Dienstag, 21. Mai 2013

Betroffenheitslyrik



Die nachfolgenden Gedichte entstanden nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und waren der Versuch einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema - vor Katastrophen stehen wir immer wieder, aus manchen wollen wir lernen, bei den meisten tun wir das eher weniger, machen weiter wie bisher und wundern uns jedes mal aufs neue, wenn wieder die Welt unterzugehen droht, auch wenn wir doch vermeintlich so gut wollen und unsere lässlichen kleinen Umweltsünden und sonstigen Vergehen, doch nicht wirklich dafür verantwortlich sein können. Bin gespannt auf eure Gedanken dazu nun zwei Jahre später.

 Ein Tal in der Nähe von Fukushima, das Menschen voraussichtlich die nächsten zehntausend Jahre nicht ungeschützt werden betreten können.


Der große Knall, bei dem menschliche Technik und Natur Leben auf Dauer unmöglich machten.

Betroffenheitslyrik

nun entzünden wir wieder lichterketten
tragen fahnen und farben,
die unsere nähe zeigen,
uns zu mitfühlenden opfern machen
im chor der gutmenschen unserer welt

es hilft nichts und niemand aber es
fühlt sich so schön an und
nimmt uns die last des
selberdenkens

fingen wir damit an, müssten wir uns
fragen, wo wir teil dessen sind, was
geschah jenseits der naturkatastrophe,
die auch durch hiesige lichterketten
kaum behoben wird

wir handeln wie immer
ohne die folgen zu bedenken
und geben uns der gewohnheit
hin – wie wäre es einmal anders:

innezuhalten
nachzudenken
still zu stehen
zu schweigen
und die langsamkeit wieder zu entdecken

© jens tuengerthal 11.03.11


wen eigentlich

mahnen wir, wer wird bewacht
und wem helfen wir mit sich
verbreitenden mahnwachen
allerorten

helfen wir uns?
oder den opfern?
mahnen wir wen?

machen wir einfach politik,
wie immer, nur zugunsten
dritter ungefragter, die dann
dankbar zu sein haben

wen eigentlich wollen wir
damit beglücken oder geht
es am ende weniger um
sie als um uns
spurloses

strahlen sind fast immer unsichtbar
begreifen können wir sie kaum und
fühlen nur, wenn es schon zu spät
ist

zu spät, als dass sie noch spurlos an
uns vorübergingen, uns unberührt
ließen, uns nicht schon veränderten,
wuchernd

angst ist nichts greifbares, nur eine
ahnung voll genügt, uns ganz aus
der bahn zu werfen, bis wir nun
spurlos

verschwinden wollten, blieben
nicht die strahlenden reste
von uns eine ewigkeit
über


gewissheiten

was wissen wir schon über das
was kommt und seine ursachen,
tappen fragend nur im dunkeln,
das uns umgibt und aus dessen
zu heißen kernen es strahlt, um
uns künstliches licht zu geben,
das uns auch keinen durchblick
gab

dabei lieben wir doch die
klarheiten
und den
durchblick
der uns stark macht
vor anderen

beschäftigten wir uns mehr mit
uns nun im schatten des schrecken
vielleicht bekämen wir gewissheiten,
die uns der minütliche blick auf
nachrichten nie gibt
vielleicht wollen wir auch gar nicht
so genau hinschauen und klagen nur
aus gewohnheit


  
heldensterben

echte helden werden selten, wenn
kriege am bildschirm entschieden,
retter via gps gesteuert, keiner mehr
es sich leisten kann, was zu riskieren

wie wollen wir da noch welche,
die einfach ihr leben riskieren
für andere, ernst nehmen
was sind sie sich denn noch wert,
haben sie die zeichen der zeit
nicht erkannt, fragt sich jeder
bescheidwisser
und wenn sie dabei sterben,
sind sie wohl selbst schuld

wer dem anderen mehr wert gibt,
als sich zu retten, ist wohl nicht
angekommen im globalen system
fraglich nur, wer uns rettet,
wenn es drauf ankommt,
wie gerade von osten her


zwischenzeiten

in zeiten zwischen den welten
können wir luft holen, um der
atemlosigkeit lebensraum zu
geben, sie uns wieder zur
schöpferischen lust werden
kann

lenken libyer ein angesichts
der drohung, wird mehr frieden,
werden vorgeblich friedvolle
deutsche zu ängstlichen verhinderern,
die am atom heilen wollen,
was sie in der energiepolitik
vernachlässigten

besserwisser und schreihälse
werden manchmal durch taten
schneller gestoppt, als durch
weiteres warten

fragt sich nur, ob die
zwischenzeiten auch genügen
japanische kerne zu kühlen oder
das zu lange schweigen bereits
unerbittliche folgen haben wird


sonntagsruhe

unter immer blauerem himmel schweigen
hier jedenfalls die waffen, geben sich die
einen verbündeten unverbindlich
gegenüber den anderen,  die sich
kämpferisch zeigen, für
revolutionäre freiheit leben opfern
strahlen östlicher noch die reaktoren
vor sich hin – keiner weiß wie stark
kerne verschmolzen und noch
zögern sie, etwas zu bestatten
was wir nicht beherrschen sondern
uns und es fragt sich, was uns
die freiheit noch wert ist im
lichte ihrer feinde und
manche sonntagsruhe ist
trügerisch


frühlingsanfang

in hellem licht treiben die sonnendurchfluteten
ihre triebe aus, beginnt ein bilden und streben
überall, goetsch gesagt, wollen wir, wie die
umgebende natur uns fortpflanzen in allem
schöpfung werden uns nur schöpfend
erschöpfen

während hier der zyklus seinen lauf nimmt,
gehen südlicher und östlicher welten unter,
von denen wir nicht wissen, wann und ob
sie wieder einen blühenden frühling sehen
oder in menschengemachtem tod ewig
strahlen

sollten wir weniger liebend, das licht im
frühling begrüßen, weil einige ihre erde
unbelebbar machen oder müssen wir nun
um so mehr die liebe und das leben feiern,
einen apfelbaum pflanzen damit unsere
kinder noch liebesäpfel genießen können –
oder wäre das unmenschlich?


