Dienstag, 7. März 2017
Berlinleben 012
Überall in Berlin stolpere ich über die Spuren Preußens, aber gibt es das überhaupt noch, was ist es und woher kommt es, was hat es mit mir zu tun?
Seit ich in Berlin irgendwie angekommen bin, wurde ich gefühlt ein Preuße, ohne zu wissen, was das ist oder heißt zunächst. Manche auch der Verwandtschaft, sagten es zu mir, ich spielte damit ein wenig, weil doch der einst für Preußen vor Verdun gefallene Urgroßvater väterlicherseits einst jüngster preußischer Schuldirektor war und der Grotepater genannte Großvater dann Kadett zu Lichterfelde hier im Südwesten Berlins wurde und von dieser Zeit weniger kritisch sprach als Musil in seinem Zögling Törless, auch wenn er diesen kannte aber meinte, es sei halt ein Österreicher gewesen, kein Preuße und in diesen Worten klang mit leichtem Vibrato in der Stimme viel Stolz mit.
An der Beerdigung des Großvaters, neun Jahre bevor ich nach Berlin zog, gab es noch einen Kranz seiner Kadettenkameraden, deren Reihen sich vermutlich auch sehr gelichtet haben dürften, klein, mit schwarz-weißer Binde, künstlichem Eichenlaub und dem Wappen der königlichen Kadetten. Seine Söhne lästerten darüber ein wenig, aber hatten doch dem toten Alten noch genug Respekt gegenüber, den Kranz auf dem Grab zu drapieren und meine Großmutter nahm ihn später mit und er lag lange im Arbeitszimmer von Grotepater als Erinnerung an den toten Großvater und den untergegangenen Staat.
Die Gläser mit dem Wappen der Kadetten hat, nachdem auch die Großmutter verstarb und das Haus aufgelöst wurde, mein Onkel in Mecklenburg übernommen und wenn wir uns jedes Jahr an Ostern dort treffen, habe ich immer ein lächerlich feierliches Gefühl, wenn ich sie zum großen Frühstück decke - sie waren etwas besonderes und standen für eine Tradition, die der Großvater hochhielt, die seine Söhne als vorgestrig eher ansahen, weil sie in ihrer Jugend genug unter den Sprüchen gelitten hatten.
Im Studium hatte ich einen guten Freund, der es blieb, und der aus einer der wichtigsten preußischen Familien stammt, mit ganz vielem, was preußische Geschichte ausmacht, verwandt ist und einer der gebildetsten und kultiviertesten Menschen ist, die ich je kennenlernte - was ich auch über seinen sehr feinsinnigen Vater sagen würde, die noch für das klassische Bildungsideal in Persona standen.
Über meine Großmutter mütterlicherseits und meine Mutter hatte ich auch einige Preußengeschichten gehört - die Kinder des Kronprinzen, gäbe es noch einen Kaiser, waren nach dem Krieg nach Bremen gezogen und Prinz Louis-Ferdinand und seine Frau Prinzessin Kira, eine geborene Romanow, waren Freunde meiner Großeltern. Mit dem musikalischen Loui-Ferdinand spielte meine im Gegensatz zu mir begabte Großmutter vierhändig Klavier und mit Kira und ihrem Mann Bridge, außerdem sammelten sie für irgendwelche wohltätigen Zwecke unter den reichen Bremer Pfeffersäcken und auch wenn Adel in der Hansestadt natürlich nichts galt, war das Auftreten mit der Prinzessin zum Betteln wohl immer sehr wirkungsvoll.
Dagegen erzählte meine Mutter eher locker über die Preußenprinzen, mit denen sie in der Tanzstunde war, die zwar heftig wohl flirteten, die sie aber weder besonders attraktiv noch gerade für intelligent hielt und sich darum auch auf Rat ihrer Mutter stark zurückhielt. Kira starb kurz vor meiner Geburt hat aber meiner Mutter noch zur Verlobung eine Kette geschenkt und wer weiß, vielleicht trägt eines Tages meine Tochter diese.
Die Großmutter war im damals preußischen Hannover noch die ersten Jahre groß geworden und gerne erzählte sie immer wieder die Geschichte, wie sie als junges Schulmädchen dem heimkehrenden Generalfeldmarschall Hindenburg die Blumen überreichen durfte und wie er dann die kleine Edith, die er ja als Nachbarskind gut kannte, in seiner Kutsche mit nach Hause nahm, worauf sie vermutlich vor Stolz platzte, zumindest erzählte sie es noch bis ins sehr hohe Alter ihren Enkeln immer wieder gerne, wenn wir sie daran erinnerten und strahlte dann ganz glücklich.
So war ich von allen möglichen Seiten preußisch vorbelastet als ich nach Berlin kam und hatte ein relativ positives Bild von Preußen, brachte es vor allem nicht mit dem peinlichen Österreicher in Verbindung, der aus Bayern kommend mit seiner rassistischen Partei einst Deutschland eroberte und vernichtete. So gesehen war der Herr Hitler aus Braunau Maria-Theresias Rache an Friedrich dem Großen - heirate glückliches Österreich, hieß es immer, nachdem sie ihr Reich so unglaublich erweiterten von Burgund bis Spanien - was Preußen gewann, wurde erfochten, ist lange behauptet worden in den drei schlesischen Kriegen und auch das ist Unsinn, der größte Zuwachs wurde friedlich erhandelt, alles was sie erfochten, brachte nur Ärger.
Gibt es Preußen noch oder ist es nur ein schreckliches Gespenst der deutschen Geschichte?
Politisch wurde es von den Alliierten nach dem 2. Weltkrieg endgültig beerdigt. Der Entschluss dazu war schon auf den Konferenzen von Teheran und Jalta während des Krieges gefallen, wurde im ach so preußischen Potsdam 1945 besiegelt und damit war ein wichtiger Teil deutscher Identität für eine lange Zeit und eine große Menge an Menschen plötzlich verschwunden.
Die einen wurden Bundesbürger, die anderen Einwohner der DDR, die ja alles andere als bürgerlich sein wollte und dafür die real existierende Kleinbürgerlichkeit in ihres Staates engen Grenzen kultivierte, preußische Disziplin militärisch hochhielten. Preußen gab es noch in Sportvereinen, die zur Zeit von Preußens größter Ausdehnung, von der Memel bis über den Rhein und von Holstein bis zum Main, gegründet wurden - Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach zählen dazu.
Was heißt dies Preußen überhaupt und woher kommt es?
Zunächst bezeichnete es das Land der Pruzzen, irgendwo im Gebiet im und um das frühere Ostpreußen. Dies war das sogenannte Deutschordensland, ein Gebiet im Nordosten, in das sich zur Zeit der Kreuzzüge ein Orden deutscher Ritter mit strengen Regeln aufgemacht hatte, es zu christianisieren und zu kolonisieren. Sie bauten Ordensburgern und so begann die Besiedlung Ostpreußens, das noch nicht so hieß und des Baltikums, was erklärt, warum so viele baltische Ritter noch deutsche Verwandtschaft haben und eng hier eingebunden wurden.
Dieser kleine nordöstliche Flecken mit schönstem Land zu dem auch die Stadt Königsberg gehörte und die kurische Nehrung, auf der Thomas Mann in Nidden sein Sommerhaus hatte war Kernland des Deutschen Ordens, über das sie später mehr oder weniger erfolgreich mit den Polen stritten. Großmeister dieses Ritterordens, der sich irgendwann immer mehr säkularisierte war schon lange meist ein Hohenzoller, die als Burggrafen von Nürnberg einst vom Kaiser die Kurwürde von Brandenburg verliehen bekommen hatten. Damals wurde natürlich noch nicht darüber gestritten, ob Berlin zu Brandenburg gehörte, wer den dortigen Flughafen baut und ähnliche brandaktuelle Fragen, die so typisch für den sozialdemokratischen Sumpf unserer Tage sind.
Irgendwann kam der Ritterorden und sein säkularisiertes Gebiet dann nach dem letzten Großmeister an die märkischen Hohenzollern und sollte in der weiteren Geschichte, des Staates, der einmal Preußen genannt wurde, eine große Rolle spielen, war zuerst aber nur eine schwer zu erreichende östliche Provinz, den Balten benachbart, von polnischen Gebieten umgeben, dessen König zur Huldigung verpflichtet.
Der neue Kurfürst musste sich erst mühsam Respekt verschaffen bei den dort relativ wild und ungestört hausenden Raubrittern, womit sich zumindest in Brandenburg weniger geändert hat als in Berlin. Berlin war ein kleiner Flecken am Ufer der Spree, die Insel im Fluss hieß Cölln und auch sonst war noch nicht viel los im sandigen Land zwischen Spree, Havel und Elbe. Es dauerte, bis es sich etablierte und nicht mehr nur noch von seinen Gegnern beim Durchmarsch als Kleinster verprügelt wurde, wie es den Märkern, wie die noch nicht Preußen damals hießen, weil sie aus dem Kurfürstentum Mark Brandenburg kamen, immer wieder passierte.
Besonders im Dreißigjährigen Krieg als Wallenstein für den Kaiser und sich Mecklenburg eroberte und in Güstrow residierte, brannte im protestantischen Brandenburg manche Stadt mehrfach ab, die Seuchen taten ein übriges und so war als 1648 in Osnabrück endlich Frieden geschlossen wurde - in Münster ging es ja mehr um die Niederlande - eine gebeutelte Provinz übrig, die nur durch ihre Kurwürde für die Protestanten eine gewisse machtpolitische Bedeutung hatte. Die Schweden besetzten manches im Norden und bekamen einige auch freie Hansestädte wie Wismar und Bremen zu Diensten, saßen in Pommern bis dicht an die preußische Grenze. Kein Wunder also, dass es mit dem Landbesetzer zu Konflikten kam. Friedrich Wilhelm, der später der große Kurfürst genannt wurde, hat dabei zuerst mit einer Schaukeldiplomatie versucht, die ausgeblutete Mark zu stabilisieren. Er baute dann ein stehendes Heer und, oh Wunder, schlug die vielfach überlegen geglaubten Schweden bei Fehrbellin. Eigentlich nur eine kleine und unbedeutende Schlacht im Jahre 1675, gemessen an der Zahl der Teilnehmer, wurde sie für die Mark zum Gründungsmythos. Es fielen in dieser Schlacht 4000 Schweden aber nur 500 Märker, dank kluger Taktik des Kurfürsten und seines Feldmarschalls Derfflinger. Bei den Schweden kommandierte nicht so glücklich Feldmarschall Wrangel.
Der später der Große Kurfürst genannte Friedrich Wilhelm bewegte dann noch mit seiner nassauischen Gattin aus den Niederlanden, Luise Henriette eine Menge auch geistig in der staubigen und verödeten Mark, machte sich sogar zeitweise daran eine kurbrandenburgische Marine, allerdings ziemlich erfolglos, aufzubauen und sicherte sich erste Kolonien in Westafrika und Westindien, nahm wie damals üblich auch erfolgreich am Sklavenhandel teil und gab dem Land und seiner Hauptstadt immer mehr Bedeutung.
In besonderer Erinnerung ist dabei das kurbrandenburgische Toleranzedikt von 1685, das Edikt von Potsdam auch genannt, demgemäß allen verfolgten Protestanten die Ansiedlung gestattet wurde. Damit antwortete er auf das Edikt von Fontainebleau des französischen Königs Ludwigs XIV. und bot den von diesem engstirnigen Enkel des toleranten Henry IV. vertriebenen Hugenotten im Geiste der Toleranz als protestantischen Glaubensbrüdern Zuflucht und bereicherte damit sein im langen Krieg wohl am meisten ausgeblutetes Land nachhaltig und sehr.
Die Hugenotten prägten das spätere Preußen, spielten eine große Rolle im Militär wie in der Kultur, denken wir nur an den preußischen Schriftsteller schlechthin, Theodor Fontane, der immer wieder stolz von seinen hugenottischen Wurzeln erzählt. Auch die Großmutter meiner Großmutter aus Bremen, von der ich anfangs erzählte, war eine stolze Hugenottin, also meine Ururgroßmutter, und wollte so nach den Erzählungen meiner Omi immer Grandmere genannt werden und plauderte lieber französisch. Es ist dieser eigene Stolz der französischen Umsiedler und Protestanten, die unter Friedrich dem Großen auch einen eigenen, eben den französischen Dom an Berlins Gendarmenmarkt bekamen, der sie so stark und wichtig auch machte. Noch heute treffen sie sich an bestimmten Tagen im KaDeWe in der Lebensmittelabteilung, um es sich miteinander bei feinem französischen Essen gut gehen zu lassen.
Dem Großen Kurfürsten gelang es schließlich in langen Verhandlungen auch das Herzogtum Preußen aus polnischer Oberhoheit zu lösen und dessen Souveränität anerkennen zu lassen, womit er die Voraussetzung für die spätere Krönung seines Sohnes Friedrich I. in Königsberg zum ersten König in Preußen schuf.
Dieser auch sonst kulturell und als Bauherr sehr umtriebige Kurfürst wollte unbedingt König werden, wie Erdogan der Türke gerne die Präsidialrepublik möchte, nur bezahlte er ehrlich dafür und richtete damit zunächst keinen weiteren Schaden an. Der Kaiser und der König von Polen gestatteten es ihm und er nannte sich nach der Krönung König in Preußen - denn von Preußen gab es noch nicht. Bis es soweit war, dauerte noch bis ins hohe Alter von dessen wiederum Enkel Friedrich II., dem wohl größten Herrscher der Hohenzollern neben dem Großen Kurfürsten.
Bevor dieser an die Krone kam, ließ sich nur noch sein sparsamer Vater Friedrich Wilhelm I nicht in Königsberg krönen, weil zu teuer, gab viel Geld nur für sein liebstes Hobby aus, die langen Kerls, was besonders groß gewachsene Gardesoldaten waren, die eben Gardemaß hatten. Der unmusikalische und etwas grobe Friedrich Wilhelm I. erniedrigte seinen Sohn Friedrich so lange, bis dieser in Absprache mit seinem Freund Katte die Flucht ergriff. Friedrich weilte damals übrigens in der Kurpfalz und wollte den Fluchtversuch unweit des heutigen Wohnortes meiner Eltern beginnen, was aber gehörig mißlang und Katte sogar den Kopf kostete. Der gnadenlose Vater zwang den seiner Meinung nach verweichlichten Sohn sogar dazu das Schauspiel der Hinrichtung von seiner Zelle, in der er ihn hatte inhaftieren lassen, mitzuverfolgen.
