Mittwoch, 8. Februar 2017

KMG 006

Seelenmärchen

Es war einmal eine wunderschöne Prinzessin, die alles konnte, was die Ritter auch taten und mutiger als viele von diesen schon lange war. Sie sang und tanzte so schön, wie sie gut focht, große Kutschen oder Schiffe auf dem Ozean steuerte. Nie fürchtete sie einen Gegner, weil sie sich allen gewachsen fühlte und immer tat, was sie wollte, auch und gerade, wenn alle sagten, ‘aber dass machen Prinzessinnen doch nicht’.

Auch wenn sie in jeder Situation ihren ‘Mann’ stand, wie es die Leute so sagten, war sie ganz zart und fein, hatte winzige Prinzessinnenfüße und einen zarten Körper, der eher mädchenhaft wirkte, als dass sie wer für eine Matrone hielte. Ihr goldenes Haar trug sie je nach Laune offen und dann wellte es sich nach der Natur über ihre Schultern oder während ihrer Abenteuer streng geflochten im Zopf.

Weil die Prinzessin immer tat, was sie wollte, hatte sie die Welt gesehen, kannte Menschen überall und hatte so viele Verehrer in Arabien, Indien wie in Amerika. Nur hatte sie nie einen geheiratet, weil sie, wie die große Königin Elisabeth I., die auch irgendwie eine Großtante von ihr war, frei bleiben wollte - nur der König Karl, ihr Vater, war ein wenig betrübt, weil er sich doch Enkel so sehr wünschte und um den Fortbestand seines Hauses fürchtete.

Doch die schöne Prinzessin wies alle Prinzen, Ritter, Könige, Scheichs und was sie auch waren ab, weil sie auf die große Liebe insgeheim hoffte, auch wenn sie immer sagte, sie wolle keinen, weil die alle zu doof und langweilig sein, nur das eine wollten, ihr Reich und ihr Geld ihnen wichtiger war als die Liebe. War auch so bei manchen, aber es gab auch welche, die es ehrlich meinten. So reiste die Prinzessin ständig um die Welt, um sich abzulenken von ihrer eigentlich Sehnsucht, anzukommen und wies weiter einen Bewerber nach dem anderen ab, um frei zu bleiben, wie sie sagte oder, ehrlicher eigentlich, sich für den Märchenprinzen aufzusparen, der sie irgendwann entdecken würde, als den Schatz seines Lebens.

Doch der Prinz kam nicht. Es kamen viele und machten ihr große Geschenke, brachten Blumensträuße und legten ihr die Welt zu Füßen, doch die alle interessierten sie nicht, weil sie ganz tief in sich nur auf den einen wartete. Wenn sie jemand gefragt hätte, wie er denn aussieht oder ist, könnte sie es nicht so genau sagen, auch wenn sie schon ein Bild von ihm hatte, war das nie ganz konkret geworden. Vermutlich wäre er groß und dunkel, dachte sie, aber auch das war nicht sicher. Dann grübelte sie, ob es eher ein Seefahrer, ein Ritter oder ein Schauspieler wäre und fand an allen immer viele Nachteile, sie spürte nichts dabei.

So ging es ihr auch sonst, denn natürlich hatte die Prinzessin, die immer machte, was sie wollte, längst alles ausprobiert, was auszuprobieren war, in der Horizontalen oder auch mal aufrecht miteinander getan werden konnte, mit beiderlei Geschlecht sogar, aber nie spürte sie das, wonach sie sich sehnte. Sie konnte es nicht benennen, sie wüsste es nur sicher, wenn es da ist, dachte sie immer. Doch weil sie merkte, wie unruhig ihr Vater der König wurde, der sich um sein Reich sorgte, machte sich die Prinzessin wieder auf die Suche.

Sie probierte mal diesen, mal jenen ein wenig und doch fehlte ihr etwas, was sie nicht benennen konnte und sie beschloss, den Mönch zu fragen, der immer ihre Vater beriet, wenn der nicht weiter wusste, vielleicht hatte der eine Idee, warum sie mit keinem zufrieden war, sich nie fühlte, als sei sie angekommen.

“Habe sie hierher gebeten, weil ich ihren Rat brauche in einer Sache, in der ich nicht mehr weiter weiß - es geht um die Liebe von Mann und Frau…”
“Und da rufen sie mich, einen zölibatär lebenden Mönch?”
“Ach stimmt ja, sie haben ja damit nichts zu tun. So gesehen, haben sie es ja auch gut.”
“Sie wollen nicht heiraten und möchten keine Kinder bekommen? Haben sie Angst?”
“Nein, also doch, ich meine natürlich - was rede ich da? Möchte gerne heiraten, eine Familie gründen, Kinder bekommen, gegen Sex hab ich auch nichts, nur…”, hier machte die Prinzessin eine Pause und zeufzte, schaute den Mönch an, der doch als Vertrauter ihres Vaters bestimmt Bescheid wissen musste, oder dachte nur sie, dass es so ein großes Thema für alle sei?

“Ja?”, fragte der Mönch sie völlig unbefangen, weil sie mitten im Satz aufgehört hatte.
“Hach, es findet sich nicht der Richtige, sie sind ja alle ganz nett, aber…”
“Die große Liebe war noch nicht dabei?”
“Genau, wußt ichs doch, sie verstehen mich.”
“Davon kann ja noch gar nicht die Rede sein, hab nur zufällig richtig geraten und natürlich pfeiffen das längst die Spatzen von den Dächern.”
“Was pfeiffen die denn?”, fragte die Prinzessin neugierig aber auch ein wenig schnippisch, um nicht zu zeigen, wie neugierig sie eigentlich war.

“Das Hoheit die große Liebe sucht und ihr bisher keiner genügen konnte, mehr weiß ich auch nicht, ist ja sonst eher nicht mein Thema und die Regenbogenpresse verfolge ich auch nicht so intensiv.”
“Ha, sie haben Humor, dass mag ich…”, lachte die Prinzessin den Mönch an.
“Behauptet ihr Vater auch immer, aber witzig sein und Ahnung haben, sind zwei Sachen, glaub ich.  Wie könnte ich ihnen denn nun raten werte königliche Hoheit?”
“Erstmal indem sie die blöden Anreden weglassen. Wir sind ja unter uns, albernes Zeug, sie sind älter als ich, da muss ich respektvoll sein, hat mir mein Vater beigebracht.”
“Was mehr für ihren Vater spricht als für mich oder gegen sie.”
“Ja, vermutlich und intelligent sind ihre Witze noch dazu, gefällt mir immmer besser. Aber sie wollen ja nicht heiraten…”, flirtete die Prinzessin mit einem Zwinkern den Mönchan, der älter als ihr Vater war. Wie würde dieser nun reagieren, fragte sie sich, übersah er es oder spielte er mit.

“Vor der Wahl stehe ich wohl nicht, denke ich, diene ja dem Herrn. ”
“An den sie vermutlich so wenig glauben wie mein Vater und ich…”
“Sagt er das so?”
“Naja, nicht wörtlich - er meinte, wer so intelligent sei wie sie, dem müsse doch der Atheismus, als geringere Beleidigung für Gott vorkommen. Er meint glaube ich, sie hätten sich nur ihre Freiheit im Orden genommen.”
“Da zitiert er Edmonde Goncourt, ja, ein schönes Zitat und vielfach sehr passend. Ach, was weiß ich schon davon? Ihr Vater und ich sind sicher beide suchende Menschen auf unsere je Art.”
“Aber die Kirche ist ihnen auch eher fremd?”
“Fremd? Nein, eher vertraut, sehr menschlich, bin ja ein Teil von ihr und maße mir nicht an, über die heilige Kirche zu urteilen, deren Diener ich nur bin.”
“Ja, sie seien nicht leicht zu greifen, sagte mein Vater auch....”
“Dann können wir uns ja die Hände reichen, es gibt wohl viele Prinzen, die das auch über sie sagen.”, lachte der Mönch und reichte der Prinzessin die Hände.

“Das Lachen tat gut, danke - hmmm, können sie mir irgendeinen Rat geben, was ich tun soll - sei wissen doch, die Zeit und die biologische Uhr tickt…”
“Die Liebe kommt, wenn sie da ist und ein guter Dichter schrieb mal über sie, ‘Es ist, was es ist’ - mehr weiß ich dazu auch nicht. Hören sie auf ihre Seele.”
“Hab ich nicht!”
“Ach ja, natürlich, wie ihr Herr Papa,  hätte ich mir auch denken können - dann hören sie auf ihre Intuition, die wird es ihnen schon sagen.”
“Ist Intuition für sie das gleiche wie Seele?”
“Nein”, antwortete der Mönch so knapp, dass er sie zum Fragen drängte, wenn sie etwas wissen wollte.

“Also nicht das gleiche und was dann?”
“Interessiert sie, was es für sie nicht gibt, was die Kirche dazu lehrt oder wie es philosophisch gesehen wird?”
“Religion und Philosophie benutzen Seele unterschiedlich?”
“Ja, für Epikur ist sie Teil des Körpers, wie ein Organ, also sterblich und ähnliches schrieb auch Lukrez. Anders Platon und Aristoteles. In der Religion ist sie, je nach Glaube, meist unsterblich, mal wandernd, dann im Nichts aufgehend oder auf dem Weg durch das Fegefeuer in den Himmel.”
“Was ist es für sie?”
“Ein Begriff mit verschiedenen Schattierungen, die auch auf der Welt regional sehr unterschiedlich gesehen werden, den aber alle Kulturen kennen.”
“Meinte sie persönlich.”
“Ach, was weiß ich schon von der Seele? Der Herr gibt es und der Herr nimmt es. Kann sehr viel verstehen, was das angeht.”
“Schon klar, darum schätzt sie mein Vater ja auch so, aber darum geht es nicht, sondern, was sie glauben, ob ihre Seele unsterblich sei, wandert oder zu Nichts wird, in diesem aufgeht.”
“Wer darf ihn nennen …”
“Ich bin nicht Gretchen!”
“Ja, ich weiß, sondern die klügste Prinzessin der mir bekannten Welt.”
“Die gerne eine Antwort hätte, wenn sie sich dazu herablassen würden…”
“Keinerlei Herablassung, für so bedeutend halte ich mich nie - hab nur keine rechte Ahnung, was ich da antworten soll. Komme mit der Lehrart der Kirche klar, sie ist der offizielle Weg. Beschäftige mich weniger mit der Frage.”
“Ist die Existenz von etwas nicht grundlegend?”
“Nur, wenn es uns betrifft. Viele finden den Tod das wichtigste im Leben, Epikur meinte, dieser ginge ihn nichts an und sei ihm egal. Er beschäftigte sich nicht damit.”

Die Prinzessin war fasziniert, an dieser Stelle hatte sie ihn, dachte sie. Entweder er log jetzt oder sie würde einen Freund gewinnen. Sie musste nur genau überlegen, wie sie fragte, damit er nicht wieder ausweichen konnte.

“Also existiert die Seele für sie nicht?”
“Kann ich so nicht sagen, frage mich auch nicht, ob mein Herz schlägt, wenn es das ruhig und regelmäßig tut, dann betrifft es mich zwar aber ich habe keinen Grund mich mit meiner Natur weiter zu beschäftigen.”
“Wollen sie sagen die Seele sei Teil unserer Natur?”
“Zumindest scheint der Gedanke daran vielen Menschen ganz natürlich.”
“Ihnen auch?”
“Was andere normal finden, werde ich nicht befremdlich finden und muss mich dennoch nicht damit weiter beschäftigen.”
“Aber doch die Frage ihrer Unsterblichkeit beantworten - das änderte doch einiges…”
“Für die Fragen, die hier zu regeln sind selten.”

Wieder hatte er sich entwunden. Was glaubte er nun wirklich, fragte sich die Prinzessin nun viel dringender als einen Rat zur großen Liebe zu bekommen, wovon der Mönch vermutlich mit seinem mönchischen Leben keine Ahnung hatte.

“Die Kirche verkündet aber die Lehre von der unsterblichen Seele.”
“Reden wir theologisch oder philosophisch?”
“Ist das für sie ein Unterschied?”
“Natürlich, was die Kirche sagt, ist klar. Die Philosophen betrachten es unterschiedlich.”
“Sehen sie es anders als Epikur?”
“Natürlich, ich lebe ja auch über 2000 Jahre später.”
“Ich meine, ist es mehr als Natur für sie?”
“Habe nur meine Natur, um zu erkennen und anzunehmen, es sei so,  wie es mir scheint, alles andere ist Glaube.”
“Und? Glauben sie daran?”
“Wäre ich Mönch, glaubte ich nicht?
“So wie die Kirche es sagt?”
“Rituell oder philosophisch?”
“Aber was soll die Seele dann in der Natur sein?”
“Vielleicht ist sie einfach das Mehr.”

Das ‘Mehr’ machte sie nachdenklich - doch, was es nicht in der Natur gibt, existierte für sie nicht. Was könnte er mit dem ‘Mehr’ meinen, fragte sie sich und kam ins Grübeln, vielleicht dachte er eher an die Inhalte.

“Meinen sie sozusagen die Software des Gehirns?”
“Wenn sie den Mensch auf eine Maschine reduzieren wollen, könnte es das sein.”
“Nur wird Software programmiert. Sie wird aufgespielt und funktioniert. Ihr liegen immer 1 und 0 zugrunde, es ist alles berechenbar.”
“Es gibt lernende Software, soweit ich weiß, und ich würde den Vergleich nicht wählen.”
“Aber sie denken auch, dass die Basis logisch sein muss?”
“Weiß es nicht, soweit ich die Natur kenne, funktioniert sie, so wie ich sie betrachte, immer so. Aber vieles wissen wir auch nicht oder noch nicht.”
“Dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis der Mensch vollständig berechenbar ist?”
“Ob das funktionieren kann, wenn das Wesen noch selbständig denkt, scheint mir fraglich - es spielen da, glaube ich zu viele Faktoren eine Rolle.”
“Faktoren? Meinen sie jetzt den Einfluss des Schöpfers?”
“Dachte eher an Hormone, Erziehung, Trieb und was das Gefühl so alles ausmacht.”
“Also doch nur Natur auch in der Liebe?”
“Alles andere ist ja nicht unser Thema, denke ich.”

Sie wusste immer noch nicht mehr als zuvor über ihn und seine Vorstellung von der Seele, er war nicht zu fassen. Aber so schnell gab die Prinzessin nicht auf.

“Waren sie mal verliebt?”
“Natürlich, gehört das nicht irgendwie zum Menschen dazu?”
“Und warum sind sie dann Mönch geworden?”
“Nicht jede Liebe endet glücklich. Vermutlich, weil ich es irgendwann als meinen Weg erkannt habe. Aber ich frage mich das auch manchmal. Ob ich ein guter Vater wäre und ein erträglicher Ehemann.”
“Und?”
“Ist ja eher theoretisch für mich. Hätte mich bemüht, aber ich habe mich anders entschieden, weil es mein Weg ist und dann ist es gut so.”
“Würden sie mir erzählen, wie das mit der Liebe bei ihnen war?”

Der Mönch lehnte sich zurück, schaute die Prinzessin an, fragte sich, ob sie nur Tratsch hören wollte, der doch gar nicht ihr Thema sonst war, er die Frage besser abwimmelte. Doch eigentlich ging es ja genau um dieses Thema ursprünglich und vielleicht war das ihre Art wieder auf das alte Thema zurückzukommen und er erinnerte sich an das schmerzvolle Ende seiner großen Liebe.

