Mittwoch, 15. März 2017

Berlinleben 020

Literaturzuhause

Hat die Literatur ein Zuhause, braucht sie eines oder ist sie in ihrer natürlichen Ortlosigkeit überall, wo gelesen wird Heimat der Leser?

Wo ich bin und lese oder schreibe ist Literatur, wozu also tief in den Westen fahren, ins Literaturhaus in der Fasanenstraße, wenn es Cafés genug in meiner Umgebung gibt, die zum Schreiben und verweilen einladen, was sollte ich unnötig Zeit mit der Reise quer durch die Stadt verbringen, noch dazu in den etwas vorgestrigen Stadtteil Charlottenburg?

So hatte ich mich gefragt, obwohl das Literaturhaus von einem auch Dichter geleitet wird, einen zauberhaften Garten hat, es lag doch etwas weit ab für mich. Einmal führte mich A meine längste Liebe dort hin, vermutlich nachdem wir im KaDeWe irgendwelche Lebensmittel kaufen waren, wie sie es so liebte.

Es war nett, der Garten schon schön, das Café halt ein gutes Café, der Buchladen im Untergeschoss eine Freude, es fand sich dort auch manch ausgefallen Schönes, was die Augen des Bücherliebhabers strahlen ließ. Doch es blieb mir fremd, nie wäre ich dort zum Schreiben hingefahren, dachte ich, bis ich eine zeitlang unter sehr unliterarischen Umständen in einem Hochhaus am Zoo in einem Callcenter arbeitete und mehr als erfolgreich Lose verkaufte.

Fremde Menschen anrufen und ihnen erzählen, sie bräuchten unbedingt etwas, dass kein Mensch je braucht, um ihre Chance auf einen Millionengewinn zu nutzen, die stark übertrieben wurde, war meine dortige Berufung. Die einzige Ausrede war noch, die Klassenlotterien waren ja staatlich und also musste es doch eine gute Sache sein, zumal Überschüsse Zoos oder sozialen Institutionen zugute kam. So verteidigte ich es, der Zoos als Tierknast nicht ausstehen kann.

Konnte auch Glücksspiel noch nie leiden. War einmal mit meinem Großvater im Casino in Bremen und fand es öde, verstand die Faszination vieler Leute nicht, dort ihr Geld zu verwetten für die Hoffnung auf einen günstigen Zufall, der zu selten eintrat, den ich nicht vernünftig beeinflussen konnte. Vielleicht darum war ich in dem, was ich tat, so erfolgreich, verkaufte die größten Lose mit einer 100% Gewinngarantie, die doch dem Spieler bei einem kleinsten Gewinn von 1000,-Euro mit Sicherheit die  Kosten dieser teuersten Lose wieder einspielen würde und verschwieg dabei geflissentlich, dass es sich bei den 100% Gewinnlosen um 1/10 Lose handelt, der garantierte Gewinn also wesentlich weniger meist war.

Rang in dieser Zeit viel mit meinem Gewissen, weil ich einfach zu gut war, zu seriös auf die Menschen am Telefon wirkte, meine Glaubwürdigkeit im Auftreten nutzte, ihnen einen solchen Blödsinn für teures Geld zu verkaufen und dies auch bei Menschen tat, die ihr Geld eigentlich dringend für anderes bräuchten und denen ich nur schöne Hoffnungen mit verführerischer Stimme säuselte, der sie zu gern glaubten, denn welche ältere Dame freut sich nicht an der Vorstellung, dass ein so netter junger Mann ihr dann auch noch den Gewinn persönlich vorbeibringt, wenn sie bald Millionärin würde.

Irgendwann machte mich diese verlogene Tätigkeit krank, ich verdiente zwar so gut, wie nie zuvor im Leben, mehr als ich als Redakteur je bekam und dazu ließ ich mir noch die Prämien, mit denen die anderen gelockt wurden, barauszahlen - finanziell war es eine gelassene Zeit, ich hatte Geld, ich konnte alles verkaufen und wer so dumm ist, sich auf Glücksspiel zu verlassen, soll halt dafür zahlen, wie Millionen Idioten es jede Woche beim Lotto taten.

Trug mein Geld lieber in Buchläden, zunächst war ich vom Zoo aus einige male bei Hugendubel gewesen, doch dies Bücherkaufhaus war mir unsympathisch, zu groß, zu kühl und ich mochte kleine Buchläden. Da erinnerte ich mich des Café Wintergarten im Literaturhaus zu Berlin und des schönen Buchladens dort.

Zu Fuß vom Hochhaus am Zoo zur Fasanenstraße waren es keine zehn Minuten. Aus der tosenden, lärmenden Welt am Zoo tauchte ich in den Garten des Literaturhauses und fand einen Ort der Ruhe. Sobald ich mein Gewinnsoll erfüllt hatte, mehr als drei der ganz großen Lose am Tag zu verkaufen, wäre schon dreist, hatte ich den Durchschnitt in diesem Callcenter schon so weit hinter mir gelassen, dass mehr an Mühe überflüssig schien. Wenn ich Glück hatte war das noch am Vormittag, spätestens jedoch kurz nach Mittag am ganz frühen Nachmittag und dann verschwand ich, ohne weiter zu telefonieren aus dieser ungesunden Atmosphäre, rechnete nach, was ich wieder verdient hatte und freute mich darauf, was ich mir nun gönnen könnte.

Mehr brauchte es nicht zum Glück, dachte ich, als diesen Ort des Rückzugs und das auch wenn mir viele der Damen entweder zu alt oder zu geschminkt waren und ich mir noch nicht klugerweise überlegt hatte, mich auf wohlhabende Charlottenburger Witwen zu spezialisieren - liegt mir zugegeben auch heute noch eher fern, aber dies wäre zumindest der richtige Ort dafür. Die einzig wohlhabende Dame aus Charlottenburg, die ich sehr nah kennenlernte, hielt lieber ihren uralten Ex aus, der sie seit Jahrzehnten um mehr Geld betrog als ich in meinem Leben hatte, fand es befremdlich, dass mich das störte und war im übrigen eher kleinlich und ging ungern ins Café, weil sie keinen Alkohol trank ihrer Migräne wegen.

So sollte ich vielleicht doch noch mal in dieses wunderbare Café fahren, um auch endlich eine geistig aufgeschlossene Sponsorin zu finden, statt im armen Osten um Zonen-Gabis zu jammern, denn Geld hängt da sichtbar genug rum, leider fand ich armer Dichter dies noch nie anziehend und umgab mich lieber weiter mit gleichgesinnten, was ein naiver Fehler sein könnte, wie schon Villon meinte, von dem Brecht, der eitle Dieb und überschätzte Dichter der Proleten, den Text vom Wohlstand, in dem es sich so angenehm lebt, schamlos klaute.

Als schlichter Losverkäufer mit irgendwie einmal großbürgerlichen Hintergrund vor Generationen begab ich mich also in das wunderbare Café Wintergarten. Nie jedoch ohne zuvor, den Buchladen zu besuchen, den ich wiederum seltenst ohne irgendeine natürlich gebundene Neuerwerbung verließ. Viele der schönen Preußen Bücher des gebildeten Hugenotten Günter de Bruyn, Wiebke Bruhns, die Jünger Biografie - wandert mein Blick über meine kleine und bescheidene Bibliothek, sehe ich noch manden Band, den ich dort entdeckte - einige der schönsten Bildbände über Bibliotheken und Bücher, was fand ich nicht alles dort. Sicher gab es das alles auch bei Hugendubel, der aber lagen mitten im Lärm am Platz in einer eher grässlichen Ecke nicht in einem verzauberten Garten.

Sonderangebote bei Büchern haben ja auch ihren Reiz, wollte ich effektiv sein, kaufte ich nur aus großen Kisten auf Flohmärkten oder Antiquariaten, nähme alles mit, was viele Nachbarn um meinen Platz immer wieder aussortieren. Doch wollte ich nicht sparsam und effektiv sein, sondern großzügig, wie einst die Vorfahren, mir eben was gönnen und da die Buchpreisbindung gilt, ist ein so hässlicher Laden wie Hugendubel oder das Kaufhaus Dussmann schlicht überflüssig und Masse macht einen Laden nicht attraktiver, im Gegenteil. So habe ich auch in der Zeit, in der ich richtig viel Geld verdiente, nie Rücklagen gebildet, lieber meiner Liebsten schöne Strümpfe geschenkt, aus dem zauberhaften Wäscheladen direkt vor dem Literaturhaus, die sie nie trug, vermute immer noch, weil sie ihre Schenkel zu fett fand, als gäbe es etwas schöneres als eine Frau mit wohlgeformten Beinen, die nicht nur auf Mikadostäbchen durch die Welt stakst, sie zum Essen eingeladen, den Lebensunterhalt bestritten und mir so oft wie möglich Besuche im Café Wintergarten gegönnt und den Buchladen im Untergeschoss unterstützt.

Denke ich an meinen Großvater, der all sein vieles als Zahnarzt verdientes Geld auf der MS Europa oder in der Traube Tonbach mit meiner Großmutter zusammen durchbrachte, schüttelte ich einerseits den Kopf, andererseits freue ich mich darüber. Gespartes Geld und Rücklagen machen reich und unglücklich auf Dauer. Gelesene Bücher dagegen machten mich meist glücklicher, allein schon sie zu besitzen, erfüllte mich mit Stolz - wozu Geld in Hotels, idiotische Ferien und Reisen stecken, wenn ich es in Bücher investieren konnte oder einen wunderbaren Lesesessel?

Es gab sehr feine und interessante Menschen in diesem Café. Lernte etwa einen Apotheker kennen, der Witze sammelte und mir eines Tages voller Stolz seine schöne Visitenkarte aus feinstem Bütten noch geprägt, statt gedruckt überreichte. Wir wollten in Kontakt bleiben, plauderten einige male sehr nett und verloren uns doch wieder. Empfing dort Freunde und lernte einige neu kennen. Leider schrieb ich damals noch nicht dort, was eigentlich ideal gewesen wäre.

Mein Lieblingsplatz war einer der Tische im Erker, gerne setzte ich mich zu jemandem dazu - las meist in meinen schönen Neuerwerbunge und muss dabei vor Stolz geglänzt haben und konnte nie verstehen, wie jemand das große Glück eines neu gekauften Buches nicht zu würdigen wusste. Andere kauften sich CDs, Schuhe oder elektronischen Schnickschnack, der mich weniger interessierte. Konnte an schönsten Taschenuhren oder feinsten Lederschuhen vorbeigehen, mich an ihrer Schönheit erfreuen, ohne davon je zu träumen, sie besitzen zu wollen, bis zu tausend Euro oder mehr für ein Paar Schuhe auszugeben, schien mir völlig idiotisch, wenn ich für das übrige Geld noch Bücher kaufen könnte, kaufte ich lieber Mokassins bei Aldi.

Eine der Bedienungen mochte ich besonders. Sie ist vermutlich längst irgendwo Ärztin und war damals eine Studentin der Medizin mit langen dunklen Haaren, starken Augenbrauen und einem mehr als bezaubernden Lächeln. Hätte sie immer lieber an meinen Tisch gebeten, statt von ihr bedient zu werden, fand sie sehr jung aber mehr als schön. Nicht weil sie eine große Schönheit gewesen wäre - sie hatte etwas eigenes mit ihren starken Brauen und ihrer schlanken schönen Figur. Sehr harmonische Bewegungen und eine Höflichkeit, die nicht gespielt war, sondern für Familie sprach, wäre neugierig gewesen, zu erfahren, was hinter ihr steckte und wovon sie träumte. Sie arbeitete viel, neben dem immer sehr aufwändigen Medizinstudium und wenn ich sie in der U-Bahn traf, war sie immer konzentriert am Lernen, schien von nichts in ihrer Umgebung etwas zu registrieren und ich konnte sie auf langen Fahrten beobachten, ohne dass sie es bemerkt hätte, wie sie mir später sagte.

Sehr viel näher lernten wir uns aber nie kennenlernen, wie es meist beim netten Geplauder dort blieb und doch war es, von einigen Aufenthalten im Studium abgesehen, meine erste Zeit im Café und ich brachte viele Stunden dort entspannt lesend zu, den Blick in den schönen Garten, am liebsten im Erker, der aber da äußerst beliebt, natürlich oft schon besetzt war, auch wenn ich feststellte, dass die meisten dort diese wunderschöne Ecke, die den Blick durch das Café und in den Garten bot, ein erhobener Beobachtungsposten quasi war, kaum nutzten und einfach miteinander sprachen, als säßen sie dort nicht auf dem besten Platz das Geschehen vor Ort zu beobachten, wäre es nicht eine Pflicht für die dort, alles im blick zu haben und dies mit tiefen Blicken ausgiebig zu genießen.

Genoß es sehr, wenn ich nicht in meinen neuen Büchern schon versank aber auch dabei hoffte ich immer angesprochen zu werden, um ein wenig zum Thema zu plaudern. So hat dieses Café eine gewisse Leichtigkeit, auch wenn sich hier natürlich gelegentlich kleine Dramen abspielten, wenn Mann die Einkäufe der werten Gattin oder Geliebten nicht zu würdigen wusste oder ein Glas umfiel und sich über den neuen Kaschmir ergoß, was immer die echte Größe in der folgenden Gelassenheit offenbarte. Einige Damen plauderten scheinbar völlig belanglos über ihre Männer und nur dem genauen Zuhörer erschloss sich mit der Zeit, dass sie zwischen den Zeilen sich von ihren Liebhabern erzählten, ohne es je auszusprechen. Viele kamen nach dem obligatorischen Schoppen auf dem Ku’damm oder manche auch frisch aus dem neuen Botox to go Laden um die Ecke, was den Betreffenden immer schon am Gang anzusehen war, der sie ihre neue Schönheit voller Stolz präsentieren ließ. Sie sahen nichts außer sich und wer sie alles beobachtete, waren enttäuscht, wenn keiner schaute, was mich häufiger, da ich eben Flaneur manchmal als einziger beobachtete, in das Gespräch mit ihnen brachte.

Nach mehreren dieser inhaltslosen Plaudereien voller Klagelieder über die Vergänglichkeit verstand ich warum manche der Stammgäste beim Erscheinen dieser gebotoxten Damen so konzentriert den Blick senkten. Sie waren nicht nur kein schöner Anblick und auch diese ihre frische Entfaltung hob das fehlende Niveau selten, dass sie durch gut gefüllte Brieftaschen ersetzten. Kaum eine dieser Damen fragte je, was ich da lese, jede aber klagte über irgendwas auf sehr hohem Niveau, als sei diese Insel inmitten der tosenden Großstadt ein Sanatorium für reiche Gattinnen, die alles taten, damit sich ihre Gatten nicht mit jungen Mädchen ablenkten und damit meist erst den Grund dafür legten. Wie hoch die Silikondichte an manchen Tagen dort wohl war, fragte ich mich lieber nicht und freute mich lieber an der natürlichen jugendlichen Schönheit der Medizinstudentin, die manchmal, wenn es keiner sehen konnte, die Augen in meine Richtung verdrehte, wenn eine der Damen wieder zu jammern anfing oder sich über die vielen Kalorien beschwerte.

Solche Menschenstudien waren sehr interessant, eine völlig andere Welt als bei mir auf dem Berg, vor allem viele ältere Menschen und der Durchschnitt eher jenseits der fünfzig aber immer erfreut für den kleinen Flirt mit einem jungen Mittdreißiger aufgeschlossen, der aber dabei ohne jede weitere Absicht blieb - war doch, was mich Zuhause erwartete echter und reizvoller. Vermutlich glichen sich die Lebensläufe vieler der Damen hier, die sich beim Kaffee oder Tee - aber bitte ohne Zucker - war es ein relativ harmonisches Biotop von Menschen, die im Wohlstand leben, alles haben, es sich gut gehen lassen, davon aber angestrengt sind und darum beständig klagen, weil sie sonst zugeben müssten, wie gut es ihnen eigentlich geht.

