Donnerstag, 12. Oktober 2017
Bunkerhain
Am heimatlichen Platz folgte ich der Raumerstraße bis zur Pappelallee und diese überquerend am noch zu später nächtlicher Stunde beliebten Crossroads vorbei zur Schönhauser Allee, die ich überquerend hier unter der oben auf der grünen Eisentrasse laufenden U-Bahn entlanglief.
Die dort Schaufenster mit der Liebsten in Dublin im Ohr bestaunend, bog ich in die Milastraße ein, der ich bis zur Cantianstraße, auf die sie stößt folgte, um in diese am Friedrich Ludwig Jahn Sportpark entlang links abzubiegen. Damit war ich im Gleimviertel, wenn auch noch nicht in der namensgebenden Gleimstraße auf die ich erst etwas später stieß und der ich dann nach Süden Richtung Gleimtunnel folgte. Dieses Viertel führte auf zwei Seiten durch die Zonengrenze beschränkt zu DDR Zeiten eine Art Inseldasein.
Das rund 22 Hektar große Areal wird durch die Max Schmeling Halle, Mauerpark, Cantian, Gaudi und Eberswalderstraße begrenzt. Das größte Gebäude auf dem Gelände ist das das Jahnstadion, das rund 24.000 Sitzplätze bietet und damit nach dem Olympiastadion bisher das zweitgrößte Stadion der Stadt ist, heute am Mauerpark liegt und früher direkt an der Zonengrenze der DDR in Ostberlin lag. Um das Stadion herum gibt es zahlreiche weitere Sportanlagen für Fußball, Leichtathletik und Tennis. Bevor das Gelände zum Sportplatz wurde, war es noch der Exerzierplatz des preußischen Kaiser Alexander Garde-Grenadier Regiments Nr. 1. Aus dieser Zeit rührt auch noch der Spitzname des Geländes, das Exer genannt wird. Ein anderer Spitzname war Patz der einsamen Pappel nach einer dort einzeln stehenden Schwarzpappel unter der am 26. März 1848 eine der ersten Volksversammlungen im Rahmen der Berliner Märzrevolution stattfand. Ende des 19. Jahrhunderts, als der Platz mittlerweile vollständig von Wohnbebauung umgeben war, wurde die militärische Nutzung aufgegeben und ein Übungsplatz errichtet, der bis 1904 die erste Spielstätte der heute im Olympiastadion spielenden Hertha BSC war, der mittlerweile wieder stabil in der 1. Bundesliga spielenden Berliner Fußballmannschaft. Anläßlich der Weltjugendfestspiele in der DDR folgte der Umbau durch Rudolf Ortner. Zunächst hieß das Gelände noch Berliner sportpark und wurde 1952 zu Ehren von Friedrich Ludwig Jahn umbenannt, dem berühmten Turnvater Jahn, der die Turnerbewegung im Rahmen der Befreiungskriege gegen Napoleon gründete und die Sportarten des Turnens an Reck und Barren entwickelte. Daneben war Jahn auch Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Den ersten Turnplatz hatte Jahn in der Berliner Hasenheide 1811 geschaffen. Die damals vorgeführten Spielarten der Deutschen Turnkunst sind bis heute im Turnbetrieb wiederzufinden, auch seine Begriffe fanden Eingang in die heute noch gültige Terminologie des Geräteturnens. Heutige Fitnessmode nahm bei Turnvater Jahn ihren Anfang, wenn auch zunächst mit klar national preußischer und militärischer Zielrichtung gegen Napoleon nach der vernichtenden Niederlage bei Jena. Das nach Jahn benannte Stadion wurde noch mehrfach saniert und war 2015 der Austragungsort des Finales der UEFA Women’s Chamoions League, was noch die Verlegung eines neuen Rasens sowie neue Sanitäranlagen erforderte, dem internationalen Standard noch zu genügen. Das Stadion ist heute noch Heimstätte des BFC Dynamo, des quasi FC Bayern der DDR, den erfolgreichsten Kickern der DDR Bundesliga. Diese waren als die Mannschaft ihres Ehrenvorsitzenden Erich Mielke, des einstigen Stasi-Chefs in der DDR trotz ihrer großen Erfolge verrufen und es gab immer wieder Gerüchte über Spielmanipulationen. Mittlerweile spielen die Kicker in der Regionalliga und sind auch für unschöne Ausschreitungen ihrer Hooligans etwa bei DFB Pokal Spielen gegen Bundesliga Größen bekannt, wenn auch sportlich wieder etwas besser als nach dem Absturz in die Oberliga nach der Wende. In dem Stadion trat unter anderem auch Michael Jackson einst auf, während Madonna in der direkt benachbarten Max Schmeling Halle sang.
Die Max Schmeling Halle wurde nach dem gleichnamigen Boxer benannt, der zwischen 1930 und 1932 Boxweltmeister im Schwergewicht war. Trotz eines Comebacks durch einen Sieg über Joe Louis 1936 gelang ihm die Rückeroberung des Titels im entscheidenden Kampf von 1938 nicht mehr. Schmeling gilt bis heute als einer der populärsten deutschen Sportler. Die Eröffnung der Halle fand 1996 noch in Anwesenheit des Namensgebers Schmeling statt, der besonders durch die NS Propaganda für Olympia 1936 in Berlin seine hohe Bekanntheit erreichte. Er blieb den Nationalsozialisten gegenüber immer kritisch und wahrte Distanz, ließ sich auch nicht von seiner jüdischen Frau scheiden. Sie ist eine der größten Veranstaltungshallen der Hauptstadt und gehört dem Land. In der Halle finden bis zu 11.900 Menschen Platz. Die Benennung nach Schmeling erfolgte, weil die Halle ursprünglich als Box-Halle für die Berliner Olympia Bewerbung für das Jahr 2000 gedacht war. Es spielten dort viele berühmte Künstler von David Bowie bis Peter Maffay und unzählige mehr. Das Dach der Halle trägt die größte Solarstromanlage auf einem öffentlichen Gebäude in Berlin, die im Jahr bis zu 220 MWh produziert, was dem Verbrauch von etwa 110 Haushalten entspricht und so vermeidet die Anlage jährlich etwa 220 Tonnen Kohlendioxid. Die zu zwei Dritteln im Boden versenkte Halle passt sich dadurch gut in die Umgebung ein und fällt bei Vorbeigehen nicht besonders auf, sieht sogar relativ elegant aus, was bei öffentlichen Hallenbauten immer der Erwähnung wert ist, weil eine seltene Besonderheit. Auf der Halle leben auch Bienenvölker womit der Grüne Eindruck noch bestätigt wird. 2002 gewann die Halle eine Goldmedaille als weltweit architektonisch beste und bestgenutzte Halle und ist seit 2011 mit dem Green Globe für ihr ökologisches Engagement zertifiziert und also ein grünes Ruhmesblatt des Bezirks Pankow, der immerhin auch in seinem grünen Norden ein eigenes Windrad betreibt. Zusätzlich ökologisch günstig wirkt sich das dortige Blockheizkraftwerk aus.
Neben Halle und Stadion tragen im Gleimvierteln noch ein großes Multilex Kino und der Mauerpark zur Volksbelustigung bei, von der auch die zahlreichen Bars und Cafés dort profitieren. Der Mauerpark liegt zwischen den Berliner Stadtbezirken Mitte und Pankow, eigentlich zwischen Prenzlauerberg und Gesundbrunnen. Der Park ist 11.000m² groß und war lange Gegenstand von teils sehr aufgeregten Auseinandersetzungen zwischen Anwohnern, Nutzern, Stadt und den Eigentümern des Geländes auf dem früher der Mauerstreifen der DDR verlief zwischen Bernauer und Eberswalder Straße. Durchquert von der Schwedter Straße, die dort für den Autoverkehr gesperrt wurde, ist er ein Stadtbiotop eigener Art geworden.
An seinem Rand findet jeden Sonntag einer der größten Flohmärkte statt und ihm die berühmtesten Karaoke Konzerte mit den meisten Zuschauern in einer Arena am Rand des Jahn Stadions. Der östliche Teil des Mauerparks gehörte zum sowjetischen Sektor, der westliche zum französischen. Früher lag auf dem französischen Teil des Geländes der Güterbahnhof der Norbahn, der 1877 eröffnet wurde, der später Eberswalder Bahnhof hieß und bereits 1985 geschlossen wurde, da an der Zonengrenze kein Güterkehr mehr stattfand. Die Schwedter Straße, die damals noch durch Äcker der Berliner Hufen führte hieß damals noch Verlorener Weg, was sehr gut zur späteren Nutzung als Grenzstreifen passte, an die noch keiner dachte aber damals beschrieb, wie sich der erst später zur Straße erhobene Feldweg im Nichts zwischen den Feldern verlor. Schon um 1900 kamen die ersten Klagen der Anwohner der zum größten Teil von Proletariern bewohnten Gegend über die untragbaren Zustände auf dem zur freien Nutzung vorgesehenen Geländes. Während östlich der nun Schwedter Straße der Sportplatz entstand, auf dem sich 1896 Herta BSC gründete, wurde westlich der Nordbahnhof als Endbahnhof der Berliner Nordbahn gebaut.
Als 1950 der Stettiner Bahnhof in Nordbahnhof umbenannt wurde, der es noch heute am anderen Ende der Bernauer Straße am Fuß des Berges in Mitte ist, wurde der verbliebene Güterbahnhof in Berlin Eberswalder Straße umbenannt, wie heute noch die nah gelegene Station der U2 auf der Schönhauser Allee heißt, von der ab die Danziger Straße nun Eberswalder Straße heißt, die dann nach dem Mauerpark zur Bernauer Straße wird. Nach dem 13. August 1961 wurde auf dem Streifen die Berliner Mauer zwischen den Bezirken Wedding und Prenzlauerberg errichtet.
Im heutigen Park befand sich der ehemalige Todesstreifen. An der Kreuzung Eberswalder Straße, Schwedter Straße, Bernauer Straße stand zu DDR Zeiten auf der Westberliner Seite einer der bekanntesten Aussichtsplattformen, die den Blick gen Osten ermöglichte. Mein Freund Max, der in der Oderberger Straße diesseits der Mauer groß wurde kannte den Blick auf diese schon im Westen gelegene Plattform von Osten her noch aus Kindertagen, wenn er sie auch im Osten lebend natürlich nie betreten durfte. Da der im französischen Sektor gelegene Güterbahnhof bereits im Westen lag und das schräg zur Schwedter Straße vom Stadion aus abfallende Gelände kaum zu bewachen und zu verteidigen war, erwarb die DDR Regierung 1988 für noch ein sagenhaftes Jahr den östlichen Teil des alten Bahnhofsgeländes und auf einer Länge von einem Kilometer wurde so die Zonengrenze um 50 m gen Westen verschoben. Von der Grenzanlage sind noch rund 300m der ehemaligen Hinterlandmauer erhalten. Nach der Grenzöffnung und der Wiedervereinigung wurde der Mauerstreifen schnell zu einer öffentlich genutzten Grünfläche. Die zu Wendezeiten entstandene Idee eines Grenzstreifens fand schnell zahlreiche Anhänger in der Bevölkerung, die das Gebiet längst vielfältig alternativ nutzte.
Nachdem die Allianz Umweltstiftung umgerechnet rund 4 Millionen Euro für die Gestaltung des Parks zusagte, beschloss der Berliner Senat das im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg gelegene Stück des ehemaligen Güterbahnhofs als Park umzubauen. Am 9. November 1994 wurde der umgestaltete Park eröffnet. Dieser war noch ohne die im Wedding gelegenen Teile des Geländes gestaltet worden, die noch zum Vermögen der Bundesbahn gehörten, von der es 2001 zur Vermarktung an die Vivico ging. Klingt alles kompliziert, ist aber wichtig zum Verständnis des späteren Widerstandes. Das Gebiet wurde damals längst von Mietern als Baustofflager, Gartenmarkt und Flohmarktgelände genutzt.
Über den Park, seine Erweiterung und teilweise Bebauung wird seit Jahren gestritten wie über alle damit am Rande verbundenen Projekte und alle Nutzer, Anwohner und Investoren bekriegen sich aus tiefster Überzeugung im Glauben an die einzig richtige Lösung gegenseitig. Schwieriger wurde es noch dadurch, dass lange die Zuständigkeit für das westliche Gelände des geplanten erweiterten Parks beim Bezirksamt Mitte lag, während Pankow für die östliche Hälfte und den ehemaligen Grenzstreifen zuständig war. Dabei haben sich die Beteiligten zumindest auf eine Alleinzuständigkeit Pankows für das gesamte Gelände geeinigt, was zu einer Grenzverschiebung zwischen den Bezirken führte. Immer noch uneinig, wird der Teil nördlich des Gleimtunnels nun bebaut, während der übrige Teil als Park geplant ist, was den bestehenden erheblich erweitert. Dazu soll der sonntägliche Flohmarkt verkleinert werden, was natürlich Proteste hervorruft, weil sich dieser auch Touristenmagnet ohnehin ständig vergrößert und in die Nachbarschaft wuchert.
Die früher Unruhen in der Walpurgisnacht, die oft im Mauerpark begannen sind heute einem eher Volksfest gewichen, Randale gibt es hier eher nicht mehr. Dafür ist der Park längst eine vielseitig genutzte Freizeitanlage. Im Sommer als Liege- und Spielwiese oder Konzertfläche, im Winter als Rodelbahn vom Stadion den Hang hinab zur Schwedter Straße. Einig werden sich die Beteiligten, die Betroffenen und die sonst Interessierten vermutlich nie - die einen, die sich Wohneigentum am Rand erwarben, fürchten weiter den Lärm aus dem Park, die anderen bangen um die fröhliche Freifläche alternativer Lebensgestaltung, weitere fürchten um ihre Betriebe und ihre Einnahmen auf dem Gelände, jeder hat irgendwie Recht, alle haben Anwälte und es muss auch um kleine Schritte ewig verhandelt werden, weil jeder um seine Interessen kämpft und die ganze Sache aus dem Blick verliert - typisch Berlin eben und darüber thront der Senat, der mit den Bezirken konkurriert, die eigentlich zuständig sind und so passiert ähnlich wenig wie beim BER. All dies stört den Park nicht, in dem immer irgendwas los ist.
