Bei Liebermann am See
Es war ein wunderbarer Sommertag als ich beschloss, eine Radtour zu machen. Quer durch Berlin, wollte ich zum Wannsee fahren mit meinem neuen gerade auf dem Flohmarkt erworbenen alten Rad mit den Blechschutzblechen und der manchmal Dreigangschaltung. Zur Villa Liebermann, weil ich seine Bilder liebte, den Mann mochte.
So machen die Berliner das eben, mit der Liebsten raus an den Wannsee, wie es die Comedian Harmonists hier einst so schön besangen, die Badewanne der Stadt, doch war es weder Sonntag, noch wollte ich meine Liebste mitnehmen, welche die Idee einer Fahrradtour ohnehin nur wenig begeistern konnte. Wenig hätte ich mir wohl zu dieser Zeit sehnlicher gewünscht als mit ihr in der Natur wild unterweg zu sein, die sie die nobelsten Hotels der Welt schon kannte, aber ihr Bedürfnis nach Outdoor hielt sich in überschaubaren Grenzen. Später dagegen, als ich eine zeitlang an eine etwas verrückte Schauspielerin mit Essstörungen geriet, die nichts so liebte, wie in der Natur zu sein, ging mein Bedürfnis dies betreffend gegen null. Lieber wäre ich mit ihr ins Museum gegangen, statt irgendwo im Wald zu sitzen oder am See zu hängen, gar unbequem zu zelten.
Die Mischung macht es spannend, finde ich - also eine Radtour zur Kultur und nicht eine Dialektik im Ausschlussverfahren, von allem ein wenig und maßvoll genossen. Muss keine großen Berge mehr besteigen oder in unberührte Wildnis aufbrechen, um mich zu beweisen. Bringe lieber fünf Stunden im Museum bei befreundeten Bildern zu als in Waldeseinsamkeit, auch wenn ich die gelegentlich ganz nett finden kann für kurze Besuche. Denke ich an meinen Onkel in Mecklenburg, der stundenlang durch dortige Wälder und Wiesen reitet, gerne draußen bei seinen Pferden ist und den die harte Arbeit dabei glücklich macht, habe ich immer das Gefühl, dass wir von zwei verschiedenen Planeten kommen, so sehr ich ihn sonst auch schätze und wie ähnlich wir uns auch in manchem sind.
Dieses Hemingway-Gen des wilden Mannes, der sich in der Natur seine Männlichkeit beweisen muss, habe ich inzwischen völlig abgelegt, nach vielen Jahren im Dschungel der Großstadt - als Kind und Jugendlicher war es ein Ideal für mich, wollte ich Hütten bauen, in denen ich schlief und fand das Abenteurerleben erstrebenswert, was heute eher Outdoor wohl genannt wird. Weiß nicht, ob es daran lag, dass ich erwachsen wurde und die Gesellschaft guter Bücher und feinen Tees mehr zu schätzen wusste als die von nur Bäumen, Käfern und Sträuchern, hat alles seinen Reiz und gerne lese ich noch die Reiseabenteuer von Georg Forster, Alexander von Humboldt, Fridtjof Nansen oder Sven Hedin, doch meine Welt ist eine andere und ich fände es für mich eher befremdlich, durch die Welt reisen zu wollen, wie manche es als Lebensziel und Sinn sich wählen.
Früher wollte ich gern einmal die Seidenstraße von Istanbul bis Peking mit einem Camper abfahren oder besser noch mit dem Rad, heute frage ich mich warum, was ich da zu suchen hätte, warum ich tun sollte, was tausende vor mir taten, als Händler, Forscher oder Flüchtlinge. Suche Entdeckungen eher auf geistigem Gebiet, versuche manchmal das Zusammenleben der Menschen und das Verhältnis von Mann und Frau durch Übung in der Praxis besser zu verstehen, was sich immer wieder als komplexer erweist noch als die abenteuerlichsten Reisen. Albert Einstein meinte, zum Wesen der Frau könne er nicht viel sagen, er hätte sich nur mit vergleichsweise simplen Dingen wie der Relativitätstheorie beschäftigt und staune immer noch. Ein Satz, der meine volle Zustimmung findet und schaue ich mich in Berlin um und denke an die wenigen aber darunter ach so zahlreichen komplizierten Frauen, die ich hier kennenlernte, weiß ich, dass ich nirgendwo mehr hin muss, wenn ich die Welt erforschen oder neues lernen will, sich genug in dieser Stadt immer findet. Wo sollte ich da noch hin wollen?
Die einen rennen um die Welt, die anderen gehen in sich und doch wüsste ich nicht zu sagen, wer mehr unterwegs ist dabei, die Welt besser kennenlernt, vor allem was glücklicher macht. Weniger Bewegung macht mich ausgeglichener und zufriedener und so verstehe ich die Leute nicht, die beständig meinen vor etwas weglaufen zu müssen, um die Welt zu sehen, dort gewesen zu sein und das erlebt zu haben. Tief in mir wusste ich das eigentlich schon immer, dennoch hat es etwas gedauert, bis ich dies Wissen auch umsetzen lernte und daraus die für mich richtigen Schlussfolgerungen auch gegen den Strom der Massen zog. Reise in Büchern, bin wenn geistig unterwegs, nichts ist ermüdender als schlecht erzählte Reisegeschichten von Leuten, die überall gewesen sein wollen und sich dadurch wichtig machen wollen, dass sie ihre Geschichten belanglos erzählen, weil es nur um namedropping geht.
Trotz dieser inzwischen in Ruhe gereiften Überzeugung bewege ich mich dennoch manchmal ganz gegen meine geruhsame Natur dennoch gerne und habe das Gefühl, es könnte auch gut tun. So machte ich mich auf zum Wannsee mit dem Rad, die ungefähre Karte von Berlin im Kopf, wollte ich den Berg hinunter, den schönsten Weg durch Mitte wählen, das Brandenburger Tor durchqueren, den schönen Tiergarten entlang radeln und dann Fluss und Kanal nach Schloss Charlottenburg und von da aus weiter der Spree folgen, bis sie in die Havel mündet, um dann das Ufer des werdenden Wannsees entlang zum Ziel zu kommen, war doch ganz logisch eigentlich.
Einige Kilometer nur waren es nach meinen Berechnungen, genauer etwa 25km von mir bis zur Villa Liebermann mit dem Rad - zumindest wenn ich den offiziellen Radweg nahm, der aber an der Autobahn entlang und durch den Wald führte, wo ich noch Berge fürchtete, die ich mit den altertümlichen 3-Gängen lieber vermeiden wollte, musste mir nichts mehr beweisen, hatte im Studium und zu Schulzeiten genug Radtouren gemacht, auch mal Berge hinauf. Damals fuhr ich täglich von Walldorf nach Heidelberg und zurück, was zumindest in Summa 30km und also weiter war. Sollte ich nach einem Weg genug haben, konnte ich ja in die S-Bahn mit dem Rad steigen und gemütlich zurückfahren, dachte ich. Noch aber war ich wild entschlossen dies Abenteuer zu überstehen, einen neuen besseren Weg zu suchen, als diese Radnetze angaben, die doch offensichtlich keine Ahnung hatten, wo es schön ist und was der bergfaule Radler wie ich erleben möchte.
