Vom erotischen Erzählen - statt eines Vorspiels
Wann wird eine Geschichten sinnlich und zieht uns auch körperlich in ihren Bann?
Ist es die Story selbst, was zwischen den Protagonisten geschieht, als würden wir es nicht als Leser kennen und die mechanischen Abläufe längst erahnen, oder doch eher das wie, als das was?
Wäre eine detaillierte Abhandlung über den Analverkehrt etwa oder Schamlippenformen, eher was für ein Medizinbuch als der erotischen Stimmung zuträglich?
Henry Miller hat in seinem Opus Pistorum sehr detailliert über Sex geschrieben und alles nur vorstellbare beschrieben, sich dabei angeblich mit seiner Freundin Anaeis Nin, königlich amüsiert und herausgekommen ist etwas, was das Bundesverfassungsgericht erst irgendwann in den 90ern von der Zensur als Pornografie freigab und Kunst nannte.
Ist es nun künstlerisch wertvolle Pornografie oder pornografische Kunst, fragt sich der Laie und staunt der Fachmann. Insofern sehr explizit über jede nur mögliche Stellung und ihre Folgen geschrieben wird, ist es wohl, was eine christlich prüde Gesellschaft als Porno bannt vom Inhalt her und doch ist Millers Stimme in jeder Zeile zu hören, sein ironischer Ton, mit dem er von den Abenteuern seines Johnny Thursday erzählt, die kleinen intellektuellen Anspielungen und anderes bewirken eine ganz eigene Stimmung, auch wenn das Buch kaum am Stück zu lesen ist außer breit grinsend, im Wissen um die finanzielle Lage der meisten Dichter zu allen Zeiten. So gesehen ist es ein Stück Hurerei vielleicht auch, weil er seine feine Feder verkaufte, doch schreibt jeder vernünftige Autor nur unter Vertrag, was meine Unvernunft an dieser Stelle belegen könnte, jedenfalls eine Schrift nicht mehr zur Hurerei macht als die meisten Kunstwerke am Markt heute.
Es gibt dazu lange Begründungen und Diskussionen von Juristen, die wesentlich langweiliger sind als das Buch selbst, dem ich jedoch eher keine erotische Stimmung zusprechen würde, weil es nur um Varianten des einen geht und das wird in jeder nur denkbaren Art beschrieben. Sex halt und das ohne jede besondere Erotik, es sei denn wir nähmen Millers Ton als eine Erotik an und für sich. Hat etwas für sich und wer Miller kennt, erkennt auch seinen etwas schnoddrigen Ton, der dennoch hochintellektuell ist, indem er mit der Sprache der Lust, diese verneinend spielt, da er sie nur noch zu einem Vollzugsakt macht, der in Varianten erledigt wird.
Erotik aber ist auch eine Stimmung, die kreiert wird und damit Lust schafft, dass sie den Weg zur Lust und ihrer Befriedigung mehr beschreibt als den eigentlichen Akt, während die Pornografie sich auf eine vielleicht auch mal künstlerische Darstellung des reinen Aktes konzentriert. Porno soll geil sein, aufgeilen, wenn es die Zuschauer mögen und Lust auf den Akt machen. Erotik ist das drumherum und der Akt an sich, ist dabei weniger wichtig, als der Weg dorthin, die Spannung, die dabei entsteht, Hormone freisetzt und uns wild macht.
Wer schon alles mal ausprobiert hat, wird irgendwann feststellen, dass Ficken an sich, ist weniger spannend, als der Weg dorthin und dabei herrscht eben eine lustvolle Stimmung oder nicht. Dies en Detail zu beschreiben ist relativ langweilig, auch wenn es verschiedene Stellungsvarianten des rein und raus gibt, finden es Menschen überhaupt nur so toll, weil es zur Befriedigung führen kann und der Kick kurz davor uns so selig daran denken lässt.
Es soll Männer geben, die in wenigen Minuten kommen und dann ist für sie alles erledigt - diese Fälle erregten bei mir schon immer Mitleid - mach es gern stundenlang und zögere den Moment davor gerne lange hinaus, um ihn am Ende möglichst gleichzeitig so spät wie möglich zu genießen. Früher war es ohne Befriedigung kein Sex und ohne zusammen zu kommen, schien mir dieser eher langweilig. Sehe ich inzwischen anders und finde es weniger wichtig, etwas dabei zu erledigen, als den Augenblick der Hingabe und der Lust zu genießen.
Wenn ich es mir selbst mache und etwa einen Porno dazu schaue, erledige ich das relativ zügig, aber auch dabei verzögere ich inzwischen gern, weil das Spiel darum die Sache erst aufregend macht, denn der mechanische Vorgang an sich, ist keine besondere geistige Herausforderung, sehen wir mal von dem steten Versuch ab, sich auf Frau einzustellen, was mal mehr oder weniger gut gelingt und für einen Mann, der gar nicht vermutet, er könnte Frauen überhaupt je logisch verstehen, ein geradezu artistischer Blindflug ist. Nicht das Kommen und erledigen ist die Kunst beim Sex für mich, sondern die Spannung kurz davor möglichst lange aufrecht zu halten. Eine Frau ist ja keine Akte und der Höhepunkt kein Termingeschäft, das zu erledigen wäre, sondern ein Vorgang, der entweder an sich unbeschreiblich schön ist oder eher entbehrlich, warum ich mit den Frauen, die Sex erledigten und ihre Pflicht taten, nie glücklich wurde. Die sollten sich die Minuten-Männer zulegen, dann ist es schnell vorbei.
Aber ich schweife ab, es geht ja darum, was Erotik ist und sie beim Schreiben aufkommen lässt, wie sich diese Stimmung davor kreieren lässt, die den Vollzug nicht mal braucht, denn die hohe Kunst ist es, wahnsinnig zu reizen und dann fallenzulassen, um die eigene Lust wach zu halten. Wer lang von erschöpfter Befriedigung liest, wird sich bald langweilen und am liebsten vielleicht noch, wenn es gut war, Arm in Arm einschlafen, wie es dem körperlichen Gefühl danach entspricht, warum der Fehler vieler, die gern erotisch schreiben wollen, ist, dass sie den Akt voller Lust und mit jedem Detail bis zum Ende beschreiben, ohne an das noch nicht und die Spannung zu denken, die eine erotische Stimmung braucht.
Eine Freundin von mir erzählte, als sie mit einem ihrer früheren Lover telefonierte, den sie noch nicht lange kannte und er fragte, was sie denn machen sollten, an diesem Wochenende, habe sie geantwortet, na ficken natürlich, worauf er sich völlig geschockt gab, dahingestellt, ob das daran lag, dass er meinte ein Stoiker zu sein oder an seiner eher prüden Erziehung sonst. Jedenfalls war damit die erotische Stimmung im Eimer, er gab sich geschockt und meinte, dabei verginge ihm alle Lust und irgendwie dachte ich, dass ich ihn verstehen könnte, denn sagte es eine Frau so zu mir, fände ich das auch völlig spannungslos und unerotisch, der Sex wäre nur noch der erwartete Vollzugsakt dann, eine eher sportliche denn erotische Leistung.
Die Betreffende ist Berlinerin und die mögen es ja gern sehr direkt, dennoch fiele mir wenig ein, was ich ernüchternder fände als diesen Satz. Wollen wir nicht Frau zumindest zum Schein noch irgendwie erringen und Widerstand überwinden? Möchte Frau nicht erobert werden und spüren, wie er alles für sie tun würde?
Dahin zu kommen und die Spannung auf dem Weg dorthin ist, was wir Erotik nennen und um so größer die Umwege, desto heißer das Ziel. Was willig vor mir liegt, wenn ich nicht schon will und mich nicht zuvor raffiniert verführt hat, ist langweilig für meinen Instinkt. Dies gilt auch in dauerhaften Beziehungen, nur gelten da etwas andere Regeln, mit denen wir es dennoch für eine längere oder beschränktere Zeit miteinander erotisch finden können, obwohl wir nicht mehr erobern müssen und kein Hindernis im Weg steht.
Wie Frau das schafft, weiß ich nur aus Erzählungen, mir gelingt es durch die Versöhnung nach Konflikten und das Gefühl der Liebe. So kann viel Streit auch ein Zeichen für eine hohe sexuelle Spannung sein und damit gutes bedeuten. Auch wenn das selten tatsächlich so ist, da erstaunlich viele Frauen die Neigung haben ihre Partner und eigentlich damit auch sich mit sexuellem Entzug zu bestrafen. Was sie davon haben, ist mir bis heute ein Rätsel, dennoch halten manche solche Sanktionen erstaunlich lange durch und schieben sie dann konsequent dem Partner zu, der sich nicht wie gewünscht verhielte. Täte er es aber, in der Art eines Schoßhündchens und gehorchhte, verlöre er auch jede sexuelle Attraktion für diese Frauen, warum diese Aktion nur zu einer unendlichen Geschichte des Misserfolges für beide werden kann, die dennoch zu den am häufigsten praktizierten Methoden des Machtkampfes gehört.
Völlig idiotisch im Ergebnis, da beide geladen und unbefriedigt, ändert sich nichts und egal wie es ausgeht, führt es nicht zum gewünschten Ergebnis, denn wenn Mann sich so ein gewünschtes Verhalten abpressen lässt, führt dies nur dazu, dass er spätestens damit endgültig jede sexuelle Attraktion verliert. Warum so viele Frauen dennoch zu diesem Mittel mit “keine Lust” oder “ich hab Migräne” oder “verhalt dich erst mal anders” greifen und damit sich und den Partner bestrafen, ist mir ein Rätsel, spätestens, wenn es dazu kommt, sollte Mann gehen, da nichts verbindendes mehr da ist und es keine Lösung aus diesem Dilemma gibt, als sich zu trennen und ich spreche hier ausnahmsweise aus jahrelanger leidvoller Erfahrung.
Frauen die mir Vorwürfe machen, wenn es um die Lust geht oder damit erpressen wollen, müssen schon sehr gute Gründe bieten, damit ich dabei länger bliebe, als die Tür zum zuschlagen braucht. Entweder es macht beiden Spaß und sie genießen es zusammen, oder sie können es besser gleich lassen, weil das Ergebnis schlicht entbehrlich nur noch ist. Wer es aber tut, obwohl der Sex schön ist, schädigt sich selbst, wo er erpressen oder verhandeln will, erreicht, auch wenn die Erpressung erfolgreich sein sollte, nie was gewünscht, da der nachgiebige und wachsweiche Mann eben wie ein zu weicher Schwanz beim Sex langweilig ist, nicht mehr reizt. Sobald also einer, es soll ja auch Männer geben, die so idiotisch zicken, damit anfängt und es ist Zeit zu gehen. Wer dies entschlossen beginnt, kann manchmal noch etwas retten, wenn der andere zur Besinnung kommt, ansonsten, sollte jeder froh sein, dass hinter sich zu haben, denn Sex ist keine Handelsware und Leidenschaft wird nicht durch Erpressung erworben, so wenig wie sexuelle Attraktivität durch Nachgiebigkeit gesteigert wird.
Es braucht in der Beziehung zwischen den Geschlechtern, damit Erotik entstehen kann, die Lust für mich bedingt, Spannung und Reiz. Dies erfordert von beiden Seiten gewisse schauspielerische Talente und darum rasieren sich Menschen an manchen Orten zumindest teilweise, tragen schöne Wäsche, parfümieren und deodorieren, spielen und zieren sich oder verführen raffiniert, wenn sie etwas erreichen wollen. Alles andere und damit alles, was den meisten nach mehreren Jahren und gerade auch mit Kindern noch bleibt, ist was Miller beschreibt, nur Sex und der wird dann eben erledigt, mehr oder weniger begeistert und bei so etwas denke ich immer, ich könnte auch ein gutes Buch lesen nebenbei oder irgendwann anstatt und finde es nur noch viel Lärm um Nichts.
Um die Erotik aber geht es mir in den folgenden Geschichten. Jene Spannung, die aus Hoffnung und Unsicherheit entsteht und die mehr das davor als das danach und das dabei beschreibt. Gut sind sie, wenn sie reizen und eine Spannung erzeugen, die nicht erlöst wird, in dem der Autor die schlichte Fickmechanik beschreibt sondern die Spannung schweben lässt.
Sehen viele anders, machen die meisten anders, auch große Autoren darunter und ich habe es noch nie verstanden, weil es zwar schön, ist Befriedigung und Erlösung beim Sex zu finden aber das Lesen soll Lust bereiten und nicht nehmen, damit wir andernorts alles tun, sie zu befriedigen und so erregt auch ausgefallene Wege mal einschlagen, statt sich am Wochenende zum Ficken zu verabreden und sich Pornos reinziehen, wie andere es tun, die nur so tun als hätten sie dabei Lust.
Darum seien die verehrten Leserinnen hier gleich vorgewarnt, ich werde sie nicht bis zum Ende befriedigen, zumindest in diesen Geschichten und alles andere wäre utopisch und daher vorläufig völlig uninteressant. Für die Leser gilt natürlich das gleiche, aber mir fällt auf, dass Männer meist immer weniger erwarten und eher nachplappern was Frau gerne an sich schön gefunden wissen will, um damit auf der sicheren Seite zu sein und die Zahl der Fallstricke bis zur Horizontalen zu verringern. Werde nur ein wenig Stimmungszauber machen, der in Luftlöcher entlässt in denen jeder selbst seiner hoffentlich geweckten Lust folgen soll. Das wäre für mich Erotik, die Mechanik ist dann Porno und der Rest ist gerade uninteressant nebenbei, lassen wir uns verführen ….
jens tuengerthal 26.1.2016
Donnerstag, 26. Januar 2017
Mittwoch, 25. Januar 2017
Geschlechterwirklichkeit
Wie wirklich sind die Geschlechter und wie verständigen wir uns jenseits unserer Natur?
Immer wieder nach dem Ende eines Beziehungsversuches frage ich mich, wie weit konnten wir uns verständigen, redeten wir miteinander oder wähnten wir nur übereinander in den unserem Geschlecht entsprechenden Schemen, denen wir uns mal mehr, mal weniger bewusst sind. Habe dazu keine einfache und passende Antwort und suche sie gerade schreibend, weil ich denke, es wäre wichtig zur Verständigung und auf der Suche nach dem Glück.
Bin nicht immer ehrlich, weil ich manches für irrelevant halte, meine eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit habe, in der bestimmte Fragen gar keine Rolle mehr spielen. Manchmal auch, weil ich es für klüger halte, zu schweigen oder gar nicht weiß, was ich noch sagen soll und denke, es sei jetzt auch gut so. Vielleicht geht es manchen auch anders und sie können jetzt ganz ehrlich bekennen, immer ehrlich und offen gewesen zu sein, dahingestellt, ob das an ihrem mangelhaften Kurzzeitgedächtnis oder ihrem überragenden Charakter liegt. Im Verhältnis von Mann und Frau zumindest kann ich aus meiner geringen Erfahrung sagen, es gibt zahlreiche mehr oder weniger notwendige Lügen, gerade was Äußerlichkeiten betrifft und wenn Frau nun das Gegenteil behauptet, lügt sie.
Egal, was die Frauen über meine Schlechtigkeit denken oder ob sie dies für Ausdruck langjähriger Erfahrung halten, würde ich ganz offen sagen, dass ich nicht immer offen sage, was ich denke, weil ich die Folgen ahne. Dennoch kommt es immer wieder zu geradezu kriegerischen Eskalationen unter den Liebenden, ohne dass ich glaubte, mehr Ehrlichkeit würde daran etwas ändern, im Gegenteil.
Dann fallen vom einen Worte, die der andere nicht verzeihen kann oder die doch zumindest zutiefst verletzten. Dies führt zu einer Eskalation, die sich gern verbal überschlägt und um so intensiver das Gefühl, desto heißblütiger die Wut und Enttäuschung und ihr manchmal völlig unvernünftiger Ausdruck. Gleichzeitig ist die Verletzung noch tiefer und wird länger nachgetragen, je näher sich zwei eigentlich fühlen, die statt die trennende Grenze zu überwinden, sich gegenseitig beschuldigen und in den schmerzhaften Schemen verharren, obwohl sie insgeheim davon träumen, sich zu umarmen. Die Enttäuschung der ungenannten eigentlichen Hoffnung verdoppelt Schmerz und Wut, lässt weiter eskalieren und reißt sodann alle moralischen Grenzen immer mehr ein, ohne dass der andere verstünde warum, weil beide ihre eigentlichen Gefühle auch aus taktischen Gründen nicht wirklich aussprechen.
Es mag auch Fälle geben, in denen es anders läuft, aber dies ist das typische Schema einer Eskalation zwischen Liebenden. Ob dies bei gleichem Geschlecht genauso läuft, kann ich nicht sicher beurteilen, die Indizien aus Erzählungen sprechen jedoch sehr dafür und die Rollen sind ja auch meist beliebig austauschbar, je nachdem wer den Funken an die Lunte legte. Weiß auch nicht, ob dies ausdrücklich an Geschlechter gebunden ist oder es für schwule und lesbische Paare oder andere Konstellationen der bunten Möglichkeiten der Kombination menschlicher Geschlechter in ihrer Vielfalt etwas anderes gelten muss. Erzählt wurde mir immer wieder, es sei genauso und es würde eben jeder eine geschlechtsspezifische Rolle übernehmen. Möchte Menschen ungern so reduzieren oder ihnen etwas vorschreiben aber vielleicht liegt die Übernahme der natürlichen geschlechtlichen Polarität auch in unserer Natur, egal welches Geschlecht wir sexuell bevorzugen. Im übrigen finde ich Genderfragen gerade völlig unwichtig, weil es um meine Gefühle geht und wer es anders sieht, soll eben darüber schreiben, vielleicht interessiert sich ja noch jemand ernsthaft für Genderfragen. Glaube, viele wären glücklicher, wenn sie einfach wären, was sie sind, statt sich noch sprachlich von den Dienern des Guten beglücken lassen zu müssen, um das zufällige Geschlecht auch korrekt zu behandeln, wie sich viele aufgewühlte Wissenschaftler nun in Genderstudien bemühen, die ich auch weiter so weit es möglich ist, ignorieren werde als bloße Modeerscheinung einer kurzen Epoche fern der Natur.
Interessant ist wie schnell die Eskalation, je nach Intensität des Gefühls, geradezu exponentiell eskaliert und alles überschreitet, was uns vernünftig noch vorstellbar schien. Die Tragik meiner letzten Trennung und das um sie laufende Drama, was besonders von gegenseitigem Unverständnis und völliger Ignoranz der vielleicht guten Absichten des anderen geprägt war, spricht da Bände für viele Fälle, warum ich hier ein wenig darüber plaudere, um dann vom Konkreten Beispiel im Nachdenken wieder zu einer allgemeinen Lösung zu kommen, die vielleicht jenseits der Zufälligkeiten gerade einer Beziehung weiter bringen kann, bei der Lösung künftiger Konflikte, falls ich denn eine finde, woran zu zweifeln es gute Gründe auch gibt, denn, was weiß ich schon?
Probleme interessieren mich nicht. Die Beschäftigung mit ihnen ist problematisch meist und führt zu viel Verdruss und noch mehr Problemen. Dieser grundsätzlich konstruktivistische Ansatz, brachte mich dazu viele grundlegende Probleme zu ignorieren und durch Zärtlichkeiten oder Sex anstatt zu verdrängen, weil die Zeit auch die meisten Probleme vernünftiger löst, als es unsere Vernunft schafft.
Spannender finde ich Lösungen und den Weg zu ihnen. Wenn ich aber nur das Problem verdränge, ohne an einer langfristigen Lösung zu arbeiten, die es besser macht, erhöhe ich damit, wie mir alle Erfahrung und vor allem die letzte bestätigt, die aktuelle Explosionsgefahr dramatisch.
Wie alle Paare haben wir uns natürlich auch jeder für sich und auf seine Art um Lösungen bemüht, besonders sie nahm alle möglichen Maßnahmen und Konsequenzen in Angriff, um einen von ihr als unbefriedigend empfundenen Beziehungszustand zu ändern. Mir ging es auch so, aber ich fand anderes unbefriedigender als den Zustand der Beziehung und nahm weniger in Angriff, noch beschloss ich vorab Konsequenzen der Eskalation, die zu gegenseitigen Entzug führten.
Möchte nicht bezweifeln, dass wir uns beide liebten, von der Größe unserer Liebe überzeugt waren, ein Leben zusammen wagen wollten, den Traum von dem wir zueinander sprachen, ernst meinten und uns dieses Ziel irgendwie heilig war, was immer auch jeder darunter wiederum verstand. Zwar wäre es denkbar, dass sie mir oder ich ihr irgendwas um irgendwelcher niederer Absichten wegen vorspielte, doch halte ich diese Hypothese für überflüssig - wozu sollte jemand große Liebe vorspielen, wenn sie nicht so empfunden wird und was hätte jemand in dieser Konstellation davon, dem anderen etwas vorzumachen? Es gab für keinen von uns einen Gewinn als die gegenseitige Liebe zu erwarten und die können wir eben genießen oder nicht, da ist alles Spiel müßig und entbehrlich. Es fühlte sich echt an, also war es echt und alles andere hilft auf der Suche nach den Gründen der Eskalation und den natürlichen Schemen dabei nicht weiter, weil es nur eine destruktive Unterstellung wäre, die jede weitere Frage entbehrlich machte.
Wir haben uns also geliebt und hatte eine kurze Phase in der wir sehr glücklich waren und dachten, wir wären völlig beieinander angekommen, Leben war nicht schöner in der Liebe für mich mehr denkbar, es schien alles gut zu sein.
Dann kam meine Tochter dazwischen, die meine Liebe, ohne Angabe von weiteren Gründen, intuitiv nicht mochte und voll ihrer Intuition vertraute, gegen die ich mich wehrte, auch wenn ich so wenig sachliche Argumente dagegen hatte, wie es ihr an solchen sachlichen gegen meine große Liebe mangelte.
Die Tochter wiederum wandte sich an meine Eltern, um zu verhindern, dass ich meine große Liebe Weihnachten mitbrächte. Damit war meine Mutter, die ihrer Enkelin dies versprach schon voreingenommen und der Traum von der großen Liebe lag eigentlich schon in Scherben vor uns und wir hatten nur noch die Wahl zwischen Romeo und Julia Drama und vernünftiger Trennung, scheint es, logisch mit Abstand nun. Aber sind die Dinge wirklich so alternativlos?
Wollte beides nicht und lavierte dazwischen, erzwang einen späteren Besuch bei meinen Eltern mit aller möglichen Gewalt, wie der Drohung der Absage, erreichte dadurch den erwartungsgemäß kühlen Empfang obwohl wir beide voller Liebe ein Theaterstück für meine Eltern schrieben und aufführten, was ein erstes Kind unserer Liebe war.
Eigentlich war das Kind schon Weihnachten in den Brunnen gefallen und ich gestand es mir nur nicht ein, weil andererseits das Glück und die gefühlte Liebe so groß waren, ich dachte, sie wäre es einfach, besser könne es nicht passen und ich sie nie im Leben verlieren wollte. Sie fühlte diesen Bruch auch und wollte ihn problematisieren, ich wollte ihn lieber verdrängen und relativieren. Was da richtig gewesen wäre, gehen die Meinungen auseinander, auch zwischen den Geschlechtern, kann aber dahinstehen, weil es ja nur ein Beispiel der Eskalation ist, die weiterging und zum Krieg führte, der immer auch Gefühle von Hass und ungeregelter Wut, die zu allem bereit ist, in einem erzeugt.
Warum sollte ich einen Franzosen töten wollen, wieso meine lieben Nachbarn, deren Land ich so liebe, und durch das ich so viele Kilometer gefahren bin, denke ich und suche heute eher nach Gründen unsere Nähe und Verwandtschaft in Europa zu belegen, als Unterschiede zu betonen, die mir unwichtig erscheinen. Dagegen zog mein Urgroßvater noch mit Liedern voller Hass 1914 gegen die Franzosen in den Krieg, denen Deutschland 1870 unter Bismarck einen erniedrigenden Frieden in Versailles aufgezwungen hatte, was diese 1918, nachdem der 1. Weltkrieg endete und mein Urgroßvater schon viele Jahre tot auf den Feldern vor Verdun vergammelt war, mit einem ebenso erniedrigenden Frieden von Versailles beantworteten und so blieb bei vielen Deutschen und Franzosen der Hass aufeinander wach.
Nicht so bei meinem Großvater dagegen, der, obwohl der eigene Vater im ersten Kriegsjahr schon durch französische Kugeln oder sonstige kriegerische Mörderei getötet wurde, sich ein Auslandsjahr im Paris der 20er als Zigarettenjunge auf der Messe in Leipzig verdiente und Paris geliebt hat. Die Franzosen, besonders die Französinnen, die sein Vater natürlich im Feld nicht so nah kennenlernte bis er starb, die Künstler, die Pariser Bohéme, der freie Geist, der nach der Zeit in der Kadettenanstalt, die ihn auch lebenslang prägte, einen anderen Menschen aus ihm machte. Statt Rache entschied er sich für Liebe und Offenheit und so viel es an ihm zu kritisieren vielleicht gab, seinem manchmal autoritären Kasernenhofton, den ich ihm nie ganz glaubte, dafür habe ich ihn immer bewundert, da hatte er Größe gezeigt, als Kriegswaise zum Erbfeind, um das Land und die Leute lieben zu lernen. Diese Haltung zueinander und zum Leben ist mir wichtig, die eine Liebe zu Frankreich über den zufälligen Tod seines Vaters stellt, zeigt ein Abstraktionsvermögen und eine Größe, die heute vielen Menschen in Deutschland fehlt, besonders in Ostdeutschland leider, wo sich andere 1989 so groß und demokratisch zeigten.
So wie mein Großvater es gegenüber dem Erbfeind machte, möchte ich es auch lieber gegenüber allen Feinden machen, verzeihen, hinfahren und die Hand reichen und ein klein wenig war es mir Jahre nach dem Tod des Vaters meines Vaters noch vergönnt ein wenig an der geistigen Brücke zwischen Deutschland und Frankreich zu bauen, wenn das auch heute eher normal ist und keiner weiteren Erwähnung bedarf, war meine tiefe Liebe zu Straßburg so auch familiär begründet und die Nähe zu den Projekten, die ich dort begleiten durfte, größer als es der Sache entsprach. Frankreich wurde so für mich auch ganz persönlich zu einem Land voller Freunde und Brüder und glücklich fuhr ich mit meiner damaligen Verlobten nach dem 1. Staatsexamen 5500km durch das Land und besuchte sie mehrfach in Paris, als sie dort für die UNESCO arbeitete.
Auch wenn ich Paris heute eher hektisch und meist unfreundlich finde, vor allem im Vergleich zu Berlin, das sich nicht mal zu fein ist, sich jedes Jahr wieder mit seinem vermeintlichen Flughafen öffentlich zum Gespött zu machen, verstehe ich auch die Liebe meines Großvaters nun besser und seinen Wunsch nach Versöhnung, die auch mir bei allen Konflikten meiner Natur nach näher liegt als die Eskalation.
Dennoch suche ich manchen Konflikt, lasse ihn auch bewusst eskalieren, weil es auch eine Frage der Ehre und der Macht ist, zu einer ungünstigen Konstellation mir zu führen scheint, wenn nicht. So auch mit der großen Liebe nachdem wir die Monate, die sie auf See und damit fern von mir verbrachte, mühsam überstanden hatten. Sie, die es gewohnt war, sich allein durchzusetzen, in einem Männerberuf tapfer ihre Frau stand, auch wenn sie aus erster Berufung eigentlich Schauspielerin war und blieb, hielt wacker dagegen und immer häufiger knallte es zu meist völlig überflüssigen Fragen, weil wir das eigentliche Thema, die Weihnachten verlorene Liebe nicht thematisierten und keine Zeit füreinander und miteinander fanden, nicht würdigen konnten, welch Glück es schon allein im Leben ist, die Nächte zu teilen.
Es lebten beide unzufrieden mit dem Gefühl eines Vorwurfs, auch wenn wir ständig das Gegenteil betonten, waren wir uns nicht mehr nah, spürten einander nicht und das tat weh. Jeder fühlte sich in etwas anderem hintergangen und fand dies unverzeihlich. War mir nicht sicher, was es war und was nicht stimmte. Einerseits traute ich auch dem Instinkt meiner Tochter, sie ist ja mein Kind und betrachte ich, was sie aus Wut später tat, hatte die Tochter vielleicht völlig recht mit ihrer Einschätzung, doch halte ich das nur für eine halbe und ungenaue Wahrheit, die dem Vokabular des Krieges gegeneinander entspricht und nicht der eigentlich gefühlten Liebe.
Monate nach unserer Trennung, die nie ausgesprochen wurde und dann doch faktisch war, sahen wir uns wieder und sie kam mich zu unserem Einjährigen erstmals wieder besuchen und wenige Tage später wieder zum 4. Advent. Wir kamen und waren uns sehr nah. Das Gefühl war bei mir wieder da, doch ich wusste, dass ich Zeit brauchte, es auf einen vernünftigen Weg zu bringen, meine Tochter vielleicht zu überzeugen, in der Familie vorsichtig für sie zu werben - dachte eher in Jahren und hatte keine Eile, es fühlt sich gut an. Dann zog sie sich plötzlich, als hätte ich sie mit der Verzögerung und der Bitte um Zeit persönlich angegriffen, beleidigt und tief verletzt zurück, wie ich heute denke. Aber wir konnten uns auch darüber nie mehr verständigen.
Wusste nicht genau, ob wir lieber Freunde bleiben sollten oder es wirklich für immer mehr war, wir die tiefen Gräben, die uns trennten je überwinden könnten und so balancierte ich am Rand des Grabens etwas unentschieden, denn natürlich war die große Liebe nicht einfach weg, begehrte und liebte ich diese Frau vom ersten Augenblick an immer, egal wie bescheuert sie sich benahm und wie wenig wir uns in immer mehr nur noch zu verstehen schienen, was vermutlich hauptsächlich am unterschiedlichen Empfinden für Zeit lag aber vielleicht auch an den Rollen, denen wir nicht wie erwartet entsprachen. Doch liebe ich ganz klar auch meine Tochter, ist sie mir sehr, sehr wichtig und wollte ich keinen Konflikt irgendwo riskieren.
Sie zog sich daraufhin wieder radikal zurück mit aus meiner Sicht groben Worten, die ich nicht verstand, beschimpfte mich wüst, als ich nur vorsichtig nach einem ihr geliehenen Buch fragte und ich war wie vor den Kopf gestoßen und war es andererseits auch nicht, denn wo es gefühlvolle Reaktionen gibt, da ist viel Gefühl und mit dem schienen wir beide, auf unterschiedliche Art zu ringen. Es war wieder, auch wenn wir eine wunderbar zarte Nacht voller Zuneigung verbracht hatten, der Hass da zwischen uns und das Misstrauen.