Danach versuchte Friedrich keinen Widerstand mehr, heiratete auch die vom Vater gewünschte Prinzessin Elisabeth-Christine, eine Welfin von Braunschweig-Bevern, die er langweilig, ungebildet, hässlich und noch dazu gläubig fand und die der eigentliche Grund der Flucht angeblich war, weil Fritz es auf die Tochter des Königs von England abgesehen hatte. Ob er ernsthaft glaubte, sein englischer Onkel würde dem flüchtigen Kronprinzen die Tochter zur Frau geben, also eine der gerade besten protestantischen Partien auf dem Markt, scheint mir etwas naiv. Was er tatsächlich wollte, außer erstmal weg vom fiesen schlechtgelaunten Vater, der keinen Sinn für die Kunst hatte und dem Prinzen das geliebte Flötenspiel verbat, weiß ich nicht und wird wohl keiner je erfahren, was die Geschichte darüber schreibt ist ja bekannt. Der Alte hätte seinen Sohn vermutlich gleich mit dem Degen niedergestreckt, wäre nicht einer seiner Offiziere mit seinem Körper dazwischen getreten, erzählt die preußische Legende und passt aber auch zum sonst Charakter des Cholerikers Friedrich Wilhelm.
Friedrich lebte mit Elisabeth-Christine die ersten Jahre zusammen in Schloss Rheinsberg, das ihm der Vater geschenkt und ich meine Knobelsdorf noch in schönster Form umgebaut hat. Bis heute ist das am See mitten im Wald gelegene Schlösschen ein Ort zauberhaftester Romantik, an den alle Verliebten einmal fahren sollten. Es ist von Berlin über Neuruppin erreichbar, einem anderen zauberhaften Ort am Ruppiner See gelegen und zugleich der Geburtsort des großen Fontane, der viel in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg über die Schönheit der Umgebung erzählt. Dort lebte er das Leben, von dem er geträumt hatte, schrieb den Antimachiavell und erste atheistische Schriften, die später dezent verschwanden, komponierte, spielte viel Flöte, lud Voltaire ein, der auch eine zeitlang kam, scharte seine Freunde um sich und besuchte so gut gelaunt sogar gelegentlich noch des Nachts seine Frau in ihrem Schafgemach, was später eher nicht mehr vorkam.
Kaum König, nach dem Tod des Vaters 1740, zog Friedrich in den Krieg und eroberte in einer Art Blitzkrieg Schlesien, weil sich die Gelegenheit bot und er wusste, wie schwach Maria Theresia gerade war, die als Erzherzogin und Königin von Ungarn durch die für Österreich sehr teure pragmatische Sanktion erst dem Wunsch ihres Vaters gemäß an die Krone gelangt war, die sonst der bayerische Vetter oder Schwager beansprucht hätte. Er konnte das, weil sein Vater so sparsam war, ihm eine große bestens trainierte Armee hinterließ und eine gut gefüllte Kasse. Die langen Kerls entließ er, wenn er sie nicht zuvor in Feldzügen verfeuerte - die Show interessierte ihn nicht.
Drei Kriege führte Friedrich um dies Stück Schlesien, was Maria Theresia so ärgerte, im letzten, auch siebenjähriger Krieg genannten großen Schlachten, kämpfte er nahezu gegen fast den Rest Europas, außer England, das aber in den USA und Indien genug beschäftigt nebenbei war, keine große Hilfe leistete. Ein juristischer Anspruch auf dies Stück Land konnte konstruiert werden, blieb aber nur konstruiert und wurde auch von Friedrich nicht weiter ernst genommen - er wollte es, er konnte es, er tat es und legte damit die Basis für die späteren militärischen Erfolge Preußens und dessen Vormacht im Reich.
Als er um Schlesien aber sich noch mit Maria Theresia stritt und der Zarin Elisabeth hatten die Österreicher über die Geliebte Ludwigs XV., die berühmte Madame Pompadour, noch ein Bündnis mit Frankreich zu ungunsten Friedrichs eingefädelt, was auch so leicht gelang, weil sich Frankreich und England in Amerika noch stritten und Friedrich es den Damen leicht machte, ihn nicht zu mögen. Friedrich sprach, wenn von den drei Damen die Rede war, nur von den 3 Erzhuren, gegen die er sich verteidigen müsse.
Er tat das mal erfolgreicher, mal weniger erfolgreich, immer persönlich beteiligt, war manchmal nur gerade so noch gerettet worden, seine angeschossene Kautabakdose erzählt davon Bände. Am Ende einigte er sich mit dem Sohn der Maria Theresia, dem späteren Kaiser Josef und den anderen in Hubertusburg auf einen Frieden, mit dem Preußen Schlesien behielt und ansonsten alles wurde wie vor dem Krieg.
Zu diesem Frieden kam es nur, nachdem Russland bereits aus dem Krieg ausstieg, der zunächst Erbe Zar Peter dem von ihm bewunderten Friedrich sofort die Hand reichte und auch dessen Gattin Katharina, die später die Große genannt wurde, nach der Beseitigung ihres Gattens nichts an dessen Plänen änderte. Eine wichtige Rolle dabei spielte wohl auch, dass Katharina, als sie noch askanische Prinzessin am preußischen Hof war, mit Heinrich dem jüngeren Bruder Friedrichs eng befreundet war. Sie kannten sich aus Kindertagen.
Die große Reformerin Russlands, die heute noch auf dem Schreibtisch der Kanzlerin steht, schätzte wie Friedrich die Ideale der Aufklärung und förderte etwa die Erstellung der Enzyklopädie durch Diderot, in dem sie diesem zu Lebzeiten seine Bibliothek abkaufte, sie in seinen Händen beließ und ihn sogar noch als Bibliothekar dafür großzügig bezahlte. Damit hat sie den Geist, gefördert, der später zur Revolution führte und der sich zuvor schon in vielen Diskussionen im Salon des Baron d'Holbach geäußert hatte, der von Freiheit und Menschenrechten kündete, wie sie erstmals in der amerikanischen Verfassung Realität wurde, die derzeit von einem peinlichen Neureichen, der sich im genauen Gegenteil zur gebildeten Kanzlerin auch noch rühmt, kein Buch gelesen zu haben, im Amt gefährdet fast scheint.
Als Friedrich in Hubertusburg Frieden schloss, war er noch König in Preußen, jenem früheren Herzogtum, dass sein Urgroßvater der Große Kurfürst erst selbständig gemacht hatte. In den folgenden Jahren des Friedens und Wiederaufbaus nach zu langen Kriegen, errichtete Friedrich in Potsdam das protzige Neue Palais im Stile von Versailles. Groß, ein wenig überladen, teilweise geschmacklos, dennoch in den Park wunderbar integriert und genau den Zweck erfüllend, den es sollte, vielen Menschen über Jahre Arbeit gebend. Der Bau interessierte Friedrich nicht weiter. Er lebte nie dort. Bevorzugte sein Sanssouci am anderen Ende des Parks. Jenes kleine Rokoko Schloss, dass er sich kurz nach seiner Krönung auf der Spitze des Weinbergs errichtet hatte. Es war schnell und billig gebaut worden, hatte keinen Keller, war im Winter nicht zu heizen, dann zog Friedrich in das gerade wieder errichtete Potsdamer Stadtschloss. Aber es lag oben auf dem Weinberg, bot einen zauberhaften Blick, auch wenn er die ihn mit ihrem Klappern nervende Mühle nebenan nicht los wurde, diesen Ort liebte er. Ob er sie wirklich loswerden wollte, ist eine der ungeklärten preußischen Sagen. Dorthin lud er Voltaire, mit dem er sich wunderbar zerstritt, über Geiz und Spott, da hielt er seine Tafelrunde mit alten Offizieren und jüngeren Musikern, dort besuchte ihn Bach. Seine Windspiele ließ er auf der Terrasse dieses netten Sommerschlösschens beerdigen und wollte auch selbst eines Tages dort neben seinen Hunden bestattet werden - diesen Wunsch sollte ihm erst nach der Wende 1990 Helmut Kohl erfüllen und immer noch finden sich auf seinem Grab Kartoffeln der dankbaren Märker, die ihren großen König in Ehren halten.
Kartoffeln übrigens weil Friedrich gegen großen Widerstand erst die Kartoffel erfolgreich in seinen Ländern einführte. Zu Friedrich gibt es noch viele Geschichten und Anekdoten, die gut zeigen, was das alte Preußen ausmachte und in Potsdam wird dieses Kulturpreußen auch noch an vielen Orten sichtbar, ist dieses einst preußische Arkadien nahe dem Wasser gebaut noch wunderbar präsent.
Friedrich baute viel in Berlin, auch wenn er ungern da war, außer in der Oper, die er auch bauen ließ. Genau wie das Forum Fridericianum und dem Gendarmenmarkt. Das Schloss in dem seine Mutter lebte, die er lieber als seine Frau Elisabeth Christine besuchte, war Monbijou gegenüber der Museumsinsel gelegen und ist heute leider verschwunden. Die schlecht behandelte Ehefrau lebte im Sommer, während ihr Gatte, den sie so selten sah, in Sanssouci war, in Schloß Schönhausen inmitten des heutigen Pankow und vermutlich war es damals dort ähnlich spannend wie heute, nichts zumindest was den regen Geist Friedrich reizte. Im Winter lebte die Königin im Stadtschloss in Berlin, manchmal kam Fritz zu Besuch, wenn er in die Oper ging, sie war angeblich immer sehr angetan und freundlich, voller Liebe, er ertrug es, allerdings nicht unbedingt zartfühlend und höflich.
König von Preußen und damit die Mark plötzlich Teil des Königreich wurde Fritz mit der ersten polnischen Teilung, die Katharina die Große, Maria Theresia und er im Einvernehmen aushandelten. Alle drei Staaten schnitten sich an ihren Grenzen ein erstes Stück vom polnischen Braten ab und bei Preußen führte dies dazu, dass die Landverbindung zwischen der Mark und Ostpreußen geschlossen wurde und damit eben Friedrich sich König von Preußen nennen konnte. Neben dem König von Böhmen war er damit der zweite König im Deutschen Reich, das wenige Jahre später nach den Siegen Napoleons dann mit dem Reichsdeputationshauptschluss endgültig untergehen sollte. Vielleicht ist dies schon eine Art Vorspiel des baldigen Untergangs, der aber noch eine Revolution in Frankreich und den genialen Korsen als Sieger brauchte.
Zum 300. Geburtstag Friedrichs 2012 gab es in Potsdam und Berlin die große Friedrisiko Ausstellung, die ich mit meinem lieben Freund M besuchte, der von beiden Seiten her mit vielen die Preußens Größe ausmachten, verwandt ist. Fünf Stunden liefen wir durch das frisch sanierte Neue Palais und ich erfuhr neben der großartigen Ausstellung noch manche interne Anekdote aus der Familie und fühlte mich der Geschichte der Preußen auch persönlich plötzlich wieder sehr innig verbunden. Später beim Abendessen auf der Terrasse im Haus seiner Eltern trug sein ebenfalls enzyklopädisch gebildetet Vater noch einiges dazu bei, wenn wir auch, zugegeben eines, lustvollen Spaziergangs durch den Park von Sanssouci wegen, leider unhöflich einiges zu spät kamen. Der vielfältige Fritz wurde so wieder sehr lebendig und ich war glücklich die gelebte preußische Geschichte so nah erleben zu dürfen, weil Geschichte eben immer erst durch die Personen, die in ihr handeln, Flügel bekommt und zwischen den Zeiten schweben lässt.
Auf den einerseits musischen und andererseits auch asketischen, soldatisch genialen Friedrich folgte, nachdem dieser im hohen Alter gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch vor der französischen Revolution verstarb dessen Neffe Friedrich Wilhelm II. - genannt der Dicke. Dieser auch sehr kulturbeflissene Monarch, der seiner Geliebten, der berühmten Wilhelmine von Encke wegen verschrien war, bewegte viel für Preußen und schuf die Voraussetzungen für den Aufstieg nach dem Untergang. Er wird häufig unterschätzt, weil er mit seiner etwas verrückten Neigung zum Spirituellen und dem prächtigen Grabmal seines unehelichen Sohnes, des Grafen von der Mark, als eher oberflächlich galt, holte aber einige der später wichtigsten Köpfe nach Berlin und ließ sie dort groß werden. Er kam auch in die Vergünstigung zweier weiterer polnischer Teilungen und erweiterte damit das preußische Staatsgebiet enorm. Er regierte jedoch nur 11 Jahre vom Tod Friedrichs II. 1786 bis 1797
Sein Sohn, wiederum Friedrich Wilhelm und als König III. wurde vor allem für seine Frau die einst mecklenburgische Prinzessin Louise berühmt, die im Rahmen der napoleonischen Kriege an einer Lungenentzündung starb, ihm vorher aber noch genug Erben in die Welt setzte. Unter anderem die beiden späteren Könige Friedrich Wilhelm IV und Wilhelm I. - womit wir schon beim vorletzten preußischen König überhaupt angekommen wären bis jetzt.
Nach der Revolution in Frankreich war es bald zum Krieg gekommen, in dem Österreich und Preußen plötzlich verbündet waren. Hier zog euch Sachsen-Weimar an der Seite Preußens in den Krieg, die mit Österreich in der Kanonade von Valmy unterlagen bei der Goethe seinen Herzog begleitete und die berühmten Worte aussprach, dass von dort eine neue Epoche der Weltgeschichte ausgehe. Nach dem folgenden Frieden von Basel hielt sich Preußen erstmal aus allen Auseinandersetzungen mit dem revolutionären Frankreich heraus.
Zwischen 1795 und 1806 profitierte Preußen von einer Politik, die Frankreich unterstützte und wurde so zur faktischen Vormacht im Norden Deutschlands. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erhielt es dann zahlreiche säkularisierte Hochstifte und Bistümer - wie Münster, Hildesheim und Paderborn, sowie weitere Gebiete zur Entschädigung für die verlorenen linksrheinischen Gebiete, die zu dieser Zeit an Frankreich gingen. Dadurch wuchs Preußens Fläche um 3% und seine Einwohner sogar um 5%. Kurzfristig besetzte es sogar das mit Großbritannien verbundene Kurfürstentum Hannover.
Schon 1806 aber scheiterten die Verhandlungen mit Frankreich über die weitere Aufteilung Deutschlands und in der Schlacht von Jena und Auerstedt, erlitt Preußen eine vernichtende Niederlage in deren Vorgeplänkel auch der berühmte Prinz Louis Ferdinand ums Leben kam, der auch der Geliebte von Prinzessin Charlotte, der Schwester der berühmten Königin Louise war. In dem folgenden Frieden von Tilsit, den Napoleon und Friedrich Wilhelm III. in Tilsit auf einem Floß aushandelten verlor Preußen trotz Louises vorheriger flehentlicher Bitte beim französischen Eroberer im Gespräch mit Napoleon fast die Hälfte seiner Gebiete - musste die durch die zweite und dritte polnische Teilung gewonnenen Gebiete abgeben und alle Länder westlich der Elbe. Zugleich musste es hohe Kontributionen zahlen und fremde französische Truppen verpflegen, wurde zum quasi Pufferstaat zwischen Frankreich und Russland.
