Drei Schwestern allein bestritten gestern die Premiere von Nach Moskau der neuen Adaption von Andreas Neu der tschechowschen Drei Schwestern. Und es brauchte nicht mehr als diese drei starken Schauspielerinnen die Bühne zu füllen, ein großes Stück in einem Raum zu erzählen. Besser wir vergessen Tschechow vorher, um frei zu genießen, sagte der Autor und Regisseur Neu schon vorab, was tief gestapelt war, denn elegant spielt er mit der Sprache und verschiedenen Charakteren des Stücks und seiner Verzweiflung am Nichts, was aber auch treffend war, wurden doch die textsicheren Mutmaßungen am Ende verwirrt, trauten wir besser dem, was wir sehen.
Nach Moskau zieht es die drei Schwestern nach dem Tod des Vaters und immer wieder in verschiedenen Stufen der Verzweiflung am Nichts des geistlosen Landlebens. Mascha, stark und sehr nah gespielt von Susanne Heubaum, die in ihrer heulenden Verzweiflung so glaubwürdig ist wie in der blasierten Langeweile, ist sich anfangs schon mit Irina einig, dass alles Heil nur in Moskau liegt, wo die Mutter starb, zu der sie wieder wollen, ins Nichts also. Irina, gespielt von einer vielfältig präsenten Katharina Kollmann, die ihren ersten schauspielerischen Auftritt mit der gleichen Bravour meistert, wie die ihr gewohnten Einlagen als Sängerin und deren starke Lieder und Texte diese Adaption musikalisch nicht nur bereichern, sondern ihr die Krone aufsetzen, kämpft innerlich lange gegen Heirat, Anpassung und das eben alternativlose Nichts und wird so auch zum Echo des Stücks. Olga, von der zarten Barbara Smilowska mit ungeheuer viel Kraft und Überwindung gespielt, versucht in ihrer verzweifelten Einsamkeit, als einzige noch die Fahne hoch zu halten, entgegen der Wut und Verzweiflung über den nur imaginierten Bruder. Sie ringt um die Schwestern, erklärt diesen ihre Situation als traumhaft, blendet deren Realität einerseits aus und ist doch präsent genug, immer wieder Kurven zu schlagen, um Nähe zu den beiden zu finden, bis auch sie sich Rauch und Wodka ergibt. Die aus Schlesien gebürtige Smilowska gibt ihrer Olga auch stimmlich den sinnlichen Klang östlicher Sprache, der über dieser Verzweiflung am Traum von Moskau liegt und noch weiter nachklingt, wie die wunderbaren Lieder von Katharina Kollmann.
Gespielt auf einer fast leeren Bühne, die Olga Saizewa, als aus dem tiefen osten Russlands, dem inneren Sibiren, stammende Künstlerin, hier glaubwürdig zum Landhaus ausstattete, in dem sich ganz viel um ein Sofa dreht und dessen Räume sich in durchleuchteten Vorhängen ins unendliche dehnen. Das wenige treffend arrangiert trug den Theaterabend, der sich mit den drei starken Schwestern in eine zunehmende Verzweiflung nach houllebecqscher Manier drehte, um die Andreas Neu einen gewohnt anspruchsvollen philosophischen Bogen auch im Text schlug.
Großes Theater im Acud auf kleiner Bühne, das mit dem Leben und seiner Verzweiflung im Verlust der Hoffnung spielt. Wie sie sich auch nach Moskau sehnen, das jeder von uns als Stadt der Träume und best gehüteten Geheimnisse in sich trägt, es bleibt nur der Kopfschmerz, den es unerfüllt hinterlässt nach dem Verbrennen der “Kopfstrandansichtkarten”, wie es im Flyer so treffend genannt wird. Sie bleiben auf dem Land und in seinen Umständen verfangen, an denen sie nichts ändern. Es ist die Hoffnungslosigkeit einer Generation ohne Träume, die nur noch in der Gegenwart lebt ohne Bezug zur Zukunft, weil sie vollzieht, was ihnen alternativlos scheint, um sich am Wochenende als Kontrast zur nur Realtität andere Träume zu suchen, die sich auch nur schmerzvoll im montäglichen Nichts wieder verlieren - wozu das alles ohne Träume?
Ist das Sein nur eine unterschiedliche Dekoration der eben realen Hoffnungslosigkeit, der wir mit den Worten der Kanzlerin alternativlos immer ausgeliefert sind, vollziehen wir nur noch, statt zu handeln und könnten am Nichts genausogut verzweifeln, hinterfragten wir es ernsthaft. Das hielt uns genial als Spiegel unserer Zeit immer wieder Houllebecq vor in seinen Büchern und damit spielt auch Andreas Neu passend zu Berlin und dem Geist einer Zeit irgendwie dazwischen.
Diese Verzweiflung kann verzweifeln lassen und es fragten sich Zuschauer danach, die rasch gingen, warum sie sich das antun sollten, die sich vermutlich auch fragen, warum sie Houllebecq lesen sollten und seine viel depressiveren Verzweiflungen. Es gibt gute Gründe, sich diese Fragen zu stellen und aus ihnen, etwas zu sehen oder zu suchen, wem diese Frage weniger liegen, weil das Leben schon schmerzvoll genug gerade erlebt wird, der kann einen reichen Theaterabend voller Pointen sehen, soll sich ruhig den Tschechow noch wieder vergegenwärtigen und dessen Idee, eigentlich eine Komödie geschrieben zu haben. Es entfernt sich womöglich etwas von der Idee des Autors und Regisseurs, ein Theatergenuss bleibt Nach Moskau auf diese Art dennoch und so möge jeder nach seiner Fasson entscheiden, den Tschechow vorab zu vergessen, oder sich wach zu rufen, um Theater nach seiner Fasson zu genießen. Eine unbedingte Empfehlung für alle Theaterfreunde in Berlin, noch dieses Wochende und Anfang Juni im ACUD in der Veteranenstraße 21 und Ende Mai auf der Popelbühne in der Dunkerstraße 16. Schaut Nach Moskau!
jt 15.5.15
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