Will mich nicht weiter fragen, ob ich ihr Grund dafür gab, es verständlich ist, für solche Gefühle darf es keinen Grund geben, fraglich nur, woran es lag, dass wir trotz des beiderseits empfundenen Glücks der friedlichen Verständigung, es wieder so eskalieren ließen emotional, statt uns vernünftig und vorsichtig am kleinen Glück in aller Ruhe zu freuen.
Sind wir unfähig, uns zu verständigen, weil wir feste Vorstellungen über den anderen haben, die jede Kommunikation belasten und Verständigung unmöglich machen. Wenn dem so ist, geht es dann noch um Liebe oder ist es nur ein Spiel um Macht um Rache, bei der jeder seine Enttäuschung, dem anderen zuschreibt und so jede Verständigung unmöglich macht?
Was will wirklich, wer sich so begegnet, statt liebevoll, entspannt und hoffnungsfroh das mögliche lieber genießt, als über das gerade Unmögliche sich zu grämen und an dem zu leiden, was nicht ist?
Ist ein solches Verhalten nicht dem Wesen nach absurd, frage ich mich und schreibe darüber als Mann, der von einem tief emotionalen Erlebnis mit einer Frau schreibt, die er für die wunderbarste hielt und das größte Glück seines Lebens, die ihm die Schönste der Welt zu sein schien und mit der ich alt werden wollte. Könnte ich sie noch so sehen oder erwartete ich um meiner Ehre willen nun eine Entschuldigung von ihr, für ihr bescheuertes und erniedrigendes Verhalten mir gegenüber, hat sie damit für immer verspielt, weil mir alle Vernunft sagt, die spinnt doch einfach?
Die Liebe kann alles, sage ich heute und denke an meinen Großvater, der unbedingt nach Paris wollte, in die Stadt, aus der die Befehle an die Soldaten kamen, die seinen Vater töteten. Sie kann alles überwinden und alles verstehen, wenn sie will und da ist, wenn nicht, will sie nicht und ist sie egal, weil sie sich längst in Luft aufgelöst hat, die ohnehin ihr eigentliches Element als Illusion wohl ist.
Weiß weder, was natürlich ist, noch was gut wäre und die Vernunft rät das eine wie das andere, warum ich sie lieber nicht mehr frage. Betrachte es gelassen und denke, die Dinge werden kommen, wie sie sind und dann werde ich es wissen, weil ich fühle, was ist. Jede Liebe und jeder Abschied brauchen ihre Zeit. Dies war für mich eine ganz große Liebe und so will ich sie auch würdigen, egal wie bescheuert sie sich auch benommen hat und ob der Grad der Blödheit solcher Rache nur ein guter Index für das Maß der Liebe ihrerseits sein könnte - vermutlich denkt sie in vielem über mich ähnlich und vielleicht auch in manchem nicht ohne Grund. So würdige ich, was war, voll zärtlicher Liebe in der Erinnerung, um frei sein zu können, für was immer sein soll, wovon ich nichts weiß oder verstehe.
Habe inzwischen das Gefühl, dass ich meine große Liebe schon seit den Ereignissen um Weihnachten und meine Tochter nicht mehr richtig spürte, wir nur noch große Liebe fast neun Monate spielten, bis es explodierte, weil wir uns nicht verständigen konnten. Als geistig eher unsensibles Wesen, traue ich da meiner Schwanzspitze mehr Feingefühl zu als meinem hormonell stark beeinträchtigten Verstand. In Dingen der Liebe ist die Natur meist sehr zuverlässig und wir können uns dabei weniger vorspielen, als wir uns gern glauben machen, wenn es im Bett nicht stimmt, ist dies darum meist eher ein Indikator für sonstige Unstimmigkeiten, auch wenn die Sache an sich schon schlimm genug ist und auch keine weiteren Gründe haben muss als eine natürliche Abneigung und dann geht es halt nicht.
Nur konnten wir uns über dieses Thema je vernünftig verständigen, solange wir zusammen waren und emotional eng verbunden? Kann ein Mann einer Frau sagen, ich spüre dich nicht beim Sex, du bist nicht wirklich da, so wird das nichts? Habe es versucht und konnte mich nicht verständlich machen, wie sie es nicht schaffte, mir klar zu machen, warum sie nicht mehr da war, nur mechanisch mit mir schlief aber nicht spürbar war für mich, es mir unecht schien.
Liegt das auch an den Rollen, die wir beim Sex einnehmen, ob wir wollen oder nicht, weil es in unserer Natur liegt?
Wie viele Frauen sagten schon zu mir, sei doch mal geduldig, lass mal Frau von sich aus kommen, will nicht soviel, dann passiert es schon von alleine. Liegt meiner Natur nicht wirklich, so wie es vielleicht ihrer nicht lag, unser Problem so lösen zu wollen, dass wir beide damit glücklich werden konnten. Dann war es ein Problem unserer Naturen, die inkompatibel waren auch in den Schemen, in denen wir rollenspezifisch reagierten und uns dabei aber eher provozierten und nervten, als noch wirklich reizten.
Sie meinte sie sei ganz natürlich und darum nicht weiblich, hätte keinen Busen, wäre keine typische Frau - ich aber stehe auf richtige Frauen, egal wieviel Busen sie haben, die aber auch ihre Rolle als Frau lieben, zumindest manchmal. In anderen Bereichen war es dann wieder genau umgekehrt und sie verhielt sich da mädchenhaft schüchtern, wo ich mir etwas mehr Engagement und Lust gewünscht hätte. Trage gerne ein wenig Bart, sie hasst Bärte und steht auf nackte knabenhafte Männer, ist selbst, wenn es nach ihr geht, völlig nackt rasiert immer. Zwei Ideale, die eigentlich inkompatibel sind, begegneten sich, verloren sich aneinander und fanden sich dann darin nicht wieder, wäre der einfache Schluss, aber ich wäre nicht ich, wenn ich es mir so einfach machte.
Die Liebe kann alles, jede Grenze überwinden, alle Zeiten vergessen lassen, den schlimmsten Schmerz stillen, größtest Glück schenken, ein Leben lang zufrieden machen, Hass in Liebe und unglückliche Situationen in die schönste Zeit des Lebens verwandeln - so enthalte ich mich am Ende jeden Urteils, was es ist oder sein könnte, war viel zu sehr zumindest in dieser Liebe verschlungen, ein abschließendes Urteil zu finden und im übrigen gilt auch in der Liebe natürlich, was Montaigne vom Leben sagte, was weiß ich schon? Sollte es so sein, wird sie es tun, wenn nicht, verschwindet alles mit der Zeit und relativiert sich, doch finde ich es wichtig, große Gefühle auch mit großen Worten zu würdigen, sind sie doch, was immer bleibt, sicher gewesen und also aller Liebe wert und so zu würdigen, was war, was auch immer ist oder sein könnte, macht glücklicher und um mehr geht es ja nie. Nichts weiß ich von dem, was Frauen nun denken, noch weniger verstehe ich diese oder die Liebe je, doch lasse ich der Liebe den Raum, glücklich zu machen, wie sie es will.
jens tuengerthal 25.1.2016
Immer wieder nach dem Ende eines Beziehungsversuches frage ich mich, wie weit konnten wir uns verständigen, redeten wir miteinander oder wähnten wir nur übereinander in den unserem Geschlecht entsprechenden Schemen, denen wir uns mal mehr, mal weniger bewusst sind. Habe dazu keine einfache und passende Antwort und suche sie gerade schreibend, weil ich denke, es wäre wichtig zur Verständigung und auf der Suche nach dem Glück.
Bin nicht immer ehrlich, weil ich manches für irrelevant halte, meine eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit habe, in der bestimmte Fragen gar keine Rolle mehr spielen. Manchmal auch, weil ich es für klüger halte, zu schweigen oder gar nicht weiß, was ich noch sagen soll und denke, es sei jetzt auch gut so. Vielleicht geht es manchen auch anders und sie können jetzt ganz ehrlich bekennen, immer ehrlich und offen gewesen zu sein, dahingestellt, ob das an ihrem mangelhaften Kurzzeitgedächtnis oder ihrem überragenden Charakter liegt. Im Verhältnis von Mann und Frau zumindest kann ich aus meiner geringen Erfahrung sagen, es gibt zahlreiche mehr oder weniger notwendige Lügen, gerade was Äußerlichkeiten betrifft und wenn Frau nun das Gegenteil behauptet, lügt sie.
Egal, was die Frauen über meine Schlechtigkeit denken oder ob sie dies für Ausdruck langjähriger Erfahrung halten, würde ich ganz offen sagen, dass ich nicht immer offen sage, was ich denke, weil ich die Folgen ahne. Dennoch kommt es immer wieder zu geradezu kriegerischen Eskalationen unter den Liebenden, ohne dass ich glaubte, mehr Ehrlichkeit würde daran etwas ändern, im Gegenteil.
Dann fallen vom einen Worte, die der andere nicht verzeihen kann oder die doch zumindest zutiefst verletzten. Dies führt zu einer Eskalation, die sich gern verbal überschlägt und um so intensiver das Gefühl, desto heißblütiger die Wut und Enttäuschung und ihr manchmal völlig unvernünftiger Ausdruck. Gleichzeitig ist die Verletzung noch tiefer und wird länger nachgetragen, je näher sich zwei eigentlich fühlen, die statt die trennende Grenze zu überwinden, sich gegenseitig beschuldigen und in den schmerzhaften Schemen verharren, obwohl sie insgeheim davon träumen, sich zu umarmen. Die Enttäuschung der ungenannten eigentlichen Hoffnung verdoppelt Schmerz und Wut, lässt weiter eskalieren und reißt sodann alle moralischen Grenzen immer mehr ein, ohne dass der andere verstünde warum, weil beide ihre eigentlichen Gefühle auch aus taktischen Gründen nicht wirklich aussprechen.
Es mag auch Fälle geben, in denen es anders läuft, aber dies ist das typische Schema einer Eskalation zwischen Liebenden. Ob dies bei gleichem Geschlecht genauso läuft, kann ich nicht sicher beurteilen, die Indizien aus Erzählungen sprechen jedoch sehr dafür und die Rollen sind ja auch meist beliebig austauschbar, je nachdem wer den Funken an die Lunte legte. Weiß auch nicht, ob dies ausdrücklich an Geschlechter gebunden ist oder es für schwule und lesbische Paare oder andere Konstellationen der bunten Möglichkeiten der Kombination menschlicher Geschlechter in ihrer Vielfalt etwas anderes gelten muss. Erzählt wurde mir immer wieder, es sei genauso und es würde eben jeder eine geschlechtsspezifische Rolle übernehmen. Möchte Menschen ungern so reduzieren oder ihnen etwas vorschreiben aber vielleicht liegt die Übernahme der natürlichen geschlechtlichen Polarität auch in unserer Natur, egal welches Geschlecht wir sexuell bevorzugen. Im übrigen finde ich Genderfragen gerade völlig unwichtig, weil es um meine Gefühle geht und wer es anders sieht, soll eben darüber schreiben, vielleicht interessiert sich ja noch jemand ernsthaft für Genderfragen. Glaube, viele wären glücklicher, wenn sie einfach wären, was sie sind, statt sich noch sprachlich von den Dienern des Guten beglücken lassen zu müssen, um das zufällige Geschlecht auch korrekt zu behandeln, wie sich viele aufgewühlte Wissenschaftler nun in Genderstudien bemühen, die ich auch weiter so weit es möglich ist, ignorieren werde als bloße Modeerscheinung einer kurzen Epoche fern der Natur.
Interessant ist wie schnell die Eskalation, je nach Intensität des Gefühls, geradezu exponentiell eskaliert und alles überschreitet, was uns vernünftig noch vorstellbar schien. Die Tragik meiner letzten Trennung und das um sie laufende Drama, was besonders von gegenseitigem Unverständnis und völliger Ignoranz der vielleicht guten Absichten des anderen geprägt war, spricht da Bände für viele Fälle, warum ich hier ein wenig darüber plaudere, um dann vom Konkreten Beispiel im Nachdenken wieder zu einer allgemeinen Lösung zu kommen, die vielleicht jenseits der Zufälligkeiten gerade einer Beziehung weiter bringen kann, bei der Lösung künftiger Konflikte, falls ich denn eine finde, woran zu zweifeln es gute Gründe auch gibt, denn, was weiß ich schon?
Probleme interessieren mich nicht. Die Beschäftigung mit ihnen ist problematisch meist und führt zu viel Verdruss und noch mehr Problemen. Dieser grundsätzlich konstruktivistische Ansatz, brachte mich dazu viele grundlegende Probleme zu ignorieren und durch Zärtlichkeiten oder Sex anstatt zu verdrängen, weil die Zeit auch die meisten Probleme vernünftiger löst, als es unsere Vernunft schafft.
Spannender finde ich Lösungen und den Weg zu ihnen. Wenn ich aber nur das Problem verdränge, ohne an einer langfristigen Lösung zu arbeiten, die es besser macht, erhöhe ich damit, wie mir alle Erfahrung und vor allem die letzte bestätigt, die aktuelle Explosionsgefahr dramatisch.
Wie alle Paare haben wir uns natürlich auch jeder für sich und auf seine Art um Lösungen bemüht, besonders sie nahm alle möglichen Maßnahmen und Konsequenzen in Angriff, um einen von ihr als unbefriedigend empfundenen Beziehungszustand zu ändern. Mir ging es auch so, aber ich fand anderes unbefriedigender als den Zustand der Beziehung und nahm weniger in Angriff, noch beschloss ich vorab Konsequenzen der Eskalation, die zu gegenseitigen Entzug führten.
Möchte nicht bezweifeln, dass wir uns beide liebten, von der Größe unserer Liebe überzeugt waren, ein Leben zusammen wagen wollten, den Traum von dem wir zueinander sprachen, ernst meinten und uns dieses Ziel irgendwie heilig war, was immer auch jeder darunter wiederum verstand. Zwar wäre es denkbar, dass sie mir oder ich ihr irgendwas um irgendwelcher niederer Absichten wegen vorspielte, doch halte ich diese Hypothese für überflüssig - wozu sollte jemand große Liebe vorspielen, wenn sie nicht so empfunden wird und was hätte jemand in dieser Konstellation davon, dem anderen etwas vorzumachen? Es gab für keinen von uns einen Gewinn als die gegenseitige Liebe zu erwarten und die können wir eben genießen oder nicht, da ist alles Spiel müßig und entbehrlich. Es fühlte sich echt an, also war es echt und alles andere hilft auf der Suche nach den Gründen der Eskalation und den natürlichen Schemen dabei nicht weiter, weil es nur eine destruktive Unterstellung wäre, die jede weitere Frage entbehrlich machte.
Wir haben uns also geliebt und hatte eine kurze Phase in der wir sehr glücklich waren und dachten, wir wären völlig beieinander angekommen, Leben war nicht schöner in der Liebe für mich mehr denkbar, es schien alles gut zu sein.
Dann kam meine Tochter dazwischen, die meine Liebe, ohne Angabe von weiteren Gründen, intuitiv nicht mochte und voll ihrer Intuition vertraute, gegen die ich mich wehrte, auch wenn ich so wenig sachliche Argumente dagegen hatte, wie es ihr an solchen sachlichen gegen meine große Liebe mangelte.
Die Tochter wiederum wandte sich an meine Eltern, um zu verhindern, dass ich meine große Liebe Weihnachten mitbrächte. Damit war meine Mutter, die ihrer Enkelin dies versprach schon voreingenommen und der Traum von der großen Liebe lag eigentlich schon in Scherben vor uns und wir hatten nur noch die Wahl zwischen Romeo und Julia Drama und vernünftiger Trennung, scheint es, logisch mit Abstand nun. Aber sind die Dinge wirklich so alternativlos?
Wollte beides nicht und lavierte dazwischen, erzwang einen späteren Besuch bei meinen Eltern mit aller möglichen Gewalt, wie der Drohung der Absage, erreichte dadurch den erwartungsgemäß kühlen Empfang obwohl wir beide voller Liebe ein Theaterstück für meine Eltern schrieben und aufführten, was ein erstes Kind unserer Liebe war.
Eigentlich war das Kind schon Weihnachten in den Brunnen gefallen und ich gestand es mir nur nicht ein, weil andererseits das Glück und die gefühlte Liebe so groß waren, ich dachte, sie wäre es einfach, besser könne es nicht passen und ich sie nie im Leben verlieren wollte. Sie fühlte diesen Bruch auch und wollte ihn problematisieren, ich wollte ihn lieber verdrängen und relativieren. Was da richtig gewesen wäre, gehen die Meinungen auseinander, auch zwischen den Geschlechtern, kann aber dahinstehen, weil es ja nur ein Beispiel der Eskalation ist, die weiterging und zum Krieg führte, der immer auch Gefühle von Hass und ungeregelter Wut, die zu allem bereit ist, in einem erzeugt.
Warum sollte ich einen Franzosen töten wollen, wieso meine lieben Nachbarn, deren Land ich so liebe, und durch das ich so viele Kilometer gefahren bin, denke ich und suche heute eher nach Gründen unsere Nähe und Verwandtschaft in Europa zu belegen, als Unterschiede zu betonen, die mir unwichtig erscheinen. Dagegen zog mein Urgroßvater noch mit Liedern voller Hass 1914 gegen die Franzosen in den Krieg, denen Deutschland 1870 unter Bismarck einen erniedrigenden Frieden in Versailles aufgezwungen hatte, was diese 1918, nachdem der 1. Weltkrieg endete und mein Urgroßvater schon viele Jahre tot auf den Feldern vor Verdun vergammelt war, mit einem ebenso erniedrigenden Frieden von Versailles beantworteten und so blieb bei vielen Deutschen und Franzosen der Hass aufeinander wach.
Nicht so bei meinem Großvater dagegen, der, obwohl der eigene Vater im ersten Kriegsjahr schon durch französische Kugeln oder sonstige kriegerische Mörderei getötet wurde, sich ein Auslandsjahr im Paris der 20er als Zigarettenjunge auf der Messe in Leipzig verdiente und Paris geliebt hat. Die Franzosen, besonders die Französinnen, die sein Vater natürlich im Feld nicht so nah kennenlernte bis er starb, die Künstler, die Pariser Bohéme, der freie Geist, der nach der Zeit in der Kadettenanstalt, die ihn auch lebenslang prägte, einen anderen Menschen aus ihm machte. Statt Rache entschied er sich für Liebe und Offenheit und so viel es an ihm zu kritisieren vielleicht gab, seinem manchmal autoritären Kasernenhofton, den ich ihm nie ganz glaubte, dafür habe ich ihn immer bewundert, da hatte er Größe gezeigt, als Kriegswaise zum Erbfeind, um das Land und die Leute lieben zu lernen. Diese Haltung zueinander und zum Leben ist mir wichtig, die eine Liebe zu Frankreich über den zufälligen Tod seines Vaters stellt, zeigt ein Abstraktionsvermögen und eine Größe, die heute vielen Menschen in Deutschland fehlt, besonders in Ostdeutschland leider, wo sich andere 1989 so groß und demokratisch zeigten.
So wie mein Großvater es gegenüber dem Erbfeind machte, möchte ich es auch lieber gegenüber allen Feinden machen, verzeihen, hinfahren und die Hand reichen und ein klein wenig war es mir Jahre nach dem Tod des Vaters meines Vaters noch vergönnt ein wenig an der geistigen Brücke zwischen Deutschland und Frankreich zu bauen, wenn das auch heute eher normal ist und keiner weiteren Erwähnung bedarf, war meine tiefe Liebe zu Straßburg so auch familiär begründet und die Nähe zu den Projekten, die ich dort begleiten durfte, größer als es der Sache entsprach. Frankreich wurde so für mich auch ganz persönlich zu einem Land voller Freunde und Brüder und glücklich fuhr ich mit meiner damaligen Verlobten nach dem 1. Staatsexamen 5500km durch das Land und besuchte sie mehrfach in Paris, als sie dort für die UNESCO arbeitete.
Auch wenn ich Paris heute eher hektisch und meist unfreundlich finde, vor allem im Vergleich zu Berlin, das sich nicht mal zu fein ist, sich jedes Jahr wieder mit seinem vermeintlichen Flughafen öffentlich zum Gespött zu machen, verstehe ich auch die Liebe meines Großvaters nun besser und seinen Wunsch nach Versöhnung, die auch mir bei allen Konflikten meiner Natur nach näher liegt als die Eskalation.
Dennoch suche ich manchen Konflikt, lasse ihn auch bewusst eskalieren, weil es auch eine Frage der Ehre und der Macht ist, zu einer ungünstigen Konstellation mir zu führen scheint, wenn nicht. So auch mit der großen Liebe nachdem wir die Monate, die sie auf See und damit fern von mir verbrachte, mühsam überstanden hatten. Sie, die es gewohnt war, sich allein durchzusetzen, in einem Männerberuf tapfer ihre Frau stand, auch wenn sie aus erster Berufung eigentlich Schauspielerin war und blieb, hielt wacker dagegen und immer häufiger knallte es zu meist völlig überflüssigen Fragen, weil wir das eigentliche Thema, die Weihnachten verlorene Liebe nicht thematisierten und keine Zeit füreinander und miteinander fanden, nicht würdigen konnten, welch Glück es schon allein im Leben ist, die Nächte zu teilen.
Es lebten beide unzufrieden mit dem Gefühl eines Vorwurfs, auch wenn wir ständig das Gegenteil betonten, waren wir uns nicht mehr nah, spürten einander nicht und das tat weh. Jeder fühlte sich in etwas anderem hintergangen und fand dies unverzeihlich. War mir nicht sicher, was es war und was nicht stimmte. Einerseits traute ich auch dem Instinkt meiner Tochter, sie ist ja mein Kind und betrachte ich, was sie aus Wut später tat, hatte die Tochter vielleicht völlig recht mit ihrer Einschätzung, doch halte ich das nur für eine halbe und ungenaue Wahrheit, die dem Vokabular des Krieges gegeneinander entspricht und nicht der eigentlich gefühlten Liebe.
Monate nach unserer Trennung, die nie ausgesprochen wurde und dann doch faktisch war, sahen wir uns wieder und sie kam mich zu unserem Einjährigen erstmals wieder besuchen und wenige Tage später wieder zum 4. Advent. Wir kamen und waren uns sehr nah. Das Gefühl war bei mir wieder da, doch ich wusste, dass ich Zeit brauchte, es auf einen vernünftigen Weg zu bringen, meine Tochter vielleicht zu überzeugen, in der Familie vorsichtig für sie zu werben - dachte eher in Jahren und hatte keine Eile, es fühlt sich gut an. Dann zog sie sich plötzlich, als hätte ich sie mit der Verzögerung und der Bitte um Zeit persönlich angegriffen, beleidigt und tief verletzt zurück, wie ich heute denke. Aber wir konnten uns auch darüber nie mehr verständigen.
Wusste nicht genau, ob wir lieber Freunde bleiben sollten oder es wirklich für immer mehr war, wir die tiefen Gräben, die uns trennten je überwinden könnten und so balancierte ich am Rand des Grabens etwas unentschieden, denn natürlich war die große Liebe nicht einfach weg, begehrte und liebte ich diese Frau vom ersten Augenblick an immer, egal wie bescheuert sie sich benahm und wie wenig wir uns in immer mehr nur noch zu verstehen schienen, was vermutlich hauptsächlich am unterschiedlichen Empfinden für Zeit lag aber vielleicht auch an den Rollen, denen wir nicht wie erwartet entsprachen. Doch liebe ich ganz klar auch meine Tochter, ist sie mir sehr, sehr wichtig und wollte ich keinen Konflikt irgendwo riskieren.
Sie zog sich daraufhin wieder radikal zurück mit aus meiner Sicht groben Worten, die ich nicht verstand, beschimpfte mich wüst, als ich nur vorsichtig nach einem ihr geliehenen Buch fragte und ich war wie vor den Kopf gestoßen und war es andererseits auch nicht, denn wo es gefühlvolle Reaktionen gibt, da ist viel Gefühl und mit dem schienen wir beide, auf unterschiedliche Art zu ringen. Es war wieder, auch wenn wir eine wunderbar zarte Nacht voller Zuneigung verbracht hatten, der Hass da zwischen uns und das Misstrauen.
Will mich nicht weiter fragen, ob ich ihr Grund dafür gab, es verständlich ist, für solche Gefühle darf es keinen Grund geben, fraglich nur, woran es lag, dass wir trotz des beiderseits empfundenen Glücks der friedlichen Verständigung, es wieder so eskalieren ließen emotional, statt uns vernünftig und vorsichtig am kleinen Glück in aller Ruhe zu freuen.
Sind wir unfähig, uns zu verständigen, weil wir feste Vorstellungen über den anderen haben, die jede Kommunikation belasten und Verständigung unmöglich machen. Wenn dem so ist, geht es dann noch um Liebe oder ist es nur ein Spiel um Macht um Rache, bei der jeder seine Enttäuschung, dem anderen zuschreibt und so jede Verständigung unmöglich macht?
Was will wirklich, wer sich so begegnet, statt liebevoll, entspannt und hoffnungsfroh das mögliche lieber genießt, als über das gerade Unmögliche sich zu grämen und an dem zu leiden, was nicht ist?
Ist ein solches Verhalten nicht dem Wesen nach absurd, frage ich mich und schreibe darüber als Mann, der von einem tief emotionalen Erlebnis mit einer Frau schreibt, die er für die wunderbarste hielt und das größte Glück seines Lebens, die ihm die Schönste der Welt zu sein schien und mit der ich alt werden wollte. Könnte ich sie noch so sehen oder erwartete ich um meiner Ehre willen nun eine Entschuldigung von ihr, für ihr bescheuertes und erniedrigendes Verhalten mir gegenüber, hat sie damit für immer verspielt, weil mir alle Vernunft sagt, die spinnt doch einfach?
Die Liebe kann alles, sage ich heute und denke an meinen Großvater, der unbedingt nach Paris wollte, in die Stadt, aus der die Befehle an die Soldaten kamen, die seinen Vater töteten. Sie kann alles überwinden und alles verstehen, wenn sie will und da ist, wenn nicht, will sie nicht und ist sie egal, weil sie sich längst in Luft aufgelöst hat, die ohnehin ihr eigentliches Element als Illusion wohl ist.
Weiß weder, was natürlich ist, noch was gut wäre und die Vernunft rät das eine wie das andere, warum ich sie lieber nicht mehr frage. Betrachte es gelassen und denke, die Dinge werden kommen, wie sie sind und dann werde ich es wissen, weil ich fühle, was ist. Jede Liebe und jeder Abschied brauchen ihre Zeit. Dies war für mich eine ganz große Liebe und so will ich sie auch würdigen, egal wie bescheuert sie sich auch benommen hat und ob der Grad der Blödheit solcher Rache nur ein guter Index für das Maß der Liebe ihrerseits sein könnte - vermutlich denkt sie in vielem über mich ähnlich und vielleicht auch in manchem nicht ohne Grund. So würdige ich, was war, voll zärtlicher Liebe in der Erinnerung, um frei sein zu können, für was immer sein soll, wovon ich nichts weiß oder verstehe.
Habe inzwischen das Gefühl, dass ich meine große Liebe schon seit den Ereignissen um Weihnachten und meine Tochter nicht mehr richtig spürte, wir nur noch große Liebe fast neun Monate spielten, bis es explodierte, weil wir uns nicht verständigen konnten. Als geistig eher unsensibles Wesen, traue ich da meiner Schwanzspitze mehr Feingefühl zu als meinem hormonell stark beeinträchtigten Verstand. In Dingen der Liebe ist die Natur meist sehr zuverlässig und wir können uns dabei weniger vorspielen, als wir uns gern glauben machen, wenn es im Bett nicht stimmt, ist dies darum meist eher ein Indikator für sonstige Unstimmigkeiten, auch wenn die Sache an sich schon schlimm genug ist und auch keine weiteren Gründe haben muss als eine natürliche Abneigung und dann geht es halt nicht.
Nur konnten wir uns über dieses Thema je vernünftig verständigen, solange wir zusammen waren und emotional eng verbunden? Kann ein Mann einer Frau sagen, ich spüre dich nicht beim Sex, du bist nicht wirklich da, so wird das nichts? Habe es versucht und konnte mich nicht verständlich machen, wie sie es nicht schaffte, mir klar zu machen, warum sie nicht mehr da war, nur mechanisch mit mir schlief aber nicht spürbar war für mich, es mir unecht schien.
Liegt das auch an den Rollen, die wir beim Sex einnehmen, ob wir wollen oder nicht, weil es in unserer Natur liegt?
Wie viele Frauen sagten schon zu mir, sei doch mal geduldig, lass mal Frau von sich aus kommen, will nicht soviel, dann passiert es schon von alleine. Liegt meiner Natur nicht wirklich, so wie es vielleicht ihrer nicht lag, unser Problem so lösen zu wollen, dass wir beide damit glücklich werden konnten. Dann war es ein Problem unserer Naturen, die inkompatibel waren auch in den Schemen, in denen wir rollenspezifisch reagierten und uns dabei aber eher provozierten und nervten, als noch wirklich reizten.
Sie meinte sie sei ganz natürlich und darum nicht weiblich, hätte keinen Busen, wäre keine typische Frau - ich aber stehe auf richtige Frauen, egal wieviel Busen sie haben, die aber auch ihre Rolle als Frau lieben, zumindest manchmal. In anderen Bereichen war es dann wieder genau umgekehrt und sie verhielt sich da mädchenhaft schüchtern, wo ich mir etwas mehr Engagement und Lust gewünscht hätte. Trage gerne ein wenig Bart, sie hasst Bärte und steht auf nackte knabenhafte Männer, ist selbst, wenn es nach ihr geht, völlig nackt rasiert immer. Zwei Ideale, die eigentlich inkompatibel sind, begegneten sich, verloren sich aneinander und fanden sich dann darin nicht wieder, wäre der einfache Schluss, aber ich wäre nicht ich, wenn ich es mir so einfach machte.
Die Liebe kann alles, jede Grenze überwinden, alle Zeiten vergessen lassen, den schlimmsten Schmerz stillen, größtest Glück schenken, ein Leben lang zufrieden machen, Hass in Liebe und unglückliche Situationen in die schönste Zeit des Lebens verwandeln - so enthalte ich mich am Ende jeden Urteils, was es ist oder sein könnte, war viel zu sehr zumindest in dieser Liebe verschlungen, ein abschließendes Urteil zu finden und im übrigen gilt auch in der Liebe natürlich, was Montaigne vom Leben sagte, was weiß ich schon? Sollte es so sein, wird sie es tun, wenn nicht, verschwindet alles mit der Zeit und relativiert sich, doch finde ich es wichtig, große Gefühle auch mit großen Worten zu würdigen, sind sie doch, was immer bleibt, sicher gewesen und also aller Liebe wert und so zu würdigen, was war, was auch immer ist oder sein könnte, macht glücklicher und um mehr geht es ja nie. Nichts weiß ich von dem, was Frauen nun denken, noch weniger verstehe ich diese oder die Liebe je, doch lasse ich der Liebe den Raum, glücklich zu machen, wie sie es will.
jens tuengerthal 25.1.2016
Dienstag, 24. Januar 2017
Gretasophie 010
010 Was bleibt
Am Ende fragen wir uns, was bleibt, von uns, noch zu sagen, immer übrig, für die Zukunft und vieles mehr auf das ich kaum eine Antwort weiß und die meine Tochter als die nächste Generation der Familie schneller finden wird als ich es könnte, weil sie anders schaut.