sonnentage

unter blauem himmel ziehen sie
mit ihren träumen und sorgen
durch die himmelblau leuchtende
stadt, suchen lösungen für ihren
alltag, streiten sich über laufzeiten
und beteiligungen während anderswo
wieder rauch aufsteigt und

ungewissheit

kommenden frühling verdüstert
oder sich andere im kriege

fürchten

möchten wir hier in der sonne
sitzen, weil sie scheint - müssten
wir nicht wichtigeres dringend tun
ob es noch wichtigeres geben kann
an einem frühlingstag, als in der
sonne zu sitzen im frieden, fragt
sich einer hier, denkt an dort und
macht einfach weiter

untergründig

unsichtbar wandert
das strahlen
vom kohl
zum kraut
und in die rüben
bis es tiefer noch im wasser wiederkehrt
noch ahnt keiner
wie weit was wohin
geht und was bleibt
keiner hat was
gesehen und
keiner spürt gleich
etwas nur untergründig wandert es
weiter und weiter und lässt
unerwünschtes wachsen
bis uns unser werk auffrisst
rosige vorstellung im frühling



endstation

wenn menschen an ihre
grenzen stoßen, nichts
mehr tun können, nimmt
die menschengemachte
katastrophe ihren lauf
ganz natürlich werden
himmel und erde nun
verseucht und hilflos
sehen wir nur zu -
hoffentlich hilft einer
den menschen noch


wir dürfen nicht

zu optimistisch sein, sagte heute
ein regierungssprecher im osten
und einer, des es wissen könnte
hier im westen meinte es sei nun
größer schon, als das was wir uns
als größtmögliches dachten

und weiter schmelzen die kerne sich
in boden und besiedelte umgebung

vergiften die insel
für millionen jahre

machen ewigkeiten unbewohnbar
lassen die menschen langsam
sterben immer mehr

vielleicht müssen wir nun
optimistischer sein, um
alles zu ertragen oder an
die liebe 


planlos ins nichts

während wir dem begrenzten
krieg wahltaktisch fernblieben,
dehnen wir den über
decaden ziellosen krieg
aus, um zumindest solidarisch
zu scheinen, machen die
planlosigkeit manifest,
lassen ausstiege uns verkünden,
die keine sind wie die untaktischen
verräter offenbarten, ohne zu wissen,
was sie taten, weshalb nun andere
ihren kopf opfern, bis sie dann
wochen später wie entehrte
kapitäne wieder in alle ehren
eingesetzt werden – spielt
noch, wer so leicht opfert
oder ist es nur noch ein
todeskampf, wie er östlicher
noch um reaktoren ausgefochten
wird, die längst allein den
fusionierenden gang aller
kerne gehen, ohne dass einer
nur wüsste wohin


konsequent gedacht

müssen wir zu ende denken was droht
oder wollen wir lieber nicht wissen
was auf der östlichen insel passiert
während wir unseren samstag in ruhe
beginnen

was würde sich ändern, wenn wir
wüssten, dass der boden wie das
umgebende meer nun tausende
von jahren unbetretbar bliebe –
nichts wohl

was können wir tun für die dort,
die schon verstrahlten, die wir
nicht hier haben wollen, um
nicht selbst krank zu werden,
gar nichts

gibt es noch einen funken an
hoffnung, dass alles sich noch
zum guten wendet und wir uns
schadlos dem grauen entziehen
durch schließen der augen,
wohl kaum

vielleicht aber könnten wir,
zu denken beginnen, einfach
und konsequent, was es heißt
für die kinder und kindeskinder
und taudende von generationen,
was geschah

dann könnten wir es künftig besser
machen, wenn wir noch etwas
machen können – zuviel
konjunktive scheint mir


sonntagsruhe II

ruhiger als ruhig und sogar oben
nur blau dreht sich die
sonntagswelt
nur um sich
während dort rebellen erfolgreich
ihre regierung von regierungen
anderer staaten unterstützt
bekämpfen und östlicher noch
strahlende welten ihren lauf
nehmen und eben alles ganz
natürlich immer schlimmer wird,
klingen durch berliner himmelblau
im frieden eines hinterhofs vom
erdgeschoss her orgelklänge,
trübt nichts den himmel über den
vielen dörfern und nur die blüten treiben
die allergiker nach innen – es herrscht
frieden scheint es – aber was ist noch
die  wirklichkeit in zeiten wie


kernfusion

wenn alles eins wird und sich
das einsgewordene unserem
zugriff entzieht, können wir
nur noch hoffen, dass es im
boden bleibt damit es uns
nicht atmosphärisch noch
betrifft –
sollen sie doch den fernen
osten unbewohnbar machen,
könnte der westen meinen
könnte sich sicher wähnen
so fern von allem nur
insofern könnten wir,
unmenschlich gedacht,
irren,
leider nur wird es dann
keiner mehr merken


hoffnungsschimmer

zwischen all den meldungen vom ende
noch eine aussicht finden, scheint
immer schwerer, noch suchen wir
und halten uns an

strohalme aus licht und liebe

wenig mehr blieb uns als die illusion,
es könnte etwas geben, was das nichts
überlebt, unseren kindern heimat wird

solange wir kinder haben und machen,
werden wir wieder und wieder träume
träumen wollen – für eine hoffnung
ein leben geben – auch wenn nichts
mehr bleibt