Nach der als schmachvoll für Preußen empfundenen Niederlage begann unter Friedrich Wilhelm III. ein Erneuerungsprozess, der vor allem durch die Reformer vom Stein und Scharnhorst geprägt war. Später musste der geniale Stein auf Druck Napoleons durch den eher Lebemann Hardenberg ersetzt werden, der aber den von Stein gewiesenen Weg weiterging. Es begann 1807 mit der Bauernbefreiung, durch welche die Leibeigenschaft in Preußen aufgehoben wurde. Es folgten sehr bald 1808 die kommunale Selbstverwaltung und 1810 die Gewerbefreiheit. Der vorher Botschafter in Rom Wilhelm von Humboldt gestaltete das Bildungswesen völlig neu und gründete 1809 die erste Berliner Universität, die heute seinen Namen trägt. Die Reform des Heeres durch Scharnhorst wurde 1813 dann durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht abgeschlossen.
Ganz wunderbar beschreibt diese großen Veränderungen Günther de Bruyn, auch er wieder ein großer preußischer Schriftsteller mit hugenottischen Vorfahren, in seinen beiden Büchern Als Poesie gut und In Zeiten schwerer Not, welche die Phase von 1786 bis 1815 beschreiben und viele Geschichten zu den handelnden Personen nebenbei erzählen und die jedem, den das Thema weiter interessiert, dringend empfohlen sein.
Auch wenn Preußen noch mit Napoleon 1812 gegen Russland ziehen musste, hatten die Reformen die Grundlage dafür gelegt, dass Preußen später zum Sieger der Völkerschlacht bei Leipzig wurde, die Napoleons Rückzug erstmals erzwang.
Während des Russlandfeldzuges schloss der preußische Generalleutnant Graf Yorck, der Begründer des Geschlechts der Yorck von Wartenburgs, mit denen der Freund, mit dem ich bei Friederisiko war, auch verwandt ist, der nach vorheriger Degradierung und Festungshaft noch unter Friedrich dem Großen bei dessen Neffen eine steile Karriere machte, am 30. Dezember 1812 mit dem in russischen Diensten stehenden General Hans von Diebitsch die Konvention von Tauroggen, die ein faktisches Bündnis mit Russland bedeutete. Dies geschah ohne Wissen seines Königs, der noch zwischen Treue zu Frankreich und Widerstand schwankte und sogar zunächst gegen dessen Willen, hätte zu ernsten Konsequenzen führen können, die Yorck vom richtigen Weg überzeugt als persönliches Risiko bewusst riskierte.
Dieser Ungehorsam zum Wohle der Sache, eine Art gerechter Widerstandsgeist auch auf höchster militärischer Ebene, steht für etwas, was den preußischen Geist entscheidend ausmacht. Auch zu Friedrichs Zeiten widerstand trotz folgender Degradierung ein General dem Befehl des Königs, den er als unehrenhaft empfand und diese Geschichte wurde dann auch als Ausdruck von Ehre auf seinem Grabstein vermerkt. Er zeigte sich auch bei den Offizieren der Wehrmacht um das Attentat vom 20. Juli 1944, das auch eine viel längere Vorgeschichte insbesondere um Henning von Tresckow hatte, aber auch im Kreisauer Kreis, dessen Kopf Helmuth James von Moltke, ein Nachfahr des Großen Feldmarschalls mit Peter Yorck von Wartenburg, einem Nachfahren des obigen Generals, der den Wechsel der Koalition eigenmächtig beschloss, aber ein Attentat zur Vermeidung einer künftigen Dolchstoßlegende ablehnte.
Preußen ist also nicht nur der Kadavergehorsam als den die Alliierten es verurteilten und für die der Vernichtungsfeldzug im Osten und der Holocaust die erschreckendsten Beispiele sind, welche die unmenschlichen Ideen des Österreichers umsetzten, sondern Preußen steht auch für bewussten Widerstand und Reformen zur Freiheit, was nach 1945 gerne und lange ausgeblendet wurde, weil es nicht in das Bild der Zeit passte.
Als sich der unschlüssige und immer trauernde Witwer seiner geliebten Louise Friedrich Wilhelm III. endlich im März 1813 in dem in der Schlesischen privilegierten Zeitung gedruckten Aufruf ‘An mein Volk’ endlich zum Widerstand entschloss, war die Stimmung längst gegen Napoleon gekippt. Unter Blücher und Gneisenau gelang in der Völkerschlacht bei Leipzig dann der entscheidende Sieg gegen Napoleon, der bei Waterloo noch bestätigt wurde, als ein Brite noch hoffte, dass es Nacht wird und die Preußen kommen, wie verbürgt dies angebliche Zitat von Wellington auch immer sein mag.
Auf dem 1815 folgenden Wiener Kongress, der auch bekannt dafür ist, dass er gerne tanzte, erhielt Preußen den Großteil seines seit 1807 bestehenden Staatsgebietes zurück. Neu hinzu kamen noch das ehemals schwedische Vorpommern, Teile des nördlichen Sachsens, Westfalen und die Rheinprovinz, die mit mächtigen Festungen etwa in Koblenz gesichert wurden.
Der König hatte dem Volk vor den Befreiungskriegen das Versprechen einer Verfassung und liberaler Reformen gegeben, die viele zur begeisterten Teilnahme motivierten, aber danach nie eingelöst wurden. So wuchs auch im angeblich immer gehorsamen preußischen Volk der Widerstandsgeist, da auch, anders als in den meisten anderen deutschen Staaten, keine Volksvertretung geschaffen wurde.
Um die Demokratiebewegung in ganz Europa weiter zu unterdrücken war die Heilige Allianz gegründet worden vom Preußen, Russland und Österreich. Dieser zunächst erfolgreichen reaktionären Bewegung standen jedoch starke ökonomische Zwänge entgegen. Preußen hatte aufgrund der Zweiteilung seines Staatsgebietes ein starkes persönliches Interesse an der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands, da das Deutsche Reich ja seit 1803 de facto nicht mehr bestand. So wurde es zu einer der treibenden Kräfte des deutschen Zollvereins, dem es 1834 selbst beitrat.
Mit dem Erfolg des Zollvereins wurde Preußen für viele zur Macht der Zukunft, die Österreich ablösen und Deutschland wieder einen sollte, dass es nach Napoleon so nicht mehr gab. Diese Hoffnung wollte die preußische Regierung jedoch nicht erfüllen. Auch der Regierungsantritt von Friedrich Wilhelm IV. erfüllte die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht, auch er verweigerte liberale Reformen, stand nur im Konflikt mit den preußischen Landtag, da er für die vom Militär geforderte Eisenbahn im Osten große Geldmittel brauchte. Der Landtag forderte neben dem Etatbewilligungsrecht auch eine Kontrolle der Staatsfinanzen, warum der König ihn bald wieder auflösen ließ, was jedoch verdeutlicht, Preußen stand schon vor den Ereignissen des revolutionären Jahres 1848 vor einem internen Verfassungskonflikt und es ging natürlich ums Geld fürs Militär, woran heutige Beobachter erkennen, viele Ding ändern sich nie.
Die revolutionäre Bewegung, die 1848 ganz Europa erfasste, erreichte am 18. März des Jahres auch Preußen. Nachdem der König zunächst auf die Aufständischen hatte schießen lassen mit zahlreichen Opfern, suchte er einen Kompromiss. Den Friedhof der Märzgefallenen im Berliner Friedrichshain gibt es immer noch und es ist eine Schande für alle demokratischen Parteien, dass die Nachfolgeorganisation der totalitären SED, die sogenannte Linke, immer noch das Gedenken dort fast alleine bestreitet und für ihre Zwecke instrumentalisieren kann, statt dass sich die Bundesrepublik stolz zu ihren demokratischen Vorgängern und ihrer Geschichte bekennt. Auch die Diktatur der SED in der DDR wurde durch eine bürgerliche Volksbewegung im vermeintlichen Arbeiter und Bauern Staat beseitigt, warum es eine noch traurigere Ironie der Geschichte ist, wenn die Erben der Mauerbauer eine Freiheitsbewegung für sich beanspruchen, doch scheint die Sensibilität für demokratische Prozesse in Deutschland nicht besonders ausgeprägt und die SPD legt sich lieber, um der Macht willen, mit der Linken ins Bett, statt die Freiheit laut zu verteidigen.
Der Aufstand in Berlin wurde teilweise niedergeschlagen, erfolgreich und unbesiegt, neben einigen Aufständen in den Außenbezirken blieb jedoch allein die Barrikade am heutigen Alexanderplatz, die etwa auf der Höhe des heutigen Alexa Konsumtempels die Straße zum Schloss blockierte. Diese lag direkt an der Apotheke in der zu dieser Zeit der gerade aus Leipzig in die Stadt gezogene junge Apotheker Theodor Fontane arbeitete. Er hatte schon einige revolutionäre Wandzeitungen mitverfasst und gehört zu den Kämpfern der ersten Stunde. Genau wie der berühmte Arzt Virchow, der um die Barrikade nahe der Charité verteidigte. Fontane tauchte danach einige Zeit bei den Nonnen unter und Virchow ließ sich nach Erlangen abwerben - erst später kaufte Berlin sein Genie mit teuren Versprechungen zurück. Zu den Kreisen der freien Geister, die sich im Tunnel an der Spree trafen, gehörten auch Gutzkow und der Maler Menzel, der allerdings am 18. März noch nicht in Berlin war, sondern erst einige Tage später aus Hamburg zurückkehrte, wo in der Gemäldegalerie heute noch sein Bild von der Aufbahrung der Märzgefallenen am Gendarmenmarkt hängt.
Die Revolution setzte ein Parlament durch, die Preußische Nationalversammlung, die in der Singakademie tagte, jener berühmten bürgerlichen Einrichtung, die hinter der Neuen Wache Unter den Linden ein wenig nach hinten versetzt liegt. Sie heißt heute, noch vom russischen Geist des Sozialismus geprägt Gorki Theater, weil der primitive Sozialismus der DDR mit einer bürgerlichen Singakademie und ihrer revolutionären Tradition nicht viel anfangen konnte. Später kam die Nationalversammlung in das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, als die Reaktion schon wieder erstarkte.
Einer der konservativen Reaktionäre gegen den Aufstand der Bürger war der ostelbische Junker Bismarck, der zum Kreis um den jüngeren Bruder des kinderlosen Königs und damit Kronprinzen Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm I, gehörte und der den Namen Kartätschenprinz trug, weil er dies ganze revolutionäre Gesocks niederkartätschen wollte, also eine harte militärische Lösung bevorzugt hätte.
Die Verfassung wurde dann doch nicht so eingeführt wie von der Nationalversammlung gefordert, stattdessen wurde eine solche oktroyiert, die ein Dreiklassenwahlrecht schuf, das Preußen bis 1918 prägen sollte. Während dieser Zeit tagte die Frankfurter Nationalversammlung in der dortigen Paulskirche, die Friedrich Wilhelm die Kaiserkrone für die kleindeutsche Lösung eines Nationalstaates ohne Österreich antrug, die dieser jedoch ablehnte, da sie mit dem Sudelgeruch der Revolution behaftet sei und er andere Pläne mit der Kamarilla um Bismarck bereits verfolgte. Österreich hatte trotz des zwischenzeitlich Sturzes von Metternich die Teilnahme am Deutschen Reich verweigert, da es dabei auf seine nicht deutschsprachigen Gebiete hätte verzichten sollen.
In der nun folgenden Ära der Reaktion, in der die Fürsten ihre absolute Macht wiedererlangen wollten, auch wenn die Zeit dafür längst Geschichte war, arbeiteten Preußen und Österreich wieder eng auf der Basis des Deutschen Bundes zusammen. Ab 1861 bestieg schließlich Wilhelm I. den preußischen Thron, stritt sich lang mit dem Parlament um die Finanzierung einer Heeresreform unter seinem Kriegsminister Roon herum und erwog zeitweise sogar wieder den raschen Rücktritt, setzte dann aber als letztes Mittel den schon bekannten Bismarck als preußischen Ministerpräsidenten ein, mit dessen Aufstieg sich die Welt verändern sollte.
Der teilweise cholerische Machtmensch, der mit Heul- und Wutanfällen, Rückzugsdrohungen und ähnlichen Erpressungen mehr, seine Vorstellungen von Politik durchsetzte, gilt als eine der politisch prägendsten Gestalten Deutschlands im 19. Jahrhundert. Bismarck befürwortete den königlichen Alleinherrschaftsanspruch und regierte jahrelang gegen Verfassung und Parlament, ohne jeden gesetzlichen Haushalt allein mit der Macht seiner Person.
Erstes Zeichen für die neue Politik wurde der deutsch-dänische Krieg von 1864, bei dem es zunächst um das Herzogtum Schleswig nur ging, das Dänemark stärker integrieren wollte. An der Düppeler Schanze wurde noch von Österreichern und Preußen gemeinsam ein Sieg erfochten, der Dänemark später im Frieden von Wien zur Abtretung der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg zwang, die nun von Preußen und Österreich zunächst gemeinsam verwaltet wurden.
Über die Verwaltung zerstritten sich Österreich und Preußen jedoch bald und Bismarck überredete den zunächst noch zögerlichen Wilhelm I. zur kriegerischen Lösung. Am 3. Juli 1866 errang Preußens Armee in der Schlacht bei Königgrätz unter General Helmuth von Moltke den entscheidenden Sieg über Österreich. Im Prager Frieden konnte Bismarck seine Vorstellungen durchsetzen, die Österreicher mussten der Auflösung des Deutschen Bundes zustimmen. Auf Wunsch Bismarcks und entgegen der Vorstellungen Wilhelms I. blieb Österreich damals jedoch territorial völlig unangetastet, um so ein späteres Bündnis leichter zu ermöglichen.
Den Sieg hat der spätere große Feldmarschall durch auch zwei entscheidende Vorteile errungen, zum einen hatte er, seinem Wahlspruch gemäß, getrennt marschieren, vereint schlagen, die neuen Eisenbahne Netze genutzt, die Truppenn in ungeahnter Geschwindigkeit zum jeweiligen Schlachtfeld zu transportieren, zum anderen hatten die Preußen neu Hinterlader, die sich auch im Liegen und wesentlich schneller neu laden ließen, während die Österreicher auf der anderen Seite noch aufstehen mussten, um ihre Gewehre mit Kugel und Pulver zu stopfen. So kam der Spruch, so schnell schießen die Preußen doch nicht in die Welt und wurde zugleich widerlegt, sie schossen schneller als alle bisher und nutzten diesen Vorteil militärisch aus.
Preußen gründete nun den Norddeutschen Bund und verleibte sich die bereits im Krieg besetzten Gebiete wie Hannover, Nassau, die freie Stadt Frankfurt und Hessen-Kassel einfach ein und übernahm fast ganz Schleswig Holstein, was für spätere Marine Strategien von großer Bedeutung sein sollte.
Der große Taktiker Bismarck gestand dem preußischen Landtag neue Rechte zu, ließ sich aber gleichzeitig Straffreiheit für seine vorigen Rechtsbrüche garantieren. Dafür suchte er nun den Konflikt mit Frankreich, dass er vorher mit Versprechungen auf Luxemburg zum Stillhalten im Deutschen Krieg gebracht hatte. Dazu wurde ein katholischer Hohenzollern-Sigmaringen Prinz als Thronfolger in Spanien vorgeschlagen, was den Krieg mit Frankreich provozierte, den Bismarck wollte, nachdem er die süddeutschen Staaten mit Bündnisse alle an sich gebunden hatte.