Weiß nicht, ob sie ein Buch für ihre Kinder schreiben wird oder dieses fortsetzt, über all die Dinge, die ich vergessen habe und zu denen ich nichts sagte, sei es aus Takt oder, was wahrscheinlicher ist, aus Ahnungslosigkeit.
Lese ich meinen Liebling Montaigne könnte ich noch ewig Themen finden, so schrieb dieser etwa schon vor über 400 Jahren sehr ausführlich über das männliche Glied, seine Standkraft und deren Mängel und Fehlen, ein bis heute hoch interessantes Thema, meist schrieb ich ja eher über die weibliche Lust und meine Erwartungen daran, statt meine eigene Impotenz zu thematisieren. Aber so ungern wie ich Martin Walser lese, der sich mehr oder weniger seit dreißig Jahren nur darum dreht, so wenig möchte ich die Leser mit solchen Dingen weiter belästigen, sondern lieber zumindest die obigen Fragen zu beantworten suchen, auch wenn es dem Philosophen in mir eigentlich genügt, sie gestellt zu haben.
Weiß nicht, ob ich die Halbzeit schon überschritt - gemessen an meinen Großvätern wohl, verglichen mit den Großmüttern eher nicht und es sind mir solche Mutmaßungen auch völlig egal und wenn es morgen endete, möchte ich sagen können, es war gut und alles ist gut so, ich habe nichts verpasst, wonach ich mich sehnte. Komme ich als genetischer Mann nach meinen Großväter oder wiegen da stärker viele auch weibliche Eigenschaften, die ich von meiner Mutter erbte, könnte ich nun fragen und tue es nicht, weil ich es völlig egal finde und mich nicht für so schrecklich bedeutend halte, dass ich es zum Thema weiter machte als gerade nötig.
Habe nicht die Welt gesehen und auch nicht alle Bücher gelesen, die mich reizten, noch geschrieben, was ich alles mal schreiben wollte, will aber die Welt auch nicht weiter als in Büchern sehen, finde es nicht interessant, irgendwo hinzufahren und halte diese Neigung für völlig überschätzt im Verhältnis von Aufwand und Nutzen. Mehr erfahre ich über einen Ort, wenn ich darüber lese oder die vielen Berichte der anderen studiere, die schon Reisen unternahmen, denen ich nicht noch hinterher trotteln muss, um Abenteuer zu erleben oder sonstigen Unsinn zu tun.
Die Welt verträgt es nicht mehr gut, wenn alle sie bereisen wollen. Im Gegenteil sollten wir diesen Wahn dringend einstellen, um weiter gut leben zu können. Ein Ort zu dem alle pilgern, interessierte mich schon immer eher weniger und darum muss ich nirgendwo mehr hin, sondern bleibe lieber wo ich bin, um mehr Zeit zu finden, meinen Geist zu bewegen. Zwischen Buchseiten und in eigenen Gedanken immer unterwegs und aktiv, frage ich mich eher, wie ich alles lesen soll, was ich gerne läse, wenn ich noch irgend Zeit auch mit anderen Menschen verbringen soll, auch wenn ich mich immer häufiger frage, welcher soziale Kontakt es wirklich wert ist, nicht zu lesen oder darüber zu schreiben.
Es gibt ja auch noch Menschen, die sich daneben auch noch von Bildern oder Tönen aus Fernsehen oder Radio berieseln lassen, was ich eigentlich nie tue, wenn ich es sozial vermeiden kann, weil es beim Lesen nur stört. So lebe ich vermutlich in vielem neben der Welt und habe mit dem, was andere die Wirklichkeit nennen, nichts zu tun, bin ein Autist in seinem Bücherturm, den die Realität nicht sonderlich tangiert, da er sie, schaut er doch mal heraus, häufig eher nervig, abstoßend und dumm findet und warum sollte ich mich damit weiter abgeben, als ich es unbedingt muss.
Gelegentlich finden sich völlig unerwartet auch Schätze im Meer der Belanglosigkeiten, die einen tieferen Einstieg und eine eingehende Beschäftigung lohnen. Dann freue ich mich darüber, rede und diskutiere mit Engagement und streite mich gern, um zu lernen. Aber war es das, kann ich meiner Tochter ein Leben neben der Welt empfehlen, als zöge ich mich, um glücklich zu sein in Epikurs Garten zurück, der hier eben voller Bücherregale steht?
Was sie glücklich macht und wonach sie sich sehnt, muss sie selbst herausfinden und erforschen und ich finde, es gibt keine schönere und spannendere Aufgabe im Leben, als in sich zu gehen, um sich darüber klar zu werden, was einem wirklich gut tut und gefällt, was am Ende bleibt, wenn ich mich frage, wie war dieses Leben.
Schaue zurück bin ich, auch wenn ich vielleicht erst die Hälfte hinter mir hab, glücklich und genieße jeden Tag, was ist. Es war ein Stück Arbeit alle Erwartungen abzuwerfen und mit dem, was ist in seiner eben Mangelhaftigkeit und geringen Schönheit, die Dinge sind, wie sie sind, zufrieden zu sein, doch hat es sich gelohnt, alle Zweifel einzustellen, um glücklich zu sein. Ob eingestellte Zweifel dann bei mir angestellt sind oder sich einfach in nichts auflösen, weil sie völlig ohne Belang sind, frage ich mich nicht wirklich jeden Tag.
Es bleibt von mir nichts, als ein Haufen Bücher, der an meine Erben geht und den sich bisher meine Tochter mit niemanden teilen müsste, soweit ich weiß, was Vorteile und Nachteile hat in der Verantwortung wie in der Sache an sich. Habe keine Seele die wandern könnte, noch glaube ich an eine sonstige Fortexistenz, halte diesen ganzen spirituellen Unsinn nur für eine Beschäftigungstherapie für geistig unterforderte Feiglinge, die lieber nicht kritisch denken wollen. Damit urteile ich natürlich sehr hart über etwas, was mir auch egal sein könnte, weil es für mich nicht existiert und doch sehe ich die im Aberglauben und seinen Varianten daraus entstandenen Vorurteile und die folgende geistige Enge, die Menschen seit langem quält, statt frei und glücklich zu sein. Da finde ich es auch mal ok, diesen ganzen Mist so zu nennen und für mehr Aufklärung, Freiheit und Vernunft zu plädieren.
Dummheit gibt es von alleine. Vernunft müssen wir uns erarbeiten. So gesehen ist die Haltung, die ich einnehme und die jeden Aberglauben ablehnt nicht die bequemste und könnte einem, der immer das Streben nach Lust und Glück für am wichtigsten hält, unnötig beim Streben nach Glück behindern, da sie Arbeit erfordert und also irgendwie auch stresst, vor allem, wenn mit Gläubigen diskutiert werden muss, die sich beschweren, wie ich es wagen könnte mit meinem Glauben, für den sie den Atheismus aus ihrem engen Horizont logisch halten, weil sie sich nicht vorstellen können, dass es eine glückliche Welt ohne gäbe, ihren heiligen Glauben einen Aberglauben zu nennen, was ich mir denn da anmaße.
Suche keinen Streit und will mich nie mit Narren streiten, weil es nur Unfrieden bringt. Natürlich nenne ich jeden Glauben nach dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, der die Freiheit auch des Glaubens garantiert, logisch einen Aberglauben. Der Begriff kam im Mittelalter auf, in der Übergangszeit zwischen Karolingern und Merowingern als Herrschern im Nachfolgereich des römischen Reichs im Norden und suchte die Abgrenzung zum alten vorigen Glauben mit seinen Opfern und Kulten, die das Christentum nicht mehr wollte und brauchte und nur ausnahmsweise, wenn sie vom Bischof von Rom, der sich Vater nennt, genehmigt wurden, noch zulässig sind. Es diente also zur Abgrenzung des einen dogmatischen Monotheismus gegen andere vorherige Formen des Glaubens, die in der heutigen Gesellschaft aber gleichberechtigt alle sein müssten und so, nenne ich jeden Glauben, diesen Grundsätzen folgend, Aberglauben.
Warum ein allmächtiger Gott, der alles geschaffen hat, noch dazu nach seinem Bilde, dabei zu einem so mäßigen und charakterlich äußerst zweifelhaften Ergebnis kam, habe ich nie verstanden. So schien mir, was Menschen an Opfern und anderem Kult veranstalten schon immer eher als eine Beleidigung der Idee eines allmächtigen Wesens und Gottes und wäre, was Atheisten meinen, immer noch die geringste Kränkung eines solchen Wesens, wenn es denn existierte und nicht nur Produkt der Summe aus Ängsten und Phantasie immer war, die das Nichts nicht als Glück begriffen und darum irgendwelchen naiven Aberglauben vom Himmelreich seit Ewigkeiten nachbeteten.
Wer wäre ich, mit dem wenigen, was ich weiß, sicher sagen zu können, ob es allmächtige Götter gibt und sie über allem stehen? Der geringe Verstand, den mir die Evolution noch ließ und sofern dieser nicht noch zusätzlich durch die Anwesenheit holder Frauen weiter hormonell beeinträchtigt wird, sagt mir, gäbe es sie, hätten sie sicher keinen Grund, sich mit dieser peinlich, eitlen unvollkommenen Schöpfung als ihrem Werk zu schmücken, noch, wenn sie denn im Himmelreich lebten, sich mit uns abzugeben und den beschränkten niederen menschlichen Bedürfnissen, gar unsere lächerlichen Gebete zu erhören. All dies schien mir eine Verspottung der Idee Gottes und macht jenes vollkommene Wesen nur lächerlich, reduzierte es auf menschliches Maß, was die Christen so gern den Griechen mit ihren ach so menschlichen Göttern vorwarfen.
Es mag also Götter geben, kann meiner Tochter dazu nichts sicheres sagen, auch weil ich mich nicht weiter damit beschäftigen will, weil des dem Streben nach Glück nicht zuträglich zu sein scheint, sondern nur die Dummheit und Anmaßung vermehrt und den Horizont unnötig verengt. Doch scheinen mir jene, und das möchte ich ihr unbedingt mitgeben, die diese Götter zu kennen meinen und mit ihnen angeblich kommunizieren, häufig so anmaßend und kleinkariert, dass es die Idee eines vollkommenen Wesens, wenn es so eines denn gäbe, beleidigen muss, warum es immer besser ist, in dieser Frage seinen eigenen Weg zum Glück zu suchen, statt den Lehren anderer zu vertrauen, insbesondere wenn sie vorgebetet werden.
Kenne viele intelligente Menschen, die dennoch glauben und einer konventionellen oder weniger angepassten Form des Aberglaubens nachgehen. Muss nicht verstehen, warum sie das tun, will diese aber respektieren als Menschen, was mir auch wichtiger erscheint, als für meine Sicht der Wirklichkeit zu kämpfen, vor allem glücklicher macht, als Diskussionen in Glaubensfragen. So es am Ende nur um das Glück geht, scheinen mir viele Fragen heute überflüssig und ich kann auch zur Taufe der Tochter meines Freundes gehen, ohne mich darüber zu ärgern, dass dies arme Kind von den Eltern in eine unfreie Tradition gezwungen wird.
Das ist nicht ganz konsequent, aber da ohnehin alles endet und wir als erstes, ist es auch müßig, sich weiter danach zu fragen, wenn es glücklicher macht, mit mehr Menschen in Frieden zu leben, statt ihnen zu sagen, was sie deiner Ansicht nach falsch machen.
Es ist immer ein Drahtseilakt zwischen geistiger Konsequenz im Sinne des kategorischen Imperativs, dieser ach so deutschen höchsten Moral und Freiheit und einer möglichst großen Gelassenheit, die sich über nichts mehr aufregen muss und einfach glücklich mit allen Menschen leben kann.
Darum war es mir wichtig, das Denken meiner Tochter für eine kritische Sicht auch auf den Aberglauben zu öffnen, aber am Ende ist völlig egal, woran jemand glaubt, den ich liebe solange ich nur mit ihm glücklich bin und das fällt mit mehr Toleranz leichter als mit weniger.
Manche fragen sich, ob die Toleranz nur eine Sekundärtugend ist, bei der es nur um das rechte Maß geht, die aber für keine eigenen Werte steht. Das bezweifle ich entschieden. Für mich ist die Toleranz einer der wichtigsten Werte an sich, denn, was weiß ich schon wirklich als Mensch sicher, ist es da nicht überlebenswichtig einander in Toleranz und mit Respekt zu begegnen?
Mein Vater bezeichnete sich immer als scheißliberal und vertrat in Diskussionen immer die Gegenposition, was mich als Kind teilweise wahnsinnig machte, weil er das dann auch mit ganz viel Engagement und Überzeugung tat, auch wenn es gar nicht seine Meinung war und ich mir mit ihm Diskussionen lieferte über Fragen, bei denen das Thema eigentlich völlig unstrittig war, wir nur stritten, weil er aus Prinzip die andere Seite vertrat.
Fand das furchtbar, konnte der Kerl nicht eine klare Meinung haben wie andere Väter, wie stand ich in Diskussionen mit meinen Freunden da, wenn diese als Autorität ihre Väter zitierten und ich sagen musste, der meine sagt es mal so und mal so?
Und was mache ich nun mit meiner Tochter, frage ich mich, überlege, wie lange sie mich wohl dafür noch verfluchen wird und wann sie es dankbar als ihre große Freiheit sieht, selbst und kritisch denken zu können, statt nur nachzuplappern, was andere vorgeben, ob sie das je so sehen wird und diesen ganzen Blödsinn lesen oder lieber ignorieren wird, um sich an ihrem Schminktisch in die Welt der Sternchen und Stars zu träumen, was ich auch gut verstände und solange sie das ausreichend glücklich macht, auch völlig ok finde. Nur darauf kommt es mir an, dass sie weiß, was sie glücklich macht und es leben kann. Wer sich dafür keine Fragen stellen muss, hat es eher leichter, denke ich manchmal.
Kann nichts an Antworten geben, die Suchende befriedigen. Habe von nichts wirklich Ahnung.
Fragt mich eine, was der Sinn der Leben ist, sage ich, es hat keinen, es ist einfach und das genügt. Zumindest weiß ich nichts andere und kann und will nichts anderes weitergeben.
Regt sich mein Vater darüber auf, was das für ein Leben ohne Sinn wäre, wie er es schon mehrfach tat, nun diskutiere ich es nicht mehr mit ihm, auch sein Herz zu schonen, antworte ich, ein Gutes, in dem es nur darum geht, so glücklich wie möglich zu sein. Weil eben nichts Sinn hat und es nur darum geht, aus dem was ist, irgendwie das Beste zu machen, sonst nichts.
Will jemand meine Ziele im Leben wissen, antworte ich, glücklich zu sein und wenn er dann nachfragt, er meint, was ich erreichen will oder wo ich noch hin möchte, sage ich immer, nirgendwo, ich bin wo ich sein will und möchte das so sehr wie möglich genießen, mehr nicht. Dies würde ganz schnell alle Bewerbungsgespräche beenden, weil kein Personaler diesen Satz in sein Schema pressen könnte, nach dem Menschen eingeordnet werden.
Eine Ex von mir war Läuferin und einmal begann ich auch zu laufen und tat das morgens um 5.45h, was sie unendlich bewunderte, wie sie sagte, ich spürte im Tonfall ihrer Stimme dabei so etwas wie Liebe und Bewunderung, was gut tat, weil sie nicht gerade eine Euphorikerin war und beim Sex jeder von uns aufpassen musste, nicht einzuschlafen. Dabei tat ich es nur, damit mich möglichst niemand peinlich keuchen sah und weil es mal nötig schien. Hatte keinerlei sportlichen Ehrgeiz im Gegensatz zu ihr, die sich noch mit blutigen Füßen ins Ziel kämpfen würde vermutlich, was mir immer zu blöd wäre. So fuhr sie auch sehr sportlich bei jedem Wetter mit dem Rad ins Büro und leistete fleißig und folgsam ihre Arbeit, ohne über eine weitere Karriere oder einen Aufstieg dort nachzudenken oder, was sie tat, kritisch infrage zu stellen.
Will auf keinen Berg klettern, nicht wie mein Vater noch mit über 60 mit dem Fahrrad die Alpen überqueren, muss mir nichts beweisen, im Gegenteil, stelle lieber infrage, statt zu beweisen. So gesehen hinterlasse ich meiner Tochter vermutlich wenig brauchbares für das Funktionieren in der Leistungsgesellschaft, die mich auch nicht interessiert. Von der Liebe zu den Büchern, sollte sie diese je teilen, hat sie nicht viel, das Zeug ist in Berlin eher Altpapier und wird kiloweise abgegeben.
Zu sehen, wie abseitig ist, was ich liebe und mir wichtig erscheint, befreit von dem Anspruch funktionieren zu müssen in einer Gesellschaft aus lauter lauten Leistungsträgern, die sich auch im Kneipengespräch ständig selbst übertreffen müssen.
Lauschte gestern zwei Herren, die sich kennenlernten. Sie stellten einander in englisch und deutsch vor, was der jeweils andere nur sehr mäßig konnte und versuchten sich dabei dennoch zu profilieren, indem sie das, was sie als ihre Hobbys und sonstiges beschrieben, als ihre besondere Begabung betonten, immer ein wenig bemüht den anderen noch trotz viel Unverständnis sprachlicher Art noch um einen Superlativ zu übertreffen.
Keine vornehme englische Bescheidenheit, sondern eher eine Hengstparade, bei der nur noch fehlte, dass sie in der Schwanzlänge konkurrierten und ich war wirklich nur amüsiert. Auch die Versuche der gegenseitigen Rechtfertigung, wenn es um eine Beziehung oder nicht ging, waren nicht ohne Komik. Fragte mich, was sie wohl sagen würden, sähen sie einen Film über sich, ob sie es noch bemerkten, wie komisch sie waren.
Eine Freundin von mir sagte neulich zu mir, ich stellte mein Licht immer zu sehr unter den Scheffel, könnte ruhig stolz betonen, was ich könnte und worin ich anderen weit überlegen bin. Aber, ehrlich gesagt, wüsste ich da wenig, wo es nicht noch einen gäbe, der vielleicht besser ist als ich und zweitens, fände ich es schrecklich peinlich, meinen Schwanz so auf den Tresen zu legen und zu sagen, bin ich nicht toll.
Glaube manche Frauen stehen auf solches Imponiergehabe. Bei denen habe ich dann wohl äußerst schlechte Karten, doch mein Bedauern darüber hält sich bisher noch in überschaubaren Grenzen. Bin lieber, wie ich bin und damit glücklich, statt etwas sein zu wollen, was ich nie war, um Erfolg zu haben. Wenn mich eine lieben sollte, was ja schon gelegentlich mal vorkam, wird sie das nicht für meine Show tun, hoffe ich zumindest, sondern mich als Wesen lieben, aber vielleicht ist das auch eine etwas altertümliche Sicht.
Der Freund, der seine Tochter taufen ließ, wovon ich ja schon hinlänglich oft berichtete, stammt aus einer alten bekannten Familie und lebt das mit einer Bescheidenheit und Natürlichkeit, die mir vorbildlich erscheint, auch wenn sie ebenfalls, wie manche schon immer über ihn sagten, nicht in die Zeit mehr passt. Einer seiner vielen berühmten Vorfahren hat mal den Spruch getan auf gut mecklenburgisch, was aber als echt preußisch damals galt, dass es besser sei mehr zu sein als zu scheinen und viel zu leisten, aber dabei wenig in Erscheinung zu treten. Das gefällt mir, je älter ich werde, umso besser.
Es passt nicht in eine Zeit der Marketingexperten und der Selbstvermarktung aller Orten, damit ist kein großes Geschäft zu machen, es ist nur, was es ist und gut ist es. Ruht in sich und zeugt von einer Gelassenheit, die mir dem Menschen würdiger scheint als jede großmäulige Präsentation. Eigentlich bin ich ja kein Stiller und Bescheidenheit lag mir immmer weniger als die intellektuelle Arroganz, doch gefallen mir die Worte des Vorfahren, der auch den Spitznamen der große Schweiger trug, immer besser, je mehr ich darüber nachdenke und danach zu streben, scheint mir mehr Zufriedenheit zu vermitteln, als die erhechelten Kurzstreckensiege unserer Sprinter unter den Stars am Markt.
Was weiß ich schon, fragte der große Montaigne in aller Bescheidenheit, womit er sich auch Sokrates angemaßten Nichtswissen bescheiden überlegen zeigt und in dieser Tradition sehe ich auch den Feldmarschall mit seinen Sprüchen, auch wenn er mir als Militär in vielem wesensfremd ist, die Gelassenheit, die daraus wachsen kann, wünsche ich meiner Tochter mehr als alles andere, denn dann plötzlich wird das Leben ganz leicht und wir quälen uns nicht mehr mit dem was sein könnte, sondern genießen mehr, was ist, weil alles gut so ist und es nicht mehr braucht. Ende also zufrieden und glücklich und wünsche es ihr.
jens tuengerthal 24.1.2017
Am Ende fragen wir uns, was bleibt, von uns, noch zu sagen, immer übrig, für die Zukunft und vieles mehr auf das ich kaum eine Antwort weiß und die meine Tochter als die nächste Generation der Familie schneller finden wird als ich es könnte, weil sie anders schaut.
Weiß nicht, ob sie ein Buch für ihre Kinder schreiben wird oder dieses fortsetzt, über all die Dinge, die ich vergessen habe und zu denen ich nichts sagte, sei es aus Takt oder, was wahrscheinlicher ist, aus Ahnungslosigkeit.
Lese ich meinen Liebling Montaigne könnte ich noch ewig Themen finden, so schrieb dieser etwa schon vor über 400 Jahren sehr ausführlich über das männliche Glied, seine Standkraft und deren Mängel und Fehlen, ein bis heute hoch interessantes Thema, meist schrieb ich ja eher über die weibliche Lust und meine Erwartungen daran, statt meine eigene Impotenz zu thematisieren. Aber so ungern wie ich Martin Walser lese, der sich mehr oder weniger seit dreißig Jahren nur darum dreht, so wenig möchte ich die Leser mit solchen Dingen weiter belästigen, sondern lieber zumindest die obigen Fragen zu beantworten suchen, auch wenn es dem Philosophen in mir eigentlich genügt, sie gestellt zu haben.
Weiß nicht, ob ich die Halbzeit schon überschritt - gemessen an meinen Großvätern wohl, verglichen mit den Großmüttern eher nicht und es sind mir solche Mutmaßungen auch völlig egal und wenn es morgen endete, möchte ich sagen können, es war gut und alles ist gut so, ich habe nichts verpasst, wonach ich mich sehnte. Komme ich als genetischer Mann nach meinen Großväter oder wiegen da stärker viele auch weibliche Eigenschaften, die ich von meiner Mutter erbte, könnte ich nun fragen und tue es nicht, weil ich es völlig egal finde und mich nicht für so schrecklich bedeutend halte, dass ich es zum Thema weiter machte als gerade nötig.
Habe nicht die Welt gesehen und auch nicht alle Bücher gelesen, die mich reizten, noch geschrieben, was ich alles mal schreiben wollte, will aber die Welt auch nicht weiter als in Büchern sehen, finde es nicht interessant, irgendwo hinzufahren und halte diese Neigung für völlig überschätzt im Verhältnis von Aufwand und Nutzen. Mehr erfahre ich über einen Ort, wenn ich darüber lese oder die vielen Berichte der anderen studiere, die schon Reisen unternahmen, denen ich nicht noch hinterher trotteln muss, um Abenteuer zu erleben oder sonstigen Unsinn zu tun.
Die Welt verträgt es nicht mehr gut, wenn alle sie bereisen wollen. Im Gegenteil sollten wir diesen Wahn dringend einstellen, um weiter gut leben zu können. Ein Ort zu dem alle pilgern, interessierte mich schon immer eher weniger und darum muss ich nirgendwo mehr hin, sondern bleibe lieber wo ich bin, um mehr Zeit zu finden, meinen Geist zu bewegen. Zwischen Buchseiten und in eigenen Gedanken immer unterwegs und aktiv, frage ich mich eher, wie ich alles lesen soll, was ich gerne läse, wenn ich noch irgend Zeit auch mit anderen Menschen verbringen soll, auch wenn ich mich immer häufiger frage, welcher soziale Kontakt es wirklich wert ist, nicht zu lesen oder darüber zu schreiben.
Es gibt ja auch noch Menschen, die sich daneben auch noch von Bildern oder Tönen aus Fernsehen oder Radio berieseln lassen, was ich eigentlich nie tue, wenn ich es sozial vermeiden kann, weil es beim Lesen nur stört. So lebe ich vermutlich in vielem neben der Welt und habe mit dem, was andere die Wirklichkeit nennen, nichts zu tun, bin ein Autist in seinem Bücherturm, den die Realität nicht sonderlich tangiert, da er sie, schaut er doch mal heraus, häufig eher nervig, abstoßend und dumm findet und warum sollte ich mich damit weiter abgeben, als ich es unbedingt muss.
Gelegentlich finden sich völlig unerwartet auch Schätze im Meer der Belanglosigkeiten, die einen tieferen Einstieg und eine eingehende Beschäftigung lohnen. Dann freue ich mich darüber, rede und diskutiere mit Engagement und streite mich gern, um zu lernen. Aber war es das, kann ich meiner Tochter ein Leben neben der Welt empfehlen, als zöge ich mich, um glücklich zu sein in Epikurs Garten zurück, der hier eben voller Bücherregale steht?
Was sie glücklich macht und wonach sie sich sehnt, muss sie selbst herausfinden und erforschen und ich finde, es gibt keine schönere und spannendere Aufgabe im Leben, als in sich zu gehen, um sich darüber klar zu werden, was einem wirklich gut tut und gefällt, was am Ende bleibt, wenn ich mich frage, wie war dieses Leben.
Schaue zurück bin ich, auch wenn ich vielleicht erst die Hälfte hinter mir hab, glücklich und genieße jeden Tag, was ist. Es war ein Stück Arbeit alle Erwartungen abzuwerfen und mit dem, was ist in seiner eben Mangelhaftigkeit und geringen Schönheit, die Dinge sind, wie sie sind, zufrieden zu sein, doch hat es sich gelohnt, alle Zweifel einzustellen, um glücklich zu sein. Ob eingestellte Zweifel dann bei mir angestellt sind oder sich einfach in nichts auflösen, weil sie völlig ohne Belang sind, frage ich mich nicht wirklich jeden Tag.
Es bleibt von mir nichts, als ein Haufen Bücher, der an meine Erben geht und den sich bisher meine Tochter mit niemanden teilen müsste, soweit ich weiß, was Vorteile und Nachteile hat in der Verantwortung wie in der Sache an sich. Habe keine Seele die wandern könnte, noch glaube ich an eine sonstige Fortexistenz, halte diesen ganzen spirituellen Unsinn nur für eine Beschäftigungstherapie für geistig unterforderte Feiglinge, die lieber nicht kritisch denken wollen. Damit urteile ich natürlich sehr hart über etwas, was mir auch egal sein könnte, weil es für mich nicht existiert und doch sehe ich die im Aberglauben und seinen Varianten daraus entstandenen Vorurteile und die folgende geistige Enge, die Menschen seit langem quält, statt frei und glücklich zu sein. Da finde ich es auch mal ok, diesen ganzen Mist so zu nennen und für mehr Aufklärung, Freiheit und Vernunft zu plädieren.
Dummheit gibt es von alleine. Vernunft müssen wir uns erarbeiten. So gesehen ist die Haltung, die ich einnehme und die jeden Aberglauben ablehnt nicht die bequemste und könnte einem, der immer das Streben nach Lust und Glück für am wichtigsten hält, unnötig beim Streben nach Glück behindern, da sie Arbeit erfordert und also irgendwie auch stresst, vor allem, wenn mit Gläubigen diskutiert werden muss, die sich beschweren, wie ich es wagen könnte mit meinem Glauben, für den sie den Atheismus aus ihrem engen Horizont logisch halten, weil sie sich nicht vorstellen können, dass es eine glückliche Welt ohne gäbe, ihren heiligen Glauben einen Aberglauben zu nennen, was ich mir denn da anmaße.
Suche keinen Streit und will mich nie mit Narren streiten, weil es nur Unfrieden bringt. Natürlich nenne ich jeden Glauben nach dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, der die Freiheit auch des Glaubens garantiert, logisch einen Aberglauben. Der Begriff kam im Mittelalter auf, in der Übergangszeit zwischen Karolingern und Merowingern als Herrschern im Nachfolgereich des römischen Reichs im Norden und suchte die Abgrenzung zum alten vorigen Glauben mit seinen Opfern und Kulten, die das Christentum nicht mehr wollte und brauchte und nur ausnahmsweise, wenn sie vom Bischof von Rom, der sich Vater nennt, genehmigt wurden, noch zulässig sind. Es diente also zur Abgrenzung des einen dogmatischen Monotheismus gegen andere vorherige Formen des Glaubens, die in der heutigen Gesellschaft aber gleichberechtigt alle sein müssten und so, nenne ich jeden Glauben, diesen Grundsätzen folgend, Aberglauben.
Warum ein allmächtiger Gott, der alles geschaffen hat, noch dazu nach seinem Bilde, dabei zu einem so mäßigen und charakterlich äußerst zweifelhaften Ergebnis kam, habe ich nie verstanden. So schien mir, was Menschen an Opfern und anderem Kult veranstalten schon immer eher als eine Beleidigung der Idee eines allmächtigen Wesens und Gottes und wäre, was Atheisten meinen, immer noch die geringste Kränkung eines solchen Wesens, wenn es denn existierte und nicht nur Produkt der Summe aus Ängsten und Phantasie immer war, die das Nichts nicht als Glück begriffen und darum irgendwelchen naiven Aberglauben vom Himmelreich seit Ewigkeiten nachbeteten.
Wer wäre ich, mit dem wenigen, was ich weiß, sicher sagen zu können, ob es allmächtige Götter gibt und sie über allem stehen? Der geringe Verstand, den mir die Evolution noch ließ und sofern dieser nicht noch zusätzlich durch die Anwesenheit holder Frauen weiter hormonell beeinträchtigt wird, sagt mir, gäbe es sie, hätten sie sicher keinen Grund, sich mit dieser peinlich, eitlen unvollkommenen Schöpfung als ihrem Werk zu schmücken, noch, wenn sie denn im Himmelreich lebten, sich mit uns abzugeben und den beschränkten niederen menschlichen Bedürfnissen, gar unsere lächerlichen Gebete zu erhören. All dies schien mir eine Verspottung der Idee Gottes und macht jenes vollkommene Wesen nur lächerlich, reduzierte es auf menschliches Maß, was die Christen so gern den Griechen mit ihren ach so menschlichen Göttern vorwarfen.