Der Weg entlang der Spree, inzwischen recht gut ausgebaut, endete irgendwann hinter Charlottenburg im Nichts der Kleingärten und ich musste ungewollt, auf größere Straßen ausweichen. Am Rande einer sechsspurigen solchen rollte ich nun, noch mit kaiserlicher Pracht großzügig angelegt, heute den Lärm vervielfachender Ausweis urbaner Mobilität, auf denen sich Vorstädter und Brandenburger gen Berlin aufmachen.
Irgendwann ging es zum Olympiastadion, folgte dem Weg, der in die Irre führte, einen Moment. Wollte ans Ufer der Havel, die nach dem Wannsee langsam wieder Fluss wurde und diesem folgen, bis ich an den Wannsee kam und dachte, es sei ein kleiner Ausflug, die 15km nach Heidelberg kosteten mich in Studienzeiten keine halbe Stunde. Allerdings gab es in der Ödnis der Kurpfalz einen Radweg, entlang der Eisenbahn, ich kannte ihn genau, auch die Abkürzung durch die Kleingartenanlage und zwischen meinem Wohnsitz und der Universität lag kein einziger Berg.
Ahnte, wo das Wasser sein musste, das ich noch nicht sah. Linker Hand ging eine Straße ab, die in steilen Kurven hinunter führte, entschlossen wollte ich mich auf den Weg machen, freute mich auf die Abfahrt. Mit Wind in den Haaren genoss ich die Erfrischung, die kaum eine Minute dauern - Berge in Berlin sind selten wirklich hoch, Abfahrten nie zu lang. Doch das kleine Glück hatte mich erfrischt und dort sah ich tatsächlich die wieder Fluss werdende Havel nicht weit vor mir und wollte ihr nun genn Wannsee folgen. Es musste doch eine Straße am See geben, wo es fraglos am schönsten war.
Fanden die Käufer der Häuser damals wohl auch und hatten die Seegrundstücke besetzt, ich kam nicht näher und irgendwann endete der aus guten Gründen auf keiner Fahrradkarte angegebene Weg vor einem Privatgrundstück, dessen Warnschilder sehr deutlich machten, dass eine rasche Durchfahrt in keinem Verhältnis zum aufgenommenen Risiko stand. Hier war Ende. Es ging nicht weiter, außer ich fuhr wieder den Berg hinauf, angesichts der Hitze und des nahen Wassers, zu dem ich endlich wollte, ein völlig unmögliches Vorhaben. Doch es gab keinen Ausweg, keinen Schleichweg, kein Entkommen - nicht mal bis zum Wasser kam ich, um durch dieses watend, das Rad zur Not tragend, den Aufstieg zu vermeiden. War zu spät abgebogen und mitten in Pichelswerder gelandet, von dort gab es keinen Weg am Ufer, diese Landzunge oder Insel inmitten der Havelverengung endete im Wasser und vorn dort gab es kein zurück.
Musste wieder hoch, fuhr ein kleines Stück, dann stieg ich keuchend und schwitzend ab, dachte, ich muss und will mir nichts beweisen und schob, ich weiß nicht wie, das viel zu schwere, altertümliche Rad die zu steile Straße wieder hinauf - war ich hier in einem Alpendorf oder in Berlin, am Wannsee oder im Tessin?
Die Havelchaussee, war mir zu groß, zu hügelig und schien mir abwegig für den geheimen Schleichweg, den ich suchte, überquerte sie also, etwas besseres zu finden. Es musste doch einen Weg im Wald geben, sagte mir meine Erinnerung - der Grunewald ging doch bis an den Wannsee, hatte ich auf der Karte gesehen, da musste es doch Wanderwege geben, die bestimmt nur nicht als Radwege gekennzeichnet waren, damit es nicht jeder macht und die Radler sich entweder den Avus seitlich entlang oder über das auf und ab der Havelchaussee locken ließen.
Viele Umwege später, völlig verschwitzt, vermutlich kurz vorm Sonnenstich, fand ich dann doch einen Weg durch den Wald, von dem aus, nach der Karte, die am Eingang des Gebietes stand, ein Weg zum Wannsee abgehen sollte. Klar der offizielle Radweg entlang des Avus und der Autobahn, wäre auch nicht weit, aber ich wollte ja am See entlang, den Berlinern mal zeigen, was der beste Weg zum Wannsee war, ließ mich doch nicht von solch einer zentralen Verkehrsleitung aufhalten und nur weil da ein offizieller Radweg eingezeichnet war, musste es nicht mein Weg sein. Alle Wege führen zum Wasser, irgendwann, sagte ich mir, genoss ein wenig die Kühle des Waldes und begann doch bald wieder zu schwitzen, denn es ging schon wieder beständig leicht bergauf. Logisch eigentlich, Ziel dieses Weges war die Aussichtsplattform mitten im Grunewald, natürlich etwas höher gelegen, was die Berliner halt so Berg nennen - ärgerte mich über meine Dummheit, denn natürlich wollte ich nicht auf den Teufelsberg sondern an den Wannsee. Es war zu warm, sich darüber noch zu amüsieren.
Wieder zurück an der sechsspurigen Chaussee gen Spandau, als gäbe es etwas, zu sehen, was so viele Spuren nötig hätte, in der schon brandenburgisch anmutenden Provinzvorstadt. Bis zum IKEA mag es noch Gründe geben, danach, nahm doch das Interesse rapide ab, Rudolf Hess war lange genug tot, die Zitadelle verwaist und zu der führten auch andere Wege noch. In eben dieser Zitadelle war ich mal auf einem Konzert, irgendwas rockiges, längst vergessen was, mit bestuhlten Sitzreihen vor der Bühne und ansonsten ländlicher Festival Atmosphäre.
Damals interessierte mich die Dame, die auch am Platz lebte, mehr als die zufällig Musik, zu der sie mich einlud, bei ihr war es umgekehrt, glaube ich, zumindest verloren wir uns danach irgendwie aus den Augen - neulich grüßte mich eine sehr nett, könnte sie gewesen sein, aber nicht mal dessen bin ich mir sicher, über einen Kuss ging es wohl nie hinaus, wenn sie mir auch ausführlich von ihrem Liebesleben erzählte, fand unseres doch nicht statt. Sie liebte Konzerte und Festivals, hatte alle Großen gehört, ich dagegen würde dafür nie Geld ausgeben, war vor ewigen Zeiten mal mit Pressekarten auf einem Festival am Hockenheimring in der sonst öden Kurpfalz und dachte schon da, nicht meine Welt, auch wenn von den dort Bands alle Welt redete damals. Wolltest du etwas sehen, war der Lärm so groß, dass es nicht wirklich erträglich war, mit Fernglas entfernt ging es, aber da konnte ich es mir auch im Fernsehen anschauen und sah dabei noch mehr, wenn ich so ein Ding je hätte und die Lautstärke nach Laune regeln. Im übrigen fand ich es noch nie so spannend Menschen beim Musik machen zuzusehen, was an mangelnder Musikalität meinerseits liegen könnte. Auch der angebliche Sex-Appeal solcher Festivals mit relativ ungewaschenen, meist betrunkenen, halb tauben Proleten, erschloss sich mir nie und Frauen, die auf solche Typen standen, konnten mich vermutlich so wenig spannend finden, wie ich sie, sage ich heute gelassen.