Genoss ausgiebig, wie gut ich es hatte, hier nach dem Telefonieren im zu lauten Call-Center in Ruhe zu sitzen, mir Zeit zu nehmen, ein wenig zu träumen und machte den klagenden Damen lieber übertriebene Komplimente. Meist weniger ernsthaft, als um die Stimmung zu  heben und zu erfahren, wie sie auf positive Ansprache reagierten. Das Lob des Genusses und der Zeit, die wir uns hier nahmen, verwirrte viele von ihnen eher. Manche taten es als weltfremd und unerfahren ab, andere fragten, was ich mache, wenn ich nicht hier im Café die Stimmung genösse und einigen wenigen erzählte ich dann, was ich wenige hundert Meter von hier grässliches tat.

Die meisten wollten es nicht glauben, begannen über diese lästigen Anrufe zu klagen, die doch verboten gehörten oder fragten wie denn ein so gebildeter und höflicher Mann zu solch einer schrecklichen Arbeit käme. Antwortete dann meist wahrheitsgemäß, dass ich es des Geldes wegen täte, noch nie so viel verdient hätte, weil ich eben so seriös wirke, worauf das Thema meist im gemeinsamen Lachen endete und sie sagten, dass wäre natürlich etwas anderes, aber die meisten wären doch ganz unmöglich und furchtbar unhöflich, was ich nicht bestätigen konnte, wenn ich an die Kollegen dachte. Im Gegenteil als unhöflich offenbarten sich in der Regel eher viele Angerufene, aber manche erzählten mir daraufhin auch ganz vertraulich ihre Lebensgeschichte und ihr Leiden am Nichtstun.

Sie hätten ja so viel vorgehabt im Leben, dann hätten sie sich verliebt und geheiratet, Kinder bekommen, die wären ja nun auch schon groß und aus dem gröbsten raus - wobei ich mich immer fragte, was für diese Damen aus Dahlem, dem Grunewald, Schmargendorf oder Wilmersdorf das Gröbste wohl war. Und dieser ewige Stress mit der Einkauferei, jede Saison das gleiche Theater, sie könnten ja nicht mit den alten Sachen erscheinen, als Gattin von diesem oder jenen, hatten sie gewisse Pflichten, verstünde ich sicher. Gab mich verständnisvoll und fragte, wenn ich sie verwirren wollte, was sie denn glücklich machte, worauf meist ein langes Schweigen oder ein verlegenes zu lautes Lachen folgte.

Glaube diese armen, reichen Frauen litten wirklich mehr an sich und den vielen Aufgaben, die sich in ihrer von niemand gedankten großen sozialen Verantwortung aufluden als viele der arbeitslosen Künstlerinnen bei mir am Berg, die immer höchstens Sorge hatten, wie sie die nächste Miete zahlen sollten oder die Zeit zwischen zwei Engagements mit Hart IV überbrücken würden, ohne zu irgendwelchen schwachsinnigen Arbeiten, die ihre künstlerische Karriere gefährdeten, herangezogen zu werden. Es lebt sich wohl im Wohlstand recht angenehm, wie Villon einst dichtete, doch nur aus Sicht derer, die ihn nicht haben, denn die in ihm leiden mehr daran und an der Sorge um selbigen als jene ohne.

Wollte ich mit ihnen tauschen, fragte ich mich manchmal und wie würde es mich verändern, wenn ich mir Sorgen machen müsste, ob mein Gärtner oder mein Kindermädchen ordentlich arbeitet, meine Köchin sich wirklich an die für mich oder das Herz meines Gatten dringend nötige Diät hielt, ob mich nicht alle betrügen, Freunde nur kämen, weil sie was wollten oder bräuchten. Frei von solchen Sorgen, lebt es sich doch sehr angenehm - wenn ich auch ohne Botox Spitzen zum Elternabend gehen oder mich den Freunden meiner Tochter präsentieren kann. Keinen Ärger mit einem zu teuren Auto zu haben oder sich nicht um die Handwerker im Haus sorgen zu müssen, die meinen Wintergarten endlich abdichten, ob sie wirklich nichts gestohlen haben, weil doch so viele kostbare Dinge herumstehen, die diese ungeschickten Leute einfach aus Versehen mal beschädigen und du ihnen lieber keinen Vorwurf machst, damit sie ihre Arbeit noch halbwegs ordentlich erledigen. Auch die viel zu hohen Steuern, machten mir nicht wirklich große Sorgen. Was nach mir kommt oder mit meinem Erbe geschieht, interessiert mich nicht, weil ich dann nicht mehr bin und die Freiheit des Todes so groß ist, dass sie im nu von allem befreien kann, was für die meisten dieser vermögenden Damen aus manchmal alten wohlhabenden Familien unvorstellbar war.

Leben, um davon zu erzählen, nannte Gabriel Garcia Marquez seine Autobiografie und das lag mir, wurde mir im Gespräch mit diesen gesellschaftlich zumindest in ihrem engeren Kreis so bedeutenden Damen immer wieder bewusst, die sich ständig ihre Bedeutung im Wohlstand beweisen mussten. Durch Wohltaten ihre Größe und Güte noch in Konkurrenz zu  ihrer Umgebung beweisen mussten, permanent im Stress waren, richtig zu wirken und sich für diese Wirkung eben viel antaten, was sie eigentlich furchtbar fanden. Einige waren wirklich gebildet, kamen aus guten Familien, hatten eben eine sehr gute Partie gemacht und erfüllten nun ihre Pflicht als Gattin, was mehr war, als sich vorstellen kann, wer täglich mit Existenzsorgen zu kämpfen hat.

Es gibt an diesem wunderschönen Ort der Ruhe, dem traumhaften Garten in der wuseligen Großstadt seltsamerweise wenige Menschen, die genießen konnten und um ihr Glück wussten. Hörte in den kleinen Kneipen in denen die Künstler verkehren zwar auch manch traurige Geschichten mit, doch wenige sind so besorgt, ständig gestresst und immer unter Druck wie, die im Wohlstand leben. Fragte mich, was getan werden könnte, diese Menschen glücklich zu machen. Zuerst dachte ich, ihnen müsste nur gezeigt werden, wie gut es ihnen geht, damit sie es würdigen könnten. Dann würde ihnen vielleicht ein soziales Praktikum in asozialer Umgebung helfen, doch würde es nichts ändern, erhöhte nur ihren Stress - das auch noch, überforderte sie wirklich, weil zu der vorher schon Angst noch die käme, so zu enden.

Wer glücklich sein will, muss es wollen. Sie sind in ihrer Rolle unglücklich und wollen darin Anerkennung finden, darum leisten sie Dinge, die ihnen widerstreben, für ihre vermeintliche Schönheit und andere Äußerlichkeiten, erhöhen damit den Stress in einer Umgebung, die will, dass sie funktionieren. Ihnen zu sagen, wie glücklich sie sind, wie gut es ihnen geht, führt zum genauen Gegenteil. Ihnen eine Aufgabe oder eine Beschäftigung geben, die sich nicht wie Yoga oder Pilates nur mit ihnen beschäftigt, erhöhte ihre Versagensängste. Dennoch haben sich erstaunlich viele dieser Frauen auch für Flüchtlinge gerade engagiert und fühlten sich erfüllt dabei, was allerdings nur eine Luftblase war, die platzend eine noch größere Leere hinterließ.

Habe einer mal versucht zu erklären, dass es im Leben nicht darum geht, etwas sinnvolles zu tun, weil nichts Sinn hat oder braucht, sondern was ist, zu genießen, weil wir nie mehr können und erntete völliges Unverständnis von dieser Preußin, die eigentlich unglücklich ihre Pflichten erfüllt, um zu funktionieren und ein guter Mensch zu sein. Anzuführen, dass sie sich doch gerade die Pause hier gönne, führte nur zu Orgien der Rechtfertigung, warum dies gerade nötig sei, weil sie vor Erschöpfung nach Botox oder Shopping wirklich nicht gleich fahrtauglich wäre. Sie können sich nicht entspannen und einfach genießen, wenn sie sich entspannen, machen sie das beim Yoga oder wenn sie mit ihren Freundinnen gemeinsam am Telefon über den Stress klagen. Nur falls sie dabei feststellen, dass es der noch viel schlechter geht, fühlen sie sich statt besser noch schlechter, weil sie auch im Leiden noch konkurrieren.

Eigentlich sind diese reichen Gattinnen in ihrer sozialen Gefangenschaft die ärmsten Huren der Gesellschaft, da sie niemandem leid tun, im Gegenteil nur Neider um sich haben, denen sie noch beweisen müssen, wie toll und sozial sie sind, während sie unter vollem Körpereinsatz ihr Leben verkaufen, um eine Rolle zu spielen, die nicht ihre ist und sie meist nie erfahren, was denn ihre gewesen wäre, weil sie ja einfach funktionieren. Tröstlich ist nur, ihren Gatten und den meisten Menschen geht es nicht besser, die noch zusätzlich im Job funktionieren müssen, doch die dürfen sich zumindest noch glaubhaft einreden, sie täten etwas sinnvolles, zahlten zumindest meist viel zu viel Steuern zur Versorgung  derer, die sich vorm Arbeiten drücken.

Solche Gespräche mit den Damen, die im Wohlstand leben und die mühsam ihrer Taschen mit der neuesten Designermode noch zu ihrem Platz erschöpft schleppten, zeigten mir, was ich für ein glücklicher Mensch bin und wie sehr ich mein Leben bisher genossen habe und ich beschloss noch mehr darauf zu achten, nie zum Kläger zu werden. Interessant ist, warum sie hierher kamen, einen literarischen Ort, nicht ins KaDeWe unter ihresgleichen Erholung suchten, wo sich keiner für seinen Reichtum schämt. Sie wollten eben auch dem Anspruch einer gebildeten Frau genügen und waren es teilweise auf ihrem Gebiet auch sehr. Erstaunlich viele ehemalige Kunsthistorikerinnen oder Germanistinnen, die nun klagten, nie etwas daraus gemacht zu haben und jetzt interessiere es ja auch keinen mehr. Dennoch suchten sie bewusst diesen Ort aus der auch für Kultur, Bildung und Literatur stand, die sie eigentlich liebten auch wenn sie zunächst lange von anderem erzählten.

Waren wir dann beim Thema, widmeten sie sich der Kunst oder plauderten sie über ihre Verbindung zur Literatur, hörte zumindest das Klagen auf und nach Erledigung der dort standesüblichen Formeln, von müssen sie unbedingt gesehen haben, dringend auch noch lesen und ähnlichem bis zu muss ich auch noch haben, wurde es manchmal sogar ein interessantes Gespräch, was dann aber dringend abgebrochen werden musste, weil sie ja nur für eine Stunde eingeworfen hätten und die hier so streng wären. So war es im Ergebnis selten wirklich erquicklich aber öffnete mir doch neue Welten und ich genoss, wie gut es mir mit nichts im Vergleich ging.

Das Literaturhaus Berlin ist eine öffentliche Institution des Landes Berlin, so wenig literarisch das auch klingt, und bietet dem literarisch interessierten Publikum verschiedene Möglichkeiten der Information und des Austausches durch Lesungen, Buchpräsentationen, Symposien, Diskussionen, Vorträge, Tagungen, Aufführungen und Ausstellungen. Alles, was das gebildete Publikum von Welt sich gerne so zeigen lässt, um mitreden zu können. In der Fasanenstraße 23 gelegen ist es Teil einer Villa des Historismus, mit Cafébetrieb, mehreren Sälen und einer Buchhandlung. Seit 2003 leitet der Lyriker Ernest Wichner das Literaturhaus. Der in Rumänien geborene, deutsche Schriftsteller siedelte nach dem Studium der Germanistik und der Gründung des Schriftstellerkreises Aktionsgruppe Banat 1975 in die Bundesrepublik über, wo er nochmal an der Freien Universität Germanistik und Politikwissenschaft studierte. Er ist Mitgliedd des PEN-Zentrums und lebt als Autor, Literaturkritiker, Herausgeber und Übersetzer in Berlin. Er begleitete 2004 Oskar Pastior und Herta Müller auf eine Reise in die Ukraine, wo sie die Lager besuchten, in denen Pastior als rumäniendeutscher Zwangsarbeiter zwischen 1945 und 1949 interniert war. Pastiors Erinnerungen beschrieb die Nobelpreisträgerin Müller in ihrem Roman die Atemschaukel.

Die wichtigste Aufgabe des Literaturhauses ist die Vorstellung und damit indirekte Förderung deutschsprachiger und internationaler Autoren sowie die Darstellung literarischer Zusammenhänge und Hintergründe. Im Programm spiegelt sich immer wieder die literarische Moderne, ihre Konflikte und Hintergründe sowie ihr politischer und ästhetischer Kontext. Träger des Hauses, das jährlich rund 80 eigene und zahlreiche Gastveranstaltungen organisiert, ist ein Verein, der sich um die Fördermittel kümmert. Ein Teil der literarischen Produktion sind die im Buchhandel erhältlichen Texte aus dem Literaturhaus Berlin. Gemeinsam mit RBB Kulturradio vergibt es den Walter Serner Preis für Kurzgeschichten, der mit 5500,- Euro dotiert ist. Tut also wirklich was für die Literatur.

Das Café Wintergarten befindet sich in den historischen Räumlichkeiten des Hauses und wird laut Wikipedia überwiegend von kulturell aufgeschlossenem Publikum besucht, warum verständlich wird, wieso der Besuch hier für die Damen, um sich als solche zu zeigen, natürlich Pflicht ist. Das Gebäude, das dem Land Berlin gehört, ist Teil des Wintergartenensembles, das aus drei repräsentativen Stadtvillen und dem sie verbindenden Skulpturengarten besteht. Es wurde 1889/1890 als spätklassizistischer Backsteinbau für das Ehepaar Hildebrandt von den Architekten Albrecht Becker und Emil Schlüter gebaut. Der Korvettenkapitän Richard Hildebrandt war Teilnehmer der ersten beiden deutschen Nodrpolfahrten und später Abgeordneter für Charlottenburg. Im Ersten Weltkrieg wurde das Haus ein Reservelazarett und nach dem Krieg eine Volksküche. Ab Ender der 20er Jahre war es im Besitz der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die darin ausländische Studenten unterbrachte. Nachdem das Haus später eine zeitlang gleichzeitig Bordell und Disco war, sollte es zunächst zugunsten eines Autobahnzubringers abgerissen werden, was glücklicherweise eine Bürgerinitiative zu verhindern wusste. Nach dem Erwerb durch das Land Berlin und seine umfassende Sanierung wird das Haus seit 1986 als Literaturhaus genutzt.

Damals noch eher wortloser Dichter meist, gerne Flaneur fühlte ich mich an diesem Ort schon sehr wohl - wie es zum Schreiben dort ist, habe ich leider noch nie ausprobiert, was ich dringend ändern sollte, sobald das Wetter die Fahrradtour in den tiefen Westen wieder verlockend erscheinen lässt. Es ist ein literarisch inspirierender Ort, auch wenn Suhrkamp inzwischen aus deren Nachbarschaft in meine auf den Berg zog, von dem sie sich vermutlich bald gen Mitte wenden werden. Charlottenburg ist eigentlich völlig langweilig, überaltert und fern dem aktuellen Geist, dachte ich immer als typisch vorurteilsbehafteter Bergbewohner, gerade als nur Zugereister um hiesige Identität ringend, doch nun schrieb ich schon die dritte Geschichte von dort und nehmen wir die Zeit der Gründung des KaDeWe dazu sogar die vierte - es wird also Zeit auch dem irgendwie musealen alten Westen gegenüber die Vorurteile zu widerrufen, um die Kunst und das Leben dort zu genießen, wo es sich zeigt. Das Literaturhaus ist, zumindest seines Cafés wegen immer mehr als einen Besuch wert und es wird mal wieder Zeit, dort zu verweilen und zu genießen, wer auch immer nun bedient. Vielleicht ist das schöne gediegene Charlottenburg eine Art heimliche Liebe des Bergbewohners, der mit seinem Arbeiterkiez immer etwas fremdelte.
jens tuengerthal 15.3.2017

Dienstag, 14. März 2017

Berlinleben 019

Lustorte

Es gibt einige, ungewöhnliche Orte, um es zu tun in Berlin. Dazu gibt es längst Führer und die immer zahlreicher werdenden Berliner Sex Touristen frequentieren sie regelmäßig, am besten noch, um dabei aufzufallen oder gefilmt zu werden. So sorgen soziale Netzwerke für promsikuitiven Ruhm, der sich zu übertreffen sucht.

