Samstag, 19. Januar 2019

Entdeckungsreisender

Bin ein Entdeckungsreisender
Laufe täglich durch mein Dorf
Das zugleich Stadt und Land ist
Entdecke immer wieder neues

Das Glück des Flaneurs ist
Nichts konkret zu erwarten
So ist alles überraschend
Erfreut jede Begegnung neu

Was soll ich um die Welt reisen
Wenn ich durch Berlin laufen kann
Das vielfältig mehr enthält als alle
Sonst bekannten Reiseziele

Die Temperaturen sind dabei eher
Gemäßigt zum Laufen also ideal
Es fällt alle Anreisezeit weg weil
Jede Wanderung vor der Tür beginnt

Muss nichts gesehen haben oder
Unbedingt erleben in meiner Welt
Sie ist ja immer da sonst gehe ich
Eben noch mal dort wieder vorbei

Wichtiger aber als die Bewegung
Der ich nur folge weil es gut tut
Sich auch ein wenig zu bewegen
Ist was ich in mir dabei entdecke

Bin noch viel lieber zuhause
Seit ich so viel gelaufen bin
Weiß die Ruhe noch höher
Zu schätzen als vorher schon

Es folgt aus der Bewegung des
Läufers die innere Ruhe am Ziel
Du hast dich genug bewegt bist
Angekommen und so zufrieden

Dies alles ohne gößere Folgen
Für die Natur oder mein Konto
Laufe ja nur vor meiner Tür um
Die Ecke  quasie ein wenig rum

Lange habe ich gehadert noch
Mit meiner Familie voller großer
Reisender und Entdecker die
Gern die ganze Welt erkunden

Wollte und sollte auch immer einer
Von ihnen werden um dann später
Von meinen Reisen abenteuerlich
Viele Geschichten zu erzählen

Heute weiß ich all dies ist nur
Ersatzbefriedigung für Ruhe
Vor Ort um sich Zeit zu nehmen
Durch seine Stadt zu flanieren

Muss und will nirgendwo mehr hin
Über Bücher die solches titeln
Kann ich nur noch lachen die Welt
Ist mein Dorf und mein Dorf die Welt

Die meisten haben gern ein Ziel
Wollen irgendwohin dringend noch
Etwas unbedingt gesehen haben
Kommen dennoch enttäuscht wieder

Frustriert weil sie nicht alles sahen
Es nicht so war wie sie sich vorstellen
Jede Reise irgendwann endet ohne
Alles mögliche gesehen zu haben

Wären sie ehrlich zu sich gewesen
Die Frustration stiege vermutlich noch
Weil sie nur herum rannten um etwas
Zu sehen ohne Zeit es zu erleben

Die wichtigste Entdeckung ist Zeit
Kann stundenlang inzwischen laufen
Ohne große Erschöpfung zu spüren
Laufe einfach und lass Gedanken fliegen

Muss und will dabei nirgendwo hin meist
Laufe nur in der weiteren Umgebung herum
Sammle Kilometer und erfreuliche Anblicke
Bin unendlich frei und glücklich dabei

Wenn ich genug gelaufen bins gehe ich
Einfach wieder nach Hause um dort
In Ruhe Tee zu trinken und zu lesen
Zeit und Wetter sind völlig egal dabei

Könnte inzwischen fast egal wo leben
In Berlin ist ja alles zu Fuß gut erreichbar
Wieder zurück wartet der nächste Tee
War unterwegs und kam bei mir an

So bin ich ein großer Reisender ohne
Je den Ort zu verlassen wie Kant einst
In Königsberg möglichst immer blieb
Nahezu täglich stundenlang unterwegs

Werde gefragt woher ich die Zeit nehme
Frage die anderen wie viele Stunden sie
Selbst durch die Stadt irgendwohin reisen
Bis sie merken sie sind länger unterwegs

Dabei sind die anderen ständig gehetzt
Haben keine Zeit durch ihre Reisen von
A nach B und wieder zurück während ich
Egal wo glücklich mit viel Zeit da bin

Muss nirgendwo hin und habe kein Ziel
Zähle die Kilometer nur weil das Telefon
Sie eben nebenbei zählt was allem eine
Amüsante innere Ordnung dabei gibt

Es klingt wahnsinnig viel 6500 km
Durch Berlin gelaufen zu sein und war
Doch immer nur ein flanieren ohne jede
Anstrengung aus purer Lust am Laufen

Die wichtigste Entdeckung war die Zeit
Wie schnell oder langsam sie vergeht
Je nachdem wo ich unterwegs war und
Wie anders wir sie dabei meist erinnern

Stille abgelegene Orte haben unendlich
Viel Zeit die sie gern geben und nehmen
Laute überfüllte Orte dagegen haben nie
Zeit und fressen diese wie rasend meist

Außer du bist nur beobachtender Flaneur
Dann fressen die Orte nur fremde Zeiten
Gehst du quasi zeitlos durch diese Welten
Was selten ganz vollständig mir gelingt

Zu leicht lasse auch ich als inzwischen
Ein wenig erfahrener Wanderer mich
Noch von der Zeit vor Ort anstecken
Laufe im Strom mit statt zu ruhen

Je mehr ich laufe desto sicherer wird
Das eigene Tempo dabei was nichts
Mehr aus dem Rhythmus bringen kann
Damit auch unangepasst etwas wird

Ob der Flaneur als bloßer Beobachter
Besser im Strom mitschwimmt sich also
Der Zeit der Umgebung anpasst oder
Lieber innehält fragte sich schon Hessel

Berlin hat unendlich viele Aussichten
Die es ganz unerwartet oft preisgibt
Stellt viele Welten parallel weil es sie
Hier gibt ohne es weiter zu erörtern

So bin ich als Entdeckungsreisender
Zuerst aus der Zeit gefallen bevor ich
Bei mir wieder glücklich ankam um dann
Ohne Ziel zeitlos gehen zu können

jens tuengerthal 19.01.2019

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