Bei und mit Berggruen
Es war einmal ein Land, dass vertrieb einen angehenden Journalisten und später auch seine Eltern aus ihrer Heimat, brachte Millionen seines Volkes auf bestialische Weise um, behandelte sie nicht wie Menschen sondern als Vieh und der Mann, der mit bloßem Instinkt zu einem der wichtigsten Kunsthändler und Sammler der klassischen Moderne wurde, eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt sein eigen nannte, verkaufte diese am Ende seines Lebens für einen nur kleinen Bruchteil ihres Wertes an seine Heimatstadt, um seine Erben nicht zu berauben, tat dies als Geste der Versöhnung, schenkte der Stadt, die Hauptstadt dieses Landes inzwischen wieder wurde, noch weitere Kunstwerke und Figuren, wohnte sogar in dem Museum, wenn er in der Stadt bei seinen liebsten Werken war und diese Gunst werden später seine Erben nach seinem Tod noch fortsetzen, obwohl sich die Stadt wie immer lange gewunden hat, ihn überhaupt zu ihrem Ehrenbürger zu machen. Und am Ende hatte die Stadt ein Museum mit der wohl schönsten Sammlung der klassischen Moderne und konnte sie ihr eigen nennen.
Klingt wie ein Märchen?
Ist es auch in vielem fast und doch die wirkliche Geschichte der Sammlung Berggruen und des großen Sammlers und Händlers Heinz Berggruen, der 1914 in Berlin-Wilmersdorf geborene Sohn jüdischer Eltern, erlebte genau das.
Mochte die Sammlung Berggruen vom ersten Besuch an, auch wenn mir der Zugang zur Moderne früher schwer fiel, ich die Alten Meister in der Gemäldegalerie eher schätzte - dort blühte die Begeisterung sofort und als ich dann in Ruhe vor den Meisterwerken flanierend noch eines Tages den Stifter und Namensgeber Heinz Berggruen traf, der ja seine Wohnung in der oberen Etage des Stülerbaus gegenüber dem Schloss Charlottenburg bewohnte, wenn er in Berlin weilte, wurde die Faszination zur Liebe. Was für ein Mann und was für eine Kunstgeschichte.
Doch der Reihe nach, wie kam es dazu und was ging dem voraus, warum ist diese Geste eines großen Menschen ein solch besonderes Glück für Berlin?
Die Nationalsozialisten hatten dem Vertriebenen Berggruen sogar die deutsche Staatsangehörigkeit noch entzogen und dennoch kehrte er 60 Jahre nach seiner Emigration, die 1936 erzwungen wurde, wieder nach Deutschland zurück und zeigte von sich aus, nach einem Gespräch mit dem Direktor der Staatlichen Galerien zu Berlin in London, wo er seine Sammlung gerade ausstellen ließ, eben diese Geste der Versöhnung, indem er seine Sammlung weit unter Preis anbot.
Nach dem Abitur in Wilmersdorf hatte Berggruen an der Humboldt Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte studiert, seine Studien später noch an der Universität in Grenoble und Toulouse fortgesetzt, sein französisch immer weiter verbessert, bis dies zu seiner ersten Sprache wurde. Doch seine Mutter holte ihn, trotz der inzwischen Machtübernahme der Nationalsozialisten zurück nach Deutschland, weil sie glaubte dieser Hilter wäre nur eine kurze Episode, wo er nach seinem Magister ein Volontariat bei der Jüdischen Wochenzeitung begann mit dem Berufsziel Journalist und Schriftsteller. Ab 1935 schrieb er für kurze Zeit auch für die Frankfurter Zeitung, doch durften dort seine Artikel aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht mehr unter seinem Namen erscheinen und wurden nur mit seinen Initialien gekennzeichnet.
Als er 1936 ein einjähriges Stipendium an der Berkeley University erhielt, blieb er in Kalifornien und heiratete dort 1939 Lilian Zellerbach, die Tochter eines Papierfabrikanten. Während dieser Zeit arbeitete er bereits als Kunstkritiker für den San Francisco Chronicle und wurde noch im gleichen Jahr auch Assistent am San Francisco Museum of Modern Art, wo er eine Ausstellung des mexikanischen Malers Diego Rivera vorbereitete und dabei Rivera und dessen Frau Frida Kahlo kennenlernte, mit der er 1940 wohl eine kurze aber heftige Affäre hatte, nach der er, wie er selbst gerne erzählte, eigentlich in jedem Interview gefragt würde.
Weil ich das wusste, fragte ich ihn nicht, während wir eine halbe Stunde plaudernd durch die Räume gingen. Als er dies erfreut am Ende nochmal erfreut feststellte, sagte ich, wenn sie nur halb so leidenschaftlich war, wie sie malte, wird es wunderbar gewesen sein, was soll ein Mann dazu sagen und er zwinkerte mir lachend zu. Frida Kahlo heiratete Rivera nach dieser Affäre ein zweites mal, während sich Berggruen von seiner ersten Frau, mit der er zwei Kinder hatte, trennte, später noch eine andere Malerin heiratete und wiederum zwei Kinder hatte. Der Sohn aus dieser Ehe, Nicolas Berggruen, wurde als Retter von Karstadt im Land bekannt, aber das ist ja hier weniger Thema.
Gerade noch rechtzeitig holte Berggruen seine Eltern 1939 aus Deutschland, die das Land auf der St. Louis, einem Passagierschiff der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) verließen, dass die Strecke nach New York fuhr und in der Bremer Vulkan Werft gebaut wurde, die es auch längst nicht mehr gibt und bei der ich mein erstes Geld in Aktien verlor, was ich besser in Kunst oder Bücher angelegt hätte, weil ich von Geld noch weniger verstehe, im Gegensatz zu Berggruens Sohn. Die Eltern flüchteten zuerst nach England und erst 1942 konnte er sie in die USA holen.
Sein erstes Bild kaufte der später große Händler und Mäzen 1940 in Chicago. Dort erwarb er von deutschen Emigranten für 100$ das Aquarell Perspektive-Spuk von Paul Klee. Dies sollte ihn 40 Jahre als Talisman begleiten und er behielt seinen guten Riecher.
Im Zweiten Weltkriege kam Berggruen, inzwischen längst Amerikaner, als Sergeant der US-Army nach Europa. Nach dessen Ende arbeitete er kurzzeitig als Mitherausgeber der Kunstzeitschrift Heute in München, was er später noch als den Höhepunkt seines journalistischen Schaffens bezeichnete. Kurz darauf veröffentlichte er unter Mithilfe des Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt seine Glossen unter dem Titel Angekreidet, was er dann den Schlußstein seiner Laufbahn als Journalist nannte.
Von München aus zog es ihn nach Paris, wo er Mitarbeiter der Kulturabteilung der UNESCO wurde und sich ab 1947 als Kunsthändler Rue de l’Université am linken Seine Ufer niederließ. Wie es dazu kam, konnte er später nicht mehr so genau sagen. Es sei wohl eine Reihe großer Zufälle oder Schicksal gewesen, was ihn zur Kunst trieb. Dabei begann er ohne jedes Kapital oder Sponsoren und verließ sich allein auf seine Intuition und seinen Enthusiasmus. Dieser führte auch dazu, dass der dadaistische Dichter Tristan Tzara ihn 1949 Pablo Picasso vorstellte. Die beiden waren sich sofort sympathisch, wurden Freunde und blieben es. Der Spanier machte Berggruen zu seinem Händler.
Die Sammlung von Berggruen konzentrierte sich auf Picasso, Matisse, Klee, Cézanne, Chagall und Miró, von denen er bis auf Klee und Cézanne alle persönlich gut kannte. Diese Konzentration auf wenige Meister begründete seinen Erfolg als Sammler. Er wurde damit zu einem der Wegbereiter der Moderne. So entdeckte er etwa die Bedeutung der Scherenschnitte des älteren Matisse, für die sich noch niemand interessiert hatte und seine Sammlung wurde eine der bedeutendsten der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Es war im Januar 1991 schließlich, als es zu dem schicksalsträchtigen Zusammentreffen von Wolf-Dieter Dube, dem damaligen Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, und Heinz Berggruen in London kam, wo gerade eine auf fünf Jahre befristete Ausstellung der Sammlung Berggruen in der Londoner National Gallery begonnen hatte. Dube schaffte es Berggruen zu einem Besuch in seiner Geburtsstadt Berlin zu überreden, woraus schließlich seine Rückkehr mit 113 Meisterwerken der Sammlung im Jahre 1996 nach Berlin wurde.
Für diese Rückkehr des großen Sammlers in die Heimat wurde der Stülerbau gegenüber dem Schloss Charlottenburg, heute als Museum Berggruen bekannt, zur Verfügung gestellt und die Stadt wurde um eine ihrer schönsten Attraktionen reicher, die noch manchen nach sich zog. So etwa überredete Berggruenn auch seinen alten Freund Helmut Newton seine Sammlung der Heimat zu schenken und begründete damit das Museum für Fotografie am Bahnhof Zoo. Am 21. Dezember 2000 schließlich verkaufte Berggruen seine auf etwa 750 Millionen Euro geschätzte Sammlung für nur 126 Millionen Euro an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Hoffnung, dass private Mäzene einzelne Werke kaufen würden, um sie der Stiftung zu schenken, trog leider. Berggruen blieb auf den Kosten sitzen und versteigerte schließlich fünf Cézannes und zwei Van Goghs, die jedoch leider auch nur etwas mehr als die Hälfte der zuvor von Experten geschätzten 120 Millionen Dollar erzielten.
In den letzten Jahren lebte Heinz Berggruen abwechselnd in seinen Wohnungen in Paris, direkt am Jardin du Luxembourg, in der Schweiz und in Paris. Der Zugang zu seiner Berliner Wohnung war direkt über den Ausstellungsräumen, von dort kam er auch, als ich ihn traf, wollte eigentlich im Schlosspark spazieren gehen und dann haben wir einen langen Moment geplaudert, der für mich noch Stunden hätte weitergehen können.
In seinem letzten Lebensjahrzehnt veröffentlichte Berggruen wieder Glossen in der nun Frankfurter Allgemein Zeitung, wie er es schon in den 30ern in deren Vorgängerblatt allerdings aus politischen Gründen anonym getan hatte. Die Sammlung dieser Glossen erschien als eine wunderbare bibliophile Reihe im Wagenbach Verlag. Mit diesen Geschichten im Hinterkopf oder in der Hand erläuft sich die Sammlung noch ganz anders, wird plötzlich ganz vertraut, eben der Besuch alter Freunde.
Wenige Wochen nach der Party zu seinem 93. Geburtstag starb Heinz Berggruen 2007 in Paris und wurde auf eigenen Wunsch hin, auf dem Waldfriedhof in Berlin-Dahlem beigesetzt, wo ihm die Stadt zumindest ein Ehrengrab zuteil werden ließ. An der Trauerfeier nahmen die höchsten Repräsentanten des Staates teil, wie der damalige Bundespräsident Köhler, Kanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier der ehemalige Kulturstaatsminister Naumann und die Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Generaldirektoren der Staatlichen Museen, eine Enkelin Picassos, der Kunstsammler Flick und der französische Botschafter neben der Familie Heinz Berggruens.
Wer den wunderbaren weißen Stülerbau betritt, sieht gleich einen Giacometti vor sich, bevor er zum Erwerb der Eintrittskarte nach links abbiegt oder rechts im Museumsshop verschwindet, die stets ein großes Angebot von Berggruens Schriften vorrätig haben. Wer Berggruen verstehen will, sollte ihn lesen, wo das Zuhören leider nicht mehr geht, wie er in seinen Essays ein so wunderbares Panomara aus Kennerschaft und Liebe zugleich entfaltet. Er nähert sich der Kunst mit Zärtlichkeit und steht in persönlicher Beziehung zu ihr, wie zu den allermeisten der Maler seiner Sammlung. Ein kleiner Ersatz ist der Audioguide, auf dem auch Berggruen gelegentlich selbst erzählt.
Zentrum der Sammlung Berggruen ist mit über 100 Exponaten das Werk Picassos, sowie die besonderen Bilder Pauls Klees, von denen über 60 gezeigt werden. Auch Henri Matisse ist mit mehr als 20 Werken noch zahlreich vertreten und so findet sich ein wunderbarer Spiegel der klassischen Moderne, die aufbrach, die Welt neu zu sehen. Ein weiterer Höhepunkt sind die verteilt stehenden schlanken Werke des großen Giacometti, die noch von afrikanischen Skulpturen ergänzt werden, mit denen sich die Vielfalt der Einflüsse zeigt, die in der Moderne ihr Echo fanden, als sie aufbrach die Welt neu zu sehen.
Ging gerade die Treppe in der Rotunde hinauf, um mir in der oberen Etage die Klees und die Giacomettis anzusehen, als ich Heinz Berggruen traf und ihm ein wenig schüchtern aber sehr freundlich und vor allem voller Bewunderung zunickte. Irgendwas war in diesem Moment sehr vertraut zwischen uns, ohne dass ich sagen könnte, was es war. Natürlich hatte ich einiges über ihn gelesen, kannte seine Vita ein wenig, wusste um seine Großzügigkeit, die er seiner Heimat trotz der Vertreibung in der dunkelsten Zeit Deutschlands noch erwies - aber hätte ich ihn auf der Straße erkannt, wüsste ich an der Kasse des Supermarktes wer der feine Alte da vor mir war?
Habe ein ausgesprochen schlechtes Gedächtnis für Gesichter, häufiger schauen mich Leute an verschiedensten Orten länger an, ohne dass es dafür einen Anlass in meinem Verhalten gäbe und nicken mir, wenn ich den Blick erwidere, sehr freundlich zu. In den meisten Fällen nicke ich ebenso freundlich nur eben völlig ahnungslos zurück, weil ich mich normalerweise an kein Gesicht genau erinnere, es sei denn ich habe eine Frau schon mal geküsst oder kenne jemanden durch Wiederholung näher - aber auch in diesen Fällen bin ich schon der Lückenhaftigkeit meines sehr schwachen Gedächtnisses überführt worden. Nicht mal, wenn ich einer Frau schon so nah war, wie ich überhaupt nur sein kann, rein physisch betrachtet, sie mir sogar emotional mal sehr nah war, erkannte ich sie sicher, übersah ich sie schon beinahe, in Gedanken versunken beim Flanieren durch die Straßen. Wie neulich eine von mir einst sehr geliebte und geschätzte Ärztin als sie mit einer Freundin aus Brandenburg ein benachbartes Café verließ und ich sie unter lauter Mütze und Mantel erst auf lauten Zuruf hin erkannte.
Ob ich also den feinen Herrn Berggruen so sicher auch andernorts erkannte hätte, war also keineswegs gewiss. Hier jedoch im Stülerbau, in dessen oberer Etage er lebte mit Blick auf Schloss Charlottenburg und wo er auch mit den Tauben, besonders der einen weißen, die er als Gesandte Picassos identifizierte, Freundschaft schloss, wusste ich, er musste es sein, sonst wohnte ja keiner hier.
“Gefällt es ihnen?”, fragte er mich, bevor ich den letzten Schritt die Treppe hinauf tat, um in der Klee-Etage zu verschwinden. Er stand noch zwei Stufen über mir, wir waren so auf Augenhöhe. Wusste sofort, was er meinte, auch wenn die Frage sehr offen und unpräzise war - viellleicht fühlte er auch diese irgendwie vertraute Nähe, ohne sich zu kennen.
“Sage ich nun großartig, klingt es abgedroschen. Superlative sind meist so ungenau wie längst gewöhnlich. Ja, ich fühle mich sehr wohl hier, ich glaube ich liebe diese Bilder irgendwie” und bei diesen Worten lächelte er.
“Kennen wir uns?”, fragte er endlich, was ich auch dachte, weil es sich so anfühlte und doch wusste ich leider genau, dem war nicht so.
“Zu gerne, würde ich jetzt Ja sagen, als Bewunderer und Leser, kommen sie mir natürlich bekannt vor, aber tatsächlich sehe ich sie gerade das erste mal”, verbeugte mich leicht, stellte mich vor. Er horchte bei meinem Nachnamen auf, aber ein Licht ging ihm dabei wohl auch nicht auf, woher auch?
“Zumindest kommen sie mir bekannt vor”, blieb er noch beim Thema.
“Auch da muss ich sie vermutlich enttäuschen, bin nur ein ganz unbedeutender Bewunderer. Glaube mein Großvater kannte sie aus Paris, hat er mal erwähnt.”
“Er war in meiner Galerie?”
“Vermutlich oder von irgendeinem Empfang, er war eine zeitlang für die NATO als Diplomat dort.”
“Erinnere ich jetzt nicht so genau. Sehen sie sich ähnlich?”
“Eher weniger, er war viel kleiner als ich. Ganz anderer Typ, vielleicht die Nase noch ähnlich”, lachte ich ihn an. Erzählte ihm ein wenig von meinem Großvater, der Grotepater genannt wurde, in den 20ern nach Paris zum Studium ging, wohl auch Picasso und Miller traf, aber da immer sehr unpräzise und allgemein in seinen Aussagen blieb, so genau ich auch nachfragte. Klar kannte ich die, hatte er gesagt und jeder wusste, wo sie zu treffen waren.
“Sammelte er Kunst??”
“Eher Antiquitäten mit bescheidenen Mitteln zum Hausgebrauch. Ein Ururgroßvater von mir sammelte einst Kupferstiche und Handzeichungen als Hofbibliothekar zu Gotha.”
“Existiert die Sammlung noch?”, fragte er plötzlich neugierig.
“Ja, mein Vater verwaltet sie nun, sein Alterswerk neben dem Studium der Kunstgeschichte. Aber eher Alte Meister und nichts besonderes, eher nebenbei, er sammelte für den Herzog.”
“Das gefällt mir. So fängt es oft über Umwege an.”
“Wie mit ihrem ersten Klee in Chicago?”
“Ach, sie kennen die Geschichte, ja, auch eher ein Zufall aber ich wollte ihn sofort. Und sie?”
“Schreibe nur ein wenig und liebe die Kunst ohne wirkliche Ahnung.”
“Die Liebe ist immer die beste Voraussetzung, so fing es bei mir auch an.”
“Wollte sie nicht stören…”
“Ach was, ich habe doch sie angesprochen, wollte gerade spazieren gehen. Freue mich immer, wenn ich mit Besuchern reden kann.”
“Wollen wir noch ein wenig zusammen schauen?”
“Ja, warum nicht? Sie sind ja nicht zum plaudern mit alten Herren hier”, lachte er wunderbar selbstironisch, “lassen sie uns zusammen einige Bilder ansehen, solange sie nicht die üblichen Fragen stellen.”
“Nach Frida Kahlo?”, lachte ich in Erinnerung seiner Worte dazu.
“Sehr gut. Genau.”
Dann redeten wir natürlich doch darüber, ohne dass ich die Frage je stellte, aber davon wurde ja schon oben berichtet.
Hielt ihm die Tür auf und wir schlenderten an den Bildern entlang, blieben stehen, zwischendurch fragte er, was ich da oder dort sehe, dann erzählte er kleine Geschichten, wie ich schon manche gelesen hatte, wies mich auf Dinge hin.
“Nun habe ich sie lange genug aufgehalten. Schauen sie in Ruhe, wir treffen uns bestimmt noch mal und ich mache jetzt meinen Spaziergang”, verabschiedete er sich schließlich.
“Würde gerne noch stundenlang hier mit ihnen weiter plaudern. Es ist unglaublich schön, ihre Geschichten zu hören, alles, was ich bisher nur las.”
“Ach was, schauen sie und genießen sie, beim nächsten mal mehr” verabschiedete er sich lachend. Hielt ihm noch die Tür auf und er winkte kurz zum Abschied und ich schlenderte noch die eine oder andere Stunde durch sein Museum, erfüllt von diesem kleinen historischen Geplauder.
Es hängt so viel an großer Kunst in den Räumen des Stülerbaus, dieser bedeutendsten Sammlung der klassischen Moderne zumindest in unserem Land und es gäbe so viele Geschichten zu jedem einzelnen Bild zu erzählen, dass es diesen kleinen Rahmen wohl sprengte. Viel zu wenig weiß ich als bloßer Besucher und Bewunderer, um darüber große Neuigkeiten zu erzählen. Immer stehe ich lange vor Matisse Seilspringer wie angezogen von der Bewegung in diesem schlichten Bild voll wunderbarem Blau. Die Picassos wären in so vielem noch kleine Geschichten, denke ich etwa an das strenge Bild seines Sekretärs, in dem sich auch so viel Humor verbirgt in seinem blau und doch will ich es bei dieser kleinen Geschichte aus dem Leben Berlins bei der überraschenden Begegnung mit einem großen Mann belassen.
Seine Freude und immer noch spürbare Leidenschaft, mit der er sich seinen Bildern verbunden fühlt, die er so großzügig an seine Geburtsstadt gab, die ihm erst im hohen Alter für eine Decade auch wieder Heimat wurde, ist spürbar beim Gang durch das Haus. Hier lohnt sich, wie schon erwähnt, auch der Audioguide immer wieder, um teilweise Heinz Berggruen im O-Ton von seiner Kunst erzählen zu hören, als wäre er noch da. Wir trafen uns leider nie wieder, ein Jahr etwa nach unserer Begegnung starb er und auch wenn ich in der Zwischenzeit noch häufig sein Museum besuchte, wollte es der Zufall kein zweites mal. Für so bedeutend, dass ich ihn gestört hätte, hielt ich mich nicht und genoss so die Erinnerung an die einmalige Begegnung und die halbe Stunde vielleicht, die wir durch die obere Etage schlenderten, als Flaneure des Glücks an diesem wunderbaren Ort, reicher durch seine Geschichten.
Immer, wenn ich nun dort bin, oder eines seiner Bücher in den Händen halte, denke ich daran - wie viel hätte ich ihn gerne noch gefragt, ließ es in meiner Überraschung, er fragte mehr als ich und ich war ja quasi bei ihm zu Gast, da überließ ich ihm den Gang der Dinge und freute mich an den kleinen Geschichten, die vielleicht mal Teil eines Buches werden. Doch würde ich jedem, der ihn erspüren will, den Besuch in seinem Museum empfehlen, lieber seine Bücher als mich zu lesen. Hingehen und sich verführen lassen an diesem Ort voller Sinnlichkeit, die in der großen Kunst der klassischen Moderne lebendig ist.
jens tuengerthal 11.3.2017
Samstag, 11. März 2017
Freitag, 10. März 2017
Berlinleben 015
Nonnendefloration
Berlin sei eine sexy Stadt und es könne dir an jeder Ecke passieren, munkeln die Touristen und flanieren aufgegeilt durch die Straßen auf der Suche nach der schnellen Nummer und der wilden Erfahrung.
Klar kannst du, wenn du willst, alles machen, findest irgendeinen Ort für jedes Vergnügen und jede noch so abartige oder gewöhnliche Neigung kann hier irgendwo Befriedigung finden, so sie sich ein wenig darum bemüht.
Was du überall haben kannst, ist langweilig, war nie in den entsprechenden Clubs, habe im August Fengler, das in meinem Kiez als der letzte Schuppen zum Abbschleppen auch schon abgetakelter Damen manchmal gilt, wenn gar nichts mehr geht, nie eine kennengelernt, die einzigen beiden, die sich mal zu mir setzten und mich anquatschten, habe ich um Geduld gebeten, weil ich noch am Dichten und beobachten war und dann kamen bald andere Kerle, die bereitwillig übernahmen. Will sagen, aufreißen, war noch nie mein Ding, wenn ich Frauen kennenlerne, sind es mal Leserinnen oder sie sprechen mich neugierig geworden an, während ich schreibe oder lese, worauf ich verschieden unwillig reagiere.
Während ich noch bei Finya und Tinder aktiv war und mich suchend um Damen bemühte, fand ich das reale angesprochen werden eher störend, die Dates wurden ja wohlgeordnet virtuell vergeben und da konnte doch nicht einfach eine dazwischen kommen, obwohl wir natürlich insgeheim alle davon träumen, so die große Liebe zu treffen.
Eigentlich wird Sex überschätzt, so spannend ist es auch nicht, zwar ist jede Frau irgendwie anders, aber es gibt immer mehr Bücher, die ich ungewissem Sex vorziehe, denn wer weiß schon, ob etwas gut endet, es nicht eine einseitige Bemühung und Enttäuschung nur wird, die mich bloß geil beschäftigte. Wenn du eine Partnerin hast, mit der du zusammen kommst, die den Sex genießt, hast du alles, was es gibt, mehr wird es nie. Darum ist es gut, in Ruhe zu genießen, wenn es mal passt und ohne Probleme ist, denn wo gibt es das heute noch - aber vermutlich liegt das auch an meinem fortschreitenden Alter und meinem Riecher für schwierige Frauen.
Meine erste und einzige Nonne lernte ich bei IKEA auf dem Parkplatz kennen, als ich gerade zwei neue schwarze Billys ins Auto geladen hatte und sah wie sich die leicht alternativ aussehende junge Dame mit ihren Möbeln quälte. Da war sie schon keine Nonne mehr und ich wäre nie auf die Idee gekommen, bevor sie es mir viel später erzählte.