Auslöser des Streits war die Emser Depesche vom 13. Juli 1870, mit deren Veröffentlichung Bismarck eine Frankreich provozierende Erklärung zur Thronfolge in Spanien in Umlauf brachte, die dort am Nationalfeiertag durch Bismarcks vorige Presseerklärung publik wurde und damit wie von Bismarck gewünscht die Kriegserklärung Frankreichs auslöste. Der Sieg wurde rasch errungen, Napoleon III. musste zurücktreten und am 18. Januar 1871 wurde Wilhelm I. im Spiegelsaal von Versaille zum Kaiser von Deutschland ausgerufen. Militärisch hatten diesen Sieg wieder Moltke und die schnellen überlegenen Truppen durchgesetzt.
Das deutsche Reich unter Preußens Führung, dessen Ministerpräsident bis auf zwei kurze Ausnahmen immer auch der Reichskanzler wurde, bestand bis 1918 und begleitete einen enormen Aufschwung in der Industrialisierung.
Weil er nach außen hin alles, was er wollte, erreicht hatte, eigentlich Elsass-Lothringen sogar überflüssig und lästig fand, wandte sich Bismarck nun dem inneren Kulturkampf zu, in dem er bis 1887 die Auseinandersetzung mit den Katholiken suchte und versuchte die Macht der Kirche vor allem in der Rheinprovinz zurück zu drängen. Einen Erfolg oder gar Sieg gegen den Aberglauben errang er dabei nicht.
Auf Wilhelm I. folgte für 99 Tage dessen schon schwerkranker Sohn Friedrich III., der dann am Kehlkopfkrebs verstarb und von seinem behinderten und auch sonst nicht sonderlich hellen Sohn Wilhelm II. beerbt wurde, der Deutschland 1914 in die absehbare Katastrophe stürzte, die zum Untergang des Kaiserreichs führte und endlich der Demokratie die Schranken öffnete.
Wilhelm II. entließ Bismarck 1890 und bestimmte die Politik von da an weitgehend selbst, sorgte für viele peinliche Auftritte Deutschlands in der Welt und stärkte den Ruf der Nation als dumme Besserwisser ohne Geschmack und Stil. Seine architektonischen Hinterlassenschaften wie der grauenvolle Berliner Dom oder die protzige Kuppel auf dem eleganten Schlossbau verschandelten den Stil der Insel, standen für das neue Deutschland, dass wieder jemand sein wollte in der Welt und genau so endete.
Wer sich dazu eine Meinung bilden möchte und noch andere kenntnisreichere Menschen als den Verfasser dieser Zeilen lesen möchte, dem seien Harry Graf Kesslers Tagebücher oder Franz Hessels Beschreibungen der Stadt aus Blick eines Flaneurs empfohlen. Wilhelm war ahnungslos, protzig, großmäulig, um seine Schüchternheit und seine Behinderung zu verstecken und dabei noch in einer Weise peinlich, die selten wieder erreicht wurde. Erinnert sei auch an dessen antisemitische Äußerungen zum Problem der “Judenfrage”, in der ein schon abgedankter Kaiser aus dem holländischen Exil meinte, es bräuchte dafür wohl Gas.
Der späte Wilhelminismus mit seiner imperiale Attitüde, aufgebaut auf Großmäuligkeit ohne Vision hatte zwar noch mehr Tradition als der peinliche Österreicher einige Jahre später, für das was Preußen wertvoll machte und dessen Bild in der Welt war er ähnlich katastrophal. Auf diesen Kaiser leistete mein Großvater seinen Eid als Kadett und wenn auch das Land seit 1914 weitgehend von der Obersten Heeresleitung unter Ludendorff und Hindenburg in dem bestialischen Schlachten des Krieges regiert wurde, war der Kaiser noch das Gesicht vorne, das sich dann 1918 einfach feige nach Holland absetzte und damit sich selbst zumindest treu blieb. Nicht mal seine Abdankung als Kaiser und König hat dieser unentschlossene Versager selbst verkündet sondern sie sich noch von seinem gerade Reichskanzler Max von Baden ohne Willen vorsetzen lassen und sich dann verdrückt.
Preußen wurde mit dem Ende des Kaiserreichs zum Freistaat proklamiert und erhielt 1920 erstmals eine demokratische Verfassung nachdem der Versuch von 1848 unterdrückt worden war. Durch den Versailler Vertrag wurde das ehemalige Preußen zu Gebietsabretungen gezwungen. Zuwachs erhielt es nur durch den Freistaat Waldeck um Pyrmont, der sich Preußen anschloss. Ministerpräsident im Freistaat Preußen wurde von 1921-1932 der Ostpreuße Otto Braun, ein Sozialdemokrat, der sich in vielem um das Land verdient gemacht hat und als einer der fähigsten Sozialdemokraten überhaupt vielleicht noch neben Helmut Schmidt gilt. Viele der Reformen Brauns, wie etwa das konstruktive Mißtrauensvotum wurden für die spätere Bundesrepublik beispielgebend. Abgesetzt wurde Braun erst als die radikalen Kräfte von rechts und links, KPD und NSDAP eine Mehrheit im Parlament hatten und er keine eigene Koalition mehr gegen sie bilden konnte, der Reichskanzler Franz von Papen ihn im Preußenschlag absetzte und damit der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 den Boden bereitete, die über den Krieg in den endgültigen Untergang des Staates Preußen führte.
Hitler setzte Göring als Reichskommissar für das Innenministerium in Preußen ein und hatte damit die gesamte exekutive Gewalt der preußischen Landesregierung auf seiner Seite. Am 21. März veranstaltete der Österreicher Hitler mit Hindenburg den Tag von Potsdam in der der dortigen Garnisonskirche, der Grabstätte der preußischen Könige und stellte sich damit in die preußische Tradition, der er sich scheinbar als erster Diener des Staates unterwarf, den er in Wirklichkeit mit seiner primitiven populistischen Ideologie ohne Geist übernehmen wollte. Die Reichsregierung unter Hitler schuf durch Gleichschaltungsgesetze ab 1933 den nationalsozialistischen Einheitsstaat und damit die Länder faktisch ab. Preußen wurde Geschichte, die nur zu Propagandazwecken noch reanimiert wurde, auch wenn die Blut und Boden Ideologie des österreichischen Postkartenmalers nie etwas mit Preußen zu tun hatte, sorgte sie für dessen Untergang.
Als erste Handlung nach Kriegsende beschlossen die Alliierten das Ende der preußischen Geschichte und die Auflösung dieses Staates, wörtlich heißt es dort:
„Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört. Geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker und erfüllt von dem Wunsche, die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage zu sichern, erlässt der Kontrollrat das folgende Gesetz:
Artikel 1
Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst.“
– Alliierter Kontrollrat am 25. Februar 1947
Es gibt noch bis heute die Erben der kulturellen Tradition Preußens wie etwa die Stiftung preußischer Kulturbesitz. Die Nachfahren des letzten peinlichen Kaisers leben zum größten Teil im Land, spielen jedoch politisch keine Rolle mehr, werden gelegentlich zu Gedenkveranstaltungen geladen wie jüngst auch Prinz Georg Friedrich, der derzeitige Chef des Hauses Preußen, der sich nach langen auch familieninternen Prozessen gegen seine Onkel auch juristisch dem Wunsch seines Großvaters Louis Ferdinand entsprechend durchsetzte und den ich nur ein wenig von der Beerdigung seiner Tante Kira kenne, der Mutter meiner lieben Freundin M, die inzwischen eine Bismarck wurde und die ich mit meiner Tochter eins im Sandkasten am Wasserturm in Prenzlauer Berg kennenlernte, wo wir irgendwann zufällig bemerkten, dass schon unsere Großmütter befreundet waren. So ist Preußen und seine Geschichte manchmal gegenwärtig, ohne dass wir es ahnen.
Kleine lächelnde Nachbemerkung zu diesem schnellen Ritt durch die preußische Geschichte, der vielleicht auf das aufmerksam machen soll, was von dem, was Preußen einmal bedeutete, erhaltenswert ist, sei - als ich auf der Hochzeit einer befreundeten preußischen Prinzessin mit einem Bismarck eingeladen wurde und als gewöhnlicher Bürgerlicher natürlich nicht den passenden Cut im Schrank hatte, konnte ich mir diesen von meinem Freund, einem Nachfahren des Feldmarschalls, leihen, womit Moltke, Bismarck und Preußen wieder in der kleinen Kirche ohne jede historische Bedeutung lediglich privat und familiär beisammen waren. So ist Preußen manchmal an seltsamen Orten lebendig. Ohne jede historische Bedeutung aber gut für die Haltung.
jens tuengerthal 6.3.2017
Sonntag, 5. März 2017
Berlinleben 011
Das erste mal ist immer aufregend, auch wenn es eigentlich nichts besonderes war, nur ein Pressetermin von George Soros, der sein Buch vorstellte und ein wenig vor der Hauptstadtpresse dazu referieren wollte.
Ein superreicher Investor ungarischer Abstammung, der in den USA zum Milliardär wurde und mit seinen Wetten gegen das englische Pfund mal eben eine Milliarde verdiente, die nur ein kleiner Teil seines Vermögens ist. Er unterstützt Bürgerbewegungen in Osteuropa mit seinem geschätzten Privatvermögen von 24,3 Milliarden US-Dollar. Seine Theorie der Reflexivität, die er in seinem Buch Alchemie der Finanzen genau beschreibt, stellt auf die Diskrepanz zwischen wahrgenommener und tatsächlicher Realität ab, bezieht sich auf seinen Lehrer den Philosophen Karl Popper und führt zu einem transparenten und erfolgreichen Engagement an den Finanzmärkten der Welt. Es ist das Gegenteil von Alchemie und Aberglauben. Sein Erfolg machte ihn zum Gegenstand wildester Verschwörungstheorien, in die immer auch der antisemitische Geist von der jüdischen Weltherrschaft hineinspielt und die noch stets den Wahn der Autoren eher offenbarten als Soros den kühlen Spekulanten eines illegalen Verhaltens zu überführen.
Soros setzte sich mit seinem Engagement seit den 70er Jahren massiv für eine offene Gesellschaft ein, ermöglichte schwarzen Studenten in Kapstadt das Studium mit Stipendien und unterstützte die Central European University mit Milliarden, um den Geist der offenen Gesellschaft im Sinne Poppers zu fördern. Beim Umbruch im ehemaligen Ostblock spielte er 1989/90 eine wichtige Rolle durch finanzielle und geistige Unterstützung der Freiheitsbewegungen. Sacharow warf ihm vor, die Republik Jugoslawien in eigenem Interesse durch Unterstützung der B92 Bewegung destabilisiert zu haben. Dagegen warf das Forbes Magazin ihm vor, den Machterhalt von Altkommunisten zu fördern. In die US-Politik griff er ein, um die Wiederwahl von Bush zu verhindern, dem er den falschen Irak Krieg vorwarf und den er für untragbar hielt. Er finanziert über die Soros Foundation auch Nichtregierungsorganisationen wie etwa Reporter ohne Grenzen.
Soros hielt die völlige Deregulierung der Märkte Anfang des Jahrtausends für falsch. Sie beruhe auf einer marktfundamentalistischen Ideologie aus der Ära Thatcher und Reagan, die nicht mehr in die Zeit passe und auf dem gleichen Denkfehler beruhe wie der Marxismus, da Märkte kein natürliches Gleichgewicht anstrebten. Seit 2009 investiert Soros massiv in erneuerbare Energien und fördert durch seine Stiftung ein Forschungsnetzwerk zur Klimapolitik. Wie Bill Gates und Warren Buffett versprach er einen Teil seines Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden. Der ungarische Präsident Orban warf Soros 2015 vor maßgeblich für die europäische Flüchtlingskrise verantwortlich zu sein. Ähnliche Vorwürfe erhob auch unter Berufung auf gehackte Mails die Jerusalem Post, weitere Belege dazu gibt es nicht. Russland wehrt sich massiv gegen den Einfluss der Stiftungen von Soros für eine offene Gesellschaft und klagt diese bis heute immer wieder an. Er war wohl massiv finanziell am Umsturz durch den Euromaidan in Kiew beteiligt, was er erst abstritt und später dann doch zugab, wie immer dies demokratisch zu bewerten ist, gefiel es den Russen überhaupt nicht.
Zuletzt unterstützte er den Wahlkampf von Hillary Clinton gegen Trump, den er einen Blender und Möchtegern-Diktator nannte, wofür aus heutiger Sicht immer mehr spricht, zeigte sich jedoch überzeugt, dass die starke amerikanische Demokratie ihn in die Schranken weisen werde.
Dies alles spielte 2001, als ich ihn mit J zusammen treffen sollte, noch keine Rolle. Er war als Mäzen der Demokraten in Osteuropa bekannt und galt als großer Förderer der Freiheit. J war der Filmproduzent und Autor, den ich beim Griechen am Kollwitzplatz kennengelernt hatte. Er war sehr an jüdischen Themen interessiert und immer wieder auch in diesem Bereich engagiert. Seine Idee war, einen Dokumentarfilm über den Menschen und Macher Soros zu drehen.
Arbeitete seit kurzem mit J zusammen und schrieb ein Konzeptpapier für den Film, der mir auch sehr reizvoll schien. Vom Film hatte ich keine Ahnung, aber J schätzte ich und warum nicht als Journalist auch mal in diesen Bereich hineinschnuppern, menschlich schätzten J und ich uns, auch wenn er für meine Liebe zu A weniger Verständnis hatte, die beiden waren schon am ersten Abend, an dem ich sie kennenlernte, etwas aneinandergeraten - aber er wollte ja mit mir und nicht mit ihr arbeiten und da Soros im Adlon residierte, fand auch die Buchvorstellung dort statt und wir bekamen neben der zahlreich anwesenden Presse einen Interviewtermin bei dem großen Investor und Mäzen der Demokratie.
Hatte immer ein gutes Bild von Soros gehabt, dass er sein Geld mit Spekulationen verdiente, fand ich nicht weiter anrüchig, es gab Märkte, Geld und anderes wurde gehandelt und also war nichts dagegen zu sagen, wenn einer seine Chancen dort nutzte, insbesondere nicht, wenn er sich zugleich auch sozial noch so engagierte. Dass der 1930 geborene inzwischen mit einer 45 Jahre jüngeren Frau verheiratet war, belächelte ich, machte es eben umgekehrt wie ich, meine ist 10 Jahre älter und bei ihm war es ja auch schon die dritte oder vierte Ehe. War gespannt auf diesen Mann, der auch schon so erfolgreich gegen Pfund und DM spekuliert hatte, auch wenn ihm das viel Hass einbrachte, weil er so über die Börse zumindest indirekt auch politischen Einfluss nahm.