Es mag also Götter geben, kann meiner Tochter dazu nichts sicheres sagen, auch weil ich mich nicht weiter damit beschäftigen will, weil des dem Streben nach Glück nicht zuträglich zu sein scheint, sondern nur die Dummheit und Anmaßung vermehrt und den Horizont unnötig verengt. Doch scheinen mir jene, und das möchte ich ihr unbedingt mitgeben, die diese Götter zu kennen meinen und mit ihnen angeblich kommunizieren, häufig so anmaßend und kleinkariert, dass es die Idee eines vollkommenen Wesens, wenn es so eines denn gäbe, beleidigen muss, warum es immer besser ist, in dieser Frage seinen eigenen Weg zum Glück zu suchen, statt den Lehren anderer zu vertrauen, insbesondere wenn sie vorgebetet werden.
Kenne viele intelligente Menschen, die dennoch glauben und einer konventionellen oder weniger angepassten Form des Aberglaubens nachgehen. Muss nicht verstehen, warum sie das tun, will diese aber respektieren als Menschen, was mir auch wichtiger erscheint, als für meine Sicht der Wirklichkeit zu kämpfen, vor allem glücklicher macht, als Diskussionen in Glaubensfragen. So es am Ende nur um das Glück geht, scheinen mir viele Fragen heute überflüssig und ich kann auch zur Taufe der Tochter meines Freundes gehen, ohne mich darüber zu ärgern, dass dies arme Kind von den Eltern in eine unfreie Tradition gezwungen wird.
Das ist nicht ganz konsequent, aber da ohnehin alles endet und wir als erstes, ist es auch müßig, sich weiter danach zu fragen, wenn es glücklicher macht, mit mehr Menschen in Frieden zu leben, statt ihnen zu sagen, was sie deiner Ansicht nach falsch machen.
Es ist immer ein Drahtseilakt zwischen geistiger Konsequenz im Sinne des kategorischen Imperativs, dieser ach so deutschen höchsten Moral und Freiheit und einer möglichst großen Gelassenheit, die sich über nichts mehr aufregen muss und einfach glücklich mit allen Menschen leben kann.
Darum war es mir wichtig, das Denken meiner Tochter für eine kritische Sicht auch auf den Aberglauben zu öffnen, aber am Ende ist völlig egal, woran jemand glaubt, den ich liebe solange ich nur mit ihm glücklich bin und das fällt mit mehr Toleranz leichter als mit weniger.
Manche fragen sich, ob die Toleranz nur eine Sekundärtugend ist, bei der es nur um das rechte Maß geht, die aber für keine eigenen Werte steht. Das bezweifle ich entschieden. Für mich ist die Toleranz einer der wichtigsten Werte an sich, denn, was weiß ich schon wirklich als Mensch sicher, ist es da nicht überlebenswichtig einander in Toleranz und mit Respekt zu begegnen?
Mein Vater bezeichnete sich immer als scheißliberal und vertrat in Diskussionen immer die Gegenposition, was mich als Kind teilweise wahnsinnig machte, weil er das dann auch mit ganz viel Engagement und Überzeugung tat, auch wenn es gar nicht seine Meinung war und ich mir mit ihm Diskussionen lieferte über Fragen, bei denen das Thema eigentlich völlig unstrittig war, wir nur stritten, weil er aus Prinzip die andere Seite vertrat.
Fand das furchtbar, konnte der Kerl nicht eine klare Meinung haben wie andere Väter, wie stand ich in Diskussionen mit meinen Freunden da, wenn diese als Autorität ihre Väter zitierten und ich sagen musste, der meine sagt es mal so und mal so?
Und was mache ich nun mit meiner Tochter, frage ich mich, überlege, wie lange sie mich wohl dafür noch verfluchen wird und wann sie es dankbar als ihre große Freiheit sieht, selbst und kritisch denken zu können, statt nur nachzuplappern, was andere vorgeben, ob sie das je so sehen wird und diesen ganzen Blödsinn lesen oder lieber ignorieren wird, um sich an ihrem Schminktisch in die Welt der Sternchen und Stars zu träumen, was ich auch gut verstände und solange sie das ausreichend glücklich macht, auch völlig ok finde. Nur darauf kommt es mir an, dass sie weiß, was sie glücklich macht und es leben kann. Wer sich dafür keine Fragen stellen muss, hat es eher leichter, denke ich manchmal.
Kann nichts an Antworten geben, die Suchende befriedigen. Habe von nichts wirklich Ahnung.
Fragt mich eine, was der Sinn der Leben ist, sage ich, es hat keinen, es ist einfach und das genügt. Zumindest weiß ich nichts andere und kann und will nichts anderes weitergeben.
Regt sich mein Vater darüber auf, was das für ein Leben ohne Sinn wäre, wie er es schon mehrfach tat, nun diskutiere ich es nicht mehr mit ihm, auch sein Herz zu schonen, antworte ich, ein Gutes, in dem es nur darum geht, so glücklich wie möglich zu sein. Weil eben nichts Sinn hat und es nur darum geht, aus dem was ist, irgendwie das Beste zu machen, sonst nichts.
Will jemand meine Ziele im Leben wissen, antworte ich, glücklich zu sein und wenn er dann nachfragt, er meint, was ich erreichen will oder wo ich noch hin möchte, sage ich immer, nirgendwo, ich bin wo ich sein will und möchte das so sehr wie möglich genießen, mehr nicht. Dies würde ganz schnell alle Bewerbungsgespräche beenden, weil kein Personaler diesen Satz in sein Schema pressen könnte, nach dem Menschen eingeordnet werden.
Eine Ex von mir war Läuferin und einmal begann ich auch zu laufen und tat das morgens um 5.45h, was sie unendlich bewunderte, wie sie sagte, ich spürte im Tonfall ihrer Stimme dabei so etwas wie Liebe und Bewunderung, was gut tat, weil sie nicht gerade eine Euphorikerin war und beim Sex jeder von uns aufpassen musste, nicht einzuschlafen. Dabei tat ich es nur, damit mich möglichst niemand peinlich keuchen sah und weil es mal nötig schien. Hatte keinerlei sportlichen Ehrgeiz im Gegensatz zu ihr, die sich noch mit blutigen Füßen ins Ziel kämpfen würde vermutlich, was mir immer zu blöd wäre. So fuhr sie auch sehr sportlich bei jedem Wetter mit dem Rad ins Büro und leistete fleißig und folgsam ihre Arbeit, ohne über eine weitere Karriere oder einen Aufstieg dort nachzudenken oder, was sie tat, kritisch infrage zu stellen.
Will auf keinen Berg klettern, nicht wie mein Vater noch mit über 60 mit dem Fahrrad die Alpen überqueren, muss mir nichts beweisen, im Gegenteil, stelle lieber infrage, statt zu beweisen. So gesehen hinterlasse ich meiner Tochter vermutlich wenig brauchbares für das Funktionieren in der Leistungsgesellschaft, die mich auch nicht interessiert. Von der Liebe zu den Büchern, sollte sie diese je teilen, hat sie nicht viel, das Zeug ist in Berlin eher Altpapier und wird kiloweise abgegeben.
Zu sehen, wie abseitig ist, was ich liebe und mir wichtig erscheint, befreit von dem Anspruch funktionieren zu müssen in einer Gesellschaft aus lauter lauten Leistungsträgern, die sich auch im Kneipengespräch ständig selbst übertreffen müssen.
Lauschte gestern zwei Herren, die sich kennenlernten. Sie stellten einander in englisch und deutsch vor, was der jeweils andere nur sehr mäßig konnte und versuchten sich dabei dennoch zu profilieren, indem sie das, was sie als ihre Hobbys und sonstiges beschrieben, als ihre besondere Begabung betonten, immer ein wenig bemüht den anderen noch trotz viel Unverständnis sprachlicher Art noch um einen Superlativ zu übertreffen.
Keine vornehme englische Bescheidenheit, sondern eher eine Hengstparade, bei der nur noch fehlte, dass sie in der Schwanzlänge konkurrierten und ich war wirklich nur amüsiert. Auch die Versuche der gegenseitigen Rechtfertigung, wenn es um eine Beziehung oder nicht ging, waren nicht ohne Komik. Fragte mich, was sie wohl sagen würden, sähen sie einen Film über sich, ob sie es noch bemerkten, wie komisch sie waren.
Eine Freundin von mir sagte neulich zu mir, ich stellte mein Licht immer zu sehr unter den Scheffel, könnte ruhig stolz betonen, was ich könnte und worin ich anderen weit überlegen bin. Aber, ehrlich gesagt, wüsste ich da wenig, wo es nicht noch einen gäbe, der vielleicht besser ist als ich und zweitens, fände ich es schrecklich peinlich, meinen Schwanz so auf den Tresen zu legen und zu sagen, bin ich nicht toll.
Glaube manche Frauen stehen auf solches Imponiergehabe. Bei denen habe ich dann wohl äußerst schlechte Karten, doch mein Bedauern darüber hält sich bisher noch in überschaubaren Grenzen. Bin lieber, wie ich bin und damit glücklich, statt etwas sein zu wollen, was ich nie war, um Erfolg zu haben. Wenn mich eine lieben sollte, was ja schon gelegentlich mal vorkam, wird sie das nicht für meine Show tun, hoffe ich zumindest, sondern mich als Wesen lieben, aber vielleicht ist das auch eine etwas altertümliche Sicht.
Der Freund, der seine Tochter taufen ließ, wovon ich ja schon hinlänglich oft berichtete, stammt aus einer alten bekannten Familie und lebt das mit einer Bescheidenheit und Natürlichkeit, die mir vorbildlich erscheint, auch wenn sie ebenfalls, wie manche schon immer über ihn sagten, nicht in die Zeit mehr passt. Einer seiner vielen berühmten Vorfahren hat mal den Spruch getan auf gut mecklenburgisch, was aber als echt preußisch damals galt, dass es besser sei mehr zu sein als zu scheinen und viel zu leisten, aber dabei wenig in Erscheinung zu treten. Das gefällt mir, je älter ich werde, umso besser.
Es passt nicht in eine Zeit der Marketingexperten und der Selbstvermarktung aller Orten, damit ist kein großes Geschäft zu machen, es ist nur, was es ist und gut ist es. Ruht in sich und zeugt von einer Gelassenheit, die mir dem Menschen würdiger scheint als jede großmäulige Präsentation. Eigentlich bin ich ja kein Stiller und Bescheidenheit lag mir immmer weniger als die intellektuelle Arroganz, doch gefallen mir die Worte des Vorfahren, der auch den Spitznamen der große Schweiger trug, immer besser, je mehr ich darüber nachdenke und danach zu streben, scheint mir mehr Zufriedenheit zu vermitteln, als die erhechelten Kurzstreckensiege unserer Sprinter unter den Stars am Markt.
Was weiß ich schon, fragte der große Montaigne in aller Bescheidenheit, womit er sich auch Sokrates angemaßten Nichtswissen bescheiden überlegen zeigt und in dieser Tradition sehe ich auch den Feldmarschall mit seinen Sprüchen, auch wenn er mir als Militär in vielem wesensfremd ist, die Gelassenheit, die daraus wachsen kann, wünsche ich meiner Tochter mehr als alles andere, denn dann plötzlich wird das Leben ganz leicht und wir quälen uns nicht mehr mit dem was sein könnte, sondern genießen mehr, was ist, weil alles gut so ist und es nicht mehr braucht. Ende also zufrieden und glücklich und wünsche es ihr.
jens tuengerthal 24.1.2017
Montag, 23. Januar 2017
Gretasophie 009g
009g Menschenzeit
Was ist die Zeit und was davon ist unsere Zeit?
Dafür nehme ich mir ganz viel Zeit, ist ein typischer Satz, soweit es um Dinge geht, die uns wichtig oder lieb sind. Mit unseren Lieben wollen wir ohnehin ganz viel Zeit verbringen, um zu genießen, was ist. Goethe wünschte sich, der Augenblick möge verweilen, wenn es gerade besonders schön war und diese Verse wurden im Deutschen sprichwörtlich. So wollen wir gerne manchmal die Zeit anhalten, gerade dann, wenn es am schönsten ist. Hoffen immer wieder, dies würde ewig dauern oder nie ein Ende finden und drücken damit keinen Alptraum aus, wie die Reise des Fliegenden Holländers, die erst durch die Liebe ein Ende findet und erlöst wird, weil eine Jungfrau so für ihn entbrannte, dass sie freiwillig in den Tod ging. So ist ein Leben ohne Ende auch in den alten Sagen uns kein Glück. Ähnliches ist auch vom Ring der Nibelungen zu hören, wo der arme Drache unendlich reich den Schatz ewig hütet und kein Glück mehr findet, auch nicht in Wagners gedroschenen Reimen, die nur zu seiner Musik zu gut passen.
Eigentlich ist die Zeit nur eine physikalische Größe, die mit t ausgedrückt wird, deren Maßeinheit die Sekunde s ist und die den Ablauf bestimmter Ereignisse im Verhältnis zu anderen physikalischen Größen beschreibt. Sie ist physikalisch unumkehrbar und beschreibt nach den Grundsätzen der Thermodynamik den Grad der Zunahme der Unordnung in einem geschlossenen System. Komplizierter wird es nach der Relativitätstheorie, der zufolge gilt e=mc², oder in Worten Energie ist Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat. Danach wird eine auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Masse zu Energie und es fragt sich, was sie dann noch wesentlich wäre und wie nah wir an Lichtgeschwindigkeit kommen können, ohne aufzuhören als Körper zu sein.
Noch spannender wird es in der Physik, wenn wir auf der subatomaren Ebene den Welle-Teilchen-Dualismus betrachten, der nur teilweise quantendynamischen Grundsätzen gehorcht und eine Quantenrelativitätstheorie bräuchte. Sind wir ein Teilchen oder eine Welle, was sind wir überhaupt wann, worauf kommt es für unser Sein an und weist uns die Krümmung der Zeit im Raum daraufhin, dass unser Denken über Kontinuität eine lineare Illusion nur war?
Könnte danach die Zeit, wenn sie rechnerisch negativ werden kann, dies auch tatsächlich werden, könnten geträumte Zeitmaschinen im Wege der Quantenphysik Realität werden und was bedeutete das für unsere Gegenwart und Zukunft?
Würde ich etwa das Attentat von Georg Elser zum Erfolg führen und damit Hitler vor dem Krieg töten, könnte ich ex post den Holocaust verhindern und Millionen Menschen das Leben retten, die Attentäter vom 11. September würde ich vorher identifizieren und verhaften und hätte Millionen Tote im islamischen Raum verhindert und einige hundert in den USA gerettet - wäre ich ein Retter der Welt und des Guten oder ein gefährlicher Zeit-Terrorist?
Oder wären wir bei Zeitreisen, wie es heutige Modelle eher annehmen in Parallelwelten, die unabhängig von den anderen existieren?
Noch können wir das physikalisch nicht realisieren, aber die Teilchenbeschleuniger nähern sich dem langsam und stellen fest, wie stark die Zerfallszeiten etwa radioaktiver Teilchen ab einem bestimmten Tempo abnehmen - die Zeit wird also unter bestimmten Umständen nicht nur lyrisch sondern auch physikalisch wohl zu einer relativen Größe. Wie weit dies alles mit schwarzen Löchern und Welten in verschiedenen Dimensionen zusammenhängt, die nebeneinander existieren sollen, können Physiker bestimmt viel besser erklären als ich es je verstand, warum ich mir auch gar nicht anmaßen will so zu tun, als hätte ich Ahnung davon.
Es gibt da jedenfalls eine Relativierung des bisher bekannten linearen Prinzips, nach dem Zeit eben abläuft. Nicht nur die Zeit krümmt also den Raum, was heißt, sie verändert ihn, sondern auch der Raum krümmt je nach Geschwindigkeit wohl die Zeit verschieden stark wahrnehmbar, was in manchem unserem sehnsüchtigen Empfinden entspricht und doch wieder nicht vorstellbar erschien in der Enge des linearen Horizontes.
Philosophisch betrachtet ist Zeit das Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit ausgehend zur Zukunft hin. Dabei wird auch nach dem Wesen der Zeit gefragt und wie weit wir von ihr abhängig sind. Dagegen schaut die Psychologie auf das Zeitgefühl und die Zeitwahrnehmung, während es für die Ökonomie ein Wertgegenstand ist, bleibt es den Sprachwissenschaftlern als Tempus der Verben deren grammatische Form und Beugung.
In der Philosophie gab es durch die Zeiten auch entsprechend dem fortschreitenden Wissen unterschiedliche Betrachtungen der Zeit. Dies geht von der Antike bis in die Gegenwart.
Heraklit etwa nutzte gern die Flussbilder, wonach über dem gleichbleibenden Flußbett alles fließt, jenes berühmte panta rhei, so stehen die Dynamik des Fließens und die Kontinuität des Flussbettes in einem gegensätzlichen Verhältnis.
Nach Platon haben Raum und Zeit kein eigenes Wesen sondern seien nur Abbilder des eigentlich Seienden, was hinter seiner Ideenlehre steckt und sich gern in den Aberglauben rettet, um Lücken zu schließen. Dagegen meinte Aristoteles der Zeitbegriff sei untrennbar mit der Veränderung verbunden. So sei Zeit das Maß jeder Bewegung und kann nur durch diese gemessen werden, ließe sich aber dabei in unendliche Intervalle einteilen, was für das Kontinuum der Zeit steht.
Augustinus, der christliche Lehrer, der auch gern von seinen Sünden sprach und aus Nordafrika kam, unterschied erstmal die physikalisch exakt messbare Zeit von dem subjektiven Zeitempfinden. Nach seiner Überzeugung entstanden Raum und Zeit erst durch Gottes Schöpfung, für den alles eine Gegenwart ist. So fasst er das Geheimnis der Zeit in folgendem Ausspruch zusammen:
„Was also ist ‚Zeit‘? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.“ (Confessiones XI, 14)
Der große Physiker und Philosoph Isaac Newton sah Zeit und Raum als Behälter für Objekte, die genauso real seien wie gegenständliche Objekte. Nach seiner Auffassung gilt: „Zeit ist, und sie tickt gleichmäßig von Moment zu Moment.“ Darum dominiert in der Naturphilosophie Newtons Auffassung, die es ermöglicht, Zeit und Raum unabhängig vom Bezugspunkt oder Beobachter zu beschreiben.
Dagegen meinte Gottfried Wilhelm Leibniz, dass Zeit und Raum nur gedankliche Konstruktionen seien, die Beziehungen zwischen Ereignissen zu beschreiben. Da sie kein Wesen hätten, gäbe es auch keinen Fluss der Zeit. Nach seiner Definition gilt: „Die Zeit ist die Ordnung des nicht zugleich Existierenden. Sie ist somit die allgemeine Ordnung der Veränderungen, in der nämlich nicht auf die bestimmte Art der Veränderungen gesehen wird.“
Imanuel Kant der große Königsberger Philosoph meint dagegen, Zeit sei genau wie der Raum eine reine Anschauungsform des inneren Sinns der Dinge. Diese seien unser Zugang zur Welt und gehören zu den subjektiven Bedingungen menschlicher Welterkenntnis. Da wir sie aus unserer Erfahrung nicht wegdenken können und auch nicht wissen, ob sie einer Welt an sich zukommt, schreibt er ihr eine Art empirische Qualität zu für Zeitmessungen und entferntere Ereignisse.
Ganz ähnlich beschreibt es Martin Heidegger in seinem Werk “Sein und Zeit”, der sie als eine Wirklichkeit sieht, die als eine Wirklichkeit das Menschsein zutiefst prägt.
Dagegen kommt die vergleichende Kulturwissenschaft immer mehr zu der Erkenntnis, dass es die Zeit als anthropologische Konstante, die allen Menschen zugleich zukommt, gar nicht gibt. Es gäbe vielmehr viele verschiedene kulturspezifische Zeitauffassungen, die zu unterschiedlichen Strukturen führen. So gibt es zyklische wie bei den Vorsokratikern und Naturvölkern oder eine kontinuierliche, die von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft gelangt. Daneben existiert noch eine die von Anfang und Ende in der Art eines Ziels in der Geschichte ausgeht und die neue Sicht aus der Quantenphysik, die sich quasi aufspreizt in jedem Moment und die Folgen dieser Theorie erklären kann, die unser kontinuierliches Zeitempfinden völlig durcheinanderbringt.
Einige Soziologen meinen, die Setzung von Zeitstrukturen entstresse die Menschen, weil sie helfe, ihr Leben zu ordnen und sich zurechtzufinden. Andere meinen dies solle lieber der Natur folgen und nicht von außen gesetzt werden. Damit hängt auch die Einteilung ins Lebenszeitalter zusammen, denen bestimmte Ereignisse zugeordnet werden.
In der Literatur spielt die Zeit auch in zwei der größten Romanwerke eine Rolle. In Thomas Manns “Zauberberg” als Kontinuum gegen dessen Relativierung sich nur anfänglich noch gewehrt wird, während im Schatten des Todes, der überall lauert im Lungensanatorium, wenn er auch keine Rolle spielt, außer als Unterbrechung der Monotonie, die Leere nur künstlich unterbrochen wird, vergehen Jahre und Monate in wenigen Seiten, während zuvor Tage das hundertfache einnahmen, als Hans Castorp, der Ingenieur aus Hamburg noch alles als Neuling erlebt. In “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” bemerkt der Erzähler von Marcel Prousts großartigem Werk am Ende, dass er nur noch indem er über die Vergangenheit schreibt das große Kunstwerk schaffen kann, von dem er immer träumte und so endet la recherche damit, dass der Erzähler zu schreiben beginnt. Dies nachdem sich der Leser durch viele Bücher der kunstvollen und detailreichen Beschreibung der nun als Kunstwerk zu beschreibenden Zeit verloren hat und so Teil der verlorenen wie der wiedergefundenen Zeit wurde.
In seinem Roman, Die Entdeckung der Langsamkeit, hat Sten Nadolny am Beispiel des Entdeckers und Forschungsreisenden Sir John Franklin die unterschiedliche Zeitwahrnehmung aus der Sicht eines seinem Wesen nach ganz langsamen Menschen dargestellt, der, da er nicht schnell reagieren konnte, alles auswendig lernen musste, um in der Situation noch reagieren zu können, wie es nötig ist, was als Kapitän auf einem Schiff immer wieder so ist. Nadolny lässt dabei am Beispiel Franklins über unser Zeitgefühl nachdenken und erzählt dabei wunderbar die Geschichten aus der Kindheit des Protagonisten, in der er immer das Netz beim Ballspielen halten musste, weil er zu langsam war, im Spiel zu reagieren. Wie sich einer mit einer anderen Zeitwahrnehmung dazu zwingt in der anderen Zeit zu funktionieren und als Kapitän sogar wichtige Führungsverantwortung übernimmt.
Ein anderes großartiges Buch über die Zeit ist Michael Endes Roman für Kinder und Jugendliche Momo, in dem die Zeitdiebe auftauchen, die den Menschen die Zeit abkaufen, die sie in der Zeitsparkasse sparen können, um ein Vermögen auf ihrem Zeitkonto anzusammeln. Die grauen Männer leben von der gestohlenen Zeit, die sie in ihren Zigarren verrauchen und bieten den Menschen Versprechungen auf Konsumgütern für die eingesparte Zeit. Das Mädchen Momo, die ohne Eltern im Amphitheater lebt und anfänglich noch wunderbar mit den Kindern spielt und Phantasiereisen unternimmt, bemerkt die sich ändernde Zeit dadurch, dass plötzlich keiner mehr Zeit hat. Sie macht sich schließlich auf den Weg, die Zeit anzuhalten, um die Macht der grauen Herren zu brechen. Diese wunderbare Beschreibung und Kritik unserer Zeit und der Art wie wir wirtschaften öffnet den Blick für die wirklich kostbaren Momente im Leben, für die wir uns besser Zeit nehmen.
Wie real ist die Zeit wirklich, frage ich mich und denke daran, was ich noch zu tun habe außer über die Zeit nachzudenken und versuche das übrige nun eine zeitlang weiter auszublenden, um mich ganz auf den Augenblick in der Beschäftigung mit der Zeit zu konzentrieren. Diese Haltung zeugt von einem sehr klassisch linearen Bild von der Zeit, das uns auch unser tägliches Leben in der Gesellschaft aufzwingt.
Das Verständnis von Zeit und dem Wert etwa der Pünktlichkeit verändert sich schon in Deutschland. So wird im Norden mehr Wert darauf gelegt als im Süden, wo es lockerer betrachtet wird. Um so weiter wir dann in Europa oder darüber hinaus gen Süden gehen, desto lockerer ist das natürliche Verständnis der Zeit und der Umgang mit ihr auch. Afrikaner haben für europäische Verhältnisse teilweise ewig Zeit und halten die Einhaltung exakter Reaktionszeiten eher für überflüssig. Es gibt für dieses verschiedene Verständnis unterschiedliche Theorien. Die wahrscheinlichste ist jene, die an den geografischen Bedingungen anknüpft, wonach in den nördlichen Regionen mit ihren starken klimatischen Schwankungen zwischen den Jahreszeiten eine exaktere Einhaltung der Zeiten lebensnotwendig sein kann. Wer nicht pünktlich kommt, kann den anderen am verabredeten Ort sonst glatt erfrieren lassen, was in wärmeren Regionen gelassener gesehen werden kann.
Im internationalen Handel und Flugverkehr aber sind exakte Zeiten wieder sehr wichtig. So legen Kapitäne auf eine Einhaltung der exakten Zeiten zur Be- und Entladung großen Wert, da es dabei immer auch um viel Geld geht. Aus dem Handel kommt auch der berühmte Spruch Zeit ist Geld. Was bei Termingeschäften etwa an der Börse noch wichtiger sein kann, wo Sekunden des richtigen Kaufs oder Verkaufs über Gewinn oder Verlust entscheiden können.
Ist eine solche Behandlung der Zeit noch natürlich oder entfremdet sie uns von unserer Natur?
Diese Frage lässt sich wohl nicht so allgemein beantworten, weil die Natur dabei sehr unterschiedlich ist. Wer es gewohnt ist exakt nach Termin zu arbeiten, wird es normal finden, dies in seinem sonstigen Tagesablauf zu tun. Andere, die immer in den Tag hineinleben und sich nach nichts richten müssen, werden von einem Termin sehr unter Druck gesetzt, empfinden dies als Stress und völlig unnatürlich. So können zwei völlig gegensätzliche Auffassungen der Zeit nebeneinander existieren, auch wenn sie sozial manchmal schwierig zu vereinbaren sind.
Gehen Menschen aus Liebe eine Partnerschaft ein und wollen dann möglichst viel Zeit miteinander verbringen, zeigt sich, ob die unterschiedliche Wahrnehmung und Nutzung der Zeit, sich vereinbaren lässt oder sie sich nicht gut tun können, weil sie zu verschieden sind. Trotz anfänglicher Anziehung und Lust, vielleicht sogar gefühlter Liebe, kann ein unterschiedliches Zeitempfinden manche Beziehung scheitern lassen, die so hoffnungsvoll begann. Dann heißt es oft, sie hätten sich auseinandergelebt oder die Liebe verloren, manchmal auch erstaunlich ehrlich, sie hätten keine Zeit füreinander gefunden.
Habe dies selbst gerade mit einer eigentlich wunderbaren Liebe erlebt, in der wir es nicht schafften, die Zeit miteinander zu genießen, weil wir keine gemeinsame Zeit fanden. Habe diese Frau immer bewundert und geliebt, doch schafften wir es nicht mehr unsere Zeiträume zu finden und der Liebe alle Zeit zu geben, die sie braucht, um frei fliegen zu können. So kann eine bloße unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit, eine große Liebe zerstören. Gewiß gab es auch andere Faktoren, die wichtig waren und die ich weniger sehe, aber mir scheint die Zeit in diesem Fall der wichtigste Faktor gewesen zu sein.
Der eine wird unruhig, wenn er nichts tut, muss und will immer etwas machen, der andere ist glücklich über das Sein an sich und damit zufrieden, muss nirgendwohin und hat eher das Gefühl, nun etwas zu unternehmen, würde die schöne Zweisamkeit stören, die mit Lesen, Schreiben und Zärtlichkeiten doch genug für ein Leben gefüllt werden kann, was die andere Seite, die ihr Leben nicht verträumen will, nicht verstehen kann.
So führt die unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit zu einer entgegengesetzten Auffassung dessen, was Glück ist und beide werden, in meinem Fall wurden, miteinander unglücklich, der eine hat das Gefühl, nicht genug zu sein in dem, was glücklich macht, die andere fühlt sich nicht genug gewürdigt und wertgeschätzt. Während ich lieber die Langsamkeit entdecke, um meinen Gedanken genug Raum zu geben, hätte sie lieber was unternommen und jeder hatte das Gefühl vom anderen, in dem was ihm wichtig ist, nicht gesehen zu werden und so entfernten wir uns, auch wenn wir uns täglich oder zumindest nächtlich sahen, immer weiter voneinander und aus Unverständnis wurde Wut, die, wie sie das immer wieder gerne tut, völlig unpassend ausbrach.
Vielleicht hätten wir es ändern können, wenn wir über unsere unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit und dessen, was uns wichtig ist, gesprochen hätten. Aber es ist auch möglich, dass wir dann nur entdeckt hätten, dass alles eine Illusion war und wir gar nicht zusammenpassten, weil sich unser je Tempo nicht vereinbaren ließ und wir, was wir schön finden, so nicht gemeinsam genießen konnten. Weiß nicht, ob es nur an der Zeit lag, die sie immer nur beschränkt an Land verbrachte und deshalb nutzen wollte, aber es scheint mir ein wesentlicher Grund der Missverständnisse und der Verwandlung von großer Liebe in kühle Abneigung und starke Entfremdung, auch wenn es eine irgendwie gefühlte große Nähe und schöne Pläne gab.
Ob sich das je ändern ließe oder wir uns einfach damit abfinden müssen, dass unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit nicht zusammenpasst, weiß ich nicht. Auch nicht, was wer tun könnte, um sich dabei zu verstehen - das Unverständnis könnte auch ausdrücken, was wir unserer Natur nach empfinden, weil wir trotz starker Gefühle der Natur nach zu verschieden sind, es sich nie vereinbaren ließe.
Zumindest zeigt dieses Beispiel, wie unterschiedlich die gleiche Zeit wahrgenommen werden kann und wie fern sich Menschen sein können, obwohl sie sich doch gefühlt ganz nah sind und sich auch sagen, dass sie genau das wollen. Zeit ist also, auch wenn objektiv messbar und für uns alle gleich, völlig unterschiedlich für jeden und wo der eine einen vollen Tag als Befriedigung empfindet, sieht der andere es als Belastung, weil er mehr Zeit für sich auch braucht, um glücklich zu sein.
Bin in der Nacht ungern allein, liebe es diese Stunden aneinandergekuschelt zu verbringen und habe das Gefühl, eine schönere und größere Nähe könne es gar nicht geben. Alle andere ist da nachrangig und kann sich den nötigen Bedingungen anpassen. Aber verbringen wir im Schlaf überhaupt Zeit miteinander?