Es war der 30. April - der Tag vor der magischen Walpurgisnacht, ich war zumindest an diesen Tagen alleine. Im Jahr 1987 bin ich an diesem Tag zufällig tödlich verunglückt, als ich noch in Süddeutschland lebte, nahe Heidelberg auf dem Weg in die Schule. Wie die gewiefte Leserin nun unschwer kombinieren wird, überlebte ich den Unfall wider Erwarten dann doch. Mehr gibt es dazu gerade nicht zu sagen, auch wenn es in den später Gesprächen mit M noch eine gewisse Rolle spielte.
Fand sie nett und ging ihr zur Hand und sie freute sich so sehr darüber, dass ich gleich überlegte, ob und was vielleicht daraus werden könnte. Offen für interessante Frauen war ich immer und diese hatte was, auch wenn ich noch nicht wusste was.
Wir tauschten Nummern oder vielleicht sogar ganz gediegen Karten, sie versicherte mir mehrfach ihre große Dankbarkeit und wie einfach sind wir Männer doch nahezu alle, mit unserer hingebungsvollen Liebe zu dankbaren Frauen, in dem Gefühl, die dich zu würdigen weiß und dankbar ist, erkennt deinen wahren, guten Kern, zweifelt nicht ständig an dir, sieht dich als den Guten, der du so gerne wärst und genau den bekommen solch dankbare Frauen auch meist voller Großzügigkeit und Bescheidenheit dann geliefert und bleiben lange dankbar und glücklich, bis sie an einen Idioten geraten, der ich nie sein wollte.
Mit einer dankbaren Frau, statt der vielen meist unzufriedenen Hippen, die dich ändern und erziehen wollen, würde sogar ich vermutlich über die Ehe nachdenken und könnte sie mir schön vorstellen, nicht nur als eine Art romantisch verklärter Knast mit Beischlafgelegenheit, wie sie mir beim letzten Versuch wohl rückblickend bald erschienen wäre, wenn ich die rosa Brille abgesetzt hätte, die von großer da noch faselte. Doch habe ich noch keine dauerhaft dankbare Frau kennengelernt, die dies auch in einer Beziehung blieb und dann nicht in die üblichen Muster zurückfiel und also kenne ich auch keinen immer guten Mann, weil wir armen Opfer weiblicher Unzufriedenheit uns ja auch irgendwie schützen müssen. Anders ist es mit den Liebhaberinnen, die dich nur kurz haben können oder die du oder heute mehr sie dich nebenbei genießen. Hier sind beide Seiten am Ende dankbar und glücklich über das, was ist, freuen sich an kleinen Zärtlichkeiten voller Leidenschaft, warum ich mich ernsthaft frage, warum wir noch in klassischen Beziehungen oder Ehen überhaupt leben sollten, diesen immer Liebestötern, die nach Ablauf einer gewissen Zeit nahezu jede noch so große Lust fressen oder auf ein praktisches Handtaschenformat schrumpfen. Die Ehe under inhärente Anspruch auf ihren Vollzug, also den ehelichen Beischlaf, ist der größte denkbare Liebes. und Lusttöter.
Eine Liebhaberin ist wie ein Liebhaber etwas wunderbares, du bemühst dich um Zuwendung, wirbst umeinander und genießt bei Gelegenheit mit größter Leidenschaft, bei der keiner fürchtet, sich etwas zu vergeben oder meint für etwas revanchieren zu müssen, wie ich es aus Beziehungen zu gut kenne und auch in der fraglos glücklichen Ehe meiner Eltern, was halt bei Ehen so glücklich heißt, seit über 46 Jahren beobachten durfte. Das Zusammenbleiben wird zum Verdienst an sich und sollte als solches eigentlich auch genügen, um miteinander weiter klar zu kommen irgendwie. Alles andere ist seltenes Extra, kann genossen werden, so es vorkommt, gehört aber nicht mehr dazu. Mit der Ehe geben wir alle Rechte ab, lassen uns betreuen, als seien wir unmündig und nennen es dann liebevolle Sorge, die uns stärkt.
Zu diesem Zeitpunkt war ich, wie die meiste Zeit meines Lebens, in einer Beziehung, auch wenn ich mich heute immer mehr frage, warum eigentlich, wo es sich doch viel besser mit einer oder mehreren Liebhaberinnen lebte, statt in einer sogenannten besitzergreifenden Beziehung mit garantiertem Verlust der Leidenschaft, umgekehrt proportional. Es sei für die Kinder besser, wird behauptet - was ich inzwischen immer stärker bezweifle - gut ist für die Kinder, wenn es den Eltern gut geht und sie glücklich sind. Dabei ist völlig egal welches Lebensmodell dem elterlichen Glück zugrunde liegt.
Die Lebenserwartung in festen Beziehungen sei durchschnittlich höher wird statistisch behauptet. Klar, wer nichts mehr zu erwarten hat, schafft es nicht mal mehr aufregend ums Leben zu kommen. Die Partner kümmern sich aus hypothetischer Verlustangst auch schon vorab um ihren Gemahl und dessen Gesundheit, was eine ganze Industrie der Medizin am Leben hält, ohne damit das Leben spürbar schöner zu machen. Nur immer teurer werden die letzten Jahre und es fragt sich, wozu?
Vielleicht finden es ja in ewiger Zweisamkeit nörgelnd degenerierte Dauerpaare auch nur aufregend, sich am Leben zu erhalten, weil sie dem anderen noch nicht die Freiheit eines Abgangs ohne Sorgen und Schmerzen gönnen, wer weiß das schon zu berurteilen und ich sicher am wenigsten, der sich immer wieder gern den Illusionen auch hingibt.
Als ich M, so hieß die Dame auf dem Parkplatz bei IKEA traf, lebte ich in einer weitgehend asexuellen Beziehung bereits, litt als eigentlich leidenschaftlicher Kuschler unter getrennten Nächten und hätte doch nie etwas daran einfach geändert, weil die Dinge eben waren, wie sie waren.
Die Absicht dabei war noch völlig unklar. Klar, sie war nett, wirkte nicht ungebildet, sprach gutes hochdeutsch und lachte ganz zauberhaft - leicht alternativ, wie sie mir schien, fand ich auch gut. Mochte auch damenhafte Frauen aber bloß keine Tussis und gerade wollte ich ja auch nichts als mich einrichten und meine Regale aufbauen und dennoch verabredeten wir uns schon für den gleichen Abend, an dem ich allein war und sozusagen sturmfreie Bude hatte.
Sollte sie am Bahnhof Friedrichstraße abholen und als ich dort erwartungsvoll stand, staunte ich nicht schlecht, als ich plötzlich eine mädchenhafte Dame im langen hellen Strickrock aussteigen sah. Sie lachte mich an, freute sich voller Dankbarkeit, dass ich tatsächlich am Bahngleis stand und fiel mir um den Hals, was doch stürmischer war, als ich zu hoffen gewagt hatte und ich nahm es, wie es kam, Heftete meine Lippen auf die ihren und küsste sie voller echter Leidenschaft mit allem, was Mann in so einen ersten Kuss packen kann. Zartes Beißen, forderndes Saugen, zärtliches Züngeln, fest im Arm halten und leidenschaftlich besonders den Po streicheln - naja das ganze Programm halt.
Sie wirkte etwas ungelenk und aufgeregt dabei, als hätte sie keine Erfahrung beim küssen aber dafür voll echter Leidenschaft und sie hing bewundernd an meinem Hals und ließ sich küssen, schien es mir, glücklich mit der Welt. Sie schien sich, verlieben zu wollen und ich war mir noch nicht ganz sicher, wie ich damit umgehen sollte. Einerseits gibt es nichts schöneres, als sich zu verlieben und warum nicht in diese leicht alternative gerade fast mädchenhaft wirkende Schönheit vom IKEA Parkplatz.
Schönheit ist ein sehr relativer Begriff. Frauen tun viel, um es zu scheinen, manche mehr, manche weniger. Sie hatte mir erzählt, dass sie Berlinerin sei, ein Kind der Stadt, aber lange in Frankreich gelebt hätte. Klang interessant und die Franzosen haben ein lockereres Verhältnis zur Leidenschaft, Liebhabern, Mätressen und all der Lust als wir gern in der Liebe stocksteif erstarrenden Deutschen, was uns viel Vergnügen dabei raubt. Hatte genau das in meiner Zeit in Straßburg auch so sehr geliebt, als ich einmal die deutlich ältere Freundin eines Logenbruders aus dem Grand Orient als Geliebte hatte und ich mich danach, obwohl wir alle wussten, was war, bestens lachend verstanden, keine Probleme mit Fragen der Ehre oder ähnlichem Unsinn entstanden, wir gönnten es uns mit einem Zwinkern.
Das Leben kann so schön sein, warum sich also Probleme moralischer oder anderer Art machen, wenn diese nur dazu beitragen, die Schönheit des Lebens zu beeinträchtigen. Die Erlebnisse in Straßburg waren zu diesem Zeitpunkt schon mehr als zehn Jahre Geschichte und doch hatte ich etwas gelernt dort, weniger französisch, als den Umgang der Menschen betreffend. Es ist keine moralische Frage, wer mit wem schläft, wenn einen die Lust überkommt, sondern eine der Natur und die Beteiligten sollen es einfach genießen.
Damals kam mir diese Welt der Brüder dort in vielem fremd vor, wo der eine obwohl seit langem verheiratet, eine offene Liaison mit der anderen hatte, die eine ihren Freund nur ein bis zwei Nächte die Woche bei sich empfängt, wenn beide gerade Lust dazu haben - die Kinder mal zum einen, dann zur anderen gehen, am Tag ohnehin in Schule oder Kita betreut werden.
Solches war in der Heidelberger Provinz, in der ich einst studierte, noch sehr extravagant, galt nicht als normal, später erst erfuhr ich, noch von meinem Vater, dass er lange eine Liaison mit seiner Oberärztin hatte. Fand das nicht weiter schlimm, die ganze Klinik tuschelte ja darüber, inzwischen ist diese auch schon gestorben und so erledigt sich manches von allein, während mein Vater noch als gezähmter Ehemann weiter überlebt.
Dies könnte obige These bestätigen, dass wilde Liebe das Leben gefährdet und die Ehe es stabilisiert. Dafür fällt mir auch die Geschichte meines Mainzer Logenbruders ein, der auch bei seiner Geliebten beim Sex am Herzinfarkt starb, was niemand wunderte, weil er ohnehin schon lange so dick war, dass es wenig Hoffnung gab, er sähe noch, was er beim pinkeln in der Hand hielt. Doch ist es schlimmer, mit Anfang sechzig zu sterben am Herzinfarkt beim Sex, oder sich bis neunzig ohne Sex hinzuschleppen und irgendwann alt und längst impotent doch zu verenden, frage ich mich und denke, es ist nicht so schlecht, früher zu sterben als ein Leben voller Angst vor dem Tod und ohne Leidenschaft zuzubringen.
Gemessen daran und verglichen mit meinem Vater oder dem in meiner Familie üblichen, müsste ich vermutlich längst tot sein mit meinen 46 und den mehr als drei Frauen in meinem Leben und ich kann heute schon glücklich sagen und wenn mich morgen der Schlag träfe, ich habe gelebt und geliebt und es war gut so, ich bereue nichts und möchte gerade nur noch darüber schreiben, was in allem noch mehr Gelassenheit gibt.
Damals als mich M am Bahnhof Friedrichstraße küsste, war ich noch etwas jünger und weniger gelassen als heute. Warum Menschen immer meinen, sie müssten alles mit einem Menschen teilen, scheint mir rätselhaft. Denke ich an meine wunderbare Liebhaberin von vor einigen Jahren, die Buchhändlerin war und mit der ich mir noch zusätzlich herrliche Duelle in Worten lieferte, frage ich mich, warum es an zu viel Gefühl scheitern musste. Der Sex war ganz nett, es war geistig unterhaltsam, mehr braucht es nicht im Leben und verheiratet sein, wollte ich mit dieser Frau und ihrem Putzwahn nie, denke ich heute - damals litt ich darunter, wie sie nach unserer Lust ins eheliche Bett wanderte, schwor mir als Single nie wieder etwas mit einer verheirateten Frau anzufangen. Was für ein Unsinn. Wobei dieser Schwur auch noch eine Vorgeschichte mit einigen unglücklichen Lieben hatte, was dem Unsinn aber nichts nimmt.
Nie mehr sollte ich etwas anderes beginnen, sie sind mit schlechtem Gewissen besonders hingebungsvoll, stabilisieren damit meist ihre Ehe noch, du genießt sie nur von ihrer besten Seite, außer sie sind zu betrunken von all dem Mut, den sie sich antranken aber dann ist es zumindest amüsant und nicht peinlich wie bei einer besoffenen Partnerin. Liebe also verheiratete Frauen, ohne sie besitzen zu wollen, sondern um alles Gute und Schöne von ihnen zu bekommen und werde mich hüten, etwas anderes noch je zu wollen, nicht mehr über große Liebe faseln, die sich so schnell in große Rache und Hässlichkeit nur verwandelt, die meist mit Eifersucht verbunden zu sein scheint und all den lächerlichen Dramen.
Damals aber war ich noch in einer geordneteren Welt, hatte feste Vorstellungen von Beziehungen und dem Verhältnis von Mann und Frau, wusste, dieser Kuss auf dem Bahnsteig, war in meiner Position eigentlich nicht zulässig, auch wenn es sich gerade so wunderbar anfühlte und rang mit meinem Gewissen.
Es war ein warmer frühlingshafter Tag und ich schlug vor, wie schon lang geplant, in den Biergarten des Berliner Ensembles am Schiffbauerdamm zu gehen. Des Brechttheates einst, an dem sich nun Peymann über Jahre selbst darstellte und der großartige Ungar George Tabori noch über Jahre wirkte. Ihn sahen wir auch im Garten sitzen unter den großen Bäumen und andere Schauspieler, auch die eine oder den anderen, die ich kannte noch aus den Zeiten als Abonnent hier und aus der kurzen intensiven Freundschaft mit einer der Schauspielerinnen, die Peymann aus Wien nach Berlin mitbrachte. Fühlte mich also relativ zuhause dort, hatte an einem öffentlichen Ort ein relatives Heimspiel und was könnte zum Flirten je besser sein, zumal noch im Theater, dem Ort der leichteren Sitten schon immer.
Hätte ich, ach einfach geschwiegen und genossen, was ist, wäre es vielleicht viel schneller gegangen, dachte ich schon und weiß, es ist Blödsinn, es ging überhaupt nur in dieser Nacht, weil ich eigentlich nicht zu haben war, mich zu begehren die größte Sünde blieb, sie anzufassen ebenso, auch wenn es nichts als normale Natur war, die uns vom ersten Moment an zueinander führte.
Mit der Natur, die uns einfach anzog, begann ich mein Geständnis - es wäre einfach unausweichlich gewesen und naja, nun säßen wir eben hier, auch wenn ich ja irgendwie Familie hätte, zumindest eine Partnerin.
Nach meinem Geständnis, was sie zwar vermutlich moralisch entsetzen musste, aber unsere Anziehung und die reale körperliche Nähe nicht verringerte, war es an ihr, ein Geständnis abzulegen und mir offenzulegen, wer sie war.
Sie lebte erst seit wenigen Monaten wieder in Berlin. Zuvor war sie Ordensschwester im katholischsten der katholischen Orden in einem abgelegenen Kloster in der Bretagne, in dem die Messen nur lateinisch gelesen wurden, denen das II. Vatikanum als ein zu liberaler Unsinn noch immer galt. Die noch den polnischen Papst als zu liberal ansahen.
Ein gottgeweihtes Leben hatte sie aus voller Überzeugung führen wollen, doch dann hatte ihre Oberin bemerkt, dass sie nicht ganz bei der Sache war, wie sie es erzählte erspürt, dass sie auf ihrem Weg noch irre und ihr geraten, zurück in die Welt zu gehen.
Da war sie nun, ohne einen tauglichen Beruf für dies weltliche Leben, unterrichtete sie Kinder in verschiedenen Sprachen und richtete sich gerade ihre Wohnung ein. Darum also der IKEA Besuch begriff ich erstaunlich schnell für meinen in Fragen der Kirche natürlich beschränkten Horizont.
Sie hatte keinen Mann gehabt in ihrem Leben. Sich bisher Gott geweiht und war so bis über vierzig, sie war ein wenig älter als ich, meine ich zu erinnern, unberührt geblieben - eine echte, erzkatholische Jungfrau und ich knutschte mich mit ihr im Biergarten des BE herum, streichelte, soweit sie es zuließ, die der sinnlichen Erweckung föderlichen Orte.
Ein früher Freimaurer des Grand Orient, der für mehr Laizismus auch in Deutschland gekämpft hatte, küsste eine jungfräuliche Nonne im Biergarten des Brecht-Theaters. Das ist eben Berlin, dachte ich und wollte sie nach diesem Geständnis ihrerseits noch unbedingter als vorher haben. Auf ihr Nonnengeständnis folgte meines des GO Freimaurers und wir waren aus den entgegengesetzten Welten kommend, nicht weniger fasziniert voneinander.
Wir spielten noch über Stunden in die hereinbrechende Samstagnacht das Mann und Frau Spiel - sie verweigerte sich sehr katholisch, ich näherte mich über verschiedene Cafés und Biergärten langsam meinem Zuhause am Platz. Im letzten Biergarten, nur noch wenige hundert Meter Luftlinie von meinem Bett entfernt, diskutierten wir philosophisch und ich war kurz davor alles mit dieser gläubigen Dogmatikerin abzubrechen, weil mich der Aberglaube unnd die geistige Enge so nervte - doch dann lachte sie mich wieder an und ich ließ nichts unversucht, sie doch noch rumzukriegen.
Sie hatte dies von Anfang an und nach dem Geständnis noch mehrfach absolut und ganz klar ausgeschlossen, käme ja gar nicht infrage, dass wir im Bett landeten. Sie, streng katholisch, frisch in der Freiheit, in der magischen Nacht mit einem Freimaurer, der in einer festen Beziehung wäre - ausgeschlossen, geht nicht, sagte sie, Lust hätte sie ja und angezogen fühle sie sich schon wie magisch vom ersten Moment, aber das ginge ja gar nicht. Was gar nicht geht, reizt natürlich immer mehr, auch wenn ich nach meiner Erfahrung Jungfrauen eher langweilig und enttäuschend meist fand - so etwas brauchte Zeit und war nichts für eine Nacht und doch wollte ich sie, immer mehr, desto entschlossener sie sich verweigerte.
Als der Biergarten sich leerte, saßen wir irgendwann auf einer Bank des Spielplatzes am Platz, küssten uns und mit genug Alkohol sank ihr Widerstand gegen meine Hände unter ihrem Rock, sie ließ es zu, gab sich hin, explodierte, fast vor Lust, schrie schon fast, diese gerade noch Nonne gewesene Frau mit den langen dunklen Haaren, die sie zur Feier des Abends offen trug, auch wenn sie mir hochgesteckt viel besser gefielen, ehrlich gesagt. Da zog ich die Hand ein wenig zurück, bis sie sich an mir zu reiben begann, weil ihr Verlangen alle Moral überholt hatte.
Eine Stunde versicherte sie mir noch, sie käme nie mit zu mir rauf, auf keinen Fall, dann waren wir schließlich oben unter dem Versprechen, nicht bis zum letzten zu gehen. Wollte mich nie an dieses falsche Versprechen halten, dass eine noch Ahnungslose erzwang, wollte aber auch nichts tun, was sie nicht wollte, sie nicht nötigen zu Dingen, die ihr fremd noch waren. Wollte sie einfach glücklich machen und ihr den Weg zum Glück zeigen, ihr diese idiotische Jungfräulichkeit rauben, damit sie das Leben als freie Frau genießen könne.
Wusste wohl, wie wichtig die abergläubischen Katholiken wie viele primitive Kulte dies überflüssige Häutchen nahmen. Stand, wie erläutert, nicht besonders auf Jungfrauen, da erstens nicht katholisch und schon zu erfahren, als dass ich an das Wunder der Lust bei völlig unerfahrenen Frauen glaubte und doch davon überzeugt, dass es darauf ankam, wie eine Frau ihr erstes mal erlebt, ob sie später Lust daran hat oder nicht, es genießt oder weniger toll findet. Sie sollte es toll finden, es einfach mit freier atheistischer Lust in dieser magischen Nacht genießen, um befreit zu leben mit der freigelassenen Lust in ihrem Körper. Wie ich ihr beim Einladen bei IKEA half, wollte ich sie auch zum Sex einladen und es schön machen.
Nachdem ich ihren wohl noch nie rasierten Schoss - wozu auch, sah ja bei den Bräuten Jesu keiner und ihr Bräutigam war nun schon über 2000 Jahre verfault - ausgiebig leckte, fanden die Diskussionen ein Ende und sie drängte mich wieder, endlich zu ihr zu kommen, meinen Schwanz in sie zu stecken, sie hielte es nicht mehr lange aus.
“Was hältst du nicht mehr aus?”
“So ahnungslos und wild hier auf dich zu warten und das nichts passiert.”
“Dann komm auf mich.”
“Nein, das geht nicht, ich bin katholisch, nicht beim ersten mal.”
“Was für ein Unsinn, ist aber besser.”
“Nein, ohne mich, nie im Leben.”
“Na dann halt nicht, wir müssen ja nicht …”
“Doch bitte, ich will nicht mehr warten, komm …”
Ließ mich noch zweimal bitten, ein kurzer spitzer Schrei in der Morgendämmerung und die nicht mehr Nonne war keine heilige Jungfrau mehr - danach eine kleine Pause mit Lecken und Streicheln, dann überredete ich sie, schließlich doch auf mich zu kommen, damit sie es selbst steuere - sie hatte für die Defloration darauf bestanden unten zu liegen und sich durchgesetzt, dann konnte sie doch rein logisch für ihren ersten Höhepunkt mal nachgeben. Schlechter katholischer Einfluss aus dem Aberglauben eben. So ließ sie sich mühsam überzeugen und wir genossen es.
Wir taten es noch einige male, bis zur völligen Erschöpfung, als es schon längst aus dem Osten wieder Tag wurde. Schliefen wenige Stunden Arm in Arm. Dann wollte sie gerne zum Gottesdienst mit der erzkatholischen Messe, um nur ja noch die Beichte abzulegen, frei von der Sünde zu werden und ich nahm ihr das Versprechen ab, dass dies ewig unser kleines Geheimnis bliebe. Habe manchmal überlegt, ihr zu schreiben, oder sie anzurufen, mal davon geträumt, ich träfe sie irgendwann mit einem Kinderwagen und sie würde mir dankbar meinen Sohn präsentieren.
Aber wäre sie je wütend geworden oder hätte sie es hingenommen und mich weiter voller Dankbarkeit bewundert, fragte ich mich und denke, manchmal ist es gut so, nichts mehr voneinander zu hören, auch um später ungestört davon zu erzählen, wie ich in der Walpurgisnacht eine Nonne hatte, die ihr Leben lang Jungfrau bleiben wollte, bis der Herr sie nähme und dann kam einer, der keinen Gott kennt und es war gut so.
jens tuengerthal 10.3.2017
Berlin sei eine sexy Stadt und es könne dir an jeder Ecke passieren, munkeln die Touristen und flanieren aufgegeilt durch die Straßen auf der Suche nach der schnellen Nummer und der wilden Erfahrung.
Klar kannst du, wenn du willst, alles machen, findest irgendeinen Ort für jedes Vergnügen und jede noch so abartige oder gewöhnliche Neigung kann hier irgendwo Befriedigung finden, so sie sich ein wenig darum bemüht.
Was du überall haben kannst, ist langweilig, war nie in den entsprechenden Clubs, habe im August Fengler, das in meinem Kiez als der letzte Schuppen zum Abbschleppen auch schon abgetakelter Damen manchmal gilt, wenn gar nichts mehr geht, nie eine kennengelernt, die einzigen beiden, die sich mal zu mir setzten und mich anquatschten, habe ich um Geduld gebeten, weil ich noch am Dichten und beobachten war und dann kamen bald andere Kerle, die bereitwillig übernahmen. Will sagen, aufreißen, war noch nie mein Ding, wenn ich Frauen kennenlerne, sind es mal Leserinnen oder sie sprechen mich neugierig geworden an, während ich schreibe oder lese, worauf ich verschieden unwillig reagiere.
Während ich noch bei Finya und Tinder aktiv war und mich suchend um Damen bemühte, fand ich das reale angesprochen werden eher störend, die Dates wurden ja wohlgeordnet virtuell vergeben und da konnte doch nicht einfach eine dazwischen kommen, obwohl wir natürlich insgeheim alle davon träumen, so die große Liebe zu treffen.