es gibt keine hoffnung, dass plutonium
verschwindet und wir nicht sterben an
ihm oder aus anderen guten gründen
als verstrahlte opfer unserer gier

aber es gibt kinder und also ist etwas
auch wenn nichts mehr ist …


nichts ändert sich

was wird wohl werden, wenn wir
überleben und die auf der insel
wieder einen alltag finden
jenseits von strahlung
und beben,

werden wir wieder uns fressen lassen
von gier und fortschritt und bedenken
beiseite schieben, als sei nie etwas
geschehen

müssen sie nicht gerade nun erst recht
und um so schneller sich wieder erholen

was bleibt - wohl nichts, scheint es
und wir werden wieder weitermachen
wie immer, weil es ja weitergehen muss

bis zum nächsten knall

der wachrüttelt, unser denken ändert,
die grundfesten des seins erschüttert bis ins
Mark, bis es wieder weiter gehen muss und
so weiter und so weiter und so weiter

und wenn sich nichts ändert, leben wir doch
noch, sonst hätte sich ja was geändert


bombenwetter

ruhig und friedlich bis es kracht,
kommt der mai auch in den eher
unruhezonen genannten gebieten
daher und eine autonome demo
am platz wurde von den nun
eltern früher einmal wilden eher
lächelnd betrachtet von oben, die
kinder fest an der hand – empören
wir uns nun, dass diktatorensöhne
und enkel zu rein militärischen
zwecken sterben müssen oder lassen
wir uns den schönen mai nicht trüben,
fragen sich die früher friedensbewegten
in den frisch sanierten wohnungen, den
latte auf der dachterrasse in der hand,
zumindest den blick in die tiefe
wäre nicht so ein bombenwetter
könnten wir ja was machen
gegen irgendwas
nur fukushima strahlt eben weiter
einige ewigekeiten


Der Terror
(lat. terror „Schrecken“)

ist die systematische und oftmals willkürlich erscheinende
Verbreitung von Angst und Schrecken
durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt,
um Menschen gefügig zu machen.

Das Ausüben von Terror zur Erreichung
politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Ziele
nennt man Terrorismus.

Terror war ursprünglich
bei den alten Vordenkern des Liberalismus
eine dem Staat zugeschriebene legitime Funktion.

So dichtet Wikipedia, wie machen wir uns nun einen Reim darauf, fragt sich, wenn irgendwie staatliche, nur vor Ort fremdstaatliche Terrorkommandos gezielt Terroristen töten unter Inkaufnahme von Angst und Schrecken und wenn dies gelang, tanzen die Menschen auf den Straßen in Amerika, während in der islamischen Welt ein Held betrauert wird. So denkt heute auch der Freitagsdichter über diese bejubelte Tötung nach und fragt sich, ob der Tod eines Menschen je Grund zur Freude sein dürfte.


ende des terrors

wer gewalt sät, wird gewalt ernten,
wussten schon die alten und
ignorieren es bis heute

kaum hat sich der kampf gegen
atomares grauen den schlagzeilen
entwunden, sollen wir uns über
getötete tötende freuen

im immer noch wilden westen
tanzen sie auf den straßen
im früher schon kultivierten osten
trauern wohl viele
um einen tödlichen helden

was ist angemessen
an wendepunkten
wenden wir den blick
nach oben und schauen
wohin die sterne weisen
oder suchten wir besser
landmarken in uns?


in der not

dürfen wir uns in der not wehren
oder sollten wir lernen, zu ertragen,
uns zu opfern, dem was wahr ist
oder viele für wahr halten, was aber,
wenn es nicht wahr war, nur eine
zeitweise wahrheit uns leitete und wir
für vermeintlich wahres nun falsch
finden, nachdem wir unwiderruflich
handelten – dann bleiben die
im namen der wahrheit getöteten
tot und die sicheren kraftwerke
strahlen weiter – wie können wir uns
gegen die wehren, die unwiderrufliche
wahrheiten verbreiten?


wechselwetter

so wird nach maienhaft endendem
april der mai wieder wechselhaft
und zwischen wolken und sonne
fegt der regen offene blüten von
zu bunten bäumen für die graue
stadt – zarter blütenzauber
vom winde verweht – alles zuviel
wird wieder grau im graben
grauenhaft grau fühlen sich
noch die gedanken an
japanische kirschblütenträume an
und wir fragen uns, ob das nun
echolose nichts nicht viel
katastrophaler ist, als die sich
überschlagenden meldungen


traumtage

warme sonne wechselt mit wolken
und wind weht über den berg –
es ist frühling und das leben blüht
wunderbar, währenddessen
sucht sich die liebe ihre wege,
ergreift alles –
ein lächeln liegt in der luft,
östlicher nur, von wo die
verwöhnenden sonne kam
verstrahlen sich arbeiter in
kurzschichten, um zu retten,
eine lüftung in gang zu bringen
und während hier der traumtag sich
gen westen himmelblau verneigt,
riskieren dort wenige alles für den
rest, der kurz sein könnte –
nur ein alptraum?