Lange Rede über eine Fläche an der ich nun nur nördlich des Gleimtunnels am Kinderbauernhof entlang vorbei lief. Eine Lösung weiß ich auch nicht, aber vielleicht ist das auch gerade gut so und typisch Berlin. Wo nichts so genau feststeht, vieles sich selbst natürlich regelt und anderes einfach untergeht. Hinter dem Kinderbauernhof liegt noch rechter Hand gegenüber der neu gebaute Aldi Markt mit seinem riesigen Parkplatz, der natürlich auch viel Ärger der Bewohner der Gleim-Insel hervorrief, die um ihre Ruhe direkt an den Bahngleisen fürchteten, wenn nun die Massen zu diesem Markt strömen sollten und den denkmalgeschützten Tunnel dazu durchquerten. Der Markt kam, irgendwie läuft es, ist alles nicht so dramatisch geworden, gerüchteweise kaufen auch die einst größten Gegner nun dort ein und so regelt wie immer in Berlin die Zeit manches von allein.
Am streitigen Markt vorbei überquerte ich die Eisenbahnlinien einerseits der Ringbahn und andererseits des Bahnhofs Gesundbrunnen in dessen Richtung ich irgendwie laufen wollte auf der langen eleganten Brückenanlage, die dort Schwedter Steg heißt und die auf die Behnstraße stößt, die dort auch als Brücke erhoben, die zahlreichen Gleisanlagen überquert. Dieser folgte ich, bald wieder ebenerdig, am Gesundbrunnen Center vorbei bis sie in die Brunnenstraße mündet. Der Ortsteil Gesundbrunnen, durch den ich nun lief, war ein altes Arbeiterviertel, auch bedingt durch die dort gelegenen Fabriken zum Eisenbahnbau und anderes mehr. Entsprechend hat er einen hohen Anteil an Migranten. Im Gegensatz zu den oft sehr gut integrierten Türken und Arabern in Neukölln und Kreuzberg, herrscht im früher roten Wedding keine Multikulti Stimmung. Hier dominieren eher Erdogan Anhänger, während in Kreuzberg eher seine Gegner und Kurden, die meist zu letzteren aus guten Gründen zählten, die Mehrheit haben. Sichtbar und spürbar auf den Straßen auch durch viele Kopftücher, misstrauische Blicke älterer Herren und ein raueres Klima.
Das Gesundbrunnen Viertel wird durch Bad-, Brunnenstraße und Bernauer begrenzt und durchquert und stößt im Norden an Wilmersdorf. Der Teil, durch den ich marschierte heißt auch noch Brunnenviertel und wird durch den Bahnhof Gesundbrunnen und das dortige Gesundbrunnen Einkaufszentrum, eine eben typische Shopping Mall, geprägt. Der Name Gesundbrunnen geht auf die Nähe des früheren Luisenbades zurück, das eine mineralhaltige Quelle hatte, an der die Städter kurten. Der Quelle, die nach der so jung und schön verstorbenen Königin Luise benannt wurde, der geborenen von Mecklenburg-Strelitz, soll heilende und jugenderhaltende Wirkung gehabt haben. Die heilende Quelle für die Reichen und Schönen fiel den Interessen der Industrialisierung zum Opfer und ist heute zumindest in der Bibliothek am Luisenbad erhalten und so einem lesenden Kulturort gewichen, die in Berlin einen viel zu geringen Wert haben und hat so zumindest theoretisch eine nachhaltig aufklärerische Wirkung als die vorher genutzte Quelle.
In der Umgebung dieser Quelle entstand nach der einen Richtung der Wedding, der nach dem Vorwerk Weddinge hieß, was sich wiederum nach dem spurlos verschwundenen dort gelegenen Dorf Weddinge nannte und nach der anderen Seite der Gesundbrunnen, nach selbiger Luisenquelle benannt. Daher heißt der Kiez im Berliner Volksmund auch schlicht Pumpe. Das Privileg zur Errichtung einer Heil und Badeanstalt an der Quelle erwarb 1751 der Hofapotheker Heinrich Wilhelm Behm, nach dem die heute noch Behmstraße dort benannt wurde. Die Quelle wurde baulich eingefasst und passende Loggien für bis zu 50 Kurgäste errichtet. Auch König Friedrich II. logierte hier, wenn er auf Truppenbesuch weilte hier mit seinem Gefolge, wenn er mal wieder die nahe gelegenen Attilerieübungsplätze inspizieren wollte. Unbekannt ist, ob er auch auf die Wirkung der Quelle gegen sein Rheuma vertraute oder nur den heimeligen Ort nutzte. Es hieß damals natürlich noch Friedrich Gesundbrunnen.
Als die Anlage 1808 verkauft wurde, erwirkte der Käufer Flittner, ein Medicinal Asessor und Buchhändler, durch seine Beziehungen zum Hof, dass ihm die Umbenennung in Luisenbrunnen gestattet wurde und erhielt sogar ein Schreiben von der da noch lebenden Königin Luise, die später ohne persönliche Leistung als ihren frühen Tod an einer Lungenentzündung und die Trauer ihres Mannes, des Königs Friedrich Wilhelm III. zur preußischen Heiligen stilisiert wurde. Ihre Söhne, die späteren Könige und Kaiser Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm II. trugen auch zu dieser Verklärung bei.
Der Gesundbrunnen wurde 1861 nach Berlin eingemeindet und bildete gemeinsam mit dem Wedding den Wedding genannten Beziirk, der 2001 mit Mitte zur Mitte zusammengelegt wurde. Durch anhaltende Landflucht wurde der Erholungsort Gesundbrunnen ab Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Arbeiterbezirk mit den entsprechenden Mietskasernen, in denen das Industrieproletariat dicht gedrängt lebte. Ab 1900 wurde der Umsteigebahnhof Gesundbrunnen bereits zum Fern-, Ring- und Vorortbahnhof und hat diese multifunktionale Aufgabe bis heute. Aus dem Ortsteil kommt übrigens der Fußballverein Hertha-BSC und viele der hier stammenden Berliner erzählen stolz davon seit Generationen Eisenbahner, AEGler oder Straßenbahner gewesen zu sein. Diese alte Tradition ist immer mehr einer konservativ türkischen Population von Arbeitern gewichen, denen der ehemals rote Wedding und der Blutmai von 1929 so fremd sind wie der Aufstand gegen Erdogan im Sommer 2016.
Während des Nationalsozialismus gab es im Viertel starken Widerstand, bei dem auch viele Menschen ihr Leben lassen mussten, dienen gelegentlich, so namentlich bekannt, an Hauswänden gedacht wird. Mit 25,9% hatte die NSDAP im Wedding ihren niedrigsten Stimmenanteil während die KPD hier auf bis zu 39,1% noch kam. Im Krieg wurden nahezu alle Kirchen und auch sonst sehr viel in diesem auch industriell genutzten Kiez zerstört. Bis zum Mauerbau wurde die Brunnenstraße zur florierenden Haupteinkaufsstraße Berlins, in die auch die Bewohner des sowjetischen Sektors zum einkaufen schnell kamen. Nach dem Mauerbau 1961 endete diese kurze Blüte. Zahlreiche der ab 1961 durch Anwerbeabkommen mit der Türkei eingereiste Arbeiter fanden hier ihr neues Zuhause, was den bis heute hohen Anteil an Migranten erklärt. Warum diese im ehemals roten Wedding im Gegensatz zum multikulturellen Kreuzberg so konservativ religiös wurden, lässt sich wohl schwer durch lokale Gegebenheiten erklären.
Größter Arbeitgeber war im früheren Arbeiterviertel Gesundbrunnen die AEG mit ihren verschiedenen Gliederungen an der Brunnenstraße und in der Ackerstraße. Daneben gab es noch die Druckmaschinenfabrik Rotaprint und die Berliner Maschinenbau AG Louis Schartzkopff. Heute gibt es nur noch Teile der von der Industrie verlassenen schönen Gebäude. Im Viertel selbst ist keinerlei Industrie mehr ansässig.
Die wichtigste und größte Grünanlage ist der Volkspark Humboldthain, der von Gustav Meyer geplant wurde. Zu diesem wollte ich auf meinem Weg, überquerte darum die Brunnenstraße auf Höhe des Bahnhofs um den Aufstieg auf den Bunker zu finden. Der Flakbunker wurde von Kriegsgefangenen während des zweiten Weltkrieges errichtet, war dann zu massiv, um wieder gesprengt zu werden und ist heute der Aussischtspunkt des Volksparks auf dem sich auch zu nächtlicher Stunde noch Gruppen von Jugendlichen treffen, wie ich dort gerade erleben durfte. Schnaufte die Treppen hinauf und ignorierte oben dann, meine liebste Prinzessin im Ohr die zu laut für meinen Geschmack zu schlechte Musik hörenden Gruppen da oben und genoss die Aussicht über die Stadt. Zurück verzichtete ich auf die vom feuchten Laub sehr rutschigen Treppen, da hinauffallen immer weniger schlimm ist als hinabfallen.
Zurück unten im Park ging ich am dort gelegenen zauberhaften Rosengarten vorbei, ignorierte aber völlig im frischen Oktober das auf der anderen Seite gelegene Freibad und folgte auf der gegenüberliegenden Seite nach nun schon über 12 km Fußmarsch der Ramlerstraße, die dann zur Grauenstraße wird und wenn das Grauen ein Ende hat, sich schließlich Wollinerstraße nennte, die vom Gesundbrunnen dann bis zur Zionskirche in Mitte führt. In der Wollinerstraße hatte ich einst meine erste Wohnung als ich über Nacht nach Berlin ziehen musste mit Blick auf den Mauerpark, von dem ich nichts merkte, weil davor ab 5h morgens Betrieb auf dem Schrottplatz davor war. Eine etwas eigenwillige Gegend mit teilweise schönen Altbauten und noch anderen etwas weniger hübschen Bauten der Nachkriegszeit in der Männer mit Kampfhunden misstrauisch schauend in ihren glänzenden Sporthosen mit stark gedehntem Gummizug spazieren gehen und an anderer Stelle eine Gruppe älterer bärtiger Herren mit Bier auf Sofas an der Straße saß und freundlich grüßte. Im Winter sind hier viele Fenster mit sehr bunten blinkenden Lichtern bestückt und der Anteil der Arte Zuschauer hinter den nahezu überall sichtbar laufenden Fernsehern gegenüber den RTL II Freunden dürfte verschwindend gering sein, auch wenn sich der günstigen Mieten wegen langsam eine neue Gruppe Künstler hier ansiedelt.
Kaum die Bernauer Straße überquert wird das Kiezgefühl wieder vertrauter, aus dem neuen Weinladen schwanken freudig erregte Gestalten und plauderten mit stark süddeutschen und hamburgischen Akzent. Es war wieder bunter irgendwie und die Tristesse endete auch an den Schaufenstern, denen ich nach der Zionskirche auf der Kastanienallee mit der Liebsten in Dublin im Ohr noch folgte. So kehrte ich schließlich durch die Pappelallee am Kochhaus und Suhrkamp vorbei, in die Raumerstraße und zum heimatlichen Platz nach 17 km zurück und inzwischen hatte zumindest hier in Berlin schon der nächste Tag begonnen auf den Dublin noch eine Stunde länger wartete, wenn auch vermutlich genauso müde von der dort Seeluft.
jens tuengerthal 11.10.2017
UNESCaus
USA verlassen
Die UNESCO wohl lieber
Da keine Kultur
Der neureiche Trump
Regiert ohne solche stets
Mangels eigener
So bestätigt er
Alle Vorurteile gern
Als zu lauter Narr
Doch in Wirklichkeit
Geht es nur um Israel
Und ihre Nachbarn
Ein alter Konflikt
Wohl biblisch schon zu nennen
Ähnlich langweilig
jens tuengerthal 12.10.2017
Traumfrau
Habe meine Traumfrau gefunden
Obwohl ich vorher nie wusste wie
Sie sein sollte wenn überhaupt
Wer nichts weiß probiert einfach
Hatte ich bis dahin immer wieder
Nun weiß ich das war unnötig
Hätte nur einfach warten müssen
Bis sie mich als Richtigen findet
Die Chemie dann in allem stimmt
Dann hätten mir nicht soviele
Ganz bald wieder gestunken
Oder mich unerfüllt gelassen
Weniger wird immer mehr dir
Wenn du merkst was richtig ist
So reicht eine für ein Leben ganz
Was könnte mir je mehr noch sein
Die Mathematik der Liebe scheint
Wenig logisch wenn dabei immer
Weniger mehr wird gegen jede
Ökonomie noch verstoßend sogar
Doch das täuscht denke ich heute
Liebe ist einfach ein großer Luxus
Der durch die Seltenheit noch viel
Kostbarer für die Beteiligten wird
So habe ich einfach alles nun
In einer von Geist bis Lust stets
Was praktisch und effektiv ist
Mich glücklicher als jemals macht
jens tuengerthal 12.10.2017
Mittwoch, 11. Oktober 2017
Tee Haiku 0041
Immer früher wird
Es nun dunkel in Berlin
Grauer die Tage
Liebe diese Zeit
Herbstlichen Grauens so sehr
Wenn der Tee mundet
Dazu ein Earl Grey
Bergamotte in Grünem Tee
Mit milder Säure
Die Unfallfolge
Im Sturm auf See aus China
Mischte zufällig
Aus zwei Kulturen
China und Italien
Wurde ein Genuß
Glück ist weniger
Als viele immer glauben
Guter Tee genügt
jens tuengerthal 11.10.2017
Weil ich dich liebe
Weil ich dich liebe will ich dir
Schlösser bauen die Burgen
Uns sind und endlich Heimat
Weil ich dich liebe will ich dir
Meine Welt zu Füßen legen
Eine schönere werden lassen
Weil ich dich liebe will ich dir
Ganz gehören am Morgen am
Tag wie in geteilter Nacht
Weil ich dich liebe will ich dir
Glück Würde und Liebe ein
Leben so lang wie möglich schenken
Weil ich dich liebe will ich dir
Den Glauben an dich schenken
Dich zur Schönsten machen
Weil ich dich liebe will ich nur
Dich und habe nichts als mich
Für dich aber den so ganz
Wie ihn noch keine hatte
Weil wir uns lieben
Könnten wir glücklich werden
So wir es wagen einfach
Glücklich zu sein
Mehr wage ich nicht
Zu denken Liebste
© jens tuengerthal 20.11.12
Mittewandern
Prenzlauerberg ist beliebt, Touristen aus der ganzen Welt kommen hierher, um sich zu vergnügen, während ich für gewöhnlich nur vor die Tür trete und schon mitten im Treiben bin, ganz nah genug schon alles habe. Gerade an regnerischen Tagen zieht mich noch weniger in die angeblich so schicke Mitte.