Eigentlich wird Sex überschätzt, so spannend ist es auch nicht, zwar ist jede Frau irgendwie anders, aber es gibt immer mehr Bücher, die ich ungewissem Sex vorziehe, denn wer weiß schon, ob etwas gut endet, es nicht eine einseitige Bemühung und Enttäuschung nur wird, die mich bloß geil beschäftigte. Wenn du eine Partnerin hast, mit der du zusammen kommst, die den Sex genießt, hast du alles, was es gibt, mehr wird es nie. Darum ist es gut, in Ruhe zu genießen, wenn es mal passt und ohne Probleme ist, denn wo gibt es das heute noch - aber vermutlich liegt das auch an meinem fortschreitenden Alter und meinem Riecher für schwierige Frauen.
Meine erste und einzige Nonne lernte ich bei IKEA auf dem Parkplatz kennen, als ich gerade zwei neue schwarze Billys ins Auto geladen hatte und sah wie sich die leicht alternativ aussehende junge Dame mit ihren Möbeln quälte. Da war sie schon keine Nonne mehr und ich wäre nie auf die Idee gekommen, bevor sie es mir viel später erzählte.
Es war der 30. April - der Tag vor der magischen Walpurgisnacht, ich war zumindest an diesen Tagen alleine. Im Jahr 1987 bin ich an diesem Tag zufällig tödlich verunglückt, als ich noch in Süddeutschland lebte, nahe Heidelberg auf dem Weg in die Schule. Wie die gewiefte Leserin nun unschwer kombinieren wird, überlebte ich den Unfall wider Erwarten dann doch. Mehr gibt es dazu gerade nicht zu sagen, auch wenn es in den später Gesprächen mit M noch eine gewisse Rolle spielte.
Fand sie nett und ging ihr zur Hand und sie freute sich so sehr darüber, dass ich gleich überlegte, ob und was vielleicht daraus werden könnte. Offen für interessante Frauen war ich immer und diese hatte was, auch wenn ich noch nicht wusste was.
Wir tauschten Nummern oder vielleicht sogar ganz gediegen Karten, sie versicherte mir mehrfach ihre große Dankbarkeit und wie einfach sind wir Männer doch nahezu alle, mit unserer hingebungsvollen Liebe zu dankbaren Frauen, in dem Gefühl, die dich zu würdigen weiß und dankbar ist, erkennt deinen wahren, guten Kern, zweifelt nicht ständig an dir, sieht dich als den Guten, der du so gerne wärst und genau den bekommen solch dankbare Frauen auch meist voller Großzügigkeit und Bescheidenheit dann geliefert und bleiben lange dankbar und glücklich, bis sie an einen Idioten geraten, der ich nie sein wollte.
Mit einer dankbaren Frau, statt der vielen meist unzufriedenen Hippen, die dich ändern und erziehen wollen, würde sogar ich vermutlich über die Ehe nachdenken und könnte sie mir schön vorstellen, nicht nur als eine Art romantisch verklärter Knast mit Beischlafgelegenheit, wie sie mir beim letzten Versuch wohl rückblickend bald erschienen wäre, wenn ich die rosa Brille abgesetzt hätte, die von großer da noch faselte. Doch habe ich noch keine dauerhaft dankbare Frau kennengelernt, die dies auch in einer Beziehung blieb und dann nicht in die üblichen Muster zurückfiel und also kenne ich auch keinen immer guten Mann, weil wir armen Opfer weiblicher Unzufriedenheit uns ja auch irgendwie schützen müssen. Anders ist es mit den Liebhaberinnen, die dich nur kurz haben können oder die du oder heute mehr sie dich nebenbei genießen. Hier sind beide Seiten am Ende dankbar und glücklich über das, was ist, freuen sich an kleinen Zärtlichkeiten voller Leidenschaft, warum ich mich ernsthaft frage, warum wir noch in klassischen Beziehungen oder Ehen überhaupt leben sollten, diesen immer Liebestötern, die nach Ablauf einer gewissen Zeit nahezu jede noch so große Lust fressen oder auf ein praktisches Handtaschenformat schrumpfen. Die Ehe under inhärente Anspruch auf ihren Vollzug, also den ehelichen Beischlaf, ist der größte denkbare Liebes. und Lusttöter.
Eine Liebhaberin ist wie ein Liebhaber etwas wunderbares, du bemühst dich um Zuwendung, wirbst umeinander und genießt bei Gelegenheit mit größter Leidenschaft, bei der keiner fürchtet, sich etwas zu vergeben oder meint für etwas revanchieren zu müssen, wie ich es aus Beziehungen zu gut kenne und auch in der fraglos glücklichen Ehe meiner Eltern, was halt bei Ehen so glücklich heißt, seit über 46 Jahren beobachten durfte. Das Zusammenbleiben wird zum Verdienst an sich und sollte als solches eigentlich auch genügen, um miteinander weiter klar zu kommen irgendwie. Alles andere ist seltenes Extra, kann genossen werden, so es vorkommt, gehört aber nicht mehr dazu. Mit der Ehe geben wir alle Rechte ab, lassen uns betreuen, als seien wir unmündig und nennen es dann liebevolle Sorge, die uns stärkt.
Zu diesem Zeitpunkt war ich, wie die meiste Zeit meines Lebens, in einer Beziehung, auch wenn ich mich heute immer mehr frage, warum eigentlich, wo es sich doch viel besser mit einer oder mehreren Liebhaberinnen lebte, statt in einer sogenannten besitzergreifenden Beziehung mit garantiertem Verlust der Leidenschaft, umgekehrt proportional. Es sei für die Kinder besser, wird behauptet - was ich inzwischen immer stärker bezweifle - gut ist für die Kinder, wenn es den Eltern gut geht und sie glücklich sind. Dabei ist völlig egal welches Lebensmodell dem elterlichen Glück zugrunde liegt.
Die Lebenserwartung in festen Beziehungen sei durchschnittlich höher wird statistisch behauptet. Klar, wer nichts mehr zu erwarten hat, schafft es nicht mal mehr aufregend ums Leben zu kommen. Die Partner kümmern sich aus hypothetischer Verlustangst auch schon vorab um ihren Gemahl und dessen Gesundheit, was eine ganze Industrie der Medizin am Leben hält, ohne damit das Leben spürbar schöner zu machen. Nur immer teurer werden die letzten Jahre und es fragt sich, wozu?
Vielleicht finden es ja in ewiger Zweisamkeit nörgelnd degenerierte Dauerpaare auch nur aufregend, sich am Leben zu erhalten, weil sie dem anderen noch nicht die Freiheit eines Abgangs ohne Sorgen und Schmerzen gönnen, wer weiß das schon zu berurteilen und ich sicher am wenigsten, der sich immer wieder gern den Illusionen auch hingibt.
Als ich M, so hieß die Dame auf dem Parkplatz bei IKEA traf, lebte ich in einer weitgehend asexuellen Beziehung bereits, litt als eigentlich leidenschaftlicher Kuschler unter getrennten Nächten und hätte doch nie etwas daran einfach geändert, weil die Dinge eben waren, wie sie waren.
Die Absicht dabei war noch völlig unklar. Klar, sie war nett, wirkte nicht ungebildet, sprach gutes hochdeutsch und lachte ganz zauberhaft - leicht alternativ, wie sie mir schien, fand ich auch gut. Mochte auch damenhafte Frauen aber bloß keine Tussis und gerade wollte ich ja auch nichts als mich einrichten und meine Regale aufbauen und dennoch verabredeten wir uns schon für den gleichen Abend, an dem ich allein war und sozusagen sturmfreie Bude hatte.
Sollte sie am Bahnhof Friedrichstraße abholen und als ich dort erwartungsvoll stand, staunte ich nicht schlecht, als ich plötzlich eine mädchenhafte Dame im langen hellen Strickrock aussteigen sah. Sie lachte mich an, freute sich voller Dankbarkeit, dass ich tatsächlich am Bahngleis stand und fiel mir um den Hals, was doch stürmischer war, als ich zu hoffen gewagt hatte und ich nahm es, wie es kam, Heftete meine Lippen auf die ihren und küsste sie voller echter Leidenschaft mit allem, was Mann in so einen ersten Kuss packen kann. Zartes Beißen, forderndes Saugen, zärtliches Züngeln, fest im Arm halten und leidenschaftlich besonders den Po streicheln - naja das ganze Programm halt.
Sie wirkte etwas ungelenk und aufgeregt dabei, als hätte sie keine Erfahrung beim küssen aber dafür voll echter Leidenschaft und sie hing bewundernd an meinem Hals und ließ sich küssen, schien es mir, glücklich mit der Welt. Sie schien sich, verlieben zu wollen und ich war mir noch nicht ganz sicher, wie ich damit umgehen sollte. Einerseits gibt es nichts schöneres, als sich zu verlieben und warum nicht in diese leicht alternative gerade fast mädchenhaft wirkende Schönheit vom IKEA Parkplatz.
Schönheit ist ein sehr relativer Begriff. Frauen tun viel, um es zu scheinen, manche mehr, manche weniger. Sie hatte mir erzählt, dass sie Berlinerin sei, ein Kind der Stadt, aber lange in Frankreich gelebt hätte. Klang interessant und die Franzosen haben ein lockereres Verhältnis zur Leidenschaft, Liebhabern, Mätressen und all der Lust als wir gern in der Liebe stocksteif erstarrenden Deutschen, was uns viel Vergnügen dabei raubt. Hatte genau das in meiner Zeit in Straßburg auch so sehr geliebt, als ich einmal die deutlich ältere Freundin eines Logenbruders aus dem Grand Orient als Geliebte hatte und ich mich danach, obwohl wir alle wussten, was war, bestens lachend verstanden, keine Probleme mit Fragen der Ehre oder ähnlichem Unsinn entstanden, wir gönnten es uns mit einem Zwinkern.
Das Leben kann so schön sein, warum sich also Probleme moralischer oder anderer Art machen, wenn diese nur dazu beitragen, die Schönheit des Lebens zu beeinträchtigen. Die Erlebnisse in Straßburg waren zu diesem Zeitpunkt schon mehr als zehn Jahre Geschichte und doch hatte ich etwas gelernt dort, weniger französisch, als den Umgang der Menschen betreffend. Es ist keine moralische Frage, wer mit wem schläft, wenn einen die Lust überkommt, sondern eine der Natur und die Beteiligten sollen es einfach genießen.
Damals kam mir diese Welt der Brüder dort in vielem fremd vor, wo der eine obwohl seit langem verheiratet, eine offene Liaison mit der anderen hatte, die eine ihren Freund nur ein bis zwei Nächte die Woche bei sich empfängt, wenn beide gerade Lust dazu haben - die Kinder mal zum einen, dann zur anderen gehen, am Tag ohnehin in Schule oder Kita betreut werden.
Solches war in der Heidelberger Provinz, in der ich einst studierte, noch sehr extravagant, galt nicht als normal, später erst erfuhr ich, noch von meinem Vater, dass er lange eine Liaison mit seiner Oberärztin hatte. Fand das nicht weiter schlimm, die ganze Klinik tuschelte ja darüber, inzwischen ist diese auch schon gestorben und so erledigt sich manches von allein, während mein Vater noch als gezähmter Ehemann weiter überlebt.
Dies könnte obige These bestätigen, dass wilde Liebe das Leben gefährdet und die Ehe es stabilisiert. Dafür fällt mir auch die Geschichte meines Mainzer Logenbruders ein, der auch bei seiner Geliebten beim Sex am Herzinfarkt starb, was niemand wunderte, weil er ohnehin schon lange so dick war, dass es wenig Hoffnung gab, er sähe noch, was er beim pinkeln in der Hand hielt. Doch ist es schlimmer, mit Anfang sechzig zu sterben am Herzinfarkt beim Sex, oder sich bis neunzig ohne Sex hinzuschleppen und irgendwann alt und längst impotent doch zu verenden, frage ich mich und denke, es ist nicht so schlecht, früher zu sterben als ein Leben voller Angst vor dem Tod und ohne Leidenschaft zuzubringen.
Gemessen daran und verglichen mit meinem Vater oder dem in meiner Familie üblichen, müsste ich vermutlich längst tot sein mit meinen 46 und den mehr als drei Frauen in meinem Leben und ich kann heute schon glücklich sagen und wenn mich morgen der Schlag träfe, ich habe gelebt und geliebt und es war gut so, ich bereue nichts und möchte gerade nur noch darüber schreiben, was in allem noch mehr Gelassenheit gibt.
Damals als mich M am Bahnhof Friedrichstraße küsste, war ich noch etwas jünger und weniger gelassen als heute. Warum Menschen immer meinen, sie müssten alles mit einem Menschen teilen, scheint mir rätselhaft. Denke ich an meine wunderbare Liebhaberin von vor einigen Jahren, die Buchhändlerin war und mit der ich mir noch zusätzlich herrliche Duelle in Worten lieferte, frage ich mich, warum es an zu viel Gefühl scheitern musste. Der Sex war ganz nett, es war geistig unterhaltsam, mehr braucht es nicht im Leben und verheiratet sein, wollte ich mit dieser Frau und ihrem Putzwahn nie, denke ich heute - damals litt ich darunter, wie sie nach unserer Lust ins eheliche Bett wanderte, schwor mir als Single nie wieder etwas mit einer verheirateten Frau anzufangen. Was für ein Unsinn. Wobei dieser Schwur auch noch eine Vorgeschichte mit einigen unglücklichen Lieben hatte, was dem Unsinn aber nichts nimmt.
Nie mehr sollte ich etwas anderes beginnen, sie sind mit schlechtem Gewissen besonders hingebungsvoll, stabilisieren damit meist ihre Ehe noch, du genießt sie nur von ihrer besten Seite, außer sie sind zu betrunken von all dem Mut, den sie sich antranken aber dann ist es zumindest amüsant und nicht peinlich wie bei einer besoffenen Partnerin. Liebe also verheiratete Frauen, ohne sie besitzen zu wollen, sondern um alles Gute und Schöne von ihnen zu bekommen und werde mich hüten, etwas anderes noch je zu wollen, nicht mehr über große Liebe faseln, die sich so schnell in große Rache und Hässlichkeit nur verwandelt, die meist mit Eifersucht verbunden zu sein scheint und all den lächerlichen Dramen.
Damals aber war ich noch in einer geordneteren Welt, hatte feste Vorstellungen von Beziehungen und dem Verhältnis von Mann und Frau, wusste, dieser Kuss auf dem Bahnsteig, war in meiner Position eigentlich nicht zulässig, auch wenn es sich gerade so wunderbar anfühlte und rang mit meinem Gewissen.
Es war ein warmer frühlingshafter Tag und ich schlug vor, wie schon lang geplant, in den Biergarten des Berliner Ensembles am Schiffbauerdamm zu gehen. Des Brechttheates einst, an dem sich nun Peymann über Jahre selbst darstellte und der großartige Ungar George Tabori noch über Jahre wirkte. Ihn sahen wir auch im Garten sitzen unter den großen Bäumen und andere Schauspieler, auch die eine oder den anderen, die ich kannte noch aus den Zeiten als Abonnent hier und aus der kurzen intensiven Freundschaft mit einer der Schauspielerinnen, die Peymann aus Wien nach Berlin mitbrachte. Fühlte mich also relativ zuhause dort, hatte an einem öffentlichen Ort ein relatives Heimspiel und was könnte zum Flirten je besser sein, zumal noch im Theater, dem Ort der leichteren Sitten schon immer.
Hätte ich, ach einfach geschwiegen und genossen, was ist, wäre es vielleicht viel schneller gegangen, dachte ich schon und weiß, es ist Blödsinn, es ging überhaupt nur in dieser Nacht, weil ich eigentlich nicht zu haben war, mich zu begehren die größte Sünde blieb, sie anzufassen ebenso, auch wenn es nichts als normale Natur war, die uns vom ersten Moment an zueinander führte.
Mit der Natur, die uns einfach anzog, begann ich mein Geständnis - es wäre einfach unausweichlich gewesen und naja, nun säßen wir eben hier, auch wenn ich ja irgendwie Familie hätte, zumindest eine Partnerin.
Nach meinem Geständnis, was sie zwar vermutlich moralisch entsetzen musste, aber unsere Anziehung und die reale körperliche Nähe nicht verringerte, war es an ihr, ein Geständnis abzulegen und mir offenzulegen, wer sie war.
Sie lebte erst seit wenigen Monaten wieder in Berlin. Zuvor war sie Ordensschwester im katholischsten der katholischen Orden in einem abgelegenen Kloster in der Bretagne, in dem die Messen nur lateinisch gelesen wurden, denen das II. Vatikanum als ein zu liberaler Unsinn noch immer galt. Die noch den polnischen Papst als zu liberal ansahen.
Ein gottgeweihtes Leben hatte sie aus voller Überzeugung führen wollen, doch dann hatte ihre Oberin bemerkt, dass sie nicht ganz bei der Sache war, wie sie es erzählte erspürt, dass sie auf ihrem Weg noch irre und ihr geraten, zurück in die Welt zu gehen.
Da war sie nun, ohne einen tauglichen Beruf für dies weltliche Leben, unterrichtete sie Kinder in verschiedenen Sprachen und richtete sich gerade ihre Wohnung ein. Darum also der IKEA Besuch begriff ich erstaunlich schnell für meinen in Fragen der Kirche natürlich beschränkten Horizont.
Sie hatte keinen Mann gehabt in ihrem Leben. Sich bisher Gott geweiht und war so bis über vierzig, sie war ein wenig älter als ich, meine ich zu erinnern, unberührt geblieben - eine echte, erzkatholische Jungfrau und ich knutschte mich mit ihr im Biergarten des BE herum, streichelte, soweit sie es zuließ, die der sinnlichen Erweckung föderlichen Orte.
Ein früher Freimaurer des Grand Orient, der für mehr Laizismus auch in Deutschland gekämpft hatte, küsste eine jungfräuliche Nonne im Biergarten des Brecht-Theaters. Das ist eben Berlin, dachte ich und wollte sie nach diesem Geständnis ihrerseits noch unbedingter als vorher haben. Auf ihr Nonnengeständnis folgte meines des GO Freimaurers und wir waren aus den entgegengesetzten Welten kommend, nicht weniger fasziniert voneinander.
Wir spielten noch über Stunden in die hereinbrechende Samstagnacht das Mann und Frau Spiel - sie verweigerte sich sehr katholisch, ich näherte mich über verschiedene Cafés und Biergärten langsam meinem Zuhause am Platz. Im letzten Biergarten, nur noch wenige hundert Meter Luftlinie von meinem Bett entfernt, diskutierten wir philosophisch und ich war kurz davor alles mit dieser gläubigen Dogmatikerin abzubrechen, weil mich der Aberglaube unnd die geistige Enge so nervte - doch dann lachte sie mich wieder an und ich ließ nichts unversucht, sie doch noch rumzukriegen.
Sie hatte dies von Anfang an und nach dem Geständnis noch mehrfach absolut und ganz klar ausgeschlossen, käme ja gar nicht infrage, dass wir im Bett landeten. Sie, streng katholisch, frisch in der Freiheit, in der magischen Nacht mit einem Freimaurer, der in einer festen Beziehung wäre - ausgeschlossen, geht nicht, sagte sie, Lust hätte sie ja und angezogen fühle sie sich schon wie magisch vom ersten Moment, aber das ginge ja gar nicht. Was gar nicht geht, reizt natürlich immer mehr, auch wenn ich nach meiner Erfahrung Jungfrauen eher langweilig und enttäuschend meist fand - so etwas brauchte Zeit und war nichts für eine Nacht und doch wollte ich sie, immer mehr, desto entschlossener sie sich verweigerte.
Als der Biergarten sich leerte, saßen wir irgendwann auf einer Bank des Spielplatzes am Platz, küssten uns und mit genug Alkohol sank ihr Widerstand gegen meine Hände unter ihrem Rock, sie ließ es zu, gab sich hin, explodierte, fast vor Lust, schrie schon fast, diese gerade noch Nonne gewesene Frau mit den langen dunklen Haaren, die sie zur Feier des Abends offen trug, auch wenn sie mir hochgesteckt viel besser gefielen, ehrlich gesagt. Da zog ich die Hand ein wenig zurück, bis sie sich an mir zu reiben begann, weil ihr Verlangen alle Moral überholt hatte.
Eine Stunde versicherte sie mir noch, sie käme nie mit zu mir rauf, auf keinen Fall, dann waren wir schließlich oben unter dem Versprechen, nicht bis zum letzten zu gehen. Wollte mich nie an dieses falsche Versprechen halten, dass eine noch Ahnungslose erzwang, wollte aber auch nichts tun, was sie nicht wollte, sie nicht nötigen zu Dingen, die ihr fremd noch waren. Wollte sie einfach glücklich machen und ihr den Weg zum Glück zeigen, ihr diese idiotische Jungfräulichkeit rauben, damit sie das Leben als freie Frau genießen könne.
Wusste wohl, wie wichtig die abergläubischen Katholiken wie viele primitive Kulte dies überflüssige Häutchen nahmen. Stand, wie erläutert, nicht besonders auf Jungfrauen, da erstens nicht katholisch und schon zu erfahren, als dass ich an das Wunder der Lust bei völlig unerfahrenen Frauen glaubte und doch davon überzeugt, dass es darauf ankam, wie eine Frau ihr erstes mal erlebt, ob sie später Lust daran hat oder nicht, es genießt oder weniger toll findet. Sie sollte es toll finden, es einfach mit freier atheistischer Lust in dieser magischen Nacht genießen, um befreit zu leben mit der freigelassenen Lust in ihrem Körper. Wie ich ihr beim Einladen bei IKEA half, wollte ich sie auch zum Sex einladen und es schön machen.
Nachdem ich ihren wohl noch nie rasierten Schoss - wozu auch, sah ja bei den Bräuten Jesu keiner und ihr Bräutigam war nun schon über 2000 Jahre verfault - ausgiebig leckte, fanden die Diskussionen ein Ende und sie drängte mich wieder, endlich zu ihr zu kommen, meinen Schwanz in sie zu stecken, sie hielte es nicht mehr lange aus.
“Was hältst du nicht mehr aus?”
“So ahnungslos und wild hier auf dich zu warten und das nichts passiert.”
“Dann komm auf mich.”
“Nein, das geht nicht, ich bin katholisch, nicht beim ersten mal.”
“Was für ein Unsinn, ist aber besser.”
“Nein, ohne mich, nie im Leben.”
“Na dann halt nicht, wir müssen ja nicht …”
“Doch bitte, ich will nicht mehr warten, komm …”
Ließ mich noch zweimal bitten, ein kurzer spitzer Schrei in der Morgendämmerung und die nicht mehr Nonne war keine heilige Jungfrau mehr - danach eine kleine Pause mit Lecken und Streicheln, dann überredete ich sie, schließlich doch auf mich zu kommen, damit sie es selbst steuere - sie hatte für die Defloration darauf bestanden unten zu liegen und sich durchgesetzt, dann konnte sie doch rein logisch für ihren ersten Höhepunkt mal nachgeben. Schlechter katholischer Einfluss aus dem Aberglauben eben. So ließ sie sich mühsam überzeugen und wir genossen es.
Wir taten es noch einige male, bis zur völligen Erschöpfung, als es schon längst aus dem Osten wieder Tag wurde. Schliefen wenige Stunden Arm in Arm. Dann wollte sie gerne zum Gottesdienst mit der erzkatholischen Messe, um nur ja noch die Beichte abzulegen, frei von der Sünde zu werden und ich nahm ihr das Versprechen ab, dass dies ewig unser kleines Geheimnis bliebe. Habe manchmal überlegt, ihr zu schreiben, oder sie anzurufen, mal davon geträumt, ich träfe sie irgendwann mit einem Kinderwagen und sie würde mir dankbar meinen Sohn präsentieren.
Aber wäre sie je wütend geworden oder hätte sie es hingenommen und mich weiter voller Dankbarkeit bewundert, fragte ich mich und denke, manchmal ist es gut so, nichts mehr voneinander zu hören, auch um später ungestört davon zu erzählen, wie ich in der Walpurgisnacht eine Nonne hatte, die ihr Leben lang Jungfrau bleiben wollte, bis der Herr sie nähme und dann kam einer, der keinen Gott kennt und es war gut so.
jens tuengerthal 10.3.2017
Donnerstag, 9. März 2017
Berlinleben 0014
Gemäldeglückseligkeit
Fragte mich einer, wo in Berlin es am schönsten ist, sagte ich immer in seinen Museen. Beim Flanieren in diesen wunderbaren Sammlungen auch aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zeigt sich der wirkliche Reichtum dieser Stadt, offenbart sich jedem Betrachter bei der Reise durch die Jahrhunderte eine Welt.
Unter den staatlichen Museen gibt es zahlreiche Standorte, jeder für sich ist, mit so vielen Erlebnissen und Eindrücken verbunden, dass sie den Rahmen einer kleinen Erzählung sprengen würden. Ein ganzes Buch über diese kulturellen Inseln in der Großstadt zu schreiben, wäre sehr reizvoll und bleibt eines der großen Ziele des sonst eher bescheidenen Autors, der sich schon freut, dies große Glück ausgiebig nur als Besucher gelegentlich betrachten zu dürfen ohne eine größere Ahnung davon zu haben als ein betrachtender Besucher alter Freunde.