“Wir wussten es beide sofort und uns war gleich klar, dass wir heiraten wollten. Damals studierte ich noch, doch es war alles perfekt, wie ich es mir immer geträumt habe. Wir genossen unsere Nähe wie die Lust, teilten geistige Welten, lasen zusammen Bücher und diskutierten darüber. Alles schien wie im Traum.”
“Und dann verlor es sich wieder?”
“Ja und ich weiß auch nicht wie und wann. Sie merkte es zuerst, ich wollte es nicht und tat als sei alles ganz normal. Meine Familie war etwas misstrauisch und ihre mit der meinen verfeindet seit vielen Generationen. Kinderkram eigentlich, alle hatten längst vergessen warum, nur es machte es schwerer und wir waren eben nicht Romeo und Julia.”
“Wer hat dann wen verlassen? Darf ich das fragen? Entschuldigung, es beschäftigt mich nur gerade auch so.”
“Sie dürfen alles fragen…”
“Und sie entscheiden, was sie antworten…”
“Ob ich es überhaupt beantworten kann - es ist schon lange her, aber, nein, ich glaube keiner hat einfach den anderen verlassen. Wir stritten uns und sie ging und ich tat wohl nicht genug, damit sie wiederkam. Dann sahen wir uns nach Monaten nochmal für eine Nacht und es war wieder wie am Anfang, ich war so glücklich…”
“Oh wie romantisch… Und blieb es dann so?”
“Leider nicht, ich sagte, ich bräuchte etwas Zeit, wollte meine Familie überzeugen und dann war sie weg und beschimpfte mich nur noch in Briefen. Verstand es nicht, versuchte vernünftig zu sein, probierte es nochmal und sie war immer noch wütend - weiß bis heute nicht warum - irgendwann dann verlor es sich.”
“Die große Liebe einfach verloren? Das kann doch nicht sein!”
“Doch und es ist leider völlig normal, glaube ich. Wir lassen uns ablenken, gehen unsere Wege, irgendwann vergessen wir - und ich, naja, als die Ablenkung nicht weiterführte und ich aber nicht vergaß, ging ich ins Kloster und das ist ja nun länger her als sie alt sind Hoheit.”
“Lebt die Liebe noch?”
“Das will ich doch hoffen, so alt bin ich ja nun auch wieder nicht”, und da zwinkerte ihr der Mönch mit einem Lachen zu.

“Natürlich, ich meinte das Gefühl, ob es noch lebt?”
“Irgendwie bestimmt, nur relativiert sich alles mit der Zeit. Wenn du nur beschimpft wirst, schützt du dich und es ist nun, wie es ist und ich bin ein glücklicher Mensch seit vielen, vielen Jahren.”
“Nie mehr eine große Liebe gefunden?”
“Hab nicht mehr danach gesucht. Glaube, auch, wenn das Wort etwas zu bedeuten hat, gibt es das nicht so oft.”
“Dann habe ich also Recht, daran zu glauben…”, fragte sie halb und stelle sie halb fest.
“Daran glauben, ist bestimmt richtig. Nur kann der Glaube auch blind für das Glück im Alltag machen und dann macht er eher unglücklich.”
“Das sagen sie mir alle ständig, aber ich will nicht einfach eine gute Partie machen. Dann bleibe ich lieber alleine. Es war noch keiner so, wie ich es mir träumte.”
“Vielleicht ist es das alte Problem von Anspruch und Wirklichkeit.”
“Aber sie haben doch nach ihrer großen Liebe auch keine mehr gehabt.”
“Genau, gleiches Problem. Darum wurde ich in der Liebe nicht glücklich und ging lieber ins Kloster um dort glücklich zu leben.”
“Klöster für atheistische Prinzessinnen gibt es ja noch nicht...”

Da lachten beide und stellten sich einen solchen Ort vor, in dem gebildete selbstbewusste Frauen ihre Philosophen lasen und debattierten, statt zu beten. Die Vorstellung gefiel beiden gut.

“Sie sollten welche gründen, wenn sie Königin werden.”
“Und mich dann wie Christina von Schweden von der Welt zurückziehen?”
“Die fand aber zum Glauben zuvor.”
“Ja, noch dazu zum Katholischen, warum sie nicht länger Königin von Schweden sein konnte.”
“Würden sie sich gern von der Welt zurückziehen?”
“Zumindest vom Heiratsmarkt und vergessen, dass eine künftige Königin einen Mann bräuchte.”
“Elisabeth hat das auch getan und war viele Jahre erfolgreich.”
“Würden sie das meinem Vater erklären.”
“Dazu braucht es micht nicht. Vielleicht muss auch nicht alles erklärt werden, wenn manches sich von allein ergibt.”
“Sie meinen einfach weiter wie bisher und dann ist es eben so?”
“Oder anders, wer weiß dass schon in der Liebe so genau? Elisabeth hat sich mit Philipp, dem Witwer ihrer Schwester auch erst nach dem Tod ihres Vaters getroffen, ging ja auch erst dann, als sie Königin war. Und warum sollte er sich nicht doch finden?”
“Sie meinen es gibt meinen Märchenprinzen, die große Liebe mit der ich einfach glücklich werde?”
“Nein, ich glaube nicht an Märchenprinzen, aber die große  Liebe kann es geben und wenn wir nicht erwarten, dass immer alles gut ist, können wir manchmal auch damit glücklich werden, habe ich gehört.”
“Soll ich also doch einen Kompromiss eingehen meinen sie?”
“Nicht in der Liebe aber im Leben. Erhöht die Chance glücklich zu bleiben.”

Die Prinzessin war sich noch nicht sicher, was diese Worte bedeuteten, noch kannte sie dies große Gefühl ja nicht, aber wenn es käme, würde sie daran denken, dass es vielleicht auch mehr Kompromisse wert ist, als sie sonst einginge, ihrer Natur nach. Nur eine Frage trieb sie noch um.

“Könnten wir dies komplexe Ding aus Natur und Gefühl, was wir Liebe nennen auch Seele nennen? Ist es das, was die Leute damit meinen?”
“Die Liebe ist die Liebe und sollten wir auch so nennen. Wer an eine Seele glaubt, sieht sicher auch die Liebe in ihr wurzeln - vielleicht hilft es, wenn ich ihnen erzähle, dass die alten Griechen die Seele Psyche nannten und so ist manches nur eine Frage der Namen, die ja nur Schall und Rauch sind.”
“Seele gleich Psyche, dann wären es nur bestimmte Hirnfunktionen.”
“Mit allen zusätzlichen Einflüssen von denen wir nur einige kennen.”
“Ließe sich das mit dem Glauben vereinbaren?”
“Die Kirche kommt heute gut mit der Wissenschaft klar. In Rom regieren keine Kreationisten.”
“Nebeneinander statt gegeneinander in der Frage was Seele ist.”
“Sich respektieren und schätzen, um voneinander zu lernen.”
“Was wieder der Liebe sehr ähnelt…”
“Wittgenstein sagte, wovon wir nichts wissen, dazu sollen wir schweigen. Bei der Liebe tun fast alle Menschen das Gegenteil und große Teile der Dichtung leben davon.”
“Schwiegen wir also besser?”
“Tun wir, was uns glücklich macht, dann kann es nicht falsch sein.”
“Dann sollten wir von mir aus nun häufiger reden…”

So trafen sie die schöne Prinzessin und der Mönch immer wieder, wenn er nicht bei ihrem Vater war und redeten lange und wenn sie nicht gestorben sind, dann tun sie es noch immer.
jens tuengerthal 8.2.2017

Dienstag, 7. Februar 2017

KMG 005

Gerüchtemärchen

Es war einmal eine alte weise Frau, die lebte im Wald für sich wie eine Nonne. Sie gehörte aber keinem Orden oder Kloster an und hatte auch keine Kinder. Sie bettelte nicht und wollte auch keine Almosen. Sie lebte einfach für sich und störte eigentlich niemanden. Wären da nicht die Gerüchte gewesen.

Zuerst hieß es, gestreut von den Frauen, die nicht wussten, was das für eine war, sie sei eine Hure, welche die Männer zu sich locke, verführe und ihnen das Geld abnehme, sich für Sex bezahlen ließe, bei dem sie geheime Techniken kannte, von denen die frommen Frauen nichts ahnten.

Doch fand sich in Wirklichkeit kein Mann, der davon erzählte, auch in den Runden der Männer nicht, wo die Männer doch gern mit solchen Geschichten prahlten. Nur der Förster hatte mal mit ihr gesprochen, was sie denn dort wolle, warum sie im Wald siedle und nicht im Dorf, so als Frau, ganz allein, hatte er sie gefragt.

Sie hatte eine Urkunde geholt auf der ihr vom König der Besitz eines kleinen Stückes Waldes bescheinigt wurde. Es blieb der königliche Forst, aber in der Urkunde stand, sie dürfe genau dort, wo sie jetzt war, ihr Haus errichten und sich von den Früchten dort nähren, handelte mit königlichem Forschungsauftrag, bis sie stürbe, dann fiele der Wald wieder an den König zurück.

Der Förster hatte es im Wirtshaus erzählt und so wurde die Geschichte schnell publik. Einige Frauen wollten wissen, dass sie wunderschön sei und eine frühere Geliebte des Königs war, doch der Förster winkte ab. Von schön könne nicht mehr die Rede sein, vielleicht früher einmal, beim Vater des Königs - heute sei es eine rothaarige Alte, der schon einige Zähne fehlten und die sich meist krumm hielt, als hätte sie einen Buckel - sie sei eine Kräuterkundige, sonst nichts.

Sie ist eine Hexe, sagte eines der Mädchen, die Jungen und Männer lachten darüber, Hexen gab es ja nicht, während die Frauen zu tuscheln anfingen. Sie hatten viele Theorien, was mit ihr wäre. Der Förster klärte mal auf, dann stiftete er neue Verwirrung, weil die Menschen nicht verstanden, wie er es meinte. So auch als er sagte, sie hätte einen gut gepflegten Kräutergarten und da wüchsen Sachen, die hätte er nicht mal im Kloster je gesehen.

Viele waren sicher, dass es eine Kräuterhexe war, zumindest eine Verrückte - wer zog auch ganz allein in eine Hütte im Wald und hatte ein königliches Diplom für seine Einsiedelei. Als die Frau vom Bäcker ihr Kind verlor, war sie sicher, die Hexe hätte sie verflucht - sie wollte auch nicht zugeben, dass sie zu viel getrunken hatte und von der Leiter gefallen war, ihr Kind vermutlich nicht von ihrem Mann dem Bäcker sondern von dem Mann aus dem Morgenland war, der im Kloster zu Gast war und den sie so schön fand, dass sie ihm persönlich Leckereien brachte, wenn sie ans Kloster lieferte, bis er sie auf seine Stube lud und sie dort das Glück der orientalischen Liebe lehrte.

Es war voller Leidenschaft gewesen und sie hatte Gefühle dabei gehabt, von denen sie nicht mal geahnt hatte, dass sie dabei passieren konnten. Er hatte ihr genau erklärt, warum nichts passieren könnte, weil er den anderen Eingang wählte, aber jeder wusste ja, was die Männer alles erzählten, wenn sie nur ihren Spaß haben wollten. Seine dunkle Schönheit hatte sie sehr angezogen und so hatten sie es immer wilder getrieben. Im Kloster ging das, es war üblich, der Abt übersah es, Gäste waren freier als Mönche, manche Magd verdiente sich ihre Aussteuer, indem sie den Mönchen ihren Arsch entgegenstreckte, wenn sie darum baten und dafür ordentlich entlohnt wurde.

Sie lebten gut mit dem Kloster, jeder auf seine Art und wurde eine schwanger, konnte das Kind ins Kloster später, wurde zumindest von der Kirche versorgt, es ging ihm also besser als manchen unter den Bauern und so zögerten viele nicht lang, wenn sie eine Einladung erhielten oder rissen sich darum, dorthin zu liefern.

Der Bäcker war schon alt, hatte spät eine sehr junge Frau geheiratet und so hatten alle immer schon gelacht, wenn die Bäckerin immer persönlich dort die Backwaren hin liefern wollte. Alle wussten es und trotzdem glaubten ihr immer mehr die Geschichte von der Hexerei, deretwegen sie das Kind verlor, dass sich der Bäcker doch so wünschte als Erben, egal ob wer glaubte, es sei von ihm.

Wenn der Bäcker starb und es gab noch kein Kind, was alles erbte, war die Witwe eine reiche und freie Frau. So dachten es viele der anderen Frauen aus dem Dorf nicht ohne Neid und dennoch hatten sie ihr die Geschichte geglaubt, hatte sich keiner gewundert, warum nun ausgerechnet die Bäckerin verhext worden sein soll, die doch nichts mit der Alten im Wald zu schaffen hatte.

Das Gerücht machte sich selbständig, längst hatten die Leute die Ursache und ihre fragwürdigen Gründe vergessen, als wieder eine junge Frau ihr Kind verlor. Sie wusste nicht warum, war nur zufällig in der Nähe der Hütte zum Reisig sammeln gewesen, als sie Schmerzen fühlte und anfing zu bluten. Da waren sich die Frauen im Dorf plötzlich sicher, es musste an der Alten in der Hütte liegen.

Die Wirtin erzählte es den Männern im Gasthaus und während die nüchternen unter ihnen, wie der Förster und der Bürgermeister, es noch als Gerüchte abtaten, bevor sie sich in die Nacht verabschiedeten, glaubten die Jüngeren es sogleich und wollten die verlorene Seele des Kindes rächen. Sie berieten sich, was zu tun sei und beschlossen, sie tüchtig zu verprügeln und aus ihrem Wald zu vertreiben. Als einer einwandte, sie könnten sie doch wegen des Kindsmordes vor Gericht stellen, winkten die anderen ab,  wie konnte er so dumm sein, die Gerichte arbeiteten im Auftrag des Königs unter dessen Schutz sie ja stünde und also müssten sie sich selbst helfen.

Die Männer steigerten sich, betrunken wie sie waren immer mehr in ihre Wut und beschlossen alle gemeinsam nun mit Fackeln zu der Hütte im Wald zu ziehen. Damit sie nicht auch noch verhext würden, könnten sie ja einfach Feuer legen, damit die alte Hexe im Schlaf verbrenne, dann könnte es auch ein Unfall gewesen sein, falls der König fragt. Diese Idee fand breite Zustimmung und bei der nächsten Runde organisierte die Gruppe, angetrieben von dem jungen Mann, dessen Frau gerade ihr Kind verlor, wer die Fackeln besorgen solle und wann es losging.

Weil der Mann der jungen Frau aber fürchtete, die Wut könne sich nüchtern wieder verlieren und wirklich Angst hatte, hetzte er alle auf, sogleich zu gehen, um mit einem reinigenden Feuer ihre Freiheit zu verteidigen und die verlorene Seele zu rächen. Er wollte die Fackeln besorgen und wäre in einer halben Stunde wieder da. Da sie noch lange diskutierten, wie sie sich vor dem Zauber schützen sollten, war es sehr spät geworden, als die Gruppe mit Kreuzen bewaffnet, die sie beschützen sollten, schließlich aufbrach.

Auch wenn sich die Männer viel Mut angetrunken hatten, manche kaum mehr gerade gehen konnten, hatten sie doch Angst, so im Dunkeln durch den Wald zu ziehen und damit es keiner vom anderen merkte und weil sie  so betrunken waren, begannen sie laut zu singen auf ihrem Fackelzug, der das Dorf von dem bösen Fluch befreien sollte.

Die Alte hatte wie viele alte Menschen einen leichten Schlaf. Sie war es gewohnt in völliger Stille alleine zu leben und hörte darum die Männer bereits von Ferne, als sie noch weit von ihrer Hütte entfernt waren. Sie kannte die Menschen und war schon mehr als einmal vertrieben worden, bis der König, der ihr Wissen um die Kräuter schätzte, ihr das kleine Stück Wald gab. Sie überlegte kurz, was sie tun sollte. Sicher konnte sie sich verstecken und weglaufen, sich eine neue Hütte aufbauen und den Garten wieder anlegen. Es war ihr Grund, der König hatte ihn ihr überlassen. Sie konnte auch jeden Eindringling vertreiben. Für Notfälle hatte sie ein Gewehr und könnte sich wehren - aber würde sie dann in Frieden leben?