Spannender finde ich, wenn sich die gewöhnlichen Orte des Alltags völlig unerwartet plötzlich in Orte der Lust verwandeln und so die normale Umgebung in der Erinnerung ein ganz anderes Gesicht bekommt.

Verliebt tust du alles, auch Dinge, die dich nüchtern eher die Stirn runzeln ließen. Aber ist es wirklich die Liebe, die das Hirn ausschaltet oder sind es nur die Triebe, die uns dann führen und verführen?

Sofern du ein Gefühl füreinander hast, bekommst du irgendwann Lust, alle Grenzen zu überwinden, um dich egal wo, voller Lust zu spüren, zumindest solange du nicht im Beziehungsalltag versunken, dich nur noch im Konkurrenzkampf ergehst oder frigide gehemmt bist, was häufiger vorkommt, als ich lange glauben wollte. Der beste Weg aus diesem immer irgendwann Stumpfsinn aber sind Grenzüberschreitungen, die den alten Kitzel wieder wecken können. Wenn Paaren das noch gelingt, schaffen sie die beste Voraussetzung für dauerhafte Lust und Liebe miteinander.

Hatte mal eine Verlobte, die machte es an, wenn wir es unter eventueller Beobachtung oder an irgendwie einsichtigen Orten taten. Sonst war sie nicht sonderlich außergewöhnlich, eher das Gegenteil, aber dabei wurde sie richtig wild und im nachhinein habe ich mich manchmal geärgert, diese Quelle ihrer Lust nicht intensiver genutzt zu haben, vielleicht hätte es ja noch gut werden können, auch wenn alle Erfahrung dagegen sprach, es bis auf diesen ihren Kitzel am Anfang eher öde bleiben würde, ich nie viel dabei fühlte, weil nix passierte - aber das kann auch an der fehlenden Harmonie miteinander dabei gelegen haben und vielleicht haben andere, die es auch etwas promiskuitiv lieben, nun den besten und aufregendsten Sex mit ihr, den ich im Ergebnis immer langweilig fand, weil mich die Beobachtung durch Dritte nicht anmacht, sondern ein heißes aber harmonisches Miteinander, das zusammen zum Höhepunkt findet, was ihr nie möglich war, sie unwichtig und unmöglich fand.

Vielleicht hätte sie im Swinger Club die wildesten Orgasmen gehabt, weil sie wüsste, es schauen ihr welche zu und genau das machte sie, die ihren Körper mit viel Ehrgeiz trainierte eben an, während ich das eher ablenkend fände. So auch die male, wo sie es bei offenem Vorhang auf ihrem Sofa am Fenster zum Hof tun wollte, das auch die spielenden Kinder nebenan einsehen konnten und die Nachbarn ohnehin, was sie lauter stöhnen ließ, als je wieder.

Um diese Lust ganz zu genießen, schlug ich dann vor, doch ins Schlafzimmer zu gehen, wo wir völlig frei wären - aber da wurde es wieder langweilig wie immer, jeder kam für sich oder auch nicht und von geteilter Lust oder gar Geilheit ihrerseits war nichts mehr vorhanden - sie war eher frustriert, dass mich dies nicht so anmachte, glaube ich inzwischen und ich genervt, dass sie  beim normalen Sex nichts spürte.

Verstanden habe ich nun auch, warum sie sich immer gewünscht hat, ich sollte sie mal in ihrem Büro in der Friedrichstraße besuchen, was ich absurd fand - was sollte ich da? Nachdem ich diese verunglückte Beziehung, die sich sonst leider auch nicht viel zu sagen hatte, irgendwann hinter mir ließ, wurde mir plötzlich klar, was sie da gewollt hatte und wie ich sie hätte reizen können, was es aufregend mit ihr vielleicht doch gemacht hätte. Aber so reagierten wir beide in unseren Schemen, sie träumte vom Cluburlaub in der Türkei, der für mich furchtbarsten Vorstellung Geld und Zeit zu verschwenden, während ich hoffte, sie durch Erfahrung und Technik endlich zu geteilter Lust mit ihr zu bringen, die sie nicht empfand. Sie brauchte vermutlich den Ausbruch, um sich geil zu fühlen, diese Seite zuzulassen und ich, der ja eigentlich alles mitmacht, wollte es erstmal zumindest auf normalem Wege befriedigend mit ihr machen und so kamen wir zu nichts am Ende beide und trenntenn uns lieber obwohl ich so gut neben ihr schlief wie nie zuvor.

Die Orte dort am Fenster zum Hinterhof oder einmal auf ihrem Balkon ein wenig, waren aber nicht so ungewöhnlich, dass sie große Aufregung in mir ausgelöst hätten. Bin beim Sex vermutlich eher ein gelassener Genießer, der weniger die wildesten Ritte oder die extravaganten Orte braucht, als gute Harmonie miteinander, die auch ganz ruhig und langsam sein kann, solange sie nur irgendwie zusammenkommt, sich dabei spürt - andere, jedenfalls alle, die das nicht kennen, suchen sich lieber einen anderen Kitzel. Sie erzählte mir einmal, sie hätte ihr letztes Bett mit einem meiner Vorgänger in wilder Lust kaputt gevögelt, was ich mir bei ihr nun wirklich nicht vorstellen konnte und so blieben wir uns vermutlich überall fremd.

Ein ganz gewöhnlicher und doch besonderer Ort für Sex ist immer noch das Café um die Ecke. In meinem liebsten Café, das Nachts zur Bar wird, war ich schon mit mancher meiner Liebsten und einige schöne Versuche haben sogar dort begonnen, die mehr oder weniger weit führten - wo mehr, hatten sie es zumindest nie weit zu mir in die Horizontale.

Gekommen bin ich noch nie dort, weil ich mir das lieber für den Moment aufspare, in dem beide es ganz genießen können, den Höhepunkt lieber teile. Doch habe ich mehr als einmal außergewöhnliche Erlebnisse mit den Frauen neben mir dort gehabt, die sich von mir, so unauffällig wie eben möglich und nötig in einem Café direkt am Platz, dessen Terrasse der Bürgersteig, über den so viele nebenbei flanieren, wie Autos durch unser Wohngebiet meist auf der Suche nach Parkplätzen kreisen, befriedigen ließen.

Besonders an einmal kann ich mich gut erinnern, als ich mich mit einer befreundeten Buchhändlerin traf, die ich zufällig via Facebook kannte und mit der ich mir schon diverse öffentliche Schlachten in und um Verse geliefert hatte. Sie hatte sich das Treffen gewünscht und ich hatte nichts dagegen gehabt, erwartete jedoch nichts, da ich sie für glücklich verheiratet hielt, wie sie es auch in ihrem Profil gern zeigte, wie die Muttis hier es eben so machen.

Was dann kam war eine außergewöhnlich attraktive Frau, teilweise sehr damenhaft, in Ansätzen. Brünett, schlank mit Rock und relativ hohen Absätzen, die Haare hochgesteckt, hatte sie eine wunderbar sinnliche Ausstrahlung und hätte mir gefallen, wenn ich es nicht vorher für mich ausgeschlossen hätte, da verheiratet und Mutter. Von ihrem Arschgeweih, das sie längst bitter bereute, Jugendsünde eben, wusste ich damals ja noch nichts. Mit verheirateten Frauen hatte ich genug schlechte Erfahrung gesammelt, darauf wollte ich mich nie wieder emotional einlassen und tat es dann doch wieder, unbelehrbar wie ich bin, aber darum ging es hier noch nicht.

Ein großer Fehler, denn du wirst nie etwas anderes als die zweite Geigen spielen, ein Liebhaber bleiben sonst nichts, so viel emotionales Schnickschnack auch drumherum gerankt wird. Mit jener wurde viel Show davor gemacht und viel an Gefühl noch phantasiert und ich wäre völlig in ein kümmerliches Loch gefallen, hätte ich sie nicht umgehend durch irgendwen anders wieder ersetzt, um nicht zu sehr zu leiden. All dies wäre vermeidbar gewesen, hätte ich mir vorher klar gemacht - sie ist verheiratet, was sie auch bleiben wollte - hab Spaß mit ihr und mehr nicht, lass sie nie emotional ganz an dich ran, hoffe nie auf mehr. Dann aber ist es das beste, was dir passieren kann, weil sie dich nie fesselt, dich so will, wie du bist und nicht mit dir darüber streitet, wer nun das Bad putzt oder den Abwasch macht.

Doch alle Theorie ist auch bei Geliebten grau und so endete es weniger schön als es anfing, was aber hier keiner weiteren Rede wert ist, wo es um Orte der Lust geht. Nachdem sie mir sehr deutlich klargemacht hatte, dass sie wusste, was sie wollte, sich nicht ohne Grund verabredet hätte und ich alle Scheu ablegen könne gegenüber ihrer Ehe, küssten wir uns leidenschaftlich auf der damals noch Bank vor meinem Café und meine Hände wanderten ihrer Natur folgend unter ihren Rock, was sie erst vorsichtig, dabei wohl ihrer Natur folgend, dialektisch zu sein, formal ein wenig abwehrte, bis ich doch einen Weg in ihre Feuchtgebiete fand und sie sich augenblicklich meinem Fingerspiel dezent stöhnend ergab.

Habe nie davor und danach eine Frau mit einer solchen Frequenz an Orgasmen erlebt. Sie kam während der Stunden bis gegen halb drei, die wir noch vor meinem Stammcafée umschlungen saßen mindestens zehn mal, irgendwann hörte ich auf zu zählen. Sie bat nach Luft schnappend um kurze Pausen, die ich irgendwann vom sportlichen Ehrgeiz getrieben ignorierte. Uns sie kam einfach immer wieder, mal heftiger, dann nur kurz zuckend, dann wieder sich beim Stöhnen auf die Lippen beißend, um nicht zu schreien, immerhin saßen wir mitten am Platz vor meinem Lieblingscafé, wären eine Störung der öffentlichen Ordnung geworden.

Ob die Bedienung im Café es merkte, was sie über uns an der Bar redeten, weiß ich nicht. Sie war nicht die einzige, die ich dort traf oder küsste, aber dann doch die einzige, die ich so häufig dort befriedigte. Sportlich betrachtet war ich erfolgreich, sie war glücklich, griff zwischendurch auch nach meiner Hose, unterließ aber mehr und äußerte mehrfach, diesmal käme sie nicht mit zu mir. Beim ersten mal ginge das gar nicht, da habe sie feste Regeln, eine Dame müsse darauf achten, ihre Achtung nicht zu verlieren und das ähnliche übliche Gerede vieler Frauen, die gern mal hier mal dort probieren aber eigentlich nicht wissen, was sie wollen. Dass ich mit der Frau, mit der ich am längsten in meinem Leben zusammen war, auch gleich die erste Nacht verbrachte, könnte zwar logisch und praktisch überzeugen, tut es aber faktisch nie, weil es nur um Macht und Gefühl geht, ein Spiel derer, die kaum wissen, was ihre Natur will.

Nahm solche Worte damals noch relativ ernst, weil ich irgendwie dachte, Frau, auch wenn sie deutlich mehr als zehn Jahre jünger war, wüsste, was sie wollte und hatte dennoch die Hoffnung durch weitere erfolgreiche Stimulation ihrer Klitoris in ihrem Höschen, unter ihrem Rock, irgendwo zwischen Bank und Tisch, würde ich sie davon überzeugen können, dass mein Schwanz am Ende besser wäre als nur meine Finger.

Doch genügte Frau, was sie befriedigte, so oft es auch war und besser wurde aus sportlicher Sicht der Beischlaf am Ende auch nicht, zumindest an der Frequenz ihrer Höhepunkte gemessen, zumal sie sich vor dem dann nächsten und unserem ersten mal so mit Wodka besoffen hatte, dass ich fast Sorge hatte, ich würde ein fast willenloses Opfer nur benutzen, als sie sich auf dem kurzen Weg zu mir noch beinahe zweimal übergeben musste. Was dann mein Helfersyndrom des Krankenpflegers weckte, ich mich nur noch besorgt um sie kümmern wollte, worauf sie weiblich dialektisch doch wieder Lust bekam, aber das ist ja gar kein Thema heute. Nur so viel vielleicht am Ende, der Vollzug des lange angekündigten war ok, besser als kein Sex, aber auch nichts, was der endlosen Zahl ihrer multiplen Orgasmen auf der Bank vor meiner Stammbar vergleichbar wäre, nicht der totale Wahnsinn, eher ganz nett.

Nie zuvor und nie danach habe ich eine Frau erlebt, die bei so starker physischer Reaktion im Genitalbereich, sie zuckte wirklich am ganzen Körper dabei zusammen und versuchte nur ihr Gesicht noch einigermaßen unter Kontrolle zu behalten, in so hoher Frequenz Orgasmen bei nie nachlassender Lust unter meinen sie mit verschieden hoher Frequenz taktierenden Fingerspitzen bekam. Als irgendwann auch das Café, das eine Bar nächtens war, schloss, begleitete ich sie noch zum Kiosk, um Zigaretten zu kaufen und befriedigte sie noch mehrfach beim Stehenbleiben unterwegs. Zweimal davon auf und an Spielplätzen und dabei verlor sie beim ersten mal in zuckender Hingebung noch ihren Ohrring, den ich zufällig am nächsten Tag wiederfand und den sie schließlich bei mir abholte.

Warum ich dieses Spiel mitgespielt habe, nachdem sie mir klar sagte, nicht beim ersten mal zu dir, Frau muss auf sich achten und sie dennoch selbstlos ohne eine Aussicht auf Befriedigung in einem Meer von Orgasmen schwimmen ließ, bis meine Finger fast taub wurden von den Tauchgängen in ihren Feuchtgebieten, weiß ich nicht mehr - aber jugendliche Naivität gepaart mit  sportlichem Ehrgeiz taten wohl ein übriges. Nichts erreichte mehr dieses erste mal und alles danach wurde mehr durch Erwartung als Realität aufgeladen und dennoch muss ich noch jedesmal lächeln, wenn ich an die Holzbänke an der Wand denke und diesen ersten Abend der multiplen Orgasmen.

Als eher schlichtes Gemüt genügt mir einmal, wenn es gemeinsam ist und sportliche Rekorde dabei überlasse ich gerne anderen, da sie eher von Ehrgeiz als von Genuss künden für meinen Geschmack. Wollte nicht wirklich von einer Frau vor dem Café befriedigt werden und zöge dann immer die horizontale für ausgelassenen Sex vor, weiß nicht, ob ich mit der Zeit der totale Langweiler wurde, oder die Erfahrung einfach lehrt, was gut tut und gefällt und dann wieder in der Beschränkung die wahre Kunst liegt. Wer sonst nicht kann, mag gern besondere Orte oder fühlt sich öffentlich heißer, wenn es genau nicht geht. Der Kenner und Genießer, braucht kein Spiel und freut sich an der Sache selbst, sage ich mir, um zu verdecken, dass ich vermutlich längst ein öder Sex-Spießer bin.
jens tuengerthal 14.3.2017

Berlinleben 018

Bei Liebermann am  See

Es war ein wunderbarer Sommertag als ich beschloss, eine Radtour zu machen. Quer durch Berlin, wollte ich zum Wannsee fahren mit meinem neuen gerade auf dem Flohmarkt erworbenen alten Rad mit den Blechschutzblechen und der manchmal Dreigangschaltung. Zur Villa Liebermann, weil ich seine Bilder liebte, den Mann mochte.