Mit der Zeit lernte ich die Bilder und Skupturen an ihren je Standorten kennen. Sie immer wieder sehen, ist wie alte Freunde besuchen und jedesmal erzählen sie mir etwas neues, sehe ich plötzlich anderes, betrachte die Geschichte neu oder lernte etwas, dass mich die Bilder neu lesen lernte.
Die ersten Besuche in Begleitung von M oder A waren noch fast erschlagend, auch wenn ich nicht nach dem Vorbild meines Vaters strebe, eines wirklich großen Kunstliebhabers und in vielem immer mehr auch Kenner, manchmal sogar selbst Künstlers. Nahezu jeder Raum dieser großartigen Gemäldegalerie genügte schon, den neugierigen einen ganzen Tag zu fesseln. M zeigte uns die schönsten Dinge und wies uns mit seinem enormen Wissen auf zahlreiche wunderbare Details hin, die der unerfahrene Laie leicht übersieht.
Schon der Weg hinauf zum Kulturforum, am Rande des Tiergarten zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie gelegen, ist beeindruckend. Die lange Schräge, die im Winter schnell zur Rutschbahn wird - an deren Spitze der eher bescheiden anmutende Eingang zu den drei Museen und der Kunstbibliothek unter einem Dach irgendwie verbunden, eine Villa noch integriert.
Manchmal muss der neugierige Besucher sich in lange Schlangen einreihen und sich in Geduld üben, doch wollen die strebsamen Gäste meist in die hochgejubelten Sonderausstellungen während mir schon die umfangreiche ständige Sammlung zum Glück vollauf reicht, die selten nur überfüllt ist und auch zahlreichere Besucher verlieren sich leise murmelnd in den vielen Räumen eher.
Es gab verschiedene Pläne schon diese großartige Sammlung besser zu präsentieren als sie es momentan ist in dem meist eher schlecht beleuchteten Neubau, der nahezu keinen der großen Rembrandts ohne Spiegelung oder Lichtreflexe sehen lässt - und es gibt einige dieses niederländischen Meisters oder seines Umfelds hier auch, warum das Leiden an diesem Gebäude so vielfältig ist, wie seine Möglichkeiten beschränkt sind. So war eine der grandiosen Ideen einen Nebau neben der Museumsinsel zu errichten, der mit den Beständen dort verbunden, endlich wieder den kulturhistorischen Zusammenhang präsentierte, wie ihn sich schon der große Direktor und Gründer von Bode einst träumte.
Davon wurde erstmal Abstand genommen, weil keiner absehen konnte, wie schnell dieser Bau finanziert und damit auch realisiert würde, angesichts anderer großer Bauprojekte in Berlin wohl eine weise Entscheidung, um die Ausstellung offen zu halten, nichts über Jahre im Depot verschwinden zu lassen. Wie hätte ich meine lieben Freunde, die Bilder der alten Meister, vermisst, wenn es so lange gedauert hätte wie beim Flughafen, über den ich als Epikuräer lieber schweige, um mich dem Schönen zuzuwenden, statt auf die peinlichen Probleme nur zu starren. Bedenke ich, dass die Planung des 1998 vollendeten Kulturforums bereits in den 60er Jahren in Berlin begonnen wurde, freue ich mich, nun hier zu leben und die Sammlung genießen zu dürfen. Vielleicht wäre es klüger die modernen Sammlungen in schlichten modernen Hallen zu präsentieren als Provisorium sehr passend oft auch zu den ausgestellten Inhalten und wenn der Bau an der Insel vollendet ist, den Umzug in kürzester Zeit zu bewerkstelligen. Dann würde die klassische Moderne zu einem Happening an wechselnden leeren Orten von denen es genug immer gibt und die große Kunst bekäme ihr Gebäude an der Museumsinsel und mit dieser verbunden, damit zusammenkommt, was zusammengehört.
Noch ästhetischer wäre den grauenvollen Berliner Dom abzureißen, dieses peinliche Schandmal des Wilhelminismus und dort einen weiteren Bau im Stile Schinkels zu errichten, der zu dem klassischen Ensemble der Insel passte. Aber für so viel Schönheit muss Berlin und müssen die Märker wohl noch lange reifen, die ihren Dom lieben, vor allem weil seine Kuppel größer ist als die des Petersdoms und größer ist hier ja immer gut.
Der gute André Schmitz, der auf kleinlichem politischen Glatteis ins Rutschen kam, das eben sozialdemokratisch beengt die Weite seines Horizontes nie erreichte, und da war ich völlig seiner Meinung, favorisierte den Umzug der Gemäldegalerie ins Humboldtforum - besser als die Kolonialsammlung aus Dahlems Rostlaube und passender zum Ensemble der Insel wäre es wohl gewesen, wenn auch die kulturelle Idee des Forums eine wirklich große und tolerante ist, die einen Schloßbau mitten in einer europäischen Hauptstadt wohl rechtfertigt. Nun leben wir noch einige Jahre weiter mit der großen Ebene, ihren schlechten Lichtverhältnissen in einem eigentlich großartigen Bau, der vom Geist der Renaissance noch geprägt ist, die dort so vielfältig und schön präsent ist. Die italienische wie die deutsche und niederländische in ihrer je Ausprägung des neuen Geistes.
Wer am Kupferstichkabinett unten vorbei ging, auch wenn dies mit seinen wunderbaren Kabinettausstellungen eigentlich immer mindestens einen Blick wert ist, seine Habseligkeiten besser in einem Schließfach in einer der unteren Ebenen verstaute, die alle durchbrochen immer den ganzen Bau im Eingang zeigen, betritt die Gemäldegalerie am uniformierten Pförtner vorbei und bekommt vorab eine Art Werbeeinlage. In der Rotunde wird den mehr oder weniger großzügigen Spendern gedacht, die Bau und teilweise die Sammlung ermöglichten.
Den Anfang dazu machte Friedrich Wilhelm III., der traurige Witwer der Königin Louise und König in Zeiten der Franzosenkriege. Diese verzögerten den Anfang auch ein wenig. Derzeit bewahrt die Sammlung 3500 Gemälde auf, von denen allein 2900 aus eigenen Beständen stammen. Seit der Wiedereröffnung 1998 finden sich zahlreiche Bilder auch aus privaten Sammlungen im ständig präsentierten Schatz des Museums. Die Berliner Gemäldesammlung war übrigens die erste in ganz Europa, die streng nach kunsthistorischen Aspekten konzipiert wurde. Schon 1797 hatte der Archäologe Aloys Hirt sich für die Gründung eines öffentlichen Berliner Bildungsmuseums der europäischen Kunstgeschichte eingesetzt, das sich anders als die von persönlicher Leidenschaft geprägten fürstlichen Sammlungen streng an wissenschaftlichen Prinzipien und deren Systematik orientieren sollte.
Mit dem Architekten Schinkel und dem Gelehrten Rumohr fand diese Idee bald prominente Fürsprecher. Doch wollten diese beiden sich von Beginn an mehr auf die Freude an der Kunst als auf die Belehrung konzentrieren. Schnell begannen sie mit der Umsetzung der Idee, die von König Friedrich Wilhelm III. aktiv unterstützt wurde und der Hirt gestattete, eine Auswahl von 650 Bildern aus der königlichen Sammlung zu treffen, die den Grundstock bildete. Nach dem Sieg über Napoleon kehrten zahlreiche vermisst geglaubte Bilder wieder in die königliche Sammlung zurück und erweiterten die erste Kollektion noch um 113 Bilder.
Die Bilder hatten es vom königlichen Palast zum ersten Ort der Gemäldegalerie später nicht weit. Dieser lag im Alten Museum, das auch die Antikensammlung beherbergte und so mussten sie nur den Lustgarten durchqueren, um zum Ziel zu kommen. Obwohl die königliche Sammlung bereits zahlreiche Exemplare von hohem künstlerischen Rang enthielt, wurden diese nicht den Ansprüchen einer nach wissenschaftlichen Kriterien aufgebauten Sammlung gerecht. Der Bildbestand bot keinesfalls den geforderten Überblick über alle europäischen Malschulen bis zum 18. Jahrhundert, trotz vereinzelter großer Meisterstücke. Es waren also noch zahlreiche Zukäufe erforderlich, um dem Publikum den gewünschten enzyklopädischen Überblick zu geben.
Dann bot sich 1815 die riesige Chance zur Erweiterung der Gemäldegalerie als ein Pariser Kunsthändler 155 Bilder aus der Sammlung Giustiniani zum Verkauf anbot. Der König war nach dem Sieg über Napoleon und die relativen Erfolge des Wiener Kongresses zufällig gut bei Kasse und gab die nötigen 540.000 Francs. Auch die später noch nötigen 64.0000 Francs für weitere 14 Bilder, die wieder Bonnemaison anbot, wurden bereitwillig gegeben.
Die Sammlung umfasste vor allem den italienischen Frühbarock mit Werken von Caravaggio und Carracci. Ergänzt wurde sie durch den Erwerb der bekannten Sammlung Solly, eines in Berlin lebenden englischen Kaufmanns, der ein guter Freund von Hirt und Schinkel war. Die bereits seit 1819 an den Staat Preußen verpfändeten über 3000 Bilder wurden, als Solly nicht mehr fähig war, sie auszulösen, 1821 für 500.000 Reichstaler übernommen und gingen in preußischen Besitz über. Damit kam das Museum in den Besitz einer großen Sammlung aus der italienischen Renaissance, altdeutscher Meister, sowie altniederländischer Gemälde.
Als Schinkel dann 1823 seine Pläne für einen prächtigen Museumsneubau vorlegte, die im heutigen Alten Museum Realität wurden, dessen Bau auch von einer Mehrheit befürwortet wurde, war der Ort der neuen Sammlung klar. Bald gab es auch eine erste Expertenkommission, der auch Schinkel und Hirt angehörten und die eine Auswahl der zu präsentierenden Bilder treffen sollte Hier ging der alte Streit wieder los, ob es eher um Bildung, wie Hirt es sich dachte, oder Freude an der Kunst gehen sollte, was dem genialen Schinkel vorschwebte, warum die erste Kommission bald wieder aufgelöst und durch eine neue ersetzt werden sollte. Dieser neuen gehörten dann preußische Größen wie Wilhelm von Humboldt, der Bildhauer Christian Daniel Rauch, Jakob Schlesinger und Friedrich Tieck an. Wobei Humboldt die Führung übernahm und die Organisationsstruktur des Museums entwickelte.
Am 3. August 1830 wurde das Museum eröffnet. Die Gemäldesammlung umfasste damals 1198 Gemälde, die in der oberen Etage des Schinkelbaus am Lustgarten ausgestellt wurden. Es kann sich die Leserin also leicht schon das Gedränge an den Wänden vorstellen. Es gab drei Abteilungen, in der ersten hingen die Italienischen Schulen und denen verwandte Kunstrichtungen, in der zweiten die niederländischen und deutschen Schulen und in der dritten schließlich die Altertümer und kunsthistorischen Merkwürdigkeiten. Dabei enthielt die dritte Abteilung all jene Bilder, die aus ästhetischen oder moralischen Gründen vorher aussortiert worden waren und nur ausgewählten Besuchern zugänglich gemacht wurden, wie es eben damaligen moralischen Standards entsprach. Der Eintritt ins Museum war noch frei, musste aber anfänglich vorher angemeldet werden.
Erster Direktor der Berliner Gemäldegalerie wurde Gustav Friedrich Waagen. Die Mittel zum Ankauf waren relativ bescheiden und so nahm der Direktor für einen Tizian den ersten und wenig später einen Raffael den nächsten Kredit auf, was den Haushalt weiter beschränkte. Auf einer ersten Italienreise kaufte Waagen dann im Jahr 1841 mit großzügig vom neuen König Friedrich Wilhelm IV. genehmigten 100.000 Talern ein. Er erwarb manches von Raffael bis Veronese und Tintoretto. Doch blieb die Situation für den ersten Direktor schwierig, insofern er auf kein Netz von Kunstagenten in ganz Europa zurückgreifen konnte, wie es andere große Museen längst taten. Dennoch erwarb er immerhin 400 neue Bilder in seiner Zeit.
Mit der Reichsgründung 1871 begann eine neue Epoche des Museums. Die ehemalige Preußenmetropole als früher Provinzstadt im märkischen Sand sah sich nun nach dem Sieg über Frankreich immer mehr in der Pflicht auch kulturell eine bedeutsame Rolle zu spielen, Paris und London ihren alleinigen Rang streitig zu machen. War es früher noch normal, dass die bedeutendsten Kunstsammlungen in Dresden und München zu finden waren, musste sich Berlin nun bemühen diesen deutlich auch in der Kunst den Rang abzulaufen.
In dieser Zeit traten infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs auch immer mehr reiche bürgerliche Sammler auf, mit denen die Museen mit ihren beschränkten Mitteln nicht konkurrieren konnten, die Preise stiegen exponentiell. Damals war Julius Meyer Direktor, dem ab 1872 Wilhelm von Bode als Assistent zur Seite stand. Die beiden sahen es als ihre vorrangige Aufgabe an noch die Lücken der Sammlung zu schließen und lieber ein erstrangiges Werk als viele zweitrangige zu erwerben, was auf dem expandierenden Kunstmarkt nicht einfach war. So begannen auch sie 1872/73 erneut eine Italienreise und hielten sich für viel besser ausgerüstet und vorbereitet als ihr Vorgänger und erlebten eine herbe Enttäuschung, da der Markt überlaufen und leergefegt war, erwarben nur wenige gute Bilder etwa von Tiepolo und Tintoretto. Als Konsequenz begannen sie nun endlich ein europaweites Netz von Händlern aufzubauen, um schnell zugreifen zu können, wenn sich eine Chance bot.
Trotz der neuen Ankaufspolitik, die sich auf einzelne Meisterwerke eher konzentrierte, wollten sie die Chance wahrnehmen, als ihnen die international vielfach gerühmte Sammlung des Aachener Industriellen Barthold Suermondt angeboten wurde. Unter den teilweise wunderbaren Werken dieser Sammlung waren Jan van Eycks Kirchenmadonna und Jan Vermeers Mädchen mit dem Perlenhalsband. Daneben fanden sich noch einige Franz Hals, Hohlbeins und Rubens sowie zahlreiche Zeichnungen von Meisterhand, was sich der Staat Preußen 350.000 Taler kosten ließ.
Im Dienst des Museums und der Sache entwickelte sich Bode zu einem geradezu manischen Sammler, der die Bestände nicht nur erweiterte, sondern auch das Niveau entscheidend hob. Seinem Geschick ist es zu verdanken, dass die Berliner Sammlung zu einer der führenden in Europa wurde. Er trug eine der größten Rembrandtsammlungen zusammen, machte Berlin führend in der italienischen Renaissance. Seinen Verdiensten entsprechend wurde er 1890 zum Direktor von Gemäldegalerie und Skulpturensammlung gewählt.
Irgendwann begannen die Planungen für ein neues Museum an der Spitze der Insel, das später den Namen Kaiser Friedrich Museum trug und heute Bode-Museum heißt nach dem ersten Direktor mit seinen vielen genialen Ideen, der etwa Kunst und Kunsthandwerk parallel präsentieren, ein Renaissancemuseum schaffen wollte, wie es heute im Bode so wunderbare Realität wurde und ganz in dessen Sinne auch der Neubau am anderen Ufer jenseits der Insel wäre, wo früher Schloss Monbijou stand. Das neue Haus an der Spitze der Insel wurde am 18. Oktober 1904 eröffnet und ist, obwohl aus der Epoche Wilhelms II. stammend, des peinlichsten aller denkbaren Kaiser, ein geschmackvoll schöner Bau, der sich gut in die Insel einpasst und den Stil und Geschmack Bodes verrät. Auch hier war der Eintritt wie nach der Eröffnung weiter frei. Ab 1909 musste zumindest Dienstags und Mittwochs ein Eintrittsgeld bezahlt werden und es wird Zeit dies nach dem großen Vorbild des British Museum wieder einzuführen, weil es Werte in einer Kultur gibt, die immer unbezahlbar bleiben, ein Museum ein offener Ort sein sollte.
Einige Werke kamen noch durch den nach dem Krieg finanziell angeschlagenen deutschen Industriellen James Simon hinzu - dazu zählen noch jeweils Rembrandt, Hals und Vermeer, also ganz große Schätze noch der heutigen Sammlung. Sehr erfolgreich war die Gründung des Fördervereins des Museums mit dem bis heute bestehenden Namen Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, der einige bedeutende Einkäufe noch vorfinanzieren helfen konnte. Der Verein baute nebenbei noch eine eigene Kunstsammlung auf, die er, seinem Widmungszweck entsprechend, dem Museum kostenlos zur Verfügung stellte.
Trotz des endlich eigenen Museums begannen die Platzprobleme bald von neuem und Bode suchte Räumlichkeiten für das von ihm geplante Deutsche Museum, das auch Museum für ältere deutsche Kunst heißen sollte und sich auf Meisterwerke deutscher Künstler konzentrierte. Es fand von 1930 -1939 Raum im Nordflügel des heutigen Pergamonmuseums, wie Bode es sich gewünscht hatte. Während des Ersten Weltkrieges stagnierte die Sammeltätigkeit. In der Zwischenzeit bis zum nächsten Krieg wurde weitere deutsche Kunst in den Nordflügel des Pergamonmuseums ausgelagert und geringe Erwerbungen nur getätigt. Ab 1939 mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die Museen wieder geschlossen.
Die Gemälde wurde dann ab 1941 aus Furcht vor Luftangriffen in die Keller der Gebäude verlagert. Weil diese nicht sicher genug erschienen wurden sie noch teilweise in den Flakbunker am Friedrichshain deponiert, in dem unter bis heute unklaren Umständen ein nicht geringer Teil der Sammlung bei Kriegsende verbrannte. Die Liste der dort eingelagerten und damit für immer verlorenen Kunstwerke macht den Kunstliebhaber betroffener als mancher Soldatefriedhof - zum Glück überlebten dennoch einige Werke an anderen Orten und mit am besten diejenigen, die nur im Keller auf der Museumsinsel geblieben waren, statt sie noch sicherer in den Bunker zu bringen.
Nach dem Krieg wurden die verbliebenen Bestände wie die Stadt geteilt und kamen entweder zum Senat oder wurden der Stiftung preußischer Kulturbesitz zugeführt. Bis zur Fertigstellung de Kulturforums gab es noch die Gemäldegalerie in einem Neubau in Dahlem, der ab 1956 von den über tausend Kunstwerken im Westberliner Bestand bevölkert wurde, während der Ostberliner sich über die Insel verteilte. Heute ist die Gemäldegalerie wiedervereinigt, hängt zu großen Teilen im Kulturforum und es gibt eine enge Kooperation mit dem Bode Museum, zu der auch der geplante und vorläufig abgesagte Neubau zählte, der hoffentlich noch realisiert werden kann, bevor der Flughafen fertig sein wird.
Nach der Rotunde, die kunstlos schlicht begrüßt, muss sich der Besucher entscheiden, ob es nach links zur Renaissance, nach rechts zur Gothik oder geradeaus in die Säulenwandelhalle geht, der Kunst am und im Bau ohne mehr zu sein als eine stille Bahnhofshalle mit vielen Zugängen ins Paradies.
Als erstes zieht es mich immer zur Renaissance, die ich liebe, die für die Freiheit des italienischen Geistes steht, mit südlicher Sonne im Gemüt unterkühlten preußischen Geist erwärmt. Auch dort gibt es natürlich noch viel sakrale Kunst und ähnliche vom Aberglauben eben geprägte Werke, doch steht dabei, anders als in der symbolistischen Kunst des eher deutschen Mittelalters, das noch brauchte bis Dürer, Baldung und Cranach das Individuum entdeckten, stets der Mensch auch im Mittelpunkt. So schaue ich auf menschliche Kunst aus der Renaissance bevor ich mitten durch die Wandelhalle gehe und die Altäre ignorierend mich vor den von nackter Vernus umstellten Jungbrunnen stelle, der voller Ironie schon ist, eben Witz hat, der ein wichtiger Wendepunkt vom schlichten monokausalen mittelalterlichen Denken hin zur Freiheit des Menschen ist, der sich und seiner selbst als Wert auch jenseits des Glaubens voller Lust bewusst ist.
In die italienische Renaissance eintauchen ist wie wunderbare Antipasti vor einem großen Menüs zu verkosten. Es hat Leichtigkeit und Freude, ist nie ohne Ironie und den Mut die Dinge voller Lust und Freude an der Schönheit neu zu denken. Was zeichnet die Kunst der Renaissance aus?
Gerne und zu oft wird Leonardos vermessener Mensch oder Botticellis Geburt der Venus oder noch sinnlicher la primavera, der nur im deutschen männliche Frühling, als Sinnbild der Renaissance bezeichnet - es ist viel Wahres daran, denk ich heute, der immer einen italienischen Euro mit dem Abbild des vermessenen Menschen von Leonardo in der Hosentasche hat. Vermessen und durchdacht, auf exakte Proportionen nach der Natur bedacht, nach der symbolistisch überladenen Kunst des Mittelalter, die nur ein einziger großer naiver Gottesdienst war und dem Geist fanatischer Gläubiger eben entsprach - auch wenn es Ausnahmen natürlich gab, zur Volksbewegung wurde die Individualität und die Lust an ihr im Italien der Renaissance, wo einerseits die erotischsten und frechsten Geschichten erzählt wurden, welche die Kirche verspotteten, wie es vorher keiner gewagt hätte, andererseits ein Lukrez wieder entdeckt wurde, die Antike hohe Verehrung genoss und und die Epoche davor als eben dunkle Zeit abgetan wurde in ihrer Beschränkung. Eine Zeit voller Lust und Leidenschaft, die Menschlichkeit entdeckend, wie die Unmenschlichkeit auslebend.
Damit beginne ich immer meinen Besuch und wenn ich dann italienisch gut gelaunt nach den ersten beiden Räumen, mich eher auf die weltlichen Gemälde konzentriere, bevor ich genug Lebensfreude getankt habe, mir Hans Baldung, Dürer und Cranach anzusehen, die auch in Teilen ihre Lebenslust nur eben sehr deutsch entwickeln. Denke ich an Dürers Madonna mit dem Zeisig, auf dem das Jesusbaby mit dem Schnuller spielt, die italienische Farbenfreude in diesem Gemälde voller Licht, wird sichtbar was den dunklen Norden vom lichten Süden vielfach unterscheidet. Dürer malte dieses Bild während seiner Italienreise. Großartig dort auch die Gemälde von Karl V. und seinem Großvater Maximilian I. - die sichtbare Inzucht am Kinn dieses Kaisers, der so ganz menschlich natürlich gemalt wurde. Daneben auch Freunde und Nachbarn Dürers, schlichte Gemüter aus Nürnberg.
Dann eine kleine Kammer, wie ein Abgang voller alter holländischer Meister van Eycks Madonna, die so glitzert und strahlt, wie es unglaublich scheint, als lebe dieses über 500 Jahre alte Bild - welch Meisterschaft aus den Kunstschätzen Burgunds, das später dann Karl erben sollte von seinem Großvater Maximilian, der es noch erheiratet hatte.
Doch da schon begannen sich die reformierten Niederlande abzuspalten, in ständiger Auseinandersetzung um die burgundisch, östereichisch, spanischen Niederlande, was in den Bildern der einen und der anderen Seite immer sichtbarer wird.
Stunden könnte ich vor dem Breughel mit den niederländischen Sprichwörtern verbringen, habe schon häufiger nun Kunsthistoriker dazu referieren hören und doch, entdecke ich immer wieder lachend etwas neues in diesem Wimmelbild für Große, ständen nicht immer auch so viele andere da.
Holländer gibt es noch manche in dieser Sammlung. Ein großer Raum mit Oberlicht voller Rembrandt, könnte eine Kathedrale der Kunst sein und ist doch eher nur eine schlechte Bahnhofshalle mit schwacher Beleuchtung. Als die Rembrandts noch ganz auf Schwarz präsentiert wurden, in der groß aufgemachten Sonderausstellung, einzeln beleuchtet und eben präsentiert, da sah auch ein schlichter Geist wie ich sofort, wie großartig diese Bilder sind. Dort hängen sie eben rum, ziemlich viel und manche irgendwie besonders.
Es hat diese Gemäldegalerie wunderbare hölzerne Sitzecken, schönste Ruhepunkte neben der Wandelhalle als Orte der Besinnung zwischen den Genüssen und schafft es doch nicht die Wände zur Ruhe zu bringen, sie dunkel mit Stoff zu verhängen, von mir aus auch mal in mutiger Farbe wie im Frankfurter Städel derzeit, aber doch bitte nicht so blaß, harmlos, dass die schönsten Meister einfach nur in Reihe hängen und jeder merkt, die haben halt viel hier.