Der Termin war also an sich schon spannend genug. Die Krone setzte ihm auf, dass er im Adlon stattfand. Dieser von vielen Mythen und Sagen umwobene Ort, der schon im Kaiserreich der Spielplatz und Präsentationsplatz der Reichen und Einflussreichen gewesen war, lag direkt am Pariser Platz. Im Krieg zerbombt, war es für Kempinski wiedererrichtet worden und zählt zu den großen Luxushotels in Deutschland. Mochte solche mondänen Häuser schon immer, kannte ein wenig das Parkhotel zu Bremen, die Traube im Schwarzwald und den Frankfurter Hof, zumindest von Familienfesten und aus Erzählungen meiner Mutter und meiner Großeltern. Sie atmen eine besondere Atmosphäre bis heute und das Thomas Mann wie der Feldmarschall Moltke dort gern zu Gast waren, gab ihnen noch mehr persönliche Nähe für mich. Auch Harry Graf Kessler speiste gerne dort und erwähnt in seinen Tagebüchern immer wieder das Adlon auch als Ort der Begegnung wie des Genusses.
Das Grundstück hatte der Geschäftsmann und Hotelier Lorenz Adlon 1905 gekauft und damit den Geburtsort eines der künftig besten Hotels Deutschlands gefunden. Auch der Kaiser war von der Idee eines Luxushotels begeistert und 1907 berichtete die Vossische Zeitung wie der Kaiser und die Kaiserin mit den Prinzen und Prinzessinnen den Hotelneubau besichtigten und Herrn Adlon ihre Anerkennung in der ehrendsten Weise ausgesprochen hätten.
Das Hotel passte sich vollkommen an den Platz an, nahm die klaren Linien des Brandenburger Tors auf und bildete mit dem Palais Arnim die Südostecke des schon damals Pariser Platzes. Er wollte dem Schloss keine Konkurrenz machen, dass durch die geschmacklosen Ergänzungen Wilhelms II. nur zum noch geschmackloseren Berliner Dom daneben passte, wie es Franz Hessel so treffend in seinen Flaneurgeschichten schrieb, sondern bildete von Anfang an einen Bau eigener Art, der mit klassizistischen Linien von Tor und Umgebung wie einigen Elementen des Jugendstil spielte. Lorenz Adlon war ein Ästhet.
Das Adlon wurde schon sehr bald zum Mythos in Berlin. Familien des Hochadels verkauften ihre Winterpalais um in den Suiten des Hotel Adlon zu residieren. Auch Kaiser Wilhelm II floh aus den zugigen Räumen des Schlosses gern in die gut geheizten Räume des Hotels, das auch zum inoffiziellen Gästehaus des Auswärtigen Amtes bald wurde. Europas Könige und Kaiser waren dort so zu Gast wie der Zar von Russland, indische Maharadschas, Edison, Ford, Rockefeller, Rathenau und Briand kamen regelmäßig. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Revolution änderte sich die Gästeliste. Die Hofgesellschaft war untergegangen, an ihre Stelle traten reiche Amerikaner. Charlie Chaplin kam dann dort unter wie Josephine Baker und auch Marlene Dietrich, das Berliner Mädchen, schwärmte von der Atmosphäre des Hotels, in der alle Sprachen wild durcheinander schwirrten. Inzwischen galt das Adlon längst als Sehenswürdigkeit an sich, der Baedeker lobte insbesondere das sehr gute Weinrestaurant dort.
Während der NS-Zeit änderte sich die Rolle des Hotels, die Zahl der amerikanischen Besucher nahm ab, zwar residierte das Auswärtige Amt eine zeitlang in einem Seitenflügel und die Olympischen Spiele von 1936 brachten nochmal einen Aufschwung aber die große Zeit war in der Diktatur erstmal vorbei. Die nationalsozialistische Führung feierte ihre Feste und Empfänge lieber im Kaiserhof in der Wilhelmstraße und nicht am Pariser Platz wie von Louis Adlon gehofft, der das Hotel inzwischen mit seiner Frau Hedda führte. Vermutlich war den dumpf deutschtümelnden Nazis die Atmosphäre dort zu international und frei. Erst nach 1943 als der Kaiserhof den Bomben zum Opfer fiel, wurde das Adlon wieder stärker auch von der politischen Führung besucht. Es stand bis zum 2. Mai 1945, also bis Kriegsende noch unversehrt am Pariser Platz und wurde nur zeitweise als Lazarett genutzt. Erst in den Tagen danach brannte das von feiernden Rotarmisten besetzte Hotel aus ungeklärter Ursache ab. Wer die Folgen des Wodkakonsums kennt, wird sich vorstellen können, wo diese ungeklärten Umstände lagen. Die im Film dazu erzählte Geschichte vom versteckten SS-Mann ist auch sehr nett und trägt die Legenden weiter.
Der damalige Besitzer Louis Adlon wurde von Rotarmisten am 25. April 1945 in seinem Wohnhaus auf dem Gut bei Potsdam festgenommen und verstarb nach unklarer Odyssee am 7. Mai 1945 an Herzschwäche auf einer Straße in Falkensee. Seine Frau Hedda Adlon lebte noch bis 1967.
Berühmt für seine Küche schuf das Adlon zahlreiche Gerichte neu, zu denen etwa das Seezungenfilet Adlon oder das Kalbssteak Adlon gehörte. Mit Ende des Krieges endet die Geschichte des alten Adlon.
Nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung wurde von 1995 bis 1997 ein Neubau an der Stelle des alten Gebäudekomplexes errichtet. Genau diesen nun vier Jahre eingeweihten Komplex wollten wir besuchen, um Soros zu lauschen und ihn für unsere Idee zu begeistern. Der Neubau rekonstruierte nicht einfach den alten Gebäudekomplex, sondern war ein historisierender Entwurf, der sich an den Vorgänger anlehnte. Er nutzt die Gebäude des ehemaligen Adlon wie des vorhergehenden Kempinski auf dem benachbarten Grundstück, wobei ein Teil der Fläche an die quasi integrierte britische Botschaft abgegeben wurde. Das heutige Adlon hat bei nahezu gleicher Höhe eine Etage mehr, da es auch das Dachgeschoss für Zimmer nutzt. Im August 1997 wurde das Kempinski-Adlon noch von Roman Herzog eröffnet, wird inzwischen von amerikanischer und britischer Botschaft eingerahmt und hat die Akademie der Künste als schöne Nachbarin am Pariser Platz.
Von der Akademie und dem Land erwarben sie noch ein weiteres angrenzendes Grundstück zur Behrenstraße, in dem das Adlon Palais errichtet wurde mit Konferenzräumen, einem weiteren Ballsaal, Spa, Restaurants und einem Club. Das Adlon umschließt die britische Botschaft nun an drei Seiten auf einer Fläche von 8000 Quadratmetern bewirtschaftet es über alle Etagen eine Gebäudefläche von 58.700 Quadratmetern, ist also, wie wir es auch drehen, ziemlich groß, bedeutend und zentral gelegen. Neulich noch trafen sich Obama und Merkel da zum Abendessen und viele bekannte Gesichter residieren dort, gern von Touristen oder Berlinern um den Eingang herum bestaunt.
Weil im heutigen Rechtssystem möglichst kein Unternehmer oder Direktor mehr persönlich verantwortlich ist, wurden auch das Hotel Adlon eine GmbH, die wiederum eine hundertprozentige Tochter der Kempinski AG ist. Über die Finanzierung des Baus, dessen Millionenkosten hauptsächlich durch Anleger der Dresdner Bank aufgebracht wurde, ist lange gestritten worden, aufgrund enttäuschter Erwartungen, da der Fond die erwarteten Ausschüttungen nicht erbrachte und die frustrierten Anleger sich dann in der Schutzgemeinschaft der Adlon-Anleger zusammen taten und klagten.
Damit sind wir schon wieder über die Hotelgeschichte zu der des Abends gekommen, auch wenn diese Prozesse erst lange nach dem Interview begannen, steht Soros doch für erfolgreiches Investment in Fonds und gegen Währungen, mit dem er auch spekulativ seine Milliarden gewonnen hat. Die Art wie mit Geld jongliert wurde und was dabei alles verschachert worden ist, kann Grund zur Empörung vielleicht geben - ob sich mit moralischer Empörung am Handel mit Geld und Devisen etwas ändert, scheint dagegen mehr als fraglich.
Die Spekulation auf Lebensmittel oder andere Grundbedürfnisse der Menschen empört viele engagierte Menschen, die es andererseits völlig normal finden bei ihrem Händler auf dem Markt, um den Preis zu feilschen. Hörte neulich einen typischen Linken, der sich über die Unmoral der Banken empörte und die Verbrecher in Nadelstreifen und zugleich auf dem Flohmarkt, über den er gerade mit Freunden spazierte, hart um Bücher und Bilder mit den armen Händlern handelte, ihnen höchstens 1/10 des Geforderten bot und meist unter der Hälfte mit moralischem Druck handelseinig wurde, sich diebisch über seine guten Deals freute. So erscheint manches völlig normal, wenn es uns nahe liegt, die Summen kleiner sind, wird aber für ein Verbrechen gehalten, wenn die Summen und Gewinne größer werden.
Bin mir in meinem moralischen Urteil zu diesen Fragen nicht sicher, auch wenn ich früher schnell die Sprüche der Linken gegen die Deutsche Bank nachplapperte. Halte eine gesteuerte Wirtschaft für gefährlicher als den ungezügelten Kapitalismus, den Sozialismus für eine üble Diktatur und denke dennoch, dass Eigentum auch sozial verpflichtet und wir von einer schlichten Konfrontation zwischen bösen Banken und guten Armen keinen gesellschaftlichen Gewinn haben, dafür besser gezielt überlegen sollten, wo der Staat sinnvollerweise steuernd eingreift, um die Freiheit zu erhalten und gleichzeitig der Bildung von Monopolen vorzubeugen. Reichtum ist eine Last und ob Umverteilung nicht nur eine billige Neiddebatte auf Niveau des Vereins der Populisten genannt Linke bringt, sollte wohl überlegt werden. Andererseits muss die Frage, welcher Gewinn noch sozial vermittelbar ist, auch künftig diskutiert werden.
Wenn der Linke auf dem Flohmarkt, den Händler um 50% drückt, findet er das völlig normal, auch um mehr zu ringen, hat er kein schlechtes Gewissen. Kann auf Flohmärkten erfolgreich handeln, wenn es dringend und nötig ist, aber lieber sage ich einen Preis und dann werden wir uns einig oder nicht. Moralisch fühle ich mich unwohl, wenn ich den Preis zu sehr drücke, jemanden etwas für weniger abluchse als es, wie ich weiß, wert ist und das obwohl ich den Handel mit Aktien und ihren Derivaten nicht unmoralisch und die Diskussion darüber eher albern finde.
Wer Prozesse als Staat regeln will, kann dies durch Verbote oder Steuern. Etwas zu verbieten, braucht es gute Gründe in einer freien Gesellschaft, denke ich, auch wenn Linke gern alles verbieten, was ihnen moralisch nicht gefällt, umgekehrt aber staatliche Autorität gern infrage stellen. Steuern sind ein gutes Mittel, sofern sie nicht den Markt völlig verändern. Auf einem einheitlichen Binnenmarkt kann nicht einfach einer, ohne Folgen die Steuern erhöhen und auf dem grenzenlosen Handel der Banken im Internet wären solche Maßnahmen ohnehin relativ wirkungslos - dann werden eben bestimmte Gewinne erstmal aus diesem oder jenem Eiland steuerfrei geparkt, bis sie in Ruhe in die Heimat verschoben werden können.
Nationale moralische Regelungen im Banksektor sind relativer Humbug, wenn sie dazu führen, dass dann eben Gewinne und Verantwortung ausgelagert werden. Es braucht für künftige Staaten kluge und flexible Lösungen, die einerseits den Banken die Möglichkeit lassen Geld zu beschaffen, wo dies benötigt wird und dass dort, wo es sich eben am besten verdienen lässt. Das Geschäft mit Fonds und spekulativen Anleihen hat sich von der ökonomischen Realität weitgehend gelöst und ist ein eigener Markt geworden, auf dem mehr Geld verdient wird als mit nahezu jedem Handelsgut. Daraus entstanden dann auch irreal hohe Marktwerte von Unternehmen wie Google oder Apple, die beide allein einen höheren Marktwert haben als alle deutschen DAX Unternehmen in Summa. Dies für Dinge, die eigentlich keiner lebensnotwendig braucht, die überflüssiger Luxus in einer vituellen Welt sind und dennoch macht kaum einer der lauten Ankläger der Banken Apple einen Vorwurf, die Arbeitsplätze in Billiglohnländer auslagern und mit einer 400-500% Gewinnspanne Telefone oder Computer verkaufen.
Als wir Soros trafen, dümpelte Apple noch mühsam von Bill Gates gerade wieder gerettet herum, baute zu teure, wenn auch sehr gute, Rechner für Designer und Freaks. Schauen wir uns den Wert der beiden Unternehmen Google und Apple seit diesem Treffen an, sehen wir, wie irreal manche Entwicklung inzwischen auch auf dem doch relativ realen Technik Markt erscheint. Sollte Trump tatsächlich die verrückt hohen Gewinne dieser Unternehmen verringern, indem er sie verpflichtet, im Land zu produzieren und heimische Arbeiter zu beschäftigen, wäre dies eine für die USA positive Entwicklung, jenseits aller moralischen Bewertung dieses peinlichen neureichen Präsidenten ansonsten.
Als Soros im Juni 2001 sein Buch im Adlon vorstelle, gab es noch kein 9/11 Trauma der Amerikaner, keinen Krieg in Afghanistan, den er später befürwortete und keinen im Irak, gegen den sich der reiche Investor entschieden wandte und warum er Wahlkampf gegen Bush jr machte, den er nicht nur für unfähig sondern in dieser Frage auch für gefährlich hielt und wie Recht er hatte, sehen wir heute in der Region, in der dank des amerikanischen Krieges eine Gruppe wie der IS zum Staat werden konnte, auch wenn wir noch so tun, als sei dem nicht so.
Im Gespräch war der kluge mehrsprachige Mann ganz offen für die Filmidee, die ich zu gerne weiterverfolgt hätte, auch um etwas gegen die dummen linken und rechten Vorurteile zu tun, die den reichen Juden moralisch abstempelten, ohne zu sehen, was er tatsächlich mit seinem Geld tat und wieviel er für die Demokratie in Europa und die Freiheit der Menschen bewegte, wie sehr der sehr berechenbare Mann auch ein Wohltäter war. Wir mochten uns und ich wäre gespannt gewesen, was aus dieser Kooperation auf Dauer geworden wäre, mit einem vorurteilsfreien Bild, jenseits der politischen Konventionen, dass einen Menschen zeigte, der logisch und philosophisch konsequent dachte, moralisch reflektierte handelte als die meisten seiner Kritiker von links, rechts und aus Moskau in ihrem Leben je.