Heute jedoch beschloss ich ein wenig die Spree entlang zu spazieren und flanierte also gen Mitte. Durch die Kulturbrauerei in die Choriner Straße in Richtung des dortigen Lidl, der die besten und günstigsten Pampelmusen hat, was ich als Wort immer noch viel anmutiger als Grapefruit finde.
Leider schloß dieser Supermarkt schon um 21h, was ich eigentlich weiß und so wurde es nichts mit den Pampelmusen heute. Zum Glück habe ich noch eine halbe fürs morgige Frühstück und werde es eben nachholen. Von dort aus aber schon wenige Meter vor dem Bezirk Mitte ging ich am “Lass und Freunde bleiben” Café vorbei den Hügel, den wir hier Berg nennen, hinab in die schicke Mitte.
An der Torstraße, der früheren Stadtmauer, von der als Erhöhung um wenige Zentimeter nur die Straßenbahnschienen inmitten der vierspurigen viel befahrenen Straße blieben, kam ich an der Ecke an dem hippen Franzosen vorbei, vor dem wie immer viele schöne junge Menschen standen, angeregt rauchend in wichtige Gespräche vertieft, zumindest stets bemüht, so zu wirken, womit eigentlich schon alles über diesen Ort gesagt ist, in dem noch mehr schicke junge Leute sitzen - zumindest so schick, wie es in Berlin gerade getragen wird, was immer die Provinz darüber denken mag.
Verweilte nicht versonnen im Anblick der Schönen dort, wozu auch, habe ja die schönste Liebste in Dublin, wobei dies bestätigt zu fühlen doch der Blick immer lohnt. Sondern überquerte bald die beampelte Straße, den anderen dort folgend, gegen meine Gewohnheit nicht das übliche Farbenspiel abwartend, bis über die Straßenbahn - dann wartete ich doch angesichts der anrasenden Blechkolonnen lieber einen Moment vor der zweiten Häfte der stadmauerlichen Torstraße, die so rasend besser die Mitte sichert als jede Mauer, auch wenn der Bezirk regelwidrig eigentlich, schon auf dem Berg begann.
Folgte der Gorrmannstraße bis zur nächsten Ecke, an der noch einige, wenn auch weniger vor der inzwischen nicht mehr ganz so hippen Bar an der Ecke natürlich rauchend standen, was nur erwähnenswert ist, weil immer mehr Bars in Mitte inzwischen das einmal Rauchverbot aufhoben und innen gemütlicher wieder qualmen lassen. An der Ecke bog ich rechts in die Linienstraße ein, der ich bis zur Ecke am Friedhof der Offiziere folgte, an der ich links in die Kleine Rosenthaler Straße wechselte, die, oh Wunder, parallel zur Rosenthaler Straße läuft, welche wiederum früher zum Rosenthaler Tor führte, durch welches noch zur Zeit des Alten Fritz, als er noch ein junger Fritz war, genauer 1743, Moses Mendelssohn seinen Weg nach Berlin fand. Die noch nicht emanzipierten Juden durften damals noch nur von hinten durch das Viehtor die Stadt betreten, so dass der von Dessau und Frankfurt Oder, also von Süden, kommende spätere Philosph, der so viel für die Emanzipation seiner Glaubensbrüder und die Aufklärung tat, die Stadt erst einmal vollständig umlaufen musste.
In der Mitte der Kleinen Rosenthaler bog ich wiederum nach rechts in die Auguststraße ein, der ich an verschiedenen Bars, Galerien und schicken Italienern vorbei bis zur eher kleinen Großen Hamburger Straße folgte. Links hinauf in die Große Hamburger ging ich am alten St. Hedwigs Krankenhaus vorbei auf dessen Dachboden die Nonnenschwestern einst nach der Revoloution von 1848 dem Apotheker Theodor Fontane Unterschlupf boten, obwohl die Barrikade, an der unser später berühmter Schriftsteller und Dichter damals kämpfte, heute etwa auf Höhe des gruseligen Alexa Shopping-Centers als einzige nicht besiegt wurde. So blieb Fontane im Gegensatz zu Virchow in Berlin, der damals gen Erlangen ging und später für viel Geld von den Berlinern zurückgeworben wurde, an dessen alten Arbeitsplatz ich aber erst später vorbeikam.
Passend zur Erinnerung an die 1848er Revolution, bog ich von der ganz schön schmalen großen Hamburger Straße, was ja irgendwie zum sich immer für so schön haltenden Hamburg passt, nach rechts in die Krausnickstraße ab. Bennan nach Heinrich Wilhelm Krausnick, der von 1834 bis 1849 dann dienstältester Berliner Oberbürgermeister war und die Revolutionszeit also als Stadtoberhaupt erlebte. Ab der Krausnickstraße wurde es dann auch wieder liebevoll europäisch, denn ich hatte zugleich die Liebste in Dublin im Ohr.
Die Krausnickstraße mündet dann in die Oranienburgerstraße, kurz vor der heute immer gut bewachten Neuen Synagoge, dem Sitz des Centrum Judaicum, der Heimat jüdischer Geschichte in Berlin. Überquerte die Oranienburger in leicht westlicher Richtung, um in die schräg gegenüberliegende Monbijoustraße zu gelangen. Sie liegt am gleichnamigen Park, in dem auch das ebenso Freibad liegt und der nach dem früher hier gelegenen Schloss Monbijou heißt. Ursprünglich hatte es der große Kurfürst Friedrich Wilhelm das Gelände noch seiner Frau Louise Henriette von Oranien geschenkt, die dort einen Garten nach holländischem Vorbild anlegen ließ, in dem unter anderem die ersten Kartoffeln Brandenburgs wuchsen. Später erbte es seine zweite Frau, die einen Garten mit kleinem Sommerhaus anlegte, die Keimzelle des späteren Schlosses und Schlossparks. In Teilen der Gebäude hatten die vom Großen Kurfürsten eingeladenen Hugenotten noch erste Tapiserien und Strumpffabriken eingerichtet. Unter dem Sohn des Großen Kurfürsten, Friedrich I, der sich später für viel Geld in Königsberg zum ersten preußischen König krönen ließ, der Prachtbauten mochte, wurde das Schloss noch erweitert und ausgebaut und wurde ab Sophie Dorothea, der Mutter des Alten Fritz, der auch mal Kind natürlich war, zur Residenz der Königinnen und später der Königsmutter, die Friedrich noch häufig dort besuchte, häufiger zumindest als seine Ehefrau Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern, die ihm noch der ungeliebte Vater auf Wunsch des Kaisers, dessen Cousine sie war, aufgedrängt hatte. Friedrich ließ, kaum König, das Schloss seiner Mutter durch seinen Hofarchitekten Knobelsdorff, der auch Rheinsberg umbaute und Sanssouci baute, erheblich erweitern. Die Frau vom Nachfolger des Alten Fritz, des dicken Lüderjahn oder Friedrich Wilhelm II. lebte dort noch von ihrem Mann gedemütigt einige Jahre und ab 1820 wurde es zum Museum, erst germanisch slawischer Altertümer und dann unter Wilhelm I, der ab 1870 Kaiser war, wurde es 1877 das Hohenzollernmuseum, in dem der Kult um seine Familie betrieben wurde.
Nun ist aber genug von dem Schloss erzählt, das nicht mehr da ist, von dem ich also nichts sah. Stattdessen schaute ich kurz auf das noch im Rahmen des Lichterfestes bunt mit Bildern angestrahlte Bode Museum und folgte dann, nach rechts abbiegend dem nördlichen Spreeufer. Am Wasser, die Spree entlanglaufen ist oder wäre wunderschön, wenn es denn einen durchgehend angelegten Weg gäbe. An der Friedrichstraße musste ich wieder vom Ufer hinauf zur Brücke steigen und verließ die heimelig matschige Atmosphäre, die mit wenig plappernden Platanen schön bepflanzt und reichlich nach dem heutigen Regen bepfützt war.
Über die Friedrichstraße, der Spree folgend, ging ich den Schiffbauerdamm hinunter, am Berliner Ensemble, dem sogenannten Brecht Theater vorbei, wobei der kleine schwarzwälder Dichter gemeinhin aus durchsichtig politischen Motiven eher überschätzt wird nach meiner Überzeugung, aber es war eben seine Wirkungsstätte lange, folgte ich der Spur der dortigen Kneipen, die sich nahtlos bis zur immer noch ständig vollen Ständigen Vertretung, jener Erinnerung aus Bonner Zeiten, in der es echtes Kölsch gibt, was mich als Weintrinker aber noch nie locken konnte, der ich diesen vergorenen Hopfen gemeinhin für völlig überschätzt halte und kein übermäßiger Freund rheinischer Fröhlichkeit bin, die ich in Berlin eher als Folklore toleriere, wie so viele bunte Seiten unserer Stadt.
Die Spree entlang flanierte ich bis zur Luisenstraße, die von der Charité bis zur dort Marschallbrücke führt und an der ich selbige überquerend an den futuristischen Gebäuden der Abgeordnetenhäuser entlang ging, das dort Marie Elisabeth Lüders Haus heißt, nach der liberalen Sozialpolitikerin, die von 1878 bis 1966 in Berlin lebte und erst in der DDP, nach dem Krieg in der FDP sich stark für Frauen einsetzte. Der Bau wurde von dem Architekten Stephan Braunfels geplant und hat eine öffentlich zugängliche Installation aus Segmenten der Berliner Mauer wie dem Parlament der Bäume.
Der Blick auf den Reichstag und die beiden neugebauten Abgeordnetenhäuser ist eindrucksvoll schön, wie überhaupt die Gegend bis zum Hauptbahnhof, die bis zur Wende nur leeres Grenzgebiet war, eine erstaunlich spannende Wandlung gerade durchmacht. Der Kindergarten des Bundestages, an sich ein faszinierend schöner moderner Bau, verschwindet inzwischen fast hinter den riesigen Abgeordnetenhäusern, dahingestellt ob dies zur Rolle der Kinder im Parlament passt oder eher das Familienleben der Abgeordneten beschreibt.
Folgte dem hier luxuriös und breit ausgebautem Spreeufer noch bis zum Humboldt Hafen, an dem ich, entlang dem hier Neubau der Ebsenzähler von PWC nach rechts abbog. Hier im völligen Neuland für mich, folgte ich erst dem Wasser bis zu einem Bauzaun, der mich auf irgendwie Wegen entlang wieder zum Alexanderufer als nächster Straße führte. Einen Straßennamen, den ich bisher so wenig gehört hatte wie den von der Margarete Steffin Straße, der ich nur kurz folgte, bis mich ein etwas heimlicher Fußweg von hinten auf das Gelände der alten Charité führte. Vorbei am Medizinhistorischen Museum, das natürlich längst geschlossen war, ging ich die alten schönen Klinkerbauten der Klinik rückwärtig bestaunend über das Klinikgelände bis zur Schranke am Ausgang. Traf unterwegs nur einige rauchende Jogginghosenträger, die sich durch diese Uniform als Patienten auswiesen, bis ich am Charité Platz nach links abbiegend auf die Schuhmannstraße kam. Überquerte die Luisenstraße und folgte ihr wieder Richtung Spree noch über die Reinhardstraße hinweg, die am Deutschen Theater vorbei geradeaus auf den Friedrichstadtstadt Palast zu führt, was manches über Kommerz und Kunst auch in dieser Stadt verraten könnte, bis zur Marienstraße, die ich als Flaneur sehr schätze und das nicht nur der Böse Buben Bar an ihrem Anfang oder aus dieser Richtung kommen an ihrem Ende wegen.
Am Ende der Marienstraße links in die Albrechtsstraße die geradewegs auf die Sammlung Boros zuführt. Dort wieder in der Reinhardstraße hat der Medienunternehmer und Kunstmäzen Christian Boros mit seiner Frau Karen Boros im ehemaligen Reichsbahnbunker seine private Sammlung über fünf Etagen ausgestellt und sich oben auf dem nach dem Krieg nicht mehr abreißbaren Massivbetonbau noch eine Wohnung erstellt. Er erwarb den Bunker 2003 und stellt seit dem auf 3000m² in 80 Räumen verschiedene Werke eindrucksvoll aus. Die Präsentationen wechseln nach einigen Jahren wieder.