Zwei Vermeer nebeneinander, traumhaft schöne Bilder voller Licht in einem kleinen Kabinett zum Durchgang als Posten an dem alle vorüberlaufen, wie ein Sonderangebot, nicht als Punkt der Anziehung am Ende eines Ganges oder doch zumindest Raumes ins U gehängt, nein, zwischen die Türen quasi, wo alle die stumpf den Wänden nur folgen vorüber laufen. Es fehlt dieser prachtvollen Sammlung jede Show und jeder Sex und den bräuchte sie mehr, um diese Wundertüte voller Bilder angemessen zu präsentieren, die in einem eben langweiligen Bau der Moderne nur hängen, der so gefühllos für sie bleibt, wie sie in ihm nur rumhängen. Hier zündet nichts.
Doch aller Fluche zum Trotz., ich liebe jedes dieser Bilder, begrüße sie wie alte Freunde, verzichte nur auf meine sonst haptische Neigung, keinen Alarm auszulösen. Es ist eine wunderbare Galerie und was könnte mit etwas Mut zur Inszenierung, zum Theater, nicht alles neu gezeigt werden. Die Bilder der holländischen Meister direkt nach der Reformation zeigen die leeren nüchternen Kirchen. Vielleicht mag in diese Zeit und jene Epoche in der sich der Aberglaube des Mittelalters befreite, die reformierte Nüchternheit ein großer Wert gewesen sein. Doch wer Kunst so präsentiert, raubt ihr den letzten Saft, sie ist so spannend wie das Wort zum Sonntag und gähnend sitzen die letzen Alten in der Kapelle noch - dabei ist diese Kunst so jung, so lebendig, so wild so leidenschaftlich auch, wenn wir nur wagen, dies auch zu sehen.
Manche Bilder erzählen dramatische Geschichten mit der Abbildung andere verraten dies erst auf den zweiten Blick und plaudern von ihrer Herkunft, ihren Leidens und erzählen manches mehr noch aus ihrer Zeit. Ist es Karl V. bei einem der wenigen spanischen Bilder der Sammlung, was für ein anderes Bild des leidenschaftlichen Prinzen und jungen Königs von Spanien als das des deutschen Kaisers mit dem vorstehenden Kinn. Und wie sehen die Italiener ihr Venedig, was lernen wir daraus - wie schön wäre es Bilder zu mischen, um die Unterschiede deutlicher zu machen, statt sich simpel auf Epochen nach dem Lehrbuch festzulegen oder erregt sich da der Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, weil in Preußen alles seine Ordnung haben muss?
Und komme ich von Vermeer, der immer noch beeindruckt, obwohl er völlig verfehlt und lieblos im Durchgang nur hängt, zu den Engländern nebenan, Reynoulds und seinen Kameraden, warum bin ich dann nicht in England sondern in einem blass langweiligen Raum, der den Geist hinter diesen oft kraftvoll britisch ironischen Bildern verblassen lässt wie die englischen Dienstherren besonders weiß neben ihrer braunen indischen Dienerin und das ist schade, weil die Feinheiten in der Blässe der Räume verloren gehen. Auch aus den Sammlungen Friedrichs des Großen, zärtlich erotische Watteaus zwängen sich mit Bildern des Kronprinzen, seines Bruders, der Therbusch in zu engem Raum, letzteres auch ein großartiges Bild, was viel Platz bräuchte und Farbe, zu zeigen, wieviel Mut diese frühe Malerin aufbrachte, sich so mit Augenglas zu portraitieren.
Was würde ich wirbeln in diesen Räumen, die Wandelhalle, dieser Anklang an die italienische Renaissance würde bei mir Heimat derselben und ich würde dies Museum einrichten und mit Farbe versehen, es abdunkeln zugleich wo nötig und anstrahlen. Aber so laufe ich durch die Räume und denke, was habt ihr da für eine tolle Sammlung, macht was draus. Kunst ist ein Abenteuer und ich liebe sie auch in dieser lieblos nüchternen Präsentation und die Farben im Städel sind vielleicht doch manchmal etwas gewagt aber zumindest lebt es, regt auf und bewegt. Kunst lebt in ihrer Umgebung und das Kulturforum lebt leider sehr wenig, auch wenn es das Zeug dazu hätte. Es ist protestantisch nüchtern und so sexy wie fleischfarbene Strumpfhosen in Gesunheitssandalen.
Doch trotz dieses Mankos, des leeren Raumes inmitten, der ein Paradies der Renaissance wohl wäre, um den anderen, die Raum brauchen, mehr zu geben, ihre Präsentation zu inszenieren wie im Theater - es ist ein Traumwandelgang durch die Zeiten zu schreiten in dieser Gemäldegalerie, von Saal zu Saal durch die Jahrhunderte zu springen, alte Freunde zu besuchen, die an Wänden hängen und ich kenne keine bessere Form der Meditation. Wenn er mir mal schlecht gehen sollte, von Lebenszweifeln geplagt, ginge ich ins Museum, mich am Zeitsprung zu freuen, diese geballten Gefühle auf Leinwand zu sehen. Zöge immer Museum mit stillstehenden Bildern jedem Film mit rasenden Bildern vor, aber vielleicht bin ich auch etwas verrückt aber dann passe ich ja auch ins Museum.
jens tuengerthal 9.3.2017
Fragte mich einer, wo in Berlin es am schönsten ist, sagte ich immer in seinen Museen. Beim Flanieren in diesen wunderbaren Sammlungen auch aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zeigt sich der wirkliche Reichtum dieser Stadt, offenbart sich jedem Betrachter bei der Reise durch die Jahrhunderte eine Welt.
Unter den staatlichen Museen gibt es zahlreiche Standorte, jeder für sich ist, mit so vielen Erlebnissen und Eindrücken verbunden, dass sie den Rahmen einer kleinen Erzählung sprengen würden. Ein ganzes Buch über diese kulturellen Inseln in der Großstadt zu schreiben, wäre sehr reizvoll und bleibt eines der großen Ziele des sonst eher bescheidenen Autors, der sich schon freut, dies große Glück ausgiebig nur als Besucher gelegentlich betrachten zu dürfen ohne eine größere Ahnung davon zu haben als ein betrachtender Besucher alter Freunde.
Mit der Zeit lernte ich die Bilder und Skupturen an ihren je Standorten kennen. Sie immer wieder sehen, ist wie alte Freunde besuchen und jedesmal erzählen sie mir etwas neues, sehe ich plötzlich anderes, betrachte die Geschichte neu oder lernte etwas, dass mich die Bilder neu lesen lernte.
Die ersten Besuche in Begleitung von M oder A waren noch fast erschlagend, auch wenn ich nicht nach dem Vorbild meines Vaters strebe, eines wirklich großen Kunstliebhabers und in vielem immer mehr auch Kenner, manchmal sogar selbst Künstlers. Nahezu jeder Raum dieser großartigen Gemäldegalerie genügte schon, den neugierigen einen ganzen Tag zu fesseln. M zeigte uns die schönsten Dinge und wies uns mit seinem enormen Wissen auf zahlreiche wunderbare Details hin, die der unerfahrene Laie leicht übersieht.
Schon der Weg hinauf zum Kulturforum, am Rande des Tiergarten zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie gelegen, ist beeindruckend. Die lange Schräge, die im Winter schnell zur Rutschbahn wird - an deren Spitze der eher bescheiden anmutende Eingang zu den drei Museen und der Kunstbibliothek unter einem Dach irgendwie verbunden, eine Villa noch integriert.
Manchmal muss der neugierige Besucher sich in lange Schlangen einreihen und sich in Geduld üben, doch wollen die strebsamen Gäste meist in die hochgejubelten Sonderausstellungen während mir schon die umfangreiche ständige Sammlung zum Glück vollauf reicht, die selten nur überfüllt ist und auch zahlreichere Besucher verlieren sich leise murmelnd in den vielen Räumen eher.
Es gab verschiedene Pläne schon diese großartige Sammlung besser zu präsentieren als sie es momentan ist in dem meist eher schlecht beleuchteten Neubau, der nahezu keinen der großen Rembrandts ohne Spiegelung oder Lichtreflexe sehen lässt - und es gibt einige dieses niederländischen Meisters oder seines Umfelds hier auch, warum das Leiden an diesem Gebäude so vielfältig ist, wie seine Möglichkeiten beschränkt sind. So war eine der grandiosen Ideen einen Nebau neben der Museumsinsel zu errichten, der mit den Beständen dort verbunden, endlich wieder den kulturhistorischen Zusammenhang präsentierte, wie ihn sich schon der große Direktor und Gründer von Bode einst träumte.
Davon wurde erstmal Abstand genommen, weil keiner absehen konnte, wie schnell dieser Bau finanziert und damit auch realisiert würde, angesichts anderer großer Bauprojekte in Berlin wohl eine weise Entscheidung, um die Ausstellung offen zu halten, nichts über Jahre im Depot verschwinden zu lassen. Wie hätte ich meine lieben Freunde, die Bilder der alten Meister, vermisst, wenn es so lange gedauert hätte wie beim Flughafen, über den ich als Epikuräer lieber schweige, um mich dem Schönen zuzuwenden, statt auf die peinlichen Probleme nur zu starren. Bedenke ich, dass die Planung des 1998 vollendeten Kulturforums bereits in den 60er Jahren in Berlin begonnen wurde, freue ich mich, nun hier zu leben und die Sammlung genießen zu dürfen. Vielleicht wäre es klüger die modernen Sammlungen in schlichten modernen Hallen zu präsentieren als Provisorium sehr passend oft auch zu den ausgestellten Inhalten und wenn der Bau an der Insel vollendet ist, den Umzug in kürzester Zeit zu bewerkstelligen. Dann würde die klassische Moderne zu einem Happening an wechselnden leeren Orten von denen es genug immer gibt und die große Kunst bekäme ihr Gebäude an der Museumsinsel und mit dieser verbunden, damit zusammenkommt, was zusammengehört.
Noch ästhetischer wäre den grauenvollen Berliner Dom abzureißen, dieses peinliche Schandmal des Wilhelminismus und dort einen weiteren Bau im Stile Schinkels zu errichten, der zu dem klassischen Ensemble der Insel passte. Aber für so viel Schönheit muss Berlin und müssen die Märker wohl noch lange reifen, die ihren Dom lieben, vor allem weil seine Kuppel größer ist als die des Petersdoms und größer ist hier ja immer gut.
Der gute André Schmitz, der auf kleinlichem politischen Glatteis ins Rutschen kam, das eben sozialdemokratisch beengt die Weite seines Horizontes nie erreichte, und da war ich völlig seiner Meinung, favorisierte den Umzug der Gemäldegalerie ins Humboldtforum - besser als die Kolonialsammlung aus Dahlems Rostlaube und passender zum Ensemble der Insel wäre es wohl gewesen, wenn auch die kulturelle Idee des Forums eine wirklich große und tolerante ist, die einen Schloßbau mitten in einer europäischen Hauptstadt wohl rechtfertigt. Nun leben wir noch einige Jahre weiter mit der großen Ebene, ihren schlechten Lichtverhältnissen in einem eigentlich großartigen Bau, der vom Geist der Renaissance noch geprägt ist, die dort so vielfältig und schön präsent ist. Die italienische wie die deutsche und niederländische in ihrer je Ausprägung des neuen Geistes.
Wer am Kupferstichkabinett unten vorbei ging, auch wenn dies mit seinen wunderbaren Kabinettausstellungen eigentlich immer mindestens einen Blick wert ist, seine Habseligkeiten besser in einem Schließfach in einer der unteren Ebenen verstaute, die alle durchbrochen immer den ganzen Bau im Eingang zeigen, betritt die Gemäldegalerie am uniformierten Pförtner vorbei und bekommt vorab eine Art Werbeeinlage. In der Rotunde wird den mehr oder weniger großzügigen Spendern gedacht, die Bau und teilweise die Sammlung ermöglichten.
Den Anfang dazu machte Friedrich Wilhelm III., der traurige Witwer der Königin Louise und König in Zeiten der Franzosenkriege. Diese verzögerten den Anfang auch ein wenig. Derzeit bewahrt die Sammlung 3500 Gemälde auf, von denen allein 2900 aus eigenen Beständen stammen. Seit der Wiedereröffnung 1998 finden sich zahlreiche Bilder auch aus privaten Sammlungen im ständig präsentierten Schatz des Museums. Die Berliner Gemäldesammlung war übrigens die erste in ganz Europa, die streng nach kunsthistorischen Aspekten konzipiert wurde. Schon 1797 hatte der Archäologe Aloys Hirt sich für die Gründung eines öffentlichen Berliner Bildungsmuseums der europäischen Kunstgeschichte eingesetzt, das sich anders als die von persönlicher Leidenschaft geprägten fürstlichen Sammlungen streng an wissenschaftlichen Prinzipien und deren Systematik orientieren sollte.
Mit dem Architekten Schinkel und dem Gelehrten Rumohr fand diese Idee bald prominente Fürsprecher. Doch wollten diese beiden sich von Beginn an mehr auf die Freude an der Kunst als auf die Belehrung konzentrieren. Schnell begannen sie mit der Umsetzung der Idee, die von König Friedrich Wilhelm III. aktiv unterstützt wurde und der Hirt gestattete, eine Auswahl von 650 Bildern aus der königlichen Sammlung zu treffen, die den Grundstock bildete. Nach dem Sieg über Napoleon kehrten zahlreiche vermisst geglaubte Bilder wieder in die königliche Sammlung zurück und erweiterten die erste Kollektion noch um 113 Bilder.
Die Bilder hatten es vom königlichen Palast zum ersten Ort der Gemäldegalerie später nicht weit. Dieser lag im Alten Museum, das auch die Antikensammlung beherbergte und so mussten sie nur den Lustgarten durchqueren, um zum Ziel zu kommen. Obwohl die königliche Sammlung bereits zahlreiche Exemplare von hohem künstlerischen Rang enthielt, wurden diese nicht den Ansprüchen einer nach wissenschaftlichen Kriterien aufgebauten Sammlung gerecht. Der Bildbestand bot keinesfalls den geforderten Überblick über alle europäischen Malschulen bis zum 18. Jahrhundert, trotz vereinzelter großer Meisterstücke. Es waren also noch zahlreiche Zukäufe erforderlich, um dem Publikum den gewünschten enzyklopädischen Überblick zu geben.
Dann bot sich 1815 die riesige Chance zur Erweiterung der Gemäldegalerie als ein Pariser Kunsthändler 155 Bilder aus der Sammlung Giustiniani zum Verkauf anbot. Der König war nach dem Sieg über Napoleon und die relativen Erfolge des Wiener Kongresses zufällig gut bei Kasse und gab die nötigen 540.000 Francs. Auch die später noch nötigen 64.0000 Francs für weitere 14 Bilder, die wieder Bonnemaison anbot, wurden bereitwillig gegeben.
Die Sammlung umfasste vor allem den italienischen Frühbarock mit Werken von Caravaggio und Carracci. Ergänzt wurde sie durch den Erwerb der bekannten Sammlung Solly, eines in Berlin lebenden englischen Kaufmanns, der ein guter Freund von Hirt und Schinkel war. Die bereits seit 1819 an den Staat Preußen verpfändeten über 3000 Bilder wurden, als Solly nicht mehr fähig war, sie auszulösen, 1821 für 500.000 Reichstaler übernommen und gingen in preußischen Besitz über. Damit kam das Museum in den Besitz einer großen Sammlung aus der italienischen Renaissance, altdeutscher Meister, sowie altniederländischer Gemälde.
Als Schinkel dann 1823 seine Pläne für einen prächtigen Museumsneubau vorlegte, die im heutigen Alten Museum Realität wurden, dessen Bau auch von einer Mehrheit befürwortet wurde, war der Ort der neuen Sammlung klar. Bald gab es auch eine erste Expertenkommission, der auch Schinkel und Hirt angehörten und die eine Auswahl der zu präsentierenden Bilder treffen sollte Hier ging der alte Streit wieder los, ob es eher um Bildung, wie Hirt es sich dachte, oder Freude an der Kunst gehen sollte, was dem genialen Schinkel vorschwebte, warum die erste Kommission bald wieder aufgelöst und durch eine neue ersetzt werden sollte. Dieser neuen gehörten dann preußische Größen wie Wilhelm von Humboldt, der Bildhauer Christian Daniel Rauch, Jakob Schlesinger und Friedrich Tieck an. Wobei Humboldt die Führung übernahm und die Organisationsstruktur des Museums entwickelte.
Am 3. August 1830 wurde das Museum eröffnet. Die Gemäldesammlung umfasste damals 1198 Gemälde, die in der oberen Etage des Schinkelbaus am Lustgarten ausgestellt wurden. Es kann sich die Leserin also leicht schon das Gedränge an den Wänden vorstellen. Es gab drei Abteilungen, in der ersten hingen die Italienischen Schulen und denen verwandte Kunstrichtungen, in der zweiten die niederländischen und deutschen Schulen und in der dritten schließlich die Altertümer und kunsthistorischen Merkwürdigkeiten. Dabei enthielt die dritte Abteilung all jene Bilder, die aus ästhetischen oder moralischen Gründen vorher aussortiert worden waren und nur ausgewählten Besuchern zugänglich gemacht wurden, wie es eben damaligen moralischen Standards entsprach. Der Eintritt ins Museum war noch frei, musste aber anfänglich vorher angemeldet werden.
Erster Direktor der Berliner Gemäldegalerie wurde Gustav Friedrich Waagen. Die Mittel zum Ankauf waren relativ bescheiden und so nahm der Direktor für einen Tizian den ersten und wenig später einen Raffael den nächsten Kredit auf, was den Haushalt weiter beschränkte. Auf einer ersten Italienreise kaufte Waagen dann im Jahr 1841 mit großzügig vom neuen König Friedrich Wilhelm IV. genehmigten 100.000 Talern ein. Er erwarb manches von Raffael bis Veronese und Tintoretto. Doch blieb die Situation für den ersten Direktor schwierig, insofern er auf kein Netz von Kunstagenten in ganz Europa zurückgreifen konnte, wie es andere große Museen längst taten. Dennoch erwarb er immerhin 400 neue Bilder in seiner Zeit.
Mit der Reichsgründung 1871 begann eine neue Epoche des Museums. Die ehemalige Preußenmetropole als früher Provinzstadt im märkischen Sand sah sich nun nach dem Sieg über Frankreich immer mehr in der Pflicht auch kulturell eine bedeutsame Rolle zu spielen, Paris und London ihren alleinigen Rang streitig zu machen. War es früher noch normal, dass die bedeutendsten Kunstsammlungen in Dresden und München zu finden waren, musste sich Berlin nun bemühen diesen deutlich auch in der Kunst den Rang abzulaufen.
In dieser Zeit traten infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs auch immer mehr reiche bürgerliche Sammler auf, mit denen die Museen mit ihren beschränkten Mitteln nicht konkurrieren konnten, die Preise stiegen exponentiell. Damals war Julius Meyer Direktor, dem ab 1872 Wilhelm von Bode als Assistent zur Seite stand. Die beiden sahen es als ihre vorrangige Aufgabe an noch die Lücken der Sammlung zu schließen und lieber ein erstrangiges Werk als viele zweitrangige zu erwerben, was auf dem expandierenden Kunstmarkt nicht einfach war. So begannen auch sie 1872/73 erneut eine Italienreise und hielten sich für viel besser ausgerüstet und vorbereitet als ihr Vorgänger und erlebten eine herbe Enttäuschung, da der Markt überlaufen und leergefegt war, erwarben nur wenige gute Bilder etwa von Tiepolo und Tintoretto. Als Konsequenz begannen sie nun endlich ein europaweites Netz von Händlern aufzubauen, um schnell zugreifen zu können, wenn sich eine Chance bot.
Trotz der neuen Ankaufspolitik, die sich auf einzelne Meisterwerke eher konzentrierte, wollten sie die Chance wahrnehmen, als ihnen die international vielfach gerühmte Sammlung des Aachener Industriellen Barthold Suermondt angeboten wurde. Unter den teilweise wunderbaren Werken dieser Sammlung waren Jan van Eycks Kirchenmadonna und Jan Vermeers Mädchen mit dem Perlenhalsband. Daneben fanden sich noch einige Franz Hals, Hohlbeins und Rubens sowie zahlreiche Zeichnungen von Meisterhand, was sich der Staat Preußen 350.000 Taler kosten ließ.
Im Dienst des Museums und der Sache entwickelte sich Bode zu einem geradezu manischen Sammler, der die Bestände nicht nur erweiterte, sondern auch das Niveau entscheidend hob. Seinem Geschick ist es zu verdanken, dass die Berliner Sammlung zu einer der führenden in Europa wurde. Er trug eine der größten Rembrandtsammlungen zusammen, machte Berlin führend in der italienischen Renaissance. Seinen Verdiensten entsprechend wurde er 1890 zum Direktor von Gemäldegalerie und Skulpturensammlung gewählt.
Irgendwann begannen die Planungen für ein neues Museum an der Spitze der Insel, das später den Namen Kaiser Friedrich Museum trug und heute Bode-Museum heißt nach dem ersten Direktor mit seinen vielen genialen Ideen, der etwa Kunst und Kunsthandwerk parallel präsentieren, ein Renaissancemuseum schaffen wollte, wie es heute im Bode so wunderbare Realität wurde und ganz in dessen Sinne auch der Neubau am anderen Ufer jenseits der Insel wäre, wo früher Schloss Monbijou stand. Das neue Haus an der Spitze der Insel wurde am 18. Oktober 1904 eröffnet und ist, obwohl aus der Epoche Wilhelms II. stammend, des peinlichsten aller denkbaren Kaiser, ein geschmackvoll schöner Bau, der sich gut in die Insel einpasst und den Stil und Geschmack Bodes verrät. Auch hier war der Eintritt wie nach der Eröffnung weiter frei. Ab 1909 musste zumindest Dienstags und Mittwochs ein Eintrittsgeld bezahlt werden und es wird Zeit dies nach dem großen Vorbild des British Museum wieder einzuführen, weil es Werte in einer Kultur gibt, die immer unbezahlbar bleiben, ein Museum ein offener Ort sein sollte.
Einige Werke kamen noch durch den nach dem Krieg finanziell angeschlagenen deutschen Industriellen James Simon hinzu - dazu zählen noch jeweils Rembrandt, Hals und Vermeer, also ganz große Schätze noch der heutigen Sammlung. Sehr erfolgreich war die Gründung des Fördervereins des Museums mit dem bis heute bestehenden Namen Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, der einige bedeutende Einkäufe noch vorfinanzieren helfen konnte. Der Verein baute nebenbei noch eine eigene Kunstsammlung auf, die er, seinem Widmungszweck entsprechend, dem Museum kostenlos zur Verfügung stellte.
Trotz des endlich eigenen Museums begannen die Platzprobleme bald von neuem und Bode suchte Räumlichkeiten für das von ihm geplante Deutsche Museum, das auch Museum für ältere deutsche Kunst heißen sollte und sich auf Meisterwerke deutscher Künstler konzentrierte. Es fand von 1930 -1939 Raum im Nordflügel des heutigen Pergamonmuseums, wie Bode es sich gewünscht hatte. Während des Ersten Weltkrieges stagnierte die Sammeltätigkeit. In der Zwischenzeit bis zum nächsten Krieg wurde weitere deutsche Kunst in den Nordflügel des Pergamonmuseums ausgelagert und geringe Erwerbungen nur getätigt. Ab 1939 mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die Museen wieder geschlossen.
Die Gemälde wurde dann ab 1941 aus Furcht vor Luftangriffen in die Keller der Gebäude verlagert. Weil diese nicht sicher genug erschienen wurden sie noch teilweise in den Flakbunker am Friedrichshain deponiert, in dem unter bis heute unklaren Umständen ein nicht geringer Teil der Sammlung bei Kriegsende verbrannte. Die Liste der dort eingelagerten und damit für immer verlorenen Kunstwerke macht den Kunstliebhaber betroffener als mancher Soldatefriedhof - zum Glück überlebten dennoch einige Werke an anderen Orten und mit am besten diejenigen, die nur im Keller auf der Museumsinsel geblieben waren, statt sie noch sicherer in den Bunker zu bringen.
Nach dem Krieg wurden die verbliebenen Bestände wie die Stadt geteilt und kamen entweder zum Senat oder wurden der Stiftung preußischer Kulturbesitz zugeführt. Bis zur Fertigstellung de Kulturforums gab es noch die Gemäldegalerie in einem Neubau in Dahlem, der ab 1956 von den über tausend Kunstwerken im Westberliner Bestand bevölkert wurde, während der Ostberliner sich über die Insel verteilte. Heute ist die Gemäldegalerie wiedervereinigt, hängt zu großen Teilen im Kulturforum und es gibt eine enge Kooperation mit dem Bode Museum, zu der auch der geplante und vorläufig abgesagte Neubau zählte, der hoffentlich noch realisiert werden kann, bevor der Flughafen fertig sein wird.