Wenn sie nichts tat, hätte sie es bald hinter sich. Sie glaubte nicht, dass diese Feiglinge sie direkt angreifen würden, dazu waren sie zu feige. Vermutlich würden sie Feuer legen und verschwinden, dann könnte sie entweder schnell am Rauch ersticken oder die Flammen löschen. Vermutlich war es am besten, sie versteckte sich in der Schonung nebenan, dachte die Alte, zog sich schnell etwas über und verzog sich, bevor die Meute kam, selbst wenn sie nicht mehr sehr am Leben hing, sie war alt und erwachte jeden Morgen mit Schmerzen, es würde nichts besseres mehr kommen, wollte sie doch lieber selbst entscheiden, wann sie ging und wie. Dies war nicht ihr Weg.

Wie sie richtig gehört hatte, kam die Horde näher, ermahnte sich dann so laut gegenseitig zur Stille, dass jeder in einem Kilometer Umkreis bescheid wissen müsste - aber hier war keiner außer ihr. Sie schütteten etwas über die Hütte und hielten dann die Fackeln daran, da sie betrunken waren und unachtsam, verbrannten sich noch zwei von ihnen dabei so schwer, dass ihre Kleidung brannte. Nun waren sie schlagartig ernüchtert, wollten ihre Freunde retten, löschte diese und dabei den Brand wieder und zogen verwirrt ab.

Durch die Verbrennungen und die für sie nötige Hilfe, ließen sich die Täter ganz schnell identifizieren, dachte sie und überlegte, ob sie Anzeige erstatten sollte. Sie wollten sie feige umbringen und nur ihre guten Ohren und deren Dummheit hatten sie gerettet. Solchen Verbrechern musste doch das Handwerk gelegt werden, wenn sie friedliche Waldbewohner angriffen in ihrem Wahn.

Beim letzten mal, hatte sie es auch so gemacht. Der König hatte Anklage erheben lassen, die Männer waren bestraft worden und mussten ihre Hütte wieder aufbauen. Es wurde viel wert auf Gerechtigkeit gelegt, dachte sie. Nur die Frauen, deren Männer ins Gefängnis kamen, hatten sie noch mehr gehasst. Sie stießen Flüche aus, wenn sie die Alte sahen und es würde nicht lange dauern, bis sich der nächste Trupp aufmachte, um die Fremde zu vergraulen oder zu töten und mit jedem Misserfolg, stiegen Hass und Wut auf sie noch, die nichts damit zu tun hatte, einfach nur da war und anders war als der Rest, was Grund genug schien, sie vergraulen zu wollen, sie zu hassen.

Wer anders war und so sein konnte, machte Angst, weil es dann keinen Grund mehr gab, normal zu leben und so stellten diese anderen immer, ihre Art zu leben, wie sie es gewohnt waren, in Frage. Sie fürchteten sich auch sonst vor allem Unbekannten, dem sie magische Kräfte zuschrieben. Alles Hokuspokus und dummes Zeug, dachte der König, ließ in den Schulen darüber aufklären, was jedoch nicht den Aberglauben verminderte sondern nur viele neue abstruse Formen davon gebar, als kämen aus jedem abgeschlagenen Kopf der Hydra des Volksglaubens gleich vier neue.

Aufklärung konnte nicht diktiert oder angeordnet werden, sie erforderte logisch selbständiges Denken. Befreien konnte sich danach nur, wer sich aus der also selbstverschuldeten Unmündigkeit befreite, wobei letzteres die Unfähigkeit selbständig zu denken meint, was selbstverschuldet war, sofern es nicht auf Dummheit beruht, das Richtige zu erkennen. Sie wusste es genau und glaubte nicht daran, dass ein Strafprozess die Menschen zum selbständigen und kritischen Denken brachte.

Wenn sie irgendwo in Frieden leben wollte, musste sie den Hass überwinden und den Menschen helfen, ihre Vorurteile los zu werden. Sie hatten Angst vor allem Fremden und ließen sich aufhetzen, dachte sie. Eigentlich hätte sie lieber ihre Ruhe gehabt, aber da das mit Menschen, die wie gewohnt lebten, nicht möglich schien, beschloss sie den Verletzten lieber zu helfen, statt sie anzuklagen.

Sie machte sich am nächsten Tag mit einem Beutel voller Kräuter, viel Salbei, Beinwurz und Ringelblume, Möhre und anderen guten Sachen auf den Weg ins Dorf. Einige erschraken, als sie die Alte auftauchen sahen, fürchteten, sie wolle nun Anzeige erstatten und sich beschweren. Doch sie ging am Rathaus vorbei ins Gasthaus und fragte die Wirtin, ob ihre Hilfe gebräucht würde, sie habe gehört, es hätten sich einige letzte Nacht schwer verbrannt.

“Was wollt ihr?”, platzte die völlig verwirrte Wirtin heraus, die von den Männern gehört hatte, sie hätten mit ihr gekämpft und sie hätte sie wie ein Drachen mit Feuer bespuckt und dann hätten sie fliehen müssen und drei hätte es eben erwischt.
“Helfen, ich denke diese Männer brauchen Hilfe und kaum einer wird sich ins königliche Krankenhaus trauen, um Fragen zu vermeiden.”
“Aber …”, mehr brachte die Wirtin nicht mehr heraus, als der Bürgermeister und der Förster den Schankraum betraten und sie freundlich begrüßten.

Sie erklärte nochmal, was sie wolle und die beiden Männer ahnten schon, was passiert war. Die Wirtin aber, die sich wieder vom ersten Schrecken erholt hatte, keifte von hinten, “sagt ihr nichts, sie will sie vergiften und sich rächen.”

Damit hatte sie nicht nur offenbart, dass sie wusste, was vor sich ging, sondern auch gezeigt, wo das Problem lag. Die Alte sah zu der rasende Wirtin, die plötzlich merkte, dass alle sie anstarrten, als sei sie verrückt geworden, begriff irgendwie, dass sie sich verraten hatte, warum sie sich auf den Mund schlug und den Kopf gegen einen Pfosten stieß, der Verzweiflung nahe war.

“Wollte ich mich rächen, könnte ich alle, die letzte Nacht mein Haus angesteckt haben, anzeigen und der König würde ihnen den Prozess wegen Mordes machen. Aber das kenne ich schon, die Gerichte in diesem Reich arbeiten zuverlässig, alle Beteiligten, die Anstifterinnen eingeschlossen, würden bestraft und auf Mord steht  lebenslänglich...”

Sie machte eine kleine Pause, sah die Wirtin an, die immer noch den etwas wahnsinnigen Blick hatte, voller Hass und Angst, aber zuzuhören schien, wie gebannt wirkte.

“Möchte aber nur in Frieden dort leben mit meinen Kräutern, züchten und forschen, darum suche ich keine Rache sondern biete meine Hilfe an. Die können sie nun annehmen oder nicht, wenn nicht, werden sie zum Arzt gehen müssen, die Ärzte müssen solche Unfälle melden, irgendein Polizist wird schon was merken und dann ermitteln die königlichen Beamten, bis sie die Spur finden und so dilettantisch wie es ablief und so aufgeregt, wie alle noch sind, wird es nicht lange dauern, bis sie die Täter haben und dürfte ich dann vor Gericht lügen Herr Bürgermeister?”
“Nein, natürlich nicht, sie wären ja Zeugin, nicht Angeklagte, sie dürften nichts als die Wahrheit sagen.”
“Löge ich, machte ich mich strafbar, aber da ich weder lügen müssen, noch mich mit jemandem streiten will, sondern in Frieden leben möchte, biete ich ihnen darum meine Hilfe an.”
“Aber warum wollen sie denen jetzt helfen, die, die …”, die Wirtin stotterte und sah verwirrt in die Runde - sie war etwas überfordert, verstand nicht, was die  Alte wollte und fürchtete sich doch vor ihr, auch wenn sie gerade das Gegenteil verkündete.

“Das klingt sehr gut und wir nehmen jede Hilfe dankbar an, doch die Täter müssen dennoch bestraft werden. Solches Handeln ist mörderisch und das können wir nicht hinnehmen. Rufe jetzt unseren Polizisten und werde Anzeige gegen Unbekannt stellen, auch wenn ich so eine Ahnung habe, wer dahinter steckt.”, sprach der Bürgermeister und sah die Wirtin mit wütendem Blick an.
“Ach sparen sie sich das, genau das will ich nicht. Sie sind bestraft genug mit ihren Verbrennungen, ihrer Angst und ihren Vorurteilen. Wenn ich künftig meine Ruhe will und nicht ständig Wachposten vor meinem Haus sitzen wollen, muss ich ihnen die Angst nehmen und ihnen die Hand zur Hilfe leisten.”
“Das klingt sehr vernünftig”, mischte sich der Förster ein, der auch genau wusste, wer da wohl gestern losgezogen war, “wer sich in der Not hilft, braucht sich nicht mehr zu fürchten.”
“Das gibt es doch nur im Märchen”, mischte sich die misstrauische Wirtin ein, “sie wird sich rächen wollen, warum sollte ein Mensch seinen Feinden helfen wollen?”
“Weil sie ihre Ruhe und Frieden möchte und die Dummheit der anderen schon kennt”, entgegnete ihr der Oberförster, den die Vorurteile der Wirtin ärgerten.
“Was sagen sie Herr Bürgermeister?”, fragte mit klagendem Blick die Wirtin.
“Finde es sehr vernünftig, was mein Freund hier vorschlägt, halte mich aber lieber raus, weil ich als Teil der Staatsmacht sonst zum Handeln verpflichtet bin, betrachten sie mich als unbeteiligten Zuschauer, ich weiß von nichts.”
“Und wenn sie nicht mitmachen sie wegschicken, wird der Staat dann ermitteln?”, ängstlich schaute ihn die Wirtin an, die langsam ahnte, was auf sie und ihre Freunde zukam.
“Wo die Gefahr besteht, dass eine unschuldige Bürgerin getötet wird, muss der Staat sie schützen. Solcher Schutz ist aufwendig und kostet viel Geld. Dies müssten wir bei der königlichen Kasse beantragen…”
“Dann erführe der König davon und alle, die mit dabei waren, würden schwer bestraft…”
“Nicht nur die Verbrannten, auch ihre Anstifter und die geistigen Brandstifter, würden wie solche bestraft, müssten lange ins Gefängnis, damit die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt.”
“Sie meinen, auch solche, die nur geredet haben?”,  fragte mit zitternder Stimme die Wirtin.
“Das sind die gefährlichsten”, sagte der Bürgermeister mit ganz amtlicher Stimme, “ich würde mich persönlich darum kümmern und gleich hier damit anfangen.”

Da brach die Wirtin in Tränen aus und unter ihrer Angst und ihrem schlechten Gewissen zusammen. Sie wusste, dass Förster und Bürgermeister gehört hatten, wie sie die Männer aufhetzte.

“Es war doch alles nur wegen Klara..”, begann sie unter Tränen und schluchzend und keiner glaubte noch, sie könne diese Angst spielen, “dem Kind, naja, sie wissen schon, wir hatten Angst weil es doch so oft passierte und immer dann.”
“Wie oft ist es passiert?”
“Klara und” - sie machte eine Pause und dachte sichtbar nach - “zwei Jahr davor Hilde die Bäckersfrau.”
“Bei der alle sich fragten, wie der Alte sie noch geschwängert haben soll”, entgegnete der Förster mit einem Zwinkern.
“Zweimal in den letzten fünf Jahren, was weit unter dem Durchschnitt  unseres Landes liegt”, ergänzte der Bürgermeister sehr korrekt und schaute sich dabei mit seinem Freund dem Förster an und sie zwinkerten sich zu, ohne dass es sichtbar zu wurde.

“Was soll passiert sein und was hat das mit mir zu tun?”, fragte die Alte, die sich nie um Gerüchte gekümmert hatte.
“Das kann die Wirtin wohl am besten beantworten, die kennt ja die Gerüchte im Dorf aus erster Quelle”, behielt der Bürgermeister seine formal korrekte juristische Sprache bei, auch wenn der ironische Treffer, den er damit landete, viel mehr über seine großen Fähigkeiten auch als Psychologe offenbarte.”

Die Wirtin wehrte sich noch, winkte ab, aber Förster und Bürgermeister bestanden darauf. Sie sollte es der Alten erklären. Mit hochrotem Kopf und vor Angst zitternder Stimme, dier aber Lockerheit spielen wollte, begann sie.

“Naja, so Gerede halt, die haben ihre Kinder verloren und die Klara, war im Wald gewesen, bei Hilde weiß auch keiner, was wirklich war, ich weiß es auch nicht so genau, hab es nur mal gehört, man hört ja  allerhand den ganzen Tag hinterm Tresen, verstehen sie?”, stotterte die Wirtin mehr als sie sprach und wurde doch am Ende wieder ein wenig frech, versuchte sich aus der Affäre zu ziehen, als habe nicht sie diese dummen Gerüchte maßgeblich zum überkochen gebracht.

“Die einen stehen hinterm Tresen und lauschen und die anderen, erzählen vorm Tresen - manchmal ist es aber genau umgekehrt”, wies der Bürgermeister die Hetzerin in ihre Schranken. Sollte sie ruhig Angst haben, dachte er, dann lernt sie vielleicht endlich was.

“Was habe ich mit den Kindern zu tun? Warum haben sie mich nicht um Hilfe gebeten?”
“Weil sie Angst haben, vor ihnen und allem was neu und unbekannt ist, voller Vorurteile sind und lieber jemanden umbringen, statt in Ruhe nachzudenken”, stieß der Förster wütend hervor und blitzte die Wirtin an.
“Ach es waren so dumme Gerüchte, die Leute reden halt manchmal, aber sie sind nicht böse”, versucht die Wirtin Land zu gewinnen und schaut die Alte als Frau vertrauensvoll an, reicht ihr die Hand, “niemand wollte sie umbringen”.

“Wer Nachts ein Haus ansteckt, in dem er schlafende Personen vermutet, die das Feuer töten könnte, handelt mindestens mit Eventualvorsatz zur Tötung, bedenke ich, wie hier im Haus noch gestern gegen die böse Alte im Wald gehetzt wurde, würde ich Anklage wegen Mordes erheben und stattgeben”, spielte der Bürgermeister seine Rolle perfekt, denn auch er wollte die Dinge lieber friedlich regeln, statt eine Hälfte seines Dorfes für viele Jahre in Festungshaft zu schicken, was er eigentlich müsste nach seinem gesetzlichen Auftrag.

“Neeein”, schrie die Wirtin unter Tränen, “ich wollte nie jemanden töten, ich bin nicht böse, es war doch nur Angst, vielleicht waren wir alle dumm”.
“Nicht nur vielleicht”, warf der Förster fast grinsend ein.
“Scheint mir sehr menschlich und kenne ich von vielen Orten, die Menschen haben Angst vor mir, weil ich anders bin. Wenn etwas passiert, sind alle die anders sind, immer die ersten Opfer. Früher waren es die Hexen oder die Juden. Heute sind es die Obdachlosen oder harmlose Kräuterweibchen wie ich. War schon immer so und oft spielte die Obrigkeit das böse Spiel mit, um den Zorn abzulenken. Aber ich will nur in Frieden leben, mit niemandem Streit. Frieden erreiche ich nicht, wenn ich um mein Recht kämpfe, sondern, wenn ich ihnen die Hand reiche”, hielt die Alte eine kurze Rede und nahm danach die Wirtin in den Arm.
“Kümmere mich sofort um alles, wir wollen doch alle nur in Frieden leben”, schluchzte noch ein wenig mitleidheischend die Wirtin, die aber langsam begriff, was von ihr erwartet wurde.