Es wurde ein nettes Plaudern in diesem wunderbaren Hotel, er war angetan, wir sollten uns bei seiner Akademie melden, meine ich dunkel zu erinnern, dann warteten die nächsten Interviewpartner und Termine auf den gefragten Investor. Leider blieb es bei der schönen Idee, auch wenn ich nicht weiß warum und gerade jetzt wieder denke, wie dringend nötig ein solcher Film wäre um mit vielen Vorurteilen aufzuräumen, einen Menschen zu zeigen und sein klares Denken, was, wenn ich ihn richtig verstanden habe, für ihn der Schlüssel zu seinem Erfolg war. Vielleicht hat J sie noch weiter verfolgt oder greift sie wieder auf, wir verloren uns irgendwann wieder ein wenig aus den Augen, ich weiß es nicht, gut täte der hochaktuelle Film unserer Zeit immer noch im Kampf gegen Vorurteile.
Nach dem Adlon verplauderten wir uns noch einen Moment mit einigen Staatssekretären und Abgeordneten in einem schönen Weinrestaurant in der näheren Umgebung, in dem ich danach leider nur noch einmal Essen war. Die Idee einen Film über Soros zu machen, um mit Vorurteilen aufzuräumen, statt sie zu bedienen, gefällt mir immer besser - auch wenn ich eigentlich nie Filme sehe, bewegte Bilder nicht sonderlich mag, sie für überschätzt halte, finde sie verblöden eher, als dass sie zum Denken anregen, aber vielleicht könnte in diesem Fall ja eine der seltenen Ausnahmen gelingen, zumindest scheint mir das Thema im postfaktischen Zeitalter wichtiger denn je, um aufzuklären und die rechten und linken Antisemiten so zu offenbaren, wie die Netzwerke hinter vielen Vorurteilen, gegen die einer wie Soros an diesem Abend im Adlon wie in seinem Leben ankämpft.
jens tuengerthal 5.3.2017
Samstag, 4. März 2017
Berlinleben 010
Diese werden nun zufällig kommen, losgelöst vom Ablauf eines Tagebuchs, dass ich nur selten real schrieb. Kleine Geschichten sind auch meist besser verdaulich als solch dramatische Ereignisse wie Schwangerschaft und Geburt, die mich gestern so aufwühlten, dass ich gleich noch in der Nacht unbefriedigt über Orgasmen schreiben musste, um Ruhe zu finden bei einem bekannten Thema.
Was mir einfällt, hängt an der Stimmung und am Wetter - heute bei frühlingshaftem Sonnenschein, kommen mir ganz andere Erinnerungen als an grau verregneten Tagen, mal geht es um die Stadt, dann mehr um die Menschen in ihr, manche halten sich für Promis, was immer das auch sein soll, andere sind nur stille Beobachter wie ich, der gestern die drei Damen an der Bar, die so sichtbar das Gespräch mit ihm suchten, voller Bedauern freundlich anlächelte, weil er nichts suchte und nur mal schauen wollte, wie es Franz Hessel tat, der mit Walter Benjamin natürlich unerreichtes Vorbild bleibt. Sie waren so schick und plapperten ununterbrochen nett, wenn sie nicht gerade auf ihren Telefonen herumwischten, die sie in noch schöneren Hüllen trugen, die den Glanz ihres echten Modeschmucks harmonisch wiederspiegelten. Ihr Lächeln war so smart wie ihre Telefone und wie diese immer mit aller Welt verbunden sind, blieb es völlig unverbindlich.
Dann wieder plaudere ich selbst, wie gestern in selbiger Bar nur einige Meter von den Damen entfernt, mit Ali dem kurdischen Freund, der lautstark mit dem Bier in der Hand erzählte, dass er all die Erdogan Anhänger zurück in die Türkei schicken würde, dass die hier nichts verloren hätten mit ihren Kopftüchern und ihrem mittelalterlichen Aberglauben, er, der früher noch nett über den nun Präsidenten sprach, mit dem er einst als Ingenieur die Bewässerung von Istanbul neu plante, der aber den Verstand verloren hätte und dessen Frau endlich mal, nach seiner Meinung, gut gefickt werden müsste, um diesen impotenten Ziegenficker von Ehemann zu vergessen. Lache mit ihm über seinen Zorn und weiß doch wie bitter die Wut auch ist, weil er die Geschichten aus den kurdischen Dörfern näher kennt als viele ahnen und frage nur, ob Hass und Vertreibung je weiterführen - er jedenfalls will nächstes mal Merkel wählen, was er auch jedem erzählt, der nicht danach fragte.
Begegnungen und Orte bei denen sich Bewohner und Gelegenheiten mit dem je besonderen der Situation mischen. Es wird damit natürlich zusammenhangloser und spontaner - wer eine schlichte Chonologie des Lebens des Autors daraus ablesen will, wird es noch schwerer haben als vorher, doch könnte das auch täuschen, denn wer weiß schon, wie wirklich die Wirklichkeit ist, die ich beschreibe?
So stifte ich durch wilde Sprünge durch die Zeiten, in die ich dann und wann noch historische Gedanken mische, falls mir zufällig etwas dazu einfällt, sicher Verwirrungen in den Geistern aller ordentlich und linear denkenden Leser und gebe doch vielleicht damit ein getreueres Abbild von mir und dem, was ich sah - mehr erzählt ohnehin keiner, ob er es nun Epos, Verse, Sage, Märchen, Kurzgeschichte, Roman, Theaterstück oder Tagebuch nennt, immer spiegeln wir nur Bruchstücke unserer Erinnerung, liefern eine wesensmäßig notwendige Prosa des Unvollständigen, auch wenn wir uns immer wieder anderes anmaßen.
Beherrsche nicht mal die Anmaßung gut genug, es mit ihr auch nur zu versuchen, sage, wie es mir scheint, erzähle, was war, zumindest für mich und freue mich an den kleinen Höhepunkten zwischendurch eher als über das viele Nichts und die große Leere, die 16 Jahre in einer Großstadt vermutlich mehr ausmachen, als uns oft bewusst ist. Nichts von allem, was ich erzähle, war wirklich so, habe ich doch lange genug schon gelernt, zu fragen, wie wirklich diese angebliche Wirklichkeit ist und frage weiter, immer wenn es darauf ankommt mit Montaigne, was weiß ich schon?
Es dauerte bis 2010, als ich wieder in eine eigene Wohnung für mich zog, dass ich den nächtlichen Teil des Berliner Lebens für mich entdeckte, wie es ist, bis Morgens hier im Café zu sitzen, in die Dämmerung zu tanzen. Anderes lernte ich schon früher kennen, bei manchmal zufälligen Gelegenheiten. Am aufregendsten waren meist die Ereignisse, um die ich mich am wenigsten bemüht hatte. So ist manches paradox in dieser Stadt, in die so viele streben, um etwas zu erleben, auch aus der weiten Ödnis Brandenburgs, in die umgekehrt immer mehr Berliner ziehen, um ihre Ruhe zu haben, zumindest manchmal.
Bis dahin lebte ich mit der Mutter meiner Tochter in einer Paarbeziehung, die mit zunehmender Dauer eine abnehmende Frequenz sexueller Akte hatte, wie das wohl immer so ist - von daher sind aufregende Berichte zu dem Thema, außer dem, was ich schon schrieb, bis dahin weniger zu erwarten, sehen wir von Ausnahmen ab - wir hatten ja auch schon den bestmöglichen status quo erreicht, was sollte da noch kommen?
Nichts ist langweiliger als Personen, die sich überschätzen und da ich nun das für mich aufregendste im Leben chronologisch erzählte, kann ich danach frei zwischen allem surfen, was mir gerade einfällt - halte mich weder für besonders bedeutend noch so interessant, dass ich mich an die zufällige Reihenfolge meines Lebens halten müsste - ist halt eines von Millionen hier und spannend wird es erst, wo es mit anderen Leben kollidiert oder sich mit der Stadt an besonderen Orten konfrontiert.
Manches erlebte ich, anderes träumte ich eher, oft kam mir die verrückte Wirklichkeit auch traumhaft vor und manchmal verschwimmen die Grenzen beliebig. Sie tun das mal auffälliger, mal nur ganz dezent - am Ende mach ich mir die Wirklichkeit auch in Berlin genau wie sie mir gefällt und was mehr sollte ich noch wollen?
Die gelangweilten Leserinnen können beruhigt sein, das Tagebuch endet an dieser Stelle, die gespannten Leser seien ohne Sorge, es geht natürlich immer weiter, nur eben so, wie es mir gerade einfällt, was meinem sprunghaften Wesen als Autist in der Menge sehr liegt. So wenig ich wirklich weiß, was ich bin, ob teils autistisch, völlig sprunghaft, romantisch, vernunftbesessen, materialistisch, verrückt, ganz normal, eher durchschnittlich, lieb, böse, Denker, Spinner, Künstler, Versager, guter Liebhaber, impotent oder ein geiler Hengst was unter vielem anderen vor allem Frauen über mich sagten, so wenig lasse ich mich nun noch binden und werde einfach schreiben, was mir gerade einfällt von den Spaziergängen eines Flaneurs in Berlin, der weder weiß, was er will, noch wer er ist, aber ausgiebig genießen zumindest konnte und mit Liebe um sich schaut, auf das was ist.
jens tuengerthal 4.3.2017
Freitag, 3. März 2017
Gipfelteilung
Wo Mann und Frau sich lustvoll finden
Suchen sie bald zueinander die Nähe
Sich nur ums Ausziehen noch winden
Dass keiner den anderen verschmähe
Wenn endlich sie dann doch ankommen
Zu dir oder zu mir auch entschieden ist
Zieren sich manchmal noch die Frommen
Was zarte Lust ganz schnell wieder frisst
Wer all dies lustvoll weiter überwindet
Sich bald alle Kleider vom Leib reißt
Damit endlich zum Zentrum doch findet
Was bei uns Geschlechtsverkehr heißt
Manche nehmen das dann einfach hin
Suchen Befriedigung lieber nur für sich
Für die ist Beischlaf selten ein Gewinn
Warum sie’s je tun frag ich dann mich
Ist doch der Gipfel noch immer aller Lust
Zusammen den Orgasmus dabei haben
Masturbieren bringt auch geteilt nur Frust
Ist gutes Timing die schönste aller Gaben
Wer sich vorne dabei nicht spüren kann
Soll von hinten es entspannt versuchen
Was zählt ist sich zu fühlen genau dann
Bevor sie ohne sich fürs Leben buchen
Manche denken es geht bei dem Spiel
Nur um Rein und Raus bis zum spritzen
Doch ist echte Lust dem Kenner so viel
Mehr als Vögeln nach alten Herrenwitzen
Du kannst als Mann mit Gefühl lernen wie
Frau sich innen anfühlt bevor sie kann
Ihr Schoß dann zieht dich ruckartig in sie
Heftig zuckend weißt du jetzt bist du dran
Dies miteinander ist erst echter Sex
Alles andere danach nur noch Vorspiel
Erlebte es selig schon mit mancher Ex
Das Liebesspiel hat eben auch ein Ziel
Nicht immer kommt es beiden gleich
Zusammen zur selben Zeit doch wo
Zwei es teilen sind sie wirklich reich
Wer es hat genieße es immer froh
Bei manchen macht es die Natur allein
Andere müssen neue Wege suchen
Wer es nicht kennt findet’s oft gemein
Beginnt dann die Lust zu verfluchen
Dabei geht es nur um’s große Glück
Das ungeteilt fast wertlos scheint
Wer es mal anfing kennt kein zurück
Auf dem Weg zum Gipfel den er meint
Manche hab ich dabei schon verloren
Die einst mit großer Hoffnung begonnen
Waren im Bett dann völlig unausgegoren
Dann haben beide nichts dabei gewonnen
Kenne nun auch viele die es nicht kennen
In Zärtlichkeiten nur Erfüllung noch fanden
Dies Vorspiel dennoch Sex auch nennen
Nie zu höchster Lust konnten so gelangen
Wüsste ich nur um den großen Zauber
Der ihnen Wege zum Glück noch zeigt
Und wären sie auch nicht ganz sauber
So wäre ich sie zu gehen nie abgeneigt
Vielleicht sollten sich die so Halben nur
Zusammen finden wie wir Ganzen immer
Wären beide glücklich auch noch stur
Nur wissen wir es vorher doch nimmer
So geht beim Sex probieren über studieren
Wenn es mit Liebe doch unbefriedigt ist
Probiert es halt noch mal auf allen vieren
Von vorn von hinten mit manch kluger List
Es sollten jene die es schon kennen
Denen zeigen die noch nicht wissen
Was guten Sex wir lieber nennen
Damit sie merken was sie vermissen
Wo eine meint sie wüsst längst alles
Ist jede Suche immer zwecklos wohl
Doch ist im Falle des sexuellen Falles
Moral am Ende meist eher hohl
Wer noch Hoffnung hat soll lieben
Manchmal gibt es noch Geduld
Doch wo von Sehnsucht getrieben
Geht es am Ende nur um Schuld
Der Sex soll einfach uns befriedigen
Im geteilten Glück zeigt er sich ganz
Alles andere ist nur zum erledigen
Eine sucht noch die andre kanns
Wer’s hat der soll es halten denn
Mehr findet sich mit keiner mehr
Es ist das Schönste wie ich es kenn
Warum ich keine andre mehr begehr
jens tuengerthal 3.3.2017
Berlinleben 009
Geschwängert
Das erstmal wichtigste am Schwanger werden ist das Schwängern. Wenn der Samen nicht zum Ei kommt, passiert nichts und beide verenden mit ihrem halben Chromosomensatz meist in irgendwelchen Abflüssen, was im übrigen mit den meisten noch nicht mal halben Menschen so geschieht nach dem Sex.
Wie das war, nämlich wunderbar, genau gleichzeitig gekommen und tatsächlich von Mann so gefühlt, die wir ja sonst eher in dem Ruf stehen, dabei nicht viel mehr mitzubekommen als Rein-Raus-Rein, habe ich schon beschrieben. Sex ist immer irgendwie nett, aber groß und toll, wirklich erinnerungswert wird er erst, wenn du auch zusammen kommst, was alle bestätigen werden, die es kennen und die übrigen für völlig überschätzt halten, warum sich hier jede Diskussion erübrigt - die keine Ahnung haben, sollen einfach mit denen haben, was sie schon Sex nennen, und die Genießer sollen den richtigen Sex miteinander genießen, der nicht nur Vorspiel mit Erledigung ist. Alles andere ist müßig und verlorene Liebesmüh.
Unsere später Tochter wurde genau so gezeugt, wie wir es beide mochten, konnten und genossen und es war perfekt. Einige Wochen später bestätigte das Pinkelpapier genannt B-Test die bisher nur irrationale Ahnung des ungeplanten Vaters.
Ungeplant nicht, weil wir es nicht wollten, im Gegenteil, wir waren offen dafür, aber rechneten nicht mehr damit, weil die großen Wahrsager der Gegenwart, die Gynäkologen ihr schon vor zehn Jahren prophezeit hatten, daraus würde wohl nichts mehr, wenn sie es nicht sofort täte, auch wenn sie bereits wusste, dass sie schon schwanger werden konnte, sogar praktisch und über den Rest decken wir den dezenten Mantel des Schweigens, weil ich davon auch nur aus Erzählungen weiß.