Auch mein Besuch in Bayreuth bei den berühmten Festspielen, bei denen ich über einen meiner besten Freunde der dort dirigierte Freikarten für verschiedene Generalproben erhielt, die quasi eine Voraufführung waren, war nett und eindrucksvoll. Doch wenn ich den Ring wirklich hören will, bin ich Zuhause besser dran, es ist gute Luft, ich kann im Sessel sitzen, dazu Tee trinken, die schönsten Aufnahmen habe ich da und das Bühnenbild und die Inszenierung damals noch von Wolfgang Wagner, der auch noch direkt vor mir saß, waren zwar nett, aber kaum eine Reise wert, hätte ich dort nicht meinen lieben Freund M besucht.
Zur Verteidigung Wagners und der Oper sei nur gesagt, wenn sich was lohnt, dann das - in der Zitadelle zu Spandau, an die ich bei der Hitze meiner zu abenteuerlichen Fahrradtour noch nicht dachte, weil es erst Jahre später geschah, lohnte sich vielleicht meine Nachbarin, auch das habe ich ja nie erfahren, also lohnte sie sich nicht - die Musik war zwar eher für ältere Semester und Nachbarn angenehm in der Lautstärke eingestellt aber nichts, was mich weiter interessiert hätte. Drumherum diese etwas piefige Festival Atmosphäre zwischen Zeltplatz und Klassenfahrt für gern junggebliebene, die sich aber jetzt erst die Karten leisten konnten, als sie eigentlich besser mit Faltencreme und Herzmittel im Liegestuhl aus dem Eigenheim Musik hören sollten.
Doch in der Zitadelle wie in Bayreuth galt, einem geschenkten Gaul schaute ich nicht in die Kiemen, nahm es, wie es eben kam. Vielleicht schreibe ich nochmal detaillierter darüber, andererseits ist es eher provinziell, könnte überall auf der Welt sein, ist eher wie André Riéu Konzerte, die auch dort stattfinden, etwas für Menschen in geistig prekären Verhältnissen, über die meine Höflichkeit lieber schweigt und dies könnte auch genügen, mehr passierte da ja nicht und näher beschäftige möchte ich mich mit dieser sogenannten Festivalkultur auch nicht. Es ist eben ein Markt mit viel Geld, wie Baumärkte, über die ich aber vermutlich mehr erzählen könnte.
Dann eben doch die Havelchaussee, bis ich endlich an die Havel kam - hätte ich auch schon Stunden früher haben können, dachte ich, verschwitzt und verstaubt wie ich war. Fühlte mich wie ein Reisender nach der Durchquerung der Sahara mindestens. Es ging erst mal bei frischem Fahrtwind hinunter und zumindest wusste ich, die Richtung stimmte, ich musste da nicht wieder hoch. Kam an die Havel und folgte der romantisch gelegenen Straße am zauberhaften Waldrand, bis sie die Frechheit besaß, wieder ansteigen zu wollen - sofort verließ ich die wider Erwarten sehr angenehm zu fahrende relativ ruhige Straße und folgte den vielen, die hier schon am Straßenrand parkten und die gewiß einen Weg am Ufer entlang kannten.
Es fand sich ein Weg, siehe da, wie von mir bestellt und ich folgte ihm, wie es eben ging, während die Straße im Wald die Hügel hinauf stieg, eine Meute keuchender Radler auf sich. Es war sehr sandig hier am Ufer - märkische Streusandbüchse eben - so gab ich den Gedanken, tatsächlich dort zu radeln bald wieder auf und schob eben am Ufer Havel entlang wie bei einem Strandspaziergang, hatte ja Zeit.
Immer wieder zeigten sich kleine Buchten zwischen dem Urwald von Schilf am Ufer an denen teils Liebespaare oder Angler saßen. Ob es auch sich liebende Angler gab, weiß ich nicht, vermutlich gibt es für die Angler die Zeiten, in denen sie lieben und jene in denen sie angeln. Wie bei Hemingways etwas überschätzter Novelle Der alte Mann und das Meer. Die Paare teils sehr leicht, teils auch gar nicht bekleidet, gaben sich vermeintlich den Blicken entzogen gern ihrer Lust hin, worauf ich noch leiser vorbei schlich, sie nicht zu stören. Manche waren auch noch ein dekorativer Anblick dabei, doch war der Durchschnitt eher gut gebräunt als gut gebaut.
Finde einen leichten Wohlstandsbauch gerade bei Frauen und lieber etwas mehr als zu wenig inzwischen immer den schöneren Anblick als diese konkurrenten Sportlerkörper - womit beschäftigen sich diese Menschen, wenn sie nicht gerade ihren gestählten Körper trainieren oder hungern, frage ich mich dabei immer und denke, wer zu schlank ist, kann nur entweder hohl sein, kein Genießer oder muss eine Stoffwechselstörung haben und ist deshalb kein schöner Anblick sondern drückt nur einen effektiv unnormalen Mangelzustand aus. Hatte zwei Verlobte, die beide auch sportlich sehr ehrgeizig und gut trainiert waren, die zweite noch viel mehr als die andere und mich beeindruckte diese straffe Schönheit schon sehr, doch bedenke ich nun, was sich meist für ein hohles oder krankes Wesen dahinter offenbarte, worauf sich solche Menschen tatsächlich konzentrierten, wie es oft eher eine Essstörung als die Fähigkeit zum Genuss offenbart, werde ich künftig jede Frau über vierzig ohne Bauch für verdächtig halten und die darunter sind ohnehin völlig uninteressant meist.
Jeder Verdacht darf natürlich gerne widerlegt werden und ich bin immer offen für schöne Überraschungen, doch raten Vorsicht und Erfahrung dringend hier künftig, lieber vernünftig und berechnend vorzugehen, um nicht den Ansprüchen der bauchlosen Perfektionistinnen das angenehme Leben zu opfern, von dem diese selten etwas verstehen. Würde noch nicht sagen, der Sex mit Frauen ohne Bauch muss langweilig sein, es mag da auch Ausnahmen geben, viele habe ich davon noch nicht kennengelernt.
Darüber dachte ich ein wenig nach, während ich die sehr bodenständigen Berliner in ihren Buchten sah, die ihr Bier im See kühlten, sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließen, gänzlich ungezwungen genossen. Die an der Straße trotz der von mir so unnötig gefürchteten auf und ab, vielleicht eine halbe Stunde sehr langsam zurückgelegte Strecke dauerte schiebend, zwischendurch im märkischen Sand oder havelschen Matsch versinkend um gefühlte Stunden länger, eine kleine Ewigkeit schien es mir und dann musste ich auch noch ständig den Uferweg wieder verlassen, weil es tatsächlich nicht weiterging.