So nahmen die Dinge ihren guten Lauf, die Alte versorgte die Wunden ihrer plötzlich dankbaren beinahe Mörder, denen die Wirtin eingeschärft hatte, was ihnen drohte, wenn sie nicht mitmachten und der Alten vertrauten. Einige Männer aus dem Dorf kamen und reparierten die Schäden am Haus der Alten und dann ließen sich beide Seiten in Frieden, nur manchmal kam eine Frau nun zur Alten und fragte sie um Rat, wenn ihre Regel nicht kam, sie wusste mit ihren Kräutern immer Hilfe, auch wenn sie lieber half, dass die Kinder kamen, die andere sich wünschten und denen sie erklärte, wie sie es merkten und erreichten. Der Förster besuchte sie nun regelmäßig und brachte ihr Wild mit. Dann saßen sie oft stundenlang zusammen und redeten und er zog dies den Abenden im Gasthaus nun vor, wo sie sich vermutlich bald neue Gegner suchen würden.

“Sie hätten ihre Mörder leicht überführen können, sie waren so dumm diese Narren. Hätte jederzeit als Zeuge ausgesagt. Wer den Tod anderer riskiert, gehört bestraft”, provozierte der Förster sie, weniger auf der Suche nach Gründe, als um auf ein ganz anderes Thema zu kommen.
“Wären sie meine Mörder gewesen, hätte ich nichts mehr tun können. Ansonsten stimmt, das wohl, aber was hätte ich davon gehabt?”, erwiderte die Alte schulternzuckend.
“Gerechtigkeit und die Täter wären weg. Auch Sicherheit, dafür hätten wir schon gesorgt.”
“Mit Wachposten? Dummes Zeug, sicher lebt nur, wer vertrauen kann und die Herzen der Menschen gewinnt, vor allem die Frauen auf seiner Seite hat, die immer alles schneller merken als die trägen Kerle.”
“Wozu braucht es dann noch einen Staat, wenn die Frauen die Dinge besser unter sich regeln?”, wechselte der Förster dezent das Thema, war aber immer noch nicht da, wo er eigentlich hinwollte, hoffte nur der kleine Umweg machte es leichter und nicht zu durchsichtig.
“Weiß ich auch nicht, gäbe weniger Kriege vermutlich, was aber viele fürchten, vermute ich.”
“Die am Krieg verdienen oder die den Tod suchen?”
“Müssen nicht immer verschieden sein - aber sie wollen doch nicht mit mir über Politik reden, wenn sie von den  alten Geschichten anfangen, da steckt doch was anderes hinter.”
“Sie sind erstaunlich hellsichtig.”
“Nein, nur aufmerksam. Sie wollen keine politischen Weisheiten von einer alten Kräuterfrau hören. Dass wissen sie besser als ich, die so etwas schon lange nicht mehr interessiert.”
“Ihr Fall wäre gerade hochaktuell wo viele gegen Flüchtlinge hetzen wie früher gegen Juden, Hexen oder Kräuterfrauen.”
“Verstehe nichts von Politik und möchte mit Parteien nichts zu tun haben.”
“Politik geht doch jeden irgendwie an, finde ich, aber gut, wovon verstehen sie denn was?”
“Na von Kräutern, mit denen konnte ich damals auch helfen und hab ein Problem gelöst.”
“Sie meinen, es sollte sich jeder um das kümmern, wovon er etwas versteht?”
“Dabei kam immer noch das beste raus. Und nun rücken sie schon mit der Sprache raus, was gibt es?”

Der Förster fühlte sich ertappt, wollte sich aber auch nicht so schnell geschlagen geben, sondern lieber noch ein wenig abwarten, bis es sich von alleine ergab und suchte darum noch eine abstruse Ablenkung.

“Denken sie die Kräuter berühren auch die Seele eines Menschen?”
“Wollen sie jetzt spirituellen Hokuspokus von mir hören, da muss ich sie enttäuschen, ich bin eher sowas wie Biologin und forsche über Heilpflanzen, wenn auch auf eine etwas eigenwillige Art, habe mit Esoterik nichts zu tun.”
“Natürlich, wollte ihnen nicht zu nahe treten, meinte es auch eher übertragen, ob sie auch die Psyche verändern?”
“Einige ja, kommt drauf an welche, manche stärker als alle Medikamente.”
“Die Kräuter gegen die Verbrennungen haben auch den Hass beigelegt damals, die Menschen beruhigt und viele Jahre Frieden gebracht…”
“Nicht die Kräuter, die waren nur Krücken auf dem Weg zur Versöhnung. Hatten keinerlei psychogene Wirkung. Habe die Menschen nicht umgedreht, habe ihnen nur medizinisch geholfen.”

Nachdenklich schaute der Förster die Alte an, sie war nicht nur ausnehmend klug, schnell und weise, sie war auch noch ehrlich bescheiden, maßte sich nichts an, wollte nicht glänzen, sondern lieber mehr sein als scheinen. Das Urteil solcher Menschen sollte mehr Gewicht haben, als all der Großmäuler, die sich immer nur aufbliesen.

“Haben sie von den Anschlägen auf die Flüchtlinge gehört?”
“Ja, sie erzählten letzte Woche davon”, antwortete die Alte blitzschnell und der Förster bemerkte seinen Fehler, aber das war nun egal, er suchte ja nur einen Übergang.
“Was fühlten sie dabei?”
“Wie bei mir, es ändert sich nichts, nie. Die Menschen suchen immer Objekte für ihren Hass, statt glücklich zu sein.”

Jetzt war er beim Thema und konnte endlich die Frage einkreisen, die ihn schon so lange umtrieb und die sie dann zum Kern führen würde. Er hatte das Gefühl, dass sie damals irgendwie nicht ganz zufrieden war mit ihrer Hilfe.

“Wenn sie das wissen, warum wagten sie dann zu vertrauen, statt auf Sicherheit zu setzen?”
“Weil es keine Sicherheit außer im Vertrauen gibt und ich meine Ruhe und meinen Frieden wollte. Die Dinge sind ganz einfach, ich handelte aus purem Egoismus.”
“Wie hätten sie die Wirtin alleine überzeugt?”
“Ach, sie wollen gelobt werden, Männer immer, meinetwegen, haben sie toll gemacht mit ihrem Freund dem Bürgermeister, ging viel schneller als bei mir vermutlich. Druck hilft doch immer,” spottete die Alte nur für den Kenner hörbar.
“Wollte eher wissen, wie sie es als Frau gemacht hätten.”
“Weniger mit Druck, mehr mit Gefühl, langsamer und im übrigen hat sie es ja schnell verstanden und umgeschaltet.”
“Als die Angst den Hass überwand.”
“Genau unter Druck, den ich nie ausgeübt hätte, womit und wozu auch? Moralisch ist ein Entschluss nur, wenn ein Mensch so handeln will.”
“Kategorischer Imperativ und die Grundsätze der Aufklärung, ja - und genau an diesem Punkt frage ich mich, wie bringe ich Menschen zum nachdenken, die Angst vor Flüchtlingen haben, sich aufhetzen lassen, andere anzustecken und Hass verspüren?”
“Nicht mit Kräutern.”

An dieser Stelle musste der Förster laut lachen, dachte daran, wie es wäre, wenn sie den Hanfanbau freigäben und die Leute lieber friedlich bekifft wären, statt aggressiv besoffen.

“Naja es gäbe bestimmt Kräuter, die da beruhigend wirken.”
“Menschen werden im Rausch nicht anders oder vernünftiger. Es potenzieren sich nur bestimmte Dinge.”
“Aber wie erreiche ich diese Menschen, wenn es darum geht ihr Inneres zu berühren, was viele ihre Seele nennen?”
“Indem ich echt bin und das tue, was mir entspricht.”
“Was würden sie diesen wütenden Radikalen sagen?”
“Nichts, habe auch damals nicht mit der Meute geredet, hab sie machen lassen und ihnen dann geholfen. Mehr wollte und konnte ich nicht. Der Druck stammte von ihnen, sie hatten nur die Wahl, zu kooperieren oder in den Knast zu gehen, auch wenn viele erstaunlich überzeugt dennoch wirkten, sich zerknirscht gaben, war es falsch.”
“Weil sie es nicht von sich aus wollten? Hätten sie es denn selbst erkannt?”
“Ohne Selbsterkenntnis keine Moral sondern nur dummer Gehorsam. Mit Gehorsam lässt sich alles betreiben und wächst keine Verantwortung.”
“Sie meinen wir waren nicht erfolgreich?”
“Sichtbar, auf die Kräuterweiber folgten die Flüchtlinge.”
“Aber es gab auch die Willkommenskultur.”
“Naive Gegenbewegung aus Scham ohne eigene Gründe als die Dialektik.”
“Meinen sie wie beim Antifaschismus, der oft ähnlich totalitär ist wie seine Gegner?”
“Wenn sie heißes und kaltes Wasser in einen Topf schütten, ist es am Ende lauwarm und gut vermischt, machen sie es mit Feuer und Wasser, wird beides am Ende unbrauchbar sein, weil es sich nicht harmonisch mischt sondern nur kurz und heftig reagiert. Wer die Natur beobachtet, findet viele lehrreiche Beispiele. Extreme zusammen führen selten weiter, als für sich betrachtet, dafür ähneln sich die Dinge an den Polen immer mehr.”

Sie sagte, sie verstünde nichts von Politik und doch schien ihm die Alte mehr von den Dingen zu verstehen als die beiden Lager, die sich ineinander verkeilten.

“Was können wir dann tun?”, fragte sie der Förster mit echter Verzweiflung.
“Nichts, außer zum Denken anregen und das Leben zu genießen”, lachte die Alte ihn gelassen an.
“Wie soll ich genießen, wenn Hetzer die Menschen bis zum Mord treiben?”
“Solange sie leben, finden sich dafür immer Gründe, danach ist es egal.”
“Nichts tun als Antwort auf Ausschreitungen?”
“Geduld ist die erste Tugend in unruhigen Zeiten, um wieder zur Ruhe und zum Gleichgewicht zu finden. Verstehe nichts vom Staat, denke mir dessen Mühlen mahlen langsam. Wenn ich unbedingt ein Kraut finden will, übersehe ich es auf der großen Wiese voller Unruhe eher - wo ich den Dingen ihren Lauf lasse, ergibt es sich und das Bessere setzt sich durch in der Natur, war schon immer ihr Lauf.”
“Dachte es ist das Stärkere, was nach Darwin siegt…”
“Was ist Stärke in der Natur? Reine Kraft, siegt der dumpfe blonde Hüne immer gegen den kleinen aber klugen David, der ihm eine Falle stellt?”
“Intelligenz kann wohl auch eine Stärke sein…”
“Sonst hätten Menschen gegen Elefanten und Wale oder Grizzlys keine Chance.”
“Auf die Zeit vertrauen, statt die Großmäuler fürchten, nicht mit ihnen konkurrieren wollen, sondern auf Intelligenz vertrauen und den Anspruch heben?”
“Schiene mir der menschlichere Weg. Kostet nur Zeit und Ruhe. Dann geht es nicht darum, schnell ein Ziel zu erreichen, sondern in Ruhe zu genießen, was ist.”

Sie kam zum gleichen Ergebnis wie der Mönch des Königs, der auch eher dazu riet, die Dinge laufen zu lassen, bis die Menschen selbst merken, dass sie auf dem Holzweg sind oder wo die Freiheit liegt. Freiheit könne nie unter Zwang vermittelt werden, außer dem Anschein nach.

“Lassen wir die Politik…”, beginnt der Förster etwas zu gönnerhaft.
“Besser so, ich verstehe nichts davon”, schneidet ihm die Alte darum das Wort ab.
“Scheint mir schon so. Wenn es keine Seele gibt, wo sitzt die Verantwortung dann?”
“Die Kartographie ist müßig dachte ich, sie könnte überall sitzen, wo Bewusstsein ist und Menschen Entscheidungen treffen.”
“Nur im Gehirn?”
“Welcher Ort spielt bei bewussten Entscheidungen sonst eine Rolle? Die triebhaften Hormone etwa?”
“Das Herz spielt keine Rolle dabei?”
“Weniger als bei der Liebe vermutlich. Verantwortung ist eine bewusste Entscheidung. Wo das Bewusstsein sitzt, dass uns entscheiden lässt, ist die Moral zuhause. Verstehe aber nichts von Neurologie, kenne nur Kräuter.”
“Wenn ich aus Liebe eine Verantwortung übernehme, dann spielt doch das Gefühl eine große Rolle, oder nicht?”
“Bestimmt auf dem Weg zur Entscheidung, wenn ich aber Verantwortung übernehmen will, warum auch immer, tue ich das bewusst, dazu braucht es, glaube ich hauptsächlich Hirn. Warum die bewusste Liebe nicht im Hirn sitzen soll, habe ich noch nicht verstanden, können sie mir das erklären und was sie sich da denken?”

Der Förster winkte ab, er war ja auch kein Neurologe und hatte keine Ahnung. Und eigentlich dachte er wie sie. 

“Aber ist es wichtig, für eine Entscheidung, wo sie gefällt wird, um sie als moralisch oder nicht zu bewerten?”
“Glaub ich nicht, ich weiß ja vom wo fast nichts und muss auch gar nichts darüber wissen, um moralisch nach meinem Gewissen richtig zu handeln. Gut sein hängt nicht am Ort der Erzeugung.
“Könnten dann auch  Tiere oder Pflanzen ein Bewusstsein haben und moralisch handeln?”
“Steht in keinem Zusammenhang mit der vorigen Antwort, aber klar, warum nicht? Es gibt viele Beispiele aus der Praxis, die es belegen. Wir leugnen es lieber, um uns abzugrenzen, darum meinen einige Vegetarier sie sein moralischer, doch sehe ich in der Natur keinen Grund für diese Unterscheidung.”
“Cogito ergo sum?”
“Descartes ich denke also bin ich, finde ich zu beschränkt - Menschen sind auch noch welche, wenn sie gerade bewusstlos sind oder träumen oder triebhaft nicht mehr denken.”
“Keine Zweifel am Sein?”
“Sicher viele, was weiß ich schon ich altes Kräuterweib? Doch was zählt, außer was mich glücklich macht?”
“Aber die Gewissheit über das Sein, kann es doch nur geben, wenn ich bejahe, dass ich es bin, der denkt.”
“Gewissheit kann auch empfunden werden. Vermute, es braucht Bewusstsein dazu, doch wo sind wir unseres Seins intensiver bewusst, als wo wir tief fühlen?”
“Sie meinen mehr als Denken, auch Fühlen sei mit umfasst vom Sein?”
“Ach sind sie nicht mehr, wenn sie fühlen?”

Die Frage war verblüffend einfach und sie stellte sie mit einer solchen Ernsthaftigkeit, dass er nicht mehr laut lachen musste. Sie sprach nur über die Dinge der Natur, von nichts sonst verstand sie etwas, betonte sie immer und ließ doch ganz nebenbei ganze Welten der Philosophie einstürzen in einfachen Fragen aus der Natur.