Gerechnet hatten wir nicht wirklich mehr damit, sie zumindest nicht, verhütet haben wir aber auch nie, es darauf ankommen lassen und dann kam es auch genau so, wie es eben so kommt, wenn es einem so zusammen kam, wie uns da. Was sich schon wieder anhört als redete ich wirr und ohne Kenntnis der Natur, da es dazu nur auf die Kontraktion des nervus pudendus ankommt und seines Gegenstückes, nicht auf die zufällige Reifung der Eizelle und der Moment der Reife der Eizelle im Zyklus der Frau ist nicht immer der Zeitpunkt, an dem die Lust auch am größten ist. Bei uns passte aber gerade zufällig alles, noch dazu war Wochenende, A also nicht irgendwo in Deutschland zum Arbeiten unterwegs.
Ob das männliche Sperma auch einer Art Zyklus unterliegt und es mal mehr Triebkraft zur Zelle hat, dann wieder weniger, weiß ich nicht so genau, von verschiedener Konsistenz ist es zumindest im Laufe des Monats, genau wie der Scheidenschleim der Frau, an dem der Genießer schon schmecken oder fühlen kann, an welchen Tagen sie fruchtbar ist.
Vertrauen auf die Natur und ihre genaue Kenntnis ist sicher das beste und natürlichste Verhütungsmittel, wären wir dabei immer noch vernünftig und bedacht, da wir das aber selten sind, würde ich unerfahren Menschen vernünftigerweise zu anderen Methoden raten, sage nur heute, alles Mist, die Pille versaut das Körpergefühl der Frauen, Kondome das der Männer, auch wenn sie in vielen Fällen lebensnotwendig längst sind, frage ich mich inzwischen eher, ob weniger und richtig nicht mehr lohnt. Sich darauf einlassen den Körper des anderen gut genug zu kennen, um zu fühlen oder zu schmecken, an welchem Zeitpunkt im Zyklus der andere gerade ist, halte ich dennoch für lohnender als den meisten schnellen Sex von dem selten viel bleibt.
Sich ganz nah sein, heißt eben auch, sich ganz aufeinander einlassen, sich verstehen wollen und nicht nur Schwanz rein, ruckel-ruckel, fertig. Der ruckel-ruckel-Sex mal eben interessiert mich schon lange nicht mehr und macht mich eher impotent. Will spüren, wie die Vagina der Frau vor Lust kontrahiert, mich nach innen zieht und damit meine Erektion auslöst, was, wenn vorne nichts passiert, auch hinten noch leichter gehen kann, sofern beide unnatürliche Hemmungen diesbezüglich ablegen. Im übrigen ist anal ohnehin das beste Verhütungsmittel nach der Natur für diejenigen, die sich aufeinander einlassen und nur dann lohnt sich Sex wirklich, den Rest kann sich jeder auch selbst schneller machen mit weniger Enttäuschung am Ende.
Wir waren uns jedenfalls ganz nah, es passierte und die Pinkelpapierprobe bestätigte, was die Frauenärztin noch wiederholte aber wir waren schon vorher wild entschlossen, unser Kind zu wollen, wenn es denn kommen solle. A war sich da, trotz ihres Alters ganz sicher, es würde alles gut gehen, ließ sich zwar, wie ich auch, immer wieder von Ärzten und ihrem Bedürfnis alles zu untersuchen, nervös machen gelegentlich und so nahmen wir alles wahr, was gut und denkbar war, worüber ich heute milde lächeln würde. Sie war private Chef-Patientin auch in der Charité, die noch mehr auffuhr, was gerade machbar war - vom dreidimensionalen Ultraschall bis zur Fruchtwasserprobe, für etwaige genetische Schäden, was ja bei fortgeschrittenem Alter der Mutter nicht ausgeschlossen werden konnte.
War eine innerlich aufregende Zeit und ich nahm, auch wenn als Mann natürlich nicht schwanger, an allem sehr teil, ließ auch meinen Bauch dank viel gutem Essen und noch mehr Keksen und Schokolade im Bett mitwachsen und wir debattierten die ethischen und moralischen Fragen, die sich nun stellten sehr tief, einerseits philosophisch und andererseits auch psychologisch. Hier fanden wir uns in ganz vielem sehr gut zusammen. A vertraute zwar im Kern noch ihrer weiblichen Intuition, dass alles gut sei und gut ginge, zu der ich als ohne eine solche lebender Mann nicht viel sagen konnte, doch stellte sie sich wie mir auch vor solchen Untersuchungen die Frage und was machen wir, wenn der Befund negativ ist?
Berlins Charité ist der beste Ort zur Rettung von Frühgeburten, hier retten sie Kinder, die andernorts noch im Abfluss möglicherweise gelandet wären. Zugleich und auf der gleichen Etage ist es aber auch eines der renomiertesten Zentren in Europa für Spätabtreibungen, die bis einen Tag vor der Geburt stattfinden können, sofern ein Arzt die Gefährdung der Mutter glaubhaft indiziert.
Möchte als Mann nicht darüber urteilen müssen, ob eine Frau sich der immer Lebensgefährdung einer Schwangerschaft aussetzt. Es muss ihre Entscheidung und ihre Freiheit sein, finde ich, weil ich die Freiheit der Frau hier für wichtiger halte als die des ungeborenen Lebens. Aber das ist eine bloß willkürliche Setzung, die keinen sachlichen Grund hat als ein Empfinden für Freiheit.
Sofern ich nämlich sage, auch das ungeborene Leben sei Leben, müsste ich auch dieses absolut schützen und wäre jede Tötung strafbar. Wenn ich nun betrachte, dass Kinder schon ab dem 6. Monat oder früher fast gerettet werden können, die Profis sprechen da von Schwangerschaftswochen, ein solcher bin ich nicht, so will ich nicht erscheinen, sondern bleibe bei den mir gewohnten 9 Monaten, auch wenn ich währenddessen natürlich auch nur von der xx. KW sprach, fragt sich, warum das Frühgeborene im Brutkasten ein anderes Wesen sein soll, dessen Tötung ein Mord meist wäre, da vollkommen hilf- und wehrlos, als jenes, das noch zufällig bis zum richtigen Termin an der Nabelschnur hängt und bei der richtigen Diagnose bis zu einen Tag vor der Geburt abgetrieben werden darf.
Es ist nicht logisch zu begründen und auch über diese Frage diskutierten wir zwischen Bergen von Schokolade, Keksen und sauren Gurken sehr viel. Was sagt das Gewissen dazu und wie könnte solches allgemein und verantwortlich geregelt werden. Es gibt da nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, weil der Gesetzgeber keinen vernünftigen Kompromiß fand, eine relativ soziale Fristenlösung, nach der unser Staat die Abtreibung zulässt, sofern sich die Frau vorher ergebnisoffen zum Wohle des Kindes hat beraten lassen.
Halte diese Lösung für das bestmögliche, was momentan ein Gesetzgeber dazu regeln kann und für einen sehr menschlichen Kompromiss, von der typischen Weisheit des obersten deutschen Gerichtes getragen, eine Art salomonisches Urteil der Gegenwart. Dies ist die soziologische Betrachtung.
Juristisch halte ich es für totalen Mist, unausgegoren und inkonsequent. Wenn es Leben ist, muss es wie jedes Leben geschützt werden, dies nicht zu tun, ist systematisch nicht begründbar, immer nur ein schlechter Kompromiss, der nicht ins System passt und den Wert der Strafe für andere Tötungen relativiert, das Unwerturteil über die Tötung an sich aufhebt im Sinne der strafrechtlichen Systematik.
Philosophisch sehe ich es auch im historischen Kontext der Emanzipationsbewegung der 70er, in der besonders mit der Kampagne mein Bauch gehört mir, mit der sich damals noch die heute Bild Kommentatorin Alice Schwarzer sehr verdient machte. Die leidenden unter einer juristischen Konsequenz und Logik, wie sie der Vatikan lange vertrat und teilweise immer noch vertritt, waren immer die Frauen und da besonders die armen Frauen. So kann etwas logisch richtig sein und dennoch zu falschen Ergebnissen führen, so paradox dies dem Gläubigen des Rechtsstaates scheint.
Der Bereich ist nach meiner tiefsten Überzeugung auch heute als Vater einer schon ganz großen Tochter nicht regelbar. Wir müssen die Freiheit der Frau anerkennen und auch wenn ich gleichzeitig das Leben der Ungeborenen schützenswert finde, es ist Leben und es einfach töten, nicht richtig sein kann. Es gibt einige solche Fälle, bei denen die Juristen sagen, es kollidierten Rechtsgüter, die zu einem nicht lösbaren Konflikt führen. Beispiel ist immer, darf ein Mensch einen Zug umleiten, auch wenn er damit riskiert, einen Menschen zu töten, aber andererseits mehr Menschen mit dem Tod weniger retten könnte. Wir stellten uns diese Frage nach dem 11. September 2001 in den USA verstärkt auch bei uns, ob etwa ein Verkehrsflugzeug, dass als Bombe auf ein AKW eingesetzt werden soll oder könnte, abgeschossen werden darf, auch wenn damit das Leben der Insassen nicht nur gefährdet, sondern diese hingerichtet würden, was bei uns völlig verboten ist.
So etwas ist rechtlich nicht regelbar, da Leben nicht gegen Leben aufgewogen werden kann. Die Entscheidung ist eine Gewissensentscheidung, letztlich auch der Piloten in den Abfangjägern, die im schlimmsten Fall gezwungen sein könnte die eigene Familie abzuschießen, da sie wiederum nur ein Werkzeug ihrer Befehlshaber dann wären. Aber so wenig in einem solchen Extremfall die Verweigerung des Befehls strafbar wohl wäre, letztlich könnte keiner der Entscheider, der töten ließ, um zu retten, belangt werden.
Wenn ich die Freiheit der Frau anerkenne, die mit einem Kind lebenslängliche Verantwortung und das zu häufig noch allein übernimmt, muss ich ihr denklogisch auch die Freiheit lassen, über ihre Lebensgefährdung, egal wie bloß hypothetisch diese auch ist, selbst und allein entscheiden zu können. Von daher würde ich sagen, bildet die Frauen so gut wie möglich aus, klärt Jungen und Mädchen vernünftig auf, um ungewollte Schwangerschaften möglichst zu vermeiden, aber wenn es so ist und Frau aus ihrer Sicht meint, es geht nicht, steht es keinem zu, sie dazu zu zwingen.
Auch diese meine Entscheidung dazu wäre nicht systemlogischer als die des Bundesverfassungsgerichts, nur etwas konsequenter als dieser im Ergebnis irgendwie taugliche Kompromiss zwischen verlogenen Christen und bedrängten Frauen, der bis heute Fristenlösung heißt und zu dem sich nun noch die Pille danach gesellte.
Manche halten diese schon für Abtreibung, weil ihr katholischer Aberglaube jede Schwangerschaft als gottgewollt sieht. Dies ist natürlich keine Begründung, weil eben nur alberner Aberglaube aber noch eine gesellschaftlich relativ starke Position. Juristisch ist da wieder nicht viel zu wollen - wenn Leben mit der Befruchtung der Eizelle geschieht, ist die rezeptfreie Pille eine Tötung und müsste logisch strafbar sein. Es wird dann aber schnell lächerlich, will der Staat dann auch das männliche Onanieren bestrafen, was zumindest potentielle halbe Kinder sterben lässt? Was ist mit den Frauen, die keine ihrer Eizellen je befruchten lassen?
Aber, um diesen kurzen Ausflug über ein Thema, das während der Schwangerschaft bei uns eine große Rolle spielte, wieder zu beenden - es zeigt sich in diesem Bereich, dass der Staat einfach nicht alles regeln kann und sollte. Gut und schön wäre es, wenn Menschen mehr Chancen bekämen, die Kinder zu kriegen, die sie wollen und mit ihnen glücklich ohne Armut zu leben. Gute Kitas und mehr Gleichberechtigung auch im Job gehören zu solchen Lösungen für die Zukunft und die CDU hat, erstaunlicherweise, dabei unter Merkel und von der Leyen mehr angestoßen als die verkrustete SPD, deren Frauenkreise sich immer noch zum Eierwärmer stricken treffen, sich nur über Chauvis aufregen aber faktisch wenig ändern oder bewegen.
Ob es sinnvoll und gut ist, viele Kinder in die Welt zu setzen oder wir eher eine Schrumpfung der Bevölkerung brauchen, weil Raum und Ressourcen begrenzt sind, würde jetzt eine ewige Diskussion eröffnen, zumindest den Raum und meine Ressourcen hier sprengen. Auch darüber haben A und ich in diesen neun gemeinsamen Monaten diskutiert, wie eigentlich über alles, was uns einfiel, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
Gut ist, wenn sich gebildete Menschen, die es sich leisten können, vermehren und ihre Bildung voller sozialer Verantwortung an die Kinder weitergeben. Bei anderen fragt sich vielleicht, ob der soziale Wert ihrer vielen Kinder für die Gemeinschaft wirklich den durch sie verursachten faktischen Schaden je übertrifft. Doch wer wollte dies bewerten, hier Richter sein dürfen über Leben und Tod oder erwünschte oder unerwünschte Schwangerschaft?
Denke, dies steht keinem Gesetzgeber der Welt zu und sollten Paare möglichst frei und geschützt miteinander entscheiden dürfen. Frauen dabei mehr Schutz und Freiheit zu geben, ist das beste, was der Staat tun kann, wenn er das ungeborene Leben auch schützen will. Verbote führen, wie bei der Prostitution nur die falschen Opfer in einen unhygienischen und gefährlichen Untergrund, sind also immer falsch und ändern nichts.
Wir wollten und genossen die Zeit, wenn auch mit einigem auf und ab, auch durch den zwischendurch Versuch der Mènage á Trois bedingt. Als ich im Sommer auf der Hochzeit eines meiner besten Freunde war, äußerte er völliges Unverständnis für meine Situation, meinte Kinder bräuchten Klarheit und so etwas tauge nichts. Machte ihn dennoch zum Paten unserer Tochter später, als wir uns entschieden hatten und alles klar war, die letzten 12 Wochen vor der Geburt.
Wie es dazu kam, passt zu der gerade Abschweifung mit der Abtreibung, denn eigentlich tat ich nichts dafür, im Gegenteil, ich ließ es laufen, relativ offen für alles und versuchte nichts, während die andere A versuchte, meine A mit nicht ganz netten Methoden mir gegenüber zu gewinnen, was letztlich meine Position stärkte, weil A einen hohen Gerechtigkeitssinn hat, wie sie sagte. Ob dies tatsächlich der einzige Grund war oder die Natur in Gestalt der Hormone noch mitwirkte, weiß ich nicht zu beurteilen, wer wäre ich, zu meinen, ich verstünde eine Frau oder wagte zu bezweifeln, was sie meint, vor allem, wenn es um Gefühle für mich geht?