Wollte ich dann nicht sehr abenteuerlich den Weg zur Havelchaussee hinaufklettern, was ich mit erwartbaren Folgen nur einmal versuchte, musste ich teilweise sogar wieder umkehren. Es dauerte also. Kam an den Inseln Lindwerder und Schwanenwerder vorbei, dem Geheimtipp für viele Promis auch, ersparte mir aber ziemlich verstaubt die Rundfahrt, wer weiß, wen ich dort sonst so derangiert traf, kam hinter Nikolassee schließlich doch zum großen Wannsee, an dessen Strandbad die Tour am Wasser weit eingezäunt definitiv endete. Vom Wannseebadweg landete ich auf dem noch viel größeren Kronprinzessinnenweg. Diesen verließ ich wieder in Richtung des Ruderclubs am Wannsee, in der Hoffnung dort den ruhigeren Weg Am Sandwerder an der American Academy vorbei zu finden, was nach kleineren Umwegen auch tatsächlich gelang.
Die Villa der American Academy ist auch viele Geschichten wert, wen ich dort alles traf, wie zauberhaft der Garten zum Wasser führt beim American Yacht Club, der mich immer weniger interessierte als die Bibliothek der Academy in der Villa oben.
Direkt nach der Academy ging es wieder auf den Kronprinzessinnenweg, der auf die riesig breite Königsstraße führt, die einzig den großen Wannnsee an dieser engen Stelle überquert und nach der es nach rechts, der Straße Am Großen Wannsee folgend, zur Villa Liebermann gehen sollte, dem Ziel meiner kleinen Tour. Vorher kam ich noch an diversen Yachtclubs vorbei und von dort war bei diesem Traumwetter das Klappern der Segel und Masten zu hören, da so schön nach Meer schmeckt. Ganz klein geht dann die Coloniestraße ab vom Großen Wannsee - nur eine Stichstraße an deren rechten Ende die Villa Liebermanns lag.
Schloss mein Rad an, staubte mich so gut wie möglich ab, trank einen Schluck und reinigte mir mit einem weiteren das Gesicht, versuchte es zumindest, bevor ich das Gartenhaus betrat, das hier als Kassenhaus und Museumsshop diente. Dachte an den Grafen Almásy aus Ondaatjes Der englische Patient, wie er sich aus der Wüste kommend, für einen Empfang in der Stadt noch den Sand aus den Ärmeln schüttelte.
Sehr aparte, sichtbar gebildete Damen empfingen mich mit einem Lächeln und das Gefühl vom Abenteuer des Havelurwalds plötzlich wieder in die bildungsbürgerliche Hochkultur zu stolpern, wiederholte sich. Wollte mich entschuldigen, die heiligen Hallen des von mir so sehr bewunderten Liebermann in diesem Zustand zu betreten und am liebsten von meinem kleinen Abenteuer in der märkischen Wüste am Ufer der Havel erzählen, was vermutlich niemanden interessierte und überlege, wie ich dennoch mit den Damen ins Gespräch käme, um meinen Zustand zu erklären.
“Hoffe ich bin nicht zu schmutzig, um hier eingelassen zu werden.”
“Machen sie sich keine Sorgen, so streng sind wir hier nicht, da kommen ganz andere direkt vom Strand…”, antwortete die Dame mir gegenüber mit den blond gefärbten Haaren in denen Spuren ihres wohl natürlichen Silber schon sichtbar waren und zog dabei die Brauen hoch.
“Den bin ich auf seltsamen Wegen von Spandau mit dem Rad kommend entlang gefahren …”, wollte ich ihre Neugier wecken.
“Über Spandau, nicht einfach der Chaussee gefolgt?”, fragte die etwas jüngere, sehr attraktive, die wohl eher für den winzigen Musems-Shop zuständig war und mir noch besser gefiel.
“Wollte direkt am Wasser sein, was nicht ganz einfach war. Naja, war nicht die Wüste Gobi und auch nicht die Sahara, nur märkischer Sand aber davon genug...”, lachte ich die beiden tiefstapelnd an, als hätte ich ein riesiges Abenteuer erlebt und sei nicht nur mit dem Rad von Prenzlauer Berg zum Wannsee gefahren, nichts also, was der Rede wert wäre.
“Ach, und gibt es da einen guten Weg am Wasser?”
“Eher weniger, vor allem weniger gut der Weg, ansonsten sind die Leute dort eher weniger bekleidet und rechnen wohl eher weniger mit Zuschauern…”, lachte ich die beiden Damen an, die mich genau so bewundernd anschauten, wie ich es mir jetzt gewünscht hatte.
“Na das macht auch nicht jeder, da haben sie ja eine lange Tour hinter sich. Von wo kamen sie denn?”
“Nicht der Rede wert”, stapelte ich nun gut preußisch tief, “Von Prenzlauerberg aus, nur einmal durch die Stadt, an Charlottenburg vorbei, der Spree folgend und dann eben noch so ein paar dumme Irrwege.”
“Und das alles, um zu uns zu kommen - das macht uns stolz und freut uns, gönnen sie sich was schönes im Café und genießen sie die Zeit in der Villa, dem besten Ort der Erholung”, sagte sie lächelnd und reichte mir die Eintrittskarte und ich beugte mich über ihre Hand und deutete einen Handkuss wieder in Almásy-Manier gespielt an. Deutete auch gegenüber der jüngeren sehr attraktiven Kollegin noch die Verbeugung mit großer Geste an und sie tat mir erwartungsgemäß auch den Gefallen und reichte mir die Hand zum Kuss, den ich diesmal nicht nur andeutete, der ich mich nun als Abenteurer und wunderbarer Gentleman ganz großartig fühlte, egal wie derangiert ich in Wirklichkeit war, hatte ich für drei Leute diesen bloßen Ticketverkauf zu einem Fest der Sinne gemacht, statt als nur ungepflegter Chaot ins Museum zu gehen, der nur ein berechtigtes Stirnrunzeln hinterlassen hätte, fühlten sich wohl alle Beteiligten wunderbar danach, woran wir sehen, wie wenig Worte und ein wenig Stil manchmal eine Situation geradezu wunderbar verändern können, die dazu neigt ins peinliche zu kippen.Weiß allerdings nicht, wie sehr sie über mich lachten, nachdem ich das Gärtnerhäuschen wieder verließ und das ist vielleicht auch gut so.
Aus dem Gärtnerhäuschen trat ich in den Garten und war mit einem Schritt in Liebermanns geliebten Bildern. Über 250 seiner Gartenbilder malte er hier und an vielen Ecken des wiederhergestellten Gartens gibt es ein Wiedererkennen, fühlt sich der Besucher, als liefe er durchs Bild. Angefangen hier im quasi Vorgarten der Villa, die auf einem etwa 7260m² großen schmalen Grundstück liegt, das mit dem See abschließt und in dessen oberen Drittel ungefähr die vom Architekten Paul Otto Baumgarten errichtete Villa liegt und schon der Name des Architekten scheint Bände zu sprechen für die vielen quasi ideal positionierten Bäume, die ein wunderbares Ensemble mit Haus und übriger Gartenanlange bilden.