“Aber Sein aus Bewusstsein zu begründen scheint ihnen nicht zweifelhaft?”
“Die alte Kritik an Descartes, die schon Kant vorbrachte, ist langweilig, finde ich. Es ist auch die Frage des Höhlengleichnisses, ja. Aber sie ist für mein Glück völlig irrelevant.”
“Was zählt denn dann noch?”
“Es ist für mich nicht wichtig, ob die Welt wirklich so schön ist, so lange sie mir so wunderbar scheint und ich sie genießen kann.”
“Sie machen sich die Welt, wie sie ihnen gefällt?”
“Scheint mir die wichtigste Aufgabe, wenn ich das Leben genießen will. Viel Zeit bleibt ja vermutlich nicht mehr, rein rechnerisch.”
“Woher wissen sie dann, ob sie wirklich glücklich sind?”
“Merken sie nicht, wenn sie glücklich sind?”
“Doch natürlich, aber wenn alles nur eine Illusion wäre?”
“Wäre mir das egal, solange ich glücklich damit bin.”
“Keine Verpflichtung zur Wahrheit als Wissenschaftlerin?”
“Warum lebe ich als einfaches Kräuterweib und habe keinen Lehrstuhl?
“Aber wenn Sein und Illusion im Bewusstsein verschwimmen und ich gar nicht mehr weiß, was ich wirklich bin, wie kann ich dann damit glücklich sein?
“Zweifellos, wenn ich es will.”

Zweifellos hieß ohne jeden Zweifel und diesen hob sie durch den bloßen Willen glücklich zu sein, mit dem was ihr gefiel auf - ein ganz kurzer Satz, stellte alte Psychologie und große Teile der Philosophie völlig auf den Kopf, auch der dialektische Materialismus wurde plötzlich albern.

“Braucht es dazu nicht den anderen, ein Echo, den sozialen Kontakt?”
“Schauen sie mich an, die Eremitin, von der Uni in den Wald - mir fehlt nichts.”
“Und wenn sie morgen sterben und keiner ihre Gedanken kennt?”
“Wenn ich nicht mehr bin, stört mich noch weniger, nämlich nichts mehr.”
“Meinen sie, die Menschen könnten von ihnen lernen, wie mit Gegnern umzugehen ist?”
“Habe ja nichts geleistet, außer zu kommen, der Rest folgte ihrem hilfreich gemeinten Druck - erkennen kann nur, wer es will, moralisch handelt nur, wer es aus sich heraus ist, aus der moralischen Unmündigkeit der Befehlsempfänger, kann sich jeder nur selbst befreien.”

Der Vorwurf saß, er hatte es schon damals ihrem Gesicht angesehen, sie hätte sich lieber Zeit gelassen und sie hatten ihr das Spiel aus der Hand genommen. Er bewunderte sie und wollt es ihr sagen, verunglückte dabei aber leider etwas peinlich.

“Sie sind die erste Frau, die ich kennenlerne, welche so streng logisch und konsequent denkt.”
“Logik hat kein Geschlecht, unser Verhalten miteinander schon. Wir aber begegnen uns nicht als Mann und Frau.”
“Ist das erstrebenswert?”
“Es ist Natur, ich bin zu alt und darum ist es gut so.”
“Kein ewiger Kampf der Geschlechter?”
“Wozu, ich lebe im Wald und bin so frei, wie ich es will.”
“Ist es erstrebenswerter nach der Natur zu leben oder mitten in der Kultur?”
“Wäre das Leben nicht mit weniger Dialektik manchmal harmonischer?”
“Sie meinen, es muss sich nichts ausschließen?”
“Ergänzen ist ein schönes Wort aus der Natur der Sache.”
“Aber was bin ich dann und was zählt?”
“Was weiß ich schon? Solange wir jeweils damit glücklich sind ist mir der Rest egal.”

Und wenn sie nicht gestorben sind, befragt der Förster noch bis heute die Alte nach Gründen und Abgründen des Seins, als wäre es kein Märchen nur, dass Toleranz den Hass durch Vernunft überwinden kann.
jens tuengerthal 6.2.2017

Montag, 6. Februar 2017

KMG 004

Weltvernunft

Es war einmal ein alter König, der viele Schlachten geschlagen und die meisten gewonnen hatte, warum er in dem Ruf stand unbesiegbar zu sein. Er hatte den Gerüchten ihren Lauf gelassen, weil sie verhinderten, dass neidische Nachbarn ihn angriffen. Die Schatzkammern des Reichs waren voller Gold und gefüllt mit den seltensten Kuriositäten aus aller Welt. Der König verbrauchte fast nichts, weil er nur noch eine winzige Armee brauchte, nachdem er als unbesiegbar galt. Auch liebte er seine Frau, mit der er vier Kinder hatte, so sehr, dass er neben ihr keine Mätressen mehr wollte, die mit ihren Wünschen noch bei seinem Vater den halben Haushalt aufzehrten, dafür das Kunsthandwerk in seinem Reich zu hohem Ruhm gebracht hatten. Davon profitierte sein bescheidener Sohn nun sehr.

Sein Reich lieferte Schmuck und Porzellan, sowie Uhren und andere an den Höfen geschätzten Feinheiten, mit denen die Mätressen aller Orten konkurrierten und um deretwegen sich manche Herrscher in größere Ausgaben stürzten, als sie einnehmen konnten und darum bei den Banken Schulden machten. Der einzige Luxus, den sich unser alter König manchmal gönnte, waren schöne Bücher, doch musste er sie selten bezahlen, weil ihm seine Königskollegen zur Begleichung ihrer enormen Schulden immer schon als Anzahlung oder auch nur, um ihren Gläubiger milde zu stimmen, ihre prächtigsten Bände schenkten und die königliche Bibliothek war längst mit den kostbarsten Schätzen gefüllt, die ein Liebhaber schöner Bücher, sich nur denken konnte und wenn der König das Gefühl hatte, nun sei es genug, ließ er einige der kostbaren Bände auf die kleineren Bibliotheken seines Landes zur Ausstellung verteilen oder sie verkauften zehn alte Bücher für fünf Uralte, für die sie wiederum im Tausch zwei kostbare Handschriften erhielten und so erhöhte sich der Wert bei reduziertem Umfang, was dem sparsamen König gefiel.

Nie war er geizig gewesen, wie jener Soldatenkönig nebenan, der am Essen geizte und an allem auch für seine Kinder sparte, nur in seine langen Kerls unendlich viel investierte. Es war alles so gut und vornehm, wie es von einem König erwartet werden konnte. Kamen Staatsgäste, wurden sie auf das beste bewirtet und blieb etwas übrig, ließ der König es unter den Armen auf der Straße verteilen, damit alle satt würden. Doch wenn er nicht repräsentieren musste, hatte er mit seiner Frau und den Kindern in einem kleinen Landhaus gelebt, wo sie sich aus ihrem Garten auch ernähren konnten und die Königskinder auch das einfache Leben kennenlernten. So wurde das große Schloss nur an ganz wenigen Tagen geheizt und der König sparte in seiner bescheidenen Art immer mehr, was er als verantwortungsvoller Vater und Landesvater gut und sicher anlegte, statt Schulden zu machen.

Nach wenigen Jahren schon, hatte der König die Schulden seines Vaters getilgt und konnte nebenbei noch die Armee verkleinern, weil er mit allen Nachbarn, die ihn als tapferen Feldherren aus dem großen Krieg kannten und fürchteten, in Frieden lebte und behielt so immer mehr übrig, was er wiederum von seinem weisen jüdischen Bankier gut investieren ließ. Diesen zu vertrauen, hatte sich als weise und wertvoll erwiesen. So wuchs das Vermögen des Reichs immer mehr. Er investierte in Gold und Wertpapiere, kaufte auch Schuldscheine von Nachbarstaaten, die ihm gefährlich schienen in ihren Absichten, um sie damit im Notfall ruhig halten zu können.

Alles war auf das Beste bestellt im Reich. Es gab neue Straßen und Schulen, die Bewohner waren gebildeter, als die der Nachbarländer und fertigten so zwar etwas teurere aber auch langlebigere und bessere Produkte, warum auch die Exporte ständig wuchsen. Gleichzeitig hatte der König mit wachsendem Vermögen die Steuern immer weiter gesenkt, weil er ja nicht unendliche Überschüsse bräuchte und die Menschen lieber mehr Geld in den Händen halten sollten, statt es zu sparen, es auf den Markt bringen würden.

So geschah es also und die Wirtschaft florierte nach Innen wie nach Außen, die Lage war ruhig, die Versorgung der kommenden Generationen durch verantwortungsvolle Rücklagen gesichert, alles schien in diesem Reich in bestmöglicher Ordnung. Der König herrschte aufgeklärt, ließ sein Volk sich auf den meisten Ebenen selbst verwalten und belohnte gute Ideen und Engagement mit Steuernachlässen oder erhöhtem staatlichen Einkommen.

Diese Idee war ihm irgendwann gekommen, als allein durch den nur Zinsdienst der Nachbarländer auf ihre Schulden, die Schatzkammern schon überfüllt waren und die Exporte immer noch so viel größer waren als die Importe und der Konsum in seinem Land. Seine Ökonomen hatten ihm geraten, hier für Ausgeglichenheit zu sorgen, um die Stabilität auf Dauer garantieren zu können.

So hatte jeder Bürger des Reichs ein Grundeinkommen von seinem König, wer mehr verdiente, zahlte bis zu diesem Betrag keine Steuern und sparte im übrigen für schlechte Zeiten, in denen dann ausgeglichen wurde. Dadurch kauften die Leute mehr ein, waren fröhlicher und gönnten sich gerne etwas auch in den feinen Geschäften der Hauptstadt. Es ging ihnen ja gut, sie hatten genug, der Staat war sparsam und bescheiden, wie es ein Staat mit fremdem Geld immer sein sollte, dachte der König, der dies alles ganz normal und nicht der Rede wert fand.

Manchmal versuchten die einen oder anderen Firmen, den König zu ganz großen Investitionen zu überreden. Eine Chance hatten sie nur, wenn sie einen realen Gewinn brachten und nicht nur kosteten. Der König haushaltete in seinem Land wie eine schwäbische Hausfrau, wie seine Spötter zu sagen pflegten - aber er tat es so gut und sicher, dass alle davon in den Jahrzehnten seiner Herrschaft profitiert hatten. Es war alles gut, vernünftig und wohl geordnet und die Untertanen wünschten sich, es möge noch die nächsten hundert Jahre so weitergehen.

Doch der König wurde älter und älter, seine Augen ließen nach und er bekam immer schlechter Luft, wenn er in den Turm seiner Privatbibliothek stieg, brauchte er immer eine Pause zwischendurch und hatte sich darum einen Stuhl mit Büchern auf jede Zwischenetage stellen lassen. Sein Herz schlug noch, aber manchmal nicht mehr so, wie es sollte, darum musste er überlegen, wie es nach seinem Tod weiterginge und was er noch dafür tun konnte, dass alles in bester Ordnung blieb, wie es war.

Seine jüngste Tochter schien ihm am besten geeignet. Sie lebte wie er, liebte die Bücher mehr als den Luxus, war mit wenig zufrieden und im ganzen Volk beliebt. Doch nach dem alten Hausgesetz, nachdem auch er schon vom Vater erbte und dieser von seinem und so seit unendlich vielen Generationen im ganz frühen Mittelalter, erbte der älteste Sohn zuerst und wenn es keinen Sohn gab, immer die ältere Tochter vor den jüngeren Töchtern.

Die beiden großen Schwestern und der älteste Sohn waren auch gute Kinder, nur waren sie nicht bescheiden und sparsam, sondern liebten auch den Luxus, wie es viele Königskinder auf der Welt tun. Auch in der Wirtschaft, die der Sohn an großen Universitäten studiert hatte, sahen sie vieles ganz anders als die Jüngste, von der sie immer sagten, sie verstünde es nicht.

Schulden seien gut und notwendig, um in die Zukunft zu investieren, zahlten sich später aus und so verplanten sie auch ihr privates Geld weit über ihre Mittel, ließen anschreiben bei den Händlern im Reich. Diese wussten, irgendwann bekämen sie ihr Geld, war nur noch eine Frage der Zeit und Gläubiger des Kronprinzen zu sein erhöhte ihre Chancen Hoflieferant zu  werden deutlich, was ihnen noch mehr Prestige gäbe als nun schon als Lieferanten des Kronprinzen, dessen Wappen sie aus Dank für ihre Großzügigkeit zu Werbezwecken benutzen durften.

Der König wollte keine Schulden machen, sah den Schatz als Sicherheit für alle in der Zukunft an, die sein Sohn mit seinen neumodischen Ideen nun zu gefährden schien. Im Volk war der Kronprinz beliebt, weil er sehr großzügig mit dem Geld war, dass er noch nicht hatte, versprach viel zu investieren, wenn er erst König wäre und in der Hoffnung dabei bedacht zu werden, beschenkten ihn viele Unternehmen großzügig, was sein Vater nie angenommen hätte, um frei zu bleiben in seinen Entscheidungen.

Natürlich konnte der König als König sein Testament ändern, die jüngste Tochter als Erbin einsetzen und die anderen enterben, doch müsste er dafür begründen, warum er vom alten Recht abweicht und warum die anderen es weniger als die  Jüngste verdiente, die doch dem Recht nach erst an letzter Stelle zum Zuge käme als Erbin.

Keinesfalls wollte er Streit unter seinen Kindern säen und wusste doch, täte er, was er einzig für vernünftig hielt, würde er drei für eine vor den Kopf stoßen und er liebte doch alle seine Kinder gleichermaßen, dachte er zumindest, sollten sie jedenfalls denken, wollte er doch immer gerecht sein.

Eine schwierige Situation für den König, er wusste nicht, wie er sich nun entscheiden sollte. Eigentlich ging es ihn ja nichts mehr an, wenn er tot war, was sollte er sich Sorgen machen, sagte er sich. Er hatte seine Pflicht getan und was nach ihm kam, ging ihn nichts mehr an. Doch er konnte nicht so denken, sie trugen seit Jahrhunderten Verantwortung für dies Reich - müsste er doch nicht sterben, dachte der König, könnte er noch dreißig Jahre leben, löste die Natur vielleicht all seine Probleme von alleine, war doch die jüngste Tochter fast zwanzig Jahre jünger als ihr ältester Bruder.

Doch waren dies nur Märchenträume, er würde bald sterben, weil er schon alt war und es war müßig, weiter auf ein Wunder zu hoffen. Entweder er hörte auf, sich Gedanken über die Zeit nach seinem Tod zu machen, weil sie ihn nichts mehr anging und er alles so gut wie möglich gemacht hatte, oder er suchte sich Hilfe.

So ließ er den Mönch rufen, der ihn schon beim Wetterdienst so weise beraten hatte und schilderte ihm seine Lage, die ausweglos schien, zum Wohle des Landes und nach seinem Gewissen, müsste er sich in seinen letzten Tagen mit seiner Familie überwerfen, die er doch über alles liebte und der er nie böse wollte.

“Was soll ich also tun, wenn Pflicht und Gefühl verschiedene Wege gehen und ich doch auch weiß, es geht mich nichts mehr an, was nach mir kommt?”
“Ihr kennt sicher die Sage vom weisen Nathan, die er dem Sultan erzählt, als dieser nur einem seiner Söhne, den Ring vererben kann, der beliebt und glücklich macht und ihn zu einen guten Herrscher macht?”
“Wie er die drei gleichen Ringe fertigen lässt, die kein menschliches Auge mehr unterscheiden kann?”
“Genau die Majestät.”
“Aber ich habe nur eine Krone und ein Reich und kann es nicht in vier Teile teilen, das wäre gegen das Recht und nutzte niemandem.”
“Ihr könnt aber die Krone demjenigen vererben, der sich als weisester Herrscher erweist und der als bester daran erkannt wird, dass er vom Volk am meisten geliebt wird.”

Der König schaute den Mönch an, als hätte er den Verstand verloren und schüttelte den Kopf, dachte aber noch einen Moment nach, bevor er weitersprach. Wie hatte der Mönch das nur gemeint, fragte er sich und da kam ihm eine Idee, die allerdings ähnlich absurd schien.

