Dienstag, 28. Mai 2019

Kulturweltenweite


Verstehen zu wollen, was die Kultur umfasst, steht am Anfang jeder Beschäftigung mit der Verbindung ihrer separaten Gebiete zu einem Geist, der nachhaltig gestaltet.

Aber kann ich diesen Begriff überhaupt vollständig erfassen oder begrenze ich die Kultur, die sich verbinden soll damit schon wieder, verstieße jede Definition gegen das Ziel der Kulturwelten, die verbinden wollen, um gemeinsam die Welt zu gestalten?

Es umfasst alles, was der Mensch selbst hervorbringt, im Gegensatz zur gewachsenen und von ihm nicht veränderten Natur.

Die helmansche Definition des südafrikanischen Anthropologen, nach der Kultur ein System von Regeln und Gewohnheiten sei, die das Zusammenleben und Verhalten von Menschen leiten, scheint mir schon vorab zu begrenzt, warum ich sie hier verwerfe und als Kind anthropologischen Geistes betrachte, der gerne alles nach seinen Schemen ordnet, was sicher einem Bedürfnis entspricht, aber im Ergebnis unnötig einschränkt, da Kunst ihre tiefste Wirkung gerade mit dem Bruch der Gewohnheiten erreicht.

Doch auch die Hervorbringung in obiger weiterer Definition scheint mir schon fragwürdig, weil dies eine Handlung einschließt, die dem kreativen Akt meist erst lange nach seiner Vollendung folgt und damit ignoriert, was diesen ausmacht.

Kultur fängt im Kopf an und gerade ohne, das schon etwas ist.

Spannend ist aber, dass dies die Tätigkeit des Bauern mit der des Malers oder Dichters gleichsetzt, zumindest beide gleichwertig mitumfasst, auch wenn Landwirtschaft gerade nutzt, was die Natur hervorbringt - auch wenn wir dazu erst das Land kultivieren müssen.

Ob wir darum das Sammeln von Beeren und Wurzeln wie die Nutzung natürlich gewachsener, essbarer Pflanzen als weniger kulturell einstufen, weil sie nur vorhandenes nutzt aber nichts hervorbringt, außer den Einsatz ihrer Kenntnisse, die wiederum eine eigene Kultur wären, scheint mir fraglich.

Sind Sammlervölker weniger kultiviert als Jäger, die durch Tötung von Natur ihre Kultur pflegen. Auch stellte sich mir bei all diesen Definitionen immer die Frage wie nötig diese Abgrenzung ist, ob nicht alles was wir hervorbringen Teil unserer Natur ist, weil wir Bestandteil der gesamten Natur sind.

Es scheint diese Definition also in Teilen vom alten Geist der Schöpfungssagen und anderem Hokuspokus geprägt, die den Menschen als ein Gegenüber der Natur sieht.

Ein von Lené angelegter Park oder Garten ist ganz ohne Frage Teil unserer Kultur, auch wenn die Bäume ganz nach ihrer Natur wachsen, nur in der vom großen Gärtner geplanten Form und Ordnung, die wir als schön empfinden.

Schönheit oder Ästhetik ist eine weitere Frage nach der Weite der Kultur und der Notwendigkeit einer Abgrenzung gegenüber der Definition - scheinen uns doch gerade Menschen als besonders schön, die es nach ihrer Natur sind und nicht durch kreative oder mit großem Grauen sogar operativen Akten gestaltet wurden, wirken solche Menschen im Gegenteil immer unnatürlich und gelten selten als schön.

Inwieweit ist dann das Bild natürlicher Schönheit als Ideal überhaupt noch Ausdruck von Kultur oder ist es nicht viel mehr Bewunderung für die Vollkommenheit der Natur?

Nähmen wir an, es ginge um schlichte Bewunderung der Natur, die ihrer Art entsprechend entstanden sei, könnte der kulturelle Akt allein im ästhetischen Empfinden liegen. Weil wir etwas schön finden und also einen Maßstab unserer Kultur entsprechend setzen, der ja bekanntlich über die Zeiten immer sehr wandelbar war, machten wir die Natur zum Teil unserer Kultur.

Doch ich merke die Grenzen verschwimmen und die Abgrenzung erscheint mir schon fast eher zufällig als konsistent.