Über den Bunker, den ich nächtlich nur als dunklen Schatten wahrnahm, erzähle ich nur, als hätte ich ihn gesehen, denn in Wirklichkeit, bog ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite nach links ab, schaute lieber in einige Buchläden und freute mich an den schönen dortigen Auslagen, überquerte die Reinhardstraße auf Höhe der FDP Zentrale, die künftig wohl wieder mehr Beachtung finden wird, hier aber keine Rolle spielte, auch wenn ich liberale Politik in diesem überregelten Land für sehr dringend notwendig halte, der Freiheit wegen, auch wenn alle um ihre Besitzstände fürchtenden nun wieder aufschreien werden, glaube ich, mehr liberale Politik tut diesem Land gerade besser als noch mehr Sozialpolitik.
Statt Politik ging ich nun geradeaus auf den Friedrichstadt Palast zu, jenen noch zu DDR Zeiten 1984 errichteten Bau über dessen Ästhetik ich lieber weniger sagen möchte. Zumindest hat das heute noch Revuetheater modernste Bühnentechnik und ist wohl nach vielen Zuschüssen sehr gut besucht. Es gehört in seiner Branche wohl zu den führenden in ganz Europa. Habe es im Gegensatz zu den beiden benachbarten Theatern noch nie besucht, da mich Revue eher weniger interessiert. Es gab vorher schon einen gleichnamigen Zirkus- und Theaterbau um die Ecke, der dem Neubau dann wich und ihm den Namen gab. Dieser stand auf dem heute Brecht Platz, nach dem überschätzten Dichter benannt und natürlich vor dem BE gelegen. Max Reinhardt hatte den Bau 1918 für die National Theater AG übernommen, oder eigentlich umgekehrt, die übernahm ihn für Reinhardt, damit dieser dort seine monumentalen Inszenierungen gut in Szene setzen konnte. Als 1980 die Bodenpfeiler zu stark verfault waren, die im Berliner Sand jeder große Bau braucht, wurde das inzwischen wieder Revuetheater geschlossen. Noch habe ich ja Hoffnung, dass der grässlich peinliche Berliner Dom, wenn die neue U-Bahne erstmal fährt, endlich einstürzt, damit der alte Schinkelbau anstatt wieder aufgebaut werden könnte. Der neue Friedrichstadt Palast, von 1990 bis 2011 wurde er noch in einem Wort geschrieben, aber das Marketing hat ihn inzwischen wieder geteilt, ist ein riesiges Revuetheater und hat natürlich typisch für Berliner Größe, die gern viel wäre, fast 3000m² bespielbare Gesamtfläche und das größte Bühnenportal Europas, ist aber künstlerisch so interessant wie jedes Revuetheater, bietet eben Unterhaltung mit mehr oder weniger Erotik und Kitsch, der Spiegel nannte es einmal volkseigene Entkleidungstänzer im Frohsinnskombinat und sprach von der Hochbein-Brigade mit altbackenem Revuezauber, worüber sich viele Ossis besonders empörten, ähnlich wie beim einst heiligen Gral, der später zum Ballast der Republik wurde und für den wir heute glücklicherweise das Humboldtforum in klassischer Schlossform wieder bekommen. Heute ist die Leitung vor allem bekannt dafür sich gegen die Diskriminierung von Homosexuellen einzusetzen, unabhängig vom künstlerischen Wert ihrer Produktionen, haben sie sich in Berlin damit gewisse Sympathien geschaffen. Nebenbei betreiben sie noch das größte Kinder- und Jugendensemble ohne darum gleich der Kinderarbeit gescholten zu werden. Dort traten von Louis Armstrong über Charles Aznavour und Josephine Baker bis zu Heinz Rühmann und Claire Waldoff viele berühmte Gäste einst auf.
Trotzdem ignorierte ich ihn wie immer und folgte an seiner Nordseite der Johannisstraße bis zur Tucholskystraße an der Kalkscheune genauso ignorant vorbei flanierend. Links in die Tucholskystraße abbiegend, wie passend, dachte ich gleich, folgte ich dieser über die Oranienburger Straße, in der sich schon seit längerem nicht mehr die Nutten die Füße platt stehen, wodurch sie viel von ihrem vorher Scham verloren hat. Finde Nutten geben einer Großstadt erst den Flair wilder Schönheit statt musealem Kitsch, bieten lebensechte Dienstleistung statt Kettenstandard, auch wenn ich kein Bedürfnis habe, diese Angebote je wieder zu nutzen außer literarisch. Bog nach dem was nicht war von der Tucholsky wieder in die Augustraße ein und ging diesmalan der nur namentlich großen Großen Hamburger Straße links zum Koppenplatz ab, der auch ein sehr schönes Berliner Ensemble bildet. Bekannt wurde dieser Platz vor allem durch den hier von 1704 bis 1853 befindlichen Armenfriedhof, von dem allerdings nur noch das Grab des Namensgebers verblieben ist und stattdessen typischer Spielplatz und Parkatmosphäre wich. Der Namensgeber Christian Koppe hatte den Platz in der Spandauer Vorstadt, die da noch Scheunenviertel hieß, 1696 gekauft und der Stadt 1704 als Armenfriedhof übergeben. Der Friedhof war damals deutlich größer als der Platz heute und wurde noch durch die Kleine Auguststraße im Osten begrenzt und ging bis zur Auguststraße im Süden. Koppe ließ 1708 noch ein Armenhaus für die Frauen der Auguststraße errichten und wurde auf eigenen Wunsch hins nach seinem Tod 1721 selbst auf seinem Armenfriedhof beigesetzt. Ansonsten wurden hier auch die meisten Selbstmörder beigesetzt, denen die so christlichen Friedhöfe die Beerdigung verweigerten. Einzig das Grab des einzigen nicht Armen dort eben Koppe blieb bis heute. Über den Friedhof und das benachbarte Leichenschauhaus, genannt das Thürmchen, schrieb Karl Gutzkow noch und so fanden diese auch Eingang in die Berliner Literatur. Er beschreibt darin wie die frischen Toten aus der Anatomie, vorzugsweise die Selbstmörder der letzten Nacht mit den quietschenden Karren die Linienstraße entlang zum Thürmchen zur Obduktion gerollt wurden.
Vom Koppenplatz aus, flanierte ich die Linienstraße entlang noch mit der Liebsten in Dublin im Ohr, zurück bis zur Gorrmannstraße und dann wieder nach der Überquerung der nicht mehr existenten Stadtmauer in der Torstraße an der zumindest Ampel durch die Choriner Straße den Berg hinauf. Das Viertel vom ehemaligen Viehtor am heute Rosenthaler Platz bis zum Alex spielt in Berlin Alexanderplatz eine große Rolle und widmete sich noch mehr der Prostitution und den ihr naheliegenden Gewerben als die Oranienburger zu besten Zeit je. Aber das ist lange vorbei, heute gibt es mehr Läden mit teuren Dingen, die keiner braucht aber umso schöner sind.
Oben auf dem Berg, der eher ein Hügel noch ist aber halt Berg heißt und unserer darum ist, uns zu Bergbewohnern macht, dann aber, nach Überquerung der Schönhauser Allee, tauchte der Flaneur und manchmal Dichter in die Kulturbrauerei und besuchte den dortigen auch nach 23h noch offenen Supermarkt, um mit 6kg Spekulatius beladen schließlich den Heimweg zum Helmholtzplatz anzutreten, ohne sich von irgendwelcher Kultur in der ehemaligen Schultheiß Brauerei anwehen zu lassen, sehe ich von den dort nach dem Konzert berauscht herumlungernden Besuchern einmal ab.
Durch die Nacht durch Berlin, erreichte ich die heimischen Tee Kannen nach knapp 15km und zweieinhalb Stunden Fußweg wieder selig noch die Liebste in Dublin im Ohr. Manchmal erstaunt es mich doch wie viel ich sehe oder sehen könnte, wenn ich nur durch die nähere Umgebung der Stadt ein wenig flaniere und wie viel habe ich davon schon wieder nicht erzählt, obwohl es mindestens genauso schöne Geschichten wären, wie etwa die von Clärchens Ballhaus oder der vieler Kunstorte in Mitte aber nun graut bald der Morgen und es ist genug erzählt vom Flaneur der Nacht in der Stadt voller Geschichten
jens tuengerthal 11.10.2017
Dienstag, 10. Oktober 2017
Suchtsuche
Manche diese auch noch im Glück
Besonders eifrig dabei ihre Liebe mit
Eifersucht als Probe zu zerstören
Frage mich immer warum sie dies tun
Doch gibt es in der Liebe kein warum
So wenig wie ein wieso nicht was ich
Aus Erfahrung eigentlich wissen könnte
Ist es Masochismus der Misstrauen noch
Zur Verzweiflung verführt oder sind es
Wirklich wie behauptet Selbstzweifel
Oder ehrlicher noch immer Eitelkeit nur
Eifersucht quält alle ohne ein Ziel als
Die Erfüllung dunkler Prophezeiung die
Keinen Grund hat als die eben Eifersucht
Als kranken Zweifel stets zu bestätigen
Es gibt keine Gründe für Eifersucht
Wenn die Liebe glücklich ist gibt es
Keine Gründe an anderes zu denken
Wenn unglücklich hilft sie noch weniger
Woher rührt die Sucht nach Schmerz
Die manche im Wahn leben lässt sie
Fänden mit Eifer auf der Suche nach
Fehlern die Liebe jemals wieder
Eifersucht ist ein kleinliches Gefühl
Besitzdenken im Bereich der Liebe
Wo Freiheit sich Flügel geben soll
Ist sie der Wunsch nach Zerstörung
Kenne sie schon lange nicht mehr
Habe sie aufgegeben um frei zu sein
Was erst wirklich glücklich machen kann
Hüte lieber die Liebe als ihr Ende
Eifersucht nämlich ist der Liebe Tod
Wer besitzen will gönnt nicht mehr
Möchte Herrschaft statt Zuneigung
Schafft nie etwas Gutes im Leben
Was nur lässt so süchtig suchen
Was das geliebte Glück zerstört
Was Schmerzen nur bringen kann
Was am Ende stets einsam macht
Die ich liebe soll fliegen können
Möchte ihr immer Flügel verleihen
Hoffnungsvoll sie fliegt damit zu mir
Mehr will ich nie mehr gibt es nie
jens tuengerthal 10.10.2017
Fernlustsprecher
Erst hießen sie noch Telefone
Dann wurden sie auf denglisch
Handy peinlich genug genannt
Wie glücklich aber machen sie
Die Liebenden schon lange die
Sich stundenlang fast nicht sagen
Aber selig die Nähe genießen
Jene knisternde Illusion von
Gegenwart die sie im Ohr schaffen
Den Abwesenden uns näher bringt
Ferne für Momente vergessen lässt
So wanderte ich heute endlich wieder
Mit der Liebsten im Ohr durch die Stadt
Wir betrachteten fernmündlich Schaufenster
Erzählten uns von Tag und Gegenwart
Besonders aber wurde es als die Lust
Sich hörend wieder erwachte wir uns
Ganz wollten und noch warten mussten
Real ohnehin und virtuell ein wenig
Fast schlief die Liebste schon ein
Bis ich im Berliner Regen heim kam
Endlich allein schlief sie tatsächlich
Erwachte erst später wieder ganz
Schickten uns in die nah gefühlte
Ferne Bilder voller Lust voneinander
Ließen das Begehren sichtbar wachsen
Versicherten uns unsere große Lust
Nahm dich so in Worten endlich wieder
Genoss deine Erregung zu hören auch
Wenn du schon ganz müde wohl warst
Kamen wir wieder innig zusammen
Alles fließt in der Liebe wie im Leben
Manchmal laufen wir über vor Glück
Dich dich in der Ferne streichelnd
Zu wissen war schönste Lust mir
So finden wir uns auch ohne Raum
In den nur Worten ganz miteinander
Drang ich wörtlich wie sonst in dich
Nahmst du mich voll Freude auf
Dem Überschwang folgte noch mehr
Die Zärtlichkeit voller Liebe erfüllt
Nach der großen Leidenschaft bleibt
Dankbarkeit für den Fernlustsprecher
jens tuengerthal 9.10.2017
Montag, 9. Oktober 2017
Zweifellos
Ach du meine Liebste wisse
Ich will dich ganz zweifellos
Weil ich dich jetzt schon vermisse
Sitzt mir im Hals ein dicker Klos
Deine Zweifel ganz alleine sind's
Die mich in den Wahnsinn treiben
Wo ich doch so sicher bin du bist’s
Bei dieser will ich immer bleiben
Du zweifelst ganz allein an dir
Sagst du zur Beruhigung immer
Allein dafür fehlt alles Verständnis mir
Denn die Liebe irrt doch nimmer
Ach wüsste ich nur einen Trick
Um die Zweifel wieder einzufangen
Wäre alles mit uns immer schick
Müsst ich nicht stets um dich bangen
Willst im Wahn mich zu befreien
Schmerzvoll aus dem Leben gehen
Und ich möcht vor Angst laut schreien
Immer dir in Not zur Seite stehen
Viele Wege enden wohl im Nichts
Nie kamen alle Narren nach Rom
Fürchte das Scheitern des Wichts
Im immer beliebigen nur Strom
Dort sind Partner austauschbar
Du aber bist mir mehr so einmalig
Was ich sage mein ich so ist wahr
So richtig auf Dauer nicht nur zeitweilig
Das klingt eher wohl altmodisch heute
Wo sich Begattungspartner online finden
Wie wir einst was immer es bedeute
Möchte mich nicht mehr suchend winden
Zufrieden zu haben ist zweifellos
Das Schönste was passieren kann
Hab ich und änder nichts mehr groß
Im Leben, bleib lieber an dir dran
Muss nur noch das Zaubern lernen
Deine ewigen Zweifel zu zerstreuen
Um nah zu genießen auch in Fernen
Was ich mit dir nie werd bereuen
Komm mit und zu dir auch mal
Elektrisch weil mit besser ist als ohne
Bin lieber dein Fels als der Marterpfahl
Deines Leids wenn ich in dir wohne
Wir zwei wollen nur das eine
Auch wenn manchmal uneinig
Will ich nur dich und sonst keine
Sei einfach endlich zweifellos
Das reimte sich am Ende nicht
Was völlig egal mir auch ist
Solange wir es noch tun voll Lust
Ist alle Dichtung doch nur Mist
jens tuengerthal 9.10.2017
Lichterfest 02
Gelaufen das Lichterfest
In Ruhe bestaunt
Zuerst zum Bode
Wo nette Bilder zur Spee
In die Nacht leuchten
Weiter zum Palais
Am Festungsgraben heute
Vielfach bunt leuchtend
Die Linden hinab
Humboldt strahlend bestaunen
Weiter Richtung Tor
Freiheit und Liebe
Vielfältig großartig dort
Zeichen und Worte
Durch das Tor hindurch
Gen Potsdamer Platz laufen
Vorher noch gestaunt
Am Platz nur Blumen
Auf den Boden projiziert
Lächeln und weiter
Wieder gen Osten
Finanzministerium
Mit Geld und Europa
Das Konzerthaus
Am Gendarmenmarkt
Rauschte mit Wasser
Das Schloss bestrahlt
Wirkte eher etwas blass
Mehr kam vom Hotel
Doch gegenüber
Am Stadthaus gen Spree kamen
Tiere in die Stadt
Aus der Wildnis dann
Ins Nikolaiviertel zur
Ebenso Kirche
Die Partnerstädte
Dort illuminiert am Turm
Sehr nette Idee
Der Fernsehturm selbst
Eher langweilig mit meist
Besucherbildern
Ein netter Weg wohl
Doch leuchtete mein Berlin
Auch schon mal schöner
Besuch lohnt sicher
Für alle Neulinge dort
Sonst wohl weniger
jens tuengerthal 8.10.2017
Sonntag, 8. Oktober 2017
Freiheitsangst
Ähnliches gilt für Ungarn, die Slowakei, Tschechien und auch zu große Teile des Balkan. Überall dort ist der Hass aufeinander noch größer als die Angst vor Kriegen und der Respekt vor der Freiheit aller Menschen, die Freude an dem was Europa ausmacht.