Im Jahre 1909 erwarb Liebermann das auf dem Gebiet der Villenkolonie Alsen gelegene Grundstück. Diese Kolonie wurde von dem Bankier Wilhelm Conrad begründet und aus ihr ging später der Stadtteil Wannsee hervor. Als Vorbild für die Vorderfront diente der Mittelteil des Goodeffroyschen Landhauses, das 1790 durch Christian Frederik Hansen erbaut wurde. Während die Rückseite Ähnlichkeiten mit dem Wesselhoeftschen Haus aufweist. Schon ein Jahr später, zum Sommer 1910 hin, bezog der damals 63 jährige sehr erfolgreiche Maler mit seiner Familie die Villa als Sommerhaus. Das Atelier Liebermanns befand sich im Obergeschoss in einem Raum mit Tonnengewölbe und großen Fenstern. So verbrachte er in den folgenden 25 Jahren die Sommermonate in seinem Schloss am See, fern des ererbten Stadtpalais direkt am Brandenburger Tor, in dem heute das andere Liebermann-Museum mit wechselnden Ausstellungen, wie etwa jüngst über Harry Graf Kessler, einem auch Freund Liebermanns, der dessen Kunst sehr schätzte.
Den großen Garten bis zum See ließ er von dem damaligen Stadtgartendirektor von Berlin Albert Brodersen anlegen und sich dabei auch von dem als Gartenreformer bekannten Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark beraten. Der Garten wird durch die Villa unterteilt. Der Mittelachse des Hauses folgend ergibt sich über eine große Rasenfläche ein freier Blick auf den See, einem auch späteren Gegenstand vieler Bilder Liebermanns. Vor dem Haus befindet sich in Richtung See eine große Gartenterrasse. Auf der rechten Seite ist der Garten durch den auch häufig von ihm gemalten Birkenweg begrenzt, auf der linken Seite finden sich Heckengärten mit wunderbaren Rosen und anderen zauberhaften Beeten.
Im rückwärtigen Teil des Gartens zur Straße hin, durch den ich zuerst kam, befindet sich das frühere Gärtnerhäuschen, in dem heute der Verein die Kasse und den Museums-Shop betreibt. Dieser Teil ist ein Stauden und Nutzgarten, aus dem sich die Familie teilweise auch ernährte und den der Besucher auch in vielen Bildern wiedererkennt. Der Verein achtete dabei auf eine möglichst getreue Wiederherstellung des originalen Zustandes und Gartenfreunde finden zahlreiche wunderbare Kräuterbüsche inmitten, wie sie mir später meine liebste A und mein Vater genauer erklärten.
Fünf Jahre nach Liebermanns Tod wurde seine Frau 1940 von den Nationalsozialisten gezwungen die Villa an die Reichspost zu verkaufen. Die Dokumente dazu werden im Erdgeschoss ausgestellt. Martha Liebermann entschied sich 1943 für den Freitod als ihr der Abtransport in das KZ Theresienstadt drohte. Ein Stolperstein vor der ehemaligen Stadtvilla am Brandenburger Tor erinnert an ihr Schicksal. Ab 1944 wurde die Villa zum Lazarett. Auch nach dem Krieg wurde die Villa bis 1969 als Krankenhaus genutzt. Nach dem Krieg erhielt Liebermanns Tochter Käthe Riezler, die in den USA lebte, zunächst das Haus zurück. Das Land Berlin kaufte es ihr 1958 wieder ab und verpachtete es ab 1972 an einen Tauchverein.
Schon damals gab es erste Versuche, die Villa wieder zu einem Museum zu machen, das den bedeutenden Künstler würdig, was jedoch erst durch die langjährigen Bemühungen der 1995 gegründeten Liebermann Gesellschaft gelang. Seit 30. April 2006 ist die Villa nun als Museum geöffnet und steht ganzjährig den Besuchern offen. Die rund drei Millionen Euro für die Sanierung brachte die Gesellschaft gemeinsam mit privaten Spendern auf, ein wenig unterstützt von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Während der Sanierung wurde zusätzlich noch ein vergessenes Wandgemälde Liebermanns in der Loggia entdeckt und sorgfältig wiederhergestellt.
Im ehemaligen Atelier Liebermanns im Obergeschoss werden rund 40 Gemälde und Pastelle Liebermanns aus Leihgaben ausgestellt. Im Erdgeschoss wird die Geschichte der Familie Liebermann und des Hauses dokumentiert. Im Schwerpunkt werden dort Bilder mit Bezug zu Haus und Garten präsentiert und der Besucher kann sie selbst dort lustwandelnd sofort wiedererkennen, sich wie die Dame im weißen Kleid auf die Bank setzen und einen Tee oder Kuchen aus dem hervorragenden Café gönnen, dass die Terrasse oder im Winter die Innenräume bewirtschaftet.
Der 1847 in Berlin geborene Max Liebermann ist der wohl bedeutendste Vertreter des deutschen Impressionismus und blieb diesem lichten wunderbaren Stil auch treu, als andernorts längst viele Expressionisten am grau der Wirklichkeit verzweifelten oder alle Formen auflösten. Nach seiner Ausbildung in Weimar und Aufenthalten in Paris und in den Niederlanden, malte er zunächst naturalistisch, ließ sich jedoch ab 1880 durch die Beschäftigung mit den französischen Impressionisten zu seiner lichten Farbigkeit inspirieren. Sein Schaffen steht für den Übergang von der Kunst des 19. Jahrhunderts zur klassischen Moderne in der Zeit des reaktionären Wilhelminismus und der Weimarer Republik. Er förderte diesen Wandel auch als Präsident der Berliner Secession bis zu ihrer Auflösung und der Akademie der Künste von 1920 bis 1932. Bis 1933 ihn die Nazis vergraulten war er auch Ehrenpräsident der Preußischen Akademie der Künste. Seine letzten beiden Lebensjahre bis 1935 verbrachte er aufgrund der nationalsozialistischen Kunstpolitik als Jude verfemt, zurückgezogen in seiner Heimatstadt.
Liebermann ging immer ungern in die Schule, vertrieb sich seine Zeit lieber mit Zeichnen, was von den Eltern vorsichtig gefördert wurde. Als Liebermann zehn Jahre alt war, bezog die Familie das repräsentative Palais Liebermann am Pariser Platz 7. Den Reichtum der Familie begründete der Großvater als Textilhändler, von dessen orthodoxen Glauben sich die Familie immer mehr abwandte und sich dafür einer jüdischen Reformgemeinde anschloss. Als Liebermanns Vater ein Bild seiner Frau bei der damals berühmten Antonie Volkmar in Auftrag gab, musste Max Liebermann mitgehen und vertrieb sich das langweilige Warten mit Zeichnungen. Noch im hohen Alter war Frau Volkmar stolz darauf das Talent des damals zehnjährigen Jungen entdeckt zu haben.
