Reanimateur
Am 30. April 1987 wurde ich reanimiert
Nachdem ich zuvor tot auf der Straße lag
Weil mein Dickkopf doch noch einen
Kleinbus der Stadtwerke quasi eigenhändig
Nur dummerweise mit dem Kopf ohne Helm
Meinte aufhalten zu müssen was hier
Ausdrücklich nicht zur Nachahmung
Empfohlen sei weil es in der Wirkung
Einem Schlaganfall gleichkommt nach
Dem mein Hirn einige Monate wie
Teilweise Jahre brauchte sich neu
Zu programmieren wie vorher erlerntes
Wiederzufinden aber ich überlebte
Beziehungsweise wurde reanimiert
Wie es die Mediziner gerne sagen
In ihrer latinisierten Fachsprache
Was aber religiöser Unsinn ist wie
Sachlich das Falsche beschreibt
Gebe ich den pedantischen Dichter
Der auf die Worte wie ihre Bedeutung
Achtet und Sprache gern verdichtet
Anima heißt lateinisch die Seele
Ist eine Erfindung des Aberglaubens
Die ihrem Wesen nach unfrei macht
Wie hier schon häufiger lyrisch erläutert
Darum nur kurz dazu die Annahme
Einer in der Natur nicht nachweisbaren
Mithin nur geglaubten Existenz hängt
Unser Sein an einen Aberglauben ohne
Fundament als die Tradition die kein
Wert an sich ist wo sie sich gegen die
Natur stellt die Gegenstand der Betrachtung
Der Medizin als Naturwissenschaft doch
Sein soll wenn auch viele Ärzte einem
Erstaunlichen Aberglauben anhängen
Der nicht zur Betrachtung der Natur
Ihrem Wesen nach passt so kenne ich
Eine sehr geliebte einst Herzchirurgin
Die immer wenn ein Patient starb
Was bei Eingriffen am Herzen vorkommt
Wie in der Natur auch liegt das Fenster
Öffnete damit die Seele entweichen konnte
Fragte nicht wie sie das im OP tat der
Ungeöffnet steril bleiben muss damit
Wir möglichst gut überleben noch wie
Dieser Hokuspokus sich mit der sonst
Naturwissenschaft vereinbaren ließ
Fand es nur liebenswert wie sie was
Solange wir uns nah waren genügte
Aber denke immer noch wie albern
Wenn es auch niemandem schadet
Sie als einfühlsame Ärztin zeigte
Hier weiter kein Thema ist offenbart
Sich an diesem Beispiel wie präsent
Der Aberglaube in Sprache wie Tun
Auch der technischen Mediziner
Immer noch ist den ich aber unfrei finde
Warum ich vom Gefühl her lieber nicht
Reanimiert worden bin sondern von
Erfolgreicher Herzmassage ohne Seele
Rede weil als ich nicht mehr war
Auch nichts war oder passierte
Die Zeit kurz davor wie Monate danach
Sind aus meinem Gedächtnis gelöscht
Es ist quasi eine Nichtzeit obwohl
Real viel passierte um mich wie
In der Welt die ich nicht erlebte
Weil ich dann lange bewusstlos war
Ob noch lebt wer bewusstlos ist
Wird von einigen Philosophen bestritten
Insofern ich keine Erinnerung daran habe
Enthalte ich mich jeder Meinung dazu
Weil Enthaltung mit Montaigne immer
Eine gute tolerantev Haltung auch ist
Der Tod als schmerzfreies Nichts macht
Zumindest seitdem mit Epikur hier ganz
Einer Meinung keine Angst mir mehr
Solange ich bin ist er nicht da und
Wo er kommt bin ich es nicht mehr
Geht mich also logisch nichts an
Ist kein Grund sich je zu fürchten
Und so sage ich seit Jahren dass ich
Am 30.4.1987 reanimiert wurde aber
Weiß doch das Wort ist schlicht Unsinn
Es gibt in der Natur keine Seele
Dieses Gespenst wurde sich von den
Sekten ausgedacht uns zu fesseln
Wie die Hoffnung auf ein Jenseits
Zu züchten mit der Phantasie von
Der unsterblichen Seele als sei die
Sterblichkeit nicht Natur wie damit
Freiheit die wir besser genießen
Statt mit erfundenen Seelen gegen
Sie noch zu kämpfen im Wahn das
Ändern zu wollen was uns ausmacht
So wurde ich am 30.4. reanimiert
Weil die Medizin es eben so sagt
Aber negiere zugleich die Existenz
Einer unsterblichen Seele die uns
Unfrei wie abhängig macht gerade
In der Entscheidung über unser
Leben als freie Menschen die
Auch das Ende wählen können
Ohne transzendente Fortsetzung
Dabei je fürchten zu müssen und so
Feiere ich am 30. April zugleich
Geburtstag mit Kaspar Hauser wie
Die Möglichkeit eines Endes was
Sich Adolf Hitler und Eva Braun
An dem Tag setzten an dem die
Russen auch die rote Fahne auf
Dem Reichstag aufzogen wie die
Amerikaner München die einst
Hauptstadt der Bewegung befreiten
Vergewaltigten die Russen den Osten
Real wie übertragen noch Jahrzehnte
Können bis heute nichts anderes
Und staune mit Liebe am Leben
Wie sich Leben und Tod an diesem
Tag vielfältig seltsam nah sind
Bevor nach der Walpurgisnacht
Fröhlich lustvoll der Mai kommt
Feiere ich das Leben ein wenig
jens tuengerthal 30.4.23