Die dort gewählten Regierungen fördern Vorurteile und Rassismus in der Bevölkerung und in Polen wirkt noch die Bischofskonferenz in diese ungute Richtung mit. Es fehlt eine demokratische Tradition wie sie der Rest der EU seit 1945 pflegt und teilweise mühsam lernte.
Auch die deutsch-französische Freundschaft war ein langer Lernprozess, in dem Vorurteile abgebaut und Gemeinsamkeiten immer wieder betont und wiederholt werden müssen. Ganze Generationen wuchsen noch mit den Sprüchen der Großeltern über die Nachbarn auf, ob das im Norden gegen die Holländer ging oder im Westen gegen den Franzosen.
So sind sie halt die Franzosen oder sogar im Singular der Krieger, so ist er der Franzos oder der Tommy, waren Sprüche, die in meiner Schulzeit noch vielen leicht über die Lippen gingen und ganz genauso ging es den Franzosen und es war ein harter langfristiger Prozess, gegen diese Vorurteile anzukämpfen, ist es teilweise bis heute und die neuesten Abspaltungsbewegungen etwa der aufgehetzt, irre gewordenen Katalanen oder bald wieder der Nordiren und Schotten, der Norditaliener gegen den Süden, zeugen davon, dass die unsinnige Vereinzelung immer noch Menschen motiviert, sich zu hassen und gegeneinander zu hetzen, auch wenn sie eben noch Nachbarn waren.
In Deutschland gab es mal die Bewegung Freies Franken, die von Bayern loskommen wollten, denn sogar die Friesen, deren Freiheit länger schon verbrieft ist, als Deutschland überhaupt existiert, kämpfen nicht mit unsinniger Gewalt gegen den Staat, der sie vereinnahmte - es geht einfach allen zu gut hier und so fragt sich, ob es den Menschen in Polen und Ungarn so schlecht geht, dass sie den Einflüsterungen der Populisten so leicht anheimfallen, sie blöder sind als der Rest Europas oder einfach der Mut fehlt, die Dinge beim Namen zu nennen.
Für Europa wäre es rein ökonomisch eine Freude, die Polen mit den Briten zusammen los zu werden. Die einen, das Inselvolk in Britannien, zumindest soweit es die englische Mittelklasse allein betraf, zahlen und wollten darum gehen, weil sie falschen Versprechungen glaubten, die sie teuer zu stehen kommen werden. Die anderen aus dem alten Osten sind Empfängerländer besonders in der Landwirtschaft ansonsten wenig produktiv an Europa beteiligt, zu dem sie nur kulturell einfach gehören, auch wenn sie dessen gewachsene Traditionen brutal ignorieren.
Auf Polen und Ungarn zu verzichten, täte der Gemeinschaft ökonomisch gut, wenn nun noch der undurchsichtige ungarische Potentat die Kosten für seinen Grenzzaun der Gemeinschaft aufdrängen will, wird der Abschied vielen immer leichter fallen.
Dies ist ein katastrophaler Zustand für Europa und seine auf Wachstum und Vereinigung setzende Gemeinschaft, die durch das Lernen am Vorbild die anderen mitnehmen will auf die Straße des Rechtsstaats und der Gerechtigkeit.
Vermutlich wünschen sich viel mehr Polen zu Europa zu gehören als der noch Regierung zustimmen - gerade aber die konservative ländliche Bevölkerung wählt von den Priestern beraten weiter konservativ und stärkt die europafeindlich agierende Regierung, die kassieren möchte ohne gemeinschaftliche Pflichten zu übernehmen, weil sie die europäischen Prinzipien scheinbar nicht verstanden haben.
Während meines Jurastudiums wurde der Vertrag von Maastricht noch unter Kohl geschlossen, der damit seine und Mitterrands Version vom einigen Europa realisierte, dass immer mehr zu einem Staat zusammenwächst, Frieden, Wohlstand und Sicherheit bietet.
Manche gerade im Osten auch unseres Landes fürchten um ihre Sicherheit mehr, als sie noch die Chancen der Gemeinschaft erkennen. Verspielen die Grundwerte der Union, um ihren Ängsten zu genügen und die Vorurteile ihrer Wähler zu pflegen.
Keiner will ein islamistisches Europa, es ist auch nicht ersichtlich, warum und wo diese Gefahr bestehen sollte. Auch wenn der Krieg gegen die Islamisten, die das Land hinter der Küste Syriens besetzten, noch 30 Jahre dauern sollte und zu einem Zerfall der ganzen Region führt, wird dies nichts an der Struktur und den Prinzipien Europas ändern können.
Wer Europa sichern will, muss für Europa und seine Prinzipien kämpfen, zu denen Toleranz und Freiheit genauso gehören wie das Grundrecht auf Asyl. Alle die an diesen Prinzipien sägen, bringen das Gebäude als Ganzes ins Wanken und haben in der Gemeinschaft nichts verloren, deren Kern Frankreich, Deutschland, Italien, die Beneluxstaaten und Teile Skandinaviens bilden. Spanien ist seit Francos Tod auch ein treuer Partner und Griechenland als in vielem Quelle unserer Kultur gehört auch dazu. Die anderen, einschließlich Russland und der Ukraine, dürfen mitspielen, wenn sie sich an die Regeln halten, die sich Europa über viele Jahre erarbeitete.
Polen und Ungarn sind unter ihrer derzeitigen Regierung nur noch ein Störfaktor in der EU und ein Kostenfaktor dazu. Es bedarf nach dem zumindest vorübergehenden Abschied der Briten gute Gründe diese Kostgänger weiter zu finanzieren, die sich nicht an die Regeln der gerechten und sozialen solidarischen Gemeinschaft halten wollen, ihre Völker gegen andere Bürger aufhetzen.
Dies klar zu benennen, heißt nicht, sie rauswerfen zu wollen - Polen ist ein Teil Europas wie Ungarn länger ein Teil Österreichs war, als es die EU gibt - aber es heißt, Prioritäten zu erkennen und hoffentlich auch schnell setzen. Die kluge deutsche Kanzlerin hat das richtig erkannt und strategisch klug in dieser Hinsicht gehandelt.
Natürlich spricht keiner von Strafen für diejenigen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, da die EU lieber Geld verteilt und nur die Kosten umlegt und verteilt. Wenn Flüchtlinge und die für sie nötige Integrationsarbeit finanziell lohnend werden, wird auch Bayern seinen Obergrenzenwahn schnell beenden.
Statt Milliarden in die Inflationsprävention zu investieren, wie es die EZB derzeit tut, wirkte ein winzig kleiner Teil dieser Summe in die nachhaltige Integration und Perspektive investiert dauerhafte Wunder.
Woher soll das Geld kommen, wenn es keinen wirtschaftlichen Wert schöpft?
Aus noch aufzulegenden Fonds für Integration und Zukunft, die Werte der EU verteidigen und damit dauerhaft mehr Sicherheit weltweit gewinnen, würden die Staaten bezahlt, die Flüchtlinge aufnehmen und so würde der Milch und Butterberg der EU umgebaut in einen sozialen Ausgleichsstrom.
Italien und Griechenland bekämen reichlich Zuschüsse, die dafür Polen und Ungarn gestrichen würden, auch wenn es keiner so direkt sagen würde, betreibt die Kanzlerin seit Beginn der Krise konsequent diese kluge und weitsichtige Politik, auch wenn es ihr noch nicht wirklich gelang, diese erfolgreich zu kommunizieren, wird sie sich doch auf Dauer mit großem Erfolg durchsetzen.
Es muss sich lohnen, in Europa sozialer zu sein als die Nachbarn und mehr Menschen aufzunehmen. Darüber wird sich schnell geeinigt werden können. Da die Mittel logisch beschränkt sind, werden sie dafür an der Stelle gestrichen, wo sie schon lange nur ein unproduktiver überbezahlter Kostenfaktor des gemeinsamen Marktes sind. Wer da nicht an die Landwirtschaft denkt, von der Polen noch lebt, braucht gute Gründe.
Bismarck spielte noch mit Zuckerbrot und Peitsche. Trump und Putin verstehen auch diese Sprache scheinbar am besten und verursachen infolge riesige Kollateralschäden an den Rändern ihres Einflussgebietes, ohne davon einen langfristigen diplomatischen Gewinn zu haben. Es wurde diese Methode heute eher zu einem absurden viel Lärm um nichts. In der heutigen Welt gibt es nur langsame Veränderungen auf dem Verhandlungswege, die dauerhaft Erfolg versprechen. Kriege kosten nur und werden höchstens noch zur Eindämmung von Gefahrenquellen geführt. Eroberung von Land wird in der völkerrechtlich geregelten Welt zur unrealistischen Vision.
Die Kanzlerin und ihre klügeren Kollegen haben dies begriffen. Sie kämpfen nicht mehr gegen das System sondern nutzen seine natürliche Bewegung lieber für sich aus. Wozu gegen den Strom strampeln und kämpfen oder Konfrontationen riskieren, wenn ich ohne viel weiter komme,
Europa wird in der Flüchtlingsfrage entscheiden und regeln. Damit sich keiner erschreckt, wird es dies über Zuschüsse und Kostenbeteiligung tun. Dem werden alle zustimmen können. Wer sich hier verweigert, kann gleich gehen, weil er Europa nicht verstanden hat, in dem es immer um die Erlangung von Förderung geht. Das wissen auch die Polen und Ungarn, die sich nur dagegen wehren, dass welche zu ihnen kommen, weil sie leichtsinnig ihr Volk auf diesen verfehlten Pfad gelockt haben.
Bei der Neuverteilung der Mittel werden die Geberländer entscheiden und die hohen Aufwendungen die Europa zur Integration und Aufnahme von Flüchtlingen tätigt, müssen relativiert und umgesetzt werden. Dies wird ein Deal wie jener mit der Türkei, dem Schurkenstaat, der sich aber noch relativ gut an seine Verträge hält, weil die Türkei ohne die Gelder und die Beteiligung aus Europa längst pleite wäre, keine Perspektive hätte, da der wahnsinnige Herrscher sich aus Angst vor Opposition der besten Köpfe seiner Eliten selbst beraubt, was zwar die Unterwanderung des an sich laizistischen Staates mit Islamisten fördert aber letztlich doch keinen Gewinn bringt wie all dieser aus der Zeit gefallene Aberglaube.
Könnte darauf wetten, dass der islamische Terror so bald ausstirbt, wie wir nicht mehr auf arabisches Öl angewiesen sind und sich diese relativ unterentwickelten Räubervölker aus der Wüste danach entweder auf den Weg zur Vernunft machen oder die verbliebenen Staaten in sich zerfallen, wenn sie sich nicht in ewigen Fehden um die wahre Lehre untereinander weiter ausrotten. Aber das ist nicht Thema hier und also auch nicht, ob dann die wesentlich ältere persische Kultur wieder aufsteigt, wenn der primitive Aberglaube Mohammeds der Vernunft weicht. Dies sind Fragen der Zukunft, um die es aber vorliegend weniger geht, doch machen sie deutlich, zu welch irrationalem Handeln sich Menschen verleiten lassen, sobald ihr Aberglaube eine Rolle spielt.