“Ihr meint ich soll Wahlen zum König abhalten lassen und das Volk, ließe sich nicht von den Versprechungen meines Sohnes verführen?”
“Was würde euch glücklich machen, solange ihr lebt?”
“Mit meiner Familie in Frieden leben und mein Reich in guter Sicherheit zu übergeben.”
“Aber das tut ihr doch, wenn ihr nichts ändert, was macht ihr euch also Sorgen?”
“Weil ich weiß, dass mein Sohn mit den großen Schwestern bald die Finanzen ruiniert, weil  er und die älteren Schwestern unbescheiden sind.”
“Geht euch noch etwas an, was nach euch kommt, wenn ihr nicht mehr seid?”
“Dann nicht mehr, auch der Tod geht mich nichts an, wir kennen unseren Epikur - aber ich treffen jeden Tag Entscheidungen, die länger wirken können und sollen, als ich lebe. Jede dieser Entscheidungen, will ich so treffen, dass sie das Beste für mein Reich und mein Volk ergibt und danach, müsste ich mein Testament ändern, womit ich nicht mehr in Frieden gehen könnte.”

Er schaute den Mönch fassungslos an, hatte er alles vergessen, was sie in den letzten Jahren schon zur Sicherheit geplant hatten, dennoch versuchte er, ruhig zu bleiben, um es ihm nochmal zu erklären. Warum nur verstand ihn keiner mit seinen Sorgen, grübelte er dabei.

“Habe es längst in die Verfassung schreiben lassen, dass wir unser Vermögen weiter mehren wollen und der Staatsschatz nicht angerührt werden darf.”
“Aber weil euer Sohn versichern wird, seine Pläne würden für erste Schulden den Reichtum um ein vielfaches erhöhen, könnte er jedes Gesetz umgehen und schauen wir auf die Gewinne der Börsen und Banken, wird er viel Zustimmung finden.”
“Wie gut, ihr versteht mich doch noch.”
“Weiß ich nicht, denn ich sehe keinen Grund zur Sorge für euch, wenn ihr alles getan habt, was ein Mensch in seinem Leben tun kann, habt ihr es gut gemacht und könnt in Frieden gehen, wenn es soweit ist.”
“Aber ich erwarte von mir, dass ich mein Reich denen überlasse, die es so weiterführen, wie ich es tat und unseren Reichtum mehren, damit weiter alle in Frieden leben können. Auch meine jüngste Tochter, die ich gerne als Königin hätte, erwartet nichts von mir, keiner außer euch weiß von meinen Sorgen.”
“Eben und also steht  ihr vor der Wahl, ob ihr die Macht abgebt, damit andere sie in eurem Sinne weiterführen, solange ihr lebt oder euch nicht weiter, um das was nach euch kommt, zu kümmern.”
“Die Macht abgeben?”, der König rang um Worte, so erstaunt war er über den Vorschlag, “Aber was bliebe dann von meinem Erbe? Wäre es nicht, als enterbte ich meinen Sohn doch, wäre nur zu feige, es zu sagen?”
“Ihr müsst tun, was ihr meint, tun zu müssen, ob ihr es zu Lebzeiten offenbart, ist eure Entscheidung. Euer Sohn könnte König werden und dennoch keine Entscheidungen mehr über Finanzen treffen, wenn ihr diese Aufgaben delegiert und das Reich zu einer Republik mit König machtet.”
“Wer sagt mir, dass sich das Volk nicht dennoch zur falschen Finanzpolitik verführen ließe?”
“Ist es leichter ein ganzes Volk oder einen Menschen zu verführen?”
“Natürlich ist es leichter, wenn es nur um einen geht.”
“Wäre eure jüngste Tochter darum für die Verführung der Ideen ihres Bruders nicht gefährdeter als das ganze Volk?”

Der König dachte nach und merkte, wie ihm Zweifeln kamen. Er dachte an die Populisten und wie leicht die Masse verführbar war, wenn ihnen nur einer das blaue vom Himmel versprach und sein Sohn konnte gut reden. Doch warum seine eine Tochter, sich stärker gegen die Verführung mit den Ideen ihres Bruders wehren sollte, als ein ganzes Volk mit vielen klugen und nachdenklichen Menschen, konnte er nicht beantworten.

“Ihr vertraut der Masse mehr, als ich meiner Jüngsten trauen soll?”
“Sie ist eine, wenn es auf eine allein ankommt, kann viel passieren. Das Risiko ungewollter Veränderungen nimmt ab, um so mehr darüber bestimmen dürfen.”
“Soll ich also am Ende meiner Herrschaft mein Königreich aufgeben und die Macht dem Volk geben, meinen Sohn damit enterben? Wie soll ich da in Frieden mit meiner Familie gehen - so vernünftig die Idee sein mag, löst sie meinen doch Konflikt nicht. Diese Menge mit vielen völlig ungebildeten Menschen, soll klüger als mein Kind sein?”
“In der Masse sind die klügsten wie die dümmsten gleich und alle wollen glücklich und in Frieden leben - wem, wenn nicht einem ganzen Volk, wollt ihr vertrauen, wenn es um die Zukunft gehen soll, in der sie leben?”

Die Ideen waren revolutionär, eigentlich nicht erwünscht am Hof, aber sie waren klug und einleuchtend und er vertraute dem Mönch schon lange als Ratgeber. Dennoch versuchte er die für logisch erkannte Idee ein wenig einzuschränken.

“Sollte ich vielleicht erstmal nur die Professoren wählen lassen?”
“Es änderte nichts und machte das System nur anfälliger als die Demokratie.”
“Aber dann raube ich meinem Sohn die erhoffte Macht und meine Familie wird mir zürnen. Dann ginge ich in Streit und Unfrieden.”
“Es sei denn euer Sohn selbst, führt als euer Erbe die Republik ein, weil ihr ihn dafür einsetzt.”
“Er soll sich vom absoluten Herrscher freiwillig zum Repräsentanten machen lassen, all seine Pläne aufgeben?”
“Vielleicht könnte er die republikanische Bewegung sogar anführen, er ist ja modern, jung und aufgeschlossen für viele neue Ideen, auch wenn ihr nicht alle davon schätzt.”

So hatte er es noch nicht betrachtet. Nur würde sich sein Sohn an die Vorgaben halten, die Republik einzuführen, konnte er sicher sein, dass ein Parlament seine sparsame Haushaltspolitik voller Verantwortung für kommende Generationen weiter trug - er wusste es nicht und ihm fehlte das Vertrauen in die Intelligenz der Masse, die es schon richtig machen würde, weil sie träge war und jeder wollte, dass es ihm so gut wie möglich ginge.

“Aber schaut euch an, wie leicht sich Massen verführen lassen, wo soll das nur hinführen?”
“Besteht diese Gefahr in der Monarchie weniger?”
“Bei einer klugen sparsamen und bescheidenen Königin nicht.”
“Ihr glaubt immer noch, eine die ihr kennt, sei klüger als die Summe aller und weniger auch von ihren großen Geschwistern verführbar, denen ja keiner böse will, als ein ganzes Volk, dass sich seiner Freiheit als Geschenk bewusst ist?”

Der König zögerte einen Moment - ja, er dachte seine Tochter, würde es besser machen und wäre weniger verführbar als die Masse, die manipulierbar war. Nur war die Masse genauso manipulierbar, wenn er seinen Sohn enterbte, der ja sehr beliebt war, eine Revolution auslösen könnte, genau wie andere Bewegungen im Volk, die es ja auch längst gab, die nur nie zu einer Gefahr oder Mehrheit wurden, weil es allen gut ging, wie es war.

“Soll ich meinem Sohn die Macht übergeben, damit er die Republik einführt? Wird er das machen und wollen?”
“Wenn die Leute das beste Boot bauen sollen, musst du nicht ihnen nicht die besten Bücher dazu geben, sondern sie die Sehnsucht nach dem Meer lehren.”
“Ja, ich kenne das Zitat von Saint Ex’, aber wie soll ich ihm die Sehnsucht danach geben, seine Macht aufzugeben?”
“Wollen wir nicht alle immer das Beste und in Frieden leben, wie wir es nur können?”
“Aber warum sollte er aufgeben, wonach er sich schon so lange sehnt, um alles verändern zu können in seinem Sinne?”
“Weil er begeistert die demokratische Bewegung mittragen, euch die Republik abringen und sich großartig fühlen wird, wenn er von sich sagen kann, er hat seinem Volk die Freiheit geschenkt.”

Die Zweifel und der Widerstand in ihm schwanden, vielleicht wäre das eine Idee - plötzlich kam ihm ein Verdacht, was, wenn der Sohn längst Teil einer großen Verschwörung gegen ihn wäre, sein Vertrauter vielleicht auch, sie ihn zur Aufgabe der Macht nur überreden wollten, all die Sorgen, die jeden Mächtigen umtreiben.

“Ist er schon in der demokratischen Bewegung?”
“Sicher nicht direkt aber das wären Kleinigkeiten und mit diesem Kopf an ihrer Spitze, würde sie schnell das ganze Reich begeistern.”
“Ja, begeistern kann er die Leute, auch wenn ich von seinen Plänen bisher nicht viel hielt.”
“Würde der Berater seines Vaters, ihn im Vertrauen an die Spitze dieser Bewegung stellen, die sich gegen eure Herrschaft richtet und bei der ein Mann, der viel mit dem Volk spricht, ihn zum Führer macht, würde die Flamme der Demokratie bald im ganzen Land brennen.”

Er war sich noch nicht ganz sicher, ob er nicht doch Opfer einer Verschwörung wurde und auf etwas reinfiel, was von langer Hand erdacht war, selbst zum Instrument wurde - aber, wenn es so wäre, bliebe es dennoch der vernünftigste Weg und um was ging es als seinen Frieden?

“So muss ich den eigenen Sohn in den Kampf gegen meine Herrschaft hetzen, damit ich in Frieden gehen kann?”
“Dann erst könnt ihr in Frieden gehen und ihm die Macht übergeben, der die Demokratie im Rechtsstaat einführte. Für den Rest und die Kontinuität wird der Wohlstand aller sorgen, den sie gern behalten wollen und die gute Bildung, die ihr schon lange eurem Volk schenkt.”
“So würde ich zum Anstifter der Revolution gegen meine Herrschaft.”
“Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.”
“So sagt es der Neffe zum Leoparden in Tomasi di Lampedusas genialen Roman Der Leopard, ich weiß, ihr zitiert es gern - etwas wehrt sich in mir noch dagegen, aufzugeben, was ich von den Vorfahren erbte - aber ich widerspreche euch nicht und wenn mein Sohn als Revolutionär kommt, werde ich nicht gegen ihn kämpfen, sondern den Dingen ihren Lauf lassen.”
“Vielleicht seid ihr damit der weiseste Herrscher aller Zeiten und erlangt viel mehr Unsterblichkeit, als ihr euch verzweifelt wünschtet…”

Der König schaute den Mönch fassungslos an, woher kannte dieser jeden seiner geheimsten Gedanken, die er nie geäußert hatte -  er wusste es nicht, vermutlich konnte er in ihm lesen wie in einem Buch.

“Woher wisst ihr, ich meine, wie kommt ihr darauf?”, begann er fast stotternd.
“Weil jeder Mensch, es in eurer Situation  denken würde, es liegt ja nahe.”
“Dann macht, was ihr für nötig haltet, werde mich dem fügen und kann dann in Frieden gehen, ohne etwas entschieden zu haben - wenn das Weisheit sein soll, nehme ich es hin.”
“Die Dinge nicht ändern und weiter beherrschen und kontrollieren zu wollen, zeugt von großer Weisheit. Was mehr könnte ein Mensch, sich zum Abschied wünschen als die große Freiheit, gehen zu können, wenn es soweit ist?”
“Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert. Ja, lassen wir die Dinge ihren Lauf nehmen, mehr kann ich nicht entscheiden.”
“Verneige mich vor eurer Weisheit und werde mich nach Kräften bemühen.”

So beschlossen der König und der Mönch die Revolution, für die sie nichts taten, als der Freiheit ihren Lauf zu lassen und wenn sie nicht gestorben sind, blieb alles, wie es ist, weil sich alles veränderte.
jens tuengerthal 5.2.2017

Samstag, 4. Februar 2017

KMG 003

Märchenglaube

Es war einmal ein alter weiser Mann, der lebte in einer Hütte im Wald und die Menschen aus den Dörfern nahe dem Wald brachten ihm Essen in sein Heim, so dass es ihm an nichts mangelte. Besonders die Bauern suchten ihn gern auf, wusste er doch aus dem Gefühl, wie das Wetter würde, ob Unwetter drohten und wie lange sie das Heu stehen lassen konnten. Meist hat er richtig gelegen mit seinem Gefühl und die wenigen Ausnahmen galten als Gottes Wille, gegen den auch ein alter weiser Mann nichts tun konnte.

So sagte er über Jahre immer wenn die Bauern kamen, was seine Knochen ihm sagten, wie das Wetter würde, bekam dafür von den Bäuerinnen oder Mägden gutes Essen gebracht auch im Winter, wo es seine Vorhersagen nicht brauchte, weil keiner aufs Feld ging. Die Höfe in den Dörfern wechselten sich ab mit ihrem Besuchen und wenn die Bauern zwischendurch eine Auskunft brauchten, kamen sie selbst vorbei und tranken einen Schnaps mit dem alten weisen Mann, der immer fühlte, wie das Wetter würde.

Eines Tages kam es aus heiterem Himmel zu einem schlimmen Unwetter, das fast die gesamte Ernte zerstörte. Wut und Entsetzen in den Dörfern war groß. Wovon sollten sie nun leben, womit ihren Zehnten bezahlen, wenn es nicht mal zum überleben noch reichte. Und so vergaßen sie auch für einige Tage, während sie ihre Dörfer aufräumten und vom Schlamm befreiten, den Alten. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und schleppte sich auf Krücken in das nächste Dorf.

Weil der Alte schon lange nicht mehr so weit gelaufen war und wirklich schon sehr alt war, brauchte er lange. So wurde es schon dunkel als er die ersten Häuser erreichte und dort an die Türen klopfte. Und da keiner an ihn dachte und ihn keiner mehr hatte laufen sehen seit vielen Jahren, erkannten sie ihn nicht gleich, denn es kannten ihn ja viele nur aus den Erzählungen der Bauern und Mägde. So erschraken die Menschen vor dem wilden bärtigen Alten, der an Krücken gehumpelt kam und die Knechte jagten ihn mit den Hunden davon, bis eine Bäuerin es sah, ihn erkannte, sich ein Herz nahm und ihn in ihr Haus bat.

Sie hatten ihn alle vergessen und wenn sie einen Moment daran dachten, hofften sie, die anderen würden für ihn sorgen. So bekamen manche nun ein schlechtes Gewissen, weil sie ihren guten Alten fast hätten verhungern lassen und sie teilten das wenige, was ihnen nach dem schlimmen Unwetter geblieben war mit ihm und hofften auf bessere Zeiten.

Einige aber fragten ihn, warum er ihnen das Unwetter nicht vorausgesagt und so schlimmeres verhindert hätte. Ihnen sagte er immer wieder, ich sah und fühlte es nicht, der Wechsel war so plötzlich, es kam aus heiteren Himmel und war nicht spürbar.

Dann war das eben so, dachten die Bauern, sonst lag er ja meist richtig und war ein wichtiger, guter Ratgeber für sie und dabei beließen sie es und beschlossen, ihn weiter zu versorgen. Für Unglücke konnte keiner was.

Da ließ der König, zu dessen Ländereien auch die Dörfer gehörten in denen es so schlimme Verwüstungen gegeben hatte, dass sie um Erlass ihres Zehnten gebeten hatte, der ihnen gewährt wurde, die klügsten Männer seiner Universitäten kommen und fragte sie, ob sie wüssten, wie ein solches Unglück künftig zu verhindern sei.

Sie berieten sich lange und kamen dann wieder zum König. Drucksten lange mit Anreden herum, weil sie nicht weiter wussten.