lichtblicke

eingemauert zeigt sich der reaktor
ruhiger, fast harmlos auch in
todeszonen –
wenn wir nur wüssten, wann das mauern
beginnem und das kühlen enden kann
während feuerwehrleute samuraigleich ihr
leben spritzend riskieren
techniker minutenweise jahresdosen
sich aussetzen, um zu retten,
wissen wir noch immer nicht, was wird,
wie lang, wie groß, wie ewig dauert das
geteile von menschenhand, denn wenn
die erden nicht mehr bebt und alles
gut geht, könnte es in 30 jahren sicher sein,
außerhalb der todeszone
was für ein lichtblick


heldensterben

helden werfen sich in schlachten,
stehen an der front und geben ihr
leben für die sache, so werden
sie mit ihrem ende zu vorbildern
der überlebenden, die tote ehren,
weil sie weiterleben im schatten
des todes – den helden aber
bleibt nichts als ihr nicht sein
und so fressen wir unsere helden,
opfern vorbilder, um des lebens
willen im sterben – fragt sich,
was aus denen wird, die langsam
sterben, wenn ihre taten schon
vergessen und anderes uns lebende
umtreibt – sie gingen, damit wir
bleiben und sterben still vor sich
hin – es bleibt fast nichts nur die
sonne scheint und der frühling
ist zauerhaft lebendig verliebt


muttersöhne

solche die einmal erfolgreich sind,
stolz der mutter, kern des seins,
waren auch die kernspalter,
die aus ihrem wissen bauten,
was uns heut die erde nimmt
wenig nur trennt das genie von
unsrem sterben und im nutzen
liegt der tod verborgen

ehren wir nun auch die mörder
mütter oder wär das inhuman?
muttertag bleibt muttertag auch
wenn söhne sterben oder morden
denn im gebären und im tragen
lag das mutter sein –
was nun wird ist einerlei,
mutter bleibt abstrakt und ist,
war es das?

zwischen fukushima und tschernobyl
warten mütter bis heute auf ihre söhne


leere freiheit

wo ist die freiheit im leeren raum,
wenn nichts mehr ist und sein in
der leere keinen halt mehr findet,
überleben am lebensraum
scheitert?

was ist die freiheit im nichts wert,
wenn alles was blieb, leblos wird,
weil nichts mehr leben kann in
verstrahlten räumen?

wie leben wir die freiheit im toten
raum, in dem kein freiraum für
leben mehr ist, weil die strahlung
nicht halt macht?

wer glaubt noch an die freiheit
jenseits der todeszone oder
ist im diesseits damit ein neues
jenseits die freiheit?


wonnemai

verbrannt und ausgelaugt sind wir
im auf und ab der krisen und kaum
weiß einer wohin, wer wagt es noch,
hinzuschauen und da zu bleiben, in
all dem schmerz und der gerechten
wut am ende – immer trifft es die
falschen, büßen die kleinen, für den
unsinn und wahn der großen oder
sieht einer ausnahmen?

nur was tun, wenn im mai die sonne
scheint, die parks rufen, die liebe lacht,
sollen wir uns in jedem moment bewußt
machen, dass die welt schrecklich ist
zu uns und anderen oder lebt es sich
besser dies leugnend?

weiß nicht was wahrer ist, und während
fukushima weiter strahlt, lachen wir den
frühling an, zeugen unschuldig,
nur wegschauen,
wenn kraftwerke oder
bücher brennen, wäre tödlich,
für wen auch immer
… schön ist der Mai …


mutproben

wer sich im gegeneinander misst,
lässt im miteinander mehr aus,
hat mut zur lücke im sozialen und
wird um seiner klaren stärke
vielerorts bewundert,
braucht es doch entscheider,
meinen manche,
während andere glauben,
viele augen sähen mehr –
wer viele will, muss teilen
wer nicht teilen will,
muss viel kämpfen
ist mutiger, wer zu teilen wagt oder
wer allein siegen will,
fragt sich einer und denkt an die
kratftwerkskämpfer, die sich geben,
damit wir überleben und über allem
teilen sich die kerne und wir können
sie nicht halten manche mutproben enden
tödlich


hoffnungsträger

zwischen grauen wolken und
großen ängsten zeigt sich nun
wieder licht und der tag badet
im wechsel zwischen heller
hoffnung und dunkler ahnung

halten wir uns an die erstere
könnte ein abschalten dort wie
hier eine sicherere zukunft
ahnen lassen, der liebe auf
ihren wirren wegen ein
versprechen abringen

sehen wir auf die ahnung,
wissen wir, was geschah,
wie viele ewigkeiten es
dauert bis heilt, was eben
erst geborsten, wie weiter
strahlen die reste

in der maisonne halten wir
uns lieber an die lücken
zwischen den wolken und
nehmen das wenige als ein
versprechen zum glück

manchmal lebt sich schöner
als hoffnungsträger und
leuchtturm, lichter jedenfalls


wetterwechsel

was tun wir, wenn sich nichts wie
angekündigt verhält und eins ums
dem tag entgegen lachen lässt,
auch wenn wir es besser wissen,
den untergang spüren, angst haben,
die im frühlingsrausch verblasst
weil die natur sich wege zueinander
sucht, ungeahntes glück sich in
bedrohter umgebung halt sucht –
nehmen wir vernünftig das glück,
begreifen es und vergessen die
hoffnung oder fühlen wir unser
glück als hoffnungsersatz, leben
weiter, als ständen wir nicht am
abgrund?

was weiß ich schon vom glück,
weder woher, noch wohin oder warum
mich wundert nur,
dass ich so glücklich bin,
wenn die sonne scheint


friedensfeste

feiern wir den frieden noch,
achten wir, was um uns
krieglos ist oder wäre uns
die schlagseite einen
kulturkampf wert
denn grenzen ziehen ersetzt
im identitätslosen vielerlei
die wertsetzung der vereinzelten
so in europa,
in japan
in uns
so glauben wir, abgrenzung schütze
irgendwen vor irgendwas, irgendwann –
leider nur verhält sich unser sein,
wie die kerne, die wir spalten,
es akzeptiert keine grenzen
bin gespannt, wann wir unseren frieden
mit dem sein machen,
einfach grenzenlos


