunst erzählen zu hören, als wäre er noch da. Wir trafen uns leider nie wieder, ein Jahr etwa nach unserer Begegnung starb er und auch wenn ich in der Zwischenzeit noch häufig sein Museum besuchte, wollte es der Zufall kein zweites mal. Für so bedeutend, dass ich ihn gestört hätte, hielt ich mich nicht und genoss so die Erinnerung an die einmalige Begegnung und die halbe Stunde vielleicht, die wir durch die obere Etage schlenderten, als Flaneure des Glücks an diesem wunderbaren Ort, reicher durch seine Geschichten.
Immer, wenn ich nun dort bin, oder eines seiner Bücher in den Händen halte, denke ich daran - wie viel hätte ich ihn gerne noch gefragt, ließ es in meiner Überraschung, er fragte mehr als ich und ich war ja quasi bei ihm zu Gast, da überließ ich ihm den Gang der Dinge und freute mich an den kleinen Geschichten, die vielleicht mal Teil eines Buches werden. Doch würde ich jedem, der ihn erspüren will, den Besuch in seinem Museum empfehlen, lieber seine Bücher als mich zu lesen. Hingehen und sich verführen lassen an diesem Ort voller Sinnlichkeit, die in der großen Kunst der klassischen Moderne lebendig ist.
jens tuengerthal 11.3.2017
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