So machen die Berliner das eben, mit der Liebsten raus an den Wannsee, wie es die Comedian Harmonists hier einst so schön besangen, die Badewanne der Stadt, doch war es weder Sonntag, noch wollte ich meine Liebste mitnehmen, welche die Idee einer Fahrradtour ohnehin nur wenig begeistern konnte. Wenig hätte ich mir wohl zu dieser Zeit sehnlicher gewünscht als mit ihr in der Natur wild unterweg zu sein, die sie die nobelsten Hotels der Welt schon kannte, aber ihr Bedürfnis nach Outdoor hielt sich in überschaubaren Grenzen. Später dagegen, als ich eine zeitlang an eine etwas verrückte Schauspielerin mit Essstörungen geriet, die nichts so liebte, wie in der Natur zu sein, ging mein Bedürfnis dies betreffend gegen null. Lieber wäre ich mit ihr ins Museum gegangen, statt irgendwo im Wald zu sitzen oder am See zu hängen, gar unbequem zu zelten.

Die Mischung macht es spannend, finde ich - also eine Radtour zur Kultur und nicht eine Dialektik im Ausschlussverfahren, von allem ein wenig und maßvoll genossen. Muss keine großen Berge mehr besteigen oder in unberührte Wildnis aufbrechen, um mich zu beweisen. Bringe lieber fünf Stunden im Museum bei befreundeten Bildern zu als in Waldeseinsamkeit, auch wenn ich die gelegentlich ganz nett finden kann für kurze Besuche. Denke ich an meinen Onkel in Mecklenburg, der stundenlang durch dortige Wälder und Wiesen reitet, gerne draußen bei seinen Pferden ist und den die harte Arbeit dabei glücklich macht, habe ich immer das Gefühl, dass wir von zwei verschiedenen Planeten kommen, so sehr ich ihn sonst auch schätze und wie ähnlich wir uns auch in manchem sind.

Dieses Hemingway-Gen des wilden Mannes, der sich in der Natur seine Männlichkeit beweisen muss, habe ich inzwischen völlig abgelegt, nach vielen Jahren im Dschungel der Großstadt - als Kind und Jugendlicher war es ein Ideal für mich, wollte ich Hütten bauen, in denen ich schlief und fand das Abenteurerleben erstrebenswert, was heute eher Outdoor wohl genannt wird. Weiß nicht, ob es daran lag, dass ich erwachsen wurde und die Gesellschaft guter Bücher und feinen Tees mehr zu schätzen wusste als die von nur Bäumen, Käfern und Sträuchern, hat alles seinen Reiz und gerne lese ich noch die Reiseabenteuer von Georg Forster, Alexander von Humboldt, Fridtjof Nansen oder Sven Hedin, doch meine Welt ist eine andere und ich fände es für mich eher befremdlich, durch die Welt reisen zu wollen, wie manche es als Lebensziel und Sinn sich wählen.

Früher wollte ich gern einmal die Seidenstraße von Istanbul bis Peking mit einem Camper abfahren oder besser noch mit dem Rad, heute frage ich mich warum, was ich da zu suchen hätte, warum ich tun sollte, was tausende vor mir taten, als Händler, Forscher oder Flüchtlinge. Suche Entdeckungen eher auf geistigem Gebiet, versuche manchmal das Zusammenleben der Menschen und das Verhältnis von Mann und Frau durch Übung in der Praxis besser zu verstehen, was sich immer wieder als komplexer erweist noch als die abenteuerlichsten Reisen. Albert Einstein meinte, zum Wesen der Frau könne er nicht viel sagen, er hätte sich nur mit vergleichsweise simplen Dingen wie der Relativitätstheorie beschäftigt und staune immer noch. Ein Satz, der meine volle Zustimmung findet und schaue ich mich in Berlin um und denke an die wenigen aber darunter ach so zahlreichen komplizierten Frauen, die ich hier kennenlernte, weiß ich, dass ich nirgendwo mehr hin muss, wenn ich die Welt erforschen oder neues lernen will, sich genug in dieser Stadt immer findet. Wo sollte ich da noch hin wollen?

Die einen rennen um die Welt, die anderen gehen in sich und doch wüsste ich nicht zu sagen, wer mehr unterwegs ist dabei, die Welt besser kennenlernt, vor allem was glücklicher macht. Weniger Bewegung macht mich ausgeglichener und zufriedener und so verstehe ich die Leute nicht, die beständig meinen vor etwas weglaufen zu müssen, um die Welt zu sehen, dort gewesen zu sein und das erlebt zu haben. Tief in mir wusste ich das eigentlich schon immer, dennoch hat es etwas gedauert, bis ich dies Wissen auch umsetzen lernte und daraus die für mich richtigen Schlussfolgerungen auch gegen den Strom der Massen zog. Reise in Büchern, bin wenn geistig unterwegs, nichts ist ermüdender als schlecht erzählte Reisegeschichten von Leuten, die überall gewesen sein wollen und sich dadurch wichtig machen wollen, dass sie ihre Geschichten belanglos erzählen, weil es nur um namedropping geht.

Trotz dieser inzwischen in Ruhe gereiften Überzeugung bewege ich mich dennoch manchmal ganz gegen meine geruhsame Natur dennoch gerne und habe das Gefühl, es könnte auch gut tun. So machte ich mich auf zum Wannsee mit dem Rad, die ungefähre Karte von Berlin im Kopf, wollte ich den Berg hinunter, den schönsten Weg durch Mitte wählen, das Brandenburger Tor durchqueren, den schönen Tiergarten entlang radeln und dann Fluss und Kanal nach Schloss Charlottenburg und von da aus weiter der Spree folgen, bis sie in die Havel mündet, um dann das Ufer des werdenden Wannsees entlang zum Ziel zu kommen, war doch ganz logisch eigentlich.

Einige Kilometer nur waren es nach meinen Berechnungen, genauer etwa 25km von mir bis zur Villa Liebermann mit dem Rad - zumindest wenn ich den offiziellen Radweg nahm, der aber an der Autobahn entlang und durch den Wald führte, wo ich noch Berge fürchtete, die ich mit den altertümlichen 3-Gängen lieber vermeiden wollte, musste mir nichts mehr beweisen, hatte im Studium und zu Schulzeiten genug Radtouren gemacht, auch mal Berge hinauf. Damals fuhr ich täglich von Walldorf nach Heidelberg und zurück, was zumindest in Summa 30km und also weiter war. Sollte ich nach einem Weg genug haben, konnte ich ja in die S-Bahn mit dem Rad steigen und gemütlich zurückfahren, dachte ich. Noch aber war ich wild entschlossen dies Abenteuer zu überstehen, einen neuen besseren Weg zu suchen, als diese Radnetze angaben, die doch offensichtlich keine Ahnung hatten, wo es schön ist und was der bergfaule Radler wie ich erleben möchte.

Der Weg entlang der Spree, inzwischen recht gut ausgebaut, endete irgendwann hinter Charlottenburg im Nichts der Kleingärten und ich musste ungewollt, auf größere Straßen ausweichen. Am Rande einer sechsspurigen solchen rollte ich nun, noch mit kaiserlicher Pracht großzügig angelegt, heute den Lärm vervielfachender Ausweis urbaner Mobilität, auf denen sich Vorstädter und Brandenburger gen Berlin aufmachen.

Irgendwann ging es zum Olympiastadion, folgte dem Weg, der in die Irre führte, einen Moment. Wollte ans Ufer der Havel, die nach dem Wannsee langsam wieder Fluss wurde und diesem folgen, bis ich an den Wannsee kam und dachte, es sei ein kleiner Ausflug, die 15km nach Heidelberg kosteten mich in Studienzeiten keine halbe Stunde. Allerdings gab es in der Ödnis der Kurpfalz einen Radweg, entlang der Eisenbahn, ich kannte ihn genau, auch die Abkürzung durch die Kleingartenanlage und zwischen meinem Wohnsitz und der Universität lag kein einziger Berg.

Ahnte, wo das Wasser sein musste, das ich noch nicht sah. Linker Hand ging eine Straße ab, die in steilen Kurven hinunter führte, entschlossen wollte ich mich auf den Weg machen, freute mich auf die Abfahrt. Mit Wind in den Haaren genoss ich die Erfrischung, die kaum eine Minute dauern - Berge in Berlin sind selten wirklich hoch, Abfahrten nie zu lang. Doch das kleine Glück hatte mich erfrischt und dort sah ich tatsächlich die wieder Fluss werdende Havel nicht weit vor mir und wollte ihr nun genn Wannsee folgen. Es musste doch eine Straße am See geben, wo es fraglos am schönsten war.

Fanden die Käufer der Häuser damals wohl auch und hatten die Seegrundstücke besetzt, ich kam nicht näher und irgendwann endete der aus guten Gründen auf keiner Fahrradkarte angegebene Weg vor einem Privatgrundstück, dessen Warnschilder sehr deutlich machten, dass eine rasche Durchfahrt in keinem Verhältnis zum aufgenommenen Risiko stand. Hier war Ende. Es ging nicht weiter, außer ich fuhr wieder den Berg hinauf, angesichts der Hitze und des nahen Wassers, zu dem ich endlich wollte, ein völlig unmögliches Vorhaben. Doch es gab keinen Ausweg, keinen Schleichweg, kein Entkommen - nicht mal bis zum Wasser kam ich, um durch dieses watend, das Rad zur Not tragend, den Aufstieg zu vermeiden. War zu spät abgebogen und mitten in Pichelswerder gelandet, von dort gab es keinen Weg am Ufer, diese Landzunge oder Insel inmitten der Havelverengung endete im Wasser und vorn dort gab es kein zurück.

Musste wieder hoch, fuhr ein kleines Stück, dann stieg ich keuchend und schwitzend ab, dachte, ich muss und will mir nichts beweisen und schob, ich weiß nicht wie, das viel zu schwere, altertümliche Rad die zu steile Straße wieder hinauf - war ich hier in einem Alpendorf oder in Berlin, am Wannsee oder im Tessin?

Die Havelchaussee, war mir zu groß, zu hügelig und schien mir abwegig für den geheimen Schleichweg, den ich suchte, überquerte sie also, etwas besseres zu finden. Es musste doch einen Weg im Wald geben, sagte mir meine Erinnerung - der Grunewald ging doch bis an den Wannsee, hatte ich auf der Karte gesehen, da musste es doch Wanderwege geben, die bestimmt nur nicht als Radwege gekennzeichnet waren, damit es nicht jeder macht und die Radler sich entweder den Avus seitlich entlang oder über das auf und ab der Havelchaussee locken ließen.

Viele Umwege später, völlig verschwitzt, vermutlich kurz vorm Sonnenstich, fand ich dann doch einen Weg durch den Wald, von dem aus, nach der Karte, die am Eingang des Gebietes stand, ein Weg zum Wannsee abgehen sollte. Klar der offizielle Radweg entlang des Avus und der Autobahn, wäre auch nicht weit, aber ich wollte ja am See entlang, den Berlinern mal zeigen, was der beste Weg zum Wannsee war, ließ mich doch nicht von solch einer zentralen Verkehrsleitung aufhalten und nur weil da ein offizieller Radweg eingezeichnet war, musste es nicht mein Weg sein. Alle Wege führen zum Wasser, irgendwann, sagte ich mir, genoss ein wenig die Kühle des Waldes und begann doch bald wieder zu schwitzen, denn es ging schon wieder beständig leicht bergauf. Logisch eigentlich, Ziel dieses Weges war die Aussichtsplattform mitten im Grunewald, natürlich etwas höher gelegen, was die Berliner halt so Berg nennen - ärgerte mich über meine Dummheit, denn natürlich wollte ich nicht auf den Teufelsberg sondern an den Wannsee. Es war zu warm, sich darüber noch zu amüsieren.

Wieder zurück an der sechsspurigen Chaussee gen Spandau, als gäbe es etwas, zu  sehen, was so viele Spuren nötig hätte, in der schon brandenburgisch anmutenden Provinzvorstadt. Bis zum IKEA mag es noch Gründe geben, danach, nahm doch das Interesse rapide ab, Rudolf Hess war lange genug tot, die Zitadelle verwaist und zu der führten auch andere Wege noch. In eben dieser Zitadelle war ich mal auf einem Konzert, irgendwas rockiges, längst vergessen was, mit bestuhlten Sitzreihen vor der Bühne und ansonsten ländlicher Festival Atmosphäre.

Damals interessierte mich die Dame, die auch am Platz lebte, mehr als die zufällig Musik, zu der sie mich einlud, bei ihr war es umgekehrt, glaube ich, zumindest verloren wir uns danach irgendwie aus den Augen - neulich grüßte mich eine sehr nett, könnte sie gewesen sein, aber nicht mal dessen bin ich mir sicher, über einen Kuss ging es wohl nie hinaus, wenn sie mir auch ausführlich von ihrem Liebesleben erzählte, fand unseres doch nicht statt. Sie liebte Konzerte und Festivals, hatte alle Großen gehört, ich dagegen würde dafür nie Geld ausgeben, war vor ewigen Zeiten mal mit Pressekarten auf einem Festival am Hockenheimring in der sonst öden Kurpfalz und dachte schon da, nicht meine Welt, auch wenn von den dort Bands alle Welt redete damals. Wolltest du etwas sehen, war der Lärm so groß, dass es nicht wirklich erträglich war, mit Fernglas entfernt ging es, aber da konnte ich es mir auch im Fernsehen anschauen und sah dabei noch mehr, wenn ich so ein Ding je hätte und die Lautstärke nach Laune regeln. Im übrigen fand ich es noch nie so spannend Menschen beim Musik machen zuzusehen, was an mangelnder Musikalität meinerseits liegen könnte. Auch der angebliche Sex-Appeal solcher Festivals mit relativ ungewaschenen, meist betrunkenen, halb tauben Proleten, erschloss sich mir nie und Frauen, die auf solche Typen standen, konnten mich vermutlich so wenig spannend finden, wie ich sie, sage ich heute gelassen.

Auch mein Besuch in Bayreuth bei den berühmten Festspielen, bei denen ich über einen meiner besten Freunde der dort dirigierte Freikarten für verschiedene Generalproben erhielt, die quasi eine Voraufführung waren, war nett und eindrucksvoll. Doch wenn ich den Ring wirklich hören will, bin ich Zuhause besser dran, es ist gute Luft, ich kann im Sessel sitzen, dazu Tee trinken, die schönsten Aufnahmen habe ich da und das Bühnenbild und die Inszenierung damals noch von Wolfgang Wagner, der auch noch direkt vor mir saß, waren zwar nett, aber kaum eine Reise wert, hätte ich dort nicht meinen lieben Freund M besucht.

Zur Verteidigung Wagners und der Oper sei nur gesagt, wenn sich was lohnt, dann das - in der Zitadelle zu Spandau, an die ich bei der Hitze meiner zu abenteuerlichen Fahrradtour noch nicht dachte, weil es erst Jahre später geschah, lohnte sich vielleicht meine Nachbarin, auch das habe ich ja nie erfahren, also lohnte sie sich nicht - die Musik war zwar eher für ältere Semester und Nachbarn angenehm in der Lautstärke eingestellt aber nichts, was mich weiter interessiert hätte. Drumherum diese etwas piefige Festival Atmosphäre zwischen Zeltplatz und Klassenfahrt für gern junggebliebene, die sich aber jetzt erst die Karten leisten konnten, als sie eigentlich besser mit Faltencreme und Herzmittel im Liegestuhl aus dem Eigenheim Musik hören sollten.