Wie sich am Beispiel Polens zeigt, kann das Spiel auch der Kirche mit der Angst im Volk immer noch erstaunlich viele Menschen zu völlig unsinnigen Aktionen bewegen, die schon an sich eine contra dictio der eigenen Ideen sind. Die christliche Nächstenliebe auf die Vaterlandsliebe umlenken und diese sinnfrei pathologische Richtung noch durch Hass und Angst gegen andere Menschen verstärken, belegt schon einen hohen Grad der Verwirrung, der fast an den kranken Rassenwahn im Deutschland nach 1933 erinnert, medizinisch betrachtet.
Ob das Geld alle Fragen löst, wird die Zukunft zeigen. Es braucht dazu auch Führer an der Spitze der Staaten vom Kaliber einer Angela Merkel, die richtig die Fragen der Zeit erkennen, weiterdenken, langfristig eine solidarische Rechnung für alle aufmachen, bei der sich gutes Handeln auszahlt, während der Verstoß gegen die Regeln infolge also nur indirekt mit Geldentzug bestraft wird, das den sich konform verhaltenden wieder mehr zufließt.
Wir retten gern Rom und Athen, wenn sie uns weiterhin die Probleme vom Hals halten, würde keiner offiziell sagen, solch undiplomatischer Ton wäre verpönt, aber im Ergebnis bleibt es so.
Ob zur Belohnung, nachdem Erdogan in seinem religiösen Wahn und seiner längst pathologischen Verfolgungsangst die Türkei zugrunde richtete und diese zerfiel, das viel ältere Byzanz wieder griechisch wird oder eine europäische Kapitale multikultureller Prägung unter zentraler Verwaltung, wird die Zeit zeigen. Das Ende des Kalten Krieges hat gezeigt, dass keine Grenze für die Ewigkeit sein muss.
Das immer laizistischere Europa kann dem letzten Gefecht der Sekte Islam in Ruhe zusehen und sollte dann dort nachhaltig investieren, wo die Leerstellen blieben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass mit hilfe der NATO dort langfristig die Kurden als immer zuverlässigster Partner im Kampf gegen den Terror und liberalstes Volk der ganzen Region als Friedensmacht aufgebaut werden, deren Liberalität und Freiheit für Frauen und Männer dann auf die Nachbarn ausstrahlt.
Es geht um keinen Kampf der Kulturen, sondern eine Ökonomie der Freiheit und die Herrschaft der Vernunft infolge ohne jeden religiösen Fanatismus. Wer die Angst herrschen lässt, wie es alle Weltreligionen tun auf die eine oder andere Art wird keine Perspektive an der Macht haben. So gesehen muss uns Polen keine Angst machen, wenn sie nicht begreifen, wie Europa moralisch und finanziell organisiert ist, werden sie erst finanziell in die Schranken gewiesen, denn sie brauchen Europa dringender als umgekehrt, oder durch die gemeinsame Aufnahme der Ukraine mit Russlands zu einem unwichtigen Provinzchen gemacht, das wo nötig überstimmt wird.
Die Zollunion mit Russland und langfristig China wird die Supermacht auf Abwegen im Westen auch langfristig und nachhaltig disziplinieren und zu einem gemeinschaftlichen Gleichgewicht der Kräfte führen, bis alle Staaten der Welt Mitglied in dieser EU werden wollen, die dann in UU, United Union, umbenannt wird, weil es keine Vereinten Nationen mehr braucht, wo die Nationen und ihr entscheidendes Merkmal die finanzielle Hoheit aufhörte zu existieren und der Rest ist nur noch Folklore.
Das bessere System setzt sich durch und ist langfristig nachhaltig erfolgreicher. Zwar können kleine Diktatoren und Fanatiker kurzzeitig einen Wahn erzeugen, der ein Volk zu völlig unsinnigen Entscheidungen bringt, aber auf Dauer siegt doch das Gute und Richtige System der Freiheit weil es überlegen und besser ist als der billige Populismus, der auf Hass und Angst setzt.
Warum das Christentum mit seiner Philosophie der Angst mit dem gleichzeitigen Angebot der Erlösung lange so erfolgreich war, müsste jedem vernünftig denkenden Menschen rätselhaft erscheinen, ginge es dabei nicht weniger um den Aberglauben, der im Vordergrund steht als die Macht im Hintergrund, die sich immer schon seiner bedient.
Seit Kant spätestens kann jeder Mensch wissen, dass moralisches Handeln keiner Götter bedarf, diese im Gegenteil sogar ein solches ausschließen der Logik nach, also für ein gutes Leben entbehrlich sind. Dennoch hat es sich noch nicht auf der ganzen Welt herumgesprochen und die Regierungen hüten sich davor den Menschen ihren Aberglauben konsequent auszureden, weil dieser viele noch gefügig hält und leichter integrierbar macht.
Der Schritt zur moralischen Autonomie des kategorischen Imperativs bedarf einer hohen Fähigkeit zur Abstraktion und großer Bildung, um diese Freiheit würdigen und genießen zu können. Dies ist natürlich für alle Menschen erstrebenswert und sollte jedem Volk zugetraut werden, doch solange dieser Wunsch theoretisch bleibt, wird Europa Polen irgendwie zu behandeln wissen, damit es zurück zur Freiheit findet, denn noch ist Polen nicht verloren.
Die entweder Zange zwischen Russland und Westeuropa, die Polen zur Räson bringen könnte oder die Verschiebung so großer Summen zur Integration, dass wenig für Landwirte übrig bleibt, sind hier das Mittel der Wahl - noch hat Polen nicht verloren und kann wieder mitspielen, was sonst aus ihm wird, kann auf lange Sicht wohl keiner sicher sagen, sind doch alle Grenzen immer nur relative Festlegungen der Zeit und wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt, verliert sich auch schnell zwischen diesen ganz.
Wünschen wir den polnischen Nachbarn, dass sie bald wieder den guten Weg nach Europa finden, denn was würde sonst aus dieser autonomen katholischen Region zwischen Westeuropa und Russland wohl werden?
Bis dahin heißt es weiter, lächeln und Geld verteilen
jens tuengerthal 8.10.2017
Lichterfest 01
In der Kulturbrauerei
Als Werbeaktion
Nach Mitte laufen
Durch die Nacht durch den Regen
Lichter im Dunkeln
Im Hackeschen Hof
Leuchten Figuren und Wand
Im nieseln bestaunt
Zum Lustgarten dann
Eher feuchtfröhlich der Dom
Schöner beleuchtet
An der Staatsoper
Letzte Lichter genossen
Um zwölf war Ende
Wieder Berg hinauf
Durch die Nacht durch den Regen
Erfüllt noch vom Licht
jens tuengerthal 7.10.2017
Samstag, 7. Oktober 2017
Fluglauf
Von der Abflugbaracke der irischen Billigfluglinie, die gerade vor allem durch Streichungen berühmt wurde, ging es über den nur teuer zu bezahlenden Parkplatz, als seien wir wirklich an einem großstädtischen Flughafen und nicht nur auf einem irgendwie Festivalgelände in tiefster Provinz, wie er eher aussah in seiner realen Schlammhaftigkeit. Der sich anschließenden vierspurigen Straße mit Grünstreifen inmitten folgte ich in östlicher Richtung zunächst weiter als nötig, obwohl sie von typisch vorstädtischer Hässlichkeit außer einer sichtbar alten Kirche, die noch aus Zisterzienser Zeiten stammen könnte, nichts zu bieten hatte als Leihwagenhändler, Imbissbuden, Bordells, Tankstellen und ein Hotel. Flughafenumgebung, hingestreut und nicht gewachsen, zum schnellen durchqueren und vergessen.
Hinter dem Hotel hätte ich sofort links gemusst, was ich übersah, warum ich erst im zweiten Versuch die rostige Brücke über die Bahngleise bestieg, die schon zu DDR Zeiten alt geworden sein könnte.
Kaum kam ich die Brücke hinab, war ich mitten in Brandenburg, tiefste Provinz mit noch gewölbten Straßen, wenn nicht nur bessere Feldwege zu den Einfamilienhäusern dort führten, an Fischteichen vorbei, die wunderbar baumumstanden, die idyllische Atmosphäre noch verstärkten. Alt Schönefeld hat seine Reize, zumindest solange ich es als Wandere,r von der Schnellstraße kommend, durchquere und nicht dort leben muss.
Mütter mit Kinderwagen und Hundehalter kamen mir entgegen, alle den irgendwie Fremdling dort bestaunend als sei ich ein unerwünschter Flüchtling, der ich mit Wanderstiefeln und Rucksack, ansonsten aber ziemlich zivil durch den Ort flanierte, nur ganz in Schwarz halt, wie meist. Ob daraus geschlossen werden kann, dass den Märkern alles Schwarze erstmal suspekt ist, weiß ich nicht - willkommen fühlte ich mich auf den ersten Blick nicht in den noch der Straße folgend zu durchquerenden Dörfern Brandenburgs.
Dies entspräche wohl auch dem Charakter der märkischen Landbevölkerung wie Fontane sie beschrieb. Von deren Neigung sich selbst für Kleinigkeiten gern zu loben, habe ich nichts mitbekommen. Gelegentliche Jogger, die der kleinen Straße, die nur auf Karten, da die einzige dort, groß aussah, grüßten dagegen sehr freundlich - es waren auch nur zwei - vermutlich eine Solidarität unter Exoten - Wanderer und Läufer sind nicht, was der neben der Großstadt ganz ländlich lebende Märker häufig sieht. Wozu auch rausgehen und durch die Landschaft rennen, die ist ja immer da und es war noch nie etwas los, seit tausenden von Jahren.
Von Alt Schönefeld ging es der Rudower Chaussee folgend überraschenderweise gen Rudow, was den Wanderer bereits mit dem Ortsschild Berlin Neukölln begrüßt. Eine schöne Überraschung mitten in der märkischen Provinz plötzlich in Neukölln gelandet zu sein. Es sah ganz anders aus als sich die normalen Besucher Neukölln vorstellen, nämlich eigentlich genau wie die märkische Provinz davor mit dem einzigen Unterschied, dass es diese sich Berlin nannte, die Autos ein B auf ihrem Kennzeichen haben und wir nun im alten Westberlin und nicht mehr in ehemaliger DDR waren, was nur ein Gefühl war und doch irgendwie tröstlich wirkte.
Die Babauung ähnelte sich, einige niedliche Bauten in Alt Rudow mit sich ländlich benehmenden sehr jungen Damen, die, dich auffällig ingorierend, mehrfach aus verschiedenen Richtungen an dir vorbeiliefen und den ersten arabisch und türkisch sprechenden jungen Männern, die im Gegensatz zum Wanderer viel Interesse an den jungen Damen zeigten, die von diesen aber naserümpfend ignoriert wurden. Auf das Rümpfen der Nase verzichtete ich und lächelte einfach freundlich vor mich hin, was vermutlich, wenn es dich Wanderer nach Rudo verschlägt, verrückt genug wirkt, von niemandem angesprochen zu werden, Außer diesen jungen Damen, die immer wieder auftauchten und hofften ihr auffälliges Ignorieren würde für Interesse sorgen, was es aber nicht tat, kamen mir noch einige stark geschminkte typische Westberliner Matronen entgegen. Die vier Damen unterhielten sich lautstark, waren alt genug mich auf auffällig direkt anzuschauen und weckten dabei aber auch nicht mehr Interess als ihre möglicherweise Enkelinnen. Schon erstaunlich, wie sich die Generationen so übergreifend im Schutze der Dämmerung manchmal verwirren.
Dabei fiel mir ein, dass ich mal eine nur körperlich lange Geliebte aus Rudow hatte, von der wenig mehr in Erinnerung ist, als dass sie außer zwei Kindern auch mindestens zwei Katzen hatte, warum ich bis dato noch nie in Rudow war. Zeitlich war dies Kapitel sehr kurz und bedarf auch darum keiner weiteren Erwähnung, es fiel mir nur ein, als ich die Damen jenseits der höflich vierzig und realistisch vermutlich in der nächsten Dekade gelegenen Sparkassendirektorsgattinnen und Arztgattinnen oder Lehrerinnen dort flanieren sah mit ihren als Angel ausgefahrenen Blicken und schnell zusah, dass meine Augen sich auf den netten Buchladen dort konzentrierten.
An Kleingartensiedlungen vorbei ging es weiter bis zu dem kleinen Abstecher an der Hufeisensiedlung, von der ich im Dunkeln mehr die Form erahnte als tatsächlich sah, die aber dennoch einen guten Eindruck hinterließ und sehr aufgeräumt wirkte, wie so vieles im Dunkeln viel aufgeräumter wirkt, warum wir das Licht manchmal der Ordnung halber überschätzen. Auch dieses Weltkulturerbe ist Neukölln. Hier hatte ich schon fast die Hälfte des Weges bis nach Prenzlauerberg geschafft und war doch noch in einer anderen Welt - in einem eher ländlich oder kleinstädtisch geprägten Vorort noch, wenn auch die ersten U-Bahnstationen im schönen Design der Zeit auftauchten, die nach Berlin führten.
Nach der Unterquerung der A100, also des inneren Autobahnrings heißt die bis dahin Buschkrugalllee plötzlich Karl Marx Straße und das für eine sehr lange Zeit und durch verschiedenste Welten. Es wird immer städtischer und die typischen Berliner Altbauten nehmen zu, dazwischen immer mal neue Zweckbauten mit Einkaufszentren oder sonstigem Bedarf.
Während es auf der Höhe des alten Flughafen noch vereinzelt Sportplätze und Tankstellen oder andere Gewerbe gab, nimmt gen Innenstadt die Wohnbebauung immer weiter zu und was mit gelegentlichen Döner Läden begann wurde eine immer stärkere Präsenz der türkisch-arabischen Gemeinschaft, die dort etwa die ehrwürdige Hohenzollern Apotheke einrahmt oder in riesigen Schaufenstern Beschneidungsanzüge für Knaben zweisprachig anbietet.