Rein tatsächlich tun wir es. Sind eng beieinander, fühlen den anderen und können diese Nähe genießen. Bewusst ist uns das aber nur davor und danach. Im Schlaf fallen wir sozusagen aus der Zeit oder halten sie an, das Denken beginnt wieder, wenn wir aufwachen. Dennoch ist mir, der ich ständig denke und über irgendwas nachdenke, diese Zeit am wichtigsten, in der sich zwei ganz nah sein können, ohne darüber zu reden oder dabei zu reden. So habe ich eine zeitlang für das wichtigste Kriterium gehalten, wie ich neben jemand schlafen konnte, was mir noch wichtiger war, als miteinander zu schlafen.
Diese unbewusste Zeit, in der ich mir nur im Traum Fragen oder Aufgaben stelle, schien mir näher zu kommen und so war mir die Zeit, die eigentlich gar keine war, da wir sie ja verschliefen, fast wichtiger als die bewusste Zeit. Wer sich hier nah war und sich ganz fühlte, schien mir natürlich zusammen zu passen und das Gefühl nach dem Aufwachen sagte mir mehr als viele meiner wirren Gedanken, die von allem möglichen beeinflusst waren. Frage mich, ob das dann eine Gefühlsentscheidung war oder nicht mal das, weil auch ein Gefühl ja eine uns bewusste Sache ist, wir fühlen es ja, auch wenn uns über alle Ursachen dessen, selten ganz im klaren sind.
Neben wem ich nicht gut schlafe, dessen bin ich mir ganz sicher, mit dem kann ich auch wach nicht auf Dauer glücklich werden. Bezüglich des Umkerhschlusses bin ich mir nicht so ganz sicher, ob ich also mit jemandem glücklich werden kann, allein wenn ich gut neben ihr schlafe, spielen dabei doch immer zahlreiche andere Faktoren noch eine Rolle.
Warum ich mir in einer Sache sicher bin, bei der ich nicht weiß, was geschieht und wie es geschieht, also ohne jedes Wissen eine Entscheidung treffe, als ginge sie von sicherem Wissen aus, weiß ich nicht und staune darüber noch. Sicher ist guter Sex schön und wichtig, um eine glückliche Beziehung zu führen, doch mehr scheint es mir auf diesen intuitiven Faktor anzukommen, den ich im Schlaf erspüre und so kann mir das Glück gut beieinander zu schlafen schon alles sein und es braucht nicht mehr, um zufrieden sein eigentlich. Dass es dann doch immer wieder praktisch mehr braucht und wir dann an der je Unzufriedenheit scheitern, habe ich oft genug erlebt. Mal war die eine über zu wenig unzufrieden, dann die andere über zu viel von etwas, was ihr nicht lag oder ich oft genug über zu wenig von dem, wonach ich mich sehnte, dabei war für das Glück und seine Kontinuität eigentlich mir das unbewusste beieinander viel wichtiger als die aktiv geteilte Zeit.
Nie verbingen zwei Menschen mehr Zeit ganz nah, als wenn sie beieinander schlafen, umarmt und angelöffelt ganz dicht beieinander liegen, ohne zu denken, genießen, was ist. Heute, viele Jahre nachdem ich meine erste Nacht mit einer Frau zärtlich verbracht habe, würde ich ganz klar sagen, nichts ist mir wichtiger, als dieses Glück zu teilen und wenig macht mich zufriedener und ausgeglichener im Leben als gut beieinander zu schlafen. Brauche diese Nähe, auch wenn ich sie gerade mal wieder entbehre und frage mich inzwischen, welche Kompromisse dieses einfache Glück wert wäre, einzugehen.
Vielleicht ist aus diesem Glück der Schlafenszeit die Institution der Ehe entstanden mit ihren vielen schlechten und wenigen guten Kompromissen, frage ich mich, den Prozess der Schlafenszeit kulturhistorisch betrachtend. Schlafe ich zu zweit, genügen mir ganz wenige Stunden, um völlig erholt und selig gestärkt zu erwachen. Entbehre ich es, kann ich mich mit Büchern gut allein glücklich machen, aber irgendwo habe ich das Gefühl, ein wichtiger Teil von mir fehlt und ich schlafe für mich nur halb, wenn ich nicht den anderen im Arm halte. Ob dies Formen wie in der Ehe erfordert, Treue nötig ist, weil sie auch Vertrauen heißt, weiß ich nicht. Doch selten nur haben wir die Wahl dabei auf Dauer.
Doch wollte ich, die, neben der ich so gut schlafe, neben einem anderen wissen, frage ich mich und denke spontan, solange ich es nicht weiß, ist es eigentlich egal aber irgendwo ganz tief wohnt vermutlich in jedem Menschen das Gefühl, was ihn glücklich macht, für sich haben und behalten zu wollen und die Angst, es zu verlieren, falls die Nähe beliebig austauschbar wäre, liegt relativ nahe und scheint mir natürlich, auch wenn sie das Gegenteil von Liebe eigentlich ist, die schenken möchte und dem anderen gut will. Ob die Liebe so ihrer Art nach ein Paradoxon ist, das in seinem Sein zwischen Freiheit und Besitz immer auch ein Schwanken ist, frage ich an dieser Stelle nicht, wo es doch um die Zeit geht, doch könnte es helfen, zum Glück zu finden, sich, jenseits aller Normen, darüber klar zu werden, was es ausmacht und was es behindert.
Die Zeit glücklich zu verbringen, wie es uns entspricht, scheint mir die wichtigste Aufgabe im Leben. Dazu gehört natürlich auch zu wissen, was mich glücklich macht und wo ich daran gehindert bin, weil andere Gefühle mit der Zeit stärker werden. Mit der Liebe, die wir beide für groß hielten, was immer sie nun tatsächlich war, teilte ich einen Traum vom Glück in der Liebe. Für mich war dabei wohl die Traumzeit wichtiger als die wache, dennoch haben wir es nicht geschafft, uns darauf zu verständigen und dies Glück, was alles hätte sein können, zu würdigen.
Neben einer anderen schlief ich traumhaft und immer wunderbar, alles übrige spielt eher keine Rolle und gäbe keinen Grund, es fortzusetzen, kritisch bedacht vermutlich, dennoch genügte mir dies bereits nach dem Instinkt, sie heiraten zu wollen und mich mit ihr zu verloben, was dann endete, weil sie sich nicht genug unterhalten fühlte und ich ansonsten eher gelangweilt war. Dennoch blieb dies wunderbare Gefühl neben ihr zu schlafen in mir zurück und würde ich mich immer wieder danach sehnen, auch wenn ich auf den Rest, ohne etwas schlechtes sagen zu können oder zu wollen, sie war ein sehr anständiger und liebevoller Mensch, bestimmt zuverlässig, wäre nicht wach die Vernunft stärker, die klar sagt, euch verbindet nichts als geteilte Nächte.
So gesehen wird Sex und gemeinsame Unternehmungen für den Wert einer Partnerschaft meist völlig überschätzt, denke ich manchmal, kommt es doch viel mehr auf die gemeinsamen Nächte, also das nichts Tun an, als auf egal welche Unternehmungen und all dies nehme ich nur dafür mit in Kauf, auch wenn ich Sex mag und wichtig und gesund finde, halte ich ihn für das Glück auf Dauer für überschätzt. Dazu kommt auch, dass der anfängliche Reiz irgendwann ganz natürlich nachlässt. Vielleicht ist darum die in unserer Gesellschaft übliche Konstellation, wenn zwei sich lieben, gut miteinander klar kommen, heiraten sie , um sich einander zu versprechen und den Rest des Lebens miteinander zu verbringen, eine unserer Natur völlig fremde Art und Weise.
Ob wir wohl glücklicher wären, wenn wir den Sex wechselnd aufregend hielten aber dieser keine Rolle in der Partnerschaft auf Dauer spielte, außer es ist gerade so und fühlt sich danach an, dann ist es auch gut so, frage ich mich und sehe den Besitzinstinkt, mit dem Wunsch zu gönnen im steten Widerstreit und frage mich, was dabei Natur ist und was nur eine sozial erzwungene Konvention. Weiß nicht, ob ich diese Frage je für alle befriedigend lösen kann, oder jede Beziehung immer nur der gerade bestmögliche Kompromiss ist, bei dem zwei versuchen, Leben bewusst und schlafend miteinander zu teilen.
Sicher verbringen wir normalerweise im erwachsenen Leben die meiste Zeit noch schlafend miteinander und also im unbewussten Zustand, darum scheint mir, darauf zu achten, doch ein relativ ökonomisches Verhalten. Wo das geht, wird der Rest schon klappen oder weniger wichtig. Wo es daran mangelt, bleibt wenig schöne Zeit miteinander, so toll die sonst aktiven Erlebnisse miteinander sind. Dennoch würde jeder einen anderen für verrückt erklären, der die Partnerwahl vom Gefühl einer unbewusst miteinander verbrachten Zeit abhängig machte, es kommt doch auf so viel mehr an als den Zufall des guten Schlafes und was bliebe, wenn daneben das andere vernachlässigt würde an glücklicher Zeit noch?
Auch ich bin nicht nur blind und stürze mich darum auch gerne auf viele andere Kriterien, obwohl mein Instinkt mir sagt, genau das ist es, was letztlich zählt. Der Instinkt scheint mir wiiederum ganz natürlich zu wählen und frei zu sein von allen sonstigen Gedanken, in die Berechnung, Triebe, Wünsche, Enttäuschungen, Ängste und Hoffnungen mit hineinspielen, auch wenn das vielleicht eine Illusion ist, denn ich höre ja auch im Schlaf nicht auf zu sein. Bin immer noch der gleiche Mensch, mit den selben Träumen, nur eben nicht bewusst. Nicht umsonst beschäftigt uns im Traum ja auch häufig, was uns tagsüber Sorgen machte, ob wir uns nun dessen bewusst waren oder nicht.
Gebe nicht viel auf Träume mehr, außer sie scheinen mir gerade nützlich auf meiner Suche nach dem Glück. Hatte lange von Ängsten geplagte Alpträume, nicht genug zum Leben zu haben, zu versagen oder sonst völlig unterzugehen und habe irgendwann beschlossen, diesen Unsinn abzustellen. Genieße das Leben, wie es ist, mehr kann ich ohnehin nicht und etwas wichtigeres gibt es auch nicht. Fürchte weder den Tod, noch etwas zu verpassen. Habe genug geliebt, um zu sagen es reicht für ein Leben und alles, was jetzt noch kommt, ist nur noch das Sahnehäubchen. Werde es genießen, wie den größten Zauber, aber fürchte nicht, etwas zu verpassen, mit eine Gelegenheit entgehen zu lassen oder ins Unglück zu stürzen, weil ich ja schon alles Glück hatte, was einem Mann nur widerfahren kann.
Diese Änderung der Haltung hat mich von einem Tag auf den anderen von allen Alpträumen und Ängsten befreit, für die andere in meiner Lage vermutlich ständig viele Gründe sähen, denn sicher ist bei mir nichts, als dass alles Leben endlich ist. Sich damit abzufinden, war ein bewusster Akt, der auf die Lektüre des Lukrez folgte, der mit die Lehre Epikurs und dessen Haltung zum Leben nahe brachte. So habe ich mein, was die, die daran glauben, Unterbewusstsein nennen, bewusst und wach beeinflusst, indem ich mir das Glück zu leben, bewusst machte.
Habe auf diese Art meine Freiheit wiedergewonnen und mein Glück selbst in die Hand genommen, statt mich von meinen Ängsten treiben zu lassen. Damit bin Herr meiner Zeit geworden und lasse mich auch nicht mehr von Träumen beherrschen, die ein geglaubtes Unterbewusstsein angeblich spiegeln.
Wir können also nur durch unseren Willen und das wenige, was uns überhaupt bewusst ist, auch die große Welt der Träume mit lenken und beeinflussen, indem wir uns Mut machen und die Dinge in die Hand nehmen. So wird das gut beieinander schlafen etwas aus dem Bereich des nur Gefühls herausgeholt. Es ist eine Zeit, die wir auch mitbestimmen durch die Haltung, die wir dazu haben und wo wir sie also bewusst genießen wollen, kann sie das schönste Glück uns sein.
Wenn mir eine Geliebte nach der Lust selig im Arm einschläft, bin ich so glücklich über diesen innigen Moment, dass alles andere klein wird und ich daraus, auch wenn ich nicht schlafe, ungeheuer viel Kraft gewinne. Dann liegen wir manchmal eine halbe Stunde oder etwas mehr oder weniger so innig befriedigt beieinander und ich habe das Gefühl, dass die Erholung weniger solcher Stunden intensiver sein kann als zu viele Stunden Schlaf, dessen ich eigentlich sehr wenig brauche.
Nach meinem Gefühl halbiert sich mein Schlafbedürfnis noch, wenn Nähe und Zärtlichkeit geteilt beieinander geschlafen wird, als schliefe ich so nah für zwei. Dies klappt nicht immer und ich kann nicht genau sagen, warum es mal so gut ist und mal das genaue Gegenteil, dann wache ich auf und habe das Gefühl, der andere hätte mich über Nacht wie ein Vampir ausgesaugt und werde gar nicht wach. In all diesen Fällen schlafe ich lieber allein. So zeigt sich auch beim Schlaf die Relativität der Zeit, die wir noch durch Übungen wie Yoga oder Autogenes Training weiter führen können. Eine halbe Stunde völlige Entspannung kann besser tun als viele Stunden Schlaf.
Auch das Empfinden der Lebenszeit ändert sich völlig im Laufe der Jahre. Berlin, der Ort an dem ich nun die längste Zeit meines Lebens lebe, scheint mir manchmal noch gänzlich fremd und neu. Der Platz, der mein Kiez ist und um den ich die Kneipen Restaurants und Bars fast alle kenne, es sind nur rund 20 verschiedene einmal um den Platz, ist mir noch fremder als der Wohnort meiner Eltern, obwohl ich da nie wohnen wollte, weniger Jahre am Stück dort gelebt habe als an meinem Platz nun und doch scheint mir der Ort an dem ich seit 2010 lebe und liebe immer noch und immer wieder neu. Die Jahre vergehen, seit ich vierzig wurde wie im Flug, die Zeit begann sich schon in dem Moment zu beschleunigen, als ich Vater wurde. Während meiner Tochter die Zeit bis zum nächsten Geburtstag oder dem nächsten Sommer ewig schien, kommt es mir manchmal wie ein Augenblick nur vor.
Sah im Sommer vor meinem Café eine Geliebte vom Sommer vor bald drei Jahren wieder und es war mir, als wäre es gestern gewesen und zugleich war es auch irreal weit weg. Als sie mit ihren Schatz dann drei Tische weiter trurtelte, störte es mich überhaupt nicht. Freute mich für sie und doch hörte ich aus ihrem Mund und mit dem Klang ihrer Stimme das gleiche, was ich Jahre zuvor dort an nahezu gleicher Stelle erlebt hatte. Als hätte sich nichts verändert, sah ich sie mit ihm turteln und es war als sähe ich uns im Film zu und die Zeiten verschoben sich seltsam.
Dieses Erlebnis kenne ich nun schon und wenn du am und um den Ort mehr als eine Freundin hattest, passiert es eben, dass du dich gelegentlich wieder hörst oder siehst. Jedesmal, wenn mit so etwas passiert, scheint es mir ein wenig, als schaute ich mir und meinem Leben zu, wäre in der Zeit versetzt.
Andere haben ihren einen Ort, an dem sie mit ihrer Geliebten waren, wo sie mit der, die vielleicht später ihre Frau wird, schöne Erinnerungen haben, wo der Zauber begann und so flaniere ich heute gerne in der Nacht alleine um den Platz, schaue in die Cafés und erinnere mich, wen ich an diesem Tisch zum ersten mal küsste und mit welcher es dort anfing und so haben alle Orte ihre kleinen Geschichten und ich könnte vielleicht irgendwann einmal eine Liebesgeschichte um den Platz schreiben, über die Orte, die es noch gibt wie jene, die wieder verschwanden.
Habe um den Platz herum dreimal mehr Frauen geliebt als in den vierzig Jahren zuvor und eigentlich ist die Liebe zu den Frauen mein Kriterium für Heimat und zugleich denke ich daran, wie nah es mir ging, als meine Mutter mir erzählte, wie sie neulich eine frühere Flamme von mir traf, die nun Lehrerin ist und zweifache Mutter, mit der ich nie wirklich was hatte, geschweige denn geschlafen hätte und doch schien mir, so abwegig es klingt, diese Ferne plötzlich ganz gegenwärtig nah, auch wenn es dreißig Jahre her ist inzwischen, dass ich um sie buhlte, ich damals nur wenig älter war als meine Tochter jetzt, und 28 Jahre mindestens, dass ich sie zum letzten und einzigen mal küsste, weit weg und in der Ferne der Vergangenheit also wohl ruhend.
Doch denke ich daran, spüre ich den Duft ihrer Haut, sehe ihre dunklen Haare vor mir, weiß wie sie schmeckte und sie ist mir ganz nah, als wäre keine Zeit vergangen. So ist es mit manchen, während andere, mit denen ich länger oder kürzer zusammen war, jedenfalls meist körperlich viel näher und auch Nächte verbrachte, verschwimmen im Fluss der Zeit, ohne eine Erinnerung in mir zu hinterlassen.
Würde sie heute noch am Geschmack erkennen, bin ich sicher, nicht weil er mir so gut gefiel, es war mir eher fremd ein wenig, aber irgendwas hat sich eingeprägt und so hinterlassen manche Liebe tiefe Spuren für ein Leben und andere verschwinden spurlos wieder, völlig unabhängig davon, wieviel Zeit ich mit ihnen verbrachte oder nicht.
Es scheint als ob die Liebe jenseits der Zeit steht und alle Grenzen überwinden kann. Dennoch scheitert auch die vermeintlich große Liebe, was weiß ich schon, was sie wirklich war, es fühlte sich zumindest so an, manchmal an fehlender Gleichzeitigkeit und dem zuwenig und zuviel an Zeit, als wäre schlafen nicht das größte Glück, wenn es sich so anfühlt.
Die natürliche Zeit scheint es nicht zu geben sondern nur viele Zeiten und welche natürlich ist, weiß ich auch nicht so genau, der ich immer mit gemessenen Zeiten lebte und der eine präzise innere Uhr hat, immer etwa eine fünf Minuten vor dem Wecker aufwacht.
Ist diese innere Uhr, die mich pünktlich weckt, wenn ich es mir vornehme nun meine natürliche Zeit oder doch eher die erfolgreich dressierte, weil ich es lange gewohnt war, mit dem Wecker aufzustehen, den ich nicht mehr brauche. Seit dem aber, seit ich mit 17 begann immer um 5.45h aufzustehen, wenn ich in die Schule musste, scheint mir diese Weckzeit, der ich nur vielleicht vier Jahre von meinen 46 kontinuierlich folgen musste, mir zur natürlichen Zeit geworden zu sein und ich habe innerlich daran nichts mehr geändert, auch wenn ich nicht mehr immer um diese Zeit aufstehe, sicher nicht etwa, wenn ich dann erst eine Stunde zuvor mit Schreiben aufgehört hatte.
Andere haben ganz andere Zeiten und fänden die Vorstellung absurd morgens um viertel vor sechs, laufen zu gehen oder bis zur Morgendämmerung zu schreiben, wenn gerade die Gedanken dazu passen. Finden es dafür ganz normal zum Badeurlaub auf die andere Seite der Welt in eine völlig andere Zeitzone zu fliegen und sich dort schnell einzuleben.
Die Kapitänin, die eine unglaublich willensstarke Frau war, konnte, wenn es nötig war 24h am Stück hart und präzise arbeiten und funktionierte dann einfach. Kenne solche Einsatzzeiten auch aus meiner Zeit im Krankenhaus, wenn es nötig war und ich auch mal über 16h im OP stand und irgendwelche Häkchen hielt oder Zeugs anreichte, nächtelang durcharbeitete, um zu verdienen und am nächsten Tag um 8h in der Vorlesung saß, weil es nötig war. Manchmal verschieben sich auch alle Zeiten und dann bleibt nichts als sich in den Augenblick zu fügen und zu funktionieren, wie es Nadolny von Franklin erzählt, der im Roman auch nicht mit der wirklichen Zeit konnte, heute würden wir das vermutlich eine langsame ADS nennen und als Krankheit behandeln, vielleicht sogar mit Medikamenten.
Am Ende bleibt, ich weiß nicht, welche Zeit für wen natürlich ist, nur welche sich für mich richtig anfühlt, kann ich manchmal erspüren und dann scheint alles ganz natürlich zu fließen. So es im Leben nur darum geht, glücklich zu sein, was ich immer noch am vernünftigsten finde und was sehr stark meinem Gefühl entspricht, könnte der eigenen Zeit zu folgen, ein guter Weg dazu sein. Wenn Zweisamkeit Glück miteinander zu teilen, um es zu vermehren, heißt, kann es nur darum gehen, die Zeit zusammen zu genießen - ob wir dabei mehr schlafen oder wachen, entscheiden die Umstände und vieles mehr, solange es uns gut tut, wird es gut sein. Die verlorene Zeit zu suchen ist unsinnig, die wiedergefundene dagegen zu genießen, scheint mir relativ weise, ansonsten verstehe ich nichts von der Zeit, ich hab sie.
jens tuengerthal 23.1.2017
Was ist die Zeit und was davon ist unsere Zeit?
Dafür nehme ich mir ganz viel Zeit, ist ein typischer Satz, soweit es um Dinge geht, die uns wichtig oder lieb sind. Mit unseren Lieben wollen wir ohnehin ganz viel Zeit verbringen, um zu genießen, was ist. Goethe wünschte sich, der Augenblick möge verweilen, wenn es gerade besonders schön war und diese Verse wurden im Deutschen sprichwörtlich. So wollen wir gerne manchmal die Zeit anhalten, gerade dann, wenn es am schönsten ist. Hoffen immer wieder, dies würde ewig dauern oder nie ein Ende finden und drücken damit keinen Alptraum aus, wie die Reise des Fliegenden Holländers, die erst durch die Liebe ein Ende findet und erlöst wird, weil eine Jungfrau so für ihn entbrannte, dass sie freiwillig in den Tod ging. So ist ein Leben ohne Ende auch in den alten Sagen uns kein Glück. Ähnliches ist auch vom Ring der Nibelungen zu hören, wo der arme Drache unendlich reich den Schatz ewig hütet und kein Glück mehr findet, auch nicht in Wagners gedroschenen Reimen, die nur zu seiner Musik zu gut passen.
Eigentlich ist die Zeit nur eine physikalische Größe, die mit t ausgedrückt wird, deren Maßeinheit die Sekunde s ist und die den Ablauf bestimmter Ereignisse im Verhältnis zu anderen physikalischen Größen beschreibt. Sie ist physikalisch unumkehrbar und beschreibt nach den Grundsätzen der Thermodynamik den Grad der Zunahme der Unordnung in einem geschlossenen System. Komplizierter wird es nach der Relativitätstheorie, der zufolge gilt e=mc², oder in Worten Energie ist Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat. Danach wird eine auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Masse zu Energie und es fragt sich, was sie dann noch wesentlich wäre und wie nah wir an Lichtgeschwindigkeit kommen können, ohne aufzuhören als Körper zu sein.
Noch spannender wird es in der Physik, wenn wir auf der subatomaren Ebene den Welle-Teilchen-Dualismus betrachten, der nur teilweise quantendynamischen Grundsätzen gehorcht und eine Quantenrelativitätstheorie bräuchte. Sind wir ein Teilchen oder eine Welle, was sind wir überhaupt wann, worauf kommt es für unser Sein an und weist uns die Krümmung der Zeit im Raum daraufhin, dass unser Denken über Kontinuität eine lineare Illusion nur war?
Könnte danach die Zeit, wenn sie rechnerisch negativ werden kann, dies auch tatsächlich werden, könnten geträumte Zeitmaschinen im Wege der Quantenphysik Realität werden und was bedeutete das für unsere Gegenwart und Zukunft?
Würde ich etwa das Attentat von Georg Elser zum Erfolg führen und damit Hitler vor dem Krieg töten, könnte ich ex post den Holocaust verhindern und Millionen Menschen das Leben retten, die Attentäter vom 11. September würde ich vorher identifizieren und verhaften und hätte Millionen Tote im islamischen Raum verhindert und einige hundert in den USA gerettet - wäre ich ein Retter der Welt und des Guten oder ein gefährlicher Zeit-Terrorist?
Oder wären wir bei Zeitreisen, wie es heutige Modelle eher annehmen in Parallelwelten, die unabhängig von den anderen existieren?
Noch können wir das physikalisch nicht realisieren, aber die Teilchenbeschleuniger nähern sich dem langsam und stellen fest, wie stark die Zerfallszeiten etwa radioaktiver Teilchen ab einem bestimmten Tempo abnehmen - die Zeit wird also unter bestimmten Umständen nicht nur lyrisch sondern auch physikalisch wohl zu einer relativen Größe. Wie weit dies alles mit schwarzen Löchern und Welten in verschiedenen Dimensionen zusammenhängt, die nebeneinander existieren sollen, können Physiker bestimmt viel besser erklären als ich es je verstand, warum ich mir auch gar nicht anmaßen will so zu tun, als hätte ich Ahnung davon.
Es gibt da jedenfalls eine Relativierung des bisher bekannten linearen Prinzips, nach dem Zeit eben abläuft. Nicht nur die Zeit krümmt also den Raum, was heißt, sie verändert ihn, sondern auch der Raum krümmt je nach Geschwindigkeit wohl die Zeit verschieden stark wahrnehmbar, was in manchem unserem sehnsüchtigen Empfinden entspricht und doch wieder nicht vorstellbar erschien in der Enge des linearen Horizontes.
Philosophisch betrachtet ist Zeit das Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit ausgehend zur Zukunft hin. Dabei wird auch nach dem Wesen der Zeit gefragt und wie weit wir von ihr abhängig sind. Dagegen schaut die Psychologie auf das Zeitgefühl und die Zeitwahrnehmung, während es für die Ökonomie ein Wertgegenstand ist, bleibt es den Sprachwissenschaftlern als Tempus der Verben deren grammatische Form und Beugung.
In der Philosophie gab es durch die Zeiten auch entsprechend dem fortschreitenden Wissen unterschiedliche Betrachtungen der Zeit. Dies geht von der Antike bis in die Gegenwart.
Heraklit etwa nutzte gern die Flussbilder, wonach über dem gleichbleibenden Flußbett alles fließt, jenes berühmte panta rhei, so stehen die Dynamik des Fließens und die Kontinuität des Flussbettes in einem gegensätzlichen Verhältnis.
Nach Platon haben Raum und Zeit kein eigenes Wesen sondern seien nur Abbilder des eigentlich Seienden, was hinter seiner Ideenlehre steckt und sich gern in den Aberglauben rettet, um Lücken zu schließen. Dagegen meinte Aristoteles der Zeitbegriff sei untrennbar mit der Veränderung verbunden. So sei Zeit das Maß jeder Bewegung und kann nur durch diese gemessen werden, ließe sich aber dabei in unendliche Intervalle einteilen, was für das Kontinuum der Zeit steht.
Augustinus, der christliche Lehrer, der auch gern von seinen Sünden sprach und aus Nordafrika kam, unterschied erstmal die physikalisch exakt messbare Zeit von dem subjektiven Zeitempfinden. Nach seiner Überzeugung entstanden Raum und Zeit erst durch Gottes Schöpfung, für den alles eine Gegenwart ist. So fasst er das Geheimnis der Zeit in folgendem Ausspruch zusammen:
„Was also ist ‚Zeit‘? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.“ (Confessiones XI, 14)
Der große Physiker und Philosoph Isaac Newton sah Zeit und Raum als Behälter für Objekte, die genauso real seien wie gegenständliche Objekte. Nach seiner Auffassung gilt: „Zeit ist, und sie tickt gleichmäßig von Moment zu Moment.“ Darum dominiert in der Naturphilosophie Newtons Auffassung, die es ermöglicht, Zeit und Raum unabhängig vom Bezugspunkt oder Beobachter zu beschreiben.
Dagegen meinte Gottfried Wilhelm Leibniz, dass Zeit und Raum nur gedankliche Konstruktionen seien, die Beziehungen zwischen Ereignissen zu beschreiben. Da sie kein Wesen hätten, gäbe es auch keinen Fluss der Zeit. Nach seiner Definition gilt: „Die Zeit ist die Ordnung des nicht zugleich Existierenden. Sie ist somit die allgemeine Ordnung der Veränderungen, in der nämlich nicht auf die bestimmte Art der Veränderungen gesehen wird.“
Imanuel Kant der große Königsberger Philosoph meint dagegen, Zeit sei genau wie der Raum eine reine Anschauungsform des inneren Sinns der Dinge. Diese seien unser Zugang zur Welt und gehören zu den subjektiven Bedingungen menschlicher Welterkenntnis. Da wir sie aus unserer Erfahrung nicht wegdenken können und auch nicht wissen, ob sie einer Welt an sich zukommt, schreibt er ihr eine Art empirische Qualität zu für Zeitmessungen und entferntere Ereignisse.
Ganz ähnlich beschreibt es Martin Heidegger in seinem Werk “Sein und Zeit”, der sie als eine Wirklichkeit sieht, die als eine Wirklichkeit das Menschsein zutiefst prägt.
Dagegen kommt die vergleichende Kulturwissenschaft immer mehr zu der Erkenntnis, dass es die Zeit als anthropologische Konstante, die allen Menschen zugleich zukommt, gar nicht gibt. Es gäbe vielmehr viele verschiedene kulturspezifische Zeitauffassungen, die zu unterschiedlichen Strukturen führen. So gibt es zyklische wie bei den Vorsokratikern und Naturvölkern oder eine kontinuierliche, die von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft gelangt. Daneben existiert noch eine die von Anfang und Ende in der Art eines Ziels in der Geschichte ausgeht und die neue Sicht aus der Quantenphysik, die sich quasi aufspreizt in jedem Moment und die Folgen dieser Theorie erklären kann, die unser kontinuierliches Zeitempfinden völlig durcheinanderbringt.
Einige Soziologen meinen, die Setzung von Zeitstrukturen entstresse die Menschen, weil sie helfe, ihr Leben zu ordnen und sich zurechtzufinden. Andere meinen dies solle lieber der Natur folgen und nicht von außen gesetzt werden. Damit hängt auch die Einteilung ins Lebenszeitalter zusammen, denen bestimmte Ereignisse zugeordnet werden.
In der Literatur spielt die Zeit auch in zwei der größten Romanwerke eine Rolle. In Thomas Manns “Zauberberg” als Kontinuum gegen dessen Relativierung sich nur anfänglich noch gewehrt wird, während im Schatten des Todes, der überall lauert im Lungensanatorium, wenn er auch keine Rolle spielt, außer als Unterbrechung der Monotonie, die Leere nur künstlich unterbrochen wird, vergehen Jahre und Monate in wenigen Seiten, während zuvor Tage das hundertfache einnahmen, als Hans Castorp, der Ingenieur aus Hamburg noch alles als Neuling erlebt. In “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” bemerkt der Erzähler von Marcel Prousts großartigem Werk am Ende, dass er nur noch indem er über die Vergangenheit schreibt das große Kunstwerk schaffen kann, von dem er immer träumte und so endet la recherche damit, dass der Erzähler zu schreiben beginnt. Dies nachdem sich der Leser durch viele Bücher der kunstvollen und detailreichen Beschreibung der nun als Kunstwerk zu beschreibenden Zeit verloren hat und so Teil der verlorenen wie der wiedergefundenen Zeit wurde.