AGNUS DEI

„Er wurde misshandelt und niedergedrückt,
aber er tat seinen Mund nicht auf.
Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt,
und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer,
so tat auch er seinen Mund nicht auf.“
Jes 52,13ff

alte worte des propheten jesaja
von vor über
zweitausendsiebenhundert jahren
sind art gemäß, so neu uns nicht

während es früher nur einzelne
oder völker und gruppen traf
sind wir heute im vernichten
ganz global – kennt unsere
strahlungswut längst keine
grenzen mehr hält nicht mal
vor den meeren

so wurde das lamm vom wesen
zur gattung und noch immer
schweigen wir, beim schlachter
wie beim friseur und es bleibt
fast nichts – opfern muss sich
keiner mehr, nur alle


wirklichkeiten

was, wann und wo um fukushima
wahr war und wird, wissen wohl
nicht einmal die, die uns die lügen
auftischen, um ihren hals zu retten

wer zum eigenen schutz handelt,
gefahr und strafe von sich weist,
handelt in notwehr, kann nicht
belangt werden dafür, das
nennen wir rechtsstaat

dumm nur, wenn, was den einzelnen
vor der gemeinschaft schützen soll,
diese auffrißt, wenn die lügen der
opfer, diese zu tätern am ganzen
machen – sonst gäbe es eine nothilfe
für die erde und wir könnten zu
rettern werden, wenn wir die stoppten,
die uns gefährden

würden dann die heute noch terroristen
genannten zu rettern, weil sie die
säulen des systems,
das uns auffrißt zerschlugen?


wirklichkeiten

was, wann und wo um fukushima
wahr war und wird, wissen wohl
nicht einmal die, die uns die lügen
auftischen, um ihren hals zu retten

wer zum eigenen schutz handelt,
gefahr und strafe von sich weist,
handelt in notwehr, kann nicht
belangt werden dafür, das
nennen wir rechtsstaat

dumm nur, wenn, was den einzelnen
vor der gemeinschaft schützen soll,
diese auffrißt, wenn die lügen der
opfer, diese zu tätern am ganzen
machen – sonst gäbe es eine nothilfe
für die erde und wir könnten zu
rettern werden, wenn wir die stoppten,
die uns gefährden

würden dann die heute noch terroristen
genannten zu rettern, weil sie die
säulen des systems,
das uns auffrißt zerschlugen?


wertewechsel

wissen ist macht und nichts wissen
macht machtlos, lernte ich früher,
während wir das nichts beobachten,
das wir nicht sehen können, aber
weiter still vor sich hin strahlt,
spüren wir,
wie wenig wir wissen,
erschütternd nur,
wenn wir erfahren,
was wir wussten,
war gelogen, weil auch nichtwissen
macht ist,
ist es für die wissenden besser, wenn
nicht so viele wissen, was wirklich ist
oder könnte es für die weiter lebenden
gut sein, nichts genaues zu wissen,
weil die angst krank macht –
wenn keiner was genaues weiß,
geht es dem besser,
der sich keine sorgen macht

haben wir nun einen wertewechsel oder
macht nicht wissen nichts mehr?


schauerlich

mairegen macht schöner und
aus jedem tal geht es wieder
aufwärts ans licht, es hätte ja
noch schlimmer kommen
können, so gesehen,
haben wir noch richtig
glück gehabt und jetzt wird
in die hände gespuckt,
damit es wieder aufwärts geht
mit uns –
was macht es da schon,
dass es weiter fusioniert
und strahlt und strahlt bis
es weniger wird in etwa
achtzehtausendfünfhundert
jahren – nur weil etwas uns
unvorstellbar ist, können wir
doch nicht einfach, die
hoffnung aufgeben,
wo kämen wir denn da hin,
solange wir leben, lachen wir


kleinstaatliches

wunderbarer wonnemai zeigt alle pracht
und mehr in farben, licht und wärme,
nur was bleibt vom tage übrig,
wenn es keinen lebensraum mehr gibt,
dort, wo sich sonst der mai entfaltet,
alles blüht und nur die erinnerung noch lebt
während scheinbar lebendes langsam stirbt?

sollten wir da nicht eine grenze ziehen zu
denen, die noch weiter mit dem atom
spielen, uns unsere welt verstrahlen,
zumindest fahrlässig?

halten wir unser gewissen sauber und
unser land, dann wird
am deutschen wesen wieder mal
die welt genesen,
so wie damals, als es noch einen kaiser gab,
übernehmen wir moralische führung
für das narrenschiff, das unser
als kapitän bedarf

dumm nur, dass strahlen vor noch so einigen
kleindeutschen wie großdeutschen staaten nicht
anhalten, einfach über grenzen gehen,
als wüssten wir es nicht besser als alle –
guten morgen deutschland, schon erwacht


versorgungssicherheit

schlüsselwörter im reden um
atomare sicherheit  sind die
steckdosen und netze deren betreiber
von kontinuitäten sprechen und
risiken verbal minimieren
einen von ihnen,
einen der großen,
hat dies den kopf gekostet
als vorher minimiertes
über maximal eintraf, einfach so
und ein beben böden zerriss und
noch weiß keiner, wann orte wieder
belebt werden, ob überhaupt je –
fragt sich nur was heute
versorgungssicherheit heißt …


was wäre wenn

wären viele kriege geführt worden,
wenn die, die dort sterben, die wahl
hätten?

wären so viele arbeitsplätze gespart
worden, wenn die, die davon leben
müssen, die wahl hätten?

wären gentechnisch veränderte
lebensmittel auf unseren feldern, wenn
die, die daneben leben, die wahl hätten?

wären atomkraftwerke gebaut worden,
wenn die, die dort leben etwas wüssten
und die wahl hätten?

wir haben die wahl,
zumindest alle vier jahre
und, hat sich etwas geändert?