Dass diese Bräuche des Aberglauben bei uns praktiziert werden dürfen, finde ich eigentlich eher ärgerlich, auch wenn die Toleranz dazu verpflichtet, jeden nach seiner Fasson selig werden zu lassen, was ja spätestens seit dem Alten Fritz guter Berliner Brauch ist, fragt sich doch, warum wir Kinder nicht nachhaltig davor schützen, wir es zulassen, dass unschuldige Wesen nur um dem Aberglauben zu genügen, irreversibel verstümmelt werden. Eine Beschneidung der Knaben ist nicht so schlimm wie etwa eine andernorts praktizierte Klitorektomie bei Mädchen aber nötig ist sie auch nicht und es sollte die Entscheidung zur Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft allein Erwachsenen vorbehalten bleiben.
Noch sind wir leider nicht soweit, die Toleranz religiöser Riten gilt als liberal, auch ein Grüner wie Volker Beck setzte sich auch der deutschen Juden wegen für größere Toleranz dabei ein. Sehe das ganz grundsätzlich anders und habe auch schon mit Volker damals darüber gestritten aber das ist ja kein Thema hier, wo nur der Wanderer von seinem Weg vom Land in die Stadt berichtet. Es waren nur die Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, als ich diese Schilder sah und mich fragte, wieviel Toleranz verträgt die liberale Gesellschaft ohne ihren Kern zu verlieren?
Neukölln fordert viel Toleranz, wenn sich bärtige Muftis auf der Straße lautstark arabisch unterhalten, in Kaftane gehüllt, die sie schnell als Anhänger der Salafisten erkennen lassen, dachte ich, während ich mir durch meinen etwas kürzeren Vollbart fuhr.
Andererseits war es unterhaltsam diese verschiedenen Welten aufeinanderprallen zu sehen. Die relativ knapper bekleideten schwedischen oder niederländischen, jedenfalls sehr blonden Touristinnen, die ihr Bier in der Hand singend oder laut redend vorüber schwankten und die so arabischen Herren, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. In Berlin geht das nebeneinander ohne Probleme, in noch krasseren Fällen auch, wenn die junge Frau in Strapsen und Minirock mit Lackstiefeln, der älteren voll verschleierten arabischen Dame die Tür aufhält und fragt, ob sie ihr beim Tragen helfen soll, und die Dame sie beim Vornamen nennt und sagt, lass gut sein mein Liebes, scheint Multikulti real existent und es fragt sich, was die Märker für Angst und Probleme haben, nur wenige Kilometer von hier, wo nahezu keine Muslime leben, es sei denn sie müssen, weil lagerweise zugewiesen.
Nach dem Rathaus Nerukölln bin ich irgendwo gen Maybachufer links abgebogen. Während ich auf diesem Weg die Sonnenallee überquerte, meldete sich mein Schatz aus Dublin, den ich als die Wanderung begann noch in Schönefeld verabschiedet hatte. Sie war gut gelandet, ich lief immer noch und wir hatten nun eine gute Stunde, um miteinander zu telefonieren, während der ich das wohl ein wenig zumindest im Herbst überschätzte Maybachufer entlanglief, den aus guten Gründen verrufenen Kotti überquerte, der real immer noch häslicher ist als nur von Peter Fox besungen und durch die Hochhausschluchten gen Spree wanderte, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen, bis ich den Fluss irgendwann Richtung Insel und also Mitte überquerte.
Zum Schloss, dass noch eingerüstet ist und Humboldt-Forum heißt, weil sich doch keine Demokratie ein altes eigentlich langweiliges aber wunderbar passendes Schloss sonst in ihre Mitte stellen dürfte. Dieses steht nun, widmet sich in großen Teilen den Kulturen der Welt bald irgendwann und der Berliner Eitelkeit wie Müller kleingeistig nach der Machtübernahme von Wowereit beschloss, weil gerade die alten Westberliner gern die lokale Eitelkeit für was auch immer pflegen und sich damit wunderbar als die von Theo Fontane einst so treffend beschriebenen Märker entpuppen und so auch unser bürgermeisternder Schweibwarenhändler in zu roter Koalition sich als echter alter Berliner zeigt, was ja zumindest ein Qualitätsmerkmal für manche vielleicht wäre.
Beim Weg über die Brücke sah ich schon den bunt beleuchteten Fernsehturm, jenes Potenzsymbol der östlichen Parteiführung, was bis daton zumindest das schlankeste Gebäude am neuen Alex ist. Ob Schlankheit ein Wert an sich ist oder überschätzt wird, mehr auch mehr immer ist und weniger einfach weniger und viel schneller zu wenig, mag an dieser Stelle dahinstehen. Dieses Phallussymbol östlicher Bauart glänzte hier mehr durch seine Beleuchtung als ob seiner sonstigen Zweckfreiheit wegen. Auch das Humboldtforum leuchtete und manches mehr, wie ich aber an diesem Tag nach bereits über 25km zu Fuß nicht mehr en detail entdecken wollte. Dafür war der Samstag gut oder der Sonntag oder die ganze übrige Woche, wenn es hoffentlich nicht mehr regnen wird wie gerade in Strömen, während ich die Zeilen über die gestrige Wanderung schrieb.
Noch kein Marathon, nichts weltbewegendes aber am Ende, als ich auf dem Berg wieder ankam und die Tour bei einem Glas Riesling vor meinem Stammcafé beendete, doch 32km zu Fuß, was den Wanderer letztere spüren ließ.
Wandern ist wunderbar und lässt dich Landschaft und Stadt erst wirklich erspüren, weil du nicht vorüberast, sondern um so länger die Tour wird, desto mehr flanierst und dir Zeit lässt, auch mal eine Pause einlegst, um dich gut zu finden dabei. Glücklicherweise zählt meine Google Fitness App die Kilometer großzügiger als die selbe Funktion auf dem elektrischen Apfel meiner Liebsten, was doch eine große befriedigende Wirkung hat, wenn du ganz gelassen vor deinem liebsten Café sitzt und allen Bekannten und Unbekannten ganz nebenbei davon erzählen kannst, möglichst bescheiden die Kilometer nur flüsternd aber doch laut genug, dass es garantiert jeder mitbekommt.
Nach dem kleinen Zwischenstopp vor dem Bar-Café meiner Wahl begab ich mich stolz und geschafft noch die drei Etagen zu mir hinauf und war genug gelaufen für den Tag. Morgen, also heute geht es zum Festival of Lights oder übermorgen oder überübermogen. Frei von allem sportlichen Ehrgeiz der Läufer, die gern die Zähne zusammenbeißen, um sich leidend zu beweisen, wie hart sie sind und was sie alles aushalten, muss ich mir nichts mehr beweisen, sondern genieße lieber, was ist. Der kurdische Freund im Café feierte mich dort peinlich laut als Held und erzählte jedem, was ich ihm eben zugeflüstert hatte, damit tat er zwar, was ich insgeheim vermutlich gehofft hatte, wäre ich ehrlich, aber wer ist das schon,was die eigene Eitelkeit betrifft und so war er bloß offiziell so peinlich, dass ich mich zufrieden und still in meine Bücherhöhle zurückziehen konnte - die Welt am Platz hatte meine Heldentat zur Kenntnis genommen, die zwar keine ist und doch war ich bescheiden zufrieden, hatte ich es doch aus Liebe getan.
jens tuengerthal 7.10.2017
Sturmfolgen
Die Spuren werden beseitigt, die Toten begraben und der Müll wieder eingesammelt, in einigen Tagen merkt keiner mehr, was am Donnerstag hier noch los war. Nur manche bleiben für immer verschwunden, wie weggeweht aus dem Leben, ließen sie ihres unter umstürzenden Bäumen auch in der Stadt.
Die Natur ist stärker als der menschliche Wille, auch wenn dieser natürlich ein Teil der überall Natur ist, bleibt der sich für stark haltende Mensch immer der Natur unterlegen und sie zeigt es ihm deutlich in Stürmen, bei Erdbeben und Vulkanausbrüchen. Wir sind ausgeliefert, auch wenn wir vermutlich durch unser Verhalten das Klima veränderten und die gerade Häufung des katastrophalen Wetters verursacht haben.
So sitze ich auf der einen Seite als Verursacher der Schäden auf der Anklagebank und bin andererseits auch Opfer der Folgen, das sich nicht zu wehren weiß.
Auch wenn ich so wenig, wie nur möglich fliege, kein Auto habe, viel Rad fahre oder noch lieber lange Strecken laufe, bin ich Teil einer Gesellschaft, die diese Schäden verursacht und konsumiere davon, verbrauche auch schmutzige Energie, weiß nicht, wie alles hergestellt wurde, was ich habe, möchte mich nicht einmal dauernd damit beschäftigen oder ein permanent schlechtes Gewissen haben.
Als ich heute die über 30km vom Flughafen Schönefeld im Süden Berlins zurück auf dem Berg lief, konnte ich vielfach noch die Spuren des letzten Orkans sehen, der Bäume fällte, Wege versperrte, Äste wild verteilte. Wege zu laufen, macht eine Strecke erst spürbar, wir erfühlen plötzlich die Natur, die wir sonst mit technischen Mitteln so leicht überwinden.
Hatte meine Liebste zu ihrem Flug nach Dublin gebracht. Den trat sie an, als ich in Schönefeld loslief gegen 18 Uhr. Überquerte gerade die Sonnenallee in Neukölln, als sie sich heil aus Dublin wieder meldete und wir telefonierten anschließend über eine Stunde auf dem Weg durch Neuköln und Kreuzberg, bis ich schließlich auf die Museumsinsel kam, sie ihre Mutter aus München in Empfang nahm und wir uns verabschiedeten.. Der größere Teil der Strecke ging durch eher ländlich, provinzielle Gebiete und auch wenn ich schon bald das Ortsschild Berlin, Neukölln erreichte, war ich noch lange im ländlichen Raum unterwegs, in dem die Spuren des Sturms nur sehr vereinzelt noch sichtbar waren.
Täter und Opfer der Katastrophen zu sein, kann helfen den Schrecken zu relativieren und Verantwortung zu übernehmen. Wir können nichts gegen Naturkatastrophen unternehmen, können uns nur während dieser so gut wie möglich schützen, um die schlimmsten Schäden zu vermeiden.
Die von einem vermutlich nicht mehr ganz zurechnungsfähigen älteren Mann mit wahnhaften Neigungen geführte US-Regierung, die lieber Verschwörungstheorien als der Wissenschaft glaubt, tut gerade das Gegenteil. Es wäre den Opfern gegenüber unfair, nun Genugtuung dabei zu empfinden, dass die USA besonders stark getroffen werden. Doch wenn es auch keine höhere Gerechtigkeit gibt und geben kann, so wenig wie einen höheren Richter, der über sie entscheidet, ist es doch gut, zu sehen, dass unser Handeln Folgen hat und diejenigen, die diese Konsequenz am lautesten negieren, besonders stark darunter zu leiden haben, was gegen Leichtgläubigkeit und Heilsversprechen mehr helfen könnte als viele andere vernünftige Einwände gegen die Macht von Dummheit und Propaganda unter Trump.
Unwetter gab es schon immer. Aber die Häufung katastrophaler Wetterlagen in den letzten Jahren, sind ein weiterer Beleg für die Richtigkeit der Theorien zur Erderwärmung und ihrer katastrophalen Folgen für alle. Bisher fühlten sich die USA wenig betroffen, sie drohten nicht zu versinken wie die Malediven oder die Niederlande und lebten von unseren Ressourcen auf eine Weise, die den Prozess noch beschleunigte, der sie nicht zu treffen drohte. Nun trifft es sie plötzlich doch und die Wirtschaft leidet darunter. Ob diese Naturkatastrophen, die in dem Land voller Aberglauben, dass sich auch Gottes eigenes Land nennt, gern als höheres Schicksal bezeichnet werden, genügen, ein Umdenken einzuleiten, bei jenen, die an Götter und oder Verschwörungstheorien glauben, bleibt noch fraglich.
Vielleicht nehmen sie plötzlich an, die Summe der Katastrophen sei Gottes Strafe dafür, einen idiotischen Blender zum Präsidenten gewählt zu haben, der die Welt von einer Katastrophe zur nächsten führt. Was zwar so unsinnig wäre, wie die Gründe, die sie zuvor für seine Wahl anführten, aber doch einen Sinneswandel herbeiführen könnte, so zumindest positive Folgen hätte.
Ist, was der Natur hilft gut, egal wie unsinnig die Begründung ist oder kann nur gut sein, was wissenschaftlich begründet ist und sind darum die Gebete des Papstes für Frieden oder Umweltschutz so idiotisch wie das wegbeten wollen von Krankheiten und darum zu verurteilen?
Vielen gilt die naturreligiöse und respektvolle Haltung der Indianer zur Natur als Vorbild, eine Umweltschutzorganisation wie Greenpeace beruft sich schon lange darauf, auch wenn sie den wissenschaftlichen Theorien zur Erderwärmung folgen, die zu bestreiten heute ungefähr so viel Logik hat wie die ehemalige Behauptung der römischen Kirche, unsere Heimat habe Scheibenform und die Sterne seien am Himmelszelt aufgehängt. Doch wenn der Aberglaube hilft, sich der Natur gegenüber respektvoll zu verhalten, kann er dann falsch sein?
Wer heilt hat recht und was hilft ist gut, sagte mein Vater der Arzt aus Überzeugung immer, der nichts von Wunderheilern hielt. Wenn es einem Teil der Menschheit hilft, sich ökologisch verantwortlich zu verhalten, wäre mir die Begründung relativ egal, wenn das nachhaltige Ergebnis stimmt.
Wir sind Opfer und Täter, entsprechend müssen wir zugleich heilen und bestraft werden, was an sich schon eine relativ schizophrene Situation für uns herbeiführt. Wir tun meist nichts schlimmes und doch genügt die Summe unseres Handelns schon durch unsere Art zu leben und Energie zu verbrauchen, im Alltag zu konsumieren, die Katastrophe zu beschleunigen.