In seinem Roman, Die Entdeckung der Langsamkeit, hat Sten Nadolny am Beispiel des Entdeckers und Forschungsreisenden Sir John Franklin die unterschiedliche Zeitwahrnehmung aus der Sicht eines seinem Wesen nach ganz langsamen Menschen dargestellt, der, da er nicht schnell reagieren konnte, alles auswendig lernen musste, um in der Situation noch reagieren zu können, wie es nötig ist, was als Kapitän auf einem Schiff immer wieder so ist. Nadolny lässt dabei am Beispiel Franklins über unser Zeitgefühl nachdenken und erzählt dabei wunderbar die Geschichten aus der Kindheit des Protagonisten, in der er immer das Netz beim Ballspielen halten musste, weil er zu langsam war, im Spiel zu reagieren. Wie sich einer mit einer anderen Zeitwahrnehmung dazu zwingt in der anderen Zeit zu funktionieren und als Kapitän sogar wichtige Führungsverantwortung übernimmt.
Ein anderes großartiges Buch über die Zeit ist Michael Endes Roman für Kinder und Jugendliche Momo, in dem die Zeitdiebe auftauchen, die den Menschen die Zeit abkaufen, die sie in der Zeitsparkasse sparen können, um ein Vermögen auf ihrem Zeitkonto anzusammeln. Die grauen Männer leben von der gestohlenen Zeit, die sie in ihren Zigarren verrauchen und bieten den Menschen Versprechungen auf Konsumgütern für die eingesparte Zeit. Das Mädchen Momo, die ohne Eltern im Amphitheater lebt und anfänglich noch wunderbar mit den Kindern spielt und Phantasiereisen unternimmt, bemerkt die sich ändernde Zeit dadurch, dass plötzlich keiner mehr Zeit hat. Sie macht sich schließlich auf den Weg, die Zeit anzuhalten, um die Macht der grauen Herren zu brechen. Diese wunderbare Beschreibung und Kritik unserer Zeit und der Art wie wir wirtschaften öffnet den Blick für die wirklich kostbaren Momente im Leben, für die wir uns besser Zeit nehmen.
Wie real ist die Zeit wirklich, frage ich mich und denke daran, was ich noch zu tun habe außer über die Zeit nachzudenken und versuche das übrige nun eine zeitlang weiter auszublenden, um mich ganz auf den Augenblick in der Beschäftigung mit der Zeit zu konzentrieren. Diese Haltung zeugt von einem sehr klassisch linearen Bild von der Zeit, das uns auch unser tägliches Leben in der Gesellschaft aufzwingt.
Das Verständnis von Zeit und dem Wert etwa der Pünktlichkeit verändert sich schon in Deutschland. So wird im Norden mehr Wert darauf gelegt als im Süden, wo es lockerer betrachtet wird. Um so weiter wir dann in Europa oder darüber hinaus gen Süden gehen, desto lockerer ist das natürliche Verständnis der Zeit und der Umgang mit ihr auch. Afrikaner haben für europäische Verhältnisse teilweise ewig Zeit und halten die Einhaltung exakter Reaktionszeiten eher für überflüssig. Es gibt für dieses verschiedene Verständnis unterschiedliche Theorien. Die wahrscheinlichste ist jene, die an den geografischen Bedingungen anknüpft, wonach in den nördlichen Regionen mit ihren starken klimatischen Schwankungen zwischen den Jahreszeiten eine exaktere Einhaltung der Zeiten lebensnotwendig sein kann. Wer nicht pünktlich kommt, kann den anderen am verabredeten Ort sonst glatt erfrieren lassen, was in wärmeren Regionen gelassener gesehen werden kann.
Im internationalen Handel und Flugverkehr aber sind exakte Zeiten wieder sehr wichtig. So legen Kapitäne auf eine Einhaltung der exakten Zeiten zur Be- und Entladung großen Wert, da es dabei immer auch um viel Geld geht. Aus dem Handel kommt auch der berühmte Spruch Zeit ist Geld. Was bei Termingeschäften etwa an der Börse noch wichtiger sein kann, wo Sekunden des richtigen Kaufs oder Verkaufs über Gewinn oder Verlust entscheiden können.
Ist eine solche Behandlung der Zeit noch natürlich oder entfremdet sie uns von unserer Natur?
Diese Frage lässt sich wohl nicht so allgemein beantworten, weil die Natur dabei sehr unterschiedlich ist. Wer es gewohnt ist exakt nach Termin zu arbeiten, wird es normal finden, dies in seinem sonstigen Tagesablauf zu tun. Andere, die immer in den Tag hineinleben und sich nach nichts richten müssen, werden von einem Termin sehr unter Druck gesetzt, empfinden dies als Stress und völlig unnatürlich. So können zwei völlig gegensätzliche Auffassungen der Zeit nebeneinander existieren, auch wenn sie sozial manchmal schwierig zu vereinbaren sind.
Gehen Menschen aus Liebe eine Partnerschaft ein und wollen dann möglichst viel Zeit miteinander verbringen, zeigt sich, ob die unterschiedliche Wahrnehmung und Nutzung der Zeit, sich vereinbaren lässt oder sie sich nicht gut tun können, weil sie zu verschieden sind. Trotz anfänglicher Anziehung und Lust, vielleicht sogar gefühlter Liebe, kann ein unterschiedliches Zeitempfinden manche Beziehung scheitern lassen, die so hoffnungsvoll begann. Dann heißt es oft, sie hätten sich auseinandergelebt oder die Liebe verloren, manchmal auch erstaunlich ehrlich, sie hätten keine Zeit füreinander gefunden.
Habe dies selbst gerade mit einer eigentlich wunderbaren Liebe erlebt, in der wir es nicht schafften, die Zeit miteinander zu genießen, weil wir keine gemeinsame Zeit fanden. Habe diese Frau immer bewundert und geliebt, doch schafften wir es nicht mehr unsere Zeiträume zu finden und der Liebe alle Zeit zu geben, die sie braucht, um frei fliegen zu können. So kann eine bloße unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit, eine große Liebe zerstören. Gewiß gab es auch andere Faktoren, die wichtig waren und die ich weniger sehe, aber mir scheint die Zeit in diesem Fall der wichtigste Faktor gewesen zu sein.
Der eine wird unruhig, wenn er nichts tut, muss und will immer etwas machen, der andere ist glücklich über das Sein an sich und damit zufrieden, muss nirgendwohin und hat eher das Gefühl, nun etwas zu unternehmen, würde die schöne Zweisamkeit stören, die mit Lesen, Schreiben und Zärtlichkeiten doch genug für ein Leben gefüllt werden kann, was die andere Seite, die ihr Leben nicht verträumen will, nicht verstehen kann.
So führt die unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit zu einer entgegengesetzten Auffassung dessen, was Glück ist und beide werden, in meinem Fall wurden, miteinander unglücklich, der eine hat das Gefühl, nicht genug zu sein in dem, was glücklich macht, die andere fühlt sich nicht genug gewürdigt und wertgeschätzt. Während ich lieber die Langsamkeit entdecke, um meinen Gedanken genug Raum zu geben, hätte sie lieber was unternommen und jeder hatte das Gefühl vom anderen, in dem was ihm wichtig ist, nicht gesehen zu werden und so entfernten wir uns, auch wenn wir uns täglich oder zumindest nächtlich sahen, immer weiter voneinander und aus Unverständnis wurde Wut, die, wie sie das immer wieder gerne tut, völlig unpassend ausbrach.
Vielleicht hätten wir es ändern können, wenn wir über unsere unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit und dessen, was uns wichtig ist, gesprochen hätten. Aber es ist auch möglich, dass wir dann nur entdeckt hätten, dass alles eine Illusion war und wir gar nicht zusammenpassten, weil sich unser je Tempo nicht vereinbaren ließ und wir, was wir schön finden, so nicht gemeinsam genießen konnten. Weiß nicht, ob es nur an der Zeit lag, die sie immer nur beschränkt an Land verbrachte und deshalb nutzen wollte, aber es scheint mir ein wesentlicher Grund der Missverständnisse und der Verwandlung von großer Liebe in kühle Abneigung und starke Entfremdung, auch wenn es eine irgendwie gefühlte große Nähe und schöne Pläne gab.
Ob sich das je ändern ließe oder wir uns einfach damit abfinden müssen, dass unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit nicht zusammenpasst, weiß ich nicht. Auch nicht, was wer tun könnte, um sich dabei zu verstehen - das Unverständnis könnte auch ausdrücken, was wir unserer Natur nach empfinden, weil wir trotz starker Gefühle der Natur nach zu verschieden sind, es sich nie vereinbaren ließe.
Zumindest zeigt dieses Beispiel, wie unterschiedlich die gleiche Zeit wahrgenommen werden kann und wie fern sich Menschen sein können, obwohl sie sich doch gefühlt ganz nah sind und sich auch sagen, dass sie genau das wollen. Zeit ist also, auch wenn objektiv messbar und für uns alle gleich, völlig unterschiedlich für jeden und wo der eine einen vollen Tag als Befriedigung empfindet, sieht der andere es als Belastung, weil er mehr Zeit für sich auch braucht, um glücklich zu sein.
Bin in der Nacht ungern allein, liebe es diese Stunden aneinandergekuschelt zu verbringen und habe das Gefühl, eine schönere und größere Nähe könne es gar nicht geben. Alle andere ist da nachrangig und kann sich den nötigen Bedingungen anpassen. Aber verbringen wir im Schlaf überhaupt Zeit miteinander?
Rein tatsächlich tun wir es. Sind eng beieinander, fühlen den anderen und können diese Nähe genießen. Bewusst ist uns das aber nur davor und danach. Im Schlaf fallen wir sozusagen aus der Zeit oder halten sie an, das Denken beginnt wieder, wenn wir aufwachen. Dennoch ist mir, der ich ständig denke und über irgendwas nachdenke, diese Zeit am wichtigsten, in der sich zwei ganz nah sein können, ohne darüber zu reden oder dabei zu reden. So habe ich eine zeitlang für das wichtigste Kriterium gehalten, wie ich neben jemand schlafen konnte, was mir noch wichtiger war, als miteinander zu schlafen.
Diese unbewusste Zeit, in der ich mir nur im Traum Fragen oder Aufgaben stelle, schien mir näher zu kommen und so war mir die Zeit, die eigentlich gar keine war, da wir sie ja verschliefen, fast wichtiger als die bewusste Zeit. Wer sich hier nah war und sich ganz fühlte, schien mir natürlich zusammen zu passen und das Gefühl nach dem Aufwachen sagte mir mehr als viele meiner wirren Gedanken, die von allem möglichen beeinflusst waren. Frage mich, ob das dann eine Gefühlsentscheidung war oder nicht mal das, weil auch ein Gefühl ja eine uns bewusste Sache ist, wir fühlen es ja, auch wenn uns über alle Ursachen dessen, selten ganz im klaren sind.
Neben wem ich nicht gut schlafe, dessen bin ich mir ganz sicher, mit dem kann ich auch wach nicht auf Dauer glücklich werden. Bezüglich des Umkerhschlusses bin ich mir nicht so ganz sicher, ob ich also mit jemandem glücklich werden kann, allein wenn ich gut neben ihr schlafe, spielen dabei doch immer zahlreiche andere Faktoren noch eine Rolle.
Warum ich mir in einer Sache sicher bin, bei der ich nicht weiß, was geschieht und wie es geschieht, also ohne jedes Wissen eine Entscheidung treffe, als ginge sie von sicherem Wissen aus, weiß ich nicht und staune darüber noch. Sicher ist guter Sex schön und wichtig, um eine glückliche Beziehung zu führen, doch mehr scheint es mir auf diesen intuitiven Faktor anzukommen, den ich im Schlaf erspüre und so kann mir das Glück gut beieinander zu schlafen schon alles sein und es braucht nicht mehr, um zufrieden sein eigentlich. Dass es dann doch immer wieder praktisch mehr braucht und wir dann an der je Unzufriedenheit scheitern, habe ich oft genug erlebt. Mal war die eine über zu wenig unzufrieden, dann die andere über zu viel von etwas, was ihr nicht lag oder ich oft genug über zu wenig von dem, wonach ich mich sehnte, dabei war für das Glück und seine Kontinuität eigentlich mir das unbewusste beieinander viel wichtiger als die aktiv geteilte Zeit.
Nie verbingen zwei Menschen mehr Zeit ganz nah, als wenn sie beieinander schlafen, umarmt und angelöffelt ganz dicht beieinander liegen, ohne zu denken, genießen, was ist. Heute, viele Jahre nachdem ich meine erste Nacht mit einer Frau zärtlich verbracht habe, würde ich ganz klar sagen, nichts ist mir wichtiger, als dieses Glück zu teilen und wenig macht mich zufriedener und ausgeglichener im Leben als gut beieinander zu schlafen. Brauche diese Nähe, auch wenn ich sie gerade mal wieder entbehre und frage mich inzwischen, welche Kompromisse dieses einfache Glück wert wäre, einzugehen.
Vielleicht ist aus diesem Glück der Schlafenszeit die Institution der Ehe entstanden mit ihren vielen schlechten und wenigen guten Kompromissen, frage ich mich, den Prozess der Schlafenszeit kulturhistorisch betrachtend. Schlafe ich zu zweit, genügen mir ganz wenige Stunden, um völlig erholt und selig gestärkt zu erwachen. Entbehre ich es, kann ich mich mit Büchern gut allein glücklich machen, aber irgendwo habe ich das Gefühl, ein wichtiger Teil von mir fehlt und ich schlafe für mich nur halb, wenn ich nicht den anderen im Arm halte. Ob dies Formen wie in der Ehe erfordert, Treue nötig ist, weil sie auch Vertrauen heißt, weiß ich nicht. Doch selten nur haben wir die Wahl dabei auf Dauer.
Doch wollte ich, die, neben der ich so gut schlafe, neben einem anderen wissen, frage ich mich und denke spontan, solange ich es nicht weiß, ist es eigentlich egal aber irgendwo ganz tief wohnt vermutlich in jedem Menschen das Gefühl, was ihn glücklich macht, für sich haben und behalten zu wollen und die Angst, es zu verlieren, falls die Nähe beliebig austauschbar wäre, liegt relativ nahe und scheint mir natürlich, auch wenn sie das Gegenteil von Liebe eigentlich ist, die schenken möchte und dem anderen gut will. Ob die Liebe so ihrer Art nach ein Paradoxon ist, das in seinem Sein zwischen Freiheit und Besitz immer auch ein Schwanken ist, frage ich an dieser Stelle nicht, wo es doch um die Zeit geht, doch könnte es helfen, zum Glück zu finden, sich, jenseits aller Normen, darüber klar zu werden, was es ausmacht und was es behindert.
Die Zeit glücklich zu verbringen, wie es uns entspricht, scheint mir die wichtigste Aufgabe im Leben. Dazu gehört natürlich auch zu wissen, was mich glücklich macht und wo ich daran gehindert bin, weil andere Gefühle mit der Zeit stärker werden. Mit der Liebe, die wir beide für groß hielten, was immer sie nun tatsächlich war, teilte ich einen Traum vom Glück in der Liebe. Für mich war dabei wohl die Traumzeit wichtiger als die wache, dennoch haben wir es nicht geschafft, uns darauf zu verständigen und dies Glück, was alles hätte sein können, zu würdigen.
Neben einer anderen schlief ich traumhaft und immer wunderbar, alles übrige spielt eher keine Rolle und gäbe keinen Grund, es fortzusetzen, kritisch bedacht vermutlich, dennoch genügte mir dies bereits nach dem Instinkt, sie heiraten zu wollen und mich mit ihr zu verloben, was dann endete, weil sie sich nicht genug unterhalten fühlte und ich ansonsten eher gelangweilt war. Dennoch blieb dies wunderbare Gefühl neben ihr zu schlafen in mir zurück und würde ich mich immer wieder danach sehnen, auch wenn ich auf den Rest, ohne etwas schlechtes sagen zu können oder zu wollen, sie war ein sehr anständiger und liebevoller Mensch, bestimmt zuverlässig, wäre nicht wach die Vernunft stärker, die klar sagt, euch verbindet nichts als geteilte Nächte.
So gesehen wird Sex und gemeinsame Unternehmungen für den Wert einer Partnerschaft meist völlig überschätzt, denke ich manchmal, kommt es doch viel mehr auf die gemeinsamen Nächte, also das nichts Tun an, als auf egal welche Unternehmungen und all dies nehme ich nur dafür mit in Kauf, auch wenn ich Sex mag und wichtig und gesund finde, halte ich ihn für das Glück auf Dauer für überschätzt. Dazu kommt auch, dass der anfängliche Reiz irgendwann ganz natürlich nachlässt. Vielleicht ist darum die in unserer Gesellschaft übliche Konstellation, wenn zwei sich lieben, gut miteinander klar kommen, heiraten sie , um sich einander zu versprechen und den Rest des Lebens miteinander zu verbringen, eine unserer Natur völlig fremde Art und Weise.
Ob wir wohl glücklicher wären, wenn wir den Sex wechselnd aufregend hielten aber dieser keine Rolle in der Partnerschaft auf Dauer spielte, außer es ist gerade so und fühlt sich danach an, dann ist es auch gut so, frage ich mich und sehe den Besitzinstinkt, mit dem Wunsch zu gönnen im steten Widerstreit und frage mich, was dabei Natur ist und was nur eine sozial erzwungene Konvention. Weiß nicht, ob ich diese Frage je für alle befriedigend lösen kann, oder jede Beziehung immer nur der gerade bestmögliche Kompromiss ist, bei dem zwei versuchen, Leben bewusst und schlafend miteinander zu teilen.
Sicher verbringen wir normalerweise im erwachsenen Leben die meiste Zeit noch schlafend miteinander und also im unbewussten Zustand, darum scheint mir, darauf zu achten, doch ein relativ ökonomisches Verhalten. Wo das geht, wird der Rest schon klappen oder weniger wichtig. Wo es daran mangelt, bleibt wenig schöne Zeit miteinander, so toll die sonst aktiven Erlebnisse miteinander sind. Dennoch würde jeder einen anderen für verrückt erklären, der die Partnerwahl vom Gefühl einer unbewusst miteinander verbrachten Zeit abhängig machte, es kommt doch auf so viel mehr an als den Zufall des guten Schlafes und was bliebe, wenn daneben das andere vernachlässigt würde an glücklicher Zeit noch?
Auch ich bin nicht nur blind und stürze mich darum auch gerne auf viele andere Kriterien, obwohl mein Instinkt mir sagt, genau das ist es, was letztlich zählt. Der Instinkt scheint mir wiiederum ganz natürlich zu wählen und frei zu sein von allen sonstigen Gedanken, in die Berechnung, Triebe, Wünsche, Enttäuschungen, Ängste und Hoffnungen mit hineinspielen, auch wenn das vielleicht eine Illusion ist, denn ich höre ja auch im Schlaf nicht auf zu sein. Bin immer noch der gleiche Mensch, mit den selben Träumen, nur eben nicht bewusst. Nicht umsonst beschäftigt uns im Traum ja auch häufig, was uns tagsüber Sorgen machte, ob wir uns nun dessen bewusst waren oder nicht.
Gebe nicht viel auf Träume mehr, außer sie scheinen mir gerade nützlich auf meiner Suche nach dem Glück. Hatte lange von Ängsten geplagte Alpträume, nicht genug zum Leben zu haben, zu versagen oder sonst völlig unterzugehen und habe irgendwann beschlossen, diesen Unsinn abzustellen. Genieße das Leben, wie es ist, mehr kann ich ohnehin nicht und etwas wichtigeres gibt es auch nicht. Fürchte weder den Tod, noch etwas zu verpassen. Habe genug geliebt, um zu sagen es reicht für ein Leben und alles, was jetzt noch kommt, ist nur noch das Sahnehäubchen. Werde es genießen, wie den größten Zauber, aber fürchte nicht, etwas zu verpassen, mit eine Gelegenheit entgehen zu lassen oder ins Unglück zu stürzen, weil ich ja schon alles Glück hatte, was einem Mann nur widerfahren kann.
Diese Änderung der Haltung hat mich von einem Tag auf den anderen von allen Alpträumen und Ängsten befreit, für die andere in meiner Lage vermutlich ständig viele Gründe sähen, denn sicher ist bei mir nichts, als dass alles Leben endlich ist. Sich damit abzufinden, war ein bewusster Akt, der auf die Lektüre des Lukrez folgte, der mit die Lehre Epikurs und dessen Haltung zum Leben nahe brachte. So habe ich mein, was die, die daran glauben, Unterbewusstsein nennen, bewusst und wach beeinflusst, indem ich mir das Glück zu leben, bewusst machte.
Habe auf diese Art meine Freiheit wiedergewonnen und mein Glück selbst in die Hand genommen, statt mich von meinen Ängsten treiben zu lassen. Damit bin Herr meiner Zeit geworden und lasse mich auch nicht mehr von Träumen beherrschen, die ein geglaubtes Unterbewusstsein angeblich spiegeln.
Wir können also nur durch unseren Willen und das wenige, was uns überhaupt bewusst ist, auch die große Welt der Träume mit lenken und beeinflussen, indem wir uns Mut machen und die Dinge in die Hand nehmen. So wird das gut beieinander schlafen etwas aus dem Bereich des nur Gefühls herausgeholt. Es ist eine Zeit, die wir auch mitbestimmen durch die Haltung, die wir dazu haben und wo wir sie also bewusst genießen wollen, kann sie das schönste Glück uns sein.
Wenn mir eine Geliebte nach der Lust selig im Arm einschläft, bin ich so glücklich über diesen innigen Moment, dass alles andere klein wird und ich daraus, auch wenn ich nicht schlafe, ungeheuer viel Kraft gewinne. Dann liegen wir manchmal eine halbe Stunde oder etwas mehr oder weniger so innig befriedigt beieinander und ich habe das Gefühl, dass die Erholung weniger solcher Stunden intensiver sein kann als zu viele Stunden Schlaf, dessen ich eigentlich sehr wenig brauche.
Nach meinem Gefühl halbiert sich mein Schlafbedürfnis noch, wenn Nähe und Zärtlichkeit geteilt beieinander geschlafen wird, als schliefe ich so nah für zwei. Dies klappt nicht immer und ich kann nicht genau sagen, warum es mal so gut ist und mal das genaue Gegenteil, dann wache ich auf und habe das Gefühl, der andere hätte mich über Nacht wie ein Vampir ausgesaugt und werde gar nicht wach. In all diesen Fällen schlafe ich lieber allein. So zeigt sich auch beim Schlaf die Relativität der Zeit, die wir noch durch Übungen wie Yoga oder Autogenes Training weiter führen können. Eine halbe Stunde völlige Entspannung kann besser tun als viele Stunden Schlaf.
Auch das Empfinden der Lebenszeit ändert sich völlig im Laufe der Jahre. Berlin, der Ort an dem ich nun die längste Zeit meines Lebens lebe, scheint mir manchmal noch gänzlich fremd und neu. Der Platz, der mein Kiez ist und um den ich die Kneipen Restaurants und Bars fast alle kenne, es sind nur rund 20 verschiedene einmal um den Platz, ist mir noch fremder als der Wohnort meiner Eltern, obwohl ich da nie wohnen wollte, weniger Jahre am Stück dort gelebt habe als an meinem Platz nun und doch scheint mir der Ort an dem ich seit 2010 lebe und liebe immer noch und immer wieder neu. Die Jahre vergehen, seit ich vierzig wurde wie im Flug, die Zeit begann sich schon in dem Moment zu beschleunigen, als ich Vater wurde. Während meiner Tochter die Zeit bis zum nächsten Geburtstag oder dem nächsten Sommer ewig schien, kommt es mir manchmal wie ein Augenblick nur vor.
Sah im Sommer vor meinem Café eine Geliebte vom Sommer vor bald drei Jahren wieder und es war mir, als wäre es gestern gewesen und zugleich war es auch irreal weit weg. Als sie mit ihren Schatz dann drei Tische weiter trurtelte, störte es mich überhaupt nicht. Freute mich für sie und doch hörte ich aus ihrem Mund und mit dem Klang ihrer Stimme das gleiche, was ich Jahre zuvor dort an nahezu gleicher Stelle erlebt hatte. Als hätte sich nichts verändert, sah ich sie mit ihm turteln und es war als sähe ich uns im Film zu und die Zeiten verschoben sich seltsam.
Dieses Erlebnis kenne ich nun schon und wenn du am und um den Ort mehr als eine Freundin hattest, passiert es eben, dass du dich gelegentlich wieder hörst oder siehst. Jedesmal, wenn mit so etwas passiert, scheint es mir ein wenig, als schaute ich mir und meinem Leben zu, wäre in der Zeit versetzt.
Andere haben ihren einen Ort, an dem sie mit ihrer Geliebten waren, wo sie mit der, die vielleicht später ihre Frau wird, schöne Erinnerungen haben, wo der Zauber begann und so flaniere ich heute gerne in der Nacht alleine um den Platz, schaue in die Cafés und erinnere mich, wen ich an diesem Tisch zum ersten mal küsste und mit welcher es dort anfing und so haben alle Orte ihre kleinen Geschichten und ich könnte vielleicht irgendwann einmal eine Liebesgeschichte um den Platz schreiben, über die Orte, die es noch gibt wie jene, die wieder verschwanden.
Habe um den Platz herum dreimal mehr Frauen geliebt als in den vierzig Jahren zuvor und eigentlich ist die Liebe zu den Frauen mein Kriterium für Heimat und zugleich denke ich daran, wie nah es mir ging, als meine Mutter mir erzählte, wie sie neulich eine frühere Flamme von mir traf, die nun Lehrerin ist und zweifache Mutter, mit der ich nie wirklich was hatte, geschweige denn geschlafen hätte und doch schien mir, so abwegig es klingt, diese Ferne plötzlich ganz gegenwärtig nah, auch wenn es dreißig Jahre her ist inzwischen, dass ich um sie buhlte, ich damals nur wenig älter war als meine Tochter jetzt, und 28 Jahre mindestens, dass ich sie zum letzten und einzigen mal küsste, weit weg und in der Ferne der Vergangenheit also wohl ruhend.
Doch denke ich daran, spüre ich den Duft ihrer Haut, sehe ihre dunklen Haare vor mir, weiß wie sie schmeckte und sie ist mir ganz nah, als wäre keine Zeit vergangen. So ist es mit manchen, während andere, mit denen ich länger oder kürzer zusammen war, jedenfalls meist körperlich viel näher und auch Nächte verbrachte, verschwimmen im Fluss der Zeit, ohne eine Erinnerung in mir zu hinterlassen.
Würde sie heute noch am Geschmack erkennen, bin ich sicher, nicht weil er mir so gut gefiel, es war mir eher fremd ein wenig, aber irgendwas hat sich eingeprägt und so hinterlassen manche Liebe tiefe Spuren für ein Leben und andere verschwinden spurlos wieder, völlig unabhängig davon, wieviel Zeit ich mit ihnen verbrachte oder nicht.
Es scheint als ob die Liebe jenseits der Zeit steht und alle Grenzen überwinden kann. Dennoch scheitert auch die vermeintlich große Liebe, was weiß ich schon, was sie wirklich war, es fühlte sich zumindest so an, manchmal an fehlender Gleichzeitigkeit und dem zuwenig und zuviel an Zeit, als wäre schlafen nicht das größte Glück, wenn es sich so anfühlt.
Die natürliche Zeit scheint es nicht zu geben sondern nur viele Zeiten und welche natürlich ist, weiß ich auch nicht so genau, der ich immer mit gemessenen Zeiten lebte und der eine präzise innere Uhr hat, immer etwa eine fünf Minuten vor dem Wecker aufwacht.
Ist diese innere Uhr, die mich pünktlich weckt, wenn ich es mir vornehme nun meine natürliche Zeit oder doch eher die erfolgreich dressierte, weil ich es lange gewohnt war, mit dem Wecker aufzustehen, den ich nicht mehr brauche. Seit dem aber, seit ich mit 17 begann immer um 5.45h aufzustehen, wenn ich in die Schule musste, scheint mir diese Weckzeit, der ich nur vielleicht vier Jahre von meinen 46 kontinuierlich folgen musste, mir zur natürlichen Zeit geworden zu sein und ich habe innerlich daran nichts mehr geändert, auch wenn ich nicht mehr immer um diese Zeit aufstehe, sicher nicht etwa, wenn ich dann erst eine Stunde zuvor mit Schreiben aufgehört hatte.
Andere haben ganz andere Zeiten und fänden die Vorstellung absurd morgens um viertel vor sechs, laufen zu gehen oder bis zur Morgendämmerung zu schreiben, wenn gerade die Gedanken dazu passen. Finden es dafür ganz normal zum Badeurlaub auf die andere Seite der Welt in eine völlig andere Zeitzone zu fliegen und sich dort schnell einzuleben.
Die Kapitänin, die eine unglaublich willensstarke Frau war, konnte, wenn es nötig war 24h am Stück hart und präzise arbeiten und funktionierte dann einfach. Kenne solche Einsatzzeiten auch aus meiner Zeit im Krankenhaus, wenn es nötig war und ich auch mal über 16h im OP stand und irgendwelche Häkchen hielt oder Zeugs anreichte, nächtelang durcharbeitete, um zu verdienen und am nächsten Tag um 8h in der Vorlesung saß, weil es nötig war. Manchmal verschieben sich auch alle Zeiten und dann bleibt nichts als sich in den Augenblick zu fügen und zu funktionieren, wie es Nadolny von Franklin erzählt, der im Roman auch nicht mit der wirklichen Zeit konnte, heute würden wir das vermutlich eine langsame ADS nennen und als Krankheit behandeln, vielleicht sogar mit Medikamenten.
Am Ende bleibt, ich weiß nicht, welche Zeit für wen natürlich ist, nur welche sich für mich richtig anfühlt, kann ich manchmal erspüren und dann scheint alles ganz natürlich zu fließen. So es im Leben nur darum geht, glücklich zu sein, was ich immer noch am vernünftigsten finde und was sehr stark meinem Gefühl entspricht, könnte der eigenen Zeit zu folgen, ein guter Weg dazu sein. Wenn Zweisamkeit Glück miteinander zu teilen, um es zu vermehren, heißt, kann es nur darum gehen, die Zeit zusammen zu genießen - ob wir dabei mehr schlafen oder wachen, entscheiden die Umstände und vieles mehr, solange es uns gut tut, wird es gut sein. Die verlorene Zeit zu suchen ist unsinnig, die wiedergefundene dagegen zu genießen, scheint mir relativ weise, ansonsten verstehe ich nichts von der Zeit, ich hab sie.
jens tuengerthal 23.1.2017
Sonntag, 22. Januar 2017
Gretasophie 009f
009f Naturmoral
Liegt die Moral in unserer Natur oder ist sie uns natürlich eher fremd?