In der mit vielen bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten der Stadt verwandten Familie, Emil Rathenau etwa ist sein Vetter, galt Liebermann als nicht besonders intelligent. In der Schule schweiften seine Gedanken oft ab, warum er häufig unpassende Antworten gab. Das typische Drama des hochbegabten Kindes zu einer Zeit, die noch wenig davon wusste. Die Hänseleien seiner Klassenkameraden infolge ließen den empfindsamen Jungen oft in Krankheiten flüchten. Seine Eltern brachten ihm Verständnis entgegen, hielten ihm jedoch seinen vernünftigen Bruder vor, der alles gut bewältigte. Die zeichnerische Begabung galt den Eltern nicht viel und bei der ersten Veröffentlichung seiner Werke, verbaten sich die Eltern die Nennung des guten Namen Liebermann. Er behauptete später von sich, kein guter Schüler gewesen zu sein, das Abitur in Mathe nur mit größter Mühe bestanden zu haben, was aber wohl nicht den Tatsachen entspricht. In Wahrheit gehörte er später zu den besten Schülern, war nur in Mathe nicht herausragend und machte als viertbester seines Jahrgangs Abitur.
Nach dem Abitur schrieb er sich zunächst wie sein Bruder für das Studium der Chemie ein, was aber nur ein Vorwand war, um in Ruhe malen zu können. Tatsächlich besuchte er keine einzige Vorlesung und ritt lieber stundenlang im Tiergarten aus oder malte. Er lernte, als er bei Carl Steffeck Gehilfenaufgaben bei der Erstellung von Schlachtengemälden übernahm, Wilhelm von Bode kennen, seinen späteren Förderer und Direktor Kaiser-Friedrich-Museums Zwei Jahre nach Aufnahme seines Studiums exmatrikulierte ihn die Universität wegen “Studienunfleißes”. Nach einem länger ausgefochtenen Konflikt mit dem Vater, der nichts davon hielt, dass sein Sohn Maler werden wollte, ermöglichten ihm die Eltern schließlich doch den Besuch Großherzoglich Sächsischen Kunstschule in Weimar, wo ihm insbesondere auch Rembrandt näher gebracht wurde, der ihn nachhaltig beeinflusste.
Vom patriotischen Taumel begeistert zog er als Sanitäter bei den Johannitern 1870 in den Kriegsdienst, da er für den regulären Wehrdienst aufgrund eines schlecht verheilten Armbruchs für kriegsuntauglich galt. Was er auf den Schlachtfeldern bei Metz sah, dämpfte seine Kriegsbegeisterung nachhaltig. Ab 1871 hielt er sich in Düsseldorf, fand Kontakte zu den Naturalisten und malte daraufhin sein erstes Gemälde die Gänserupferinnen, was aufgrund des Sujets viel Abscheu und Kritik hervorrief. Sein Lehrer hatte ihn zuvor entlassen, weil er fand, er könne ihm nichts mehr beibringen, er sei schon zu gut. Es gab dann noch einige frustrierende Erfahrungen mit der reaktionären und rückständigen deutschen Kunstszene, die ihn dazu brachten, nach Paris zu gehen, wo er sich 1873 in Montmartre ein Atelier einrichtete. Die französischen Naturalisten und Impressionisten verweigerten jedoch zunächst den Kontakt zu dem jungen Deutschen. Der Krieg und die folgende Erniedrigung durch die Reichsgründung in Versailles, waren noch nicht lange her.
Den Sommer 1874 verbrachte er erstmals in Barbizon in der Nähe des Waldes von Fontainebleau. Die Schule von Barbizon war dann für die Entwicklung des Expressionismus von ganz entscheidender Bedeutung. Sie bereicherte die Strömungen ihrer Zeit durch die neue Freilichtmalerei.
Drei Monate verbrachte Liebermann 1875 in Zandvort in Holland und beschäftigte sich in Haarlem ausgiebig mit dem Kopieren der Bilder von Franz Hals, was seine Art des Farbaufrags später stark beeinflusste. Weitere Aufenthalte in Holland 1876 beeinflussen seinen Stil weiter und in dem Gemälde die Holländische Nähschule aus diesem Jahr nutzt er erstmals das Licht impressionistisch. Bei diesem Aufenthalt entstehen auch erste Studien zu dem später so berühmt gewordenen Amsterdamer Waisenhauses.
Weil er vor sich und seinen Eltern Rechenschaft ablegen musste über das, was er tat, verfiel Liebermann in Paris in eine schwere Depression, häufig nahe der völligen Verzweiflung. Es entstanden fast keine Bilder mehr. In der Pariser Kunstszene hatte er keinen Erfolg und wurde aus chauvinistischen Gründen abgelehnt, warum er den Entschluss fasste, Paris zu verlassen.
Als sich Liebermann 1878 erstmals auf eine Italienreise begab, traf er zuvor in München eine Gruppe Maler zu der auch Franz von Lenbach gehörte, welche die Münchner Schule als Zentrum naturalistischer Kunst bildeten. Unter diesem Einfluss malte er sein Werk Der zwölfjährige Jesus im Tempel, das wiederum einen großen Streit auslöste.Konservative Kritiker aus Kirchenkreisen und Hof griffen das Bild mit sehr antisemitischen Tönen an, wollten einem Juden verbieten, den Heiland zu malen, der bayerische Prinzregent Luitpold ergriff wie einige Künstlerkollegen noch seine Partei. Als Reaktion auf die Kritik übermalte Liebermann das Gemälde wieder, von dem es jedoch noch ein Foto gibt. Nun war Liebermann zwar bekannt aber nicht geschätzt und wurde teilweise antisemitisch angefeindet.
Seine künstlerische Laufbahn entschied sich 1880 bei einem erneuten Besuch in den Niederlanden, als er beim Gang durch Amsterdam einen Blick in den Garten des katholischen Altmännerhauses warf, wo schwarzgekleidete Männer auf Bänken in der Sonne saßen. Über diesen zündenden Moment seiner Karriere sagte er später, es war als ob jemand einen ebenen Weg entlang geht und plötzlich auf eine Spiralfeder tritt, die ihn emporschnellt. Er begann das Motiv zu malen und verwendete erstmals den Effekt des durch ein Laubdach gefilterten Lichts. Auf dem folgenden Pariser Salon erhielt er für dieses Gemälde als erster Deutscher eine ehrenvolle Erwähnung zumindest. In den folgenden Jahren wurde Das Amsterdamer Waisenhaus und Die Schusterwerkstatt auf dem Pariser Salon bejubelt und fanden Käufer. Er wurde von der französischen Presse als Impressionist gefeiert.