Doch in der Zitadelle wie in Bayreuth galt, einem geschenkten Gaul schaute ich nicht in die Kiemen, nahm es, wie es eben kam. Vielleicht schreibe ich nochmal detaillierter darüber, andererseits ist es eher provinziell, könnte überall auf der Welt sein, ist eher wie André Riéu Konzerte, die auch dort stattfinden, etwas für Menschen in geistig prekären Verhältnissen, über die meine Höflichkeit lieber schweigt und dies könnte auch genügen, mehr passierte da ja nicht und näher beschäftige  möchte ich mich mit dieser sogenannten Festivalkultur auch nicht. Es ist eben ein Markt mit viel Geld, wie Baumärkte, über die ich aber vermutlich mehr erzählen könnte.

Dann eben doch die Havelchaussee, bis ich endlich an die Havel kam - hätte ich auch schon Stunden früher haben können, dachte ich, verschwitzt und verstaubt wie ich war. Fühlte mich wie ein Reisender nach der Durchquerung der Sahara mindestens. Es ging erst mal bei frischem Fahrtwind hinunter und zumindest wusste ich, die Richtung stimmte, ich musste da nicht wieder hoch. Kam an die Havel und folgte der romantisch gelegenen Straße am zauberhaften Waldrand, bis sie die Frechheit besaß, wieder ansteigen zu wollen - sofort verließ ich die wider Erwarten sehr angenehm zu fahrende relativ ruhige Straße und folgte den vielen, die hier schon am Straßenrand parkten und die gewiß einen Weg am Ufer entlang kannten.

Es fand sich ein Weg, siehe da, wie von mir bestellt und ich folgte ihm, wie es eben ging, während die Straße im Wald die Hügel hinauf stieg, eine Meute keuchender Radler auf sich. Es war sehr sandig hier am Ufer - märkische Streusandbüchse eben - so gab ich den Gedanken, tatsächlich dort zu radeln bald wieder auf und schob eben am Ufer Havel entlang wie bei einem Strandspaziergang, hatte ja Zeit.

Immer wieder zeigten sich kleine Buchten zwischen dem Urwald von Schilf am Ufer an denen teils Liebespaare oder Angler saßen. Ob es auch sich liebende Angler gab, weiß ich nicht, vermutlich gibt es für die Angler die Zeiten, in denen sie lieben und jene in denen sie angeln. Wie bei Hemingways etwas überschätzter Novelle Der alte Mann und das Meer. Die Paare teils sehr leicht, teils auch gar nicht bekleidet, gaben sich vermeintlich den Blicken entzogen gern ihrer Lust hin, worauf ich noch leiser vorbei schlich, sie nicht zu stören. Manche waren auch noch ein dekorativer Anblick dabei, doch war der Durchschnitt eher gut gebräunt als gut gebaut.

Finde einen leichten Wohlstandsbauch gerade bei Frauen und lieber etwas mehr als zu wenig inzwischen immer den schöneren Anblick als diese konkurrenten Sportlerkörper - womit beschäftigen sich diese Menschen, wenn sie nicht gerade ihren gestählten Körper trainieren oder hungern, frage ich mich dabei immer und denke, wer zu schlank ist, kann nur entweder hohl sein, kein Genießer oder muss eine Stoffwechselstörung haben und ist deshalb kein schöner Anblick sondern drückt nur einen effektiv unnormalen Mangelzustand aus. Hatte zwei Verlobte, die beide auch sportlich sehr ehrgeizig und gut trainiert waren, die zweite noch viel mehr  als die andere und mich beeindruckte diese straffe Schönheit schon sehr, doch bedenke ich nun, was sich meist für ein hohles oder krankes Wesen dahinter offenbarte, worauf sich solche Menschen tatsächlich konzentrierten, wie es oft eher eine Essstörung als die Fähigkeit zum Genuss offenbart, werde ich künftig jede Frau über vierzig ohne Bauch für verdächtig halten und die darunter sind ohnehin völlig uninteressant meist.

Jeder Verdacht darf natürlich gerne widerlegt werden und ich bin immer offen für schöne Überraschungen, doch raten Vorsicht und Erfahrung dringend hier künftig, lieber vernünftig  und berechnend vorzugehen, um nicht den Ansprüchen der bauchlosen Perfektionistinnen das angenehme Leben zu opfern, von dem diese selten etwas verstehen. Würde noch nicht sagen, der Sex mit Frauen ohne Bauch muss langweilig sein, es mag da auch Ausnahmen geben, viele habe ich davon noch nicht kennengelernt.

Darüber dachte ich ein wenig nach, während ich die sehr bodenständigen Berliner in ihren Buchten sah, die ihr Bier im See kühlten, sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließen, gänzlich ungezwungen genossen. Die an der Straße trotz der von mir so unnötig gefürchteten auf und ab, vielleicht eine halbe Stunde sehr langsam zurückgelegte Strecke dauerte schiebend, zwischendurch im märkischen Sand oder havelschen Matsch versinkend um gefühlte Stunden länger, eine kleine Ewigkeit schien es mir und dann musste ich auch noch ständig den Uferweg wieder verlassen, weil es tatsächlich nicht weiterging.

Wollte ich dann nicht sehr abenteuerlich den Weg zur Havelchaussee hinaufklettern, was ich mit erwartbaren Folgen nur einmal versuchte, musste ich teilweise sogar wieder umkehren. Es dauerte also. Kam an den Inseln Lindwerder und Schwanenwerder vorbei, dem Geheimtipp für viele Promis auch, ersparte mir aber ziemlich verstaubt die Rundfahrt, wer weiß, wen ich dort sonst so derangiert traf, kam hinter Nikolassee schließlich doch zum großen Wannsee, an dessen Strandbad die Tour am Wasser weit eingezäunt definitiv endete. Vom Wannseebadweg landete ich auf dem noch viel größeren Kronprinzessinnenweg. Diesen verließ ich wieder in Richtung des Ruderclubs am Wannsee, in der Hoffnung dort den ruhigeren Weg Am Sandwerder an der American Academy vorbei zu finden, was nach kleineren Umwegen auch tatsächlich gelang.

Die Villa der American Academy ist auch viele Geschichten wert, wen ich dort alles traf, wie zauberhaft der Garten zum Wasser führt beim American Yacht Club, der mich immer weniger interessierte als die Bibliothek der Academy in der Villa oben.

Direkt nach der Academy ging es wieder auf den Kronprinzessinnenweg, der auf die riesig breite Königsstraße führt, die einzig den großen Wannnsee an dieser engen Stelle überquert und nach der es nach rechts, der Straße Am Großen Wannsee folgend, zur Villa Liebermann gehen sollte, dem Ziel meiner kleinen Tour. Vorher kam ich noch an diversen Yachtclubs vorbei und von dort war bei diesem Traumwetter das Klappern der Segel und Masten zu hören, da so schön nach Meer schmeckt. Ganz klein geht dann die Coloniestraße ab vom Großen Wannsee - nur eine Stichstraße an deren rechten Ende die Villa Liebermanns lag.

Schloss mein Rad an, staubte mich so gut wie möglich ab, trank einen Schluck und reinigte mir mit einem weiteren das Gesicht, versuchte es zumindest, bevor ich das Gartenhaus betrat, das hier als Kassenhaus und Museumsshop diente. Dachte an den Grafen Almásy aus Ondaatjes Der englische Patient, wie er sich aus der Wüste kommend, für einen Empfang in der Stadt noch den Sand aus den Ärmeln schüttelte.

Sehr aparte, sichtbar gebildete Damen empfingen mich mit einem Lächeln und das Gefühl vom Abenteuer des Havelurwalds plötzlich wieder in die bildungsbürgerliche Hochkultur zu stolpern, wiederholte sich. Wollte mich entschuldigen, die heiligen Hallen des von mir so sehr bewunderten Liebermann in diesem Zustand zu betreten und am liebsten von meinem kleinen Abenteuer in der märkischen Wüste am Ufer der Havel erzählen, was vermutlich niemanden interessierte und überlege, wie ich dennoch mit den Damen ins Gespräch käme, um meinen Zustand zu erklären.

“Hoffe ich bin nicht zu schmutzig, um hier eingelassen zu werden.”
“Machen sie sich keine Sorgen, so streng sind wir hier nicht, da kommen ganz andere direkt vom Strand…”, antwortete die Dame mir gegenüber mit den blond gefärbten Haaren in denen Spuren ihres wohl natürlichen Silber schon sichtbar waren und zog dabei die Brauen hoch.
“Den bin ich auf seltsamen Wegen von Spandau mit dem Rad kommend entlang gefahren …”, wollte ich ihre Neugier wecken.
“Über Spandau, nicht einfach der Chaussee gefolgt?”, fragte die etwas jüngere, sehr attraktive, die wohl eher für den winzigen Musems-Shop zuständig war und mir noch besser gefiel.
“Wollte direkt am Wasser sein, was nicht ganz einfach war. Naja, war nicht die Wüste Gobi und auch nicht die Sahara, nur märkischer Sand aber davon genug...”, lachte ich die beiden tiefstapelnd an, als hätte ich ein riesiges Abenteuer erlebt und sei nicht nur mit dem Rad von Prenzlauer Berg zum Wannsee gefahren, nichts also, was der Rede wert wäre.
“Ach, und gibt es da einen guten Weg am Wasser?”
“Eher weniger, vor allem weniger gut der Weg, ansonsten sind die Leute dort eher weniger bekleidet und rechnen wohl eher weniger mit Zuschauern…”, lachte ich die beiden Damen an, die mich genau so bewundernd anschauten, wie ich es mir jetzt gewünscht hatte.
“Na das macht auch nicht jeder, da haben sie ja eine lange Tour hinter sich. Von wo kamen sie denn?”
“Nicht der Rede wert”, stapelte ich nun gut preußisch tief, “Von Prenzlauerberg aus, nur einmal durch die Stadt, an Charlottenburg vorbei, der Spree folgend und dann eben noch so ein paar dumme Irrwege.”
“Und das alles, um zu uns zu kommen - das macht uns stolz und freut uns, gönnen sie sich was schönes im Café und genießen sie die Zeit in der Villa, dem besten Ort der Erholung”, sagte sie lächelnd und reichte mir die Eintrittskarte und ich beugte mich über ihre Hand und deutete einen Handkuss wieder in Almásy-Manier gespielt an. Deutete auch gegenüber der jüngeren sehr attraktiven Kollegin noch die Verbeugung mit großer Geste an und sie tat mir erwartungsgemäß auch den Gefallen und reichte mir die Hand zum Kuss, den ich diesmal nicht nur andeutete, der ich mich nun als Abenteurer und wunderbarer Gentleman ganz großartig fühlte, egal wie derangiert ich in Wirklichkeit war, hatte ich für drei Leute diesen bloßen Ticketverkauf zu einem Fest der Sinne gemacht, statt als nur ungepflegter Chaot ins Museum zu gehen, der nur ein berechtigtes Stirnrunzeln hinterlassen hätte, fühlten sich wohl alle Beteiligten wunderbar danach, woran wir sehen, wie wenig Worte und ein wenig Stil manchmal eine Situation geradezu wunderbar verändern können, die dazu neigt ins peinliche zu kippen.Weiß allerdings nicht, wie sehr sie über mich lachten, nachdem ich das Gärtnerhäuschen wieder verließ und das ist vielleicht auch gut so.

Aus dem Gärtnerhäuschen trat ich in den Garten und war mit einem Schritt in Liebermanns geliebten Bildern. Über 250 seiner Gartenbilder malte er hier und an vielen Ecken des wiederhergestellten Gartens gibt es ein Wiedererkennen, fühlt sich der Besucher, als liefe er durchs Bild. Angefangen hier im quasi Vorgarten der Villa, die auf einem etwa 7260m² großen schmalen Grundstück liegt, das mit dem See abschließt und in dessen oberen Drittel ungefähr die vom Architekten Paul Otto Baumgarten errichtete Villa liegt und schon der Name des Architekten scheint Bände zu sprechen für die vielen quasi ideal positionierten Bäume, die ein wunderbares Ensemble mit Haus und übriger Gartenanlange bilden.

Im Jahre 1909 erwarb Liebermann das auf dem Gebiet der Villenkolonie Alsen gelegene Grundstück. Diese Kolonie wurde von dem Bankier Wilhelm Conrad begründet und aus ihr ging später der Stadtteil Wannsee hervor. Als Vorbild für die Vorderfront diente der Mittelteil des Goodeffroyschen Landhauses, das 1790 durch Christian Frederik Hansen erbaut wurde. Während die Rückseite Ähnlichkeiten mit dem Wesselhoeftschen Haus aufweist. Schon ein Jahr später, zum Sommer 1910 hin, bezog der damals 63 jährige sehr erfolgreiche Maler mit seiner Familie die Villa als Sommerhaus. Das Atelier Liebermanns befand sich im Obergeschoss in einem Raum mit Tonnengewölbe und großen Fenstern. So verbrachte er in den folgenden 25 Jahren die Sommermonate in seinem Schloss am See, fern des ererbten Stadtpalais direkt am Brandenburger Tor, in dem heute das andere Liebermann-Museum mit wechselnden Ausstellungen, wie etwa jüngst über Harry Graf Kessler, einem auch Freund Liebermanns, der dessen Kunst sehr schätzte.

Den großen Garten bis zum See ließ er von dem damaligen Stadtgartendirektor von Berlin Albert Brodersen anlegen und sich dabei auch von dem als Gartenreformer bekannten Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark beraten. Der Garten wird durch die Villa unterteilt. Der Mittelachse des Hauses folgend ergibt sich über eine große Rasenfläche ein freier Blick auf den See, einem auch späteren Gegenstand vieler Bilder Liebermanns. Vor dem Haus befindet sich in Richtung See eine große Gartenterrasse. Auf der rechten Seite ist der Garten durch den auch häufig von ihm gemalten Birkenweg begrenzt, auf der linken Seite finden sich Heckengärten mit wunderbaren Rosen und anderen zauberhaften Beeten.

Im rückwärtigen Teil des Gartens zur Straße hin, durch den ich zuerst kam, befindet sich das frühere Gärtnerhäuschen, in dem heute der Verein die Kasse und den Museums-Shop betreibt. Dieser Teil ist ein Stauden und Nutzgarten, aus dem sich die Familie teilweise auch ernährte und den der Besucher auch in vielen Bildern wiedererkennt. Der Verein achtete dabei auf eine möglichst getreue Wiederherstellung des originalen Zustandes und Gartenfreunde finden zahlreiche wunderbare Kräuterbüsche inmitten, wie sie mir später meine liebste A und mein Vater genauer erklärten.

Fünf Jahre nach Liebermanns Tod wurde seine Frau 1940 von den Nationalsozialisten gezwungen die Villa an die Reichspost zu verkaufen. Die Dokumente dazu werden im Erdgeschoss ausgestellt. Martha Liebermann entschied sich 1943 für den Freitod als ihr der Abtransport in das KZ Theresienstadt drohte. Ein Stolperstein vor der ehemaligen Stadtvilla am Brandenburger Tor erinnert an ihr Schicksal. Ab 1944 wurde die Villa zum Lazarett. Auch nach dem Krieg wurde die Villa bis 1969 als Krankenhaus genutzt. Nach dem Krieg erhielt Liebermanns Tochter Käthe Riezler, die in den USA lebte, zunächst das Haus zurück. Das Land Berlin kaufte es ihr 1958 wieder ab und verpachtete es ab 1972 an einen Tauchverein.