Was Moral ist und woher sie kommt, wurde bereits besprochen, auch wie relativ die Setzung ihrer Werte ist und was das bedeutet. Es ist immer der gerade Konsens einer Gesellschaft, der einer steten Wandlung unterworfen ist. Es ist alles ganz natürlich relativ, gerade wenn es uns ganz fest und sicher scheint, was das Urteil dazu nicht wirklich einfacher macht.
So war es in Deutschland lange moralisch untragbar sich offen rassistisch zu äußern oder eine Bevölkerungsgruppe aus populistischen Gründen zu diskriminieren. Dies hat sich seit dem Auftreten von AfD und Pegida gewandelt und beide Gruppen haben einen neuen Ton salonfähig gemacht, der lange als tabu galt.
Plötzlich melden sich Menschen zu Wort, die ihre bisher Vorbehalte lieber für sich behalten hatten oder nur hinter vorgehaltener Hand äußerten. Sie haben damit ein Stück Freiheit gewonnen und fordern nun Akzeptanz und Toleranz auch gegenüber von der Mehrheit bisher abgelehnten Anschauungen, die plötzlich auch ganz normal sein will.
Kämpfen die Verfechter von mehr Intoleranz also einen Freiheitskampf?
Alles in mir sträubt sich dagegen, diesen Vorurteilen mehr Raum zu geben und ihren Wunsch nach freier Meinungsäußerung als ein Grundrecht zu verteidigen. Aber ist das moralisch richtig oder urteile ich damit nach einer Doppelmoral, die Meinungsfreiheit nur denjenigen zugesteht, die mit der herrschenden Meinung und Moral übereinstimmen?
Dies stellt die Frage, ob es richtig sein kann, dass die Forderung nach mehr Intoleranz und Unfreiheit, die gleichen Freiheitsrechte beanspruchen darf, wie jene, die noch die Freiheit verteidigen. Ist es wirklich gut, sich für mehr Zuwanderung einzusetzen und Menschen aus einem fremden Kulturraum Schutz zu bieten, auch wenn dies die eigene Freiheit oder die Art wie wir leben, infrage stellte, fragen die gern populistisch genannten Rechten.
So sehen sich beide Seiten als Verteidiger eines unterschiedlichen Modells von Freiheit und dessen, wie sie zu schützen ist. Warum wir die einen schlecht und die anderen gut finden, ist die Frage einer moralischen Setzung. Ist es falsch den Kampf um mehr Freiheit nach der eigenen Vorstellung auf die Straße zu verlagern und warum ist der Kampf der Frauen in ihrem Marsch gegen Trump, der schon viele belästigte, nach amerikanischer Lesart, richtig und scheint uns moralisch gut, wie es die meisten Medien, die darüber berichteten, darstellten.
Der neue Präsident etwa hat in seiner Antrittsrede, die so martialisch wie seine Wahlkampfauftritte war, davon gesprochen, den IS vernichten zu wollen, um unsere Freiheit zu verteidigen und diese Fundamentalisten daran zu hindern, weiter Terror auszuüben. Doch verteidigt einer, der zu einem Vernichtungsfeldzug aufbricht, je die Freiheit?
Was ist mit den Muslime, die sich nach langer amerikanischer Politik der imperialen Herrschaft entschlossen haben, den Kampf um Freiheit mit dem IS zu führen, weil sie das bisher erfolgreichste Modell waren?
Ist es gut, wenn Putin hilft, die Lage in Syrien zugunsten des herrschenden Assad zu stabilisieren?
Europa hat, um den Strom der Flüchtlinge auch über das Mittelmeer zu beenden, ein großes Interesse daran, die Situation dort zu befrieden. Die Instabilität im Nahen Osten ist auch ein Produkt amerikanischer Politik wie dem Krieg gegen den Irak. Auch verschiedene Terrorgruppen wurden unterstützt, um einen Umsturz in bestimmten Staaten zu erreichen, die in anderen Ländern vorher noch massiv bekämpft wurden.
Wie konsistent ist diese Moral und wer soll darauf vertrauen?
Geht es in der Weltpolitik überhaupt je um Moral oder immer nur um Macht?
Der Krieg in der Ukraine und die Annektion der Krim sprechen wie alle historische Erfahrung eher dafür, dass es in der Weltpolitik nur um Macht geht und der Stärkere sich eben durchsetzt. Manche Konflikte werden heiß ausgefochten, dann nennen wir es Krieg, andere beschränken sich auf Drohungen und Sanktionen, was hohe Diplomatie bei uns heißt. Bei beiden geht es nur um Macht, wirtschaftliche Interessen und die Moral, die keinen Marktwert hat, spielt nur eine sehr kleine Rolle dabei.
Liegt das Streben nach Macht und Vorherrschaft in unserer Natur?
Es ist für die Urteile der Rechten nicht von Interesse, ob die von ihnen geschürten Ängste auf Tatsachen beruhen oder ob sie ein Mittel haben, diesen abzuhelfen. Wichtig ist, dass viele Menschen das Gefühl bekommen, es drohe ihnen eine Gefahr und allein sie kümmerten sich um sie.
Dieses Kümmern und vermeintliche Verständnis hat auch einen Milliardär stark gemacht, der sich offen ungebildet gab, viel dummes Zeug und Lügen erzählte, um sich als Gegner des Systems zu profilieren, dass ihn erst reich machte. Es ist im postfaktischen Zeitalter dabei völlig egal, dass er als Spekulant und Unternehmer auch Teil dessen war, was viele als Feind sehen. Die erklärte Solidarisierung und zu sagen, was sich sonst keiner traute, genügte, um glaubwürdig zu wirken.
Wem soll überhaupt noch geglaubt werden?
Welche Moral trägt die sogenannten Populisten und warum soll sie schlecht sein?
Populismus ist ein typischer politischer Kampfbegriff, der erstmal keine Werte enthält, sondern sie durch die Zuordnung bestimmter Meinungen darunter erst erhält. Das Wort stammt aus dem lateinischen von dem Wort Populus, was Volk heißt. Populismus kann aber nicht einfach mit völkisch übersetzt werden, da er vom linken wie vom rechten Lager gern verwendet wird, um es dem je anderen zum Vorwurf zu machen. Nach dem Duden ist es eine opportunistische Politik, welche die Gunst der Massen zu gewinnen sucht.
Grundsätzlich muss sich jede Politik um Mehrheiten und also auch die Gunst der Massen oder zumindest einer Mehrheit bemühen. Tut sie es nicht, muss sie mit dem Vorwurf leben, fern vom Volk und seinen Bedürfnissen zu leben, wie er gerade momentan wieder gern erhoben wird. Der Ansatz des Populismus ist also ein demokratischer und nicht von vornherein moralisch schlecht. Die Bewertung dieses Populismus als moralisch gut und jenes als verwerflich, hängt nur von der politischen Meinung ab und dient eher als Vorwurf der Rechtfertigung einer auch unpopulären Politik.
So nutzt gerade die Linke, die es der Rechten am lautesten vorwirft, den Populismus gern für ihre Zwecke, wenn es zu ihrer Moral passt. Beispiel dafür ist die Diskussion um Hartz IV oder immer wieder die provokativen Äußerungen einer Sahra Wagenknecht, die den Konflikt genauso sucht und geschenkt bekommt wie der AfD und seine Repräsentanten und beiden Seiten wird genau das mit dem Schlagwort Populismus von der eher realistischen Mitte immer wieder zum Vorwurf gemacht.
Gäbe es eine Moral in der Natur, die sagt, was gut und richtig ist, könnten wir den einen oder anderen Populismus sicher bewerten oder beide als verwerflich betrachten, da sie nur Mittel zum Zweck sind, ohne eine realistische Politik zu betreiben. Doch woher soll eine solche natürliche politische Moral kommen, die zu einem richtigen Urteil befähigt und einem immer ganz natürlich sagt, welche Position moralisch ist und welche nicht?
Infrage kämen die Menschenrechte oder das Grundgesetz als Ausfluß des Menschenbildes der Aufklärung. Ob dies allerdings mehr unserer Natur entspricht als der Kampf ums Überleben, bei dem der Stärkere einfach gewinnt, wie wir ihn täglich auch an der Börse etwa erleben können, scheint fraglich.
Manche Menschen neigen ihrer Natur nach eher den Menschenrechten zu, andere dem Markt und dessen darwinistischen Prinzipien, die sie unterschiedlich stark moralisch abschwächen. Welches Prinzip moralischer ist, scheint keine Frage, da wir den Wertekonsens der Menschenrechte oder auch des Grundgesetzes für hochmoralisch halten, ob sie darum einer natürlichen Moral entsprechen und was diese wäre, bleibt dabei völlig offen.
Ob der Mensch von Natur aus gut oder böse ist, war lange auch unter den Philosophen sehr strittig. Je nach Überzeugung entstanden unterschiedliche Modelle für die Organisation des Menschen daraus, die dabei auch noch intern ihre Überzeugungen stark wandelten und so verschwamm es immer mehr.
Wer davon überzeugt ist, dass es Herrenrassen gibt und welche, die weniger wert wären, findet es moralisch gut und richtig, dass sich die Herrenrasse durchsetzt und dafür alles tut. Dagegen werden alle, die meinen die Menschen hätten alle die gleichen Rechte, sich dafür einsetzen, dass jeder diese auch leben kann. Diese beiden Sichten sind unvereinbar, weil sie von einem unterschiedlichen Menschenbild ausgehen und dem, was den Menschen dabei gut macht.
Wer sich als natürlich überlegen sieht aufgrund rassischer Kriterien, wird es ganz natürlich gut finden, sich durchzusetzen und unmoralisch dagegen, diese natürliche Überlegenheit nicht zu leben und zu fordern. So taten es die Nationalsozialisten und zumindest solche Forderungen wären in Deutschland heute illegal und ihre Verbreitung kann bestraft werden.
Doch wer sagt, dass die Bewertung eines Menschen als von Natur aus gut oder schlecht von der gerade politischen Überzeugung abhängt?
Es schiene Unsinn und es bräuchte zur Klärung der Frage, was der Mensch von Natur aus ist, eines allgemeineren Maßstabs als die politische Auseinandersetzung. Fraglich scheint aber, wo wir je unpolitisch sind und ob sich die Beurteilung des Menschen als moralisches Wesen im luftleeren Raum vornehmen lässt. Gerade unsere politischen Urteile weisen ja auf unsere Haltung als sittliches Wesen hin. Sind diese aber je unabhängig von der Umgebung oder immer in dieser relativ zu betrachten?
Welche Chance zu einer natürlichen moralischen Beurteilung etwa der Flüchtlingsfrage hat ein Jugendlicher in der sächsischen Schweiz und welche einer in Berlin Prenzlauer Berg, wie sehr spielen die sozialen Verhältnisse dabei eine Rolle und
warum urteilen viele Jugendliche, die etwa in Pankow groß werden, anders über diese Frage als jene, die in Prenzlauer Berg groß werden, was ja ein Teil des Bezirks Pankow nominell ist?
Komme ich in der Sache zu einem anderen moralischen Urteil, wenn meine Tochter von nordafrikanischen Jugendlichen belästigt wurde oder muss ein sittliches Urteil, wenn es auf einer natürlichen Moral beruht, nicht immer gültig sein?
Was sagt mir die natürliche Moral zu dem seit langer Zeit anderen Verständnis der Haltung gegenüber Frauen in bestimmten Regionen der Welt?
Es ist bei bestimmten indigenen Völkern in Brasilien üblich, dass ein Vater dem Gast, seine Frau oder Tochter zur Begrüßung in der Nacht in die Hängematte schickt und wer dies zurückweist, um nach unserer Moralvorstellung den Gastgeber durch Sex mit seiner Frau oder Tochter nicht zu kränken, beleidigt ihn dadurch viel mehr.
Glauben wir Tacitus, der in seinem Buch über die Germanen schrieb, dass die Frauen die Häuser hüteten und die Schlüsselmacht hatten, während die Männer alle paar Jahre den Hof und damit die Frau wechselten, um damit Gerechtigkeit bezüglich Leistungskraft und Bodenqualität herzustellen, ist dies schwer mit unseren heutigen Begriffen von Ehe und Familie zu vereinbaren.
In vielen Gesellschaften im mediterranen Raum, war die Stellung als Hausherr wesentlich wichtiger, denn die genetische Zugehörigkeit der jeweiligen Kinder. Die Befriedigung der Sexualität war im römischen Kulturkreis, bevor er unter den Einfluss der jüdischen Sekte Christentum kam, ein natürliches Vergnügen und unabhängig auch von gerade familiären Strukturen, wobei diese Gesellschaft wohl stärker patriarchal geprägt war. Die Männer durften also immer ihren Spaß haben und die Frauen mussten dabei auf ihre Verantwortung achten.
In den Kommunen, die infolge der Hippie Bewegung auch am Anfang der 70er und Ende der 60er große Mode waren, wurde die Sexualität auch sehr frei gelebt und es galt, wer zweimal mit der gleichen pennt bereits als dem Establishment zugehörig, wie ein berühmtes Schlagwort der Zeit lautete.
Lesen wir die Berichte der Cook Expedition etwa von Forster über die Reisen in die Südsee, erfahren wir, wie frei und offen dort mit Sexualität umgegangen wurde. Zumindest wird es angedeutet und der Rest der Phantasie der Leser überlassen, die zugleich erfahren, dass sehr zur Empörung von Cook die Eingeborenen ein gänzlich anderes Verständnis von Eigentum, Besitz und Respekt hatten, was möglicherweise einer der Gründe war, die später auf Hawaii zur Tötung des großen Reisenden durch erzürnte Eingeborene führte. Dies könnte auch auf religiösen Gründen und Verletzung dortiger Tabus beruhen, was aber nichts an dem immer wieder Mißverständnis in moralischen Fragen auch etwa mit den Eingeborenen in Neuseeland führte unter denen es auch zu Massakern kam.
Galt noch bis ins 19. Jahrhundert in einigen Regionen Europas das ius prima noctis, des jeweiligen regionalen Herrschers als ganz natürlich, wonach der Landesherr das Recht hat die erste Nacht mit einer jungfräulichen Braut zu verbringen, diese also zu deflorieren, was immer daran so toll sein soll, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben, tat sich der Bundesgerichtshof doch schwer mit der Verurteilung des Patriarchen einer muslimischen Familie wegen Vergewaltigung, da dieser, als Onkel bekannte, behauptete davon überzeugt gewesen zu sein, sein natürliches Recht wahrzunehmen und also fraglich war, ob der subjektive Tatbestand einer Vergewaltigung vorlag, die es ganz objektiv gab.
Auch bei den aktuelleren Ehrenmordfällen, gehen die Täter meist davon aus, auf Grundlage eines ihrer Kultur entsprechenden Ehrgefühls, ganz rechtmäßig zu handeln, wenn sie die nicht ihrer Moral entsprechend handelnde Tochter oder Schwester töten. Es konnte dort meist dennoch immer verurteilt werden, weil diese lange genug hier lebten, um zu wissen, dass ein solches Verhalten hier nicht toleriert würde. Auch wird dann gerne das allgemeine Rechtsempfinden eines billig und gerecht denkenden aus der Kiste geholt, um zu begründen, es müsste doch offensichtlich jeder merken, dass töten nicht ok ist.
In Indien wurden jahrhundertelang Witwen mit ihren Männern lebendig verbrannt und dies galt als ein sehr ehrenwerter Tod, egal was die Witwe dazu dachte oder wie alt sie war. Jules Verne schildert aus unserer moralischen Sicht dann die Entführung einer solchen Witwe vom Scheiterhaufen durch den Lord, der in 80 Tagen um die Welt reiste. Dieser heiratet sie dann später, als er doch wieder Erwarten pünktlich in London eintrifft und seine Wette gewonnen hat. Im Schatten dieser am Ende glücklichen Liebe scheint uns das moralische Urteil in der Angelegenheit völlig klar und natürlich.
Montaigne berichtet von einigen Fällen in denen Hunde oder andere Tiere oder Diener ihren Herren freiwillig in den Tod folgten, weil sie das ganz natürlich fanden. Dies geschah ohne Zwang und nur aus dem freien Willen der Tiere, falls wir diesen einen solchen zugestehen wollen.
Ganz aktuell sind auch wieder die Fälle von Klitorektomie, in denen jungen Mädchen vor Erreichen der Gechlechtsreife oder teils auch mit Einsetzen der Regel die Klitoris ausgeschabt und die Schamlippen vernäht werden. So werden nach unserer moralischen Sicht diese armen Mädchen verstümmelt, zu lebenslangen Leiden gezwungen und können nie auf natürlichem Wege vaginal Freude am Sex genießen. Für ihre Mutter, die selbst diese Prozedur erlitten, scheint es dagegen ganz natürlich, mit ihren Töchtern dasselbe zu tun, da diese sonst moralisch unrein wären, damit schlechtere Chancen am heimischen Heiratsmarkt hätten und es ihnen einfach normal erscheint, sie es ja schon immer so machten.
Dagegen wehren sich verschiedene Gruppen, um den Opfern zu helfen und die Mütter von dieser grausamen Praxis abzubringen. Beide Seiten beanspruchen dabei eine natürliche Moral und Menschenrechte für sich. Die aus eingeborenen Kulturen stammenden Riten, die sich in Afrika und Teilen Arabiens verbreitet haben seit langer Zeit, sind Teil der heimischen Tradition, die wir aber für eine so starke Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Kindes halten, dass wir ihre Zulassung verbieten und die Beteiligten daran bestrafen. Dies hat zur Folge, dass diese Beschneidungen nur unter geheimen noch gefährlicheren Bedingungen stattfinden, was das Leben der Betroffenen mehr gefährdet als eine staatliche Toleranz, die diesen unmenschlichen Akt in Krankenhäusern unter Betäubung vornehmen ließe.
Es scheint uns ganz natürlich richtig, dies zu verbieten, die armen Mädchen vor der Verstümmelung zu beschützen, die nur grausam ist und keinen Mehrwert hat außer dem regionalen Aberglauben und dortigen moralischen Riten zu genügen. Damit halten wir unsere Moral für überlegen, wollen sie weltweit herrschen lassen, erzwingen deren Durchsetzung zumindest hier.
Auf welcher natürlichen Grundlage von Moral, meinen wir so urteilen zu können?
Soweit es um die Beschneidung von Knaben aus religiösen Gründen geht, halten wir diese dagegen für tolerabel, auch wenn sie nicht medizinisch indiziert ist, weil sie aus unserer Sicht auf den Menschen keinen großen Schaden hervorruft, wir religiöse Juden und Muslime hier nicht vor den Kopf stoßen wollen und damit auch verhindern können, dass die Beschneidung dann illegal unter schlechteren hygienischen Bedingungen im Untergrund durchgeführt wird.
Rechtlich betrachtet dürften wir beide Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit eines Kindes aufgrund von Aberglauben nicht unterscheiden, müssten also die Beschneidung genauso bestrafen wie die Kliteroktomie, auch wenn bei letzterer die Folgen für eine spätere sexuelle Erfüllung noch gravierender sind.
Dennoch unterscheiden wir beides Verhalten aus moralischen Gründen und halten das auch teilweise für ganz natürlich, da wir uns aus Respekt vor der grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit nicht in diese Riten mischen dürften, solange es den für uns tolerablen Rahmen nicht überschreitet.
Nicht dabei berücksichtigt wird von den Vertretern dieser Sicht, dass der Schutz der körperlichen Unversehrtheit auch vor religiösen Eingriffen eigentlich höherrangiger ist als die nur Freiheit zum Aberglauben gleich welcher Art. Zumindest soweit sie irreversible Schäden hervorruft. Dies tun wir auch aus unserer moralischen Verantwortung den Juden gegenüber, die im Namen Deutschlands in der Zeit von 1933 bis 1945 staatlich diskriminiert und vernichtet wurden, was aber nichts an der Beachtung der Grundrechte ändern dürfte, auch wenn uns dieser Schaden im Verhältnis zur deutschen Schuld gering scheint.
Der Schutz der körperlichen Integrität der Kinder und die deutsche historische Verantwortung haben aber eigentlich nichts miteinander zu tun und dürften rechtlich nicht vermischt werden. Rechtlich ist eine Beschneidung ohne ärztliche Indikation eine Körperverletzung auch wenn sie durch ärztlichen Eingriff unter Betäubung erfolgt. Kinder davor zu schützen, könnte als moralische Pflicht genauso aus der Erfahrung mit Auschwitz abgeleitet werden und hätte nicht weniger moralische Berechtigung. Was deutlich macht, die herrschende Moral ist nicht unbedingt logisch oder konsistent, im Gegenteil, sie genügt vielfach auch nur Gewohnheiten und die Grenze des erlaubten verschwimmt im Nebel der Sitten und des schlechten Gewissens.
Die Religionsfreiheit besteht auch passiv, das heißt es muss auch geschützt werden, frei von jedem Aberglauben aufzuwachsen. Dies wird bei Millionen Kindern in Deutschland ganz legal verletzt durch die Taufe. Damit werden sie, ohne darüber erwachsen und mündig entschieden zu haben, was eine solche Mitgliedschaft eigentlich erforderte, Teil einer Sekte, deren Aberglauben hier halt zufällig herrschend ist.
Beim moralischen Urteil über die christliche Taufe sind wir relativ milde, weil sie eben auch Teil unserer Tradition ist und wir es so gewohnt sind. Vom Freiheitsbegriff des Grundgesetzes ausgehend und nach einer natürlichen Moral fragend, scheint dies jedoch mehr als fragwürdig. Wie sollen Kinder ein natürliches Verhältnis zu ihrem Glauben oder ihrer Vernunft entwickeln, wenn sie schon von Kindesbeinen in einer solchen Gemeinschaft sind?
Können Kinder, die schon religiös geprägt aufwachsen, je eine natürliche Moral entwickeln?
Ist die Frage nach der natürlichen Moral in einer Gesellschaft wie der unseren nicht moralisch fragwürdig, da Kinder immer mit irgendwelchen Moralvorstellungen aufwachsen und ist es dann nicht besser, sie in einem bewährten Rahmen aufwachsen zu lassen?
Weiß keine klare Antwort auf diese Fragen und denke es braucht vielfacher Kompromisse, damit eine Gesellschaft dauerhaft friedlich funktioniert. Ein Heidenkind hat es im ländlichen Bayern schwerer als in meiner Wohngegend wo eher das Gegenteil normal ist, was zwar an der grundsätzlichen Beurteilung der Sache nichts ändert, aber manchmal geht es gerade mit Kindern auch weniger um Prinzipien, als sich das Leben so leicht und gut wie möglich zu machen. Mehr als genießen, können wir das Leben nicht, dies so sehr wie möglich tun zu wollen, könnte besser sein, als viele moralische Vorstellungen.
Doch steht mir aus meiner freiheitlichen moralischen Sicht darum ein Urteil über andere zu?
Neulich hat mein bester Freund seine Tochter taufen lassen. Zu diesem schönen familiären Ereignis hatte ich auch das Glück, geladen worden zu sein. Konnte es dennoch nicht ganz lassen auch dem Täufling gegenüber meine Sicht der Dinge darzustellen, um der Kleinen auch eine andere Perspektive zu eröffnen, als des von mir kritisch beurteilten Aberglaubens. Dennoch respektiere ich seine alten familiären Traditionen und seine moralische Sicht auf diesen Akt. Achte ihn nicht weniger, weil er etwas tut, was ich ganz grundsätzlich betrachtet, moralisch eigentlich für verwerflich halte, weil es nicht meinem Verständnis von Freiheit entspricht. Gehe also, um eines sozialen Kontaktes wegen, der mit aus Gefühl und Tradition wichtig ist, wir kennen uns bald 25 Jahre, einen Kompromiss ein, der mir moralisch nur halb schmeckt und doch sinnvoller erscheint, als meine Sicht hier zu verfechten. Tue dies, weil ich auch Teil einer Gesellschaft bin und darum Kompromisse eingehe, die Toleranz gegenüber anderen Weltsichten dazu gehört. Geschadet wird dem Kind der Tropfen Wasser und die salbungsvollen Worte danach sicher nicht haben, was es mir auch leichter machte, hier keine zu große Konsequenz von mir zu verlangen. Lasse ihn diesen Text lesen, im übrigen kennt er meine Meinung ja schon und behandle ich ihn so respektvoll, wie er es verdient.
Was würde ich aber tun, lüde mich ein gläubiger jüdischer Freund zum Beschneidungsfest seines Sohnes ein?
Eigentlich müsste ich ihn meiner Überzeugung nach anzeigen, weil er eine Körperverletzung begeht, die unwiderruflich ist. Dennoch werde ich mich auch da vermutlich außer in Worten eher zurückhalten. Doch streiten gerade bei diesem Beispiel mehrere moralische Ansätze in mir und es fällt mir sehr schwer, hier eine klare und nüchterne Entscheidung zu treffen.
Sehe mich in der historischen Verantwortung als Deutscher auch gegenüber dem jüdischen Volk stehend, gerade aufgrund unserer Geschichte und das scheint mir auch natürlich und gut so. Dagegen streitet meine Abneigung gegen jeden Aberglauben, das natürliche Freiheitsbedürfnis, mein Verständnis von Grundrechten und mein Sinn für Gerechtigkeit. Auch davon scheint mir einiges ganz natürlich und es fragt sich, ob eine historische sittliche Verantwortung, die ja nicht persönlich ist, schwerer wiegen kann, als die immer geschützte körperliche Integrität des Kindes.
Leicht machen kann ich es mir hier, wenn ich mir sage, die Beschneidung ist bei uns erlaubt, es liegt also nicht der Tatbestand einer Körperverletzung vor und es ist völlig ok, was er tut. Unsere Gesellschaft toleriert dieses Verhalten auch nach langer Diskussion im Bundestag und ich muss darüber nicht moralisch neu entscheiden, es ist nicht meine Verantwortung, diese Legalität zu beurteilen, was erlaubt ist, muss ich nicht für verboten halten.
Jedoch widerspricht eine solche Haltung jeglicher Moralvorstellung. Danach könnte auch, den Nürnberger Rassegesetzen folgend, die Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus gerechtfertigt werden, wie es einige angeklagte Täter später taten, die ja nur Gesetze befolgten. Ihre dennoch Anklage aufgrund der Radbruch’schen Formel halte ich ja aus bereits dargelegten Gründen für nicht mit dem Rechtsstaat vereinbar und daher fragwürdig.
Dies Gebiet ist gerade moralisch und politisch sehr heikel. So könnte schnell der Vorwurf erhoben werden, ich setzte die jüdische rituelle Beschneidung mit dem Holocaust gleich, was mir völlig fern liegt, denn auch dieser Akt ist gesundheitlich relativ harmlos meist, wenn auch irreversibel. Moralisch nach dem kategorischen Imperativ aber sind die Fälle ähnlich zu beurteilen, da in beiden Fällen ein Handeln, das nach meiner moralischen Überzeugung illegal sein müsste, staatlich legitimiert wird, aufgrund anderer moralischer Vorstellungen von Toleranz.
Wollte ich nach dem mir höchsten moralischen Maßstab handeln, also dem kategorischen Imperativ folgen, müsste ich das Handeln des jüdischen oder auch des muslimischen Freundes verurteilen, weil es für mich ein Grundrechtseingriff ist, der dem der Klitorektomie moralisch gleicht. Es gibt konsequent gedacht, keinen Grund dies anders zu behandeln und dies Verhalten länger zu tolerieren.
Doch stelle ich damit meine moralischen Vorstellungen und Prinzipien über die des Freundes, maßte mir also an, es besser zu wissen als er und seine jahrtausende alte Tradition, nur weil dies gerade einer aktuellen gesellschaftlichen Mode der Moral entspricht. Vielleicht darum wäre ich vermutlich de facto lieber bescheiden und sagte, was ich darüber denke, klagte aber nicht an, denn wer wäre ich, mich zum moralischen Richter über andere zu machen, auch wenn es mir ganz offensichtlich scheint.
Diese Bescheidenheit in Erkenntnis der eigenen Grenzen ist rechtlich nicht ganz konsequent und vielleicht auch moralisch fragwürdig im Sinne des kategorischen Imperativs aber sicher die menschlichere und sozialverträglichere Variante angesichts der gerade herrschenden Moral.
So muss sich eine Moral eben auch in der Praxis bewähren und Ausgrenzung und Diskriminierung in der Wirkung vermeiden. Es sollte bedacht werden, welche Folgen ein Verbot hätte, wem es nutzte und wem schadete, auch wenn mir moralisch eigentlich alles klar scheint und so ist die rechtliche Umsetzung einer Moral manchmal viel schwieriger, als sie nur konsequent zu denken.
Was dabei die natürliche Moral ist und was eine spätere Sitte nur ist, bleibt schwer zu entscheiden. Die unter Echnaton in Ägypten eingeführte Sitte der Beschneidung hatte dort gute gesundheitliche Gründe. Die Juden übernahmen sie und Mohamed passte sie auch gut in seine Sekte, die aus den anderen vorigen auch noch ein best off zusammen mixte. Diese Ideen sind tausende von Jahren alt, stehen in einer langen Tradition und sind für viele Menschen wichtiger Teil ihrer ganz natürlich gewachsenen Moral, auch wenn diese religiös eben geprägt noch ist, wie bei den meisten Menschen der Erde noch irgendwie.
Wer bin ich, über jahrtausende alte Traditionen aus dem engen Horizont meiner westlichen Sicht, ein moralisches Urteil zu fällen?
Was würde ich sagen, wenn Muslime oder Buddhisten meine lieb gewordenen Traditionen verurteilten und verbieten wollten?
Es ist eine sehr weiche moralische Entscheidung, die mich Toleranz üben lässt gegenüber der Körperverletzung der gläubigen Muslime und Juden an ihren Kindern. So erlaube ich einem irgendwie Gefühl von Toleranz und Bescheidenheit sogar einen Körperverletzung zu legitimieren, auch weil mir das gerade noch relativ opportun erscheint und die Alternativen mir noch weniger gefallen. Das ist juristisch eigentlich sehr unsauber gedacht. Auch der kategorische Imperativ bekommt da Schluckauf vor Schreck. Aber pragmatisch menschlich erscheint es mir gerade dennoch - und jetzt wird es ganz paradox, weil ich in Fragen der Moral eben auch dem Gefühl einfach folge.
Ob das dann am Ende die natürliche Moral ist, die dem Gefühl folgt, statt der Konsequenz der Vernunft, warum auch immer Gefühl natürlicher sein soll als Vernunft, die genauso Teil unserer Natur ist, weiß ich nicht. Denke es ist mal wieder irgendein Kompromiss, den ich eingehe, um so glücklich wie möglich zu leben und darum geht es ja nur, wie ich immer wieder feststelle, auch wenn damit alle Fragen offen bleiben und wir immer weiter beobachten müssen, was sich gerade als moralisch richtig anfühlt oder uns ganz kategorisch so erscheint, wenn wir dem Imperativ vernünftig folgen wollen.
jens tuengerthal 22.1.2017
Liegt die Moral in unserer Natur oder ist sie uns natürlich eher fremd?