wären wir klüger, wenn wir noch
an veränderung glaubten oder begrüben
wir uns besser, wenn wir die wahl haben?


akkordeonklänge

traurig klingt es durch die luft
und mein offenes fenster zum
hof, lässt die wohl noch
ungaren klänge mit den düften
aus den tiefer gelegenen küchen
zu mir wehen – der blasebalg
mit tasten wird gezogen und
besingt den tod so schön wie
die liebe, schon im üben liegt
traurigkeit – und ich denke an
das sterben
um fukushima
in afghansitan
in lybien
oder hier gleich nebenan,
wo sich einer langsam totsäuft,
weil er sein elend nicht mehr
erträgt – wieviel wir wohl noch
aushalten, frage ich mich und
über allem immer der klang
aus dem fenster zum hof


kernschmelze

rasend schnell schmolzen östlicher
die kerne ineinander,
langsam und spät erst erfuhren wir,
was alle ahnten, es gibt keine sichere
kernkraft – nie –
die erfahrensten und besten wissen
sich bis heute nicht,
anders zu helfen,
als mit lügen
über lügen
in dem verlogenen
spiel um zu viel geld
mit zu wenig gewissen

wieviel phantasie braucht es,
sich vorzustellen, wohin das
fusionierte plutonium geht?

wo bleibt die vernunft,
ist sie schon gestorben?


angstschatten

aus dem, was wir nur ahnen
wachsen immer mehr
noch ungeahnte und doch
mächtige aus und über uns
hinaus – dunkel ist, was sie
umgibt, hell nur das weiß
unserer aufgerissenen augen
ob es heller wäre, wüßten wir
mehr und ahnten wir weniger,
wissen wir nicht,
das wir uns fragen zumindest
ein lichtblick
gäben wir der angst weniger raum
könnte der mut wagen ihre stelle
einzunehmen in unseren herzen
denke ich, aber was weiß ich schon
und währenddessen strahlt es weiter
und kranke keime suchen ihren weg


πάντα ῥεῖ - weiter so!

wieder und weiter leiten verantwortliche,
unverantwortlich vorgeblich, strahlendes
wasser in meere und grund –
immer noch empört sich ein
medialer tross vorhersehbar
es entschwindet, weil alles fließt,
was schon die älteren griechen wussten,
denen heute nur ihr geld entfloss,
so sind die, unhaltbares halten wollen
verantwortlicher noch als es feigenblätter
zwanzigprozentig erneuerbarer energien
je sein könnten und so wird gutes böse
in der tarnung des schlechteren aber
wer weiß schon noch was
gut und böse ist, heute


freiheit im schatten

wo die freiheit im dunkeln liegt,
wird es zeit, für sie aufzustehen,
fraglich nur, was sie dazu bringt
im schattenreich zu überleben

was bleibt von der freiheit, wenn
die betretbaren räume enger und
die menschengemachte natur ihren
preis fordert?

ist, was wir freiheit im schatten
nennen, noch eine oder ist es nur
eine spiegelung dessen, was wir
einmal dafür hielten?

wer wagte es, noch aufzustehen
für die freiheit und riskierte etwas
am rande des abgrundes, wo es nur
noch ums überleben geht?

hat freiheit noch einen wert gemessen
am leben und überleben oder ist was
wertvoll ist immer mehr als das nichts
ohne?

nur wer aufsteht, wird fühlen, ob er noch
eine freiheit hat – wagen wir es,
wir hätten viel zu verlieren


widerstand

während in fukushima noch
unbekanntes in reaktoren gärt,
sich hier widerstand formiert
auf straßen und in herzen,
fragt keiner wohin uns unser
weg führt, was wir ändern
sollten, wenn wir wagten
weiter zu denken als nur
dagegen, könnte es sein,
dass sich mehr ändert,
als viele ahnen
nur nicht aufzustehen, wäre
noch tödlicher, aber gibt es
das?

Über die Chancen des Widerstandes am Abgrund und die Grenzen des möglichen schreibt der Freitagsdichter am Samstag und endet im Absurden, das es vielfach tödliches Sein für den Einzelnen bedeuten könnte. Frage wir uns wirklich, was diese Katastrophe uns zeigt oder versuchen wir nur wieder den Schaden zu begrenzen, um weiter zu machen, wie immer?


vom untergang

vom untergang des abendlandes
lasen wir schon lange und die
propheten wandelten mehr die
gewänder als die inhalte ihres
abgesanges auf kultur und zukunft

keiner ist mehr oder weniger allein
wir sterben gemeinsam, was doch
jenseits aller differenzen irgendwie
uns einheit schafft im zwischenraum
des seins und am ende faulen alle, so
sie nicht vorher brannten

der islam bedroht europa und die usa
umgekehrt islamische werte,
europäischer laizismus gefährdet
amerikanische werte und an deutscher tugend
soll nichts mehr genesen –
panafrikanische freiheit scheint
strukturierten europäern gefährlich
und könnten wir, längst gäb es mauern
im mittelmeer – wie in israel jenem vorposten
europäischen geistes in afrika, der den rechtsstaat
eigen und willig verteidigt

jahrtausende belauern sich unsere kulturen
ostwestlich und undurchsichtig von einem
stamm und vater abraham rotierte wohl,
ahnte er, was aus dem stamm wurde
wie unwichtig die wahren fragen werden
im lichte von fukushima, im schatten
der strahlung, die das denken beendet,
weil sie das leben unmöglich macht

es ist sonntag und die kerne teilen sich
als wäre es montag, weil die schöpfung
sich nicht mehr aufhält, bis sie sich
erschöpft hat – ob wir sie überleben, ist
keine frage mehr – wie wir bis dahin leben
eine marginalie verglichen