“Hochverehrter König”, begann der eine, “aller vererhungswürdigste Majestät”, fiel der nächste ein, “gottgleiche Hoheit, die wir so verehren”, wollte der Dritte noch die Vorredner übertreffen aber der König hatte genug von diesen eitlen Spielchen und winkte ab - sie sollten zur Sache reden und da begannen die Professoren zu stottern. Sie waren trotz aller Forschungen und auch in Anbetracht der hunderte, nein tausende, vielleicht sogar Millionen Bände, die sie durchforscht hatten, leider zu dem Schluss gekommen, am Wetter ließe sich nichts ändern. Es könnte ein wenig wolkenähnlicher Rauch gemacht werden, aber auch die früheren Versuche Wetterfronten abzulenken mit militärischen Mitteln waren alle gescheitert und sie seien, trotz genauester Kenntnisse des Atoms, sogar auf subatomarer Ebene und der neuronalen Netzwerke des menschlichen Gehirns, dessen Windungen sie just noch erforschten, kein Stück weiter gekommen, gestanden sie zerknirscht, denn das Wetter ließ sich nicht ändern.

Da lachte der König laut: “Da bezahle ich die besten Universitäten und Professoren der Welt, lasse sie alle gemeinsam forschen und sie machen riesig viel Wind, nur um mir zu sagen, was ich schon vorher wusste - natürlich kann keiner das Wetter ändern. Wissen wollte ich, ob ihr solche Katastrophen künftig präzise mit meteorologischen Methoden vorhersagen könntet.”

Ach so, waren die Professoren ganz erleichtert, “ja präzise Vorhersagen können wir treffen, bis zur dritten Stelle hinter dem Komma”, meinte der Erste, “vielleicht sogar, genau geprüft, bis zur sechsten”, wollte ihn der Zweite übertreffen und als der Dritte ansetzte, auf Ort, Zeit und präzise Koordinaten zu schwören, winkte der König ab - “Na dann machen sie, bauen wir im ganzen Königreich einen Wetterdienst auf, der den Bauern sagt, wenn Katastrophen drohen und wie sie darauf reagieren sollen.”

“Ach, sollten wir das den Bauern nicht lieber selbst überlassen”, wandte besorgt der eine Professor ein, der nichts von der Landwirtschaft verstand.
“Natürlich sollen die Bauern, die Dinge der Bauern entscheiden und die Professoren die Sachen der Professoren. Die Bauern wissen schon, was sie zu tun haben, wenn sie nur wissen, wie das Wetter wird”, beruhigte der König den aufgeregten Professor, der langsam genug von diesen weltfremden Professoren hatte und er fragte sich, wer diesen Wetterdienst organisieren könnte, damit er funktioniere und der weder Bauer noch Professor war.

Da fiel ihm einer der jungen Mönche ein, der klug redete, die Professoren verstand, aber auch seine Wurzeln nicht vergaß und dem Volk in seiner Sprache predigte, so dass sie ihm an den Lippen hingen und taten, was er sagte.

Diesen Mönch also ließ nun der König kommen und befragte ihn, wie er den Wetterdienst für die Bauern einrichten wollte und was er davon halte.
“Ach Majestät, es ist eine hervorragende Idee von Eurer königlichen Hoheit, aber, was wird dann aus den Alten in den Wäldern, die bisher das Wetter meist richtig vorhersagten?”, wandte der gebildete Mönch ein, der die Verhältnisse vor Ort gut kannte.

“Nun, wir werden, ihnen eine königliche Rente geben, damit sie nicht hungern müssen.”
“Hoheit sind so großzügig und ich traue mich kaum, meine beinah albernen Einwände noch vorzubringen, gegen Majestät großartige soziale Idee”, begann der Mönch mit dem großen Bogen, der Widerspruch vor einem König begann, war dieser doch ein Herrscher von Gottes Gnaden, den auch Mönche schon darum respektierten und dennoch hatte er das Gefühl, er müsse ihn auch korrekt beraten und jeden Widerspruch aufzeigen.

“Er rede, darum hab ich ihn rufen lassen, nicht damit er in Floskeln wie alle redet, sondern mir sagt, was ich vergaß.”
“Die Bauern glauben dem Alten und seinen Knochen, die ihn fühlen lassen, meist hat er Recht, Unwetter wie das letzte kann er nicht vorhersagen, weil sie überraschend kommen - so ging es unserem königlichen Wetterdienst im übrigen auch. Wenn der Dienst gut besetzt ist, würden wir vielleicht das Unwetter bemerken aber mehr auch nicht, dann könnten wir mit viel Glück noch ein Dorf vorwarnen, mehr wäre, so schnell wie es aufzog, unmöglich, sagten mir die Meteorologen.”

“Aber ein Dorf gerettet, ist mehr als kein Dorf und keine Ernte”, wandte der König da ein.
“Es stiftete Unfrieden, wenn wir da nicht wehrlos wären und es geschehen ließen als eben Gottes Wille, sondern es berechenbar ankündigten - warum die und nicht wir, würden die Bauern der anderen Dörfer fragen, es käme zu Unruhen.”
“Aber wenn die Wissenschaft doch weiß, wie das Wetter entsteht und auch wenn es aufgrund der zu vielen Gründe nicht geändert werden kann, warum sollten wir dann nicht der Vernunft den bestmöglichen Weg ebnen?”
“Ihr seid, königliche Hoheit unser Herrscher von Gottes Gnaden. Dies liegt doch jenseits aller Willkür für uns und wer wollte es infrage stellen noch...”, begann der Mönch sehr vorsichtig.

“Spar er sich die langen Anreden und das Drumherum, wir sind unter uns. Was hat das mit dem Wetter und der Rente für die Männer im Wald zu tun? Hat jedes Dorf im Reich so einen Alten - wollen wir ein zentrales Heim in der Hauptstadt für alle alten Weisen eröffnen?”
“Euer Gemeinsinn Hoheit übertrifft alle Erwartungen und das Volk sollte in ewiger Dankbarkeit für eure Gnade leben, vielleicht tut es das dann auch für einige Jahre…”
“Ihr meint, sie werden undankbar sein, wenn ich zu gnädig bin?”, fragte der König, der noch nicht ganz begriff, was der kluge Mönch wollte, warum er beschloss mit diesem nun ganz offen zu reden - “Es soll dieser Wetterdienst von euch geleitet werden und ich würde euch fürstlich entlohnen dafür - dann könntet ihr selbst entscheiden, ob ihr weiter mönchisch lebt und alles euren Brüdern gebt oder ein Beamter meines Hofes werdet.”
“Wie verdient euer unscheinbarer Diener nur so viel Gnade?”
“Weil  ihr klug seid und wie ich hoffe ehrlich - was spricht gegen diesen Dienst, der euch zu einer sicheren Karriere mit allem, was den Mann erfreuen kann, verhelfen würde?”
“Wo wir den Glauben infrage stellen, ohne mit Wissen sicher zu sein, stellen wir die Macht eurer Majestät infrage - warum sollten die Menschen euch noch folgen, einen Zehnten abgeben, wenn sie Bürger ihres eigenen Reiches sein könnten?”
“Gibt es solch aufrührerische Gedanken in meinem Volk? Ihr seid als Prediger nah bei ihm - was sprechen die Leute?”
“Noch nicht, sie klagen über das Schicksal, dass ihnen die Ernte verdarb und hoffen auf eurer Majestät Gnade, des Zehnten wegen, nehmen es als Schicksal und göttliche Fügung hin, wie sie es gewohnt sind, weil sie genug mit Aufräumen zu tun haben, keine Zeit für Unruhen bleibt.”

“Aber nächsten Winter und wenn sie Zeit hätten und ein anderer Prediger käme, der sie einte... - verstehe - aber wäre es darum besser, ihnen die Wahrheit vorzuenthalten? Sie im Aberglauben an die Knochen des Alten zu lassen?”
“Das Gefühl der Alten in den Wäldern ist so präzise wie unsere Vorhersagen, es gäbe da keinen Fortschritt, wenn wir einen Dienst einrichteten, der sie aber überflüssig und zu Kostgängern eurer Majestät machte.”
“Aber es ist doch nur Aberglaube, ohne jede Präzision und Wissenschaft.”
“Doch ein Glaube, mit dem sie zufrieden mit den Elementen leben, die eben walten, wie der Herr es will - auch wenn wir manches davon vielleicht berechnen könnten.”
“Verstehe langsam, ihr meint, der Gewinn einer solchen Wettervorhersage, wäre gering gegenüber dem bisher Aberglauben, mit dem alle gut leben, es kostete nur, dafür würde das Risiko von Unruhen steigen, weil der Herrschaftsanspruch meiner Majestät logisch infrage gestellt würde?”
“Eure königliche Hoheit, haben es präziser gesagt, als ich es je könnte…”

“Ach was, er schwätze nicht schön, sein wacher Geist erst brachte mich auf den Gedanken, warum es besser sein könnte, manchmal weniger zu tun, als wir meinen, dass gut sein könnte. Wollt ihr mein erster Berater werden - als Premierminister oder freier Rat am Hofe, ihr könntet heiraten und ein gutes Leben führen?”
“Danke für das Angebot, aber ihr wisst, ich habe meinen Eid auf den Herrn geleistet, es ist nicht an mir, über mein Leben zu entscheiden, dass ich schon einer höheren Aufgabe widmete - auch wenn die Ehre natürlich sehr groß ist und…”
“Ihr wollt lieber nur Mönch bleiben, weil ihr einmal einen Eid leistetet? Auch wenn ich euch zum Geheimen Rat machte mit gutem Lohn und einem Gut eurer Wahl?”
“Was ist schon, was ich will oder zu wollen meine, der ich meine Aufgabe im Dienst der Schöpfung so erfülle, wie ich es kann? Geht es um mich oder sollte ich mich nicht zurücknehmen lieber, um dem Werk des Herrn zu dienen, der es schuf? Wie unbescheiden wäre es, wenn ich weltlichen Verlockungen beim ersten Ruf folgte, für welches Amt qualifizierte solche Verführbarkeit?”, erwiderte der Mönch ganz ruhig.

Der König spürte, er spielte nicht, um sich bestmögliche Konditionen bei seinem Gönner zu erhandeln - hier hatte er einen Mann vor sich, der aus Überzeugung handelte und ihr entsprechend in sich ruhte. Vielleicht war genau das die Wurzel seiner Weisheit - würde er als Beamter am Hof nur so bestechlich wie alle, ließe sich von schönen Frauen verführen, wenn er dürfte, folgte Glücksspiel und Jagd, wie es alle Herren taten?

“Lasse euch alle Freiheit, die ihr euch wünscht, wenn es euer Weg ist, Mönch zu bleiben, dann bleibt es, nur beratet ab und an euren König, der eures scharfen Verstandes häufiger bräuchte, um weise zu handeln.”
“Ach Majestät, wer klug handelt, ist damit noch lange nicht weise, glaube ich und fern bin ich davon, anzunehmen, das eine oder andere zu sein. Stehe immer zu eurer Majestät Verfügung und solange ich ein Habenichts und Mönch bleibe, könnt ihr sicher sein, der Rat war unbestechlich noch.”
“Weltliche Güter reizen euch nicht?”
“Vergänglicher Tand könnte ich sagen, doch will ich mich nicht über das erheben, wovon andere träumen - jeder träumt von irgendwas, mich reizt es, frei zu sein und als Habenichts dennoch gehört zu werden, weil es meinem Wort mehr Gewicht gibt als alles Geld der Welt.”
“So sei es, ihr werdet königlicher Berater ohne Amt und Würden, unsere Treffen bleiben unter uns und euer Rat wird diesen Staat wohl künftig mehr lenken als alle meine geheimen Räte es bis dato taten.”

“Hoffe Majestät brauchen meinen geringen Rat nicht oft, denn ich weiß doch nichts zu sagen, als euch die Vernunft selbst lehrt.”
“Ihr, ein bescheidener Mönch, beruft euch auf die Vernunft, wenn ihr mir ratet, von einem Wetterdienst abzusehen, um das Volk nicht in seinem Aberglauben zu stören, damit es nicht auf revolutionäre Ideen kommt?”
“Genau, alles andere schiene mir unvernünftig und nicht im Interesse des Glücks der größten Menge, nach dem zu streben unsere bescheidene Aufgabe doch ist.”
“Wie kann die Vernunft den Aberglauben verteidigen, wie ein kluger und gebildeter Mönch den Naturhokuspokus aus den Wäldern?”
“Weil alles, was wir anstatt zu bieten hätten, bis jetzt unvernünftiger wäre, weniger glücklich machte. Die Wettervorhersage, könnte in kritischen Fällen nicht helfen, wäre sonst auch nicht präziser als die Knochen der Alten - wozu Ruhe und Glauben erschüttern?”
“Aber soll nicht die Vernunft siegen gegen den Aberglauben auch auf dem Land?”
“Wer es nicht besser kann als der Aberglaube, kann es auch lassen, schaut euch die Ärzte an, was sie alles tun und die Menschen sterben an Tumoren als hätte sich nie etwas geändert. Doch alle fordern, wir müssten auf die moderne Medizin hören, die so oft nicht weiter weiß als die Kräuter der alten Weiber.”
“Sollten wir nicht mehr forschen?”
“Forschung und Suche nach Erkenntnis scheint mir immer gut, königliche Hoheit, doch heißt zu suchen, noch nicht da zu sein, sondern sich auf einer Reise zu befinden.”
“Alles wissen wollen, aber nicht über alles reden?”
“Über alles reden, was wir wissen - aber, was wissen wir schon?”
“Die Meteorologen wissen doch eine ganze Menge, scheint mir und warum sollen sie nun schweigen?”
“Keiner will sie zum Schweigen bringen, sie sollen forschen und wenn sie Katastrophen präzise voraussagen können, stehe ich Hoheit sofort zur Verfügung, einen Unwetterwarndienst für unsere Bauern aufzubauen - solange sie mutmaßen wie alle Gläubigen in einem Moment, der entscheidender Grund für ihre Arbeit wäre, sind sie keine Bereicherung auf dem Land, wo es gut ohne sie geht.”

“Verstehe, ihr seid wirklich weise, scheint mir, nur über das reden und das ändern, was nötig ist, damit die größt Menge so glücklich wie möglich leben kann.”
“Sollte das nicht das Ziel aller Regierungen sein?”, fragte der Mönch so milde lächelnd, dass der König den Spott überhörte, der darin gehört werden könnte.
“Scheint manchmal auf der Suche nach Wahrheit, etwas unterzugehen, alle wollen Recht haben und sich auf dem Markt der Berater als die Besten durchsetzen, buhlen um meine Gunst und also um Aufträge und Geld.”
“Warum ich mich davon fern halte, wenn ich irgend kann.”
“Womit könnte ich euch eine Freude machen, wenn ihr mir so sehr helft in eurer Freiheit?”
“Mit nichts, als mir diese zu lassen - habe meine Zelle, eine wunderbare Bibliothek und guten Wein und Essen genug. Was bräuchte ein Mensch je mehr?”
“Ihr klingt wie Epikur, der sich nur ein Brot und einen Käse wünschte.”
“Wenig brauchen, heißt viel haben.”