Sehe ich mich schließlich immer als Teil der Natur und alles was ich tue als natürlich an, weil es eben meinem Wesen entspricht, verliert die Kultur jeden Rahmen und alle Abgrenzung, ohne das Leben darum weniger schön sein müsste.

Pflege der Natur und ihre Erhaltung könnten wir noch als Kultur definieren, beim natürlichen Rückbau oder dem freien Wachstum der Natur würde es schon schwieriger.

Hat die Kultur noch eine Grenze, wenn ich höchst kultiviert nenne, im Einklang mit der Natur zu leben und neben dieser seinen bescheidenen Raum zu suchen?

Wenn eine Arbeitsgruppe im Labor mit einer genetisch veränderten Kultur von Sporen arbeitet, die durch einen Unfall oder Zufall, wer wollte das schon immer präzise unterscheiden, freigesetzt würden und aufgrund der natürlichen Bedingungen sich immer weiter fast grenzenlos verbreitete, dadurch die umgebende Natur veränderte, mit welcher Wirkung auch immer, es sei sich hier jeder Bewertung enthalten, würde dann die Natur zu einer Kultur oder wäre das eben der Lauf der unvollkommenen menschlichen Natur, die nie alles bedenken kann?

Merke schon, wie alles nachdenken auf immer neue Grenzen stößt, die besser überflüssig würden, damit sich Kultur frei entfalten kann, welche kreative Idee auch immer an ihrem Anfang stand.

Aber auch hier stoße ich schon wieder auf den elenden Schöpfergedanken, insofern wir bei kultureller Gestaltung von einem Schöpfer, der die nur Natur veränderte, ausgehen, ohne dabei überblicken zu können, welche Einflüsse alle auf den Schöpfer als Kreatur der Natur wirkten und wie weit er nur Teil eines komplexen Zusammenspiels verschiedenster natürlicher aber nicht kreativer Kräfte ist.

Die Chaostheorie in der Mathematik denkt über solche Fragen nach und hat versucht, sie berechenbar zu machen, sofern unserem natürlich beschränkten Horizont die auf ein Ereignis einflussnehmenden Parameter überhaupt erkennbar sind.

So komme ich bei jeder Betrachtung auf eine Begrenzung, wie sie meinem beschränkten Horizont eben entspricht. Vielleicht sähe ein größerer Geist noch viel mehr Zusammenhänge, würde die Dinge besser verstehen, woran, angesichts meiner bescheidenen Mittel, geringer Zweifel nur besteht. Doch darf es bei der Sicht auf eine umfassende und verbindende neue Kultur unserer Zeit auf meinen engen Horizont ankommen?

Vielleicht ist die Begrenzung die eigentliche Kulturleistung bisher für uns gewesen. In dem wir einen Raum, geistig oder real, einzäunen und betrachten, was in ihm passiert, bilden wir einen Kulturraum.

So sahen kulturelle Epochen sich häufig durch die Abgrenzung gegenüber vorigen oder anderen Zeitgenossen definiert. Aber genau diesen Weg möchte ich nicht gehen, sondern vielmehr im Geiste des kategorischen Imperativs der Kultur einen möglichst großen Raum geben und darin einen alle verbindenden Gestaltungsrahmen finden.

Die Handlungsmaxime nach Kant, die kategorisch gültig, also über jedem Gesetz steht und diese hässlichen Krücken moralisch überflüssig machte, braucht Toleranz und Menschlichkeit als einzigen Maßstab, den kreativen Raum zu gestalten. Das Jedermanns-Gesetz als Paradoxon ist nur die intellektuelle Anforderung an den einzelnen, der so frei sein will über den Gesetzen zu leben, ob er es auch könnte, bedarf keiner normativen Schranke, genau nicht, weil es dies nicht geben könnte, außer in einer Kultur, die genau das zu ihrer Natur wiederum machte.

Die Abgrenzung von Natur und Kultur erscheint mir zu kurz gedacht und beschränkt unseren Horizont in meinen Augen unnötig, verhindert sogar Erkenntnisse über die Entstehung von Kultur als Teil unserer Natur.

Noch wage ich mich an keine Definition, um nicht den Raum des Denkens und der Suche unnötig zu begrenzen, doch scheint mir gerade das Zusammenspiel von Mensch und Natur bedeutend, ob und wie auch immer dieser dort gestaltet oder wahrnimmt, weil ja auch der Genuß überwältigend schöner Natur eine kulturelle Erfahrung sein kann, die sicher den Horizont erweitert.