Nach der Rotunde, die kunstlos schlicht begrüßt, muss sich der Besucher entscheiden, ob es nach links zur Renaissance, nach rechts zur Gothik oder geradeaus in die Säulenwandelhalle geht, der Kunst am und im Bau ohne mehr zu sein als eine stille Bahnhofshalle mit vielen Zugängen ins Paradies.
Als erstes zieht es mich immer zur Renaissance, die ich liebe, die für die Freiheit des italienischen Geistes steht, mit südlicher Sonne im Gemüt unterkühlten preußischen Geist erwärmt. Auch dort gibt es natürlich noch viel sakrale Kunst und ähnliche vom Aberglauben eben geprägte Werke, doch steht dabei, anders als in der symbolistischen Kunst des eher deutschen Mittelalters, das noch brauchte bis Dürer, Baldung und Cranach das Individuum entdeckten, stets der Mensch auch im Mittelpunkt. So schaue ich auf menschliche Kunst aus der Renaissance bevor ich mitten durch die Wandelhalle gehe und die Altäre ignorierend mich vor den von nackter Vernus umstellten Jungbrunnen stelle, der voller Ironie schon ist, eben Witz hat, der ein wichtiger Wendepunkt vom schlichten monokausalen mittelalterlichen Denken hin zur Freiheit des Menschen ist, der sich und seiner selbst als Wert auch jenseits des Glaubens voller Lust bewusst ist.
In die italienische Renaissance eintauchen ist wie wunderbare Antipasti vor einem großen Menüs zu verkosten. Es hat Leichtigkeit und Freude, ist nie ohne Ironie und den Mut die Dinge voller Lust und Freude an der Schönheit neu zu denken. Was zeichnet die Kunst der Renaissance aus?
Gerne und zu oft wird Leonardos vermessener Mensch oder Botticellis Geburt der Venus oder noch sinnlicher la primavera, der nur im deutschen männliche Frühling, als Sinnbild der Renaissance bezeichnet - es ist viel Wahres daran, denk ich heute, der immer einen italienischen Euro mit dem Abbild des vermessenen Menschen von Leonardo in der Hosentasche hat. Vermessen und durchdacht, auf exakte Proportionen nach der Natur bedacht, nach der symbolistisch überladenen Kunst des Mittelalter, die nur ein einziger großer naiver Gottesdienst war und dem Geist fanatischer Gläubiger eben entsprach - auch wenn es Ausnahmen natürlich gab, zur Volksbewegung wurde die Individualität und die Lust an ihr im Italien der Renaissance, wo einerseits die erotischsten und frechsten Geschichten erzählt wurden, welche die Kirche verspotteten, wie es vorher keiner gewagt hätte, andererseits ein Lukrez wieder entdeckt wurde, die Antike hohe Verehrung genoss und und die Epoche davor als eben dunkle Zeit abgetan wurde in ihrer Beschränkung. Eine Zeit voller Lust und Leidenschaft, die Menschlichkeit entdeckend, wie die Unmenschlichkeit auslebend.
Damit beginne ich immer meinen Besuch und wenn ich dann italienisch gut gelaunt nach den ersten beiden Räumen, mich eher auf die weltlichen Gemälde konzentriere, bevor ich genug Lebensfreude getankt habe, mir Hans Baldung, Dürer und Cranach anzusehen, die auch in Teilen ihre Lebenslust nur eben sehr deutsch entwickeln. Denke ich an Dürers Madonna mit dem Zeisig, auf dem das Jesusbaby mit dem Schnuller spielt, die italienische Farbenfreude in diesem Gemälde voller Licht, wird sichtbar was den dunklen Norden vom lichten Süden vielfach unterscheidet. Dürer malte dieses Bild während seiner Italienreise. Großartig dort auch die Gemälde von Karl V. und seinem Großvater Maximilian I. - die sichtbare Inzucht am Kinn dieses Kaisers, der so ganz menschlich natürlich gemalt wurde. Daneben auch Freunde und Nachbarn Dürers, schlichte Gemüter aus Nürnberg.
Dann eine kleine Kammer, wie ein Abgang voller alter holländischer Meister van Eycks Madonna, die so glitzert und strahlt, wie es unglaublich scheint, als lebe dieses über 500 Jahre alte Bild - welch Meisterschaft aus den Kunstschätzen Burgunds, das später dann Karl erben sollte von seinem Großvater Maximilian, der es noch erheiratet hatte.
Doch da schon begannen sich die reformierten Niederlande abzuspalten, in ständiger Auseinandersetzung um die burgundisch, östereichisch, spanischen Niederlande, was in den Bildern der einen und der anderen Seite immer sichtbarer wird.
Stunden könnte ich vor dem Breughel mit den niederländischen Sprichwörtern verbringen, habe schon häufiger nun Kunsthistoriker dazu referieren hören und doch, entdecke ich immer wieder lachend etwas neues in diesem Wimmelbild für Große, ständen nicht immer auch so viele andere da.
Holländer gibt es noch manche in dieser Sammlung. Ein großer Raum mit Oberlicht voller Rembrandt, könnte eine Kathedrale der Kunst sein und ist doch eher nur eine schlechte Bahnhofshalle mit schwacher Beleuchtung. Als die Rembrandts noch ganz auf Schwarz präsentiert wurden, in der groß aufgemachten Sonderausstellung, einzeln beleuchtet und eben präsentiert, da sah auch ein schlichter Geist wie ich sofort, wie großartig diese Bilder sind. Dort hängen sie eben rum, ziemlich viel und manche irgendwie besonders.
Es hat diese Gemäldegalerie wunderbare hölzerne Sitzecken, schönste Ruhepunkte neben der Wandelhalle als Orte der Besinnung zwischen den Genüssen und schafft es doch nicht die Wände zur Ruhe zu bringen, sie dunkel mit Stoff zu verhängen, von mir aus auch mal in mutiger Farbe wie im Frankfurter Städel derzeit, aber doch bitte nicht so blaß, harmlos, dass die schönsten Meister einfach nur in Reihe hängen und jeder merkt, die haben halt viel hier.
Zwei Vermeer nebeneinander, traumhaft schöne Bilder voller Licht in einem kleinen Kabinett zum Durchgang als Posten an dem alle vorüberlaufen, wie ein Sonderangebot, nicht als Punkt der Anziehung am Ende eines Ganges oder doch zumindest Raumes ins U gehängt, nein, zwischen die Türen quasi, wo alle die stumpf den Wänden nur folgen vorüber laufen. Es fehlt dieser prachtvollen Sammlung jede Show und jeder Sex und den bräuchte sie mehr, um diese Wundertüte voller Bilder angemessen zu präsentieren, die in einem eben langweiligen Bau der Moderne nur hängen, der so gefühllos für sie bleibt, wie sie in ihm nur rumhängen. Hier zündet nichts.
Doch aller Fluche zum Trotz., ich liebe jedes dieser Bilder, begrüße sie wie alte Freunde, verzichte nur auf meine sonst haptische Neigung, keinen Alarm auszulösen. Es ist eine wunderbare Galerie und was könnte mit etwas Mut zur Inszenierung, zum Theater, nicht alles neu gezeigt werden. Die Bilder der holländischen Meister direkt nach der Reformation zeigen die leeren nüchternen Kirchen. Vielleicht mag in diese Zeit und jene Epoche in der sich der Aberglaube des Mittelalters befreite, die reformierte Nüchternheit ein großer Wert gewesen sein. Doch wer Kunst so präsentiert, raubt ihr den letzten Saft, sie ist so spannend wie das Wort zum Sonntag und gähnend sitzen die letzen Alten in der Kapelle noch - dabei ist diese Kunst so jung, so lebendig, so wild so leidenschaftlich auch, wenn wir nur wagen, dies auch zu sehen.
Manche Bilder erzählen dramatische Geschichten mit der Abbildung andere verraten dies erst auf den zweiten Blick und plaudern von ihrer Herkunft, ihren Leidens und erzählen manches mehr noch aus ihrer Zeit. Ist es Karl V. bei einem der wenigen spanischen Bilder der Sammlung, was für ein anderes Bild des leidenschaftlichen Prinzen und jungen Königs von Spanien als das des deutschen Kaisers mit dem vorstehenden Kinn. Und wie sehen die Italiener ihr Venedig, was lernen wir daraus - wie schön wäre es Bilder zu mischen, um die Unterschiede deutlicher zu machen, statt sich simpel auf Epochen nach dem Lehrbuch festzulegen oder erregt sich da der Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, weil in Preußen alles seine Ordnung haben muss?
Und komme ich von Vermeer, der immer noch beeindruckt, obwohl er völlig verfehlt und lieblos im Durchgang nur hängt, zu den Engländern nebenan, Reynoulds und seinen Kameraden, warum bin ich dann nicht in England sondern in einem blass langweiligen Raum, der den Geist hinter diesen oft kraftvoll britisch ironischen Bildern verblassen lässt wie die englischen Dienstherren besonders weiß neben ihrer braunen indischen Dienerin und das ist schade, weil die Feinheiten in der Blässe der Räume verloren gehen. Auch aus den Sammlungen Friedrichs des Großen, zärtlich erotische Watteaus zwängen sich mit Bildern des Kronprinzen, seines Bruders, der Therbusch in zu engem Raum, letzteres auch ein großartiges Bild, was viel Platz bräuchte und Farbe, zu zeigen, wieviel Mut diese frühe Malerin aufbrachte, sich so mit Augenglas zu portraitieren.
Was würde ich wirbeln in diesen Räumen, die Wandelhalle, dieser Anklang an die italienische Renaissance würde bei mir Heimat derselben und ich würde dies Museum einrichten und mit Farbe versehen, es abdunkeln zugleich wo nötig und anstrahlen. Aber so laufe ich durch die Räume und denke, was habt ihr da für eine tolle Sammlung, macht was draus. Kunst ist ein Abenteuer und ich liebe sie auch in dieser lieblos nüchternen Präsentation und die Farben im Städel sind vielleicht doch manchmal etwas gewagt aber zumindest lebt es, regt auf und bewegt. Kunst lebt in ihrer Umgebung und das Kulturforum lebt leider sehr wenig, auch wenn es das Zeug dazu hätte. Es ist protestantisch nüchtern und so sexy wie fleischfarbene Strumpfhosen in Gesunheitssandalen.
Doch trotz dieses Mankos, des leeren Raumes inmitten, der ein Paradies der Renaissance wohl wäre, um den anderen, die Raum brauchen, mehr zu geben, ihre Präsentation zu inszenieren wie im Theater - es ist ein Traumwandelgang durch die Zeiten zu schreiten in dieser Gemäldegalerie, von Saal zu Saal durch die Jahrhunderte zu springen, alte Freunde zu besuchen, die an Wänden hängen und ich kenne keine bessere Form der Meditation. Wenn er mir mal schlecht gehen sollte, von Lebenszweifeln geplagt, ginge ich ins Museum, mich am Zeitsprung zu freuen, diese geballten Gefühle auf Leinwand zu sehen. Zöge immer Museum mit stillstehenden Bildern jedem Film mit rasenden Bildern vor, aber vielleicht bin ich auch etwas verrückt aber dann passe ich ja auch ins Museum.
jens tuengerthal 9.3.2017
Mittwoch, 8. März 2017
Berlinerleben 013
KaDeWe flanieren
Ein Besuch im KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens auf dem Tauentzien ist nicht einfach ein Besuch in einem der vielen Konsumtempel, wie es sie überall auf der Welt immer ähnlicher und austauschbarer gibt, es ist eine Form des Gottesdienstes für das alte Berlin auch ohne Gott.
Lernte es mit A meiner neuen, welterfahrenen Liebe kennen, die den schönen Luxus gut kannte und schätzen konnte, immer eine Feinschmeckerin war. Wir kamen von hinten, was sich mit dem Auto meist empfiehlt und A steuerte ihren luxuriösen Saab durch mir noch völlig fremde Gegenden mit großer Erfahrung und Gelassenheit.
Die Kathedrale des Konsums hat natürlich ein großes Parkhaus über viele Etagen, was je nach Wetter sehr bequem ist aber dem Besucher den prächtigen Eingang etwas verwehrt - er taucht einfach irgendwo zwischen den Etagen auf, wo Parkhaus und Aufzüge ihn eben ausspucken. Ist damit gleich mitten im Geschehen und verpasst das Eintauchen vorbei an den Pförtnern im Livree und den leichteren dafür um so schwerer duftenden Damen in der ersten Parfümerieabteilung, die sich an den oft östlichen jedenfalls massenkompatiblen Geschmack richtet, bevor sich die schon schwer berauschte Nase in feinere Gefilde durchkämpft, haben chemische Produkte wie Joop und Konsorten bereits ausreichend benebelt.
Darum empfehle ich jedem Besucher lieber mit der U-Bahn zum KaDeWe zu fahren, am prächtigen Wittenbergplatz auszusteigen und aus den Luftgrüften der Schienenschächte durch die geflügelten Türen in die Duftgruft der schlichten Gemüter einzutauchen, um ein volles Bild zu gewinnen, diesen Tempel ganz wirken zu lassen mit seinen gläsern goldenen Aufzügen und dem mondänen Atrium, immer noch eine Erinnerung an das untergegangene Westberlin, jene Trutzburg des Kapitalismus gegen das Leberwurstgrau des Sozialismus, das wenige Kilometer weiter begann.
Diese Defloration der Nasenschleimhäute erlebte ich erst viel später, als wir zuvor schon viele mal wie Kenner gemeinsam von hinten gekommen waren. Aber meine A kannte sich eben aus, hatte einen ausgewählten Geschmack und ersparte ihrer immer sehr sensiblen Nase diesen Rausch und wir tauchten in der Nähe ihres Lieblingsstandes auf, der zwischen den Rolltreppen nach oben, zur Rückwand gewandt, feine englische Düfte aus natürlichen Stoffen anbot. Eine unaufdringliche Wohltat für die Nase, die von einer sehr englisch aussehenden rothaarigen Dame mit dezenterer Höflichkeit angeboten wurden, die ebenfalls eher dezent duftete und deren Kleider eher nach Laura Ashley denn nach dick bedruckter Designermode aussahen.
Es gibt auch diese kleinen feinen Orte im Tempel des Westens, der Trutzburg gegen alle Konsum-Läden, die dem Osten einst zeigte, wie gut es uns geht, wenn wir nicht gerade betrunken oder bettelnd davor saßen. Aber wer das tat, war ja meist selbst schuld oder wollte es nicht anders, so zumindest lange die offizielle westliche Lesart. Wir aber sahen weder die Bettler davor noch die berauschend duftenden und jede falsche Mimik reichlich überschminkenden Parfum Verkäuferinnen im Eingangsbereich, wir kamen ja als Kenner von Hinten, auch wenn es mein erstes mal war, ich keine Ahnung hatte, was mich erwartete, zumindest keine bewusste Erinnerung mehr an einen Besuch in Kindertagen als ich einmal mit meinen Eltern anlässlich eines Kongresses im noch verschlossenen Westberlin ängstlich zu Besuch war.
Bei diesem ersten Besuch nahm sich A auch gerne die Zeit mit ihrem staunenden Liebsten Etage für Etage mit der Rolltreppe hinauf zu fahren, zwischendurch in den einzelnen Abteilungen ein wenig zu schauen, mal Wäsche für die Dame, die ich immer besonders gern betrachte, auch wenn sie noch auf Bügeln hängt, beflügelt sie schon meine erotische Phantasie ausreichend und Damen dabei zu beobachten, wie sie sich solche Dinge aussuchen, ist ein äußerst sinnlicher Vorgang für einen Flaneur, auch wenn ich damals ja noch kaum wusste, dass ich ein solcher werden sollte, sondern als Begleiter einer eleganten Dame von Welt mit entschiedenem Stil und Geschmack sowie viel Erfahrung, zumindest viel im Gegensatz zu mir, auch im Luxuskonsum, dort weilte.
Fast ging ich dann selig betrachtend in der Spielzeugabteilung verloren, der ich immer noch stundenlang vor den aufgebauten Dioramen der Playmobilwelt wie vor meinen noch Kinderträumen stehen kann. Diese immer lächelnden Wesen, die mich so lange auf vielen geistigen Abenteuern begleiteten, was hatten wir nicht alles zusammen erlebt. Hier waren sie in Aktion mit vielen Details zu sehen, von denen ich in meiner Kindheit kaum zu träumen wagte - baute damals lange Zeit nur auf, saß dann stundenlang davor und bewegte alle halbe Stunde mal ein Männchen - der Rest der Geschichten spielte sich immer bei mir im Kopf ab, wie ich meiner Mutter auf Nachfrage einmal erklärte, die sich wunderte, was ich denn mache, wenn ich nur davor sitze, ob mir nicht langweilig sei. Nein, langweilig war mir in meinem Kopf und in der gespielten Welt nie und würde mir auch in dieser Spielzeugabteilung vermutlich nie - auch wenn ich sagen muss, dass die leicht unvollkommene Improvisation zu der mich meine bescheideneren Playmobilbestände noch zwangen, vielleicht meine Phantasie mehr beflügelten als diese perfekten Inszenierungen von gut im Marketing geschulten Dekorateuren der Spielzeugwelten.
Dennoch blieb ich fasziniert stehen und merkte gar nicht, wie A weiterging und wer sich je in diese, Irrgarten von einem Kaufhaus verlor, in dem zur Verführung der Kunden gerade und lineare Durchblicke die Orientierung geben könnten in dekorativster Form immer wieder bewusst verstellt werden, wird wissen, was ich meine und wie groß meine Panik war, als ich A als orientierungsloser Neuling nicht mehr sah.
Plötzlich war ich allein und völlig auf mich gestellt - sollte ich nun loslaufen und sie egal wo suchen, mich vollkommen verirren, bis mich irgendwann ein Nachtwächter und an die rettende ungefilterte Luft brächte oder war es klüger zu bleiben, wo ich war, damit A, die sich ja auskannte, mich wiederfände. Hin- und Hergerissen, zwischen beiden Möglichkeiten entschied ich mich fürs bleiben als weniger riskant, da sie sicher, hoffte ich zumindest, irgendwann bemerken würde, dass ihr Liebster verschwunden war und dann als Kennerin den geraden Weg zurücklief und mich wiederfände.
Wir waren später noch häufiger dort, meist von hinten kommend, irgendwann kannte ich zumindest den Weg zur eleganten Parfüm Verkäuferin im Erdgeschoss und in die Lebensmittelabteilung und fand mich also an den entscheidenden Orten allein zurecht. Vermute ich würde heute immer noch bei der Damenwäsche oder beim Spielzeug, was ja auch je nach Alter irgendwie zusammenhängt, verloren gehen und mich nur zu leicht den schönen Anblicken dort einfach hingeben, warum ich sie meist bewusst umging, zum Ziel zu kommen.
Sie kam irgendwann tatsächlich lachend wieder, ich erklärte ihr meine Not und dass ich lieber hier geblieben wäre, bevor wir uns restlos verlören. Natürlich hatte sie Recht, als sie meinte, scheinst dich ja wohl hier zu fühlen, gab aber zu, dass es so wohl am besten wäre, nahm mich an die Hand und führte mich nun ohne größere Umwege in das große Reich der Sinne im Obergeschoss.
Viele Supermärkte bemühen sich ja heute nach französischem Vorbild ihre Waren etwas eleganter zu drapieren, doch was dieser Ort der Nahrungslust bot, überstieg alles, was ich je gesehen hatte. Zugegeben erinnerte ich den Besuch bei Harrods oder Fortnum & Mason nicht mehr so genau, war da aber auch sicher nicht in der Lebensmittelabteilung gewesen vermutlich. Auch in Paris hatte ich mit meinen Liebsten lieber die Wäscheabteilung etwa im Lafayette besucht, als bei den bestimmt zu teuren Lebensmitteln lange zu verweilen.
Es gibt ja nun auch ein Lafayette in Mitte und einmal war ich auch mit einer meiner Liebsten dort, in der Wäscheabteilung und danach im Untergeschoss bei den Lebensmitteln, die eben französisch elegant drapiert waren und doch kein Vergleich des KaDeWe je sind. Diese eben obere Etage, über der nur noch ein Restaurant thront für die Westberliner Schickeria nach dem Einkauf oder zum Abstellen der Gatten, während die Damen dem Einkauf fröhnen. Hoffe mich stellt dort nie eine ab, lieber schlenderte ich durch dieses lustvoll dekorierte Museum der Lebensmittel, setzte mich dezent in die Abteilung mit der Damenwäsche oder könnte vor den Playmobildioramen abgestellt werden und nach einigen Stunden mit immer noch offenem Mund wieder abgeholt werden.
Wir gingen einkaufen an diesem Ort, der wie ein Jahrmarkt der Feinschmecker voller kleiner Buden und Imbissstände den Augen, der Nase und auch allen übrigen Sinnen so viel bietet, dass ich schon träumend ohne Ziel und Führung dort nach einer halben Stunde übersättigt und erschöpft wäre. Stelle ich mir vor, ich hätte eine unbeschränkt gedeckte Kreditkarte, müsste über solche Fragen nicht nachdenken, würde ich vermutlich mit Bergen von Dingen, die ich nie brauche aber unbedingt haben musste und die mein Leben um so vieles schöner machten, aus dieser Kathedrale aus einer anderen Zeit wieder herauskommen. Dies ist vermutlich der Zweck dieser Museen des Konsums, die nicht nur zum Anschauen da sind und glücklich preise ich mich als bedürfnisloser Flaneur, der nur gucken will und sich eher weniger leisten kann und darum selten gefährlich verführt wird.
Dieser Tempel, der im Kalten Krieg seine größte Rolle spielte, öffnete schon 1907 im heute Berliner Stadtteil Schöneberg, der damals noch zur selbständigen Stadt Charlottenburg gehörte die erst 1920 in Großberlin aufging, seine Pforten. Es ist heute mit über 60.000 Quadratmetern Verkaufsfläche das größte Warenhaus Kontinentaleuropas. Die Lebensmittelabteilung, die schon seit den 20er Jahren ein beliebter Anziehungspunkt nicht nur für Berliner ist, kann sich sogar rühmen die zweitgrößte weltweit zu sein und der Westberliner rühmt sich ja auch selbst gern seiner Traditionen, wie überhaupt der Märker allgemein, was ja schon Fontane wusste, ein großes Talent hat, gewöhnliche Dinge groß zu reden.
Insofern das alte Westberlin mit dem Fall der Mauer unterging, der Mittelpunkt des Interesses sich verlagerte, wurde das KaDeWe auch zu einer Gedenkstätte für das alte Westberlin und ist ein Museum in dem der Westen sich gern gut geschminkt zeigt, was ihn vom wilden Osten sichtbar unterscheidet.
Der Kaufmann Adolf Jandorf hatte bis 1905 schon sechs Warenhäuser für den einfachen Bedarf eröffnet. Nun plante er ein repräsentatives Haus für die wilhelminischen Eliten, welche die verwöhnten Ansprüche der oberen 10.000 oder sogar nur der obersten 500 auch befriedigen könnte. Das Kaufhaus begann schon lange vor der Teilung mit dem nach amerikanischen Vorbild abgekürzten Namen KaDeWe, der sich auf den Neuen Westen bezog wie im Kaiserreich ab 1871 die Bezirke Charlottenburg, Tiergarten und Schöneberg zusammengefasst wurden. Ein wichtiger Grund für die Wahl des Standortes war die Lage direkt am Bahnhof Wittenbergplatz und damit an der Stammstrecke der gerade neuen Hoch-und Untergrundbahn, die bereits 1902 ihren Betrieb aufnnahm.
Das noch mit 24.000 Quadratmetern Verkaufsfläche geplante Kaufhaus wurde im Stil der modernisierten italienischen Neorenaissance gebaut, wie damalige Beobachter es nannten. Die Fassade wurde mit fränkichem Muschelkalk aus der Heimat Jandorfs verkleidet. Innerhalb eines Jahres wurde der Bau vollendet. Statt des verglasten Innenhofes über alle Etagen hinweg, wie er in französischen Kaufhäusern schon üblich war, wurde im KaDeWe eine zweigeschossige Eingangshalle in der Mitte des Gebäudes gebaut. Diese bescheidenere Form wurde nach dem Wettbewerb der Überbietung unter Berliner Warenhäusern als wohltuend und bescheiden wahrgenommen.
Vor der Eröffnung wurde noch eine große Werbeaktion gestartet, in der die nun erstmals möglichen ganzseitigen Bildinserate in Tageszeitungen mit zu diesem Zweck angefertigten Grafiken des Jugendstilkünstlers August Hardjuk veröffentlicht, die schon den exklusiven aber auch aktuell modischen Stil zeigen sollten.
Nach der Eröffnung ließ der Kaiser zwar noch auf sich warten, der Adel und Reiche anlocken sollte, dafür machte der zweitägige Besuch des siamesischen Königs Rama V., den erwünschten Eindruck bei Bürgertum und Adel. Bereits damals war das Warenhaus nach dem Vorbild amerikanischer Konsummeilen konzipiert und es fanden sich in 120 Abteilungen unzählige kleine Fachgeschäfte, zu denen von Beginn an auch eine Leihbibliothek gehörte. Anstatt der zu dieser Zeit sonst üblichen Gasbeleuchtung, gab es bereits Kohlefaserlampen für das neue elektrische Licht.