Schon damals gab es erste Versuche, die Villa wieder zu einem Museum zu machen, das den bedeutenden Künstler würdig, was jedoch erst durch die langjährigen Bemühungen der 1995 gegründeten Liebermann Gesellschaft gelang. Seit 30. April 2006 ist die Villa nun als Museum geöffnet und steht ganzjährig den Besuchern offen. Die rund drei Millionen Euro für die Sanierung brachte die Gesellschaft gemeinsam mit privaten Spendern auf, ein wenig unterstützt von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Während der Sanierung wurde zusätzlich noch ein vergessenes Wandgemälde Liebermanns in der Loggia entdeckt und sorgfältig wiederhergestellt.

Im ehemaligen Atelier Liebermanns im Obergeschoss werden rund 40 Gemälde und Pastelle Liebermanns aus Leihgaben ausgestellt. Im Erdgeschoss wird die Geschichte der Familie Liebermann und des Hauses dokumentiert. Im Schwerpunkt werden dort Bilder mit Bezug zu Haus und Garten präsentiert und der Besucher kann sie selbst dort lustwandelnd sofort wiedererkennen, sich wie die Dame im weißen Kleid auf die Bank setzen und einen Tee oder Kuchen aus dem hervorragenden Café gönnen, dass die Terrasse oder im Winter die Innenräume bewirtschaftet.

Der 1847 in Berlin geborene Max Liebermann ist der wohl bedeutendste Vertreter des deutschen Impressionismus und blieb diesem lichten wunderbaren Stil auch treu, als andernorts längst viele Expressionisten am grau der Wirklichkeit verzweifelten oder alle Formen auflösten. Nach seiner Ausbildung in Weimar und Aufenthalten in Paris und in den Niederlanden, malte er zunächst naturalistisch, ließ sich jedoch ab 1880 durch die Beschäftigung mit den französischen Impressionisten zu seiner lichten Farbigkeit inspirieren. Sein Schaffen steht für den Übergang von der Kunst des 19. Jahrhunderts zur klassischen Moderne in der Zeit des reaktionären Wilhelminismus und der Weimarer Republik. Er förderte diesen Wandel auch als Präsident der Berliner Secession bis zu ihrer Auflösung und der Akademie der Künste von 1920 bis 1932. Bis 1933 ihn die Nazis vergraulten war er auch Ehrenpräsident der Preußischen Akademie der Künste. Seine letzten beiden Lebensjahre bis 1935 verbrachte er aufgrund der nationalsozialistischen Kunstpolitik als Jude verfemt, zurückgezogen in seiner Heimatstadt.

Liebermann ging immer ungern in die Schule, vertrieb sich seine Zeit lieber mit Zeichnen, was von den Eltern vorsichtig gefördert wurde. Als Liebermann zehn Jahre alt war, bezog die Familie das repräsentative Palais Liebermann am Pariser Platz 7. Den Reichtum der Familie begründete der Großvater als Textilhändler, von dessen orthodoxen Glauben sich die Familie immer mehr abwandte und sich dafür einer jüdischen Reformgemeinde anschloss. Als Liebermanns Vater ein Bild seiner Frau bei der damals berühmten Antonie Volkmar in Auftrag gab, musste Max Liebermann mitgehen und vertrieb sich das langweilige Warten mit Zeichnungen. Noch im hohen Alter war Frau Volkmar stolz darauf das Talent des damals zehnjährigen Jungen entdeckt zu haben.

In der mit vielen bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten der Stadt verwandten Familie, Emil Rathenau etwa ist sein Vetter, galt Liebermann als nicht besonders intelligent. In der Schule schweiften seine Gedanken oft ab, warum er häufig unpassende Antworten gab. Das typische Drama des hochbegabten Kindes zu einer Zeit, die noch wenig davon wusste. Die Hänseleien seiner Klassenkameraden infolge ließen den empfindsamen Jungen oft in Krankheiten flüchten. Seine Eltern brachten ihm Verständnis entgegen, hielten ihm jedoch seinen vernünftigen Bruder vor, der alles gut bewältigte. Die zeichnerische Begabung galt den Eltern nicht viel und bei der ersten Veröffentlichung seiner Werke, verbaten sich die Eltern die Nennung des guten Namen Liebermann. Er behauptete später von sich, kein guter Schüler gewesen zu sein, das Abitur in Mathe nur mit größter Mühe bestanden zu haben, was aber wohl nicht den Tatsachen entspricht. In Wahrheit gehörte er später zu den besten Schülern, war nur in Mathe nicht herausragend und machte als viertbester seines Jahrgangs Abitur.

Nach dem Abitur schrieb er sich zunächst wie sein Bruder für das Studium der Chemie ein, was aber nur ein Vorwand war, um in Ruhe malen zu können. Tatsächlich besuchte er keine einzige Vorlesung und ritt lieber stundenlang im Tiergarten aus oder malte. Er lernte, als er bei Carl Steffeck Gehilfenaufgaben bei der Erstellung von Schlachtengemälden übernahm, Wilhelm von Bode kennen, seinen späteren Förderer und Direktor Kaiser-Friedrich-Museums Zwei Jahre nach Aufnahme seines Studiums exmatrikulierte ihn die Universität wegen “Studienunfleißes”. Nach einem länger ausgefochtenen Konflikt mit dem Vater, der nichts davon hielt, dass sein Sohn Maler werden wollte, ermöglichten ihm die Eltern schließlich doch den Besuch Großherzoglich Sächsischen Kunstschule in Weimar, wo ihm insbesondere auch Rembrandt näher gebracht wurde, der ihn nachhaltig beeinflusste.

Vom patriotischen Taumel begeistert zog er als Sanitäter bei den Johannitern 1870 in den Kriegsdienst, da er für den regulären Wehrdienst aufgrund eines schlecht verheilten Armbruchs für kriegsuntauglich galt. Was er auf den Schlachtfeldern bei Metz sah, dämpfte seine Kriegsbegeisterung nachhaltig. Ab 1871 hielt er sich in Düsseldorf, fand Kontakte zu den Naturalisten und malte daraufhin sein erstes Gemälde die Gänserupferinnen, was aufgrund des Sujets viel Abscheu und Kritik hervorrief. Sein Lehrer hatte ihn zuvor entlassen, weil er fand, er könne ihm nichts mehr beibringen, er sei schon zu gut. Es gab dann noch einige frustrierende Erfahrungen mit der reaktionären und rückständigen deutschen Kunstszene, die ihn dazu brachten, nach Paris zu gehen, wo er sich 1873 in Montmartre ein Atelier einrichtete. Die französischen Naturalisten und Impressionisten verweigerten jedoch zunächst den Kontakt zu dem jungen Deutschen. Der Krieg und die folgende Erniedrigung durch die Reichsgründung in Versailles, waren noch nicht lange her.

Den Sommer 1874 verbrachte er erstmals in Barbizon in der Nähe des Waldes von Fontainebleau. Die Schule von Barbizon war dann für die Entwicklung des Expressionismus von ganz entscheidender Bedeutung. Sie bereicherte die Strömungen ihrer Zeit durch die neue Freilichtmalerei.

Drei Monate verbrachte Liebermann 1875 in Zandvort in Holland und beschäftigte sich in Haarlem ausgiebig mit dem Kopieren der Bilder von Franz Hals, was seine Art des Farbaufrags später stark beeinflusste. Weitere Aufenthalte in Holland 1876 beeinflussen seinen Stil weiter und in dem Gemälde die Holländische Nähschule aus diesem Jahr nutzt er erstmals das Licht impressionistisch. Bei diesem Aufenthalt entstehen auch erste Studien zu dem später so berühmt gewordenen Amsterdamer Waisenhauses.

Weil er vor sich und seinen Eltern Rechenschaft ablegen musste über das, was er tat, verfiel Liebermann in Paris in eine schwere Depression, häufig nahe der völligen Verzweiflung. Es entstanden fast keine Bilder mehr. In der Pariser Kunstszene hatte er keinen Erfolg und wurde aus chauvinistischen Gründen abgelehnt, warum er den Entschluss fasste, Paris zu verlassen.

Als sich Liebermann 1878 erstmals auf eine Italienreise begab, traf er zuvor in München eine Gruppe Maler zu der auch Franz von Lenbach gehörte, welche die Münchner Schule als Zentrum naturalistischer Kunst bildeten. Unter diesem Einfluss malte er sein Werk Der zwölfjährige Jesus im Tempel, das wiederum einen großen Streit auslöste.Konservative Kritiker aus Kirchenkreisen und Hof griffen das Bild mit sehr antisemitischen Tönen an, wollten einem Juden verbieten, den Heiland zu malen, der bayerische Prinzregent Luitpold ergriff wie einige Künstlerkollegen noch seine Partei. Als Reaktion auf die Kritik übermalte Liebermann das Gemälde wieder, von dem es jedoch noch ein Foto gibt. Nun war Liebermann zwar bekannt aber nicht geschätzt und wurde teilweise antisemitisch angefeindet.

Seine künstlerische Laufbahn entschied sich 1880 bei einem erneuten Besuch in den Niederlanden, als er beim Gang durch Amsterdam einen Blick in den Garten des katholischen Altmännerhauses warf, wo schwarzgekleidete Männer auf Bänken in der Sonne saßen. Über diesen zündenden Moment seiner Karriere sagte er später, es war als ob jemand einen ebenen Weg entlang geht und plötzlich auf eine Spiralfeder tritt, die ihn emporschnellt. Er begann das Motiv zu malen und verwendete erstmals den Effekt des durch ein Laubdach gefilterten Lichts. Auf dem folgenden Pariser Salon erhielt er für dieses Gemälde als erster Deutscher eine ehrenvolle Erwähnung zumindest. In den folgenden Jahren wurde Das Amsterdamer Waisenhaus und Die Schusterwerkstatt auf dem Pariser Salon bejubelt und fanden Käufer. Er wurde von der französischen Presse als Impressionist gefeiert.

Bei seiner Rückkehr ins heimatliche Berlin 1884 konnte er schon die Konflikte ahnen, die ihm dort bevorstanden, doch sah er es richtig als die künstlerisch künftig entscheidende Stadt. Schon im Mai des gleichen Jahres verlobte er sich mit der Schwester seiner Schwägerin, bezog eine erste Wohnung In den Zelten im Tiergarten und ging auf Hochzeitsreise in die Niederlande. Im August 1885 wurde seine einzige Tochter geboren und er widmete sich ganz seiner Vaterrolle. Bei seinen Nachbarn, den Bernsteins, lernte er die Berliner Künstlerelite kennen. Dort verkehrten regelmäßig Klinger, Menzel, Bode, Mommsen und Lichtwark, der Direktor der Hamburger Kunsthalle, der früh Liebermanns großes Talent erkannte. So nahm er 1886 erstmals an einer Ausstellung der Akademie der Künste teil und wurde von dem Meinungsmacher Pietsch als großes Talent und herausragender Vertreter der Moderne bezeichnet.

Als sich im Februar 1892 in Berlin die Vereinigung der XI gründete stand diese Sezessionsbewegung in Opposition zur traditionellen Malerei. Laut Lovis Corinth war Liebermann bereits kurz nach der Gründung der Anführer der anarchistischen Elfer. Unter dem künstlerisch völlig geschmacklosen Wilhelm II. verschärften sich die Konflikte mit der offiziellen Kulturpolitik zunehmend. Die Presse reagierte unterschiedlich darauf, einige nannten die neue Richtung Rinnsteinkunst, andere lobten vorsichtig, jedenfalls war Liebermann einer der wichtigsten Köpfe der Berliner Kunstszene geworden, wenn auch als Revolutionär.

Bei  einer Ausstellung von 55 Gemälden von Edvard Munch kam es zum Skandal und es wurde die sofortige Schließung gefordert. Beim Verein der Berliner Künstler stimmten 120  für eine Schließung und 105 dagegen, damit vollzog sich der endgültige Bruch zur konservativen Elite um Maler wie Anton von Werner, die heute nahezu vergessen sind.

MIt dem Tod seines Vaters 1894, zwei Jahre nach der Mutter, wurde Liebermann Miterbe eines Millionenvermögens und Besitzer des Palais am Pariser Platz. Auf der ersten Biennale in Venedig 1895 vertrat Liebermann Deutschland gemeinsam mit Fritz von Uhde. Er wandte sich erstmals der Portraitmalerei zu und malte dazu ein Bild seines engen Freundes Gerhart Hauptmann, für das er prompt den ersten Preis erhielt. Als Berater des neuen Direktors der Nationalgalerie Hugo von Tschudi, der die Impressionisten schätzte, begab er sich nach Paris und wurde dort in die Ehrenlegion aufgenommen, nachdem der preußische Kultusminister zugestimmt hatte. Der geschmacklose Kaiser war allerdings von den Einkäufen der beiden weniger begeistert.

Zu seinem 50. Geburtstag widmete die Akademie der Künste Liebermann einen ganzen Ausstellungssaal mit 30 Gemälden, 9 Zeichungen, 3 Lithografien und 19 Radierungen. Nachdem die konservative Akademie 1892 noch mit ihrer Ausstellung ein Fiasko erlebte, ehrte sie nun Liebermann mit der großen Goldmedaille. Darüber hinaus erhielt Liebermann nun einen Professorentitel und wurde in die Akademie aufgenommen.  Doch schon 1899 wurde er wieder an die Spitze einer neuen Sezessionsbewegung gewählt, nachdem die immer noch konservative Akademie einen Kollegen ablehnte. Anlässlich einer Sitzung portraitierten sich Liebermann und Corinth dann gegenseitig, worauf eine große Diskussion im Berliner Bürgertum begann.

Auf Initiative seines Freundes Harry Graf Kessler gründete Liebermann 1903 in Weimar gemeinsam mit diesem, Lovis Corinth, Alfred Lichtwark, Max Slevogt und anderen den Deutschen Künstlerbund. Zugleich wandte er sich in einem Artikel als Professor der Akademie der Künste entschieden gegen die neuen Richtungen der Abstraktion und des Expressionismus, da es in der Malerei entscheidend darauf ankomme eine adäquate Auffassung der Natur zu geben, die Phantasie keine Rolle spielen solle. Es war keine Kampfschrift und rief doch den Widerstand der jungen Künstler hervor.

Zu seinem 60. Geburtstag feierte die Berliner Sezession ihren Präsidenten mit einer großen Ausstellung, der sich am Tag selbst der Öffentlichkeit durch eine Reise in die Niederlande entzog. Doch ab 1910 brach der Konflikt ganz deutlich hervor als auf Wunsch des Präsidenten die Berliner Sezession 27 expressionistische Bilder zurückwies und damit wurde der ehemalige Rebell selbst zum konservativen Wortführer. Andererseits lud die Sezession Maler wie Picasso, Matisse und Braque ein, warum die scharfe Kritik Noldes verhallte. Doch bereits 1911 trat Liebermann als Vorsitzender der Sezession zurück, die sich bald spaltete und nur noch von Lovis Corinth weitergeführt wurde.

Dem Ausbruch des Krieges bejubelte Liebermann als preußischer Patriot zunächst, unterschrieb auch Aufrufe, die Vorwürfe der Kriegsverbrechen an deutsche Offiziere als Lüge zurückwiesen. Der Patriotismus wurde im Verlauf des Krieges weniger, er zog sich gern und häufig in seine Villa am Wannsee zurück. Kurz vor Ende des Krieges bekam er noch einen eigenen Saal in der Nationalgalerie und wurde vom Kaiser mit dem Adlerorden geehrt. Beim revolutionären Umbruch, den sein Freund Harry Graf Kessler obwohl vermutlich Sohn von Wilhelm I., aktiv und beratend begleitete, hielt er sich zunächst sehr zurück, ist konservativer Preuße aus einer anderen Zeit, hatte nach der völligen Emanzipation der Juden zu seinem Kaiser gestanden, so kritisch er den geschmacklosen Stümper auch sah.