Vom Untergang des Abendlandes und der Relativität der großen Gedanken und Philosophien im Lichte des drohenden Unterganges schreib der sonntägliche Freitagsdichter und fragt sich, ob es sich erschöpft hat mit den Kreaturen, die ihre eigene Schöpfung auffressen oder ob schon der Gedanke eine übertrieben menschliche Anmaßung ist, durch zu engen Horizont begründet. Wagen wir über Grenzen hinaus zu denken, könnten wir überraschendes erleben in den Zwischentönen der Evolution, die auch die Idee der Liebe gebar – wo wird sie bleiben, nach uns?


hoffnungslos

wer zog das los des überlebens
aus der trommel des zufalls?

ist es ein glück, weiter zu leben
im angesicht des todes?

was wird aus dieser erde, wenn
wir uns ausgerottet haben?

könnten dann in 50. oder 100.000
jahren neues leben überleben?

wir können also guter hoffnung sein,
auch wenn unsere abschaltung auf dem
europäischen strommarkt wirkungslos
bleibt – es könnte sich wieder etwas
entwickeln, irgendwann

und dann wann wird der himmel blau
und die sonne warm sein, ob wir da sind
oder nicht

Über die Wirkungslosigkeit symbolischer Taten und die Hoffnung auf nationale Alleingänge, die uns deutschen noch nie gut bekamen, denkt der Freitagsdichter am Montag nach und fragt sich, ob die Abschaltung global gesehen einen anderen Wert hat als den des innenpolitischen Friedens oder ob wir eine Vorreiterrolle einnehmen sollen für die Welt, damit am deutschen Wesen wieder die Welt genese, statt verstrahle, es uns gut zu Gesicht steht zum Besserwisser der Weltgemeinschaft zu werden – Antworten werden sowenig einfach sein, wie die Formeln zum Ausstieg aber vielleicht können wir erdgeschichtlich und in universellen Kategorien gedacht , die 100.000 Jahre oder mehr, die unser Atommüll noch strahlt, einfach vergessen und relativieren – wir erleben es nicht und vielleicht ist es ein Reinigungsakt der Natur, wenn sich die Menschheit mit Hilfe ihrer Atomkraftwerke effektiv dezimiert - nur in Afrika gibt es keine und wir könnten global nachdenken, wem die Zukunft gehört und so in aller Sorge doch viel mehr Hoffnung für den blauen Planeten liegt.


atomfrieden

einigkeit über das ende verdeckt
uneinigkeit über die wege leicht
und hinter vorgeblicher harmonie
wird angwandter populismus zur
leitlinie staatlichen handelns und
vermutlich ist auch das demokratie
keiner ist zufrieden und niemand
hat die lösung aber wir gehen den
weg, mit dem alle irgendwie leben
können – dumm nur, wenn es
niemand mehr überlebt
weil die einigung zu spät kam

und das plutonium in fukushima
hat noch zehntausende vor sich
so verschieben sich maß um maß
die gedanken und am ende
verwirren wir uns,
solange die sonne scheint,
macht nichts etwas

Unter dem trügerischen Titel Atomfrieden geht es nicht um die endgültige Beseitigung der atomaren Sprengköpfe im Schatten der atomaren Katastrophen, sondern um den Burgfrieden der unter dem Druck herrschenden Populismus eher als aus politischen Gestaltungswillen den ausstieg sucht und die Relativität dieses Aufbruchs im globalen Kontext in dem weiter so erdbebensichere Kraftwerke gebaut werden, wie in Japan – sofern ein anderer das Leben meines Kindes bedroht, darf ich nach deutschem Recht meinem Kind Zuhilfe eilen und Gewalt gegen den anderen anwenden – wie weit gilt das persönliche global?



rechtswege

bis zur abschaltung eines
atomkraftwerks sind es
lange wege und alle sollen
gehört werden, irgendwie
die, denen es gehört,
die, die daran verdienen,
die, die bescheid wissen,
die, das sagen haben,
die, etwas zu sagen haben
nur die, die damit leben
oder sterben, wenn mal
wieder etwas schief geht,
von denen hat keiner
was gehört – oder?

Über die komplexen Wege des Ausstiegs und des Einstiegs in den Ausstieg schreibt hier der Freitagsdichter am Montag, über die Interessen, die berücksichtigt werden müssen, die möglichen Entschädigungen und die gegenseitigen Ansprüche im Rechtsverhältnis setzen sich Betreiber, Gesetzgeber und Eigentümer auseinander – nur die, die es betrifft, die daran sterben könnten oder mit den Resten leben müssen, die fragt keiner, was sollten sie auch sagen, es ginge ja nur um ihre Leben und nicht um die Sache.


vater unser

weg ist weg und unser haus
unbetretbar geworden, nach
dem gebebt, geschmolzen,
uneiniges eins geworden,
kerne ungeteilt gespalten
opfern sich väter für ihrer
kinder zukunft kaum,
nur für die verantwortung
der entscheider, die nur
entscheiden aber nicht
verantworten mit ihrem
leib – was bleibt den
vaterlosen gesellen künftig
übrig als entscheider zu werden
oder die mörder ihrer väter
zu morden?