Bei seiner Rückkehr ins heimatliche Berlin 1884 konnte er schon die Konflikte ahnen, die ihm dort bevorstanden, doch sah er es richtig als die künstlerisch künftig entscheidende Stadt. Schon im Mai des gleichen Jahres verlobte er sich mit der Schwester seiner Schwägerin, bezog eine erste Wohnung In den Zelten im Tiergarten und ging auf Hochzeitsreise in die Niederlande. Im August 1885 wurde seine einzige Tochter geboren und er widmete sich ganz seiner Vaterrolle. Bei seinen Nachbarn, den Bernsteins, lernte er die Berliner Künstlerelite kennen. Dort verkehrten regelmäßig Klinger, Menzel, Bode, Mommsen und Lichtwark, der Direktor der Hamburger Kunsthalle, der früh Liebermanns großes Talent erkannte. So nahm er 1886 erstmals an einer Ausstellung der Akademie der Künste teil und wurde von dem Meinungsmacher Pietsch als großes Talent und herausragender Vertreter der Moderne bezeichnet.
Als sich im Februar 1892 in Berlin die Vereinigung der XI gründete stand diese Sezessionsbewegung in Opposition zur traditionellen Malerei. Laut Lovis Corinth war Liebermann bereits kurz nach der Gründung der Anführer der anarchistischen Elfer. Unter dem künstlerisch völlig geschmacklosen Wilhelm II. verschärften sich die Konflikte mit der offiziellen Kulturpolitik zunehmend. Die Presse reagierte unterschiedlich darauf, einige nannten die neue Richtung Rinnsteinkunst, andere lobten vorsichtig, jedenfalls war Liebermann einer der wichtigsten Köpfe der Berliner Kunstszene geworden, wenn auch als Revolutionär.
Bei einer Ausstellung von 55 Gemälden von Edvard Munch kam es zum Skandal und es wurde die sofortige Schließung gefordert. Beim Verein der Berliner Künstler stimmten 120 für eine Schließung und 105 dagegen, damit vollzog sich der endgültige Bruch zur konservativen Elite um Maler wie Anton von Werner, die heute nahezu vergessen sind.
MIt dem Tod seines Vaters 1894, zwei Jahre nach der Mutter, wurde Liebermann Miterbe eines Millionenvermögens und Besitzer des Palais am Pariser Platz. Auf der ersten Biennale in Venedig 1895 vertrat Liebermann Deutschland gemeinsam mit Fritz von Uhde. Er wandte sich erstmals der Portraitmalerei zu und malte dazu ein Bild seines engen Freundes Gerhart Hauptmann, für das er prompt den ersten Preis erhielt. Als Berater des neuen Direktors der Nationalgalerie Hugo von Tschudi, der die Impressionisten schätzte, begab er sich nach Paris und wurde dort in die Ehrenlegion aufgenommen, nachdem der preußische Kultusminister zugestimmt hatte. Der geschmacklose Kaiser war allerdings von den Einkäufen der beiden weniger begeistert.
Zu seinem 50. Geburtstag widmete die Akademie der Künste Liebermann einen ganzen Ausstellungssaal mit 30 Gemälden, 9 Zeichungen, 3 Lithografien und 19 Radierungen. Nachdem die konservative Akademie 1892 noch mit ihrer Ausstellung ein Fiasko erlebte, ehrte sie nun Liebermann mit der großen Goldmedaille. Darüber hinaus erhielt Liebermann nun einen Professorentitel und wurde in die Akademie aufgenommen. Doch schon 1899 wurde er wieder an die Spitze einer neuen Sezessionsbewegung gewählt, nachdem die immer noch konservative Akademie einen Kollegen ablehnte. Anlässlich einer Sitzung portraitierten sich Liebermann und Corinth dann gegenseitig, worauf eine große Diskussion im Berliner Bürgertum begann.
Auf Initiative seines Freundes Harry Graf Kessler gründete Liebermann 1903 in Weimar gemeinsam mit diesem, Lovis Corinth, Alfred Lichtwark, Max Slevogt und anderen den Deutschen Künstlerbund. Zugleich wandte er sich in einem Artikel als Professor der Akademie der Künste entschieden gegen die neuen Richtungen der Abstraktion und des Expressionismus, da es in der Malerei entscheidend darauf ankomme eine adäquate Auffassung der Natur zu geben, die Phantasie keine Rolle spielen solle. Es war keine Kampfschrift und rief doch den Widerstand der jungen Künstler hervor.
Zu seinem 60. Geburtstag feierte die Berliner Sezession ihren Präsidenten mit einer großen Ausstellung, der sich am Tag selbst der Öffentlichkeit durch eine Reise in die Niederlande entzog. Doch ab 1910 brach der Konflikt ganz deutlich hervor als auf Wunsch des Präsidenten die Berliner Sezession 27 expressionistische Bilder zurückwies und damit wurde der ehemalige Rebell selbst zum konservativen Wortführer. Andererseits lud die Sezession Maler wie Picasso, Matisse und Braque ein, warum die scharfe Kritik Noldes verhallte. Doch bereits 1911 trat Liebermann als Vorsitzender der Sezession zurück, die sich bald spaltete und nur noch von Lovis Corinth weitergeführt wurde.
Dem Ausbruch des Krieges bejubelte Liebermann als preußischer Patriot zunächst, unterschrieb auch Aufrufe, die Vorwürfe der Kriegsverbrechen an deutsche Offiziere als Lüge zurückwiesen. Der Patriotismus wurde im Verlauf des Krieges weniger, er zog sich gern und häufig in seine Villa am Wannsee zurück. Kurz vor Ende des Krieges bekam er noch einen eigenen Saal in der Nationalgalerie und wurde vom Kaiser mit dem Adlerorden geehrt. Beim revolutionären Umbruch, den sein Freund Harry Graf Kessler obwohl vermutlich Sohn von Wilhelm I., aktiv und beratend begleitete, hielt er sich zunächst sehr zurück, ist konservativer Preuße aus einer anderen Zeit, hatte nach der völligen Emanzipation der Juden zu seinem Kaiser gestanden, so kritisch er den geschmacklosen Stümper auch sah.
Wieder liberaler wird er, als ihn die Akademie der Künste als Institution der nun Weimarer Republik zu ihrem Präsidenten wählt und er in seiner Begrüßungsrede ausdrücklich auch eine Offenheit der Akademie gegenüber dem Expressionismus erklärt, den er als Präsident der Secession noch ablehnte und versucht so Secession und konservative Akademie und ihre Gegner unter einem Dach zu einen. Er schaffte es, der ehemals kaiserlichen Akademie so eine demokratische Struktur, ein freiheitliches Unterrichtswesen und zugleich mehr Beachtung in der Öffentlichkeit zu geben. Durch seine Fürsprache wurden auch Heinrich Zille; Karl Schmidt-Rottluff und Otto Dix in die Akademie aufgenommen.
Der Mord an seinem Verwandten und Freund Walter Rathenau erschütterte ihn sehr, dazu kam noch der Tod seines jüngeren Bruders und der seines engen Freundes Hugo Preuß, der als Vater der Weimarer Verfassung gilt. Liebermann zog sich immer mehr in seinen Garten zurück, wirkte oft mürrisch und unwirsch.