Was Moral ist und woher sie kommt, wurde bereits besprochen, auch wie relativ die Setzung ihrer Werte ist und was das bedeutet. Es ist immer der gerade Konsens einer Gesellschaft, der einer steten Wandlung unterworfen ist. Es ist alles ganz natürlich relativ, gerade wenn es uns ganz fest und sicher scheint, was das Urteil dazu nicht wirklich einfacher macht.
So war es in Deutschland lange moralisch untragbar sich offen rassistisch zu äußern oder eine Bevölkerungsgruppe aus populistischen Gründen zu diskriminieren. Dies hat sich seit dem Auftreten von AfD und Pegida gewandelt und beide Gruppen haben einen neuen Ton salonfähig gemacht, der lange als tabu galt.
Plötzlich melden sich Menschen zu Wort, die ihre bisher Vorbehalte lieber für sich behalten hatten oder nur hinter vorgehaltener Hand äußerten. Sie haben damit ein Stück Freiheit gewonnen und fordern nun Akzeptanz und Toleranz auch gegenüber von der Mehrheit bisher abgelehnten Anschauungen, die plötzlich auch ganz normal sein will.
Kämpfen die Verfechter von mehr Intoleranz also einen Freiheitskampf?
Alles in mir sträubt sich dagegen, diesen Vorurteilen mehr Raum zu geben und ihren Wunsch nach freier Meinungsäußerung als ein Grundrecht zu verteidigen. Aber ist das moralisch richtig oder urteile ich damit nach einer Doppelmoral, die Meinungsfreiheit nur denjenigen zugesteht, die mit der herrschenden Meinung und Moral übereinstimmen?
Dies stellt die Frage, ob es richtig sein kann, dass die Forderung nach mehr Intoleranz und Unfreiheit, die gleichen Freiheitsrechte beanspruchen darf, wie jene, die noch die Freiheit verteidigen. Ist es wirklich gut, sich für mehr Zuwanderung einzusetzen und Menschen aus einem fremden Kulturraum Schutz zu bieten, auch wenn dies die eigene Freiheit oder die Art wie wir leben, infrage stellte, fragen die gern populistisch genannten Rechten.
So sehen sich beide Seiten als Verteidiger eines unterschiedlichen Modells von Freiheit und dessen, wie sie zu schützen ist. Warum wir die einen schlecht und die anderen gut finden, ist die Frage einer moralischen Setzung. Ist es falsch den Kampf um mehr Freiheit nach der eigenen Vorstellung auf die Straße zu verlagern und warum ist der Kampf der Frauen in ihrem Marsch gegen Trump, der schon viele belästigte, nach amerikanischer Lesart, richtig und scheint uns moralisch gut, wie es die meisten Medien, die darüber berichteten, darstellten.
Der neue Präsident etwa hat in seiner Antrittsrede, die so martialisch wie seine Wahlkampfauftritte war, davon gesprochen, den IS vernichten zu wollen, um unsere Freiheit zu verteidigen und diese Fundamentalisten daran zu hindern, weiter Terror auszuüben. Doch verteidigt einer, der zu einem Vernichtungsfeldzug aufbricht, je die Freiheit?
Was ist mit den Muslime, die sich nach langer amerikanischer Politik der imperialen Herrschaft entschlossen haben, den Kampf um Freiheit mit dem IS zu führen, weil sie das bisher erfolgreichste Modell waren?
Ist es gut, wenn Putin hilft, die Lage in Syrien zugunsten des herrschenden Assad zu stabilisieren?
Europa hat, um den Strom der Flüchtlinge auch über das Mittelmeer zu beenden, ein großes Interesse daran, die Situation dort zu befrieden. Die Instabilität im Nahen Osten ist auch ein Produkt amerikanischer Politik wie dem Krieg gegen den Irak. Auch verschiedene Terrorgruppen wurden unterstützt, um einen Umsturz in bestimmten Staaten zu erreichen, die in anderen Ländern vorher noch massiv bekämpft wurden.
Wie konsistent ist diese Moral und wer soll darauf vertrauen?
Geht es in der Weltpolitik überhaupt je um Moral oder immer nur um Macht?
Der Krieg in der Ukraine und die Annektion der Krim sprechen wie alle historische Erfahrung eher dafür, dass es in der Weltpolitik nur um Macht geht und der Stärkere sich eben durchsetzt. Manche Konflikte werden heiß ausgefochten, dann nennen wir es Krieg, andere beschränken sich auf Drohungen und Sanktionen, was hohe Diplomatie bei uns heißt. Bei beiden geht es nur um Macht, wirtschaftliche Interessen und die Moral, die keinen Marktwert hat, spielt nur eine sehr kleine Rolle dabei.
Liegt das Streben nach Macht und Vorherrschaft in unserer Natur?
Es ist für die Urteile der Rechten nicht von Interesse, ob die von ihnen geschürten Ängste auf Tatsachen beruhen oder ob sie ein Mittel haben, diesen abzuhelfen. Wichtig ist, dass viele Menschen das Gefühl bekommen, es drohe ihnen eine Gefahr und allein sie kümmerten sich um sie.
Dieses Kümmern und vermeintliche Verständnis hat auch einen Milliardär stark gemacht, der sich offen ungebildet gab, viel dummes Zeug und Lügen erzählte, um sich als Gegner des Systems zu profilieren, dass ihn erst reich machte. Es ist im postfaktischen Zeitalter dabei völlig egal, dass er als Spekulant und Unternehmer auch Teil dessen war, was viele als Feind sehen. Die erklärte Solidarisierung und zu sagen, was sich sonst keiner traute, genügte, um glaubwürdig zu wirken.
Wem soll überhaupt noch geglaubt werden?
Welche Moral trägt die sogenannten Populisten und warum soll sie schlecht sein?
Populismus ist ein typischer politischer Kampfbegriff, der erstmal keine Werte enthält, sondern sie durch die Zuordnung bestimmter Meinungen darunter erst erhält. Das Wort stammt aus dem lateinischen von dem Wort Populus, was Volk heißt. Populismus kann aber nicht einfach mit völkisch übersetzt werden, da er vom linken wie vom rechten Lager gern verwendet wird, um es dem je anderen zum Vorwurf zu machen. Nach dem Duden ist es eine opportunistische Politik, welche die Gunst der Massen zu gewinnen sucht.
Grundsätzlich muss sich jede Politik um Mehrheiten und also auch die Gunst der Massen oder zumindest einer Mehrheit bemühen. Tut sie es nicht, muss sie mit dem Vorwurf leben, fern vom Volk und seinen Bedürfnissen zu leben, wie er gerade momentan wieder gern erhoben wird. Der Ansatz des Populismus ist also ein demokratischer und nicht von vornherein moralisch schlecht. Die Bewertung dieses Populismus als moralisch gut und jenes als verwerflich, hängt nur von der politischen Meinung ab und dient eher als Vorwurf der Rechtfertigung einer auch unpopulären Politik.
So nutzt gerade die Linke, die es der Rechten am lautesten vorwirft, den Populismus gern für ihre Zwecke, wenn es zu ihrer Moral passt. Beispiel dafür ist die Diskussion um Hartz IV oder immer wieder die provokativen Äußerungen einer Sahra Wagenknecht, die den Konflikt genauso sucht und geschenkt bekommt wie der AfD und seine Repräsentanten und beiden Seiten wird genau das mit dem Schlagwort Populismus von der eher realistischen Mitte immer wieder zum Vorwurf gemacht.
Gäbe es eine Moral in der Natur, die sagt, was gut und richtig ist, könnten wir den einen oder anderen Populismus sicher bewerten oder beide als verwerflich betrachten, da sie nur Mittel zum Zweck sind, ohne eine realistische Politik zu betreiben. Doch woher soll eine solche natürliche politische Moral kommen, die zu einem richtigen Urteil befähigt und einem immer ganz natürlich sagt, welche Position moralisch ist und welche nicht?
Infrage kämen die Menschenrechte oder das Grundgesetz als Ausfluß des Menschenbildes der Aufklärung. Ob dies allerdings mehr unserer Natur entspricht als der Kampf ums Überleben, bei dem der Stärkere einfach gewinnt, wie wir ihn täglich auch an der Börse etwa erleben können, scheint fraglich.
Manche Menschen neigen ihrer Natur nach eher den Menschenrechten zu, andere dem Markt und dessen darwinistischen Prinzipien, die sie unterschiedlich stark moralisch abschwächen. Welches Prinzip moralischer ist, scheint keine Frage, da wir den Wertekonsens der Menschenrechte oder auch des Grundgesetzes für hochmoralisch halten, ob sie darum einer natürlichen Moral entsprechen und was diese wäre, bleibt dabei völlig offen.
Ob der Mensch von Natur aus gut oder böse ist, war lange auch unter den Philosophen sehr strittig. Je nach Überzeugung entstanden unterschiedliche Modelle für die Organisation des Menschen daraus, die dabei auch noch intern ihre Überzeugungen stark wandelten und so verschwamm es immer mehr.
Wer davon überzeugt ist, dass es Herrenrassen gibt und welche, die weniger wert wären, findet es moralisch gut und richtig, dass sich die Herrenrasse durchsetzt und dafür alles tut. Dagegen werden alle, die meinen die Menschen hätten alle die gleichen Rechte, sich dafür einsetzen, dass jeder diese auch leben kann. Diese beiden Sichten sind unvereinbar, weil sie von einem unterschiedlichen Menschenbild ausgehen und dem, was den Menschen dabei gut macht.
Wer sich als natürlich überlegen sieht aufgrund rassischer Kriterien, wird es ganz natürlich gut finden, sich durchzusetzen und unmoralisch dagegen, diese natürliche Überlegenheit nicht zu leben und zu fordern. So taten es die Nationalsozialisten und zumindest solche Forderungen wären in Deutschland heute illegal und ihre Verbreitung kann bestraft werden.
Doch wer sagt, dass die Bewertung eines Menschen als von Natur aus gut oder schlecht von der gerade politischen Überzeugung abhängt?
Es schiene Unsinn und es bräuchte zur Klärung der Frage, was der Mensch von Natur aus ist, eines allgemeineren Maßstabs als die politische Auseinandersetzung. Fraglich scheint aber, wo wir je unpolitisch sind und ob sich die Beurteilung des Menschen als moralisches Wesen im luftleeren Raum vornehmen lässt. Gerade unsere politischen Urteile weisen ja auf unsere Haltung als sittliches Wesen hin. Sind diese aber je unabhängig von der Umgebung oder immer in dieser relativ zu betrachten?
Welche Chance zu einer natürlichen moralischen Beurteilung etwa der Flüchtlingsfrage hat ein Jugendlicher in der sächsischen Schweiz und welche einer in Berlin Prenzlauer Berg, wie sehr spielen die sozialen Verhältnisse dabei eine Rolle und
warum urteilen viele Jugendliche, die etwa in Pankow groß werden, anders über diese Frage als jene, die in Prenzlauer Berg groß werden, was ja ein Teil des Bezirks Pankow nominell ist?
Komme ich in der Sache zu einem anderen moralischen Urteil, wenn meine Tochter von nordafrikanischen Jugendlichen belästigt wurde oder muss ein sittliches Urteil, wenn es auf einer natürlichen Moral beruht, nicht immer gültig sein?
Was sagt mir die natürliche Moral zu dem seit langer Zeit anderen Verständnis der Haltung gegenüber Frauen in bestimmten Regionen der Welt?
Es ist bei bestimmten indigenen Völkern in Brasilien üblich, dass ein Vater dem Gast, seine Frau oder Tochter zur Begrüßung in der Nacht in die Hängematte schickt und wer dies zurückweist, um nach unserer Moralvorstellung den Gastgeber durch Sex mit seiner Frau oder Tochter nicht zu kränken, beleidigt ihn dadurch viel mehr.
Glauben wir Tacitus, der in seinem Buch über die Germanen schrieb, dass die Frauen die Häuser hüteten und die Schlüsselmacht hatten, während die Männer alle paar Jahre den Hof und damit die Frau wechselten, um damit Gerechtigkeit bezüglich Leistungskraft und Bodenqualität herzustellen, ist dies schwer mit unseren heutigen Begriffen von Ehe und Familie zu vereinbaren.
In vielen Gesellschaften im mediterranen Raum, war die Stellung als Hausherr wesentlich wichtiger, denn die genetische Zugehörigkeit der jeweiligen Kinder. Die Befriedigung der Sexualität war im römischen Kulturkreis, bevor er unter den Einfluss der jüdischen Sekte Christentum kam, ein natürliches Vergnügen und unabhängig auch von gerade familiären Strukturen, wobei diese Gesellschaft wohl stärker patriarchal geprägt war. Die Männer durften also immer ihren Spaß haben und die Frauen mussten dabei auf ihre Verantwortung achten.
In den Kommunen, die infolge der Hippie Bewegung auch am Anfang der 70er und Ende der 60er große Mode waren, wurde die Sexualität auch sehr frei gelebt und es galt, wer zweimal mit der gleichen pennt bereits als dem Establishment zugehörig, wie ein berühmtes Schlagwort der Zeit lautete.
Lesen wir die Berichte der Cook Expedition etwa von Forster über die Reisen in die Südsee, erfahren wir, wie frei und offen dort mit Sexualität umgegangen wurde. Zumindest wird es angedeutet und der Rest der Phantasie der Leser überlassen, die zugleich erfahren, dass sehr zur Empörung von Cook die Eingeborenen ein gänzlich anderes Verständnis von Eigentum, Besitz und Respekt hatten, was möglicherweise einer der Gründe war, die später auf Hawaii zur Tötung des großen Reisenden durch erzürnte Eingeborene führte. Dies könnte auch auf religiösen Gründen und Verletzung dortiger Tabus beruhen, was aber nichts an dem immer wieder Mißverständnis in moralischen Fragen auch etwa mit den Eingeborenen in Neuseeland führte unter denen es auch zu Massakern kam.
Galt noch bis ins 19. Jahrhundert in einigen Regionen Europas das ius prima noctis, des jeweiligen regionalen Herrschers als ganz natürlich, wonach der Landesherr das Recht hat die erste Nacht mit einer jungfräulichen Braut zu verbringen, diese also zu deflorieren, was immer daran so toll sein soll, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben, tat sich der Bundesgerichtshof doch schwer mit der Verurteilung des Patriarchen einer muslimischen Familie wegen Vergewaltigung, da dieser, als Onkel bekannte, behauptete davon überzeugt gewesen zu sein, sein natürliches Recht wahrzunehmen und also fraglich war, ob der subjektive Tatbestand einer Vergewaltigung vorlag, die es ganz objektiv gab.
Auch bei den aktuelleren Ehrenmordfällen, gehen die Täter meist davon aus, auf Grundlage eines ihrer Kultur entsprechenden Ehrgefühls, ganz rechtmäßig zu handeln, wenn sie die nicht ihrer Moral entsprechend handelnde Tochter oder Schwester töten. Es konnte dort meist dennoch immer verurteilt werden, weil diese lange genug hier lebten, um zu wissen, dass ein solches Verhalten hier nicht toleriert würde. Auch wird dann gerne das allgemeine Rechtsempfinden eines billig und gerecht denkenden aus der Kiste geholt, um zu begründen, es müsste doch offensichtlich jeder merken, dass töten nicht ok ist.
In Indien wurden jahrhundertelang Witwen mit ihren Männern lebendig verbrannt und dies galt als ein sehr ehrenwerter Tod, egal was die Witwe dazu dachte oder wie alt sie war. Jules Verne schildert aus unserer moralischen Sicht dann die Entführung einer solchen Witwe vom Scheiterhaufen durch den Lord, der in 80 Tagen um die Welt reiste. Dieser heiratet sie dann später, als er doch wieder Erwarten pünktlich in London eintrifft und seine Wette gewonnen hat. Im Schatten dieser am Ende glücklichen Liebe scheint uns das moralische Urteil in der Angelegenheit völlig klar und natürlich.
Montaigne berichtet von einigen Fällen in denen Hunde oder andere Tiere oder Diener ihren Herren freiwillig in den Tod folgten, weil sie das ganz natürlich fanden. Dies geschah ohne Zwang und nur aus dem freien Willen der Tiere, falls wir diesen einen solchen zugestehen wollen.
Ganz aktuell sind auch wieder die Fälle von Klitorektomie, in denen jungen Mädchen vor Erreichen der Gechlechtsreife oder teils auch mit Einsetzen der Regel die Klitoris ausgeschabt und die Schamlippen vernäht werden. So werden nach unserer moralischen Sicht diese armen Mädchen verstümmelt, zu lebenslangen Leiden gezwungen und können nie auf natürlichem Wege vaginal Freude am Sex genießen. Für ihre Mutter, die selbst diese Prozedur erlitten, scheint es dagegen ganz natürlich, mit ihren Töchtern dasselbe zu tun, da diese sonst moralisch unrein wären, damit schlechtere Chancen am heimischen Heiratsmarkt hätten und es ihnen einfach normal erscheint, sie es ja schon immer so machten.
Dagegen wehren sich verschiedene Gruppen, um den Opfern zu helfen und die Mütter von dieser grausamen Praxis abzubringen. Beide Seiten beanspruchen dabei eine natürliche Moral und Menschenrechte für sich. Die aus eingeborenen Kulturen stammenden Riten, die sich in Afrika und Teilen Arabiens verbreitet haben seit langer Zeit, sind Teil der heimischen Tradition, die wir aber für eine so starke Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Kindes halten, dass wir ihre Zulassung verbieten und die Beteiligten daran bestrafen. Dies hat zur Folge, dass diese Beschneidungen nur unter geheimen noch gefährlicheren Bedingungen stattfinden, was das Leben der Betroffenen mehr gefährdet als eine staatliche Toleranz, die diesen unmenschlichen Akt in Krankenhäusern unter Betäubung vornehmen ließe.
Es scheint uns ganz natürlich richtig, dies zu verbieten, die armen Mädchen vor der Verstümmelung zu beschützen, die nur grausam ist und keinen Mehrwert hat außer dem regionalen Aberglauben und dortigen moralischen Riten zu genügen. Damit halten wir unsere Moral für überlegen, wollen sie weltweit herrschen lassen, erzwingen deren Durchsetzung zumindest hier.
Auf welcher natürlichen Grundlage von Moral, meinen wir so urteilen zu können?
Soweit es um die Beschneidung von Knaben aus religiösen Gründen geht, halten wir diese dagegen für tolerabel, auch wenn sie nicht medizinisch indiziert ist, weil sie aus unserer Sicht auf den Menschen keinen großen Schaden hervorruft, wir religiöse Juden und Muslime hier nicht vor den Kopf stoßen wollen und damit auch verhindern können, dass die Beschneidung dann illegal unter schlechteren hygienischen Bedingungen im Untergrund durchgeführt wird.
Rechtlich betrachtet dürften wir beide Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit eines Kindes aufgrund von Aberglauben nicht unterscheiden, müssten also die Beschneidung genauso bestrafen wie die Kliteroktomie, auch wenn bei letzterer die Folgen für eine spätere sexuelle Erfüllung noch gravierender sind.
Dennoch unterscheiden wir beides Verhalten aus moralischen Gründen und halten das auch teilweise für ganz natürlich, da wir uns aus Respekt vor der grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit nicht in diese Riten mischen dürften, solange es den für uns tolerablen Rahmen nicht überschreitet.
Nicht dabei berücksichtigt wird von den Vertretern dieser Sicht, dass der Schutz der körperlichen Unversehrtheit auch vor religiösen Eingriffen eigentlich höherrangiger ist als die nur Freiheit zum Aberglauben gleich welcher Art. Zumindest soweit sie irreversible Schäden hervorruft. Dies tun wir auch aus unserer moralischen Verantwortung den Juden gegenüber, die im Namen Deutschlands in der Zeit von 1933 bis 1945 staatlich diskriminiert und vernichtet wurden, was aber nichts an der Beachtung der Grundrechte ändern dürfte, auch wenn uns dieser Schaden im Verhältnis zur deutschen Schuld gering scheint.
Der Schutz der körperlichen Integrität der Kinder und die deutsche historische Verantwortung haben aber eigentlich nichts miteinander zu tun und dürften rechtlich nicht vermischt werden. Rechtlich ist eine Beschneidung ohne ärztliche Indikation eine Körperverletzung auch wenn sie durch ärztlichen Eingriff unter Betäubung erfolgt. Kinder davor zu schützen, könnte als moralische Pflicht genauso aus der Erfahrung mit Auschwitz abgeleitet werden und hätte nicht weniger moralische Berechtigung. Was deutlich macht, die herrschende Moral ist nicht unbedingt logisch oder konsistent, im Gegenteil, sie genügt vielfach auch nur Gewohnheiten und die Grenze des erlaubten verschwimmt im Nebel der Sitten und des schlechten Gewissens.
Die Religionsfreiheit besteht auch passiv, das heißt es muss auch geschützt werden, frei von jedem Aberglauben aufzuwachsen. Dies wird bei Millionen Kindern in Deutschland ganz legal verletzt durch die Taufe. Damit werden sie, ohne darüber erwachsen und mündig entschieden zu haben, was eine solche Mitgliedschaft eigentlich erforderte, Teil einer Sekte, deren Aberglauben hier halt zufällig herrschend ist.
Beim moralischen Urteil über die christliche Taufe sind wir relativ milde, weil sie eben auch Teil unserer Tradition ist und wir es so gewohnt sind. Vom Freiheitsbegriff des Grundgesetzes ausgehend und nach einer natürlichen Moral fragend, scheint dies jedoch mehr als fragwürdig. Wie sollen Kinder ein natürliches Verhältnis zu ihrem Glauben oder ihrer Vernunft entwickeln, wenn sie schon von Kindesbeinen in einer solchen Gemeinschaft sind?
Können Kinder, die schon religiös geprägt aufwachsen, je eine natürliche Moral entwickeln?
Ist die Frage nach der natürlichen Moral in einer Gesellschaft wie der unseren nicht moralisch fragwürdig, da Kinder immer mit irgendwelchen Moralvorstellungen aufwachsen und ist es dann nicht besser, sie in einem bewährten Rahmen aufwachsen zu lassen?
Weiß keine klare Antwort auf diese Fragen und denke es braucht vielfacher Kompromisse, damit eine Gesellschaft dauerhaft friedlich funktioniert. Ein Heidenkind hat es im ländlichen Bayern schwerer als in meiner Wohngegend wo eher das Gegenteil normal ist, was zwar an der grundsätzlichen Beurteilung der Sache nichts ändert, aber manchmal geht es gerade mit Kindern auch weniger um Prinzipien, als sich das Leben so leicht und gut wie möglich zu machen. Mehr als genießen, können wir das Leben nicht, dies so sehr wie möglich tun zu wollen, könnte besser sein, als viele moralische Vorstellungen.
Doch steht mir aus meiner freiheitlichen moralischen Sicht darum ein Urteil über andere zu?
Neulich hat mein bester Freund seine Tochter taufen lassen. Zu diesem schönen familiären Ereignis hatte ich auch das Glück, geladen worden zu sein. Konnte es dennoch nicht ganz lassen auch dem Täufling gegenüber meine Sicht der Dinge darzustellen, um der Kleinen auch eine andere Perspektive zu eröffnen, als des von mir kritisch beurteilten Aberglaubens. Dennoch respektiere ich seine alten familiären Traditionen und seine moralische Sicht auf diesen Akt. Achte ihn nicht weniger, weil er etwas tut, was ich ganz grundsätzlich betrachtet, moralisch eigentlich für verwerflich halte, weil es nicht meinem Verständnis von Freiheit entspricht. Gehe also, um eines sozialen Kontaktes wegen, der mit aus Gefühl und Tradition wichtig ist, wir kennen uns bald 25 Jahre, einen Kompromiss ein, der mir moralisch nur halb schmeckt und doch sinnvoller erscheint, als meine Sicht hier zu verfechten. Tue dies, weil ich auch Teil einer Gesellschaft bin und darum Kompromisse eingehe, die Toleranz gegenüber anderen Weltsichten dazu gehört. Geschadet wird dem Kind der Tropfen Wasser und die salbungsvollen Worte danach sicher nicht haben, was es mir auch leichter machte, hier keine zu große Konsequenz von mir zu verlangen. Lasse ihn diesen Text lesen, im übrigen kennt er meine Meinung ja schon und behandle ich ihn so respektvoll, wie er es verdient.
Was würde ich aber tun, lüde mich ein gläubiger jüdischer Freund zum Beschneidungsfest seines Sohnes ein?
Eigentlich müsste ich ihn meiner Überzeugung nach anzeigen, weil er eine Körperverletzung begeht, die unwiderruflich ist. Dennoch werde ich mich auch da vermutlich außer in Worten eher zurückhalten. Doch streiten gerade bei diesem Beispiel mehrere moralische Ansätze in mir und es fällt mir sehr schwer, hier eine klare und nüchterne Entscheidung zu treffen.
Sehe mich in der historischen Verantwortung als Deutscher auch gegenüber dem jüdischen Volk stehend, gerade aufgrund unserer Geschichte und das scheint mir auch natürlich und gut so. Dagegen streitet meine Abneigung gegen jeden Aberglauben, das natürliche Freiheitsbedürfnis, mein Verständnis von Grundrechten und mein Sinn für Gerechtigkeit. Auch davon scheint mir einiges ganz natürlich und es fragt sich, ob eine historische sittliche Verantwortung, die ja nicht persönlich ist, schwerer wiegen kann, als die immer geschützte körperliche Integrität des Kindes.
Leicht machen kann ich es mir hier, wenn ich mir sage, die Beschneidung ist bei uns erlaubt, es liegt also nicht der Tatbestand einer Körperverletzung vor und es ist völlig ok, was er tut. Unsere Gesellschaft toleriert dieses Verhalten auch nach langer Diskussion im Bundestag und ich muss darüber nicht moralisch neu entscheiden, es ist nicht meine Verantwortung, diese Legalität zu beurteilen, was erlaubt ist, muss ich nicht für verboten halten.
Jedoch widerspricht eine solche Haltung jeglicher Moralvorstellung. Danach könnte auch, den Nürnberger Rassegesetzen folgend, die Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus gerechtfertigt werden, wie es einige angeklagte Täter später taten, die ja nur Gesetze befolgten. Ihre dennoch Anklage aufgrund der Radbruch’schen Formel halte ich ja aus bereits dargelegten Gründen für nicht mit dem Rechtsstaat vereinbar und daher fragwürdig.
Dies Gebiet ist gerade moralisch und politisch sehr heikel. So könnte schnell der Vorwurf erhoben werden, ich setzte die jüdische rituelle Beschneidung mit dem Holocaust gleich, was mir völlig fern liegt, denn auch dieser Akt ist gesundheitlich relativ harmlos meist, wenn auch irreversibel. Moralisch nach dem kategorischen Imperativ aber sind die Fälle ähnlich zu beurteilen, da in beiden Fällen ein Handeln, das nach meiner moralischen Überzeugung illegal sein müsste, staatlich legitimiert wird, aufgrund anderer moralischer Vorstellungen von Toleranz.
Wollte ich nach dem mir höchsten moralischen Maßstab handeln, also dem kategorischen Imperativ folgen, müsste ich das Handeln des jüdischen oder auch des muslimischen Freundes verurteilen, weil es für mich ein Grundrechtseingriff ist, der dem der Klitorektomie moralisch gleicht. Es gibt konsequent gedacht, keinen Grund dies anders zu behandeln und dies Verhalten länger zu tolerieren.
Doch stelle ich damit meine moralischen Vorstellungen und Prinzipien über die des Freundes, maßte mir also an, es besser zu wissen als er und seine jahrtausende alte Tradition, nur weil dies gerade einer aktuellen gesellschaftlichen Mode der Moral entspricht. Vielleicht darum wäre ich vermutlich de facto lieber bescheiden und sagte, was ich darüber denke, klagte aber nicht an, denn wer wäre ich, mich zum moralischen Richter über andere zu machen, auch wenn es mir ganz offensichtlich scheint.
Diese Bescheidenheit in Erkenntnis der eigenen Grenzen ist rechtlich nicht ganz konsequent und vielleicht auch moralisch fragwürdig im Sinne des kategorischen Imperativs aber sicher die menschlichere und sozialverträglichere Variante angesichts der gerade herrschenden Moral.
So muss sich eine Moral eben auch in der Praxis bewähren und Ausgrenzung und Diskriminierung in der Wirkung vermeiden. Es sollte bedacht werden, welche Folgen ein Verbot hätte, wem es nutzte und wem schadete, auch wenn mir moralisch eigentlich alles klar scheint und so ist die rechtliche Umsetzung einer Moral manchmal viel schwieriger, als sie nur konsequent zu denken.
Was dabei die natürliche Moral ist und was eine spätere Sitte nur ist, bleibt schwer zu entscheiden. Die unter Echnaton in Ägypten eingeführte Sitte der Beschneidung hatte dort gute gesundheitliche Gründe. Die Juden übernahmen sie und Mohamed passte sie auch gut in seine Sekte, die aus den anderen vorigen auch noch ein best off zusammen mixte. Diese Ideen sind tausende von Jahren alt, stehen in einer langen Tradition und sind für viele Menschen wichtiger Teil ihrer ganz natürlich gewachsenen Moral, auch wenn diese religiös eben geprägt noch ist, wie bei den meisten Menschen der Erde noch irgendwie.
Wer bin ich, über jahrtausende alte Traditionen aus dem engen Horizont meiner westlichen Sicht, ein moralisches Urteil zu fällen?
Was würde ich sagen, wenn Muslime oder Buddhisten meine lieb gewordenen Traditionen verurteilten und verbieten wollten?
Es ist eine sehr weiche moralische Entscheidung, die mich Toleranz üben lässt gegenüber der Körperverletzung der gläubigen Muslime und Juden an ihren Kindern. So erlaube ich einem irgendwie Gefühl von Toleranz und Bescheidenheit sogar einen Körperverletzung zu legitimieren, auch weil mir das gerade noch relativ opportun erscheint und die Alternativen mir noch weniger gefallen. Das ist juristisch eigentlich sehr unsauber gedacht. Auch der kategorische Imperativ bekommt da Schluckauf vor Schreck. Aber pragmatisch menschlich erscheint es mir gerade dennoch - und jetzt wird es ganz paradox, weil ich in Fragen der Moral eben auch dem Gefühl einfach folge.
Ob das dann am Ende die natürliche Moral ist, die dem Gefühl folgt, statt der Konsequenz der Vernunft, warum auch immer Gefühl natürlicher sein soll als Vernunft, die genauso Teil unserer Natur ist, weiß ich nicht. Denke es ist mal wieder irgendein Kompromiss, den ich eingehe, um so glücklich wie möglich zu leben und darum geht es ja nur, wie ich immer wieder feststelle, auch wenn damit alle Fragen offen bleiben und wir immer weiter beobachten müssen, was sich gerade als moralisch richtig anfühlt oder uns ganz kategorisch so erscheint, wenn wir dem Imperativ vernünftig folgen wollen.
jens tuengerthal 22.1.2017
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