Wieder liberaler wird er, als ihn die Akademie der Künste als Institution der nun Weimarer Republik zu ihrem Präsidenten wählt und er in seiner Begrüßungsrede ausdrücklich auch eine Offenheit der Akademie gegenüber dem Expressionismus erklärt, den er als Präsident der Secession noch ablehnte und versucht so Secession und konservative Akademie und ihre Gegner unter einem Dach zu einen. Er schaffte es, der ehemals kaiserlichen Akademie so eine demokratische Struktur, ein freiheitliches Unterrichtswesen und zugleich mehr Beachtung in der Öffentlichkeit zu geben. Durch seine Fürsprache wurden auch Heinrich Zille; Karl Schmidt-Rottluff und Otto Dix in die Akademie aufgenommen.

Der Mord an seinem Verwandten und Freund Walter Rathenau erschütterte ihn sehr, dazu kam noch der Tod seines jüngeren Bruders und der seines engen Freundes Hugo Preuß, der als Vater der Weimarer Verfassung gilt. Liebermann zog sich immer mehr in seinen Garten zurück, wirkte oft mürrisch und unwirsch.

Anlässlich seines 80. Geburtstags trat er wieder ins Licht der Öffentlichkeit, wurde dort als der Repräsentant der deutschen Kunst gefeiert. Es gab eine Ausstellung mit über 100 Gemälden aus seiner gesamten Schaffenszeit. An seiner großen Ehrung nahmen neben Zille und Kessler auch Hugo von Hofmannsthal, die Brüder Heinrich und Thomas Mann sowie Albert Einstein teil. Er bekannte sich mittlerweile wieder zu seinem Judentum und hatte im Alter zur Religion zurückgefunden, spendete für jüdische Institutionen. Seinen Kritikern, die ihm einen konservativen Stil vorwerfen, entgegnet er, die Sucht nach dem Neuen sei der Fluch unserer Zeit, der wahre Künstler strebt sein Leben lang nach nichts, als der zu sein, der er ist. Nach langem Ringen verlieh ihm der Berliner Senat auch die Ehrenbürgerwürde und Reichspräsident Hindenburg verlieh ihm das Adlerschild des Deutschen als Zeichen für die Dankbarkeit, die ihm das deutsche Volk schuldete. Vom Innenminister bekam er die Goldene Staatsmedaille für Verdienste um den Staat. Er war in jeder Hinsicht ruhmreich.

Ende 1927 portraitierte er Reichspräsident Hindenburg, obwohl er sich innerlich nicht zu ihm bekannte, nahm er die Aufgabe doch gern an und sah sie als weitere Ehrung. Die Portrait Sitzungen der etwa gleichaltrigen Herren waren getragen von Respekt und gegenseitiger Sympathie. Als Liebermann 1932 schwer erkrankte stellte er sein Amt als Präsident der Akademie zur Verfügung und wurde zugleich zum Ehrenpräsidenten ernannt, durch die Behandlung des befreundeten Arztes Ferdinand Sauerbruch wurde er gerettet und gesundete noch einmal. Die Portraits von Sauerbruch bildeten Abschluss seines Portraitwerkes und sind zugleich auch dessen Höhepunkt. Wer mag kann sie in der wunderbaren Berliner Alten Nationalgalerie betrachten, neben zahlreichen anderen Werken des großen Meisters des deutschen Impressionismus.

Als am 30. Januar 1933 die Nationalsozialisten einen Fackelzug durch das Brandenburger Tor an seinem Haus vorbei veranstalteten sprach er die berühmten und viel zitierten Worte:

“Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.”

Er trat nach der Gleichschaltung der Kunst im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie im Mai 1933 von all seinen auch Ehrenämtern in der Akademie der Künste und sonst zurück, da seiner Überzeugung nach Kunst, der er sein Leben lang gedient hätte, nichts mit Abstammung zu tun habe, diese Sicht aber öffentlich keine Geltung mehr habe.

Die letzten beiden Jahre lebte er nur noch voller Zorn auf das, was mit diesem Land unter Hitler geschah und hatte nur noch zu Käthe Kollwitz Kontakt, die berichtete er sei Abends um sieben am 8. Februar 1935 friedlich eingeschlafen in seinem Haus am Pariser Platz. Beerdigt wurde er auf dem jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee, wozu bereits kein Vertreter der längst gleichgeschalteten Akademie der Künste erschien. Die Gestapo hatte im Voraus die Teilnahme sogar untersagt und dennoch kamen über 100 seiner engsten Freunde. Jedoch nahmen laut Saul Friedländer nur drei “arische” Künstler an der Beerdigung teil.

Liebermann lieben fällt schon vom Wort her leicht und liegt auch in der Art wie der große Berliner Maler die Dinge betrachtete - er malt liebenswert und schaut auf die Dinge mit liebendem Auge. Ein Meister des Lichts in seinen größten Werken. Ein genau blickender Freund in seinen Portraits. Liebermann machte es mir leicht, ihn zu lieben, er malt wie ich fühle und seine Bilder machen mich glücklich. Seine fehlende Zuneigung zu den Expressionisten teile ich, auch wenn sie gewiss eine bedeutende Epoche der Kunstgeschichte sind, schön sind sie nicht. werde ich mit diesen nie warm, anders als mit der klassischen Moderne etwa in der Sammlung Berggruen aber das mag an meiner horizontalen Beschränkung liegen.

Als ich so verschwitzt und verstaubt nach meiner ersten Tour dorthin die Villa Liebermann betrat, überlegte ich noch, ob ich mich erstmal zur Erfrischung mit Tee und Kuchen sowie einem großen Wasser auf die Terrasse setze oder lieber erst Liebermanns Bilder besuche, den eigentlichen Grund der Reise und ich entscheide mich, bevor weniger Licht am bereits fortgeschrittenen Tag nur noch da ist, es vielleicht wegen Schließung hektisch wird, in Ruhe die enge Wendeltreppe nach oben zu gehen.

Schöne lichte Räume erwarten mich. Bilder aus dem Garten, Grafiken und einzelne andere Bilder. Ein Bad in Wärme und Liebe. Fühle mich wohl dort und ich habe das Gefühl diese Bilder verbreiten auch eine solche Stimmung im Haus. Dies ist kein vernünftiges kulturkritisches Urteil am Ende sondern das Gefühl eines Besuchers an einem der schönsten und mir liebsten Orte Berlins. War später noch manches mal dort und kenne keinen Platz in der Stadt, der so sehr eine gute Atmosphäre spürbar macht, wie die Villa Liebermann am Wannsee, die immer einen Besuch lohnt. Es ist auch wunderbar durch die Alte Nationalgalerie zu schlendern, auch andere Meister von Menzel bis Monet und Corinth zu bewundern, viel mehr seiner berühmtesten Gemälde dort zu sehen, als in der bescheidenen und übersichtlich familiären Sammlung am Wannsee. Doch sich danach auf die Terrasse zu setzen, den Liebermann noch in Herz und Hinterkopf, auf den See mit den weißen Segeln zu schauen, während die Birken im Wind wogen, einen feinen Tee zu trinken, dessen Aroma sich blütengleich langsam auf der Zunge entfaltet - das ist einfach unschlagbar.

Kaum vorstellbar, dass keine 200m Meter weiter das Haus der Wannsee-Konferenz steht, auf der die Vernichtung von Europas Judens als deutsche Politik offiziell beschlossen wurden. Die Liebe zu den Menschen und den Dingen, die ihn umgaben in der Villa Liebermann spüren und zu wissen, warum Menschen, die solche Künstler als entartet oder unerwünscht bezeichneten, einfach dumm und unmenschlich sind, ist auch einer der Gedanken, die mir durch den Kopf jagen, als ich auf der Terrasse sitze, einen Sandwich nasche und mich freue und dankbar bin, hier zu sein, da zu sein, dies erleben zu dürfen und wie schön Leben sein kann, wenn wir es liebevoll zu würdigen wissen wie bei Liebermann.
jens tuengerthal 14.3.2017

Sonntag, 12. März 2017

Berlinleben 0017

Scharf-Gerstenberg-Erotik

Wir kannten uns noch nicht und hatten ein Blind-Date, vermittelt durch eine gemeinsame Freundin von ihr, Bekannte von mir, die 650km weiter weg im Südwesten der Republik wohnte, aber fand, es passte eigentlich gut zusammen. Sie wohnte in Charlottenburg, also dem anderen Ende der Stadt, tief im Westen und so machte ich mich auf den Weg, zu sehen, was vielleicht würde.

Wenn du dich zum ersten mal siehst und nicht weißt, was wird, kann es auf Kleinigkeiten ankommen. Später verabredete ich mich möglichst nur noch in der Nähe meiner Wohnung, weite Wege zu vermeiden und damit ich wüsste, wie die ausgewählten Cafés waren, es kein Reinfall wurde, was aus so vielen anderen unabsehbaren Gründen dennoch immer passieren kann, warum es desto wichtiger ist, zumindest die kalkulierbaren Möglichkeiten von Liebe und Lust so weit zu optimieren wie möglich. In meiner Nähe, war es nicht weit zu mir, falls das Gefallen groß genug war, miteinander in die Horizontale zu wandern.

Charlottenburg kannte ich eher nicht, fand es eigentlich langweilig und die Frauen dort oft zu sehr geschminkt, auch wenn ich dieses Vorurteil nach mehr als drei Liebsten aus diesem Bezirk inzwischen wohl widerrufen müsste, zu geschminkt war kaume eine von denen, es ist eben nicht alles Ku’damm, war die Gegend doch fremdes Terrain. Der Weg war weit, die Aussichten ungewiss und auch alles weitere, falls wir uns gefielen, völlig unklar. Damals gerade von einem Fehlversuch mit einer migränigen Zicke aus München frustriert zurückgekehrt, wenige Wochen vorher noch im Dezember von mal wieder einer vermeintlich großen Liebe zu größter Verzweiflung verlassen worden, doch weitergelebt irgendwie, noch kein Jahr nach der Trennung von meiner längsten Liebe, war ich mitten im Februar bereit für ein neues Glück, dachte ich oder zumindest mal wieder guten Sex, in völliger Verkennung der Umstände, hatte zumindest Lust und ließ mich darauf ein.

Nach vielen Jahren Erfahrung im Online-Blind-Daten würde ich eine Verabredung wie die an diesem Tag, wohl nicht mehr so schnell treffen, denke ich heute, wenn auch die Argumente sehr gut waren, die mich die Sammlung Scharf-Gerstenberg hatten wählen lassen. Kannte das Museum, das im anderen Stülerbau, dem geliebten Museum Berggruen gegenüber lag, liebte diese teilweise sehr erotischen Bilder, wenn es nichts würde, war zumindest der Besuch lohnend und ich war nicht einfach irgendwo tief im Westen in einem langweiligen Café ohne Sex.

Ein Date im Museum ist für Museumsliebhaber wie mich eigentlich das schönste, was es gibt. Könnte über Kunst plaudern, als verstünde ich etwas davon, was bei einem kleinen Vokabular der üblichen Termini auch ohne Ahnung möglich war. Die Bilder sprachen dort für sich, erzeugten Lust und die gewünschte Spannung - wo sonst sollte ich sie treffen wollen, wenn es schon Charlottenburg beim ersten mal sein musste und es mangelte mir damals noch an Geschick, Erfahrung und Dreistigkeit die Damen genau dorthin zu bitten, wo ich sie gern haben wollte, beziehungsweise der Gelassenheit, sie für entbehrlich zu halten, wenn sie das nicht wollten. Dachte mir, wenn schon fremder Bezirk, dann doch zumindest ein Heimspiel im Museum, was mir auch inhaltlich gut in die Karten spielte.

Die Sammlung Scharf-Gerstenberg zeigt mitten an der schönsten Ecke Charlottenburgs, gegenüber dem Schloss seit 2008 Kunst von der Romantik bis zum Surrealismus. Spielt mit den Blicken, verführt auf vielfältige Weise zu neuen Sichtweisen, lässt manchmal auch Lachen, ist ein Ort für Genießer. Das Café im Artrium des Eingangsbereichs oder bei warmem Wetter auch auf der Terrasse davor, war eines der besten in den Berliner Museen, anziehender jedenfalls als die kühle Mensa im Kulturforum, die den Charme von Schnellimbiß mit deutscher Behörde konsequent jenseits aller Ästhetik mischt.

Die Sammlung, die der Stiftung Dieter Scharf zum Gedenken an Otto Gerstenberg gehört, wie sie offiziell heißt, ist für zunächst zehn Jahre in den Räumen des ehemaligen Ägyptischen Museums zu Berlin beheimatet und damit Teil der Nationalgalerie Berlin. Otto  Gerstenberg selbst war Anfang des 20. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Kunstsammler Berlins. Teile seiner Sammlung wurden jedoch leider im Krieg zerstört.

Wenn Menschen sich im Krieg totschießen, ist das bedauerlich und unnötig aber wohl seit Menschengedenken Teil der menschlichen Geschichte, in manchem waren auch die Kriege wohl Paten späterer Weiterentwicklungen der Menschheit, um den Krieg nicht mit Clausewitz als Vater aller Dinge zu bezeichnen. Wo aber die Kunst als Ausdruck von Freiheit und Schönheit diesem Irrsinn zum Opfer fällt, bleibt wenig übrig, was den Menschen ausmacht und es zeigen sich die echten Banausen immer in der Zerstörung der vorigen Kulturen. Das versucht der IS derzeit, es taten die Nazis, am erfolgreichsten jedoch schaffte dies das Christentum in Europa, das nahezu alle Kultur vorher negierte und zerstörte, es sei denn, sie war zu groß, wie etwa Stonenhenge oder die Menhire in der Bretagne. Nahezu nichts wussten wir lange noch und von dem wenigen, was endlich wieder ausgegraben wurde, können mühsam nur kulturelle Spuren gesucht werden.

Im Gegensatz etwa zu Syrien oder dem Irak ist Europa ohne Wurzeln, die ein fundamentalistischer Aberglaube einst kappte, um seine Lehrart herrschen zu lassen. Viele meinen erst das Christentum hätte die Kultur nach Europa gebracht, doch welch Irrtum liegt hier vor. Die jüdische Sekte heftete sich dienstbereit an ein geschwächtes Kaisertum, das um Christi Geburt herum bereits die alte römische Republik vernichtet hatte und breitete sich weiter nach Norden aus mit fatalen Folgen für die Spuren aller vorigen Kulturen, die vernichtet und über Jahrhunderte geleugnet wurden. Die atheistischen, zumindest rein naturalistischen Werke eines Lukrez oder Epikurs waren unerwünscht, sie wurden ausradiert, mit schlichten Versen aus dem Märchenbuch des Aberglaubens überschrieben. Die 4000 Jahre alte Himmelsscheibe von Nebra etwa beweist, wie gut die Menschen sogar im rückständigen Brandenburg oder Sachsen-Anhalt schon den Himmel in der Bronzezeit beobachteten und kannten, es dort bevor die Römer oder Griechen groß wurden eine Hochkultur gab, an die von den Christen nicht erinnert werden sollte, deren Spuren sie konsequent ausradierten, warum wir alle noch in der Schule die Sage von den ungebildeten Wilden ohne Schrift und Kultur hörten, nur weil sie sich nicht dem später Aberglauben unterworfen hatten.

Die Erinnerung an diese frühen Spuren passte als kleiner Einschub so gut in dies Museum, in dem noch ein wunderbares Tor aus der ägyptischen Sammlung verblieb, da es zum Transport zunächst zu groß war. Dies begrüßt und verwirrt den Besucher gleich am Eingang und schafft so auf seine Art auch surreale Welten zwischen den Zeiten, was zum Thema dieses Museum nur zu gut passt, das unser Denken hinterfragt und die Gewohnheiten durchbricht.