“Gibt euch euer Glaube so viel Weisheit und Sicherheit?”
“Wer nicht am Glauben auch zweifelt, hat keinen sondern Wissen und wer nicht an diesem immer wieder zweifelt, ist ein Narr. Halte mich weder für weise, noch bin ich sicher, bin nur der, der ich bin, manchmal auch närrisch, nie mehr und damit zufrieden.”
“Weil ihr nicht mehr sein wollt, als ihr seid und zufrieden mit dem, was ihr habt, seid ihr weiser, als alle, die es sein wollen, scheint mir - wie fandet ihr euren großen Glauben?”
“Glaubte ich nach dem Buch, fand er mich, wie es dem Herrn gerade gefiel.”
“Und was glaubt ihr wirklich?”
“Wer wäre ich, zu denken, der Herr, hätte nichts zu tun, als meinen Eltern bei der Zeugung zur Seite zu stehen, besonders da mein Vater dabei vermutlich wieder betrunken war, frage ich mich, wem ich diese Anwesenheit wünschen sollte. Wer wäre ich, zu glauben, der allerhöchste Herrscher müsste sich mit allen Kleinigkeiten seiner Schöpfung ständig abgeben und wie anmaßend wäre es, glaubte ich seine Schöpfung wäre nicht vollkommen?”
“Ihr kennt euren Epikur gut, scheint mir, was sagte wohl der Herr in Rom dazu?”
“Menschliche Gedanken sind menschlich und was menschlich ist, ist gut da Teil der Schöpfung, egal ob ich annehme Gott sei ein ständiger Nachtwächter und Babysitter für alle  menschlichen Sorgen oder nur die Idee als Prinzip verehre, kann ich doch glücklich mit ihr leben, wie es mir entspricht.”
“Ihr dient dem Gott, an den ihr nicht glaubt? Was seid ihr für ein Mönch?”
“Wer kann ihn nennen, wer ihn bekennen…”
“Ihr antwortet faustisch, der Doktor war auch eher ein Atheist und schloss einen Pakt mit dem Teufel - wollt ihr das?”
“Nichts liegt mir ferner und doch ist die Suche nach den Gründen menschlich und so schauen wir in die Natur.”
“Die Natur ist auch ohne Gott. Gibt es überhaupt noch einen solchen?
“Wer wäre ich, den Herren zu bezweifeln je? Halte ihn nur für keinen Kindergärtner und Hausmeister seiner Schöpfung - so ich ihn als vollkommen ansehe, wird es sein Werk es doch auch sein und alles seinen guten Weg gehen gehen, dächte ich”, der Mönch lächelte den König bei diesem Satz so vertrauensvoll an, dass dieser allen Widerspruch vergaß.

“Seid ihr sicher im Glauben, weil nichts sicher ist?”, versuchte der König seinen bescheidenen Ratgeber doch noch auf das Glatteis der Philosophie zu locken, damit er zugab, dass er an keinen Gott glaubte und es sich nur im Orden bequem machte.
“Letzteres zumindest ist sicher, ersteres habe ich nie behauptet - wäre ich auf täglicher Suche, wenn ich nicht auch zweifelte? Aber, was weiß ich schon, woher soll eurer Majestät bescheidener Diener wissen, was wirklich ist?”
“Ihr als Mönch bezweifelt die Realität Gottes?”, sprang der König sofort darauf an, der hoffte den Mönch zum Minister und Komplizen zu machen, sah er doch die Kirche eher kritisch und hatte den Epikur wie den Lukrez gern gelesen.

“Nichts bezweifle ich Majestät, wie käme ich dazu? Ist doch auch eure Herrschaft gottgewollt.”
“Und wie wirklich ist der Herr für euch?”
“Die Idee des Guten sicher auch und vieles mehr, wenn wir es wagen, seinen Pfaden zu folgen, scheint mir sehr  real.”
“Glaubt ihr an die Schöpfung oder die Evolution?”
“Ach, schließt sich das heute noch aus für manche? Rom hat doch längst seinen Frieden mit der Natur gemacht.”
“Ist Gott für euch nicht mehr als eine Idee?”
“Welche Idee war je mehr und bewegte Menschen auf der ganzen Welt zu größerem?”

“Gibt es den Gott des Volkes, den sie in Heiligen und Reliquien anbeten für euch überhaupt?”
“Es gibt so viele Bilder von Gott, wie es Menschen gibt und jeder findet das, was seinem Wesen am ehesten entspricht. Alles was es für Menschen gibt, ist für sie real und wer wäre ich, mit meinem beschränkten Horizont an der Realität anderer zu zweifeln?”
“Und was ist die Wahrheit, der Gott des Volkes oder die Rede von der Idee der Philosophen?”
“Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, immer, weil kein Mensch die ganze Wahrheit je kennen kann, sondern immer nur über die Schatten auf der Wand seiner Höhle spricht, die er für die Wirklichkeit hält, wie Platon es uns beschrieb.”

“Sind also auch die Worte des Papstes keine Wahrheit?”
“Solange er menschlich redet, ist er fehlerhaft und beschränkt wie alle Menschen, spricht er aber rituell, verkündet er den Willen Gottes und was sonst sollte aus menschlicher Sicht die Wahrheit sein?”
“Als Mensch nicht, aber als Papst schon, verstehe ich das richtig?
“Das Amt bringt es mit sich, den Menschen über sich hinaus wachsen zu lassen.”
“Wie konnte es dann solche Verbrecher wie den Borgia Papst Alexander VI. geben?”
“War dieser im Amt oder als Mensch fehlbar und wer wäre ich, darüber zu urteilen?”
“Kann ein Mensch je unfehlbar sein?”
“Nein und um es abzukürzen, egal in welchem Amt, als Mensch nie, darum ist es dennoch logisch, dass einer als Stellvertreter Gottes im Amt handelt und damit natürlich unfehlbar sein muss, denn wer wäre ich, Gott zu unterstellen, er mache Fehler, die doch menschlich sind.”
“Es scheint mir dies System geschlossen und keiner Vernunft  zugänglich mehr - wie kann es da noch lebendig sein?”
“Im Glauben der vielen, alle auf ihre Art.”

“Ist doch nur Volksaberglaube”, raunte ihm der König zu, “aber so unter uns - die  Idee ist  doch erstarrt, wo lebt sie philosophisch noch, wollen wir die Schöpfung nach oder vor dem Urknall verorten, ist der Herr eher ein weißer Riese oder ein schwarzes Loch?”
“Wie wir reden, zeugte eher für die Lebendigkeit des Glaubens, der auf neue Fragen, neue Antworten suchen muss. Wenn der Herr alles ist, erübrigt sich die Frage - was alles ist, ist aber rein logisch auch das Nichts umfassend und mehr als dies, was immer dann bliebe.”
“Wenn wir den Gott also groß genug wählen, stört er unsere Kreise nicht mehr?”
“Die Gnade des Schöpfers dankbar betrachten und darin nach eigener Fasson zu wirken, scheint mir eine schöne Aufgabe und Pflicht für das Leben.”
“Aber wozu dann überhaupt noch so einen Schöpfer erfinden?”, platzte aus dem König heraus, der den Mönch nicht zu greifen bekam.

Diese Worte waren Blasphemie und könnten in einem anderen Königreich und zu einer anderen Zeit einen Menschen den Kopf kosten. Beide wussten das und sahen sich mit etwas erschrockenen Augen an.

“Weil es der Ordnung entspricht, mit der wir leben und wer möchte, dass alles bleibt, wie es  ist, muss  es ständig ändern und der Wirklichkeit anpassen Majestät. Eure Hoheit ruht auf der Gnade dieses Herrn, wer wäre ich, sie in Frage zu stellen, doch kann was wir denken, jeder andere auch denken und so fragt sich eher, wie leben wir am glücklichsten.”
“Gott spielt keine Rolle in der Planung?”
“Wer in allem und über allem ist, muss nicht noch wegen jeder Kleinigkeit belästigt werden, so gesehen heißt, ihn zu würdigen, auch ihm seinen Freiraum zu geben.”

Der König überlegte, wie er diesen Mönch zu fassen bekam, der sich ihm immer wieder entwand. Sie waren vermutlich in den meisten Dingen einer Meinung, nur warum ließ er sich nicht im Glauben festlegen, dass ihn Gott nicht tangierte und seine Ethik rein humanistisch darum war?

“Wäre aber eine Welt, in der die Menschen nach dem kategorischen Imperativ handelten, nicht eine, in der Gott entbehrlich wäre?”
“Kant schließt die Existenz Gottes in seiner Moralphilosophie nirgendwo aus.”
“Natürlich nicht, aber er macht ihn für das moralische Handeln entbehrlich.”
“Wer alles tut, muss sich nicht mit jeder Kleinigkeit beschäftigen, darum ist es gut, dass Kant ein solches immer passendes System erdachte.”
“Wenn aber dies System ohne Gott höchste Moral ist und immer funktioniert, wozu brauchen wir dann noch einen Gott, um moralisch zu handeln, wenn doch das menschliche Gewissen allein genügt?”
“Der Königsberger hat den Herrn sehr weitgehend entlastet, stimmt schon, vermutlich in Anerkennung der Vollkommenheit seiner Schöpfung. Wenn das Geschöpf also selbständig sich der Vollkommenheit nähert, was bewiese uns besser die Vollkommenheit seines Schöpfers? Und ist der kantsche Imperativ nicht ziemlich nah am Ideal? Der Herr wird seine Freude an dieser Idee gehabt haben”, lachte der Mönch laut bei den letzten Worten.

Damit konnte Gott sein oder nicht sein, es war egal, solange die Menschen moralisch nach ihrem Gewissen handelten. Gott störte die Ordnung hier nicht und ob er sie geschaffen hat oder nicht, bliebe reine Glaubensfrage in völliger Freiheit. Der König bekam den Mönch nicht zu fassen, warum er beschloss, es von einer anderen Seite her zu versuchen.

“In meinem Reich gilt die Glaubensfreiheit. Also auch die Freiheit, nichts mehr zu glauben. Wenn dies aber frei ist und wahr sein kann, wie soll dann noch ein Glaube je wahr sein?”
“Die Gleichberechtigung aller in der Ökumene ist ein hehres Ziel und es ist gut, wenn sich der Staat in Fragen der Glaubenswahrheit heraushält. Es gibt da keine juristisch bessere Antwort.”
“Ist also logisch kein Glauben ganz wahr, müssen sich alle tolerieren, wie Lessing es in der Ringparabel den Nathan erzählen lässt?”
“Lessing sagt, den wahren Glauben erkennt ihr an seinen Handlungen.”
“Also kommt es weniger auf den Glauben als die Taten an und es ist egal, wie wir das nennen, was auf der Mogelpackung steht.”
“Weder Lessing noch sein Freund Moses Mendelssohn hätten es je so formuliert.”
“Wer den Glauben relativiert, kann ihn auch gleich aufgeben, entweder es ist die Wahrheit oder es ist überflüssig und Aberglaube.”
“Wie stark muss ein Glaube sein, der jede Relativierung in seiner Absolutheit rein übersteht?”
“Sind ihnen die guten Taten oder der gute Geist wichtiger?”
“Zwischen Bonhoeffer und Lessing gibt es geistige Parallelen in der Frage der Toleranz und der Ethik, denke ich.”

“Wie halten sie es mit dem Aberglauben?”, fragte der König den Mönch weniger kontrollierend als philosophisch.
“Kenne keinen Aberglauben oder nur solchen, denn wer wäre ich, über den anderen Glauben zu richten, wenn in eurer Hoheit Reich Glaubensfreiheit herrscht?”
“Dann wäre der wahre Glaube der heiligen katholische Kirche ein Aberglaube?”
“So ich einen anderen so nennen würde, was ich vermeide, müsste ich das konsequent sagen. Diese Unterscheidung dient der Abgrenzung. Suche eher Brücken zu bauen, darum ist sie für mich irrelevant.”
“Der Hokuspokus und die Magie sind nicht gefährlich in euren Augen, sollten wir nicht gegen diesen Unsinn im Reich vorgehen?”
“Nicht gefährlicher als die Taufe von Kindern, die noch nicht wissen können, was sie tun.”

Nach diesem Satz schluckte der König dreimal. Erst hatte er ihn billig provozieren wollen, wie er das heilige Sakrament der Taufe so schänden könnte, dann hatte er gemerkt, wie doppelsinnig diese Aussage war, wie unbedacht dieser Kommentar wirken könnte und so schien ihm bald jede Erwiderung lächerlich. Gefährlich war für ihn weniger, was Menschen ohne Verstand an Unsinn taten, es war menschlich. Der Glaube war ihm ein Schutzwall seiner Freiheit und er lebte hinter dieser Mauer so frei wie jeder Atheist, musste sich nur nicht dafür rechtfertigen, da er offiziell im Schoß der Kirche als ihr Diener lebte. Ob einer Gläubiger, Agnostiker oder Atheist sich nannte, war ihm weniger wichtig, als die Freiheit der Gedanken und für diese hatte er in seinem Orden den für ihn besten Ort gefunden und andere, gingen andere Wege unter anderen Umständen.

Der König und der Mönch spielten miteinander, wussten oder ahnten jeder auf seine Art, wie nah sie sich in ihrer Meinung wohl waren und doch ließ der Mönch sich zu keinen Zweifeln an der offiziellen Lehre verleiten, bis der König nicht mehr weiter wusste.

“Wie kann ein Mensch, der so klug ist wie sie mein lieber Mönch, diese Albernheiten mitmachen, an Unfehlbarkeit glauben, von heiliger Dreifaltigkeit einfältig säuseln?”, stieß der König wütend hervor.
“Was weiß ich schon mein lieber König, dessen Majestät nur auf dem Respekt vor diesem Gott beruht, und warum sollte ich Traditionen infrage stellen, nur weil ich sie nach meinem Horizont nicht mehr verstehe? Bin nicht klug, wenig gebildet nur und lasse die Dinge, wie sie sind, damit es der größten Menge gut geht damit. Wenn sich die Dinge ändern, können wir über anderes reden, solange sie sind, wie sie sind, genieße ich, was ist, um es so schön wie möglich zu haben, da ich mir mehr nicht zutraue.”
“Kann noch viel von ihnen lernen lieber Mönch, zuerst vielleicht den Glauben an Gewissheiten zu verlieren, um freier im Denken zu werden.”

Und wenn nicht irgendwann die Königin gekommen wäre und dem König ihre neue Unterwäsche hätte vorführen wollen, woraufhin sich der Mönch lieber verabschiedete, was die Königin allerdings sehr bedauerte, die sich gerne zeigte, wäre es noch stundenlang so weiter gegangen und wenn sie nicht gestorben sind, dann reden sie noch heute.
jens tuengerthal 4.2.2017

Lustlangsamkeit

Wie schnell ist die Lust
Frage ich mich während
Sich meine Hände sehnen
Ganz langsam zu streicheln
Bis du es nicht mehr länger
Aushälst wie ich nur kreise
Um das Zentrum der Lust
Deine Mitte entgegenstreckst
Berührt verführt geküsst erlöst
Endlich zu werden und ich
Dich noch etwas warten lasse
Bis es von alleine dir kommt
Fast ohne Berührung der Orte
Weil das davor mehr schon
An Spannung war als ging
Dann hast du die Langsamkeit
Mit deiner Lust überholt und ich
Weiß nicht wie schnell sie ist
Nur du warst schneller als ging
Kamst einfach weil alle Natur
Sich nach Erlösung sehnt
Und so ist alle Theorie grau
Lieber leckte ich dich nun
Jenseits der verlorenen Zeit
jens tuengerthal 3.2.2017

Freitag, 3. Februar 2017

Liebesnichts

Die Liebe ist mir alles
Nur was ist sie noch
Wirklich etwas immer
Oder Träumerei nur
Ohne realen Bezug
Bloße Idee im Kopf
Überall wohl spürbar
Doch nie allein greifbar
Bleibt mir nur nichts
Als die Erinnerung wie
Schön die Träume waren
Als sie noch nicht nichts
Waren sondern geteilt
Verdoppelt irgendwie weil
Es keine halben Sachen
Beim ganzen Gefühl gibt
Bleibt wirklich weniger als
Das WIR sich noch anfühlt
Das nichts mehr ist nun
Oder ist nie alles weg
jens tuengerthal 3.2.2017