Über die Verantwortung für den fortgesetzten Tod und die mit ihm verbundene Gefahr in Fukushima, über die Betroffenen vor Ort, die ihr Leben mehr als riskieren und die Verantwortlichen in den Sesseln, die sich betroffen geben und im übrigen plangemäß weiter arbeiten, schreibt vatertäglicher Freitagsdichter neun Tage vor Ende des Fukushima Zyklus.


strahlenfolter

während fukushima tag für tag
mehr aus unserer erinnerung
verschwindet,
strahlt es still weiter,
fusioniert, schmilzt, verteilt sich
und das unsichtbare wirkt langsam
aber sicher, verändert die welt,
die nicht unsere ist, schafft folgen,
die wir noch nicht ahnen,
während wir auf den sommer warten
wird es stiller um fukushima,
weil dort kein raum für leben ist,
weil keiner mehr da ist,
weil die, die da sind,
nichts mehr zu sagen haben
wer wollte es auch noch hören?
hört nicht auf hin zu hören,
denn die stille im sterben
ist die schlimmste folter

Kommentarlos nun die letzte Woche der Fukushima Gedichte zu lassen, um zu sehen, ob sie auch alleine wirken, euch zu Worten an sich inspirieren, ist ein Ziel – warten wir was wächst nebenbei.


meer oder weniger

sonnentag laden zum baden
und die so selig ins mehr oder
weniger grüne entfleuchende
und sich in scharen in gehoffter
einsamkeit um seeufer stapeln
fühlen sich naturverbunden
bei sich und eins mit allem
beseligter noch, wenn der see
meer ist und strände unberührt
scheinen – wären sie es, wäre
keiner da, auch wir nicht aber
weniger schön, wenn was so
schön scheint tödlich strahlt
unsichtbar von unten uns alles
nimmt, was wir darin suchten
leben und freiheit


sommernächte

durchwachen und den tag mit dem
nicht endenden licht beginnen, kann
ein eintauchen in die zeit jenseits der
zeit sein – nie endende augenblicke
unglaublicher schönheit tragen uns
über reale verwerfungen und die
untiefen strahlender umgebung
es bleibt fast nichts zum leben
denen in der nähe,
nur zum sterben ist der sommer
zu licht – vergäßen wir doch
einfach im licht die tödliche
wirklichkeit, vielleicht gäbe es
uns kraft der strahlung
zu widerstehen


gewalt zeugen

wer mit gewalt zeugt
oder gewalt erzeugt,
läuft gefahr,
von dieser wieder eingeholt zu werden,
und vom echo erschlagen, liegen zu bleiben,
manchmal nur merken wir nichts,
liegen geblieben zieht das unglück
über uns, kaum spürbar
nur eine ahnung von angst
breitet sich aus:
angst vor kriegen, viren und bakterien
angst vor dem unbekannten
angst vor dem unsichtbaren
relativiert sich wieder, bei licht besehen
strahlenangst bleibt und wächst
es bleibt nichts, als
auf halbierte werte zu warten,
irgendwann


treibhaussichten

wer im glashaus sitzt, soll keine
steine schmeißen, würden doch
selbige seine seinswände mehr
als gefährden und so löchrig
wäre es kein treibhaus mehr,
das den trieb unterstützt in
wohliger wärme sondern
löchrig wie unsere atmosphäre,
die so gemäßigte zonen in
paradiesischen urwald wandelte,
tiefer gelegenes versenkte und
ungeahntes an die küste brächte –
was, so gesehen, wohl aus den
dann untwasser-akw würde in
japan – grenzenlose meere
beteiligten fraglos alle


sommergewitter

unerwartet angekündigt verdunkeln
sich sommertage die noch frühling
sind –
blitze blitzen
tropfen tropfen
schauer erschauern
wie gut, wenn der regen einfach regen
ist, wir nicht bei jedem tropfen überlegen,
wie verstrahlt er wohl ist,
was er mit uns macht und was
von uns nach ihm bleibt
wäre womöglich wenig
und noch schreiben wir
gegen das vergessen an,
wissen nicht, ob es uns
froher machte wie ein
sommergewitter
sonst nichts


atomwende

ändert sich etwas, wenn wir die
worte einfach umdrehen oder
bleibt es das gleiche,
nur andersrum eben,
ist es von hinten wie von vorne,
fragt sich also der betrachter der
debatten und denkt an jene,
für die es egal ist,
ob in zwölf jahren hier irgendwie
abgeschaltet wird irgendwo,
weil sie ihre schon schäden
nicht mehr so lange
überleben werden –
östlich oder westlich einigt
uns unser sterben am atom
seltsam klar

aussichten

wie sind die aussichten fragen wir
die uns behandelnden und wissen
jede antwort ist eine lüge und es
gibt keinen weg mehr – leben ist
endlich, wir tun alles, endlichkeit
schrumpfen zu lassen, indem wir
dinge beginnen,
von denen wir nicht wissen,
wie sie enden,
wenn sie enden,
wann sie enden,
weniger noch was danach kommt,
was würde besser, dächten wir vorab,
fragte ich mich, aber es fiel mir wenig
ein – also weiter so oder innehalten,
wenn wir den anhalten könnten,
vielleicht steckt im stehenbleiben aber
die formel der zukunft


drei danach

zahlen sind nur hüllen, zustände
zu beschreiben, wert an sich nur
den hörigen, die mehr aus ihnen
lesen können, zumindest wollen,
drei monate nun nach dem mehr
als größten anzunehmenden –
so sind grenzwerte
geschoben
gesenkt
verbogen
gelenkt
uns maß der zukunft eines
ortlos gewordenen ortes
und immer weiter über die
grenzen strahlt der ort uns
durch die schon verschobenen
werte an und es wird kein ende
haben so schnell,
weiter und weiter strahlen, bis
die ortlosigkeit den ganzen
planeten ergriff, es keinen
ruhigen, geschützten raum
mehr gibt – vielleicht
überleben wir es, vermutlich
nicht, tot aber kann es uns
egal sein oder hat einer den
sinn verstanden?
am ende war es die drei.


2 Kommentare:

  1. ähm, war das nicht die Sorte von Lyrik, die du verabscheust?

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    1. Hast du es gelesen und meine Haltung dazu bemerkt oder war das nur so gesagt?

      Sich betroffen geben, ändert zumindest nichts.

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