Wusste auch nicht so genau, was mich erwartete bei meinem Date im Museum, wo es hinführen würde, auch wenn die Telefonate und Mails vorab schon auf eine Anziehung hindeuteten, wir vorsichtig so viel Interesse wie möglich bekundet hatten. Dies ganz seriös, ohne es auf nur Sex reduzieren zu wollen, auch wenn dieser ja ein Wert an sich wäre, trafen sich dort zwei, die auch geistiges Interesse aneinander hatten, sich aufeinander einlassen wollten, um zu sehen, was sein könnte. Wir waren hoffnungsvoll ahnungslos und irgendwie bereit, als wir uns einander an der Kasse noch etwas schüchtern vorstellten. Eine kurze Umarmung zweier real noch Unbekannter fühlte sich gut an, ich konnte sie riechen.

Mit meiner Jahreskarte und ihrem Ticket fanden wir schließlich, von der Torhüterin ordnungsgemäß eingescannt Einlass in die heiligen Hallen der Kunst, gespannt was uns erwartete und mit uns dort geschehen würde, freute ich mich auf den Rundgang in schöner, kluger Begleitung. Sie war eine der Schönheiten auf den zweiten Blick, die nicht sofort auffällt, sich aber beim Kennenlernen als immer schöner zeigte, auch wenn ich damals noch irrtümlich dachte, ich stände nicht so auf Brünette oder dunkelhaarige Frauen, welche Verwirrung in bloß durchschnittlicher Konvention.

Neulich fragte mich eine liebe Freundin im Café, die mit ihrem leichten bayerischen Akzent und ihrer Art alles staunend zu fragen, naiv wirken könne, was sie vermutlich nie war, ob es stimmt, dass Männer immer auf blond stehen und ich war über die Frage einer Brünetten und die ihr innewohnende Reduktion erst so perplex, dass ich noch ein wenig stotterte, bis ich eine vernünftige Antwort fand.

Männer stehen auf Frauen, die sie toll finden und das tun sie meist, wenn Frau sich auch toll findet - Ausnahmen bestätigen diese Regel nur. Dies ist unabhängig von der Haarfarbe, der Figur, dem Charakter und nie an etwas allein fest zu machen, wäre eine vernünftige Antwort gewesen, die mir natürlich überrascht nicht einfiel, stattdessen stotterte ich was von, früher stand ich auch auf Blondinen, und immer auf Rothaarige, heute eher Brunette, aber eigentlich ist es mir egal und es passt, wie es kommt, wenn es sich richtig anfühlt. Gibt kein Schema.

Liebe und begehre Frauen, denen ich mich nah fühle, die mir schön scheinen, weil sie Geist haben, ich mit ihnen reden kann und sie mit mir eine eigene Welt finden. Den größten Teil finde ich inzwischen nach wenigen Sätzen langweilig und beschäftige mich statt ihnen lieber mit einem guten Buch oder schreibend. Es ist mir egal, was sie für ein Typ sind, auch wenn ich irgendwie auf damenhaft, schöne Wäsche und gleichzeitig stark und schüchtern stehe, es zum ersten Blick, mit dem ja alles meist anfängt, eher reizt als sportlich oder tussihaft, ist alles egal, wenn sie nur Bücher liebt oder ich mit ihr gut reden kann. Wir wussten ja schon ein wenig übereinander, hatten uns hierher verabredet, waren von einer Dritten für gut befunden worden, da war, was sie trug und wie sie erschien, fast zweitrangig und sie gefiel mir nicht schlecht, machte mich neugierig, ohne mich in riesige Begeisterungsstürme zu stürzen wie jene bildschöne Blondine in Bayern, die sich real als ein solcher Reinfall entpuppte und so ließ ich es ohne die ganz große Leidenschaft gelassen angehen, was immer am besten ist und weiter führt, als die größte Schwärmerei.

Wenn Frau sich sicher ist, den Betreffenden zu haben, spielt sie auch gern noch ein wenig, schiebt moralische Gründe vor und lässt Mann zappeln - nicht jede und nicht immer aber nur sehr wenige machen es nie, die dafür häufiger das Problem haben, dass Mann sie dafür dann nicht so begehrenswert findet, weil sie ja schon breitbeinig vor ihm liegen. Diese Dialektik funktioniert immer und es ist erstaunlich, was sich beide Seiten antun, nur um sich reizvoll zu finden und so gefunden zu werden. Diese Unvernunft, die am Anfang der meisten Lieben steht, lässt sich auch nicht im Gespräch überwinden. Sie scheint in uns unterschiedlich stark immer angelegt und wo es daran fehlt, meinen wir, es fehlt an Spannung oder die Luft sei raus.

So denken beide einvernehmlich, wann legt er oder sie denn endlich los, lässt mich ran oder packt zu und würde doch den direkten Angriff meist empört abwehren, um noch ein wenig um den heißen Brei herum zu eiern. So setzen wir uns irreale Ziele, schwärmen von Ablenkungen, statt uns am Konkreten zu freuen und machen uns Probleme, wo es doch eigentlich ganz einfach ist, beide wissen, was sie wollen und die Natur für den Rest sorgen möchte. Doch was ist hier wirkliche Natur, was nur lächerliches soziales Spiel?

Wenn eine Frau mich in der Bar anspräche, einfach sagte, du gefällst mir, ich habe Lust auf dich, lass uns vögeln, verlöre sie damit vermutlich jeden Reiz für mich und müsste schon wahnsinnig toll sein, um infolge nicht ignoriert zu werden. Ein Mann, der Frau so direkt triebhaft anspräche, würde ignoriert, keines Blickes gewürdigt, auch wenn ihr Schoss schon, bevor er zu reden anfing, vor Lust zu zuckte, als er nur zu ihr sah, sich alles noch in der Phantasie abspielte. Sex ist Theater und braucht Theater wohl, um Wert zu bekommen, wenn wir uns bloß zum Ficken nur verabreden, verliert dieses alle Erotik, ist nur noch Gymnastik und so begannen wir auch in der Sammlung Scharf-Gerstenberg nicht gleich über Sex zu reden, auch wenn es natürlich innerlich beiden nur darum ging, was jeder von uns natürlich auf Nachfrage vermutlich sogar von sich überzeugt geleugnet hätte.

Einer der beiden Namensgeber, Otto Gerstenberg, war ein erfolgreicher Unternehmer der Gründerzeit, geboren 1848 in Pyritz in Westpommern, das heute zu Polen gehört, verstarb er im Jahr 1935 in Berlin als gemachter Mann. Unter seiner Leitung stieg die Victoria Versicherung zur führenden Lebensversicherung auf und zu seinen besonderen Leistungen gehört die Einführung der Lebensversicherung als Volksversicherung, wer immer das als eine Leistung ansehen möchte. Als wohlhabender Mann ließ er sich in der damals neuen Kolonie Dahlem, die heute zu Schmargendorf gehört, eine Jugendstilvilla errichten, das Palais Gerstenberg, dem er später noch einen Gallerieflügel für die Kunstsammlung hinzufügte. Heute wird die ehemalige Villa als Park-Sanatorium Dahlem genutzt.

Schwerpunkt seiner bedeutenden Kunstsammlung waren Grafiken und Gemälde des 19. Jahrhunderts. Vor allem seine große Sammlung an französischen Impressionisten war zum Zeitpunkt des Erwerbs umstritten und wurde von der kaiserlichen Seite und der offiziellen Kunstpolitik als bedeutungslos und oberflächlich bezeichnet. Gerstenberg verlieh aber immer auch Werke, die er nicht bei Händlern in Berlin sondern direkt in Paris bei den Künstlern oder ihren direkten Händlern erwarb und öffnete sein Haus auch für Studenten und Interessierte.

Die grafische Sammlung spannte sich vom 15. bis zum 17. Jahrhundert und umfasste Werke von Dürer bis Rembrandt aber auch Zeitgenossen wie Menzel, Liebermann und Max Klinger, wobei schon damals der Schwerpunkt auf Goyas Werk lag. Dazu kamen noch grafische Meisterwerke von Toulouse-Lautrec und Honoré Daumier.

Die Gemäldesammlung begann er mit britischer Landschaftsmalerei wie etwa Constable, später kamen Reynoulds, El Greco und Goya wie einige bekannte Niederländer hinzu. Wirklich berühmt aber wurde die Sammlung durch die Franzosen des 19. Jahrhunderts - hier gab es beginnend bei Delacroix und der Schule von Barbizon über Courbet hin zu den berühmten Impressionisten von Monet, Manet, Renoir, Sisley, Toulouse-Lautrec und Renoir eine unglaubliche Vielzahl von Meisterwerken, die heute der Stolz jedes Museums wären.

Gerstenberg trennte sich zu Lebzeiten von kaum einem seiner Werke, nur die grafische Sammlung gab er irgendwann auf. Bei seinem Tod 1935 erbte seine Tochter Margarete Scharf alles. Da die Tochter in einem kleineren eigenen, von Hans Scharoun errichteten, Gebäude im Park der Villa lebte, lagerte sie einen Teil der Bilder aus und ließ sie im Magazin der Victoria Versicherung deponieren. Dort wurden sie im Krieg Opfer der Bomben und verbrannten vollständig. Den Rest der Sammlung gab sie in die Obhut der Gemäldegalerie, die ihrerseits in den als sicher geltenden Bunkern Friedrichshain und Zoo versteckte, wo sie von den Russen entdeckt und mitgenommen wurde und darum bis heute als Raubkunst in Petersburg hängen.

Den verbleibenden kleineren  Rest transportierte sie während des Krieges und kurz nach dessen Ende nach Oberstdorf in Bayern, wo die Familie auch ein Anwesen besaß. Ein Teil der Sammlung musste aus Gründen wirtschaftlicher Not nach dem Krieg veräußert werden, den Rest aber brachte Otto Gerstenbergs Enkel Dieter Scharf in die Stiftung ein, die er kurz vor seinem Tod 2001 gründete, ergänzt noch durch einige moderne Arbeiten im Geist der Sammlung. Hierzu gehören Grafiken von Piranesi, Goya, Victor Hugo, Manet und Max Klinger.

Beide Stülerbauten gegenüber dem Schloss Charlottenburg gehen noch auf Entwürfe von Friedrich Wilhelm IV. zurück, die von 1851-1859 vom Architekten Stüler umgesetzt wurden und waren ursprünglich Offizierskasernen des Garde dus Corps Regiments. An den östlichen Stülerbau, also die heutige Heimat der Sammlung Scharf-Gerstenberg, schließt sich noch das von Drewitz errichtete Mastall Gebäude an. Von 1967 bis 2005 diente der östliche Stülerbau als Heimstatt des ägyptischen Museums mit Berlins schöner Nofretete. Nach dem Auszug der Ägypter, nicht zu verwechseln mit dem Auszug aus Ägypten, wurde der Bau für 10 Millionen für die neue Nutzung umgebaut.

Die bereits erwähnten grafischen Werke der Sammlung dienten Dieter Scharf als Basis zum Aufbau einer Sammlung des Symbolismus und Surrealismus. Neben Salvador Dali, gehören zu der Sammlung Werke von Max Ernst, Moreau, Redon, Henri Rousseau, Hans Bellmer, James Ensor, Giacometti, George Grosz, Horst Jansen, Paul Klee, Joan Miró, Edvard Munch, Picasso, Schwitters und viele mehr. So überschneiden sich die beiden benachbarten Sammlungen Berggruen und Scharf-Gerstenberg in Teilen und ergänzen sich darum nur zu gut. Der Besucher der einen erwirbt zugleich den Eintritt in die andere mit, wer kann sollte sich darum für beide Zeit nehmen, um ganz zu genießen.

Kannte zum Glück die wunderbare Sammlung schon, hatte vor vielen der Bilder schon lange gestanden und gestaunt und musste auch nicht unbedingt beide Häuse am Tag des Dates noch sehen, auch wenn ich insofern für alles offen war, da Kunst und Lust gemeinsam zu haben, der schönste Genuss schon immer war. Wir kamen bis zum zweiten Raum, als ich ihr vor einem eindrucksvollen auch sinnlichen Aquarell von Frantisek Kupka, dem trinkenden halben Skelett mit gefüllter Gebärmutter und langem Schwanz, etwas auf diesem Bild zeigen wollte, mit dem Arm hinter ihr stehend, über ihre Schulter ging und sie sich dann nach erstem Erschrecken doch angenehm berührt in einer Andeutung anlehnte, ich ihr den Kopf zuwandte und die Rede über die Kunst unterbrach, um sie leidenschaftlich zu küssen.

Erzählte ihr nicht mehr, dass Kupka dies Gemälde bereits 1907 in Paris lebend malte, dass dieses freche, freie und starke Bild voller Phantasie und Traum, der in den Alb fast fällt, auch das Lieblingsbild der hiesigen Direktorin war. Es zog in unserer Mitte und also uns endlich zueinander. Dabei ist es so passend, wie dieses Bild gleich dem Museum auch aus einem ägyptischen Schrein herausgewachsen scheint, der unten am Bildrand sich andeutet in einigen Figuren und wie es die Bezüge zur Realität mehrfach verschoben irreal aufhebt.

Es ist eine schöpferische Kraft, die in dem riesigen Embryo sichtbar wird und die zugleich durch die nur Prothese des Gliedes, mehr blieb nicht von der großen Lust, ironisch wieder gebrochen wird zur real existierenden Impotenz. Ein wunderbares Bild in dem die erotische Spannung mit der sinnlichen Schönheit tanzt und ihre Brechung zugleich wird. Ein Bild voller Lust und Witz, es ist eines der besten Beispiele für den Geist des Surrealismus, der Grenzen aufhebt, mit ihnen spielt, Tabus bricht und unsere Sehgewohnheiten mal eben provokativ auf den Kopf stellt, ohne sich vor der Sexualität zu fürchten.

So war meine Vermutung richtig gewesen, die Erotik des Surrealismus wirkte von alleine, was wunderbar für diese Kunst spricht, die uns sehr schnell voller Leidenschaft gemeinsam die Horizontale anstreben ließ. Wir schlenderten noch ein wenig durch die Räume, uns zärtlich berührend und doch war die Vorfreude aufeinander zu groß, als dass diese wunderbare Kunst noch eine Rolle spielen konnte.

Wir verließen bald das Museum, gingen üben den Klausener Platz an dessen Seite sie irgendwo wohnte, kamen in ihre Wohnung, die mir voller Bilder und Bücher so sehr gefiel und verschlangen uns voller Lust auf ihrem Bett. Es war gut so, wir waren gebührend vorsichtig und ich war erfüllt von dieser traumhaften Kombination von Kunst und Sex, denn was konnte schöner sein, als größte Ästhetik mit ungebändigter Leidenschaft zu kreuzen?

So gesehen ein wunderbarer Anfang, an den ich bei jedem Besuch denken könnte, bis ein noch lustvollerer ihn überdeckt eines Tages. Wollte ich nun berichten, was daraus wurde, würde es weniger leidenschaftlich, verflöge schnell in Missverständnissen, Kleinigkeiten und Peinlichkeiten und so lasse ich es lieber, um diese Sammlung und ihre Leidenschaft, die sie auch in mir gleich weckte, als solche stehen zu lassen. Ein Ort voller Lust, den ich auch noch mit meiner sehr kunstsinnigen Liebsten aus Hamburg später besuchte, die sofort, feinfühlig wie sie war, die Leidenschaft an diesem Ort spürte, die wir umsetzten, sobald sich die Gelegenheit fand, was die vorherige Erinnerung und deren Ende tröstlich überdeckte und so bleibt die Sammlung Scharf-Gerstenberg mir immer ein Ort voll schöner Lust, gespannt, was es mir noch alles bieten wird in Zukunft.
jens tuengerthal 12.3.2017