Anlässlich seines 80. Geburtstags trat er wieder ins Licht der Öffentlichkeit, wurde dort als der Repräsentant der deutschen Kunst gefeiert. Es gab eine Ausstellung mit über 100 Gemälden aus seiner gesamten Schaffenszeit. An seiner großen Ehrung nahmen neben Zille und Kessler auch Hugo von Hofmannsthal, die Brüder Heinrich und Thomas Mann sowie Albert Einstein teil. Er bekannte sich mittlerweile wieder zu seinem Judentum und hatte im Alter zur Religion zurückgefunden, spendete für jüdische Institutionen. Seinen Kritikern, die ihm einen konservativen Stil vorwerfen, entgegnet er, die Sucht nach dem Neuen sei der Fluch unserer Zeit, der wahre Künstler strebt sein Leben lang nach nichts, als der zu sein, der er ist. Nach langem Ringen verlieh ihm der Berliner Senat auch die Ehrenbürgerwürde und Reichspräsident Hindenburg verlieh ihm das Adlerschild des Deutschen als Zeichen für die Dankbarkeit, die ihm das deutsche Volk schuldete. Vom Innenminister bekam er die Goldene Staatsmedaille für Verdienste um den Staat. Er war in jeder Hinsicht ruhmreich.
Ende 1927 portraitierte er Reichspräsident Hindenburg, obwohl er sich innerlich nicht zu ihm bekannte, nahm er die Aufgabe doch gern an und sah sie als weitere Ehrung. Die Portrait Sitzungen der etwa gleichaltrigen Herren waren getragen von Respekt und gegenseitiger Sympathie. Als Liebermann 1932 schwer erkrankte stellte er sein Amt als Präsident der Akademie zur Verfügung und wurde zugleich zum Ehrenpräsidenten ernannt, durch die Behandlung des befreundeten Arztes Ferdinand Sauerbruch wurde er gerettet und gesundete noch einmal. Die Portraits von Sauerbruch bildeten Abschluss seines Portraitwerkes und sind zugleich auch dessen Höhepunkt. Wer mag kann sie in der wunderbaren Berliner Alten Nationalgalerie betrachten, neben zahlreichen anderen Werken des großen Meisters des deutschen Impressionismus.
Als am 30. Januar 1933 die Nationalsozialisten einen Fackelzug durch das Brandenburger Tor an seinem Haus vorbei veranstalteten sprach er die berühmten und viel zitierten Worte:
“Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.”
Er trat nach der Gleichschaltung der Kunst im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie im Mai 1933 von all seinen auch Ehrenämtern in der Akademie der Künste und sonst zurück, da seiner Überzeugung nach Kunst, der er sein Leben lang gedient hätte, nichts mit Abstammung zu tun habe, diese Sicht aber öffentlich keine Geltung mehr habe.
Die letzten beiden Jahre lebte er nur noch voller Zorn auf das, was mit diesem Land unter Hitler geschah und hatte nur noch zu Käthe Kollwitz Kontakt, die berichtete er sei Abends um sieben am 8. Februar 1935 friedlich eingeschlafen in seinem Haus am Pariser Platz. Beerdigt wurde er auf dem jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee, wozu bereits kein Vertreter der längst gleichgeschalteten Akademie der Künste erschien. Die Gestapo hatte im Voraus die Teilnahme sogar untersagt und dennoch kamen über 100 seiner engsten Freunde. Jedoch nahmen laut Saul Friedländer nur drei “arische” Künstler an der Beerdigung teil.
Liebermann lieben fällt schon vom Wort her leicht und liegt auch in der Art wie der große Berliner Maler die Dinge betrachtete - er malt liebenswert und schaut auf die Dinge mit liebendem Auge. Ein Meister des Lichts in seinen größten Werken. Ein genau blickender Freund in seinen Portraits. Liebermann machte es mir leicht, ihn zu lieben, er malt wie ich fühle und seine Bilder machen mich glücklich. Seine fehlende Zuneigung zu den Expressionisten teile ich, auch wenn sie gewiss eine bedeutende Epoche der Kunstgeschichte sind, schön sind sie nicht. werde ich mit diesen nie warm, anders als mit der klassischen Moderne etwa in der Sammlung Berggruen aber das mag an meiner horizontalen Beschränkung liegen.
Als ich so verschwitzt und verstaubt nach meiner ersten Tour dorthin die Villa Liebermann betrat, überlegte ich noch, ob ich mich erstmal zur Erfrischung mit Tee und Kuchen sowie einem großen Wasser auf die Terrasse setze oder lieber erst Liebermanns Bilder besuche, den eigentlichen Grund der Reise und ich entscheide mich, bevor weniger Licht am bereits fortgeschrittenen Tag nur noch da ist, es vielleicht wegen Schließung hektisch wird, in Ruhe die enge Wendeltreppe nach oben zu gehen.
Schöne lichte Räume erwarten mich. Bilder aus dem Garten, Grafiken und einzelne andere Bilder. Ein Bad in Wärme und Liebe. Fühle mich wohl dort und ich habe das Gefühl diese Bilder verbreiten auch eine solche Stimmung im Haus. Dies ist kein vernünftiges kulturkritisches Urteil am Ende sondern das Gefühl eines Besuchers an einem der schönsten und mir liebsten Orte Berlins. War später noch manches mal dort und kenne keinen Platz in der Stadt, der so sehr eine gute Atmosphäre spürbar macht, wie die Villa Liebermann am Wannsee, die immer einen Besuch lohnt. Es ist auch wunderbar durch die Alte Nationalgalerie zu schlendern, auch andere Meister von Menzel bis Monet und Corinth zu bewundern, viel mehr seiner berühmtesten Gemälde dort zu sehen, als in der bescheidenen und übersichtlich familiären Sammlung am Wannsee. Doch sich danach auf die Terrasse zu setzen, den Liebermann noch in Herz und Hinterkopf, auf den See mit den weißen Segeln zu schauen, während die Birken im Wind wogen, einen feinen Tee zu trinken, dessen Aroma sich blütengleich langsam auf der Zunge entfaltet - das ist einfach unschlagbar.
Kaum vorstellbar, dass keine 200m Meter weiter das Haus der Wannsee-Konferenz steht, auf der die Vernichtung von Europas Judens als deutsche Politik offiziell beschlossen wurden. Die Liebe zu den Menschen und den Dingen, die ihn umgaben in der Villa Liebermann spüren und zu wissen, warum Menschen, die solche Künstler als entartet oder unerwünscht bezeichneten, einfach dumm und unmenschlich sind, ist auch einer der Gedanken, die mir durch den Kopf jagen, als ich auf der Terrasse sitze, einen Sandwich nasche und mich freue und dankbar bin, hier zu sein, da zu sein, dies erleben zu dürfen und wie schön Leben sein kann, wenn wir es liebevoll zu würdigen wissen wie bei Liebermann.
jens tuengerthal 14.3.2017
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