Tankred Dorst hat diese natürliche Katastrophe in Der nackte Mann hervorragend geschildert, in dem einer sich bewusst wird, was er alles zerstört und tötet, um zu leben und wie sein Leben zur nahezu unzumutbaren Katastrophe wird, als er immer konsequenter versucht, jede mögliche Katastrophe zu vermeiden.
Müssen wir uns töten, um ökologisch nachhaltig positiv zu wirken?
Was dürfen wir noch tun und wo müssen wir dringend umdenken?
Wie sollen und wie wollen wir leben?
Müssen wir nicht alles tun, was wir können, weil es unserer Natur entspricht?
Warum sehen wir uns im Gegensatz zur Natur, wenn wir unserer Natur gemäß nach Glück und Erfolg streben?
Gibt es eine Pflicht zu nachhaltigem Handeln und wohin führt sie uns?
Habe keine Antworten auf all diese Fragen und möchte auch nicht versuchen, sie teilweise für andere zu beantworten, wenn diese Worte und Gedanken nach dem letzten Sturm vielleicht den einen oder anderen zum Nachdenken anregen, könnte sich vielleicht mehr bewegen, als wenn wir darum kämpften, denn an was, wenn nicht die Kraft der Worte und ihre Wirkung sollte noch einer glauben, der schreibt und wie soll sich nach dem kategorischen Imperativ noch etwas ändern, als in der Haltung freier Menschen?
jens tuengerthal 6.10.2017
Donnerstag, 5. Oktober 2017
Lebenswert
Kazuo Ishiguro
Kein Autor mag es auf einen Roman reduziert zu werden und so wenig Thomas Mann nur die Buddenbrooks ist, auch wenn er für sie den Literaturnobelpreis bekam und nicht für sein geniales Meisterwerk der Kulturgeschichte, den Zauberberg, so wenig ist Kazuo Ishiguro nur Alles was wir geben mussten, der Roman in dem es um die Nachzucht zur Organspende geht. Auch Was vom Tage übrig blieb, Die Ungetrösteten oder Als wir Waisen waren, sein kongenialer Detektivroman zwischen England und China sind mehr als lesenswert.
Dennoch schreibe ich hier allein über die Ethik, die ganz fein in Alles was wir geben mussten sichtbar wird und die moralischen Fragen, die sich daraus ergeben aus Anlass der Nobelpreisverleihung für Kazuo Ishiguro, weil dieses Buch so wichtig für die Fragen unserer Zeit ist, dass es auch zum Friedensnobelpreis passen würde.
Er hat den Roman gewählt und ein typisch englisches Internat als Ort der Handlung, in dem die Klone als Spender aufwachsen und erzogen werden, die einzig zu dem Zweck geschaffen wurden, ihren Auftraggebern einmal Ersatzteile zu liefern. Solange die Klone dort als gewöhnliche Menschen aufwachsen, wird nur ihr Kunstsinn besonders gefördert - weder ihre Herkunft noch ihre einmal Aufgabe sind Thema unter den Kollegiaten, die mit 16 das Internat verlassen und in Cottages kommen, in denen sie dann auf ihre Einsätze warten, bei denen ihnen Organe entnommen werden. Sie werden in den Cottages schon wie Erwachsene sich selbst überlassen und machen dann entweder eine Ausbildung als Betreuer, die Spender nach ihrer ersten Spende pflegen, bis es nichts mehr zu entnehmen gibt oder sie selbst einen Bescheid über ihre erste Spende bekommen.
Sie leben, um für andere, die sie als Klon von sich selbst haben herstellen lassen, zu sterben, diesen das Leben zu retten und zu verlängern. Sie sind nur Klone und also genetische Kopien eines anderen. Ihr Leben hat einen Zweck, sie sind das Ersatzteillager eines anderen, was sie mit der Zeit immer genauer erfahren.
Dennoch sind sie auch Menschen, erfahren eine menschliche Ausbildung, werden vor allem kulturell geschult und lernen auf ihren Körper zu achten. Es gibt das Gerücht, dass Liebespaare eine Zurückstellung von drei Jahren erhalten können, bevor sie mit dem Spenden beginnen.
Als die Erzählerin, die selbst Betreuerin wurde, mit ihrem Liebsten auf die Suche nach den Bildern geht, die sie im Internat malten und die ausgestellt wurden, damit die beiden Liebenden einen Aufschub erhalten, erfahren sie, dass es keinen Aufschub gibt, das Internat längst pleite ging und die ominöse Madame im Hintergrund diese Ausstellungen nur veranstaltete, um auf das Schicksal der Klone aufmerksam zu machen, den Menschen zu zeigen, dass auch diese eine Seele hätten, eine Würdigung verdienten.
Der Liebste stirbt nach der vierten Spende schließlich und seine Liebste, die bis dahin als Betreuerin arbeitete, bekommt ihren ersten Spendenbescheid. Es wird nicht sterben bei den Klonen genannt sondern es heißt vollenden, sie hätten ihren Weg vollendet und ihre Aufgabe vollbracht.
Es gibt keine Hoffnung und kein Entkommen mehr. Die Gesellschaft hat sich mit den Klonen im Hintergrund eingerichtet, keiner will wissen, was sie sind oder fühlen, sie haben eine Aufgabe und sollen diese erfüllen, nicht menschlicher gemacht werden als unbedingt nötig.
Sind wir noch so weit von dieser literarischen Vision real entfernt?
Natürlich gibt es noch keine Klone, die für uns unsichtbar in Parallelwelten existieren, bis wir sie brauchen. Es wäre in unserem Land und in Europa das menschliche Leben auch so sehr geschützt, dass die Vernichtung eines Individuums zum Zwecke der Heilung eines anderen wohl verboten wäre, meinen wir.
Doch vielleicht, sind wir uns da auch zu sicher. Wer definiert, wann Leben beginnt oder endet?
Stammzellen von Embryonen verwenden wir lange schon für die Forschung. Sie sind wichtig und nötig. Ist künstlich hergestelltes menschliches Leben überhaupt welches und wer darf dies entscheiden?
Abtreibung ist teilweise legal, vor allem, wenn es sich um behindertes Leben handelt, kann bei einer ausreichenden Indikation das werdende Leben, bis zu einen Tag vor der Geburt beseitigt werden und über die Verwendung der dabei gewonnenen Stammzellen wird teilweise noch eifrig gestritten.
Insofern jede Schwangerschaft das Leben der Mutter gefährdet und nicht jede gewollt oder freiwillig zustande kam, schiene es mir rechtlich sehr fragwürdig die Freiheit der Frau zugunsten der Freiheit des werdenden Lebens aufzuheben. Auch fragt sich, ob Männer darüber überhaupt entscheiden dürfen sollten, doch ist dies schon eine ethische Wertung, die geprägt ist von Jahrzehnten der Emanzipationsbewegung, die auf Jahrhunderte der Unterdrückung reagierte und unsere Gesellschaft heute prägt.
Die Frage könnte sich aber ganz nüchtern schon früher stellen, etwa bei der Spirale, die eine Einnistung auch befruchteter Eizellen verhindert oder bei der Pille danach, die ähnlich, nur eben allein chemisch wirkt.
Wir entscheiden in all diesen Fällen über Leben, ob es leben darf oder nicht. Andererseits scheint uns die in Ishiguros Roman entwickelte Vision grausam und fürchterlich, weil sie uns die Menschlichkeit der verwendeten Wesen viel deutlicher vor Augen führt. Es werden fertige Lebewesen für andere benutzt.
Doch ist der Unterschied bei der Art, wie wir mit Tieren umgehen, etwa in Tierversuchen oder auch für den gewöhnlichen Fleischkonsum wirklich so groß, ethisch betrachtet?
Bin weder Veganer, noch habe ich vor auf Fleisch zu verzichten, wenn ich es nicht muss, weil ich es gerne mag. Doch messe ich meine aus Gewohnheit gespeiste Haltung an den Prinzipien des kategorischen Imperativs, scheint sie mir sehr fraglich und keineswegs konsequent, sowohl was die Abtreibung als auch meinen Fleischkonsum betrifft.
Unser amtierender Bundespräsident hat seiner Frau eine Niere gespendet, um ihr Leben zu retten und weil er es konnte. Diese freiwillige Organspende auch als Zeichen einer großen Liebe drückt für mich etwas sehr positives und soziales aus.
Wenn wir kranke Organe, die uns sterben ließen, wenn wir sie nicht ersetzten durch Organspende, züchten könnten aus unserem eigenen Erbgut, würde ich das sehr befürworten. Ab wann aber, hätten wir es dann mit einem menschlichen Leben zu tun.
Für eine Lunge müssten wir auch ein Herz züchten, da beide nur als Kreislauf gemeinsam transplantiert werden können. Was wäre dieses im Brutkasten gezüchtete Herz mit Lunge noch ohne Hirn?
Könnte es Herzschmerz haben, wie wir so gerne für das Leid der Liebe sagen?
Was wäre mit einem nachgezüchteten Gehirn, das bei vielen Unfällen lebensrettend sein könnte, wäre dies schon ein Wesen an sich, da es ja als lebender Organismus mit allem, was dazugehört gezüchtet werden müsste?
Gibt es eine Grenze zwischen nötiger medizinischer Hilfe, die Leben rettet und dem, was wir überhaupt tun dürfen?
Haben wir diese nicht schon mit dem ersten Klonschaf oder sogar Genmais bereits überschritten?
Wenn wir Krankheiten wie Krebs und AIDS nur mit Eingriffen ins Erbgut heilen können, dürfen wir diese dann unterlassen?
Ist es unmenschlicher Menschen einfach sterben zu lassen, weil wir das eigentlich mögliche aus ethischen Gründen nicht tun wollen oder Ersatzteile aus Lebewesen zu züchten, die uns leben ließen, deren mögliches Bewusstsein uns dabei aber egal ist?
Ishiguros grandioser Roman stellt uns diese Fragen nur indirekt, macht keine moralischen Vorhaltungen, sondern stellt uns eine andere Welt vor, die diese Fragen auf eine Art konsequent zu Ende denkt. Darum müssen wir uns fragen, ob wir in so einer Welt leben wollen und wohin sie uns langfristig führt.
Habe keine einfachen Antworten auf diese Fragen. Denke es gibt auch keine einfachen Antworten, es gibt nur die Pflicht, sich diesen Fragen zu stellen, um zu überlegen, wie wir künftig leben wollen und was uns Leben wert ist.
Die Pflicht der Medizin ist, Leben zu retten, wo und wie sie es kann. Was die einen noch ethisch verbieten, werden andere ausprobieren, die weniger moralische Bedenken haben. Ist dann derjenige, der damit mehr Leben rettet moralischer oder derjenige, der sterben lässt, auch wenn er es anders könnte?
Was ist uns unser Leben überhaupt wert und warum sollten wir nicht alles versuchen, es zu retten, wenn wir es können?
Sobald wir genetisch den Alterungsprozess verhindern oder aufschieben können, werden wir es tun und es wird sich eine ganze Industrie daran hängen. Einerseits zur Pflege unserer lächerlichen Eitelkeit, andererseits auch, um uns frei und glücklich leben zu lassen, Krankheiten wie Demenz oder Alzheimer aufzuhalten.
Das ist eine großartige und schöne Vorstellung und zugleich der Horror für unsere Welt und es wird schwer hier eine für alle gültige allgemeinverbindliche Regelung aufzustellen. Wer sich mit einem großen Altersunterschied liebt etwa, wird heil froh sein, wenn das Leben seines Partners um einige Jahrzehnte verlängert werden könnte. Unsere Sozialkassen dagegen würden infolge einer solchen Entwicklung bald implodieren, die Gesellschaft noch mehr überaltern.
Wir haben nur eine beschränkte Zeit im Leben, genau wie wir nur beschränkten Raum auf der Erde haben. Vielleicht können wir künftig andere Planeten besiedeln und lösen damit zumindest das Platzproblem. Die Frage bliebe, welchen Wert das Leben hätte, wenn es nicht mehr so endlich wäre.
Würde gern auf jeden Arztbesuch verzichten, mit meiner Natur so leben, wie ich es tue, bis sie den Dienst versagt und dann fröhlich gehen, weil eben alles ein Ende hat und es immer am besten ist, aufzuhören, wenn es gerade am schönsten ist. Andererseits würde ich meine junge Frau gern so lange wie nur möglich glücklich machen und wenn dies einige Jahre länger mit medizinischer Hilfe möglich wäre, warum sollte ich das nicht nutzen?
Auf all diese Fragen, habe ich keine Antwort, es sind Prozesse, in mir, die ich auch im Laufe meines Lebens immer anders zu betrachten lerne. Wie ich es im Alter sehe, weiß ich nicht. Werde ich wie fast alle alten Menschen massenweise Medikamente schlucken, um vielleicht ein wenig länger am Leben zu bleiben oder lieber weiterhin ohne jeden Arzt leben, bis ich irgendwann umfalle, wie die Bäume, die der gerade eben Orkan fällte?
Weiß es nicht und kann es nicht wissen. In diesem vielleicht zentralsten Punkt des Lebens, was sein Ende und seinen Verlauf ohne lebendiges Ersatzteillager betrifft, bin ich völlig ahnungslos und muss die Dinge einfach geschehen lassen. Kann mich nur bemühen, was ist, so sehr wie nur möglich, jeden Moment zu genießen, bis es eben endet. Da ich auch sonst nichts anderes kann, bemühe ich mich zumindest konsequent darum, denn was bleibt uns sonst vom Leben, wenn wir es nicht so genossen, wie es uns entspricht?
jens tuengerthal 6.9.2017