Mittwoch, 23. Januar 2019

Antikendialektik

Schon in der Antike selbst stehen sich
Entgegengesetzte Ansichten gegenüber
Die unser Bild von diesem mit formten
Was nicht schon Winckelmann verklärte

Wo Winckelmann edle Einfalt suchte
Wie stille Größe mutmaßte nagte oft
Bloß der Zahn der Zeit alle Farbe weg
Der nachzuahmenden Einmaligkeiten

Während Winckelmann Griechen hochhielt
Verehrten die Franzosen lieber die Römer
Dabei wurden Despotie und Denokratie als
Dialektik in der Klassik selbst gesehen

Original und Kopie galten als beste Basis
Des Urteils über künstlerische Werte noch
Doch beurteilte der autodidaktische Kenner
Der Winckelmann in Rom nur war falsch

Goethe und andere Geistesgrößen trugen
Dies Idealbild dafür weiter in lichte Höhen
Wo alles marmorn und klar uns erschien
Was vielleicht nur eine schwule Vision war

In der Antike galten die Perser als Bedrohung
Weil die Griechen sie fürchteten als Gegner
Auch wenn sie real oft mehr Demokratie wie
Toleranz brachten als verklärte Helenen hatten

Griechenlands hehre Antike war bunter als
Es unserem schlichten Bild wohl entsprach
Widersprüchlich schon in sich wie zerstritten
Mit Sparta und anderen auch untereinander

Wurde durch seine Kolonien groß aber ging
Auch wieder unter und nur Roms Version der
Antike gelangte zunächst zu uns weil dieses
Reich sich als länger tragbar noch erwies

Ironie der Geschichte vielleicht dass Rom
Später wieder in den einst griechischen Osten
Nach Byzanz umzog um dort länger noch zu
Bestehen bis der Islam an seine Stelle trat

Westliches und östliches Rom gingen so mit
Über tausend Jahren Differenz unter aber
Erstanden in neuer Form wieder auf in
Renaissance und Klassizismus idealisiert

Unser Griechen und Antikenbild wurde wohl
Von Winckelmann und Goethe entscheidend
Bestimmt die dennoch beide als Urväter der
Archäologie sie ahnungslos blenden ließen

Winckelmann-Goethes Antike ist historisch
So falsch wie Scots mittelalterliches England
Nie so existierte aber wahr wurde als Bild
In unserem Ideal das ihm noch nacheiferte

Der Klassizismus in seiner hier Version der
Weimarer Klassik brachte ein neues Bild
Der Antike das zwar sachlich oft falsch
Aber dafür echt und sinnlich erfahrbar war

So wurde dieses Bild der Antike wiederum
Ideal der deutschen Klassik und damit zu
Einer eigenen bedeutenden Kultur die erst
Die griechischen Spuren in die Welt trug

Die Utopie vom klassischen Griechenland
Geschöpft in Winckelmanns Phantasie wurde
Zur gelebten Realität der deutschen Klassik
Womit es eine lebendige Kultur längst war

Im zuerst nacheifern der Erfindung wurde
Diese zum eigenen kreativen Ideal das
Dann von großen Künstlern wie Goethe
Wieder neu als solches belebt wurde

Hölderlin ging dagegen auf Distanz
Hielt das Ideal der Nachahmung der
Antike als Ziel der Gegenwart für
Völlig verfehlt da eigenes fehlte

Heute halten wir gerade eher die
Einseitig weiß marmorne Sicht
Des Klassizismus für verfehlt was
Die Antike betrifft die bunter war

Doch ist die Prägung geblieben
Als Epoche wie als Ideal wirkt
Der Klassizismus in die Gegenwart
Sogar der Griechenland Touristen

Ernüchtert wandten sich daher viele
Von den Griechen zornig ab die noch
Als Bildungsbürger Winckelmann im
Hinterkopf an Ideale geglaubt hatten

Wie konnte das kühle Griechenland
So südländisch korrupt verschuldet
Auf Vetternwirtschaft gebaut haben
Empörte Winckelmann gegenwärtig

Die Figuren der Griechen waren bunt
Wie die Kirchen der Romanik vielfach
Nur der Zahn der Zeit erledigte Farben
Schuf eine phantastische Idealwelt

Da es nun aber den Klassizismus gibt
Diese Epoche kulturell stark prägte
Was jeder noch heute beim Gang etwa
Durch Weimar merkt ist er realer

Wurde über Goethe und Winckelmann
Mehr zum Bild der Antike in uns als es
Mit der griechischen Kultur je zu tun hatte
Was die Enttäuschung logisch in sich trägt

Bevor wir über die Antike urteilen oder
Als Renaissance ihr nacheifern könnte
Wichtiger sein zu wissen wie es war
Was wir nie ungespiegelt wissen werden

Jedes Bild anderer Zeiten ist stets der
Spiegel des Geistes der eigenen Zeit
Egal ob humanistischer Klassizismus
Damit besser wird als die reale Antike

Sich als horizontal beschränkt erkennen
Statt Wahrheiten neu zu verkünden um
Einfach auch phantastischen Idealen dann
Nachzueifern weil sie gefallen wäre ehrlich

Ob Ehrlichkeit nun wertvoller ist als die
Beschwingte sinnliche Phantasie die einst
Winckelmann und Goethe noch antrieb
Weiß ich nicht letztere ist sicher lustvoller

So machen wir uns unser Bild der Welten
Werden Geschichtserzähler die wir als
Begründer der Archäologie lange feierten
Zu Märchenonkeln der Gegenwart uns

Wissenschaft als Märchenstunde die
Zugleich Kulturwissenschaft wieder
Der selbst geschöpften Epoche ist
Relativiert auch die Welten überhaupt

Was weiß ich schon schrieb Montaigne
Der große Renaissancemensch der
An deren Ende schon lebte und sich
Gern sein eigenes Bild der Welt machte

So schätzte Montaigne der fließend
Latein sprach wie schrieb und las
Die Klassiker sehr nicht ohne auch
Sie wieder infrage dabei zu stellen

Immer wieder zitiert Montaigne auch
Aus Schriften der Antike in seinen
Essays gänzlich ohne Winckelmann
Mit seiner sphärisch schwülen Erotik

Sicher schätzten die Franzosen auch
Die Römer mehr und bevorzugten
Dafür oder darum gerade die Deutschen
Ihr Ideal von griechischer Antike

So bezog sich etwa Montaigne noch
Vielfältig auch auf Lukrez der doch erst
Hundert Jahre rund wiederentdeckt war
Wenig später aber von Rom verboten

Montaigne erlebte noch gerade seine
Legale Verbreitung doch machte dessen
Zuwendung zu dem atheistischen Denker
Seine Texte später auch zensurwürdig

Habe kein festes Bild der Antike mehr
Weiß nicht ob Winckelmann und Goethe
Näher an meiner Realität sind als etwa
Montaigne oder Epikur was wir wissen

Zumindest wurde offensichtlich wie
Völlig sich ein festes Geschichtsbild
Durch geringfügig andere Beleuchtung
Verändern kann in jeder Gegenwart

Was wirklich war weiß nur wer auch
Dabei war was keiner von sich mehr
Sagen kann warum es mehr darauf
Ankommt ehrlich mit sich zu sein

Wir können uns die Gegenwart mit
Phantastischen Bildern aus der Antike
Für die Zukunft passend formen was
Gut geht solange wir es wissen

Das Ideal des Klassizismus wurde so
Zu einer eigenen Ethik eines später
Romantisch verklärten Ideal mitten
In der Zeit der Aufklärung noch dazu

jens tuengerthal 23.01.2019

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