Durch nichts tun und abwarten eine Entscheidung herbeiführen lag mir und es dauerte, bis ich wirklich die Genialität der Kanzlerin in dieser Beziehung erkannte - damals war ja auch noch Gert Schröder Kanzler, der Chauvi, der sich gern als Macher gab aus der immer nur alibiemanzipierten SPD, den ich aber schätzte.
Ähnlich sollte es auch beim Nachnamen meiner Tochter werden, die meinen trägt und nicht den vorher ehelichen der A. Hätte ich mit den besten Argumenten darum gekämpft, nie hätte ich irgendwas dabei erreicht, sie hätte auf ihren bestanden und sich, da wir nicht verheiratet waren, das hatte sie ja schon hinter sich, wie sie gerne scherzte, damit leicht durchsetzen können. Ließ sie, war da und so liebevoll wie möglich und so kam es, wie es kam, ohne zu sagen, ich hätte etwas dafür getan, als nichts zu tun.
Vielleicht wäre mir vieles im Leben leichter gefallen, hätte ich dies Prinzip wirklich verinnerlicht, denn wie oft, auch noch danach, wollte ich Dinge erzwingen und erreichte nichts als Kämpfe ohne Ende, wie sie irgendwann auch zu unserer Trennung führten, die eigentlich überflüssig war, da wir uns geistig so gut verstanden, wie zumindest da noch theoretisch im Bett und praktisch auch die seltenen male, die es am Ende noch vorkam, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Ihr Bauch wuchs und ich verwöhnte sie, so sehr ich konnte. Es war eine wunderschöne Zeit, die wir ausgiebig bis zum letzten Tag genossen, an dem wir noch sehr feines Entrecotes gekocht hatten und sie irgendwann in der Nacht auf die Idee kam noch Wäsche zu waschen - gepackt hatte sie nichts, sie war ohnehin ständig auf Reisen gewesen, hasste packen inzwischen und wusste, dafür reichte die letzte Minute, die dann nicht mehr blieb, als sie plötzlich, nach meinen Berechnungen vier Wochen zu früh, nach denen der Ärzte, die ihren Standard annahmen, aber keine Ahnung hatten, vor allem natürlich nicht dabei waren, nur drei, bemerkte, dass ihre Fruchtblase geplatzt war.
War aufgeregter als sie und bemühte mich dennoch so professionell ruhig zu bleiben, wie es meine jahrelange Erfahrung im Krankenhaus gebot. Rief als erstes meinen Vater an, was wir nun tun sollten, der erfahrener und vorsichtiger Arzt, der er ist, natürlich zum Liegendtransport riet, um nichts zu riskieren. A fand das übertrieben, sie hatte ja noch keine Wehen, fand alles nicht so schlimm, wies mich an, was ich packen sollte und irgendwann riefen wir ein Taxi und landeten mit diesem kurz vor Mitternacht in der Notfallambulanz der Charité, die sich direkt unter der Geburtsstation befand.
Es war Sonntagabend und dennoch viel Andrang und so dauerte es etwas bis wir rein kamen und sie A Bett zuwiesen. Die Ärzte kontrollierten alles, beklebten den Bauch mit den üblichen Insignien der Gebärenden der Moderne - vom Wehenschreiber bis zu den Elektroden, die den Herzschlag des Kindes und was sich sonst noch so kontrollieren ließ maßen. Noch immer war A erstaunlich cool, worüber die Ärzte sehr staunten, weil der Wehenschreiber voll ausschlug, aber sie meinte nur, verglichen mit dem, was sie an Regelschmerzen kannte, wäre das noch harmlos.
Die Station war modern und zugleich sehr menschlich eingerichtet, hatte Zimmer mit riesigen Badewannen zum Gebären, was bei uns nicht geplant war - eigentlich sollte es ein Kaiserschnitt werden mit Rückenmarksnarkose - alles vorher geplant und gut überlegt gehabt und ich fand ihre Entscheidung auch sehr weise, gerade in Anbetracht ihres Knicks oder der Verengung im Scheidenkanal, die ich beim Sex so liebte, schien ein schneller Schnitt doch angemessen und wäre in der Folge auch nicht so dramatisch.
Doch dann kam, ich meine sogar am späten Sonntag noch, ihr behandelnder und sehr erfahrender Chefarzt herein und plädierte für eine natürliche Geburt, da doch alles schön sei und der Weg der Natur doch für alle immer am besten wäre, ich wagte nicht zu widersprechen und auch A fügte sich mit den Worten, wenn es die Natur will, dann soll es so sein.
Dann ging es ans Warten. Wir warteten und warten. Stunden über Stunden. Der Wehenschreiber schlug zwischendurch schubweise immer stärker aus aber A biß höchstens die Zähne zusammen und blieb doch noch völlig gelassen. Wir warteten weiter aber unsere Tochter machte trotz der geplatzten Fruchtblase keine Anstalten in der Nacht auf die Welt zu kommen.
Dies Warten war eine wunderschöne aber auch sehr aufregende Zeit. Hatte zu lange im Krankenhaus gearbeitet, um nicht ständig auch an mögliche Zwischenfälle besorgt zu denken und war doch immer bemüht A zu beruhigen, die mir aber im Ganzen weniger aufgeregt schien, als ich es war. Holte noch ein wenig Frühstück beim Bäcker nebenan, ansonsten wurden wir beide in der Klinik versorgt und es passierte nichts - zwischendurch wollten wir noch einige Stunden schlafen, aber wenn ich mich richtig erinnere, war das auch ein eher vergebenes Bemühen.
Es wurde Vormittag, der Chefarzt kam nochmal vorbei und meinte ganz gelassen, die ließe sich aber gut Zeit, er müsse jetzt nochmal ins Virchow zur Vorlesung wäre aber bestimmt rechtzeitig zurück. Es wären aber ja immer genug Ärzte da und es vertrat ihn ausgerechnet der Kollege und spätere Stationsarzt, den A eigentlich nicht ausstehen konnte und von dem sie auf keinen Fall behandelt werden wollte vorher.
Plötzlich begann die Aufregung als eine der Hebammen eine Auffälligkeit bei der Messung der Herzfrequenz feststellte. Sofort waren mehrere Ärzte zur Stelle und der junge Stationsarzt, eben genau jener, entschied in Abstimmung mit den Kollegen, sie müssten das Kind jetzt sofort in einer Not-Sektio holen, weil der Herzschlag zwischendurch aussetzte. Argumentierte noch, dass doch nur der Aufkleber verrutscht sein könnte - aber sie ließen da nicht groß mit sich verhandeln. Ärzte eben. Es bestand das Risiko eines Notfalls, dann musste das Kind sofort geholt werden und durfte nicht auf den Chef gewartet werden.
Wollte natürlich dabei sein und sie brauchten fast Gewalt, mich daran zu hindern - bei Not-Sektio war die Anwesenheit der Väter unerwünscht - die Hebamme wollte es mir ganz ruhig erklären, der Bauch würde aufgerissen, dann hätten die Väter den Impuls ihrer Frau zu helfen, das ginge nicht, es sei eben ein Notfall. Erklärte ihnen bei wie vielen OPs ich als Springer dabei war, dass es mir nichts ausmachte, ich das kannte. Es half nichts, ich wurde ausgesperrt und tigerte die längsten zehn Minuten meines Lebens auf dem Krankenhausflur herum, kurz davor cholerisch zu werden oder sonst auszurasten, wusste nichts, mit mir anzufangen und wäre ich gläubig, hätte ich vermutlich sogar gebetet - so hoffte ich nur, es würde alles gut gehen und war doch voller Angst, dass doch was passiert war, unsere Tochter sich vielleicht mit der Nabelschnur erwürgt hatte.
Es schossen gleichzeitig schönste und schrecklichste Gedanken durch meinen Kopf, ich war wie in Trance, während A kaum im Saal die Maske aufs Gesicht bekam und wegdämmerte, gerade noch spürte wie die Ärzte oder eine Hebamme ihr blitzschnell die wunderbaren roten Schamhaare abrasierten, die ja später zum Glück wieder nachwuchsen. Konnte nichts tun und wäre am liebsten in den OP gestürzt, um dabei zu sein, mein Kind zu sehen, es zu retten, dabei zu sein und musste nun nur abwarten und nicht verrückt werden. Vermutlich hatten sie Recht und es war vernünftig so. Hätte nur am Kopf stehen dürfen, damit ich nicht sehe, wie die Chirurgen den Bauch aufreißen. Es gäbe da Reflexe bei jedem Mann, sie würden dann eingreifen, egal wie erfahren sie seien - was für ein Blödsinn dachte ich, der genug offene Menschen gesehen hatte und musste mich doch gegen die Übermacht in Weiß fügen, wollte auch nicht ungerecht gegen die Hebamme sein, die nichts dafür konnte.
Auch A meinte, bevor sie im Saal verschwand, es sei ok so. Fügte mich, stand dort allein zwischen lauter klinischen Apparaturen, die an schlimmstes denken ließen und war so von meinen Hormonen aufgeputscht, dass ich kaum zu einem klaren Gedanken fähig war. Tigerte, grübelte, konnte nicht denken, war völlig übermüdet und erschöpft, dachte ich drehe gleich durch und dann auch noch der Arzt, den sie auf keinen Fall wollte, das durfte doch nicht wahr sein, was würde er mit ihr tun, würde er sich rächen, dass die Privatpatientin ihn abgelehnt hatte einst.
Dann kam die Hebamme strahlend aus dem Kreißsaal, unsere Tochter auf dem Arm, die sie mir sofort in die Arme legte, es war keine Viertelstunde vergangen - unser Kind war da und gesund, ich war Papi geworden und fühlte mich von einer Sekunde auf die andere wie ein König. Hielt das süßeste Baby der Welt, die noch ganz klein war, sie gehörte wirklich zu den winzigen Babys und hätten die Ärzte, die immer alles besser wissen, meinem Wissen mehr getraut als ihrer nur Norm, hätte die Süße wohl in den Brutkasten gemusst, doch überstand sie es auch so und hat heute ihre Mutter längst überholt.
Hielt mein Kind im Arm und warm durchfloss mich die große Liebe, was für ein wunderbarer Moment, so etwas erleben zu dürfen, Vater zu sein, nun für ein Kind zu leben. Natürlich war das alles völlig normal, erlebten tausende Väter das am gleichen Tag, viele sogar noch im gleichen Haus, aber dies war mein Kind, ich war Vater und es war alles in Ordnung, die Lütte lag friedlich in meinem Arm, ich hielt sie vorsichtiger als jedes Porzellanpüppchen und war von einem Moment zum anderen vom aufgeregetesten und empörtesten zum glücklichsten Menschen der Welt geworden. Es war mir plötzlich egal, ob ich dabei war oder nicht, es hatte geklappt, alles war gut.
Fragte die Hebamme nur noch, was mit A ist - sie beruhigte mich, alles in Ordnung, reine Routine, kein Problem, sie müssten sie jetzt nur in Ruhe und ordentlich wieder zunähen und würden sie dann zum Aufwachen in diesen Raum schieben, ich sollte in Ruhe mit dem Kind warten, lächelte und verschwand zum nächsten Kind, kümmerte sich um andere Mütter und Väter, die das noch vor sich hatten. Nun konnte kommen, was wollte, ich lebte in der besten aller Welten, das Leben war wunderbar, ich war Vater und gerade der glücklichste Mensch Welt - was war dieser 19. November 2001 für ein wunderschöner Tag.
Später wurde A in den Saal geschoben, in dem ich mit unserem Kind auf dem Arm wartete. Es dauerte noch etwas, bis sie zu sich kam, dann lächelte auch sie, ich hielt ihr unser Kind hin und es gibt, glaube ich, wenige Momente im Leben, an denen Menschen so glücklich sein können, wie wenn sie unerwartet schnell nach großen Ängsten ein ungeplantes Wunschkind im Arm halten dürfen. War voller Liebe, wollte die ganze Welt umarmen, jubeln und schrein, hätte am liebsten getanzt oder andere verrückte Dinge getan - nun musste ich mich erstmal um A kümmern und dann begann unsere Tochter das erste mal zu quäken.
Na dann stillen sie doch mal, meinte die Hebamme ganz locker, hatte gleich wieder Bedenken, der Narkose wegen, ob das nicht gefährlich für das Kind wäre. Aber die Hebamme winkte ab und Antje stillte erstmals unser Kind an ihrem süßen kleinen Busen, der allerdings seit dem 5. Februar, als ich ihn zum ersten mal sehen durfte, etwas größer geworden war, sie hatte sogar BHs tragen können, was mir, der diese so sehr zu öffnen liebt gut gefallen hatte.
Irgendwann, ich weiß nicht wieviele Stunden oder Minuten später landeten wir dann auf der Station, endlich einen Moment alleine im Zimmer, mit dem schönsten Baby der Welt, das im Zimmer schon war, nicht in den Brutkasten musste, gut getrunken hatte und wollte am liebsten der ganzen Welt mein Glück mitteilen, doch 2001 waren Mobiltelefone im Krankenhaus noch völlig verboten und so geduldete ich mich und wir genossen, erschöpft und übermüdet die ersten Stunden des Daseins als Eltern.
Dann hatte eine Schwester ein Einsehen und schlug mir vor, doch nach Hause zu gehen, meine Frau müsse doch jetzt ausruhen, ich sei bestimmt auch müde und morgen sei doch auch noch ein Tag, es sei doch jetzt alles gut. Wehrte mich nicht zu sehr gegen diese Ansage, lief los, bei noch schönstem Wetter und ging zuerst zu einer Juwelierin in der Linienstraße bei der ich für A zur Geburt ein Paar Ohrringe mit ihren liebsten Steinen machen lassen wollte, was diese auch, meine übernächtigte Freude registrierend sofort zu erledigen versprach.
Lief den Weg von Mitte zum Kollwitzplatz zu Fuß, wir waren ja mit dem Taxi gekommen und hatte die ganze Zeit das Gefühl, ich müsste die ganze Welt umarmen, teilte mich allen mit, die ich traf, so auch dem Nachbar K, der über uns in seinem etwas chaotischen aber genial ausgebauten Dachgeschoss als ewiger Architekturstudent und leichter Messi sein gelassenes Leben oft auf der schönsten Dachterrasse der Stadt voller Pflanzen lebte. Mit ihm und den Nachbarn über uns, die aus Bayern zu Besuch waren, begossen wir dann die Geburt standesgemäß mit einem Sekt.
Nun war ich Vater, A würde noch eine Woche in der Klinik verbringen und ich natürlich so viel Zeit wie nur möglich mit ihr und unserer Tochter, die ich einige Tage später noch mit ihren drei Namen und meinem Nachnamen, wie A es nun wollte, auf dem Standesamt in Mitte anmeldete, damit alles seine gute preußische Ordnung hatte, wir waren Eltern, etwas mehr als neun Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten und es war gut so.
jens tuengerthal 3.3.2017