Über dem Eingang war ein kleiner Balkon platziert über dem wiederum eine riesige, bronzene Uhr mit drei Metern Durchmesser hing. Zu bestimmten Uhrzeiten öffneten sich links und rechts der großen Uhr zwei Pforten und eine goldglänzende Hansekogge aus ebenfalls Messing umrundete die Uhr mit geblähten Segeln, als sei sie in voller Fahrt. Die Kogge war das Wahrzeichen des KaDeWe, zugleich war sie auch eine Erinnerung an die große Zeit der Hanse, die Macht des Handels und seiner Freiheit, gab dem Kaufhaus einen ehrwürdigen Rathauscharakter.
Die in feinstem Holz getäfelte Eingangshalle wurde zu beiden Seiten von zwei riesigen Marmorfiguren flankiert. In den beiden Innenhöfen waren kleine Gärten angelegt, in denen die gehetzten Kunden zwischendurch einen Ort der Ruhe finden konnten. Das bald immer beliebtere Kaufhaus veränderte die Struktur des ganzen Bezirks. Die Tauentzienstraße wurde immer mehr von einer vorher reinen Wohnstraße zur Einkaufs- und Flaniermeile und auch die Gegend um die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche mit dem Kurfürstendamm zog allmählich nach. Was das Einkaufsparadies des alten Westberlin war und ist, entstand quasi als Appendix des KaDeWe, wozu auch die zahlreichen Boardinghouses für Amerikaner in dieser Gegend beitrugen.
Der Gründer Jandorf verkaufte sein KaDeWe im Jahre 1926 dann an den Warenhauskonzern Hermann Tietz & Co, was nur wenige Jahre später schon, dramatische Folgen haben sollte. Dieser ließ eine Dachterrasse einbauen, die mit Holzliegestühlen bestückt, die erschöpften Käufer zum Verweilen gern bei einem Perlwein nach Art des Hauses einlud. Es wurden im Stile der luxuriösen Hochseeschiffahrt auch hölzerne Liegestühle und das übliche Zubehör edler Freiluftunterhaltung aufgestellt und angeboten. Mit dieser Erweiterung des Hauses wurde auch die bis heute vorbildliche Lebensmittelabteilung mit besonderen Lüftungsapparaturen als Feinkostparadies eingerichtet. Die Leihbibliothek des KaDeWe umfasste damals immerhin schon 60.000 Titel.
Nach der großen Wirtschaftskrise von 1929 kam es auch in der Warenhausgruppe Tietz zu finanziellen Engpässen, die ein großer Kredit der ab 1932 staatlich beherrschten Dresdner Bank überwinden sollte. Nach der Machtübernahme Hitlers Anfang 1933 wurde dem jüdischen Unternehmer Tietz ein Kredit über 14 Millionen Mark, was heute etwa 60 Millionen Euro entspräche, verweigert, wenn er nicht einen arischen Geschäftsführer einsetzen würde.
Bereits im März 1933 begann dann, vom Wirtschaftsministerium aus geführt, ein angeblicher Entschuldungsplan, der zur faktischen Arisierung des Kaufhauses führte, die eine kalte Enteignung war. Beim Treffen zur Verhandlung im Adlon wurden den jüdischen Geschäftsführern die Pässe abgenommen, um den Druck zu erhöhen. Als die NSDAP am 1. April 1933 zum Judenboykott gegen alle jüdisch geführten Warenhäuser und Läden aufrief, blieb auch das KaDeWe geschlossen.
Hitler wollte das Warenhaus zunächst nicht erhalten lassen, wurde jedoch von Beratern überzeugt, da zu viele auch mittelständische Betriebe als Lieferanten davon abhängig waren. Darauf kauften die Gläubigerbanken die Aktien der ehemaligen Hermann Tietz OHG, zu nur noch 10% des ursprünglichen Wertes, nannten die Firma Hertie, aus den Anfangsbuchstaben des vorigen Eigentümers und führten sie weiter. Die Wortmarke Hertie aus Tietz Vor-und Nachnamen war schon vorher eingetragen worden und so eine der wenigen, die zumindest nominell die Arisierung überstand, wohl weil sie sich bewährt hatte.
Im Laufe des Jahres wurde der arische Geschäftsführer eingesetzt und die Söhne von Tietz aus der Geschäftsführung verdrängt.
Während des Zweiten Weltkrieges stürzte am 23. November 1943 ein amerikanisches Kampfflugzeug in das Dachgeschoss des Kaufhauses, das infolge fast völlig ausbrannte. Der spätere Eigentümer Karg entschädigte nach Kriegsende die Tietz-Erben soweit sie die Nazi-Zeit überlebten mit einigen eigenen Warenhäusern zunächst, die er später wieder zurück kaufte. Nach dem Krieg wurde das Warenhaus rasch wieder aufgebaut und eröffnete schon am 3. Juli 1950 wieder. An diesem Tag strömten wohl bereits 180.000 Besucher, wer weiß ob dann tatsächlich Kunden, in die etwas vereinfacht wiederhergestellten Räumen, vor allem um sich mit Fett und Lebensmitteln zu versorgen. Der heutige Bau wurde dann 1956, bereits im Kalten Krieg abgeschlossen. Nach dem Bau der Mauer kam es im Warenhaus eine zeitlang zu Engpässen von zwei Seiten, die zahlreichen Verkäuferinnen aus dem Osten der Stadt, konnten nicht mehr zur Arbeit kommen, es blieben auch zahlreiche Kunden der früher wohlhabenden Gegenden um Dahlem aus, die aus der Insel Berlin weg zogen.
Während in den 70ern noch gelästert wurde, das KaDeWe sei nur noch ein gehobener Lebensmittelladen mit piefigem Kaufhausanhang, wurde in den folgenden Jahr das Niveau wieder gehoben, um sich gut im Luxussegment zu positionieren. Bei der Eröffnungsgala nach dem nun folgenden sehr kostspieligen Umbau, der das Warenhaus an der U-Bahn auch um ein Parkhaus bereicherte, war sogar der damalige Bundespräsident Walter Scheel anwesend und gab dem Haus die gewünschte Ehre, holte nach, was der Kaiser noch 1907 verweigert hatte.
Nach der Wende kam es zu einem riesigen Ansturm von Ossis, über 200.000 von ihnen sollen in den folgenden Wochen in dem Konsumtempel Gott Mammon teilweise sicher auch mit ihrem Begrüßungsgeld gehuldigt haben. Ob viele Bananen kauften, ist nicht überliefert. Von 1991-96 stockte das KaDeWe sich noch um eine Etage auf, in welche mit Glaskuppel als Wintergarten das Dachrestaurant integriert wurde. Nach der Übernahme von Hertie durch die Karstadt Gruppe, die sich irgendwann modisch Arcandor AG nannte, begleitete sie deren tragisches Schicksal um die Familie Schickedanz und den betrügerisch großmäuligen Manager Thomas Middelhoff, dem nur die Lebensgefahr nun Haftverschonung noch brachte.
Danach übernahm übrigens die Berggruen Holding des Investors Nicolas Berggruen, der inzwischen auch weiter veräußerte, aber so war das alte Warenhaus zumindest zweitweise wieder im Eigentum einer der alten jüdischen Familien Berlins. Ist doch Nicolas der Sohn von Heinz Berggruen, dem früher Berliner und Pariser Galeristen, der mit seiner wunderbaren Sammlung der klassischen Moderne Berlin so reich beschenkte und die heute im Stülerbau, gegenüber dem Schloss Charlottenburg im Museum Berggruen zu bewundern ist, in dem der Mäzen und Kunstkenner auch noch die letzten Jahre bei seinen Schätzen lebte und wo ich das Glück hatte, ihn einst zu treffen und einen Moment mit ihm über seine Schätze an den Wänden und die Geschichten der Künstler dahinter zu plaudern. Aber davon erzähle ich ein anderes mal.
Heute gehört das KaDeWe zu einer österreichischen Holding und alle wollen hoffen, dass die Zeiten in denen das Engagement von Österreichern in Berlin nichts gutes brachte, endgültig vorbei sind, es nur um Geld und Luxus geht, von dem der Besucher unverändert genug sehen kann, so er will.
Bei meinem ersten Besuch waren wir neben den kleinen Ausflügen und Verwirrungen auf dem Weg nach oben, hauptsächlich in der Lebensmittelabteilung und dort erinnere ich besonders die damals direkt nebeneinander gelegenen Bereiche für Tee und Fleisch. Der Tee zart duftend, wurde teilweise in Urnen angeboten, vor denen kleine Porzelanschälchen standen an denen der kundige Besucher schnüffeln durfte, was wer wirklich suchte. A wusste, was sie wollte und ich war vermutlich angesichts einer solch vielfältigen Entscheidung leicht überfordert, hatte die grüne Version des so britischen Earl Grey mit der halb sauren, halb bitteren Bergamotte noch nicht für mich entdeckt, dessen zarter Duft sich übrigens auch in Chanel No 5 wiederfindet.
Eindrucksvoller war noch die Präsentation des Fleischs. Wir ließen uns wunderbare Steaks zuschneiden, A wählte noch eine Lammkeule und ließ sie sich vom ausnehmend höflichen Metzger klein hacken, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, während ich den Profi fragte, ob es da bei dem Rindfleisch einen Druckfehler gäbe, das Komma verrutscht wäre, so teuer könne doch nicht mal hier sein. Doch erfuhr ich von dem lachenden Metzgersmann, es sei das Fleisch der Kobe-Rinder aus Japan, die besonders gefüttert und gepflegt würden - so bekämen sie tägliche Massagen, die dieses Fleisch besonders zart machten und tatsächlich kaufte dann eine Frau nach uns eine nicht unbeträchtliche Menge davon und wird dafür wohl mehr gezahlt haben als heute modernste Mobiltelefone kosten.
Aber Geld spielt in diesem Tempel keine Rolle, es ist ein Ort des Genusses und der Hingebung an die Sinne - an dem Brotberge im Stil alter holländischer Meister gestapelt werden. Wurst aus Deutschlands unterschiedlichen Regionen unter ihrem jeweiligen Namen an separaten Ständen oder Theken angeboten wird. Die nordische Katenrauchwurst oder die Cervelatwurst und die vielen Richtungen echten Schinkens - ich hatte einfach keine Ahnung von den wirklich wichtigen Dingen, dachte ich immer wieder und hatte meinen Wurstkonsum im Studium und die erste Zeit danach auf die abgepackten Angebote der dortigen Theken reduziert. Doch was gab es hier nicht alles zu entdecken - eine so unendliche Vielzahl von Pasteten, dass sogar die schönsten Straßburger Märkte wohl blass würden, frische Austern, neben schwimmenden Fischen und noch zuckendem Hummer, die ich alle lieber übersah, um mich auf das englische Teegebäck in der ach so britischen Verpackung zu konzentrieren.
Dazwischen immer wieder kleine Rondells und Stände an denen die typischen Westberliner, wie mir später viele versicherten, sich ihrem kleinen Luxus laut plaudernd hingaben, ein Champagner oder Pro Secco Glas in der Hand. Die Damen meist etwas zu stark geschminkt, erinnerten stärker an Düsseldorf als an Berlin, wie ich es kannte, waren aber typisch für den westlichen Vorort in dem sich die Damen eben ausgiebig anmalten, was im schlichteren Osten auch unter den dort gern flanierenden Models und Schauspielerinnen völlig verpönt ist. Die Herren häufig mit relativ weit offenen Hemden und meist zu braun gebrannt, mit ein wenig zu auffälligen Armbanduhren und Goldknöpfen an ihren Sakkos, während die unter dem Ansatz von Bierbauch zu eng sitzenden Designerjeans mit zu sichtbarem Label den krönenden Abschluss bildeten.
Es gab auch die dezenteren Herren, in Tweedsaccos, mit Cordhosen und feinden Schuhen, die Damen entsprechend, nur waren diese eher auf den Einkauf, denn den Konsum hier konzentriert, wie wir ja auch eigentlich, auch wenn ich nicht weiß, was ich trug als ich mit zumindest innerlich meist offen stehendem Mund durch die Reihen und Regale hinter A her flanierte. Wir tranken auch ein kleines Glas Cremant, aßen ein wenig Baguette an irgendeinem elsässischen Winzerstand, an dem weniger das laute Westberliner Publikum der Austern und Hummerstände und der großen Champagnerfirmen standen.
So gestärkt wirbelte A noch ein wenig mit mir durch die verschiedenen Abteilungen und ich frage mich bis heute, der ich schon mehrfach auch das KaDeWe alleine besuchte, welcher innere Kompass sie dabei wohl leitete, wo ich nur überall verwirrt staunte und aufpassen musste, damit nicht meine ewig tropfende Nase an den immer frisch polierten Scheiben platt drückte.
Natürlich wusste ich, bevor ich ins KaDeWe kam schon, dass es sehr teure Bordeauxs gab - hatte einzelne auch schon mal probiert - aber diese Preise in solcher Fülle und dann eine voll verschleierte Frau, die einem entgegen kommt und ihren Begleiter auffordert welche Flaschen er nun alle mitnehmen solle - das überstieg alles, was ich bisher kannte und dies vielleicht noch mehr auch als im Lafayette, weil diese Lebensmittelabteilung ganz oben, die natürlich Feinschmeckerabteilung heißt, einfach alles übertraf, was ich kannte, oben und nicht unten ist, am Ende eines langen Aufstiegs steht. Über 34.000 verschiedene Artikel bieten die mehr als zuvorkommenden über 500 Mitarbeiter den interessierten Kunden an, die auch noch von dem kosten können, was 110 Köche oder 40 Konditoren zubereiteten.
Fragte mich häufiger dort, ob ich es nun eher neureich und ein wenig peinlich finde, wie einige der alten Westberliner dort, die aber wohl zum Stammpublikum gehören oder doch gediegen und edel und habe mich entschieden, mich nicht zu entscheiden, da es von beidem immer viel hat, je nachdem wo ich gerade hinschaue. Peinlich sind die Damen, an den Parfüm Ständen von Joop und ähnlichen chemischen Kampfstoffen der Damenwelt meist, edel die feine rothaarige bei den englischen natürlichen Düften, die vermutlich auch französisch sind, aber es passt besser zu meinen Vorurteilen sie englisch zu nennen. Edel ist die Teeabteilung und manches in diesem Laden, in dem es einfach alles gibt. Peinlich zum fremdschämen sind dennoch viele dort immer wieder und der Flaneur, der doch die Beobachtung lieber genießt, schaut dann immer schnell weg, um sich den schönen Eindruck nicht zerstören zu lassen.
Viel später einmal war ich auch mit einer Geliebten dort, die aus dem alten Westberlin kam, aus guter Familie, irgendwann wohl mal reich war, bevor sie von Hartz IV lebte und ihre riesige Wohnung teilweise untervermietete. Sie liebte diesen Ort, kannte jeden Gang, schien mir, wusste um Angebote und was sich lohnte, zeigte mir noch ganz neue Ecke, die mich allerdings relativ wenig interessierten, war dafür zärtlich gerührt als ich ihr in der Spielzeugabteilung einen eigentlich viel zu kitschigen Bären für ihren Schlüsselbund schenkte, den sie tatsächlich daran trug, solange ich sie sah. Für sie war dieser Ort das fortbestehende Reich einer untergegangenen Welt, in der sie aufwuchs - allerdings war sie keine so große Feinschmeckerin wie A, genoss nicht mit mir den sinnlich betörenden Gang durch das Feinkostparadies und verschenkte damit den schönsten Teil dieses Hauses für mich - entsprechend verloren wir uns bald aus den Augen, auch weil ich ihre unpreußische Unpünktlichkeit nicht ertrug.
Das KaDeWe blieb, wem es auch immer gehört und wenn es Österreicher sind heute, es treffen sich die Hugenotten der feinen Familien Berlins dort gerüchteweise regelmäßig, wie es noch manche Geschichte zu diesem doch nur Warenhaus wohl zu erzählen gäbe, wie der Schweizer-Botschafter, der sich mit einer Parfüm Verkäuferin aus dem vorderen Bereich einließ und bald seinen Hut nehmen musste irgendwie, was auch fraglos eine unverzeihliche Dummheit war. Berühmt sind auch die Überfälle und Raubversuche in diesem Luxuskaufhaus, die den Dieben teilweise Millionen zumindest zeitweise einbrachten. Betrachte es heute eher als eines der vielen Berliner Museen, allerdings ohne Eintritt, sofern wir resistent gegen die dortigen Verführungen sind, in dem sich das alte Westberlin besser beobachten lässt als irgendwo sonst. Der in manchem kurzsichtige und kulturell sicher nicht besonders kompetente zufällig gerade regierende Berliner Bürgermeister mit dem ausgefallenen Namen Müller, der in typisch sozialdemokratischer Beschränkung meinte, statt des wunderbaren Museums für Sprache im Geiste des Wilhelm von Humboldt, ein weiteres Berlin Museum im bald Humboldt Forum schaffen zu müssen, wäre besser ins KaDeWe gegangen, wenn er ein solches gesucht hätte, bin aber nicht sicher, ob dies seinen Verhältnissen je entsprach. Vor allem die Selbstironie, die es erforderte, ein Kaufhaus zum Museum der Stadt zu ernennen, traue ich Müller nicht unbedingt zu, so wenig wie dem Pfarrerssohn der seine Staatskanzlei leitet und da fehlt eben heute ein großer Geist wie André Schmitz zu sehr.
Aber, bevor ich mich in den piefigen Untiefen der kleingeistigen Berliner Lokalpolitik verliere, die in vielem höchstens Kleinstadtniveau hat, schweige ich lieber auch zum Flughafen, fordere alle Berlinbesucher auf, die wissen wollen, was diese Stadt ausmacht, was sich seit der Vereinigung geändert hat und was sich nie ändert, dieses Museum des Konsums zu besuchen - nirgendwo ist Berlin mehr Berlin, ein piefiges Dorf, was gern mehr wäre.
jens tuengerthal 8.3.2017
Ein Besuch im KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens auf dem Tauentzien ist nicht einfach ein Besuch in einem der vielen Konsumtempel, wie es sie überall auf der Welt immer ähnlicher und austauschbarer gibt, es ist eine Form des Gottesdienstes für das alte Berlin auch ohne Gott.
Lernte es mit A meiner neuen, welterfahrenen Liebe kennen, die den schönen Luxus gut kannte und schätzen konnte, immer eine Feinschmeckerin war. Wir kamen von hinten, was sich mit dem Auto meist empfiehlt und A steuerte ihren luxuriösen Saab durch mir noch völlig fremde Gegenden mit großer Erfahrung und Gelassenheit.
Die Kathedrale des Konsums hat natürlich ein großes Parkhaus über viele Etagen, was je nach Wetter sehr bequem ist aber dem Besucher den prächtigen Eingang etwas verwehrt - er taucht einfach irgendwo zwischen den Etagen auf, wo Parkhaus und Aufzüge ihn eben ausspucken. Ist damit gleich mitten im Geschehen und verpasst das Eintauchen vorbei an den Pförtnern im Livree und den leichteren dafür um so schwerer duftenden Damen in der ersten Parfümerieabteilung, die sich an den oft östlichen jedenfalls massenkompatiblen Geschmack richtet, bevor sich die schon schwer berauschte Nase in feinere Gefilde durchkämpft, haben chemische Produkte wie Joop und Konsorten bereits ausreichend benebelt.
Darum empfehle ich jedem Besucher lieber mit der U-Bahn zum KaDeWe zu fahren, am prächtigen Wittenbergplatz auszusteigen und aus den Luftgrüften der Schienenschächte durch die geflügelten Türen in die Duftgruft der schlichten Gemüter einzutauchen, um ein volles Bild zu gewinnen, diesen Tempel ganz wirken zu lassen mit seinen gläsern goldenen Aufzügen und dem mondänen Atrium, immer noch eine Erinnerung an das untergegangene Westberlin, jene Trutzburg des Kapitalismus gegen das Leberwurstgrau des Sozialismus, das wenige Kilometer weiter begann.
Diese Defloration der Nasenschleimhäute erlebte ich erst viel später, als wir zuvor schon viele mal wie Kenner gemeinsam von hinten gekommen waren. Aber meine A kannte sich eben aus, hatte einen ausgewählten Geschmack und ersparte ihrer immer sehr sensiblen Nase diesen Rausch und wir tauchten in der Nähe ihres Lieblingsstandes auf, der zwischen den Rolltreppen nach oben, zur Rückwand gewandt, feine englische Düfte aus natürlichen Stoffen anbot. Eine unaufdringliche Wohltat für die Nase, die von einer sehr englisch aussehenden rothaarigen Dame mit dezenterer Höflichkeit angeboten wurden, die ebenfalls eher dezent duftete und deren Kleider eher nach Laura Ashley denn nach dick bedruckter Designermode aussahen.
Es gibt auch diese kleinen feinen Orte im Tempel des Westens, der Trutzburg gegen alle Konsum-Läden, die dem Osten einst zeigte, wie gut es uns geht, wenn wir nicht gerade betrunken oder bettelnd davor saßen. Aber wer das tat, war ja meist selbst schuld oder wollte es nicht anders, so zumindest lange die offizielle westliche Lesart. Wir aber sahen weder die Bettler davor noch die berauschend duftenden und jede falsche Mimik reichlich überschminkenden Parfum Verkäuferinnen im Eingangsbereich, wir kamen ja als Kenner von Hinten, auch wenn es mein erstes mal war, ich keine Ahnung hatte, was mich erwartete, zumindest keine bewusste Erinnerung mehr an einen Besuch in Kindertagen als ich einmal mit meinen Eltern anlässlich eines Kongresses im noch verschlossenen Westberlin ängstlich zu Besuch war.
Bei diesem ersten Besuch nahm sich A auch gerne die Zeit mit ihrem staunenden Liebsten Etage für Etage mit der Rolltreppe hinauf zu fahren, zwischendurch in den einzelnen Abteilungen ein wenig zu schauen, mal Wäsche für die Dame, die ich immer besonders gern betrachte, auch wenn sie noch auf Bügeln hängt, beflügelt sie schon meine erotische Phantasie ausreichend und Damen dabei zu beobachten, wie sie sich solche Dinge aussuchen, ist ein äußerst sinnlicher Vorgang für einen Flaneur, auch wenn ich damals ja noch kaum wusste, dass ich ein solcher werden sollte, sondern als Begleiter einer eleganten Dame von Welt mit entschiedenem Stil und Geschmack sowie viel Erfahrung, zumindest viel im Gegensatz zu mir, auch im Luxuskonsum, dort weilte.
Fast ging ich dann selig betrachtend in der Spielzeugabteilung verloren, der ich immer noch stundenlang vor den aufgebauten Dioramen der Playmobilwelt wie vor meinen noch Kinderträumen stehen kann. Diese immer lächelnden Wesen, die mich so lange auf vielen geistigen Abenteuern begleiteten, was hatten wir nicht alles zusammen erlebt. Hier waren sie in Aktion mit vielen Details zu sehen, von denen ich in meiner Kindheit kaum zu träumen wagte - baute damals lange Zeit nur auf, saß dann stundenlang davor und bewegte alle halbe Stunde mal ein Männchen - der Rest der Geschichten spielte sich immer bei mir im Kopf ab, wie ich meiner Mutter auf Nachfrage einmal erklärte, die sich wunderte, was ich denn mache, wenn ich nur davor sitze, ob mir nicht langweilig sei. Nein, langweilig war mir in meinem Kopf und in der gespielten Welt nie und würde mir auch in dieser Spielzeugabteilung vermutlich nie - auch wenn ich sagen muss, dass die leicht unvollkommene Improvisation zu der mich meine bescheideneren Playmobilbestände noch zwangen, vielleicht meine Phantasie mehr beflügelten als diese perfekten Inszenierungen von gut im Marketing geschulten Dekorateuren der Spielzeugwelten.
Dennoch blieb ich fasziniert stehen und merkte gar nicht, wie A weiterging und wer sich je in diese, Irrgarten von einem Kaufhaus verlor, in dem zur Verführung der Kunden gerade und lineare Durchblicke die Orientierung geben könnten in dekorativster Form immer wieder bewusst verstellt werden, wird wissen, was ich meine und wie groß meine Panik war, als ich A als orientierungsloser Neuling nicht mehr sah.
Plötzlich war ich allein und völlig auf mich gestellt - sollte ich nun loslaufen und sie egal wo suchen, mich vollkommen verirren, bis mich irgendwann ein Nachtwächter und an die rettende ungefilterte Luft brächte oder war es klüger zu bleiben, wo ich war, damit A, die sich ja auskannte, mich wiederfände. Hin- und Hergerissen, zwischen beiden Möglichkeiten entschied ich mich fürs bleiben als weniger riskant, da sie sicher, hoffte ich zumindest, irgendwann bemerken würde, dass ihr Liebster verschwunden war und dann als Kennerin den geraden Weg zurücklief und mich wiederfände.
