Montag, 2. März 2020

Selbstmordkultur

Die Zahl der Selbstmorde sinkt
Bundesweit wie in Berlin stetig
Etwas über 400 im Jahr noch
Allein in meiner Stadt zuletzt
Mehr als einer täglich theoretisch
Dabei sind es meist ältere oder
Kranke die genug vom Leben
Haben ihm ein Ende zu setzen
Wir erfahren nur wenig davon
Über meinen jungen Nachbarn
Der vom Dach in den Tod sprang
Kam keine Meldung um nicht
Noch Nachahmer zu motivieren
Wir gern den Tod ausklammern
Gerade wollte sich eine nahe
Freundin von mir mit Tabletten
Das Leben nehmen rettete sich
Aber noch selbst ins Krankenhaus
Was ein gutes Zeichen wohl ist
Hat sie doch Lebenswille genug
Trotz vorher fast Vergewaltigung
Durch eine enttäuschende Liebe
Noch weiterzumachen was mich
Sehr erleichtert und gefreut hat
Der selbst sich schon fragte wozu
Das ganze Theater noch ob es
Sich für irgendwas noch lohnt
Zu leben trotz genug ungelesener
Bücher noch auf meinen Stapeln
Die Grund genug wären zu genießen
Was ist aber wenn auf einmal alles
Im Nichts verschwindet wofür
Du vorher gelebt und geliebt hast
Liegt der Abgang zugegeben nah
Manchmal hilft Pflichtgefühl dagegen
Zumindest für den ersten Moment
Auf den aber kommt es dabei an
Weil mit Abstand betrachtet auch
Die vermeintlich große Liebe nie
Ein unwiderrufliches Ende wert ist
Da diese so relativ wie alle Gefühle
Flüchtig ist und im Nichts aus dem
Sie kam wieder verschwindet nie
Eine endgültige Entscheidung wert
Sein sollte auch wenn wir immer
Noch die Ehe bis an unser Ende
Einander versprechen um damit
Soziale Strukturen stabil zu halten
Solange wir lieben noch hoffen
Es könnte Ewigkeit geben wie
Wo diese einseitig endet alles
Verlieren was noch leben ließ
Mit dem Rest irgendwie nur noch
Überleben weil die Alternative nur
Ins Nichts führt was auch nichts ist
Dann scheint es doch vernünftiger
Sich mit dem was bleibt zumindest
Ein wenig zu vergnügen um den
Nur noch relativ wertvollen Rest
Würdig hinter sich zu bringen
Bis es dann nach seiner Zeit
Auch alternativlos von alleine endet
Spannender als die Frage wie wir
Irgendwie unterhaltsam was bleibt
Hinter uns bringen scheint mir
Die moralische Beurteilung des
Freitod den wir Selbstmord nennen
Um unsere Abscheu auszudrücken
Vielleicht damit nicht wieder mehr
Menschen die endgültige Freiheit
Nicht mehr sein zu müssen wählen
Aber liegen dabei jemals die nötigen
Mordmerkmale vor die stets restriktiv 
Nach dem BGH auszulegen sind
Wäre der Täter des versuchten Suizid
Im Falle seines Überlebens wie ein
Mörder zu bestrafen oder niemals
Weil die Entscheidung über unser
Leben Ausdruck der Freiheit ist die
Eng mit unserer Würde als Mensch
Verbunden ist der leben wollen soll
Zugleich halten wir viele Menschen
Die den Versuch unternehmen für
Psychisch krank also nur bedingt
Schuldfähig was die moralische
Verurteilung noch fragwürdiger macht
Verdient nicht eher Bewunderung
Wer sein Leben wirklich selbst bestimmt
Zumindest was das Ende betrifft denn
Beim Anfang fragt uns schon keiner
Ob wir in dieser Welt sein wollen
Zeugt die Pathologisierung nicht eher
Von Angst und Krankheit der anderen
Denen der Mut einfach zu gehen fehlt
Was so korrekterweise nicht gefragt
Werden darf niemand zu animieren
Dahingestellt was nun gesund ist
Klar aber sollte endlich werden dass
Wer Hand an sich legt kein Mörder ist
Nicht moralisch verwerflich handelt
Keiner sozialen Verurteilung bedarf
Sondern Perspektiven im Leben
Finden sollte genießen zu können
Was ist so wenig manchmal auch
Nur noch bleibt nach allem lohnt
Ein Moment Glück mehr als nichts
Was am Ende alles wäre aber auch
Nichts ist sich davor zu fürchten
Nur noch etwas besseres vorhaben
Kann motivieren weiter zu machen
Weil Sein keinen Grund braucht
Noch es einen überhaupt gäbe
Wir machen halt weiter weil Nichts
Nie eine Alternative ist außer
Sein wäre unerträglicher doch
Was selten kategorisch gilt
Denn schimmer geht immer

jens tuengerthal 2.3.20

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