Spannend wäre für mich an dieser Stelle noch, wie viel Kultur in der Beschränkung liegt, die sich zwar Grenzen setzt, aber dies tut, um sich dem, was ist, intensiver widmen zu können.

Verlasse etwa, wenn irgend möglich, meine Stadt nicht, weil ich Reisen für ökologisch fragwürdig halte, den Erkenntnisgewinn dabei stark bezweifle, wofür Kant ja ein sprechendes Beispiel ist, von den vielen nichtssagenden Weltenbummlern und ihren bunten Bildern einmal ganz abgesehen. Dennoch bin ich im letzten Jahr allein 6500 km durch die Stadt gelaufen und in diesem schon über 4000 km, also viel zu Fuß unterwegs, als wäre ich ein Reisender, der doch immer da bleibt, wo er herkommt. Habe auf diese Art vermutlich mehr gesehen als die meisten Einwohner der Stadt, die sich gern auf ihre Kieze beschränkt, auch wenn ich nicht weiß, ob es meinen Horizont erweitert oder mich irgendwie weiser gemacht hätte - die Erfahrung der letzten Monate spricht eher dagegen.

Ein möglichst unbegrenzter Begriff von Kultur im Zusammenspiel mit einer Selbstbeschränkung aus Achtung vor der Natur und zur Erhöhung der Chancen auf innere Erfahrung, könnte am Anfang der Suche nach einem neuen Begriff der Kultur für eine veränderte Gegenwart sein, der auf verschiedene Fragen Antworten sucht und dabei kreativ gestaltet.

So würde die Kultur stärker individualisiert und vom Zwang einer Bewegung und ihrer normativen Vorgaben entfernt. Gestalter oder Künstler einer solchen kulturellen Bewegung könnte danach jeder sein, der im kantschen Sinne über Moral und ihre normativen Grenzen reflektiert und sich aus Lust und moralischer Verantwortung eine lokale Beschränkung auferlegt - ohne dies in Dogmen kleiden zu wollen oder Vorschriften zu machen, geht es um den Ansatz, auch sich im eigenen Raum zu gestalten und die völlige Freiheit dabei jenseits aller nur formalen Normen zu haben.

Die Bewegung #Flugscham, die ich moralisch sehr unterstützenswert finde, aber darum geht es hier nicht, beschränkt sich auf moralische Vorschriften für andere oder sich, war mir nach dem kategorischen Imperativ und meiner Definition von Freiheit eher weniger gefällt und genau das würde einer kulturellen Bewegung schon vor ihrem Beginn Grenzen auferlegen, die eine Entwicklung behinderten.

Das Netz wird eine wichtige Basis dieser grenzenlosen lokalen Kultur mit ihrer ressourcenorientierten Ethik der Nachhaltigkeit, die sich keinem politischen Programm und keiner Partei zuordnen sollte, auch wenn manche Brücken hier oder dort sehen mögen. Um überall zu sein und da zu bleiben, weil es keine ständige Bewegung mehr braucht, außer für unseren Körper, also unsere Natur, in unserem Umkreis.

Es ist ein Anfang und eine Suche nach einem Aufbruch, um einen neuen Weg zu finden, der Grenzen nicht mehr braucht und einen kulturellen Raum ohne diesen bilden kann, der einer neuen auch moralischen Kreativität, die unserer Zeit entspricht, statt Beschränkung und Definition möchte ich diesen Raum zuerst öffnen und dann sehen, wie eine kreative Bewegung um die Welt daraus werden kann, die neu für sich und doch in wichtigem verbunden kreativ gestaltet. Es könnte in Zeiten politischer Polarisierung ein wichtiger Aufbruch sein, um den Geist der Vernunft und den kreativen Raum der Freiheit für die Zukunft zu retten.

Es möge sich jeder anschließen, dem diese Idee entspricht und der ihr folgen kann, um künftig gemeinsam zu gestalten, eine kreative Kraft ohne Grenzen der Genres oder Länder zu werden.
Haben wir den Mut, die kreative Gestaltung der Zukunft in die Hand zu nehmen und die Welt entsprechend schöner zu machen, wir können alles erreichen.

jens tuengerthal 28.5.2019

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