Wir waren später noch häufiger dort, meist von hinten kommend, irgendwann kannte ich zumindest den Weg zur eleganten Parfüm Verkäuferin im Erdgeschoss und in die Lebensmittelabteilung und fand mich also an den entscheidenden Orten allein zurecht. Vermute ich würde heute immer noch bei der Damenwäsche oder beim Spielzeug, was ja auch je nach Alter irgendwie zusammenhängt, verloren gehen und mich nur zu leicht den schönen Anblicken dort einfach hingeben, warum ich sie meist bewusst umging, zum Ziel zu kommen.
Sie kam irgendwann tatsächlich lachend wieder, ich erklärte ihr meine Not und dass ich lieber hier geblieben wäre, bevor wir uns restlos verlören. Natürlich hatte sie Recht, als sie meinte, scheinst dich ja wohl hier zu fühlen, gab aber zu, dass es so wohl am besten wäre, nahm mich an die Hand und führte mich nun ohne größere Umwege in das große Reich der Sinne im Obergeschoss.
Viele Supermärkte bemühen sich ja heute nach französischem Vorbild ihre Waren etwas eleganter zu drapieren, doch was dieser Ort der Nahrungslust bot, überstieg alles, was ich je gesehen hatte. Zugegeben erinnerte ich den Besuch bei Harrods oder Fortnum & Mason nicht mehr so genau, war da aber auch sicher nicht in der Lebensmittelabteilung gewesen vermutlich. Auch in Paris hatte ich mit meinen Liebsten lieber die Wäscheabteilung etwa im Lafayette besucht, als bei den bestimmt zu teuren Lebensmitteln lange zu verweilen.
Es gibt ja nun auch ein Lafayette in Mitte und einmal war ich auch mit einer meiner Liebsten dort, in der Wäscheabteilung und danach im Untergeschoss bei den Lebensmitteln, die eben französisch elegant drapiert waren und doch kein Vergleich des KaDeWe je sind. Diese eben obere Etage, über der nur noch ein Restaurant thront für die Westberliner Schickeria nach dem Einkauf oder zum Abstellen der Gatten, während die Damen dem Einkauf fröhnen. Hoffe mich stellt dort nie eine ab, lieber schlenderte ich durch dieses lustvoll dekorierte Museum der Lebensmittel, setzte mich dezent in die Abteilung mit der Damenwäsche oder könnte vor den Playmobildioramen abgestellt werden und nach einigen Stunden mit immer noch offenem Mund wieder abgeholt werden.
Wir gingen einkaufen an diesem Ort, der wie ein Jahrmarkt der Feinschmecker voller kleiner Buden und Imbissstände den Augen, der Nase und auch allen übrigen Sinnen so viel bietet, dass ich schon träumend ohne Ziel und Führung dort nach einer halben Stunde übersättigt und erschöpft wäre. Stelle ich mir vor, ich hätte eine unbeschränkt gedeckte Kreditkarte, müsste über solche Fragen nicht nachdenken, würde ich vermutlich mit Bergen von Dingen, die ich nie brauche aber unbedingt haben musste und die mein Leben um so vieles schöner machten, aus dieser Kathedrale aus einer anderen Zeit wieder herauskommen. Dies ist vermutlich der Zweck dieser Museen des Konsums, die nicht nur zum Anschauen da sind und glücklich preise ich mich als bedürfnisloser Flaneur, der nur gucken will und sich eher weniger leisten kann und darum selten gefährlich verführt wird.
Dieser Tempel, der im Kalten Krieg seine größte Rolle spielte, öffnete schon 1907 im heute Berliner Stadtteil Schöneberg, der damals noch zur selbständigen Stadt Charlottenburg gehörte die erst 1920 in Großberlin aufging, seine Pforten. Es ist heute mit über 60.000 Quadratmetern Verkaufsfläche das größte Warenhaus Kontinentaleuropas. Die Lebensmittelabteilung, die schon seit den 20er Jahren ein beliebter Anziehungspunkt nicht nur für Berliner ist, kann sich sogar rühmen die zweitgrößte weltweit zu sein und der Westberliner rühmt sich ja auch selbst gern seiner Traditionen, wie überhaupt der Märker allgemein, was ja schon Fontane wusste, ein großes Talent hat, gewöhnliche Dinge groß zu reden.
Insofern das alte Westberlin mit dem Fall der Mauer unterging, der Mittelpunkt des Interesses sich verlagerte, wurde das KaDeWe auch zu einer Gedenkstätte für das alte Westberlin und ist ein Museum in dem der Westen sich gern gut geschminkt zeigt, was ihn vom wilden Osten sichtbar unterscheidet.
Der Kaufmann Adolf Jandorf hatte bis 1905 schon sechs Warenhäuser für den einfachen Bedarf eröffnet. Nun plante er ein repräsentatives Haus für die wilhelminischen Eliten, welche die verwöhnten Ansprüche der oberen 10.000 oder sogar nur der obersten 500 auch befriedigen könnte. Das Kaufhaus begann schon lange vor der Teilung mit dem nach amerikanischen Vorbild abgekürzten Namen KaDeWe, der sich auf den Neuen Westen bezog wie im Kaiserreich ab 1871 die Bezirke Charlottenburg, Tiergarten und Schöneberg zusammengefasst wurden. Ein wichtiger Grund für die Wahl des Standortes war die Lage direkt am Bahnhof Wittenbergplatz und damit an der Stammstrecke der gerade neuen Hoch-und Untergrundbahn, die bereits 1902 ihren Betrieb aufnnahm.
Das noch mit 24.000 Quadratmetern Verkaufsfläche geplante Kaufhaus wurde im Stil der modernisierten italienischen Neorenaissance gebaut, wie damalige Beobachter es nannten. Die Fassade wurde mit fränkichem Muschelkalk aus der Heimat Jandorfs verkleidet. Innerhalb eines Jahres wurde der Bau vollendet. Statt des verglasten Innenhofes über alle Etagen hinweg, wie er in französischen Kaufhäusern schon üblich war, wurde im KaDeWe eine zweigeschossige Eingangshalle in der Mitte des Gebäudes gebaut. Diese bescheidenere Form wurde nach dem Wettbewerb der Überbietung unter Berliner Warenhäusern als wohltuend und bescheiden wahrgenommen.
Vor der Eröffnung wurde noch eine große Werbeaktion gestartet, in der die nun erstmals möglichen ganzseitigen Bildinserate in Tageszeitungen mit zu diesem Zweck angefertigten Grafiken des Jugendstilkünstlers August Hardjuk veröffentlicht, die schon den exklusiven aber auch aktuell modischen Stil zeigen sollten.
Nach der Eröffnung ließ der Kaiser zwar noch auf sich warten, der Adel und Reiche anlocken sollte, dafür machte der zweitägige Besuch des siamesischen Königs Rama V., den erwünschten Eindruck bei Bürgertum und Adel. Bereits damals war das Warenhaus nach dem Vorbild amerikanischer Konsummeilen konzipiert und es fanden sich in 120 Abteilungen unzählige kleine Fachgeschäfte, zu denen von Beginn an auch eine Leihbibliothek gehörte. Anstatt der zu dieser Zeit sonst üblichen Gasbeleuchtung, gab es bereits Kohlefaserlampen für das neue elektrische Licht.
Über dem Eingang war ein kleiner Balkon platziert über dem wiederum eine riesige, bronzene Uhr mit drei Metern Durchmesser hing. Zu bestimmten Uhrzeiten öffneten sich links und rechts der großen Uhr zwei Pforten und eine goldglänzende Hansekogge aus ebenfalls Messing umrundete die Uhr mit geblähten Segeln, als sei sie in voller Fahrt. Die Kogge war das Wahrzeichen des KaDeWe, zugleich war sie auch eine Erinnerung an die große Zeit der Hanse, die Macht des Handels und seiner Freiheit, gab dem Kaufhaus einen ehrwürdigen Rathauscharakter.
Die in feinstem Holz getäfelte Eingangshalle wurde zu beiden Seiten von zwei riesigen Marmorfiguren flankiert. In den beiden Innenhöfen waren kleine Gärten angelegt, in denen die gehetzten Kunden zwischendurch einen Ort der Ruhe finden konnten. Das bald immer beliebtere Kaufhaus veränderte die Struktur des ganzen Bezirks. Die Tauentzienstraße wurde immer mehr von einer vorher reinen Wohnstraße zur Einkaufs- und Flaniermeile und auch die Gegend um die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche mit dem Kurfürstendamm zog allmählich nach. Was das Einkaufsparadies des alten Westberlin war und ist, entstand quasi als Appendix des KaDeWe, wozu auch die zahlreichen Boardinghouses für Amerikaner in dieser Gegend beitrugen.
Der Gründer Jandorf verkaufte sein KaDeWe im Jahre 1926 dann an den Warenhauskonzern Hermann Tietz & Co, was nur wenige Jahre später schon, dramatische Folgen haben sollte. Dieser ließ eine Dachterrasse einbauen, die mit Holzliegestühlen bestückt, die erschöpften Käufer zum Verweilen gern bei einem Perlwein nach Art des Hauses einlud. Es wurden im Stile der luxuriösen Hochseeschiffahrt auch hölzerne Liegestühle und das übliche Zubehör edler Freiluftunterhaltung aufgestellt und angeboten. Mit dieser Erweiterung des Hauses wurde auch die bis heute vorbildliche Lebensmittelabteilung mit besonderen Lüftungsapparaturen als Feinkostparadies eingerichtet. Die Leihbibliothek des KaDeWe umfasste damals immerhin schon 60.000 Titel.
Nach der großen Wirtschaftskrise von 1929 kam es auch in der Warenhausgruppe Tietz zu finanziellen Engpässen, die ein großer Kredit der ab 1932 staatlich beherrschten Dresdner Bank überwinden sollte. Nach der Machtübernahme Hitlers Anfang 1933 wurde dem jüdischen Unternehmer Tietz ein Kredit über 14 Millionen Mark, was heute etwa 60 Millionen Euro entspräche, verweigert, wenn er nicht einen arischen Geschäftsführer einsetzen würde.
Bereits im März 1933 begann dann, vom Wirtschaftsministerium aus geführt, ein angeblicher Entschuldungsplan, der zur faktischen Arisierung des Kaufhauses führte, die eine kalte Enteignung war. Beim Treffen zur Verhandlung im Adlon wurden den jüdischen Geschäftsführern die Pässe abgenommen, um den Druck zu erhöhen. Als die NSDAP am 1. April 1933 zum Judenboykott gegen alle jüdisch geführten Warenhäuser und Läden aufrief, blieb auch das KaDeWe geschlossen.
Hitler wollte das Warenhaus zunächst nicht erhalten lassen, wurde jedoch von Beratern überzeugt, da zu viele auch mittelständische Betriebe als Lieferanten davon abhängig waren. Darauf kauften die Gläubigerbanken die Aktien der ehemaligen Hermann Tietz OHG, zu nur noch 10% des ursprünglichen Wertes, nannten die Firma Hertie, aus den Anfangsbuchstaben des vorigen Eigentümers und führten sie weiter. Die Wortmarke Hertie aus Tietz Vor-und Nachnamen war schon vorher eingetragen worden und so eine der wenigen, die zumindest nominell die Arisierung überstand, wohl weil sie sich bewährt hatte.
Im Laufe des Jahres wurde der arische Geschäftsführer eingesetzt und die Söhne von Tietz aus der Geschäftsführung verdrängt.
Während des Zweiten Weltkrieges stürzte am 23. November 1943 ein amerikanisches Kampfflugzeug in das Dachgeschoss des Kaufhauses, das infolge fast völlig ausbrannte. Der spätere Eigentümer Karg entschädigte nach Kriegsende die Tietz-Erben soweit sie die Nazi-Zeit überlebten mit einigen eigenen Warenhäusern zunächst, die er später wieder zurück kaufte. Nach dem Krieg wurde das Warenhaus rasch wieder aufgebaut und eröffnete schon am 3. Juli 1950 wieder. An diesem Tag strömten wohl bereits 180.000 Besucher, wer weiß ob dann tatsächlich Kunden, in die etwas vereinfacht wiederhergestellten Räumen, vor allem um sich mit Fett und Lebensmitteln zu versorgen. Der heutige Bau wurde dann 1956, bereits im Kalten Krieg abgeschlossen. Nach dem Bau der Mauer kam es im Warenhaus eine zeitlang zu Engpässen von zwei Seiten, die zahlreichen Verkäuferinnen aus dem Osten der Stadt, konnten nicht mehr zur Arbeit kommen, es blieben auch zahlreiche Kunden der früher wohlhabenden Gegenden um Dahlem aus, die aus der Insel Berlin weg zogen.
Während in den 70ern noch gelästert wurde, das KaDeWe sei nur noch ein gehobener Lebensmittelladen mit piefigem Kaufhausanhang, wurde in den folgenden Jahr das Niveau wieder gehoben, um sich gut im Luxussegment zu positionieren. Bei der Eröffnungsgala nach dem nun folgenden sehr kostspieligen Umbau, der das Warenhaus an der U-Bahn auch um ein Parkhaus bereicherte, war sogar der damalige Bundespräsident Walter Scheel anwesend und gab dem Haus die gewünschte Ehre, holte nach, was der Kaiser noch 1907 verweigert hatte.
Nach der Wende kam es zu einem riesigen Ansturm von Ossis, über 200.000 von ihnen sollen in den folgenden Wochen in dem Konsumtempel Gott Mammon teilweise sicher auch mit ihrem Begrüßungsgeld gehuldigt haben. Ob viele Bananen kauften, ist nicht überliefert. Von 1991-96 stockte das KaDeWe sich noch um eine Etage auf, in welche mit Glaskuppel als Wintergarten das Dachrestaurant integriert wurde. Nach der Übernahme von Hertie durch die Karstadt Gruppe, die sich irgendwann modisch Arcandor AG nannte, begleitete sie deren tragisches Schicksal um die Familie Schickedanz und den betrügerisch großmäuligen Manager Thomas Middelhoff, dem nur die Lebensgefahr nun Haftverschonung noch brachte.
Danach übernahm übrigens die Berggruen Holding des Investors Nicolas Berggruen, der inzwischen auch weiter veräußerte, aber so war das alte Warenhaus zumindest zweitweise wieder im Eigentum einer der alten jüdischen Familien Berlins. Ist doch Nicolas der Sohn von Heinz Berggruen, dem früher Berliner und Pariser Galeristen, der mit seiner wunderbaren Sammlung der klassischen Moderne Berlin so reich beschenkte und die heute im Stülerbau, gegenüber dem Schloss Charlottenburg im Museum Berggruen zu bewundern ist, in dem der Mäzen und Kunstkenner auch noch die letzten Jahre bei seinen Schätzen lebte und wo ich das Glück hatte, ihn einst zu treffen und einen Moment mit ihm über seine Schätze an den Wänden und die Geschichten der Künstler dahinter zu plaudern. Aber davon erzähle ich ein anderes mal.
Heute gehört das KaDeWe zu einer österreichischen Holding und alle wollen hoffen, dass die Zeiten in denen das Engagement von Österreichern in Berlin nichts gutes brachte, endgültig vorbei sind, es nur um Geld und Luxus geht, von dem der Besucher unverändert genug sehen kann, so er will.
Bei meinem ersten Besuch waren wir neben den kleinen Ausflügen und Verwirrungen auf dem Weg nach oben, hauptsächlich in der Lebensmittelabteilung und dort erinnere ich besonders die damals direkt nebeneinander gelegenen Bereiche für Tee und Fleisch. Der Tee zart duftend, wurde teilweise in Urnen angeboten, vor denen kleine Porzelanschälchen standen an denen der kundige Besucher schnüffeln durfte, was wer wirklich suchte. A wusste, was sie wollte und ich war vermutlich angesichts einer solch vielfältigen Entscheidung leicht überfordert, hatte die grüne Version des so britischen Earl Grey mit der halb sauren, halb bitteren Bergamotte noch nicht für mich entdeckt, dessen zarter Duft sich übrigens auch in Chanel No 5 wiederfindet.
Eindrucksvoller war noch die Präsentation des Fleischs. Wir ließen uns wunderbare Steaks zuschneiden, A wählte noch eine Lammkeule und ließ sie sich vom ausnehmend höflichen Metzger klein hacken, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, während ich den Profi fragte, ob es da bei dem Rindfleisch einen Druckfehler gäbe, das Komma verrutscht wäre, so teuer könne doch nicht mal hier sein. Doch erfuhr ich von dem lachenden Metzgersmann, es sei das Fleisch der Kobe-Rinder aus Japan, die besonders gefüttert und gepflegt würden - so bekämen sie tägliche Massagen, die dieses Fleisch besonders zart machten und tatsächlich kaufte dann eine Frau nach uns eine nicht unbeträchtliche Menge davon und wird dafür wohl mehr gezahlt haben als heute modernste Mobiltelefone kosten.
Aber Geld spielt in diesem Tempel keine Rolle, es ist ein Ort des Genusses und der Hingebung an die Sinne - an dem Brotberge im Stil alter holländischer Meister gestapelt werden. Wurst aus Deutschlands unterschiedlichen Regionen unter ihrem jeweiligen Namen an separaten Ständen oder Theken angeboten wird. Die nordische Katenrauchwurst oder die Cervelatwurst und die vielen Richtungen echten Schinkens - ich hatte einfach keine Ahnung von den wirklich wichtigen Dingen, dachte ich immer wieder und hatte meinen Wurstkonsum im Studium und die erste Zeit danach auf die abgepackten Angebote der dortigen Theken reduziert. Doch was gab es hier nicht alles zu entdecken - eine so unendliche Vielzahl von Pasteten, dass sogar die schönsten Straßburger Märkte wohl blass würden, frische Austern, neben schwimmenden Fischen und noch zuckendem Hummer, die ich alle lieber übersah, um mich auf das englische Teegebäck in der ach so britischen Verpackung zu konzentrieren.
Dazwischen immer wieder kleine Rondells und Stände an denen die typischen Westberliner, wie mir später viele versicherten, sich ihrem kleinen Luxus laut plaudernd hingaben, ein Champagner oder Pro Secco Glas in der Hand. Die Damen meist etwas zu stark geschminkt, erinnerten stärker an Düsseldorf als an Berlin, wie ich es kannte, waren aber typisch für den westlichen Vorort in dem sich die Damen eben ausgiebig anmalten, was im schlichteren Osten auch unter den dort gern flanierenden Models und Schauspielerinnen völlig verpönt ist. Die Herren häufig mit relativ weit offenen Hemden und meist zu braun gebrannt, mit ein wenig zu auffälligen Armbanduhren und Goldknöpfen an ihren Sakkos, während die unter dem Ansatz von Bierbauch zu eng sitzenden Designerjeans mit zu sichtbarem Label den krönenden Abschluss bildeten.
Es gab auch die dezenteren Herren, in Tweedsaccos, mit Cordhosen und feinden Schuhen, die Damen entsprechend, nur waren diese eher auf den Einkauf, denn den Konsum hier konzentriert, wie wir ja auch eigentlich, auch wenn ich nicht weiß, was ich trug als ich mit zumindest innerlich meist offen stehendem Mund durch die Reihen und Regale hinter A her flanierte. Wir tranken auch ein kleines Glas Cremant, aßen ein wenig Baguette an irgendeinem elsässischen Winzerstand, an dem weniger das laute Westberliner Publikum der Austern und Hummerstände und der großen Champagnerfirmen standen.
So gestärkt wirbelte A noch ein wenig mit mir durch die verschiedenen Abteilungen und ich frage mich bis heute, der ich schon mehrfach auch das KaDeWe alleine besuchte, welcher innere Kompass sie dabei wohl leitete, wo ich nur überall verwirrt staunte und aufpassen musste, damit nicht meine ewig tropfende Nase an den immer frisch polierten Scheiben platt drückte.
Natürlich wusste ich, bevor ich ins KaDeWe kam schon, dass es sehr teure Bordeauxs gab - hatte einzelne auch schon mal probiert - aber diese Preise in solcher Fülle und dann eine voll verschleierte Frau, die einem entgegen kommt und ihren Begleiter auffordert welche Flaschen er nun alle mitnehmen solle - das überstieg alles, was ich bisher kannte und dies vielleicht noch mehr auch als im Lafayette, weil diese Lebensmittelabteilung ganz oben, die natürlich Feinschmeckerabteilung heißt, einfach alles übertraf, was ich kannte, oben und nicht unten ist, am Ende eines langen Aufstiegs steht. Über 34.000 verschiedene Artikel bieten die mehr als zuvorkommenden über 500 Mitarbeiter den interessierten Kunden an, die auch noch von dem kosten können, was 110 Köche oder 40 Konditoren zubereiteten.
Fragte mich häufiger dort, ob ich es nun eher neureich und ein wenig peinlich finde, wie einige der alten Westberliner dort, die aber wohl zum Stammpublikum gehören oder doch gediegen und edel und habe mich entschieden, mich nicht zu entscheiden, da es von beidem immer viel hat, je nachdem wo ich gerade hinschaue. Peinlich sind die Damen, an den Parfüm Ständen von Joop und ähnlichen chemischen Kampfstoffen der Damenwelt meist, edel die feine rothaarige bei den englischen natürlichen Düften, die vermutlich auch französisch sind, aber es passt besser zu meinen Vorurteilen sie englisch zu nennen. Edel ist die Teeabteilung und manches in diesem Laden, in dem es einfach alles gibt. Peinlich zum fremdschämen sind dennoch viele dort immer wieder und der Flaneur, der doch die Beobachtung lieber genießt, schaut dann immer schnell weg, um sich den schönen Eindruck nicht zerstören zu lassen.
Viel später einmal war ich auch mit einer Geliebten dort, die aus dem alten Westberlin kam, aus guter Familie, irgendwann wohl mal reich war, bevor sie von Hartz IV lebte und ihre riesige Wohnung teilweise untervermietete. Sie liebte diesen Ort, kannte jeden Gang, schien mir, wusste um Angebote und was sich lohnte, zeigte mir noch ganz neue Ecke, die mich allerdings relativ wenig interessierten, war dafür zärtlich gerührt als ich ihr in der Spielzeugabteilung einen eigentlich viel zu kitschigen Bären für ihren Schlüsselbund schenkte, den sie tatsächlich daran trug, solange ich sie sah. Für sie war dieser Ort das fortbestehende Reich einer untergegangenen Welt, in der sie aufwuchs - allerdings war sie keine so große Feinschmeckerin wie A, genoss nicht mit mir den sinnlich betörenden Gang durch das Feinkostparadies und verschenkte damit den schönsten Teil dieses Hauses für mich - entsprechend verloren wir uns bald aus den Augen, auch weil ich ihre unpreußische Unpünktlichkeit nicht ertrug.
Das KaDeWe blieb, wem es auch immer gehört und wenn es Österreicher sind heute, es treffen sich die Hugenotten der feinen Familien Berlins dort gerüchteweise regelmäßig, wie es noch manche Geschichte zu diesem doch nur Warenhaus wohl zu erzählen gäbe, wie der Schweizer-Botschafter, der sich mit einer Parfüm Verkäuferin aus dem vorderen Bereich einließ und bald seinen Hut nehmen musste irgendwie, was auch fraglos eine unverzeihliche Dummheit war. Berühmt sind auch die Überfälle und Raubversuche in diesem Luxuskaufhaus, die den Dieben teilweise Millionen zumindest zeitweise einbrachten. Betrachte es heute eher als eines der vielen Berliner Museen, allerdings ohne Eintritt, sofern wir resistent gegen die dortigen Verführungen sind, in dem sich das alte Westberlin besser beobachten lässt als irgendwo sonst. Der in manchem kurzsichtige und kulturell sicher nicht besonders kompetente zufällig gerade regierende Berliner Bürgermeister mit dem ausgefallenen Namen Müller, der in typisch sozialdemokratischer Beschränkung meinte, statt des wunderbaren Museums für Sprache im Geiste des Wilhelm von Humboldt, ein weiteres Berlin Museum im bald Humboldt Forum schaffen zu müssen, wäre besser ins KaDeWe gegangen, wenn er ein solches gesucht hätte, bin aber nicht sicher, ob dies seinen Verhältnissen je entsprach. Vor allem die Selbstironie, die es erforderte, ein Kaufhaus zum Museum der Stadt zu ernennen, traue ich Müller nicht unbedingt zu, so wenig wie dem Pfarrerssohn der seine Staatskanzlei leitet und da fehlt eben heute ein großer Geist wie André Schmitz zu sehr.
Aber, bevor ich mich in den piefigen Untiefen der kleingeistigen Berliner Lokalpolitik verliere, die in vielem höchstens Kleinstadtniveau hat, schweige ich lieber auch zum Flughafen, fordere alle Berlinbesucher auf, die wissen wollen, was diese Stadt ausmacht, was sich seit der Vereinigung geändert hat und was sich nie ändert, dieses Museum des Konsums zu besuchen - nirgendwo ist Berlin mehr Berlin, ein piefiges Dorf, was gern mehr wäre.
jens tuengerthal 8.3.2017
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